Die Ost-West-Finanzbeziehungen nach der Krise 1981— 1983
Klaus Schröder
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Zusammenfassung
Die Gesamtverschuldung der RGW-Länder im Westen stieg seit 1971 Jahr für Jahr von 8 Mrd. US-Dollar auf 88 Mrd. US-Dollar Ende 1981. Ausgelöst durch die Zahlungsunfähigkeit Polens und Rumäniens gerieten die Ost-West-Finanzbeziehungen zwischen 1981 und 1983 in eine Krise. Den RGW-Ländern wurden neue Kredite verweigert und darüber hinaus Kurzfrist-Kredite nicht verlängert, sondern von den Banken zurückgefordert. Die Verschuldung sank dementsprechend 1982 innerhalb von Jahresfrist um über 5 Mrd. US-Dollar. Diese Restriktionen trafen die kleinen RGW-Länder besonders hart und veranlaßten sie zu einer strengen Konsolidierungspolitik, d. h. sie mußten ihre West-Importe begrenzen, um die entstandene Kreditlücke füllen zu können. Umschuldungen, die mit Polen und Rumänien notwendig wurden, konnten mit anderen RGW-Ländern gerade noch (beispielsweise mit Ungarn) vermieden werden. Auch die DDR hatte mit besonderen Problemen zu kämpfen, nicht jedoch Bulgarien und die Tschechoslowakei. Demgegenüber ging die Finanzkrise an der Sowjetunion nahezu spurlos vorüber. Nach den ersten erfolgreichen Konsolidierungsbemühungen beginnen sich die Ost-West-Finanzbeziehungen zu normalisieren. Trotz erheblicher internationaler Spannungen zwischen Ost und West konnte die Sowjetunion wieder große Kredite auf den westlichen Kapitalmärkten verhandeln. Die DDR, Ungarn und die Tschechoslowakei haben ebenfalls neue Kredite erhalten. Polens Verschuldung, die Jahr für Jahr weiter steigt, bleibt kritisch. Ansonsten erscheint das Kreditstanding der RGW-Länder — auch im internationalen Kontext — verbessert. Trotz dieser Entspannungstendenzen und einer sich abzeichnenden flexibleren Kreditpolitik im Westen wird sich eine Entwicklung wie in den siebziger Jahren nicht wiederholen lassen. Vor neuen Kreditverhandlungen werden die RGW-Länder wesentlich kritischer und damit auch differenzierter als früher analysiert.
I. Einleitung und Überblick Die Finanzbeziehungen zwischen den sieben osteuropäischen RGW-Ländern und den westlichen Volkswirtschaften gerieten zwischen 1981 und 1983 in eine schwere Krise. Polen und Rumänien konnten ihren eingegangenen Tilgungs-und Zinszahlungsverpflichtungen nicht nachkommen und mußten mit ihren westlichen Gläubigern sogenannte Umschuldungen vereinbaren. Auch Ungarn und die DDR sahen sich 1982 unversehens einer ernsthaften Liquiditätskrise gegenüber, als westliche Gläubiger nach der polnischen Illiquidität neue Kredite verweigerten und darüber hinaus die Rückzahlung kurzfristig gewährter Kredite verlangten Weit weniger dramatisch war die Entwicklung der Finanz-beziehungen zu Bulgarien und der Tschechoslowakei. Im Unterschied zu den osteuropäischen RGW-Ländern blieb die Sowjetunion weitgehend von den Folgen der Krise verschont — die Hegemonialmacht Sowjetunion geht sogar gestärkt aus der Ost-West-Finanzkrise hervor.
Insgesamt gesehen galten alle RGW-Länder nach der Zahlungsunfähigkeit Polens und Rumäniens sowie den ausgeprägten Zahlungsproblemen Ungarns und der DDR als Risiko-länder. Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern im Hinblick auf Wirtschaftskraft, Verschuldungs-und Liquiditätslage sowie insbesondere Grad und Ursachen der Zahlungsprobleme blieben weitgehend unberücksichtigt; insofern war es nicht überraschend, wenngleich deutlich überzeichnend, daß viele westliche Beobachter die Verhältnisse Polens mit denen Osteuropas gleichsetzten. Für viele westliche Banken, die sich gerade erst Anfang der siebziger Jahre den RGW-Ländern zugewandt hatten, war Osteuropa plötzlich kein kreditwürdiger Partner mehr. Der Kredit-strom in den Osten verebbte nach einer Phase stürmischer Kreditexpansion. Insbesondere auf den unkontrollierten Euromärk-ten kam es durch kreditstoppartige Reaktionen der Banken zu scharfen Einschnitten.
Da gleichermaßen bedeutsam war, daß die staatlichen Exportbürgschaften für die Umschuldungsländer Polen und Rumänien eingestellt werden mußten, und die Versuche einzelner westlicher Länder (z. B. Österreichs), mit einer expansiven Kreditpolitik gegen den Strom zu schwimmen und weiterhin Kredite an die RGW-Länder auszureichen, den Markttrend nicht umkehren konnten, sahen sich die RGW-Länder ebenfalls aufgrund extrem hoher Realzinsen gezwungen, eine völlig neue Außenhandelspolitik mit den westlichen Volkswirtschaften einzuschlagen. Da die Zahlungsfähigkeit nicht mehr durch das Vertrauen der westlichen Financiers und ihre Kredite gestützt wurde, verblieben nur eigene Anstrengungen und die Besinnung auf interne Ressourcen.
Die zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und zur Verbesserung der Kreditwürdigkeit eingeleitete Konsolidierungspolitik förderte die Steigerung der West-Exporte und die oft drastische Reduzierung der West-Importe. Ziel dieser Konsolidierungspolitik, die von den westlichen Gläubigern erzwungen, teilweise aber auch freiwillig eingeleitet wurde, war es, Handelsbilanzüberschüsse zu erzielen, um so weit wie möglich den Schuldendienstverpflichtungen nachkommen zu können und sie darüber hinaus sogar zu verringern.
Diese Konsolidierungspolitik stellte für die RGW-Länder eine bislang einzigartige Herausforderung dar. Westkredite, die während der siebziger Jahre (teilweise reichlich) zur Verfügung standen und ein entscheidender Wachstumsfaktor für Industrieinvestitionen und Konsum in Osteuropa waren, mußten entgegen allen volkswirtschaftlichen Planungen in den RGW-Planungsbehörden 1981 und 1982 plötzlich zurückgezahlt werden, ohne daß — wie bisher üblich — neue Anschlußkredite zur Verfügung standen. Rigorose Kürzungen der West-Importe waren zumeist das einzige Mittel, um dieser Herausforderung erfolgreich begegnen zu können. Die negativen Wachstumseffekte dieser Kürzungen führten insbesondere bei den Investitionen (weniger jedoch bei Konsumgütern) zu einschneidenden Einschränkungen. Die Anstrengungen der RGW-Länder zur Erzielung von Handelsbilanzüberschüssen waren unabdingbar und sind positiv zu bewerten. Zur 1 Kehrseite dieser Medaille gehört jedoch, daß die reduzierten Investitionsgüterimporte aus dem Westen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der RGW-Länder gegenüber vielen Entwicklungs-und Schwellenländern gefährden. Die Integration vor allem der kleinen RGW-Länder in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung hat trotz aller Bemühungen seit 1970 nur bescheidene Erfolge gebracht. Um so mehr ist auch von westlicher Seite darauf zu achten, daß die erreichte Wettbewerbsfähigkeit durch eine wieder flexiblere Kreditpolitik erhalten bleibt, nach Möglichkeit sogar gesteigert wird.
