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Die Verfassungspolitik der westlichen Besatzungsmächte in den Ländern nach 1945. Oktroyierte Systemübertragung oder eigenständiger demokratischer Neubeginn? | APuZ 22/1986 | bpb.de

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APuZ 22/1986 Die Verfassungspolitik der westlichen Besatzungsmächte in den Ländern nach 1945. Oktroyierte Systemübertragung oder eigenständiger demokratischer Neubeginn? Die westlichen Besatzungsmächte und der Kampf gegen den Mangel 1945— 1949 Adenauers Moskaureise 1955

Die Verfassungspolitik der westlichen Besatzungsmächte in den Ländern nach 1945. Oktroyierte Systemübertragung oder eigenständiger demokratischer Neubeginn?

Frank R. Pfetsch

/ 35 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die alliierte Verfassungspolitik für das Nachkriegsdeutschland wurde zunächst bestimmt von den übergeordneten deutschland-bzw. besatzungspolitischen Zielen, vor allem den territorialen und staatlichen Aufbauplänen. Das Bild des eigenen Verfassungslebens spielte demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Wurden Versuche der eigenen Systemübertragung gemacht, so hatten diese nur dann eine Chance, aufgenommen zu werden, wenn auch die deutschen Verfassungsgeber ähnliche Forderungen gestellt hatten. Die deutsche Verfassungstradition mit Korrekturen, die nach dem Scheitern der Weimarer Republik und nach den Erfahrungen mit der NS-Herrschaft erforderlich wurden, prägte auch die Länderverfassungen nach 1945. Die alliierte Rolle bei der Verfassungsgebung wird einmal bestimmt als Verstärkung demokratischer Rechte und zum andern als Katalysator für den verfassunggebenden Prozeß, zu dem die Militärregierungen die Initiative ergriffen, die Organisation planten und die Überwachung übernahmen. Zu einem Oktroy ist es seitens der Besatzungsmacht nie gekommen. Versuche dazu wurden früher oder später vereitelt.

Verfassungspolitik ist ein Instrument zur Realisierung politischer Interessen und Erwartungen, wie dies die alliierte Verfassungspolitik der Nachkriegszeit sehr augenscheinlich belegt 1). Die Verfassungspolitik der westlichen Siegermächte der Nachkriegszeit war ein, wenn nicht das wichtigste Mittel, Deutschland „in die Form zu bringen“, welche eine aggressive politische Führung verhindern und Deutschland in die demokratische Tradition des Westens einreihen sollte.

Bei dieser immer wieder beschworenen Demokratisierung handelt es sich jedoch nicht um eine einfache Bluttransfusion von einem politischen System in ein anderes; vielmehr wurde die jeweilige demokratische Ordnungsvorstellung diktiert von den außenpolitischen Interessen, welche die jeweilige Siegermacht gegenüber dem besiegten Deutschland verfolgte. Alliierte Verfassungspolitik ist also funktional zur jeweiligen Deutschland-und Besatzungspolitik zu sehen. Die verfassungsmäßige Ausgestaltung der deutschen Länder bzw.des deutschen Zentralstaats war demgegenüber von untergeordneter Bedeutung.

Die Prädominanz der Außenpolitik der jeweiligen Siegermacht geriet dabei oft genug in Widerspruch zur eigenen Verfassungsordnung. Zwar läßt sich die Demokratieauffassung der Amerikaner, Briten und Franzosen bei einzelnen Punkten der Verfassungsgebung in ihrer jeweiligen Zone nachweisen, zu einer Übertragung eigener Verfassungsvorstellungen pur et simple ist es jedoch nicht gekommen; neben der außenpolitischen In-teressenlage wirkten dem die deutsche Verfassungstradition ebenso entgegen wie der Wille der Besatzungsmächte, die Verfassung als Werk der Deutschen erscheinen zu lassen.

