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Wahlkampf in den achtziger Jahren | APuZ 11/1986 | bpb.de

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APuZ 11/1986 Zwischen oder auf den Tankern? Die Mandatsträger der GRÜNEN Wahlkampf in den achtziger Jahren

Wahlkampf in den achtziger Jahren

Peter Radunski

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

1. Zwei neue Tendenzen kennzeichnen die Wahlkämpfe in den achtziger Jahren: die Repolitisierung und der Einsatz neuer Techniken. Die ökonomische und gesellschaftliche Veränderung der Industriegesellschaft zur nachindustriellen Informationsgesellschaft bewirkt nicht nur eine politische Thematisierung der Wahlkämpfe, sie bringt mit diesem Wandel auch eine Reihe von neuen Techniken der Wahlkampfführung, die in den neuen Informationstechnologien angelegt sind. Die Wahlkampfführung der kommenden Jahre wird sich nicht radikal verändern, aber allmählich werden eine Reihe neuer Methoden hinzukommen: neue Techniken, die den Wähler über das Telefon, mit dem Brief, über Video, Kabelfernsehen, Bildschirmtext — kurz: über die Neuen Medien — zu erreichen versuchen. Wahrscheinlich werden sich diese neuen Methoden der Wahl-kampfführung ganz in den Dienst der neuen inhaltlichen Politisierung der Wahlkämpfe stellen müssen. Zu erwarten ist, daß mit Personalisierungs-und Thematisierungsstrategien in den kommenden Wahlkämpfen die politischen, ökonomischen und sozialen Fragen, die der Wähler als existentiell empfindet, angesprochen und zur Entscheidung gestellt werden. 2. Der Wahlkampf in den achtziger Jahren muß politisch-inhaltlich, fernsehgerecht und zielgruppenorientiert organisiert werden. Der Aufbau großer Wahlkampforganisationen ist eine auffällige Erscheinung in den Wahlkämpfen der westlichen Demokratien. Wähleransprache über Massenmedien, mobilisierende Organisationen und neue Techniken — das sind die drei wichtigen Wege zum Wähler in den Wahlkämpfen der achtziger Jahre. 3. In den achtziger Jahren hat es keinen Wahlkampf mehr gegeben, der nicht als Fernsehwahlkampf geplant und umgesetzt worden ist. 4. Hieß es noch in den siebziger Jahren „You cannot beat the boom“, d. h. Regierungen mit Wirtschaftserfolgen sind unschlagbar, so wurden die Wahlen der achtziger Jahre ausnahmslos von wirtschaftlichen und sozialen Krisenerscheinungen begleitet. Herausragend war überall das Thema „Arbeitslosigkeit“: in Amerika stärker in dem 1980er als in dem 1984er Wahlkampf, aber ganz besonders in den europäischen Wahlkämpfen in England, Frankreich und Deutschland. Mit diesem Thema wurden überall die Wahlkämpfer zur Thematisierung ihrer Kampagnen gezwungen, und überall standen die Wähler vor klaren politischen Alternativen.

Die Politik verändert sich und mit ihr die Wahlkämpfe, denn Wahlkampfführung ist Politik, wahlkämpfen heißt Politik machen. In den offenen Gesellschaften der westlichen Demokratien bieten Wahlkämpfe die Chance, Schlaglichter auf den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustand eines Staatswesens zu werfen und die Trends der Entwicklung zu verdeutlichen. Wahlkampfstrategien können demzufolge versuchen, die politischen Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten bewußt zu machen — oder davon abzulenken.

In den siebziger Jahren hatten Ablenkungsstrategien Hochkonjunktur. Mit Imagekampagnen und einer vordergründigen Personalisierung der Politik wurden Machtpositionen so lange verteidigt, bis der existentielle Ernst politischer Probleme die Politisierung der Wahlkämpfe wieder erzwang. Was man in der amerikanischen Literatur abschätzig Tweedledum-Tweedledee-Wahlkämpfe nannte, hatte sich in vielen westlichen Demokratien — auch bei uns in der Bundesrepublik — in zahlreichen Ansätzen gezeigt und den politisch-thematischen Gehalt der Wahlkämpfe erheblich zurückgedrängt.

Mit der existentiellen Dringlichkeit der ökonomischen, sozialen, sicherheitspolitischen und um-weltpolitischen Probleme ist die Politik heute erneut in die Wahlkämpfe zurückgekehrt. So war der Bundestagswahlkampf in der Bundesrepublik Deutschland 1983 nach elf Jahren — wie der entsprechende Wahlkampf 1972 — wieder eine politische Richtungsentscheidung. Ähnliche Entscheidungen haben in den Vereinigten Staaten 1980 und 1984, in Großbritannien 1979 und 1983, in Frankreich 1981, in Spanien und Portugal 1982 sowie in Italien 1983 stattgefunden.

Wahlen als politische Richtungsentscheidungen sind demnach kennzeichnend für die achtziger Jahre.

Konnten im ökonomisch ruhigeren Fahrwasser der siebziger Jahre die Regierungen im wesentlichen mit Imagekampagnen ihre Positionen behaupten, so wurden demgegenüber in ökonomisch unsicheren Zeiten zu Beginn der achtziger Jahre die Wahlkämpfe politischer, die Stunde der Oppositionen schlug. Tatsächlich sind in den westlichen Demokratien mit Stichworten wie Wertewandel, Umweltproblemen, Sicherheitsfragen und vor allem Arbeitslosigkeit die politischen Veränderungen so stark ins Bewußtsein der Wähler vorgedrungen, daß die Repolitisierung der Wahlkämpfe zwangsläufig wurde. Mit dem Bewußtsein, daß sich die Wirtschaft in einem tief-greifenden Strukturwandel als Folge neuer technologischer Entwicklungen befindet, und mit der Veränderung von Bedürfnissen und Wertvorstellungen der Menschen ist der Stellenwert politischer Fragestellungen in den Wahlkämpfen gestiegen. Und gewachsen ist die Erkenntnis, in einer Zeit des Übergangs, der Veränderung, ja einer weiteren industriellen Revolution zu leben, so daß die Politiker beim Kampf um Wählerstimmen Schwierigkeiten eingestehen, Opfer abverlangen und Lösungen für die Zukunft Vorschlägen müssen. „Zurück zur Politik“ heißt daher die Devise der Wahlkämpfe in den achtziger Jahren.

Die ökonomische und gesellschaftliche Veränderung der Industriegesellschaft zur nachindustriellen Informationsgesellschaft bewirkt nicht nur eine politische Thematisierung der Wahlkämpfe, sondern auch eine Reihe von neuen Techniken der Wahlkampfführung, die in den neuen Informationstechnologien angelegt sind. Die Wahl-kampfführung der kommenden Jahre wird sich nicht radikal verändern, aber allmählich werden eine Reihe neuer Methoen hinzukommen. Wie bisher werden die Wähler über die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, über die Organisationen der Parteien und Nebenorganisationen angesprochen. Aber hinzukommen werden neue Techniken, die den Wähler über das Telefon, mit dem Brief, über Video, über Kabelfernsehen, Bildschirmtext, kurz über die Neuen Medien zu erreichen versuchen.