Die RGW-Länder haben die Konsolidierungsherausforderung bestanden — für viele westliche Beobachter überraschend gut. Nach den zwei Illiquiditätsfällen und der bekannten Planungsineffizienz östlicher Wirtschaftssysteme war ein reibungsloses Umstellen auf die Verwirklichung außenwirtschaftlicher Prioritäten gegenüber den westlichen Ländern nicht zu erwarten gewesen. Dieses Bemühen, das verlorengegangene Vertrauen wiederzuerlangen und die Kreditwürdigkeit zu festigen, verdient besondere Beachtung, weil für die kleinen RGW-Länder die ökonomischen Voraussetzungen nicht nur gegenüber dem Westen, sondern auch gegenüber der Sowjetunion ungünstiger wurden; denn die Sowjetunion stellte steigende Energiepreise, die wachsende Exporte in dieses Land zur Folge haben und nicht als West-Exporte oder für den Eigenverbrauch zur Verfügung stehen, in Rechnung.
Die Phase der krisenhaften Zuspitzung und übernervöser Reaktionen westlicher Gläubiger beginnt Ende 1983 überzugehen in eine Phase, in der Überreaktion und sachlich schwer zu rechtfertigende Kapitalrückzugsaktionen ersetzt werden durch eine stärkere Länderdifferenzierung und eine realistischere Risikoeinschätzung der einzelnen RGW-Länder im Vergleich zu den turmhohen Risiken insbesondere in Lateinamerika. 1984 beginnt sich diese „Normalisierungstendenz" weiter zu verstärken. Insbesondere die Sowjetunion tritt mit umfangreichen Kreditaufnahmen und erstaunlich verfeinerter und diversifizierter Kreditaufnahmepolitik in den Vordergrund. Auch die DDR, die sich mit den beiden Milliarden-Krediten westdeutscher Banken und harten internen Maßnahmen respektabel durch die Liquiditätsklippen schiffen konnte, verbesserte ihr Kreditstanding und geht wieder mit gestärktem Selbstbewußtsein auf die internationalen Kapitalmärkte.
Ungarns Image war überraschend lange angekratzt. Die Aufnahme in den IWF und die Weltbank hat nicht nur geholfen, die schwierige Liquiditätslage zu verbessern. Gleichzeitig wurde den ungarischen Wirtschaftspolitikern der Rücken für die Fortsetzung ihrer Wirtschaftspolitik gestärkt und die westlichen Banken ermutigt, Ungarn weiterhin mit Krediten zur Verfügung zu stehen.
Bei Bulgarien und der Tschechoslowakei hat es nie eine besondere kreditpolitische Zuspitzung gegeben. Durch eine vorsichtige Kreditaufnahme im Westen verzichteten diese Länder zwar auf ein zusätzliches kreditfinanziertes Wachstum; andererseits hatten sie nicht gegen die unbequemen Folgen einer von außen aufgezwungenen Konsolidierungspolitik zu kämpfen. Es scheint, daß diese beiden Länder ihre bisherige Kreditpolitik fortsetzen wollen.
Polen ist immer noch in allergrößten Schwierigkeiten. Zwar erzielt es trotz schwieriger interner Versorgungslage mit den westlichen Ländern Handelsbilanzüberschüsse; diese reichen aber bei weitem nicht aus, um die Zins-verpflichtungen voll erfüllen zu können. Wenngleich die Gesamtverschuldung folglich weiter ansteigt, gibt es eine gewisse Entspannung an der Umschuldungsfront, denn erstmalig gelang es den Banken, die Fälligkeiten mehrerer Jahre (1984— 1987) in einem Paket zu verhandeln und weit in die Zukunft zu strecken. Aber das allein wird keinesfalls ausreichen, daß Polen mit den Banken in absehbarer Zeit neue Kredite verhandeln kann.
Rumänien ist 1984 seinen Zahlungsverpflichtungen ohne Umschuldungsvereinbarungen nachgekommen. Die schwierigen Umschuldungsverhandlungen der Jahren 1982/1983 sind in den Hintergrund getreten; westliche Exportkreditversicherer gewähren für Exporte nach Rumänien wieder Garantien. Ceausescu will die West-Verschuldung konsequent weiter abbauen. Ob sich diese Politik weiter durchhalten läßt, wird sich in den Jahren 1985/1986 zeigen, wenn die Rückzahlungsverpflichtungen wieder ansteigen.
Insgesamt gesehen läßt sich Ende 1984 ein wieder wesentlich freundlicheres Bild der Ost-West-Finanzbeziehungen aufzeigen.
II. Entwicklung der Westverschuldung der RGW-Länder in den siebziger Jahren
Die Sowjetunion und die übrigen RGW-Länder litten schon immer unter Kapitalmangel; aber dieser Mangel führte selten zu einer gezielten Kapitalnachfrage im westlichen Ausland. Während der gesamten Nachkriegszeit gab es kaum eine nennenswerte Verschuldung der RGW-Länder. Bis zum Beginn der siebziger Jahre, als lediglich kurzfristige Handelskredite im Umfang von 8 Mrd. US-Dollar zur Unterstützung westlicher Exporte ausgeliehen wurden, war das Interesse an wachsender Kapitalverflechtung zwischen Ost und West kaum vorhanden. Die Zurückhaltung der osteuropäischen Kreditnehmer wich, als sich im Zuge der Entspannungspolitik zwischen Ost und West sowohl die politischen wie auch die ökonomischen Bedingungen für intensivere Finanzbeziehungen änderten und auch von Geldgeberseite die Bereitschaft signalisiert wurde, Kapitalexporte in starkem Maße nach Osteuropa zu fördern.
Daraus entwickelte sich eine beispiellose Beschleunigung der Kreditausleihungen. In den Jahren zwischen 1971 und 1981 stieg die Bruttoverschuldung der RGW-Länder im Westen um das Elffache auf 88 Mrd. US-Dollar. Die jährliche Neuverschuldung erreichte 1975 mit einer Steigerung von 14 Mrd. US-Dollar ihren Höhepunkt. Die RGW-Länder konnten auch 1979 noch, als die öffentliche Diskussion über die Grenzen der Verschuldung bereits offener und artikulierter geführt wurde, ihre Verschuldung um 13 Mrd. US-Dollar ausdehnen. Für diese Verschuldungsentwicklung gibt es weder auf Osteuropa bezogen noch international gesehen eine Parallele. Wie ausgeprägt die östliche Nachfrage, aber auch wie interessiert die westlichen Gläubiger waren, ihr Kreditangebot auszudehnen, läßt sich damit verdeutlichen, daß in den zehn Jahren zwischen 1971 und 1981 die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Kreditausleihung an die RGW-Länder mit 27 % weit über der allgemeinen internationalen Kreditentwicklung lag.
Alle RGW-Länder verknüpften mehr oder weniger deutlich mit ihrer Kapitalimportpolitik die Hoffnung, a) durch den Import westlichen Kapitals und westlicher Technologie die Wachstumsschwäche ihrer Wirtschaften zu überwinden, b) durch intensiven Außenhandel den westlichen Märkten überfällige interne Reformen kompensieren zu können und c) sich langfristig stärker in die internationale Arbeitsteilung integrieren zu können.
Dieser Integrationsansatz, der nicht in allen, aber in wesentlichen Teilen als gescheitert angesehen wird, fand im Westen bei Politikern, Unternehmern und Bankvertretern breite Zustimmung. Für die Banken war entscheidend, daß Osteuropa bei ihnen weitgehend unverschuldet war, daß die heimische (Export-) Industrie „finanzielle Begleitung" suchte und daß die Liquiditätsschwemme, die 1974/1975 nach dem ersten ölpreisschock einsetzte, darüber hinaus zu einer teilweise aggressiven, zumindest expansiven Kreditpolitik auch gegenüber den RGW-Ländern geradezu aufforderte.