Auch ist die Verfassungspolitik der jeweiligen Besatzungsmacht nicht unabhängig von der Politik der anderen Besatzungsmächte zu sehen. Die Aktenbestände der drei Westalliierten lassen erkennen, daß deren Politik genau verfolgt und die jeweils eigene Position dementsprechend formuliert worden ist. Besondere Berücksichtigung hat die sowjetische und amerikanische Politik bei den Engländern gefunden; bei den Franzosen wurde zunächst die Politik der Engländer und Russen, später stärker die der Amerikaner berücksichtigt.

Gemeinsam war zunächst das Bestreben der westlichen Alliierten, die Verfassungen als Produkt der Deutschen erscheinen zu lassen, auch wenn diese politische Zielvorgabe zu unterschiedlichen Ausprägungen geführt hat. Die Franzosen mußten diesbezüglich mehr „verdecken“ als die Engländer und Amerikaner.

In die Vorstellungen über den Neuaufbau Deutschlands flossen viele Elemente der eigenen politischen Kultur ein, die in unterschiedlicher Ausprägung auf den gemeinsamen Nenner westlich-demokratischer Verfassungsauffassungen zu bringen sind. Gemeinsam war der Verfassungspolitik der westlichen Alliierten weiterhin, daß sie den Verfassungsgebungsprozeß organisierte und oft genug bei festgefahrener Situation (z. B. in Bremen, Württemberg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz) vermittelte.

An einer erfolgreichen Organisation und Beendigung des Verfassungsgebungsprozesses war den Alliierten auch aus eigenem Interesse gelegen, da eine Niederlage bei der Verfassungsverabschiedung zugleich eine Niederlage der eigenen Politik bedeutet hätte, ganz zu schweigen von dem Prestigeverlust, der damit verbunden gewesen wäre. Diesem Schicksal sind die Franzosen z. T. durch Fehleinschätzung der Deutschen im Falle des Landes Rheinland-Pfalz nur knapp entgangen. Ferner läßt sich als Gemeinsamkeit feststellen, daß die deutschen Verfassungsgeber sich nicht von den westlichen Alliierten unter bedrohlichen Druck gesetzt fühlen sollten. Der Druck, den die Alliierten z. T. ausübten, war eher auf das Prozedere als auf inhaltliche Vorgaben gerichtet. Wenn Druck auch in bezug auf Verfassungsinhalte ausgeübt wurde, so war dieser eher in freiheitsvergrößernder als in repressiver Absicht angewandt worden und hat in keinem Fall zu einem „Verfassungsdiktat“ geführt. Waren alliierte Forderungen inkompatibel mit deutschen Verfassungstraditionen, so wurden diese früher oder später wieder abgestoßen.

Neben diesen Gemeinsamkeiten lassen sich aber auch markante Unterschiede in Konzeption, Stil und Interessen zwischen den westlichen Siegermächten feststellen. Die separate Behandlung der drei westlichen Verfassungspolitiken soll dies verdeutlichen.

I. Die amerikanische Verfassungspolitik

Den Verfassungsüberlegungen der Amerikaner war zunächst der Gesichtspunkt der staatlichen Rekonstruktion der Länder ihrer Besatzungszone übergeordnet. Etwas später, im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges, betraf dies auch die westlichen Besatzungszonen allgemein. Die verfassungsmäßige Form dieser Länder wurde zwar nach den großen Zielen, auf die sich die Siegermächte in Potsdam geeinigt hatten (Demokratisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung), ausgerichtet, doch gab es hier so viel Spielraum, daß unterschiedliche Inhalte damit verbunden werden konnten.