Wahrscheinlich werden sich diese neuen Methoden der Wahlkampfführung ganz in den Dienst der neuen inhaltlichen Politisierung der Wahlkämpfe stellen müssen. Zu erwarten ist, daß mit Personalisierungs-und Thematisierungsstrategien in den kommenden Wahlkämpfen die politischen, ökonomischen und sozialen Fragen, die der Wähler als existentiell empfindet, angesprochen und zur Entscheidung gestellt werden. Zur Umsetzung dieser politischen Wahlkampfstrategien wird es die wichtigste organisatorische Aufgabe jeder Wahlkampfführung bleiben, eine breite Schar von Anhängern für die Politik und den Kandidaten ihrer Partei zu engagieren. Angesichts dessen, daß die Mobilisierung von Mitgliedern und Anhängern, die sich mit dem Wahlkampf einer Partei, mit ihren Themen und ihren Politikern identifizieren, weiterhin eine wichtige Komponente jeder Wahlkampfführung bleiben wird, kommt gerade im Zeitalter des Fernsehens und neuer Medien einer effizienten Wahl-Parteiorganisation eine erhöhte Bedeutung zur erfolgreichen Wahlkampfführung zu. Wahlvorhersagen in den westlichen Demokratien sind schwieriger geworden, weil die Entwicklung der Wählermeinung schneller und sprunghafter geworden ist. So hatte Ronald Reagan zwei Jahre vor seinem Erdrutsch-Sieg in den USA mit seiner republikanischen Partei ein Tief in der Wähler-meinung der USA zu durchlaufen. Francois Mitterrand, dem Triumphator der französischen Präsidentschaftswahl 1981, wurde ein halbes Jahr vor seiner Wahl bis in die eigene Partei hinein Chancenlosigkeit bescheinigt. Ebensowenig hatte sich Margret Thatchers großer Wahlsieg in der Mitte ihrer Amtszeit abgezeichnet. Auch in Deutschland deutete beim Regierungswechsel im Oktober 1982 nichts auf den großen Wahlsieg für die Koalition aus Union und FDP hin, zumal das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde für die FDP fast als unmöglich galt.

Der schnelle Wandel des Wählerverhaltens ist an v*ier wesentlichen Merkmalen zu erkennen:

1. Die Parteibindungen lockern sich, die Zahl der Stammwähler wird geringer.

2. Die Politik erfährt eine Personalisierung; der Spitzenpolitiker wird zum Hoffnungsträger.

3. Politische Themen dominieren Wahlkämpfe als Stimmungsmacher. Sie werden zum Anlaß einer politischen Emotionalisierung der Wähler.

4. Das Bewußtsein der Wähler entscheidet; Lebensgefühl und Lebensstile werden zu Bestimmungsgründen der Wahlentscheidung.

Die Wähler entscheiden unberechenbarer, differenzierter, wechselhafter, enthaltungsbereiter, vor allem aber auch emotionaler und ungebundener. Kurzfristige Stimmungsschwankungen, die die Wahlen entscheiden können, sind die Folge, der Zeithorizont von Politikern und Wählern ist kürzer geworden.

Fernsehwahlkampf und Mobilisierung: Wahlkampforganisation und neue Techniken

Entsprechend den skizzierten Veränderungen von Wählerverhalten und Politik müssen die Wahlkämpfe der achtziger Jahre politisch-inhaltlich, fernsehgerecht und zielgruppenorientiert organisiert werden. In den großen westlichen Demokratien hat denn auch die Intensität der Wahl-kampforganisation auffallend zugenommen, allen voran in den Vereinigten Staaten.

So begann Ronald Reagans Herausforderer Walter Mondale bereits unmittelbar nach der Wahl 1980 die Vorbereitung seiner Kampagne für 1984. Nach Meinung der amerikanischen Presse hatte er bei den Vorwahlen die beste, teuerste und effizienteste Organisation aller bisher in den Vereinigten Staaten geführten Wahlkämpfe. Reagans Wahlkampforganisation dagegen wurde erst ein Jahr vor der Wahl aufgebaut; er brauchte als amtierender Präsident ja keine Vorwahlen zu überstehen. In Frankreich und England dagegen werden Wahlkampforganisationen noch immer kurzfristig vor den Wahlen aus dem Boden gestampft, zumal in England der Wahltermin erst kurzfristig bekannt wird. Dennoch beginnen auch hier die Vorbereitungen bereits weit vor dem Wahltermin, so daß bei dessen Bekanntwerden die Parteien und Kandidaten auf Vorarbeiten aufbauen können. Für die deutschen Parteien ist die zeitliche Vorbereitung für Bundestagswahlen besonders schwierig, weil die Parteizentralen in Bonn aufgrund der gewachsenen Bedeutung der Landtagswahlen praktisch in einer Art Daueralarmzustand sind.

Vereinigte Staaten von Amerika

Lange Vorbereitungszeiten und die Perfektion durch die Computerisierung sind insbesondere kennzeichnend für den amerikanischen Wahl-35 kampf. Vier Merkmale beschreiben diese Wahl-kampforganisation :

1. Die Wahlkampfführung wird von professionellen Spezialisten gesteuert. Da in den Vereinigten Staaten laufend Wahlen stattfinden, ist praktisch eine Art Wahlkampfindustrie entstanden.

2. Der Wahlkampagne liegen umfangreiche Studien und Umfragen zugrunde, die insbesondere von Demoskopen, aber auch von politischen Strategen zu Wahlkampfkonzeptionen geformt werden.

3. Der Wahlkampf wird elektronisch geführt mit Fernsehen, Telefon und Computer.

4. Die Wahlkampforganisation sorgt durch eigene Spendenkampagnen für ihre Finanzierung und organisiert die Rekrutierung ihrer freiwilligen, aber auch bezahlten Wahlkampfhelfer. Obwohl die Wahlkampforganisation wegen des amerikanischen Wahlrechts über das gesamte Gebiet der Staaten verteilt sein muß, werden die politischen Vorgaben von der jeweiligen Wahlkampfzentrale ausgegeben. Von hier aus wird vor allem die erwiesenermaßen entscheidende Kampagne im Fernsehen initiiert und gesteuert, während die regionalen Wahlkampforganisationen sich auf eine direkte Ansprache der Wähler konzentrieren. Großbritannien Diese direkte Wähleransprache war in der Wahl-kampforganisation der englischen Parteien tradi. tionell die entscheidende Komponente der Wahl-kampfführung und oblag den Wahlkreisparteien.

Mit der wachsenden Bedeutung des Fernsehens und der Massenmedien ist jedoch auch hier das Schwergewicht auf eine Zentrale übergegangen, von der aus der Fernsehwahlkampf geführt wird.

Gerade in den Londoner Parteizentralen hat es in den letzten Wahlen erhebliche Anstrengungen zur Professionalisierung des Wahlkampfs gegeben. Seit Margret Thatcher in ihrem ersten Wahlkampf 1979 die Werbeagentur „Saatchi und Saat-chi“ verpflichtet hatte, mußten die anderen Parteien nachziehen. Für den Wahlkampfanalytiker ist es nach wie vor imponierend, wie mit der Bekanntgabe des Wahltermins in den örtlichen Parteiorganisationen von der Kandidatenaufstellung bis zur Wahlversammlung und vor allem den traditionellen Hausbesuchen alles im fliegenden Start organisiert wird. Auch hier bleibt der Basis indessen nur die Durchführung Vorbehalten. Die jeweilige Zentrale bestimmt die politische Argumentation. Nicht der einzelne Wahlkreiskandidat, sondern der Premierminister bzw.

dessen Gegenkandidat(in) entscheiden über politische Inhalte der Wahlkampagne. Das Duell zwischen Oppositionsführer und Premierminister ist der entscheidende Zweikampf, der von den Wahlkampforganisationen der Zentralen gesteuert wird.