Der Ausbau der Ost-West-Finanzbeziehungen wurde im Westen allerorten gepriesen;
jedes größere Land, jede größere Bank beteiligte sich daran — allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten; der Kapitaltransfer in den Osten galt als wichtiger Motor des Ost-West-Handels und der neu entwickelten Ost-West-Kooperation. Auch auf östlicher Seite gab es kein Land, das diese einmalige Chance ungenutzt an sich vorbeiziehen lassen wollte und sich nicht beteiligte. Selbst die Sowjetunion als großes autarkiebegabtes Land griff recht kräftig nach westlichem Kapital. Als einziges RGW-Land gab die Sowjetunion diese Politik aber frühzeitig wieder auf: Die Ölpreisexplosion brachte der östlichen Hegemonialmacht jährliche Milliarden-Geschenke ein, so daß nach 1976/1977 eine rasch weiter steigende Verschuldung gar nicht mehr zur Diskussion stand. Während die Sowjetunion ihre Kapitalimporte aufgrund riesiger Wind-fall profits 2) begrenzen konnte, haben die kleinen RGW-Länder ihre Kreditaufnahmen im Westen noch kräftig beschleunigt; dazu trug bei, — daß sich die Außenhandelspreise sowohl gegenüber dem 'Westen als auch gegenüber der Sowjetunion zu ihren Ungunsten entwikkelten, — daß die Exporte in den Westen (u. a. aufgrund geringerer Adaptionsfähigkeit westli-eher Technologien im Osten und gedämpfter Nachfrage nach östlichen Produkten) hinter den Erwartungen zurückblieben, — daß Kredite insbesondere im Falle Polens nicht für investive, sondern für konsumptive Zwecke Verwendung fanden und — daß diese Kredite, die ursprünglich sehr billig waren, teilweise sogar eine negative Realverzinsung hatten, so teuer wurden, daß neue Kredite aufgenommen werden mußten, um die übersteigerten Zinsen zahlen zu können. Ungebundene Euro-Konsortialkredite dienten bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre als Zahlungsbilanzkredite zur Gewährleistung fälliger Zins-und Tilgungsleistungen.
Diese und andere (Fehl-) Entwicklungen fanden im Westen nur geringe Beachtung. Den Banken standen meistens konkrete Informationen über die Kreditverwendung und deren Einfluß auf die Exportstrukturen, teilweise auch über die wirtschaftlichen Entwicklungen in Osteuropa genausowenig zur Verfügung wie westlichen Regierungen oder Forschungsinstituten; insofern war von ihrer Seite keine Kontrolle der Kreditverwendung möglich und wohl auch nicht intendiert, so daß es nicht verwundert, daß bis Anfang 1980 über die Ost-West-Finanzbeziehungen der Eindruck erhalten blieb, daß alles in Ordnung sei und keine besonderen Belastungen zu erwarten seien. Die Korrektur dieser Entwicklung kam — sehr verzögert — entsprechend hastig und überzogen.
Verantwortlich für die abrupte Wende in der Kreditvergabepolitik der westlichen Banken gegenüber osteuropäischen Kreditnehmern war ein sehr heterogener, zeitlich gestaffelt auftretender Ursachenkomplex, in den vorwiegend ökonomische Faktoren eingingen. Diese ökonomischen Faktoren wurden aber temporär in ihrer Wirkung deutlich verstärkt und überlagert durch politische Einflüsse. Ausgangspunkt für die veränderte Kreditvergabepolitik war die zweite Ölpreiswelle im Jahre 1980; sie induzierte einen kräftigen Wandel der Kreditgeber-und Kreditnehmer-struktur auf den besonders sensibel reagierenden Euro-Kreditmärkten. Während auf Gläubigerseite die OPEC-Kartellstaaten durch die kräftige Ölpreisanhebung ihre dominierende Kapitalanbieterrolle ausbauen konnten, kam es auf der Kreditnehmerseite zu einem starken Verdrängungsprozeß. Die Industrieländer steigerten ihre Kreditnachfrage zum Ausgleich der ölpreisbedingt gestiegenen Leistungsbilanzdefizite überproportional mit der Folge, daß Entwicklungs-und RGW-Länder nur einen Teil ihrer Kreditnachfrage befriedigen konnten. Die RGW-Länder erhielten auf den Euromärkten 1980 nur noch 2 Mrd. US-Dollar (1979 5 Mrd. US-Dollar); ihr Anteil am Neugeschäft des Euromarktes sank von 6 % über 3 % auf praktisch Null. Dieser Prozeß verstärkter Schuldnerauslese traf besonders die RGW-Länder; neben den ölpreisbedingten Verschiebungen gab es gleichzeitig ein ganzes Bündel „bankinterner"
Faktoren, das die Gläubiger bei der Vergabe neuer Kredite gegenüber osteuropäischen Schuldnern restriktiver vorgehen ließ. Zu diesen Faktoren gehören zum Beispiel die zur Diskussion gestellte Einbeziehung von Auslandsgeschäften in die nationalen Kreditvergabegrundsätze (sog. Konsolidierung), die sinkende Bereitschaft der Banken, die wachsenden Risiken der Fristentransformation auf sich zu nehmen und kurz-und mittelfristig angelegte Gelder als langfristige Kredite zu vergeben, sowie daß sich bei etlichen Banken das Verhältnis von Kreditausleihungen zum Eigenkapital offensichtlich einer kritischen Schwelle genähert hatte und dadurch einer forschen Kreditvergabe deutliche Grenzen gesetzt wurden.
Neben diesen allgemeinen Gründen gab es auch „RGW-spezifische" Gründe, so zum Beispiel Hinweise darauf, daß die bankinternen Länderlimite weithin ausgeschöpft wurden und die erwarteten Probleme des Debt-Managements — u. a. durch die steigenden Zinsbelastungen — ein überschreiten als nicht ratsam erscheinen ließen.
Mit der faktischen Illiquidität Polens im März 1981 und der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 gewinnen die Ursachen sinkender Kreditvergabebereitschaft an Osteuropa Kontur und Qualität — an Kontur, weil sich die ökonomischen Befürchtungen der Gläubiger im Hinblick auf die schwindende Schuldendienstfähigkeit Polens bereits ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung ei-35 nes Großkredits über 1, 2 Mrd. DM bestätigten, und an Qualität in dreierlei Hinsicht: erstens, weil der „Polenschock“ den Zentralnerv westlicher Bank-Manager traf und dadurch ihr „Ausleihmodell" gegenüber den osteuropäischen Ländern zusammenbrach; zweitens, weil erstmalig mit einem Großschuldner, und zudem mit einem osteuropäischen, Umschuldungen überfällig gewordener Kredite notwendig wurden; und drittens, weil erstmalig in massiver und direkter Weise die Kreditbeziehungen zu Osteuropa nach der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen von westlicher Seite politisch beeinflußt wurden.
Als Polen im Frühjahr 1981 seinen Schulden-dienst nicht mehr aufrechterhalten konnte, stand es in den Büchern westlicher Gläubiger mit einer Gesamtverschuldung von rund 24 Mrd. US-Dollar. Allein die Banken, allen voran die westeuropäischen, hatten an polnische Kreditnehmer 15 Mrd. US-Dollar ausgeliehen. Daß ausgerechnet Polen, das die Rolle eines Mittlers zwischen Ost und West spielen sollte, das auch von den Banken favorisiert wurde und 1981 27 % aller an die RGW-Länder vergebenen Westkredite erhalten hatte, zahlungsunfähig wurde, traf die westlichen Gläubiger hart und erklärt mit den überaus schroffen Wandel ihrer Kreditpolitik.