Auf die verfassungsmäßigen Vorgaben der amerikanischen Militärregierung für ein demokratisches Deutschland wurde während der Verfassungsberatungen von den Amerikanern immer wieder verwiesen. Clay sprach sich in einem Schreiben für einen dezentralisierten Staatsaufbau aus: „The United States believes in a decentralized German government in accordance with the Potsdam Agreement. It proposes therefore the establishment of a Germany composed of a small number of States, each of which would have a substantial responsibility for self-government. These States would be permitted to form a confederation or a federal type of government, which, however would be given the requisite powers to achieve true economic unity.“

Eine Gesamtstaatsverfassung sollte geschaffen werden unter Berücksichtigung von demokratischen Grundsätzen, wie sie am 12. Juli 1946 von General Joseph T. McNarney, amerikanischer Militärgouverneur von November 1945 bis März 1947, ausgegeben worden waren. McNarney hatte formuliert: „A German Government can be described as democratic: 1. If it is recognized that all political power emanates from the people and is subject to its control. 2. If he who exercises political power receives his mandate to do so by frequently presenting his Programme in public in general elections.

If general elections are held in accordance with the principle of free competition, and if at least two parties, in fulfilling the preconditions of the competition, submit their Programmes and candidates to the public.

4. If political parties are recognized by the citizens as democratic institutions and voluntary associations which are clearly distinguished from the government machinery instead of being identical with it.

5. If the fundamental rights of the individual, including freedom to form political associations and other equally fundamental rights of free men are recognized and guaranteed.

6. If the means of expressing public opinion, for instance, radio and press, are not dominated by the government.

7. If the institutions which serve to protect the individual from power of government being exercised wantonly and arbitrarily, the rule of the law is recognized as the most important one.“ 3) Auf deutscher Seite konstituierten sich die vorbereitenden Verfassungskommissionen am 8. März 1946 in Bayern sowie am 12. März 1946 in Groß-Hessen und Württemberg-Baden. Statt eines Berichts, dessen Ausarbeitung in der OMGUS-Direktive vom 4. Februar 1946 vorgesehen war, fertigten diese Vorausschüsse jeweils einen Verfas-sungsvorentwurf an. Die amerikanische Militärregierung griff in die Verhandlungen der Ausschüsse kaum ein. Clay betonte später, als er die Vorentwürfe dem Kriegsministerium in Washington übersandte, „that these constitutions are being developed by the Germans in an atmosphere of freedom from Military Government direction or interference“ Im Länderrat empfahl Clay den Ministerpräsidenten die Aufnahme einer Bestimmung hinsichtlich der Übertragung von Befugnissen an eine künftige Bundesregierung bzw. zunächst an den Länderrat: „While we expect that these constitutions will establish strong political units of the several States, we must remember that they must contain provisions for these States to cede such powers as are necessary to a federal government when it is established. In the absence of the establishment of a central government Provision must be made to cede similar powers to the Council of Ministers President. I hope that your committees have given this attention and if they have not, that you will ask them to pay particular attention to the point.“

Die Vorentwürfe, die im Mai bzw. Juni 1946 der Militärregierung vorgelegt wurden, dienten den am 30. Juni gewählten und am 15. Juli sich konstituierenden Verfassungsgebenden Landesversammlungen als Arbeitsgrundlage.

Zum Vorgehen legte Clay fest, daß bei der Prüfung der Entwürfe durch die Militärregierung die allgemeinen Grundbedingungen für ein demokratisches Deutschland, die Joseph T. McNarney artikuliert hatte, beachtet würden daß ferner „objections are to be made in a spirit of great caution and self-restraint and only because of considerations vitally related to the essential objectives of Military Government, or to the basic policy announced by the Military Governor“ schließlich: „Informality should be the key note of their contacts and the effort should always be to elicit necessary changes on the initiative of the Germans, and not to impose them“

Ein „Interdivisional Committee on German Governmental Structure“ (ICOGS) sollte die Civil Administration Division bei ihrer Prüfungsarbeit unterstützen. ICOGS hatte in einem Bericht grundsätzliche Erwägungen über verschiedene Punkte angestellt: 1. Parlamentarisches System. Es sei auf deutscher Seite zu entscheiden, ob die Verfassungen für ein volles parlamentarisches System mit der Möglichkeit, die Regierung durch ein Mißtrauensvotum zu stürzen, oder für eine stabile Regierung sorgen sollten 2. Staatspräsident. Wenn die Verfassung die Möglichkeit des Sturzes der Regierung durch ein parlamentarisches Mißtrauensvotum vorsehe, dann sei ein Staatspräsident wünschenswert.