Frankreich In Frankreich ist die Professionalisierung der Wahlkampfführung und damit die Intensität der Wahlkampforganisation weit vorangeschritten. Spezialisten in Agenturen und Parteien haben die Methoden der amerikanischen Wahlkampfführung auf französische Verhältnisse übertragen. Seit Mitte der sechziger Jahre wird mit der den Franzosen eigenen Systematik von „MarketingPolitique“ gesprochen. Im Präsidentschaftswahl-kampf 1981 hatten beide Kandidaten, Francois Mitterrand wie Valerie Giscard d’Estaing, eine große Wahlkampforganisation neben ihren Parteien und beschäftigten mehrere Agenturen. Interessant ist dabei, daß der damalige Präsident Giscard d’Estaing in seiner Wahlkampforganisation drei Minister und viele Ministeriale mit Führungsaufgaben beauftragt hatte, die sich von ihren Staatsämtern beurlauben ließen. Von diesen Zentralen aus wurden Unterstützungsausschüsse für die Kandidaten im ganzen Land organisiert, die Parteimitglieder und Anhänger engagieren sollten. Bei französischen Präsidentschaftswahlen ist es selbstverständlich, daß die Zentralen den Fernsehwahlkampf führen, die politische Argumentation ausgeben und das Wahlgeschehen alleine bestimmen.

Bundesrepublik Deutschland Die in den anderen großen westlichen Demokratien zu beobachtende Intensivierung der Wahlkampfvorbereitung und Zentralisierung der Wahlkampfführung ist auch bei den deutschen Parteien festzustellen. Ohne Zweifel werden die Bundestagswahlen von den deutschen Parteien heute zentral geführt, wobei diese Entwicklung, vor allem bei der CDU, erst mit den siebziger Jahren einsetzte. Im Unterschied zur amerikanischen Wahlkampforganisation wird in den deutschen Parteien allerdings großer Wert auf die Mobilisierung der eigenen Wähler und Anhänger gelegt, zumal wegen der Mitgliederstärke und Organisationsdichte der deutschen Parteien die Hilfe der Basis eher erwartet wird. Ziele dieser Mobilisierung sind nicht nur die Identifikation der Mitglieder und Anhänger mit dem Wahlkampf der Partei, ihren Themen und ihren Politikern, sondern auch Aktivitäten wie Veranstaltungsorganisation, Materialverteilung und Spendensammlung.

Amerikanischer und europäischer Wahlkampf

Diese dritte Ebene des Wahlkampfs neben den Massenmedien und der Werbekampagne ist eine Eigenart der europäischen Parteien, die von den Amerikanern heute wieder intensiver studiert wird. Bekannt sind Versuche der Republikaner, diese Formen der Mobilisierung wieder aufzunehmen und persönliches Engagement in breiter Form für die Partei und die Kandidaten zu mobilisieren. Nicht ohne Bewunderung wird vermerkt, daß deutsche Parteien über ihre Mitglieder und Anhänger Wahlkampfmaterial direkt an die Haushalte verteilen können, so z. B. die SPD mit ihrer „Zeitung am Sonntag“ oder die CDU mit ihrer zentralen „Wahlkampfillustrierten". Wo diese Mobilisierung einer Partei allein gelingt, ist sie ohne Zweifel im Vorteil. Die Sozialistische Partei Frankreichs demonstrierte das zugunsten von Francois Mitterrand in den Präsidentschaftswahlen 1981.

Der klassischen Werbung haben die amerikanischen Wahlkampfstrategen allerdings fast vollständig abgeschworen. Anzeigen, Plakate und Broschüren gibt es nur noch wenige, während sie für die europäische Wahlkampforganisation nach wie vor einen Schwerpunkt darstellen. Selbst in England bereiten die Zentralen wieder Plakate vor und schalten Anzeigen, und in Frankreich und Deutschland ist das Plakat noch immer das Flaggschiff der Wahlkampfwerbung. Die Amerikaner dagegen konzentrieren ihre Mittel und Energien auf elektronische Medien wie Fernsehen, Telefon und Computer. Sie bestimmen damit den Trend für neue Wege zum Wähler.

Neue Techniken Im Vergleich zu den Wahlkämpfen in Europa ist das eigentlich neue und die Wahlkampforganisation kennzeichnende Element im amerikanischen Wahlkampf der Computer. Computergesteuert werden Wähler mobilisiert und Spenden gesammelt. Direct Marketing — dieses Zauberwort jeder amerikanischen Wahlkampforganisation ist der Versuch, in breit angelegten Brief-oder Telefonaktionen Wähler und Spender zu gewinnen. Beim fund-raising, der amerikanischen Spenden-werbung, geht es darum, Millionen von Menschen per Brief um eine Spende zu bitten, sie im Erfolgsfalle für weitere Spendenaktionen zu erfassen oder auch per Telefon erneut anzusprechen. Moderne Laserprinter machen diese massenhaften Briefaktionen in kurzer Frist mit persönlicher Ansprache des Empfängers möglich. Briefe werden aber auch geschrieben, um Wähler zu werben oder die Wähler zur Einschreibung in die Wählerlisten zu gewinnen. Grundlage bilden meistens die Adressenlisten der Führerscheininhaber. Letzter Schrei ist die Möglichkeit, Telefonate ebenfalls computergesteuert zu führen.

Doch nicht nur nach außen, auch in der inneren Organisation des Wahlkampfes stellt der Computer durch integrierte Text-und Datenverarbeitungssysteme eine schnelle und intensive Verbindung zwischen Zentrale und regionaler Wahl-kampforganisation her. Seit Beginn der achtziger Jahre werden solche Systeme auch in Deutschland, zunächst bei der CDU, jetzt auch bei SPD und FDP, aufgebaut.

Was diese neuen Techniken in Amerika zusätzlich für die Wahlkampforganisation so attraktiv macht, ist ihr Einsatz in den Hilfsorganisationen des Wahlkampfs, beim sogenannten „interestgroup-endorsement“. Hier geht es darum, daß bestimmte Organisationen, beispielsweise die Moral Majority, die Gewerkschaften oder Lehrer-Organisationen sich für Kandidaten einsetzen und ihm deshalb Listen ihrer Anhänger für das Direct Mail, also die persönliche Ansprache durch einen Brief, zur Verfügung stellen oder mit eigenen Direct-Marketing-Aktionen oder Telefon Anhänger für den Kandidaten mobilisieren. Dieser Wahlkampf von Interessengruppen, Verbänden und Bewegungen mit den neuen Techniken wird, so ist zu erwarten, auch in anderen Ländern zunehmen. .

Fernseh-Wahlkampf Alle Wahlkampforganisationen in den Vereinigten Staaten sind darauf ausgerichtet, einen optimalen Fernsehwahlkampf zu führen. Dafür, daß das Fernsehen in der Planung aller Wahlkämpfer Priorität hat, gibt es eine Reihe von Gründen:

1. Die enorme Reichweite und damit die Omnipotenz des Fernsehens für politische Informatio-’ nen aller Art.

2. Die durch den Abbau von traditionellen Wählerhaltungen bedingte Destabilisierung der Parteianhängerschaft hat dazu geführt, daß eine wachsende Zahl von unentschlossenen Wählern offener für Einflüsse aller Art wird — nicht zuletzt für Einflüsse aus dem Massenmedium Fernsehen. 3. Die Personalisierung der Politik findet ihre entscheidende Verstärkung und Grundlage im Fernsehen, weil hier Personen besser als alles andere dargestellt und durchgesetzt werden können. 4. Weil Massenmedien vorhandene Meinungen verstärken können, ist das Fernsehen als Medium für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft unentbehrlich. 5. In einer Zeit schnell wechselnder Themen und Ereignisse werden neuartige Entwicklungen durch das Fernsehen besonders schnell dem Publikum nahegebracht. Solche neu auftretenden Themen können in Wahlkämpfen enorme Veränderungen bewirken und einem laufenden Wahlkampf eine völlig andere Richtung geben.