Daß Polens Illiquidität und der Zwang, offen-gebliebene Tilgungen umschulden zu müssen, zu einer so starken Reaktion gegenüber allen RGW-Ländern führte, also auch denen, die ein vergleichsweise gutes Kredit-Standing hatten, hing entscheidend damit zusammen, daß sich wesentliche Annahmen westlicher Kreditpolitik gegenüber Osteuropa nicht bzw. nur eingeschränkt bestätigten.
Die im Westen erfundene und in Moskau nie bestätigte Regenschirmtheorie, die für viele Banken ein entscheidender Eckpfeiler ihrer Ost-Kreditpolitik war, ging davon aus, daß die Sowjetunion zur Wahrung der Stabilität ihres Staatensystems ihren Satellitenstaaten dann finanzielle Hilfe gewährt, wenn Zahlungsverzug gegenüber westlichen Gläubigern droht. Als Polen 1981 und 1982 auch Rumänien zahlungsunfähig wurden und die Sowjetunion nicht mit finanzieller Hilfe einsprang, war ein wesentlicher Baustein westlicher Kapitalexportpolitik zerstört. Die Enttäuschung über die Fehleinschätzung des sowjetischen Rollenverständnisses war unübersehbar und hatte zur Folge, daß cum grano salis kreditpolitisch ganz Osteuropa mit Polen gleichgestellt wurde.
Hinzu kommt, daß Osteuropa neben vielen anderen Regionen als eigenständiger Wettbewerbsraum angesehen wurde. Das begünstigte im Wettbewerb zwischen den Banken das Denken in Marktanteilen und Zuwachsraten; selbst innerhalb einer Bank lenkte der interne Wettbewerb zwischen den verschiedenen Ausländsabteilungen den Blick auf das Volumen neuer Kreditabschlüsse, nicht aber auf wachsende Risiken. Schließlich ist bemerkenswert, daß westliche Banken in den siebziger Jahren durchaus davon ausgingen, daß gerade von Staatshandelsländern mit zentraler Wirtschafts-und Finanzplanung eine hohe finanzielle Disziplin erwartet werden kann. Alle diese Punkte fanden keine oder nur eingeschränkte Bestätigung, schürten die Über-reaktion der Banken und machen deutlich, warum die Phase relativ leichten Finanzierens, die während der ganzen siebziger Jahre gegeben war, nun Anfang der achtziger Jahre urplötzlich in eine Phase der Überreaktion mündete, in der die Banken den Ländern Osteuropas nicht mehr mit einer positiven, sondern jetzt mit einer negativen Grundhaltung begegneten.
Westliche Finanziers schenkten der Kalkulation politischer Risiken während der siebziger Jahre kaum Beachtung. Offensichtlich investierten sie in die Entspannungspolitik viel Vertrauen und fühlten sich durch die staatliche Ost-und Ostwirtschaftspolitik angespornt, mitzuziehen. 1980 begannen die Banken nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan auch wieder politische Risiken wahrzunehmen, nicht jedoch bereits zu kalkulieren. Die Kalkulation politischer Risiken setzte gut ein Jahr später ein, als nicht nur die Illiquidität Polens dazu Anlaß gab, sondern als nach der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen sich auch westliche Regierungen gefordert fühlten, darauf mit konkreten Maßnahmen oder indirekt durch öffentliche Diskussion bestimmter Forderung zu reagieren. Daß die politischen Risiken für die Banken noch ausgeprägter wurden, hing damit zusammen, daß der Ost-West-Handel und die Ost-West-Finanzbeziehungen von amerikanischer Seite in die sicherheitspolitischen Kontroversen mit der Sowjetunion hineingestellt wurden. So wurde davon ausgegangen, daß der Ost-West-Handel primär dem Osten nützt, daß der Ost-West-Handel das östliche Militärpotential stärkt, daß Handel mit und Kredite für RGW-Länder zur wachsenden Bedrohung durch diese Länder beitragen und daß es deswegen unabdingbar ist, den Ost-West-B Handel und die Ost-West-Kreditbeziehungen zu begrenzen.
Selbst wenn sich bald abzeichnete, daß Westeuropa die relevanten kreditpolitischen Einschränkungen nahezu einheitlich ablehnte, mußten von den Forderungen der amerikanischen Administration Unsicherheiten ausgehen auf die westlichen Kreditmärkte und die ohnehin bestehende Zurückhaltung der Banken verstärken; denn einerseits war für die Kreditgeber nicht abzusehen, ob die westeuropäischen Regierungen den amerikanischen s Überlegungen im Gesamtkomplex handels-, kredit-und sicherheitspolitischer Auseinandersetzung nicht doch noch, wenn auch nur partiell, folgen würden und andererseits mußten die Finanziers prüfen, ob sich die amerikanischen Forderungen nicht auch dann über die amerikanischen Banken auf die Märkte übertragen hätten, wenn die europäischen Regierungen ihre Ablehnungsfront im Bargaining-Prozeß mit der amerikanischen Administration hätten durchsetzen können.
Die Diskussionen, die darauf hinausliefen, die Ost-West-Finanzbeziehungen als politischen Sanktionshebel zu nutzen, konzentrierten sich hauptsächlich auf zwei Punkte, und zwar erstens auf eine offizielle Zahlungsunfähigkeitserklärung Polens und zweitens auf allgemeine monetäre Sanktionen.
Die Denkrichtung in den USA, die Kreditbeziehung zu Polen und zu ganz Osteuropa stärker in sicherheitspolitische Überlegungen einzubeziehen, breitete sich im Frühjahr 1982 mit der Diskussion um ein sogenanntes „Polen-default" aus, als mehrere Millionen US-Dollar fällig wurden, aber von Polen nicht zurückgezahlt werden konnten. Daraufhin drängten einige US-Abgeordnete sowie wichtige Vertreter des US-Verteidigungsministeriums auf eine „declaration of default", also eine offizielle Insolvenzerklärung Polens. Die mit einer Zahlungsunfähigkeitserklärung verfolgte Strategie traf auf den heftigen Widerstand sowohl westeuropäischer Regierungen als auch der US-amerikanischen und westeuropäischen Banken. Nach einer überaus gegensätzlichen Debatte wurde die Diskussion über einen Offenbarungseid Polens in dem Moment abgebrochen, als im Sommer 1982 mit Mexiko auch ein Umschuldungskandidat vor den amerikanischen Toren auftauchte und sich die Gefahr von Kettenreaktionen und einer Destabilisierung des westlichen, d. h. auch des amerikanischen Finanz-und Währungssystems deutlich verstärkte. Die US-Regierung übernahm die Rückstände und beglich die polnischen Verbindlichkeiten bei den amerikanischen Banken.
Die Diskussion, monetäre Sanktionen gegenüber Osteuropa zu verhängen, wurde offenbar ausgehend von der Vorstellung geführt, durch die Einführung einer Genehmigungspflicht oder gesonderter staatlicher Kapitaltransfer-verbote politischen Einfluß auf die Sowjetunion und ihre Verbündeten ausüben zu können. Auch solch ein Kreditembargo wurde durch die Banken scharf zurückgewiesen, und das nicht nur, weil angestammte, gesetzlich verankerte Freiheiten verloren gehen würden, sondern erst recht, weil ausgeprägte Unsicherheiten über die Wirkungen monetärer Sanktion die westlichen Geld-und Kapitalmärkte ins Chaos stürzen könnten. Monetäre. Sanktionen, eingekleidet in einen Kreditstopp beziehungsweise in eine kräftige Reduzierung westlicher Kapitalexporte in die RGW-Länder, stellen ein ausgesprochen scharf wirkendes Instrument dar, das die Bedeutung von Handelssanktionen (beispielsweise im Technologie-oder Getreidebereich) bei weitem übertrifft.
Ein politisch motivierter Kreditstopp hätte für Osteuropa fatale Wirkungen. Erstens müßten in Höhe der relativ hohen Zins-und Tilgungsverpflichtungen Handelsbilanzüberschüsse mit dem Westen erzielt werden; deutliche Wachstumsverluste wären für die Dauer der verhängten Sanktionen bei ohnehin erheblichen Wirtschaftsproblemen die Folge. Zweitens müßten die RGW-Länder bei Ausfall westlicher Finanzierungen Devisen ansparen und die Kaufsummen für größere Importprojekte zunächst über Jahre durch steigende Exporte bzw. reduzierte Importe ansammeln und dann bar bezahlen, oder wenn das nicht geht, schließlich sogar auf sie verzichten. Ob und wie sich die osteuropäischen Länder den harten Sanktionswirkungen beugen würden und all ihre Kräfte auf die Erfüllung der Zins-und Tilgungszahlungen konzentrieren, mag von RGW-Land zu RGW-Land unterschiedlich sein. Es läßt sich vermuten, daß alle RGW-Länder überfordert wären, dieser Herausforderung ökonomisch und sozialpolitisch zu parieren — vielleicht mit Ausnahme der Sowjetunion.
Das östliche Reaktionsverhalten auf monetäre Sanktionen könnte sehr unterschiedlich ausfallen. Zum Zwecke der Veranschaulichung möglicher Sanktionswirkungen soll hier nur auf den gravierendsten Fall abgestellt werden: Die Hegemonialmacht Sowjet-37 Union reagiert für alle RGW-Länder auf die vom Westen politisch motivierten monetären Sanktionen ebenfalls politisch motiviert und erklärt sich und ihre Satelliten frei von allen Rückzahlungsverpflichtungen. Geht man von dieser nicht unrealistischen Reaktion aus und prüft ihre Implikationen auf der Gläubigerseite, so lassen sich folgende Ergebnisse zusammenfassen: — Ein Moratorium wäre für alle Ostschulden unvermeidbar; die Gläubigerbanken wären gezwungen, ihre gesamten Ostforderungen abzuschreiben. Kürzungen bzw.der Ausfall von Dividenden wären nicht zu vermeiden; — die Finanz-und Handelsbeziehungen zwischen Ost und West wären auf Jahre hinaus auf das stärkste gestört;
— von einem osteuropäischen Generalmoratorium wären auch rein westliche Finanzbeziehungen betroffen.
Die offizielle Diskussion über die Anwendung dieses scharf wirkenden Instruments, die noch beim Versailler Gipfeltreffen westlicher Staats-und Regierungschefs im Juni 1982 auf amerikanisches Betreiben eine wichtige Rolle spielte, verstummte wieder relativ schnell. Aus westeuropäischen Hauptstädten wurde nach Versailles offen erklärt, daß eine Änderung der Kreditpolitik weder im Umfang noch in der Art der Finanzierungen vonnöten und daß an eine politisch vorgegebene Kreditplafondierung nicht zu denken ist Die Haltung der amerikanischen Regierung begann sich zu ändern durch die zu erwartenden — in Ost und West auftretenden — hohen Sanktionskosten und durch beträchtliche Unsicherheiten über die Kontrollierbarkeit und Begrenzbarkeit von Folgeprozessen, die durch monetäre Sanktionen ausgelöst werden. Die Politiker in der US-Administration, die für harte monetäre Maßnahmen gegen Polen plädierten, verloren weiter an Einfluß, als der US-Nachbar Mexiko seinen internationalen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte und nicht auszuschließen war, daß eine offizielle Insolvenzerklärung Polens zum einen die Finanzprobleme in der gesamten lateinamerikanischen Region und zum anderen damit aber auch die politischen und wirtschaftlichen Probleme der USA mit diesen Ländern erheblich verschärfen würde. Diese Sachzwänge führten im Hinblick auf die monetären Sanktionen zwischen US-Regierung und Westeuropa zu einer deutlich verbesserten Gesprächsatmosphäre, lange bevor der transatlantische Konflikt über das Erdgas-Röhren-Geschäft im November 1982 in einem Kompromiß mündete
IV. Die Gesamtverschuldung der RGW-Länder im Westen
Die Gesamtverschuldung der RGW-Länder im Westen erreichte nach westlichen Schätzungen Ende 1981 mit 88 Mrd. US-Dollar ihren (vorläufigen) Höhepunkt und war 1982 erstmalig rückläufig. Zwischen Ende 1981 und Ende 1983 sank die Verschuldung um insgesamt 4, 6 Mrd. US-Dollar. Den Beitrag, den die einzelnen RGW-Länder zu der Reduzierung beitrugen, fiel sehr unterschiedlich aus.
Hauptkreditrückzahler waren die DDR (2, 2 Mrd. US-Dollar) und Rumänien (1, 2 Mrd. US-Dollar). Die geringsten Veränderungen gab es bei Ungarn und der Sowjetunion — Ungarn, das 1982 mitten in einer Zahlungskrise steckte und ganz überraschend rd.
1 Mrd. US-Dollar kurzfristig erhaltener Kredite zurückzahlen mußte, konnte seine Verschuldung bereits 1983 wieder durch gezielte westliche Unterstützungsaktionen ausbauen; solche Hilfsaktionen waren bei der Sowjetunion nicht vonnöten. Sie blieb der von westlichen Einwirkungen weitgehend unbeeinflußt, nach eigenen Interessen agierende und kreditwürdige Finanzpartner. Polen ist demgegenüber das einzige RGW-Land, dessen Gesamtverschuldung stieg. Der Schulden-dienst auf die hohe Gesamtverschuldung konnte aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht durch entsprechend hohe Handelsbilanzüberschüsse aufgebracht werden, folglich blieb den westlichen Gläubigern nichts anderes übrig, als neue Kredite zu gewähren. Diese Zwangskredite haben dazu beigetragen, den Zinsendienst zu sichern; sie haben nicht zur Stärkung der polnischen Produktionsverhältnisse beigetragen. Polen ist mit Abstand der Hauptkreditnehmer der RGW-Länder im Westen. Von der Gesamtverschuldung von 83 Mrd. US-Dollar (1983) erhielt Polen 32 %. An zweiter Stelle mit 25 % folgt die Sowjetunion vor der DDR mit einem Anteil von 15 %.