6. Die politischen Kampagnen in der Presse und im Fernsehen hängen eng zusammen. Presseleute weisen oft daraufhin, daß das Fernsehen nur den Appetit auf Informationen anregen kann, die sie schließlich ihren Lesern bieten. Tatsächlich behandeln Zeitungen, Zeitschriften und Magazine politische Probleme komplexer und ausführlicher, während diese im Fernsehen oft nur in zwei Minuten abgehandelt werden. Demgegenüber sagen amerikanische Medienleute „Prints leads, television follows" und bezeichnen damit einen Vorgang, den wir auch in der Bundesrepublik häufig beobachten können: Politische Themen werden von Magazinen oder Zeitungen aufgegriffen und dann erst durch das Fernsehen einem breiten Publikum bekannt. 7. Das Fernsehen hat eine „Agenda-setting-function“, d. h., was es auf die Tagesordnung setzt, ist bedeutend. Genauso geht es den Personen: Was immer ein Kandidat tut, seine Aktivitäten werden erst dann bedeutend, wenn im Fernsehen darüber berichtet wird bzw.der Kandidat dort auftritt.

8. Das Fernsehen ist das Medium der Visualisierung. Wer Botschaften über das Fernsehen bringen will, muß Bilder bieten, muß Ereignisse schaffen, die als Bilder wiedergegeben werden können. 9. Das Fernsehen ist nicht nur das Medium des Inhalts. Es kommt nicht nur auf das Was, sondern auch auf den Stil, das Wie an.

In den achtziger Jahren hat es keinen Wahlkampf mehr gegeben, der nicht als Fernsehwahlkampf geplant und umgesetzt worden ist. Fernsehgerechter Wahlkampf erfordert nicht nur eine Veränderung in Stil und Form der politischen Präsentation, er stellt auch neue Anforderungen an die Wahlkampfstäbe. Gewachsen ist daher der Bedarf an Medienberatern und politischen Strategen, die in der Lage sind, komplexe politische Probleme zu verstehen und diese in Bilder und verständlicher Sprache fernsehgerecht umzusetzen. Energie und Ideenreichtum werden auf die Frage gelenkt, wie man ein politisches Programm zu einer Information macht, die fernsehwirksam kommuniziert werden kann. Für das Fernsehen gilt nun einmal, daß eine Information ohne Bilder keine Information ist.

Amerikanischer Fernsehwahlkampf In der Wahlkampforganisation Ronald Reagans spielten deshalb die fernseherfahrenen Berater die erste Rolle, an der Spitze Michael Deaver, einer der wichtigsten Berater des Präsidenten. Der Fernsehwahlkampf läuft in den allgemeinen Sendungen und in der Fernsehwerbung, die amerikanische Parteien frei kaufen können. Für Reagan wurde unter James Travis das soge-nannte Tuesday-Team (in der Vereinigten Staaten wird dienstags gewählt) geschaffen, besetzt mit den besten Fernsehwerbeexperten von Agenturen rund um die New Yorker Madison-Avenue. Sie produzierten für Reagan gut 100 verschiedene Fernsehspots, die in den großen amerikanischen Fernsehanstalten, aber auch in den vielen kleinen lokalen und Kabelstationen eingesetzt wurden.

Welche Bedeutung das Fernsehen in der amerikanischen Wahlkampfführung hat, kann man auch daran ersehen, daß von den rund 46 Mio. Dollar, die Reagans Wahlkampforganisation im Hauptwahlkampf von Ende September bis Anfang November ausgegeben hat, etwa 26 Mio. Dollar allein für den Kauf von Sendezeiten und die Produktion von Fernsehspots ausgegeben wurden. Darüber hinaus war die gesamte Reise-planung und Veranstaltungsplanung des Kandidaten darauf ausgerichtet, fernsehwirksame Ereignisse zu schaffen, damit der Kandidat in den Abendnachrichten oder Magazinen auftauchte. Wie sehr dabei Parteikonvente Medienereignisse sind, dafür gibt der demokratische Konvent in San Francisco 1984 ein gutes Beispiel: 4 000 Delegierte waren geladen und 14 000 Journalisten kamen dazu (nicht die gleichen Proportionen, aber eine ähnliche Tendenz zeigt sich in Deutschland: Beim CDU-Parteitag 1985 in Essen kamen auf 800 Parteitagsdelegierte 2 000 Journalisten). Bemerkenswert bei den amerikanischen Partei-konventen ist auch, daß sich wegen der abendlichen ausgewählten Berichterstattung in der besten Sendezeit der Ablauf dieser Parteikonvente ganz nach dem Fernsehen zu richten hat.

Europäischer Fernsehwahlkampf Wenngleich die europäischen Parteien sich keine Werbezeit im Fernsehen kaufen können, sondern nur kurze Werbezeiten mit wenigen Spots kostenlos erhalten, so gilt auch für England, Frankreich und Deutschland, daß der Wahlkampf zum großen Teil im Fernsehen stattfindet. Für England wurde bemerkt, daß der Wahlkampf weitgehend eine „arm-chair-affair“ geworden ist. In Großbritannien geben die Fernsehanstalten — die staatlichen wie die privaten — den Parteien praktisch eine Plattform für den Wahlkampf, so daß sich Wahlkampfsendungen, Berichte von Wahlkampfveranstaltungen, Studiodiskussionen, Fragestunden und ähnliches ablösen. Jede der politischen Parteien hält morgens in London eine Pressekonferenz ab, um die jeweiligen Themen ihrer Kampagne zu akzentuieren oder neu zu bestimmen. Überspitzt kann man sagen, daß der früher traditionelle Hausbesuch des Abgeordneten heute durch den Bildschirmbesuch des Spitzen-kandidaten ergänzt oder sogar ersetzt worden ist.

Der Kampf um Sendezeit im Fernsehen und die Bemühungen um gekonnte Wahlkampf-Inszenierungen im Fernsehen sind auch für den französischen Wahlkampf das Organisationsziel Nr. 1. Hier ist es Tradition, daß die französischen Fernsehkanäle den Kandidaten weitgehend das Feld überlassen und den Präsidentschaftsbewerbern schon in der Vorkampagne zahlreiche Gelegenheiten zu Auftritten in Interview-und Diskussionssendungen bieten. Nicht anders wurde auch der Winterwahlkampf 1983 in Deutschland als Fernsehwahlkampf von den Parteien angelegt und geführt. Überall ist das Fernsehen Zielpunkt der Wahlkampforganisation. Hinzu kommt die Mobilisierung der Anhängerschaft, die vor allen Dingen in den europäischen Wahlkämpfen ein weiteres wichtiges Organisationsziel der Wahl-kampfführung ist.

Bedeutung der Wahlkampforganisation Walter Mondale wurde nachgesagt, die beste Wahlkampforganisation aller Zeiten zu besitzen, und dennoch hat er die Wahlen hoch verloren. Es ist bisher nicht nachzuweisen, daß die Überlegenheit einer Wahlkampforganisation allein eine große Wahl in den westlichen Demokratien entschieden hat. Es ist aber auffällig, mit welch großen Anstrengungen überall Wahlkämpfe vorbereitet und organisiert werden, weil kein Politiker es riskieren will, mit einer mangelhaften Organisation in den Wahlkampf zu gehen. Mittlerweile haben alle wichtigen Kandidaten und politischen Kräfte in den westlichen Demokratien solche Wahlkampforganisationen aufbauen können und damit weitgehend ein organisatorisches Patt erreicht. Diese effizienten Wahlkampforganisationen bildeten in den Wahlkämpfen der achtziger Jahre die Grundlage für eine politische Personalisierung und Thematisierung, die eine Repolitisierung der Wahlkämpfe nicht verhindert, sondern ermöglicht haben.

Die Repolitisierung der Wahlkämpfe — Personalisierung und Thematisierung

Nur ein Mann in Aktion ist eine Nachricht. Deshalb ist die Personalisierung der Politik so alt wie die Politik selbst: Politische Führer als Verkörperung politischer Ideale und Ziele sowie als Vertreter politischer Bewegungen und Parteien hat es zu allen Zeiten gegeben. Heute jedoch hat das Fernsehen der politischen Macht ein Gesicht gegeben. Damit wird sie belebt und humanisiert, sie hat sich personalisiert. Doch das Bild des Politikers beim Wähler ist von den Medien vermittelt, d. h., er wird vom Wähler durch einen Filter gesehen. In der Regel kennt der Wähler nur das Image, also ein vorgefaßtes Vorstellungsbild vom Politiker. Er wählt nicht den Politiker, wie er tatsächlich ist, sondern wofür er ihn hält. So entsteht die Hauptbeziehung zwischen Politiker und Wähler vor allem durch die Medien.

Die Darstellung von Politikern unterliegt dabei ohne Zweifel auch zeitlichen Moden und Grund-strömungen. So standen in den siebziger Jahren die persönlichen Daten, der Lebensstil und sonstige, mehr vordergründige Elemente des Politiker-Images im Vordergrund der Darstellung und Betrachtung. Diese Personalisierung war offensichtlich möglich geworden vor dem Hintergrund fast sorglos gewordener Wohlstandsgesellschaften, die sich erst am Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre auf existentielle Probleme zurückbesinnen mußten und damit wieder politische Leistungserwartungen an die Kandidaten stellten.

Ohne Zweifel hat sich gegenüber den siebziger Jahren die Personalisierung der Politik repolitisiert. Die einzelnen Kandidaten müssen wieder für eine Politik oder eine Richtung stehen. Alle Wahlsieger haben in den westlichen Demokratien zu Beginn der achtziger Jahre ihre Kandidatur inhaltlich thematisiert. Als Grundthema war es sowohl bei Reagan, Mitterrand und Kohl als auch bei Frau Thatcher die politische Führung, die vom Wähler erwartet und vom Politiker versprochen und im Wahlkampf demonstriert wurde. Überall nämlich galt es, ökonomische Krisen zu überwinden. Bei Ronald Reagan kam die Größe der USA, bei Francois Mitterrand das Thema des demokratischen Wechsels, bei Margret Thatcher die nationale Selbstbehauptung und bei Helmut Kohl die Bündnistreue hinzu. Die handelnden Hauptpersonen der Wahlkämpfe hatten also wieder politische Themen. Vorbei war die Zeit der siebziger Jahre, in denen Personalisierungsstrategien ersonnen wurden und entweder der eigene Kandidat oder der Gegenkandidat zum alleinigen Thema gemacht werden konnten, wie das in Deutschland mit der Auseinandersetzung zwischen Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß der Fall war. Erkennbar wurde in den hier beobachteten Ländern auch, daß Wahlen in erster Linie eine Abstimmung über die Politik der Regierenden sind: So wurden Ronald Reagan, Helmut Kohl und Margret Thatcher in ihren Wahlen bestätigt, während Giscard d’Estaing abgewählt wurde.

Mit dieser Repolitisierung der Spitzenkandidaturen hat die Bedeutung von Spitzenkandidaten eher zu-als abgenommen. Insofern ist diejenige Strategie zeitgemäß, die den Kandidaten oder Spitzenpolitiker in das Zentrum einer Wahlkampagne stellt. Der Politiker sieht sich dabei im Wahlkampf vor einer doppelten Aufgabe: Er ist zugleich Hauptdarsteller und Regisseur seiner Kampagne. Als Hauptdarsteller führt er den Wahlkampf und ist selbst Inhalt der Kampagne und das wichtigste Angebot seiner Partei an die Wähler. Doch er agiert nicht nur als Wahlkämpfer auf der Bühne, auch die Strategie einer Wahl-kampfführung muß er in eigener Regie beherrschen. Die politische Anlage und Planung eines Wahlkampfs und die Fähigkeit, auf neu eintretende Ereignisse im Wahlkampf zu reagieren, um sie in seine Kampagne einzuordnen, sind somit wichtige Anforderungen, die ein Politiker in einem modernen Wahlkampf erfüllen muß. Einige Beispiele aus Wahlkämpfen zu Beginn der achtziger Jahre können zeigen, wie solche Grundentscheidungen den Erfolg des Wahlkampfs bestimmt haben.

Politische Entscheidungen zur Wahlkampf-führung

Als Ronald Reagan in den Hauptwahlkampf eintrat, der in Amerika traditionell mit dem Labour-Day Ende September beginnt, mußte er eine wichtige Entscheidung über dessen Ablauf treffen. Reagan, der einen komfortablen Vorsprung (teilweise über 25%) in den Meinungsumfragen hatte, mußte entscheiden, ob er sich seinem Herausforderer Walter Mondale in Fernsehdebatten stellen wollte. Lyndon B. Johnson und Richard Nixon hatten das in ähnlicher Situation nicht getan, und viele seiner Berater rieten ebenfalls davon ab, weil solche Debatten für den Amtsinhaber nicht ohne Risiko waren und dem Herausforderer eine Chance eröffneten. Reagan hingegen entschied, zwei Debatten mit Mondale zu führen, die im Verlauf des Hauptwahlkampfs dann auch wohl zu den beiden entscheidenden Stationen wurden. Mit sicherem politischen Instinkt hatte er sich für die Debatten entschieden, um nicht das Fairneß-Gefühl der Amerikaner zu verletzen und um die Frage zu vermeiden, ob er sich solche Diskussionen in seinem Alter nicht mehr zutraue. Wie recht er damit hatte, zeigte sich in der aus seiner Sicht mißlungenen ersten Debatte, nach der tatsächlich die Altersfrage in der Öffentlichkeit aufkam. Erst in der zweiten Debatte konnte er mit einem souveränen Auftreten und einer humorvollen Behandlung des Altersthemas („Ich mache die Jugend und Unerfahrenheit meines Gegenkandidaten nicht zum Thema“) die Zweifel an seinem Alter zerstreuen.

Die britische Premierministerin Margret Thatcher hatte die Qual der Wahl aller britischen Premierminister, denen über das Auflösungsrecht des Parlaments die Festlegung des Wahltermins obliegt. Für die Regierung in Großbritannien ist die Bestimmung des Wahltages eine strategische Größe, die bereits ausschlaggebende Bedeutung für Sieg oder Niederlage im Wahlkampf haben kann; die englische Geschichte kennt viele Beispiele für Premierminister, die auf das falsche Wahldatum gesetzt haben. So stand auch Margret Thatcher im Frühjahr 1983 zwischen den Juni-und den Oktober-Männern, wie ihre Berater genannt wurden, die für das entsprechende Wahldatum eintraten. Schließlich entschied sie sich selbst für den 9. Juni und schuf damit eine wichtige Voraussetzung für einen großen Wahlsieg. Mit gekonnter Regie hatte sie damit den Wahlkampf mit einem Blitzstart eröffnet, während sich die Opposition stärker auf einen Wahltermin im Herbst vorbereitet hatte. Hier zeigt sich, wie Wahlkampfführen auch politisches Entscheidungshandeln ist. Ähnlich Helmut Kohl in Deutschland. Auch er konnte einen Wahlkampf erfolgreich führen, weil er zuvor die politischen Weichen richtig gestellt hatte. In nur zwei Wochen — zwischen dem 17. September 1982, als die Regierung Schmidt zerbrach, und dem 1. Oktober, dem Tag seiner Wahl zum Bundeskanzler — entwickelte er einen politischen Fahrplan, der die Grundlage für den späteren Wahlerfolg bildete. In der schwierigen politischen Situation der damaligen Septembertage 1982 war nur klar, daß es Neuwahlen geben würde. Über den Zeitpunkt, den politischen Inhalt, über die Koalitionsvorstellungen, ja selbst über die verfassungsrechtliche Einleitung von Neuwahlen herrschte eine erbitterte politische Auseinandersetzung. Hinzu kam als besonders harte Bewährungsprobe, daß die hessischen Landtagswahlen von der CDU nicht — wie er-40 wartet — gewonnen, sondern verloren wurden. In unzähligen Sitzungen — im CDU-Präsidium und -Bundesvorstand, im Fraktionsvorstand und in der Fraktion, in Verhandlungen mit der CSU und dem künftigen Koalitionspartner FDP — setzte Helmut Kohl seine Strategie als Antwort auf die damalige Situation durch. Sein Konzept war ein Dreierschritt: zunächst eine Regierungsbildung durch die Union, dann das Regierungsprogramm sowie die Haushaltsverabschiedung und schließlich Neuwahlen. Diese Strategie hat der Union zusammen mit der FDP den Wahlsieg ermöglicht. Der Politiker hatte dem Wahlkämpfer Kohl den Weg geebnet.