Betrachtet man die Nettoposition, daß heißt die Gesamtverschuldung minus Guthaben, so ist auffällig, daß die DDR ungewöhnlich ehrgeizige Anstrengungen unternommen hat, um ihre Kreditwürdigkeit zu verbessern. Die Nettoverschuldung der DDR sank um 3, 7 Mrd. US-Dollar auf 9 Mrd. US-Dollar, und zwar nicht nur durch Kredittilgung, sondern auch durch kräftige Aufstockung der Guthaben. Der starke Abbau der Nettoverschuldung hatte zur Folge, daß die DDR bei dieser Kreditkennziffer seit 1979 erstmalig wieder hinter der Sowjetunion an dritter Stelle rangiert. Die Gesamtverschuldung von 83 Mrd. US-Dollar und der Rückgang der Gesamtverschuldung Osteuropas um 4, 6 Mrd. US-Dollar bedarf einer zusätzlichen Erläuterung: Um einen allgemeinen Schuldenausweis der einzelnen wie aller RGW-Länder zu ermöglichen, werden alle West-Kredite, die in den unterschiedlichsten konvertierbaren Währungen aufgenommen wurden, zum Zwecke der Vergleichbarkeit auf eine einheitliche Währungsbasis umgerechnet. Diese Rolle übernimmt in internationalen Statistiken traditionell der US-Dollar. Kredite, die auf US-Dollar-Basis gewährt werden, lassen sich einfach addieren, weil kein Bewertungsproblem auftritt. Anders jedoch bei den Nicht-US-Dollar-Krediten. Sie müssen nach den am Stichtag gültigen Wechselkursen zwischen z. B. DM und US-Dollar umgerechnet werden. Daraus ergibt sich unmittelbar, daß sich Wechselkursschwankungen zwischen den einzelnen Währungen und dem US-Dollar im Ergebnis niederschlagen müssen, und zwar in Abhängigkeit a) vom Umfang der Nicht-US-Dollar-Kredite und b) vom Umfang der Wechselkursveränderungen. Letztere sind einfach zu ermitteln und sagen aus, daß der US-Dollar gegenüber allen wichtigen West-Währungen an Wert gewonnen hat. Das bedeutet wiederum für die Umrechnung, daß ein aufgewerteter US-Dollar im Umfang der Nicht-US-Dollar-Kredite zu einer automatischen Reduzierung der Gesamtverschuldung führt. Der Anteil der Nicht-US-Dollar-Kredite an der Gesamtverschuldung soll je nach RGW-Land zwischen 30 und 70 % liegen. Geht man von einem Mittelwert von 50 % aus, so kommt man folglich zu dem Ergebnis, daß die Reduzierung der Verschuldung von 4, 6 Mrd. US-Dollar zu über 10 % auf die Preissteigerung des US-Dollars zurückzuführen ist, die tatsächlichen Rückzahlungen folglich geringer sind.
Statistisch gesehen profitieren die Länder Osteuropas von der US-Dollar-Aufwertung, daran besteht kein Zweifel; und der geringere Verschuldungsausweis mag in einzelnen Fällen auch (psychologische) Vorteile für diese Länder bringen, wenn sich westliche Gläubiger lediglich an den ausgewiesenen Zahlen orientieren. Aber faktisch werden dadurch weder die nominalen Tilgungs-noch die nominalen Zinsbelastungen in den jeweiligen Währungen verändert. Tatsächliche Schuldendiensterleichterungen durch Ausnutzung von Wechselkurssteigerungen sind ceteris paribus erst dann möglich, wenn Handels-ströme flexibel von den währungsschwachen in das währungsstarke Land (hier: USA) umgelenkt werden können und aus deren Gegenwerten nach Umrechnung in eine andere westliche Währung, die relativ schwach ist, ein höherer Betrag für den Schuldendienst bereit steht Die Schwierigkeiten, Wechselkursschwankungen auszunutzen und ein entsprechendes Außenhandelsinteresse in die Tat umzusetzen, sind gerade für planwirtschaftlich organisierte Länder besonders groß, und es ist auch nicht nachzuweisen, daß eine währungsbedingte Verlagerung der Handelsströme stattgefunden hat. Im Ergebnis kommt man folglich zu der Feststellung, — daß die RGW-Länder nicht vom steigenden US-Dollar profitieren, — daß lediglich der statistische Ausweis der Gesamtverschuldung geschönt wird, — daß die Wechselkursschwankungen auch bei den Kreditkennziffern zu einer besonderen Bewertungsunsicherheit beitragen und schließlich, — daß der steigende US-Dollar mit seinen hohen Kreditkosten zumindest für einige RGW-Länder eher eine Belastung als eine Entlastung darstellt, weil einem relativ hohen Kreditanteil auf US-Dollar-Basis ein vergleichsweise kleiner Handelsanteil gegenübersteht, der ebenfalls auf US-Dollar-Basis abgewickelt wird.
V. Die Verschuldung der RGW-Länder bei westlichen Banken
Abbildung 11
Tabelle 3: Struktur der West-Kredite der RGW-Länder Ende 1983 (in Mrd. US-Dollar)
Tabelle 3: Struktur der West-Kredite der RGW-Länder Ende 1983 (in Mrd. US-Dollar)
Die Statistik der BIZ über die Bruttoverschuldung der RGW-Länder gegenüber westlichen Banken zeigt deutlich den abrupten Wandel in den Ost-West-Finanzbeziehungen auf: Umfang und Struktur der veränderten Kreditvergabepolitik der Banken werden jedoch erheblich überzeichnet und bedürfen der Interpretation: Ende 1981 erreichte die Bruttoverschuldung bei Banken mit 58 Mrd. US-Dollar ihren Höhepunkt und verringerte sich bis Ende 1983 um 9 Mrd. US-Dollar. Hierbei handelt es sich aber nur zum Teil um reale Rückzahlungen:
Zum ersten ist — wie bereits angeführt — hinzuweisen auf die Überbewertung des Verschuldungsrückgangs durch die Dollarkurssteigerungen. Zum zweiten spielt die Veränderung der Kredite an Polen in doppelter Weise eine besondere Rolle: Der Rückgang um 3, 7 Mrd. US-Dollar zwischen Ende 1981 und 1983 resultiert nicht aus realen Tilgungen Polens, sondern aus staatlich verbürgten Bankkrediten, die in dieser Zeit fällig waren, die Polen aber nicht zahlen konnte und für die folglich die staatlichen Exportkreditversicherer, für die Bundesrepublik Deutschland die Hermes AG, von den Banken in Anspruch genommen wurden. Der Versicherer erwirbt mit der Zahlung die Forderung gegenüber Polen, mit der Konsequenz, daß Bankbilanz und Bankstatistik entlastet werden. Neben diesem reinen Gläubigerwechsel ist zu berücksichtigen, daß die westlichen
Banken in sehr unterschiedlicher Weise Abschreibungen auf ihre Polen-Forderungen vornehmen. Geben sie nicht die nominalen, sondern die um die Abschreibung verminderten Forderungen zur Erstellung der Bankstatistiken weiter, so reduziert sich automatisch der Gesamtforderungsbestand, ohne daß der Schuldner Kredite getilgt hat. Die unterschiedliche Abschreibungspraxis in den nationalen Banksystemen hat nicht nur bei den Statistikern, sondern auch bei anderen Ost-West-Beobachtern Verwirrung ausgelöst.
Faßt man Dollaraufwertungseffekt, Übergang der Banken-Forderung auf staatliche Gläubiger und Abschreibungspraxis zusammen als buchungstechnische Veränderungen, so gewinnt die Aussage vieler Banken an Glaubwürdigkeit, daß reale Rückzahlungen nur in ganz geringem Umfang zu verzeichnen waren, daß die rückläufige, statistisch ausgewiesene Verschuldung Polens gegenüber den Banken eine Scheinentwicklung darstellt und daß in Wirklichkeit die Bank-Forderungen sogar gestiegen sind.
Diese Faktoren erklären auch einen Großteil der um 1, 1 Mrd. US-Dollar gesunkenen rumänischen Bankschulden. Die exakte Quantifizierung dieser Effekte ist nicht möglich. Will man trotzdem ein Gefühl für die „Buch-Effekte" und die realen Tilgungen bekommen und geht davon aus, daß 30 % des Kreditrückgangs auf den Aufwertungseffekt des US-Dollars zurückzuführen sind und von den bei Polen und Rumänien verbleibenden Rückgängen von 2, 5 bzw. 0, 8 Mrd. US-Dollar 90 % auf die „BuchEffekte" entfallen, so ergibt sich lediglich eine reale Tilgung von 3 Mrd. US-Dollar Trotz dieser starken Korrektur des veränderten Kreditvolumens bleibt jedoch festzuhalten, daß es 1981/1982 eine unübersehbare Zäsur gab und die westlichen Banken das Steuer ihrer Ostkreditpolitik deutlich herumwarfen.