Auch Francois Mitterrand sah sich zu Beginn seines erfolgreichen Wahlkampfes um die französische Präsidentschaft vor eine grundlegende Entscheidung gestellt. Es war dies die Frage, ob er der Kandidat seiner sozialistischen Partei sein sollte, denn vor ihm hatte Michel Rocard bereits am 19. Oktober 1980 seine Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der sozialistischen Partei erklärt. Erst nach einigen Wochen innerparteilicher Auseinandersetzung und der Erklärung, er selbst stehe für eine Kandidatur bereit, konnte Mitterrand sich schließlich durchsetzen und Rocard zur Aufgabe zwingen. Auch hier stand am Anfang der Kandidatur eine energische politische Entscheidung.

Diese Beispiele zeigen, daß Wahlkampfführung „Politik machen“ heißt und daß die Personalisierung der Politik nicht das Werk von anonymen Imagemachern ist, sondern daß es politische Entscheidungen gibt, wo die Expertise der Berater aufhört und die persönliche Verantwortung des Kandidaten beginnt. Wie Wahlkampf in einer Mischung aus Politik, Stimmungen und Images gemacht wird, dafür sind die Wahlkämpfe von Ronald Reagan 1984 und Francois Mitterrand 1981 exemplarisch.

Reagans Wahlkampf Reagans Wahlkampf wird zukünftig wohl überall in der Welt die Ideen und Planungen der Wahlkampfmanager beherrschen. Angefangen vom persönlichen Stil des Präsidenten, der seine Botschaft vor allem über das Fernsehen erklärte, bis hin zur politischen Strategie, dem Wähler nicht nur die vollbrachten Leistungen zu zeigen, sondern ihn auch Stolz über die eigene Nation empfinden zu lassen, war die republikanische Präsidentschaftskampagne ein Wahlkampfkonzept aus einem Guß. Man muß dabei bedenken, daß es sich hierbei keineswegs um eine selbstverständliche politische Entwicklung handelte, hatte man doch die Republikaner nach dem Verlust der Präsidentschaftswahlen 1976 in der öffentlichen Diskussion Amerikas bereits totgesagt. Und als Reagan 1982 in der Halbzeit seiner ersten Präsidentschaftsperiode niedrigste Werte bekam, wurden ihm kaum Chancen für die Wiederwahl eingeräumt. Das Durchhalten eines konsequenten politischen Kurses hat ihm und den Republikanern schließlich die Wahlkampfstrategie für 1984 ermöglicht. Der politische Slogan hieß: „America is back again“ (Amerika ist wieder da), der persönliche Slogan „Leadership that’s working“ (Führung, die es schafft).

An Reagans Wahlkampf wurde deutlich, daß es in den modernen Wahlkämpfen die politischen Gesamtbotschaften sind, die Wähler mobilisieren. Bei Reagan war es eine positive optimistische Botschaft: die Hoffnung auf die Zukunft, die er, auf seine politischen Leistungen aufbauend, glaubhaft präsentieren konnte. Früher einmal Filmschauspieler, ist Ronald Reagan wohl der Kandidat mit den größten Fähigkeiten zur Selbstdarstellung in einer politischen Kampagne. Zu Recht spricht man in den Vereinigten Staaten, auf Reagan bezogen, von dem „great communicator“. Dabei wird oft übersehen, daß dieser sich nicht allein auf die fernsehgerechte politische Darstellung beschränkte, sondern daß seine Politik den Wählern eine politische Richtungsentscheidung abverlangte. Seine Wiederwahl wurde zum Plebiszit über die Politik der ersten Amtsperiode. Die Amerikaner haben bestätigt, daß sie diese Politik fortgesetzt sehen wollten. Reagans Wahlkampf und seiner Politik liegt ein wesentliches sozialpsychologisches Element zugrunde: Es ist der Optimismus eines Präsidenten, der an die Zukunft seines Landes glaubt und der nicht schlechtere, sondern bessere Zeiten kommen sieht. Allerdings hatte Reagan den Wählern auch bereits konkrete Ergebnisse seiner Politik zu bieten, vor allem einen wirtschaftlichen Aufschwung und Frieden für eine Nation, die so oft in weltpolitische Zusammenhänge verstrickt war.

Diese Situation hat Peter Haft, der Meinungsforscher Mondales, auf typisch amerikanische Weise zusammengefaßt. Nach Harts Ansicht hat sein Kandidat Mondale gegen vier P’s von Ronald Reagan verloren: Personality, Prosperity, Peace and Pride, also gegen die Persönlichkeit, gegen Wohlstand, Frieden und Stolz.

Mondales Fehler

Erst im Kontrast zu fünf wesentlichen Fehlern, die Walter Mondale gemacht hat, wird die Wahl-kampfführung Reagans in ihrer Überlegenheit deutlich: 1. Mondale ist es nicht gelungen, seine persönliche Ausstrahlung im Laufe des Wahlkampfes zu verbessern. 50% der Wähler blieben ihm gegenüber negativ gesonnen.

2. Zur Bekämpfung des riesigen Defizits im amerikanischen Budget hat er Steuererhöhungen vorgeschlagen — und damit das wohl unpopulärste Thema gewählt, das man den Wählern anbieten kann.

3. In seinem Engagement für die Armen und die Zurückgebliebenen im Lebenskampf hat er ergreifende und wohl auch jeden Beobachter anrührende, sympathische Worte gefunden, dabei aber den Appell an die arbeitende Mittelklasse vergessen, d. h. an diejenigen, die diszipliniert und mit großem persönlichen Einsatz ihren Lebensunterhalt verdienen. Unterschwellig wurde es — wie amerikanische Beobachter sagen — eine Kampagne für die „life-losers", die Verlierer des Lebens, während doch die Masse in den Vereinigten Staaten davon überzeugt ist, die gebotenen Chancen ergreifen und den Schwierigkeiten des täglichen Lebens ein „Dennoch“ entgegensetzen zu können. Mondale hat es damit als Vertreter der demokratischen Partei versäumt, das klassische Bündnis mit den amerikanischen Arbeitern herzustellen.

4. Mondales Wahlkampf wurde schließlich zu einer einzigen Kritik an einem alles in allem erfolgreichen Präsidenten. Diese Kritik schlug auf ihn selbst zurück. Wieder einmal hat sich gezeigt, daß ein Angriffswahlkampf nur von demjenigen geführt werden kann, der seine eigene Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit bereits unter Beweis gestellt hat.

5. Der wohl größte Mangel des demokratischen Präsidentschaftskandidaten war jedoch das Fehlen einer politischen Gesamtbotschaft. Sein Wahlkampf zerfiel in viele Einzelpunkte, konnte aber mit der optimistischen Aussage Reagans, die den Amerikanern Hoffnung auf weitere gute Jahre machte, nicht konkurrieren.

Mitterrands Wahlkampf Aus einer ganz anderen Position mußte Francois Mitterrand seinen Wahlkampf führen. Er hatte sieben Jahre vorher gegen Giscard d’Estaing verloren, lag in den Umfragen klar hinter diesem und galt als weniger populär als der andere mögliche Kandidat der sozialistischen Partei, Rocard. Mitterrand mußte in seiner Präsidentschaftskampagne 1981 daher vor allem zwei Dinge neu aufbauen: sein Image und seine Botschaft.

Zusammen mit seinem Werbeberater Jacques Seguela entwickelte Mitterrands Wahlkampfteam das Konzept eines ruhigen, neuen, selbstbewußten Mitterrand, der mit einer neuen Politik die Fehler und Schwächen des Amtsinhabers Giscard d’Estaing überwinden wollte. Mit einer großen Anzeigenkampagne in Illustrierten und Magazinen wurde auf Doppelseiten von berühmten Persönlichkeiten über den „neuen“ Francois Mitterrand gesprochen. Es war eine Kampagne, die weniger den Wählern als zunächst den Meinungsführern und Journalisten galt. Der längst von allen als alter Bekannter angesehene Politiker Miterrand wurde neu und interessant dargestellt. Vorgestellt wurde nicht der alte erfahrene Politiker Mitterrand, sondern der Literat, der Naturliebhaber, der Mann mit breit gefächerten kulturellen Interessen. Auch äußere Image-Veränderungen wurden vorgenommen: Der Cord-Anzug wurde mit dem staatsmännischen dunklen Anzug vertauscht.

Darüber hinaus wurden die politischen Interessen des Kandidaten neu akzentuiert. Daß Mitterrand kein Wirtschaftsfachmann war, war allgemein bekannt. In einem ersten Plakat wurde er daher umgeben von Wirtschaftsfachleuten gezeigt. Während dieses Plakat eher als mißlungen bezeichnet werden kann und noch wenig Widerhall in der Öffentlichkeit fand, prägte das darauf folgende Plakat mit dem Slogan „La force tran-

quille" (Die ruhige Kraft) Mitterrands Kampagne. Mitterrand wurde darauf gezeigt vor einer idyllischen französischen Dorflandschaft unter einem tiefblauen Nachthimmel, der langsam in die Farben eines Sonnenaufgangs übergeht, praktisch eine Blau-Weiß-Rot-Version von Landschaft, und der Blick des Kandidaten war in die Ferne gerichtet. Dazu wurden von Wahlkampf-helfern der Sozialistischen Partei zwei Programmplakate mit den Slogans „D‘ abord l’Emploi" (Zuerst Arbeit) und „Vivre autrement“ (Anders leben) geklebt. Diese drei Slogans symbolisierten treffend Francois Mitterrand und seine Politik.

Auch der Kampagne-Stil Mitterrands hob sich erheblich von dem seiner Gegner ab. Während die Hauptkandidaten der anderen Parteien im ersten Wahlgang von Großveranstaltung zu Großveranstaltung durch Frankreich hetzten, konzentrierte sich Mitterrand auf wenige, oft kleine Auftritte, bei denen er aber seine Politik entscheidend thematisierte. Diesen Stil hielt er auch in der Stichwahl gegen Giscard d’Estaing durch. Während beispielsweise Giscard d’Estaing eine riesige Jugendveranstaltung mit etwa 100 000 Anhängern in Paris abhielt, sprach Mitterrand mit ausgewählten Jugendlichen über ihre Probleme. Wie schon in der gesamten Kampagne konzentrierte sich Mitterrand auch jetzt auf Konferen-B zen, um politische Probleme zu verdeutlichen, während sein Kontrahent in großen Wahlreden überall im Land auftrat. Selbstverständlich hielt auch Mitterrand einige Großveranstaltungen ab, etwa am 1. Mai, aber im wesentlichen vermittelte er von sich das Bild eines ruhigen, selbstgewissen Kandidaten, der nicht den üblichen Wahlrummel mitmachen wollte.

Ebenso überraschend war sein Auftreten in der Fernsehdebatte am 5. Mai, die fünf Tage vor der Wahl von allen Rundfunk-und Fernsehanstalten live übertragen wurde. Während Giscard d’Estaing vor den Gefahren eines sozialistischen Präsidenten warnte, trat Mitterrand präsidentiell auf und entwickelte seine Politik. Der amtierende Präsident war zum Herausforderer, der Oppositionskandidat zum Titelverteidiger geworden. Mitterrand hatte sich mit seiner psychologischen Botschaft der „Force tranquille" durchgesetzt. Giscards Botschaften „II faut un President ä la France“ (Frankreich braucht einen Präsidenten) und „Je me bats pour la France“ (Ich schlage mich für Frankreich) waren Mitterrands beharrlicher, ruhiger Selbstdarstellung ebensowenig gewachsen wie seine schärfer werdenden Angriffe auf den Sozialisten. Mitterrands Wahlkampfstil hatte die Hoffnungen und Gefühle der Wähler auf seine Seite gezogen.

Hoffnungswahlkampf Die Lehre aus den beschriebenen Wahlkämpfen der achtziger Jahre könnte darin bestehen, daß sich in westlichen Demokratien, wo erfahrungsgemäß die Stimmungen der Wähler schwanken und schnell umschlagen können, Hoffnungswahlkämpfe gegen Angstwahlkämpfe durchsetzen. Das war bei Reagan gegen Mondale ebenso wie bei Mitterrand gegen Giscard d’Estaing, aber auch in England bei Margret Thatcher gegen Michael Foot und in Deutschland bei Helmut Kohl gegen Hans-Jochen Vogel der Fall. Offensichtlich suchen die Wähler gerade in wirtschafts-und sozialpolitisch schwierigen Zeiten nach positiven Ansätzen für eine bessere Zukunft und wählen den Kandidaten und die Partei, die Hoffnungen auf bessere Zeiten erweckt. Der Hoffnungswahlkampf besiegte den Angstwahlkampf. Ist der Hoffnungswahlkampf damit die Antwort auf die Stimmungsdemokratie?

Es ist allerdings problematisch, Wahlentscheidungen mit einem oder wenigen Faktoren zu erklären. Hieß es noch in den siebziger Jahren „You cannot beat the boom“, d. h. Regierungen mit Wirtschaftserfolgen sind unschlagbar, so wurden die Wahlen der achtziger Jahre ausnahmslos von wirtschaftlichen und sozialen Kri43 senerscheinungen begleitet. Herausragend war überall das Thema „Arbeitslosigkeit“: in den Vereinigten Staaten stärker im 1980er als im 1984er Wahlkampf, ganz besonders aber in den europäischen Wahlkämpfen in England, Frankreich und Deutschland. Mit diesem Thema wurden die Wahlkämpfer überall zur Thematisierung ihrer Kampagnen gezwungen. Und überall standen die Wähler vor klaren politischen Alternativen.

Arbeitslosigkeit als Wahlkampfthema Besonders weit auseinander gingen die Konzepte in Großbritannien. Die Labour-Partei unter Michael Foot bot ein kreditfinanziertes staatliches Expansionsprogramm in einem Umfang von rund 40 Milliarden DM an, das den Briten wieder Arbeit geben sollte. Gleichzeitig prangerte Labour in seiner Wahlkampagne die 3, 2 Millionen Arbeitslosen als Ergebnis einer verfehlten Politik der Regierung Thatcher an. Da sich die Zahl der Arbeitslosen in ihrer Regierungszeit verdoppelt hatte, wurde in den Angriffen der Labour-Partei von den „Arbeitslosen der Frau Thatcher“ gesprochen.