Umfang und Verteilung der Bankkredite an die RGW-Länder wurden bislang immer aus der Statistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (vgl. Tab. 2) abgeleitet. Sie war konkurrenzlos und galt als verläßlich. Mit der erstmalig im Frühjahr 1984 veröffentlichten Gemeinschaftsstatistik von OECD und BIZ (vgl. Tab. 3) gelingt jedoch eine wesentlich treffendere Analyse. , Zunächst ist aber auffallend, daß sich nach den Angaben von OECD und BIZ aus Tabelle 3 für Ende 1983 nur eine Gesamtverschuldung von 70 Mrd. US-Dollar ergibt, während ja in Tabelle 1 83 Mrd. US-Dollar ausgewiesen werden. Die Gegenüberstellungen und Ergänzungen in Tabelle 4 zeigen jedoch, daß sich die Differenz unter Einschluß der nicht berücksichtigten Umschuldungskredite (direkte Staatskredite), der Kredite des Internationalen Währungsfonds und ‘der Weltbank und der Kredite aus Bundesrepublik Deutschland an die DDR weitgehend aufhebt, was insbesondere gilt, wenn man den höheren Verschuldungsausweis von 2, 6 Mrd. US-Dollar bei der Sowjetunion in Rechnung stellt. Die OECD/BIZ-Statistik weist folglich unter Einschluß dieser Kredite eine Gesamtverschuldung der RGW-Länder von 86, 2 Mrd. US-Dollar aus.
Hervorzuheben ist, daß in die Bankenstatistik der BIZ nicht nur die auf eigenes Risiko vergebenen Bankkredite, sondern auch staatlich verbürgte Kredite eingegangen sind. Das bedeutet, daß die reinen Bankkredite geringer sind, als bislang oftmals angenommen. Zwar ist der Anteil staatlich verbürgter Kredite an den Bank-zu-Bank-Krediten mit durchschnittlich weniger als 10 % gering — wenn man so will, vernachlässigbar —, allerdings besteht eine bedeutsame Ausnahme: Bei der Sowjetunion sind fast 50 % der ausgewiesenen Bankkredite staatlich verbürgt. Das bedeutet mit anderen Worten, daß westliche Banken der Kreditpolitik eindeutig auf Polen konzentrierten. Polen erhielt rund ein Viertel aller ungedeckten Bank-zu-Bank-Kredite, und dieser Anteil ist noch aufgrund der vorgenommenen Abschreibungen in der Tabelle 3 zu gering ausgewiesen.
Die neue OECD/BIZ-Statistik weist im Vergleich zu anderen Verschuldungsschätzungen eine signifikante Abweichung auf: Die Brutto-verschuldung der Sowjetunion wird Ende 1983 mit 27, 1 Mrd. US-Dollar angesetzt Eliminiert man die enthaltenen 4 Mrd. US-Dollar, die die beiden RGW-Banken im Westen aufgenommen haben, so verbleiben noch 23, 1 Mrd. US-Dollar, also 2, 6 Mrd. US-Dollar mehr als in Tabelle 1. Diese Differenz läßt sich ohne Detailinformationen, die insbesondere das Problem möglicher Doppelzählungen ausschließen, nicht erklären.
Die in der OECD/BIZ-Statistik ausgewiesene Gesamtverschuldung der Sowjetunion muß als Minimumgröße angesehen werden; denn erstens werden nur Kredite erfaßt, die innerhalb des BIZ-Erhebungsgebietes gewährt werden, zweitens werden durch diese Statistik die nicht verbürgten Lieferantenkredite nicht eingeschlossen und drittens wird von Fachleuten im Westen davon ausgegangen, daß die Sowjetunion sowohl Kredite außerhalb des BIZ-Raumes als auch ungesicherte und nicht refinanzierte Kredite bei westlichen Lieferanten aufgenommen hat, unter anderem, um eine einigermaßen treffsichere Verschuldungs-und Auslandsvermögensschätzung der Sowjetunion durch westliche Institute zu verhindern, über den Umfang solcher nicht erfaßter Kredite gibt es kaum Angaben. Folgt man der Vorgehensweise etlicher Banken und setzt 15% der Minimumverschuldung als . Aufschlag" an, so ist die Brutto-verschuldung der Sowjetunion Ende 1983 mit 26, 5 Mrd. US-Dollar anzusetzen.
Sowjetunion lediglich 6, 5 Mrd. US-Dollar Kredite auf eigenes Risiko vergeben haben und daß die Banken aufgrund der hohen sowjetischen Bankguthaben von 10, 7 Mrd. US-Dollar sogar Schuldner der Sowjetunion sind.
Hervorzuheben ist ebenfalls, daß jedes RGW-Land eine eigene Kreditstruktur durchgesetzt hat. So ist für die Sowjetunion typisch, daß von den erhaltenen 23 Mrd. US-Dollar 72 % auf staatliche bzw. staatlich verbürgte Kredite und nur 28 % auf reine Bankkredite entfallen. Die Präferierung staatlich verbürgter Kredite läßt darauf schließen, daß die Sowjetunion bewußt bürgschaftsfähige Handelskredite nach-gesucht hat, um erstens über die Einbindung westlicher Regierungen ein hohes Maß an Stabilität und Sicherheit in den Wirtschaftsund Kreditbeziehungen zum Westen zu erreichen und zweitens, um sich die privaten Kreditmärkte freizuhalten für besondere Aktionen und Notfälle. Zur Erreichung dieser Ziele war die Sowjetunion offensichtlich bereit, die Nachteile kürzerer Laufzeiten und höherer Kreditkosten bei staatlich verbürgten Krediten in Kauf zu nehmen.
Die entgegengesetzte Kreditpolitik wurde von Ungarn verfolgt: Es beanspruchte lediglich 0, 6 Mrd. US-Dollar (8 %) staatlich verbürgter Kredite, nahm den Rest relativ billig direkt bei den Banken, vor allem auf den Euromärkten, auf und war dadurch in der Lage, die Importrechnungen unter Abzug von Skonto bar zu bezahlen. Die Kehrseite kostengünstiger Finanzierungen war die enorme Abhängigkeit Ungarns von den westlichen Kapitalmärkten; diese wäre Ungarn 1982/1983 beinahe zum Verhängnis geworden, als auch dieses Land größte Schwierigkeiten hatte, neue Kredite zur Stabilisierung seiner Liquiditätsposition zu erhalten. Seit dieser Zeit nimmt die Bedeutung staatlich verbürgter Kredite auch bei Ungarn zu.
Zwischen diesen beiden Extrempositionen liegen die übrigen RGW-Länder mit einem durchschnittlichen Anteil verbürgter Kredite von knapp 30 %.
Bei den nicht verbürgten, d. h. auf eigenes Risiko vergebenen Bank-zu-Bank-Krediten ist interessant zu sehen, daß Ungarn und die Sowjetunion diese Märkte in gleicher Höhe beanspruchen konnten und daß die Banken ihre
VII. Zur Unterschiedlichkeit des Ost-Kredit-Engagements westlicher Banken
Die Frage, welche Banken welcher Länder den RGW-Staaten Kredite zur Verfügung gestellt haben, kann aufgrund unvollständiger Datenlage nur mit Einschränkungen beantwortet werden. Tabelle 5 ist zu entnehmen, daß Banken aus Großbritannien die umfangreichsten Kredite gewährt haben, und zwar sowohl insgesamt als auch bei jedem einzelnen RGW-Land. Dieses erhebungstechnisch richtige Bild bedarf jedoch der Korrektur, denn in diesen Zahlen sind alle Ost-Kredite aller in Großbritannien registrierten Kreditinstitute enthalten, also nicht nur englischer, sondern vor allem auch aller Auslandsbanken, die von der Londoner City aus das Euro-geschäft betreiben. Die Erhebungstechnik, die derzeit verbessert wird, verfälscht und gibt die wahren Kreditströme nicht richtig wieder. Das gilt übrigens auch für die Schweiz, die nur aggregierte Zahlen für ganz Osteuropa und nicht Land für Land liefert und damit dazu beiträgt, daß die Position „Nicht aufteilbare sonstige Kredite" einen hohen Anteil einnimmt.