Die Konservative Partei antwortete ihrerseits nicht mit Versprechungen zur schnellen Beseitigung der Arbeitslosigkeit, obwohl sie erkannt hatte, daß dieses Thema für die Wiederwahl von Frau Thatcher eine große Gefahr bedeutete. Das Thema wurde von den Konservativen auf zweierlei Weise behandelt. Zunächst wurde dem Wähler erklärt, daß Arbeitslosigkeit in allen industriellen Ländern herrsche und keineswegs ein rein britisches Phänomen sei. Arbeitslosigkeit wurde als ein Problem dargestellt, das nur durch langfristige, realistische Politik beseitigt werden könne. Dementsprechend wurden die Konzepte von Labour als verfehlt kritisiert, weil sie eine schnelle Abhilfe für ein langfristiges Problem versprachen. Als besonders wirkungsvoll erwies sich das konservative Argument, daß die Arbeitslosigkeit in Großbritannien unter allen Labour-Regierungen der Nachkriegszeit gestiegen war. Die Konservativen machten in ihrer Wahlkampagne daraus ein „Naturgesetz“; es wurde zum Kernpunkt der Zurückweisung der Labour-Angriffe.

Offensiv gestaltete sich die Argumentation der Konservativen auf dem zweiten eingeschlagenen Weg. Es wurde darauf verwiesen, daß Wirtschaft und Gesellschaft in Großbritannien auf einem langen und grundlegenden Weg zur Reform seien. Ziele mit Langzeitcharakter könnten nur von einer starken politischen Führung, wie sie Frau Thatcher verkörpert, in der Zukunft erfolgreich verwirklicht werden. Diesen erfolgreichen Weg dürfe man jetzt nicht unterbrechen. Der Slogan der Konservativen lautete deshalb: „Britain is on the right track, don’t turn back“.

Für Labour wurde es schwer, dieser Kampagne entgegenzutreten, zumal Labour den Fehler machte, viele andere Themen in der Kampagne aufzugreifen, die zweifellos nicht sehr vorteilhaft für sie waren, etwa den Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft und Verstaatlichungen. Selbst die von den Briten gutgeheißene Falkland-Politik von Margret Thatcher wurde kritisiert. Damit hatte Labour den Faden verloren und steuerte in eine hohe Wahlniederlage.

Anders dagegen Francois Mitterrand, der aus der Opposition heraus sein Thema offensiv einsetzen konnte. Für Frankreich war es eine der seltenen Wahlkampagnen ohne intensiven ideenpolitischen Wettbewerb, ohne ideologische Ausschweifungen, aber auch ohne die für Frankreich typische Diskussion über die Rolle des Landes in der Welt und die Autorität seines Staates. Alle diese Themen blieben Randerscheinungen vor der einen großen Fragestellung, ob die wirtschaftspolitische Bilanz von Giscard d’Estaing seine Wiederwahl rechtfertigen würde. Ohne Zweifel waren große Teile der Wähler auf der Suche nach einem Präsidenten, der die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Wirtschaft ankurbeln konnte, betrug doch zu diesem Zeitpunkt die Zahl der Arbeitslosen immerhin 1, 7 Millionen und die Inflationsrate rund 14%.

In der Diskussion standen sich zwei Pläne gegenüber: der „Plan Giscard“ und der „Plan Mitterrand“. Da in der öffentlichen Diskussion, wie viele Meinungsumfragen zeigten, Arbeitslosigkeit das Thema Nr. I war, machte Giscard in seinem Plan mehrere Versprechungen: Er versprach, bis 1985 eine Million neue Arbeitsplätze zu schaffen und allen Jugendlichen bevorzugt Arbeit zu geben. Um seinen Bemühungen Nachdruck zu verleihen, überraschte er die Öffentlichkeit mit dem Plan einer französisch-deutschen Anleihe von insgesamt 30 Mrd. Franc bei erdölexportierenden Ländern. Darüber hinaus versuchte auch er dar-zutun, daß es gegen die Arbeitslosigkeit kein schnell wirksames Rezept gebe, da ein solches sonst in anderen westlichen Industrieländern längst angewendet worden wäre.

Der Plan Mitterrands — exklusiv im L’Express am 11. April 1981 veröffentlicht — war ein umfangreiches sozialistisches Wirtschafts-und Sozialprogramm. Unter anderem wurde gefordert: die Erhöhung der niedrigen Einkommen, die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, private und staatliche Investitionsprogramme, Schaffung von zusätzlichen Ar-B beitsplätzen im öffentlichen Sektor, Verstaatlichungen und Steuermaßnahmen.

Auch in Frankreich gab es somit zum Thema „Arbeitslosigkeit“ klare Alternativen. Der Präsident wie sein Herausforderer hatten das Thema „Vollbeschäftigung“ bewußt zum Hauptthema ihrer Kampagne gemacht, beide, indem sie konkrete, tiefgreifende Maßnahmen versprachen. In dieser Diskussion war Giscard d’Estaing im Nachteil, weil er bereits sieben Jahre zuvor bei seinem Amtsantritt versprochen hatte, die Sicherheit der Arbeitsplätze zu garantieren und die Inflation erfolgreich zu bekämpfen. Beides war ihm jedoch nicht gelungen. Ohne Zweifel zeigt sich bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 1981, daß diese nicht nur eine Wahl des Herausforderers, sondern auch eine Abstimmung gegen den amtierenden Präsidenten war.

Schließlich ist auch die Bundestagswahl 1983 ein Beispiel dafür, wie sehr das Thema „Arbeitslosigkeit“ in den Mittelpunkt einer Auseinandersetzung rückte, die der einen Partei eine konzeptionelle Selbstdarstellung ermöglichte, der anderen hingegen die Verantwortung für wirtschaftliche Mißerfolge zuwies. Für die Wahlkämpfe zu Beginn der achtziger Jahre kann allgemein festgestellt werden, daß deren gemeinsames Kennzeichen darin bestand, daß über das Thema „Arbeitslosigkeit“ in allen westlichen Demokratien wirtschaftliche und soziale Fragen in den Wahl-kämpfen thematisiert und mit politischen Richtungsentscheidungen der Wähler beantwortet wurden. Auch das ist ein Beispiel für die Repolitisierung der Wahlkämpfe in den achtziger Jahren.

Auswahlbibliographie

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Fussnoten

Weitere Inhalte

Peter Radunski, Dipl. -Ing., geb. 1939; Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte, Romanistik und Politischen Wissenschaft in Berlin, Bonn und Straßburg; 1967 Bundesgeschäftsführer des Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS); 1967— 1969 wiss. Mitarbeiter, dann stellvertretender Institutsleiter des Wissenschaftlichen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung (WIKAS); Wahlkampf-manager der CDU-Hessen im Landtagswahlkampf 1970; 1973— 1981 Leiter der Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit in der CDU-Bundesgeschäftsstelle, in dieser Funktion verantwortlich für die Bundestagswahlkämpfe 1976 und 1980 sowie für den Europa-Wahlkampf 1979; seit 1981 Bundesgeschäftsführer der CDU. Veröffentlichungen u. a.: Wahlkampfentscheidung im Fernsehen, in: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Politik und Kommunikation, München 1979; Wahlkämpfe — Moderne Wahlkampfführung als politische Kommunikation, München — Wien 1980; Wahlkampfstrategien ’ 80 in den USA und der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/81; Der Bundestagswahlkampf der CDU 1983, in: CIVIS, (1983) 4.