Trotz dieser Einschränkungen läßt sich der Tabelle 5 entnehmen, daß mit der Ost-West-Finanzkriseeine Verlagerung der Ost-Kredite von den Euromärkten (Rückgang bei Großbritannien von 16 auf 12 Mrd. US-Dollar) und den US-Banken (Rückgang um 2 Mrd. US-Dollar) zu den nationalen Kreditmärkten in West-Europa einherging. Während in den vergangenen drei Jahren viele Banken auf die Kreditbremse traten, betrieben die Banken Österreichs eine antizyklische Kreditpolitik, erhöhten zwischen 1981 und 1983 ihre Ausleihungen um 45 Mrd. Schilling auf 137 Mrd. Schilling (7, Mrd. US-Dollar), gewannen dadurch deutlich an Marktanteilen hinzu und verdrängten damit die deutschen Banken aus ihrer prominenten Position. Die Ausleihungen deutscher Banken an die RGW-Länder, die auf DM-Basis seit 1979 mit 13 Mrd. DM nahezu unverändert geblieben sind, reduzierten sich auf US-Dollar-Basis 1983 ausschließlich aufgrund des Wechselkurseffektes auf 5, 3 Mrd. US-Dollar. Selbst unter Einrechnung bundesdeutscher Bankkredite an die DDR bleibt festzustellen, daß die Banken der Bundesrepublik Deutschland durch das mutige Engagement österreichischer Kreditinstitute überflügelt wurden. Die Guthaben der RGW-Länder bei westlichen Banken, die in der Vergangenheit trotz ihrer wichtigen Funktion als Liquiditätsreserve stets etwas knapp ausfielen, sind infolge der Ost-West-Finanzkrise erheblich aufgestockt worden, bei der Sowjetunion um 2, 6 Mrd. US-Dollar, bei der DDR um 2 Mrd. US-Dollar und selbst bei Polen um 0, 5 Mrd.
US-Dollar. Mitte 1984 waren 20 Mrd. US-Dollar bei westlichen Banken plaziert; nur ein geringfügiger Teil davon entfällt auf US-Banken. Auffallend ist auch hier, daß die RGW-Länder ihre Guthaben mehr und mehr im neutralen Österreich und daneben traditionell auch bei den Eurobanken in Luxemburg und London anlegen.
VIII. Beziehungen zum Internationalen Währungsfonds
Die Beziehungen der RGW-Länder zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und zur Weltbank sind sehr unterschiedlicher Natur. Die Sowjetunion, die 1944 an den Gründungsverhandlungen des IWF in Bretton Woods teilnahm, — ist nie Mitglied geworden, — lehnt diese Organisation als „imperialistisches Werkzeug“ ab, — bewirkte den Austritt Polens (1950) und der Tschechoslowakei (1954) und — hat mit der Internationalen Bank für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (1964) und der Internationalen Investitionsbank (1971) zwei RGW-Organisationen gegründet, die vergleichbare Funktionen übernehmen sollten, wodurch zwar die Bindung der RGW-Länder an Moskau erhöht, aber die Attraktivität des IWF und der Weltbank für einzelne RGW-Länder nicht verringert werden konnte.
Rumänien, das seit 1972 dem IWF und der Weltbank angehört, hat vielfältige Vorteile aus seiner Mitgliedschaft gezogen. Es hat über 2 Mrd. US-Dollar an Krediten (= 20 % der Gesamtverschuldung im Westen) zu besonders günstigen Konditionen erhalten. Gleichwohl konnte ein Zahlungsverzug im Jahre 1982 nicht verhindert werden. Seit dieser Zeit gestalten sich die Beziehungen zwischen dem IWF und Rumänien schwierig — weil einerseits Ceausescu seine staatliche (und persönliche) Souveränität durch den IWF beeinflußt sieht und weil es den IWF-Fachleuten andererseits noch nicht gelungen ist, die ökonomischen Mechanismen und Zusammenhänge in diesem Land zu durchschauen. Erstmalig zeigten sich hier die besonderen Probleme auf, die entstehen, wenn der. in marktwirtschaftlichen Kategorien denkende IWF Empfehlungen und Ratschläge gibt oder sogar wirtschaftspolitische Auflagen macht für ein Land, das planwirtschaftlichen Mechanismen folgt.
Ungarn, das mit politischer Unterstützung westlicher Regierungen nach einem schnellen Aufnahmeverfahren seit Mitte 1982 Mitglied des IWF und der Weltbank ist und be45 reits ca. 1 Mrd. US-Dollar (das sind mehr als 10 % der ungarischen West-Verschuldung) erhalten hat, wird mit seinem marktsozialistischen System, seiner offenen Informationspolitik und seinem klaren wirtschaftspolitischen Kurs kaum Schwierigkeiten mit dem IWF bekommen und den Prinzipien und Zielen dieser Organisation näherstehen als manch anderes Mitgliedsland.
Polen, das keine politische Unterstützung für seine Mitgliedschaft wie Ungarn fand, hat im November 1981 einen Antrag auf Wiederaufnahme in den IWF gestellt, dem aber bislang noch nicht entsprochen wurde. Die ursprünglich hohen Erwartungen, daß der IWF mit Beistandskrediten und einem neutralen Sanierungsprogramm die wirtschaftliche Tal-fahrt Polens stoppen könnte, verflogen mit der Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981. Das Aufnahmeverfahren wurde daraufhin unterbrochen. Erst im Sommer 1984 gab es erste Anzeichen dafür, daß die US-Administration ihr , Aufnahme-Veto“ nach der Freilassung politischer Gefangener in Polen aufheben könnte. Im Dezember 1984 gaben die USA ihre Zustimmung für eine Mitgliedschaft, die damit nach Ingangsetzung und Durchführung des Aufnahmeverfahrens auch gesichert erscheint, zumal die .. westeuropäischen Regierungen sie schon seit längerem unterstützen.
Polen, das immer stärker auf Fortsetzung der Aufnahmeverhandlungen gedrängt hatte, erhofft sich nicht nur neue zinsgünstige Kredite, um seinen Zahlungsverpflichtungen besser nachkommen zu können und seine Einkaufsmöglichkeiten im Westen zur Verbesserung der eigenen Produktionsbedingungen zu erhöhen, sondern ist auch an den neutralen Managementkapazitäten des IWF interessiert und erwartet damit Impulse zur Behebung der derzeitigen Wirtschaftsprobleme.
Die Aufnahme Polens in den IWF sollte sowohl von westlicher Seite, insbesondere vom IWF selbst, als auch von polnischer Seite als der Versuch einer qualitativen Integration verstanden werden; das gilt auch dann, wenn es so scheint, als suche Polen nur eine neue billige Finanzierungsquelle. Das Hauptziel des IWF besteht in der Stärkung des internationalen Währungssystems zur Steigerung des Welthandels und von Beschäftigung und Einkommen in den Mitgliedstaaten. Warum nicht auch in Polen?
Klaus Schröder, Dr. rer. pol., geb. 1943; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsinstituts für internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Arbeitsschwerpunkt: Ost-West-und internationale Finanzbeziehungen. Veröffentlichungen: Die Kooperationspolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, Berlin 1979, sowie diverse Publikationen zum genannten Arbeitsschwerpunkt