3. Zweite Kammer. Es solle den Deutschen frei-stehen, sich entweder auf eine legislative Kammer zu beschränken oder ein Zweikammersystem zu schaffen.

4. IVahlsystem. Jedes Wahlsystem, das eine gerechte Repräsentation des Volkes und häufige Wahlen garantiere, sei zu akzeptieren.

5. Die Beamten. Die Ernennung und die Beförderung der Beamten sollte nach dem Leistungsprinzip erfolgen.

6. Die richterliche Gewalt. Die richterliche Gewalt sei mit der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt auf die gleiche Stufe zu stellen und müsse unabhängig sein. 7. Grundrechte und deren Schutz. Bestimmte Grundrechte seien zu garantieren.

8. Notstandsbestimmungen. „The executive must have authority to meet situations of imminent public danger especially under the full parliamentary System.“

9. Verfassungsmäßiger Schutz lokaler Selbstverwaltung. „Our principle of decentralization and the known tendency of German government toward centralization require some constitutional protection for the independence and autonomy of local government.“

10. Wirtschaftssystem. „The degree to which the constitutions depart from a capitalistic toward a economic System“ von den Deutschen socialistic sei festzulegen. Wirtschaftliche Macht dürfe sich jedoch nicht in den Händen weniger Beamter konzentrieren. „Thedelegation of central econo-mic functions to the eventual central government and meanwhile, to the Länderrat or any successor body“ müsse möglich sein.

11. Die Kommunalbeamten. Um die Prinzipien der Dezentralisierung zu schützen, sollten die Verfassungen die Wahl kommunaler Versammlungen und kommunaler Regierungen garantieren. Alle Kommunalbeamten „should be recognized as local and not state officials".

12. Verfassungsänderungen. Eine Verfassungsänderung müsse von der einfachen Gesetzgebung unterschieden werden.

13. Der Länderrat und die zukünftige Zentralregierung. „Our policy requires that the Länderrat shallcontinue to function successfully in its assigned fields."

Die amerikanische Besatzungsmacht wollte sich zwar einen gewissen Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung der Länderverfassungen sichern, sie ging aber davon aus, daß die Verfassungen nur dann im Sinne der angestrebten Demokratisierung wirken könnten, wenn den Deutschen die Identifizierung mit ihrem Staatsgrundgesetz ermöglicht wird. Deshalb wollte OMGUS die Länderverfassungen frei von amerikanischem Diktat entstehen lassen. Eingriffe waren auf ein Minimum zu beschränken und hatten nur dann zu erfolgen, wenn demokratische Prinzipien, wie sie von dem amerikanischen Militärgouverneur McNarney formuliert worden waren, gefährdet schienen.

Die Praxis entsprach dann auch weitgehend dieser Planung, sowohl was die Anzahl der Eingriffe als auch deren Inhalte und Modalitäten betraf. Durch den Aufbau fast freundschaftlicher Kontakte mit der deutschen Seite war es für die amerikanische Besatzungsmacht sogar möglich, nach der Verabschiedung der Verfassungen durch die Landesversammlungen noch verbindliche Abänderungswünsche durchzusetzen, ohne bei den Deutschen das Gefühl zu hinterlassen, nur Befehlsempfänger der Amerikaner zu sein. So erklärte der Präsident der Bayrischen Verfassungsgebenden Landesversammlung, Michael Horlaeher, in der Abschlußsitzung am 26. Oktober 1946, daß „die Verfassung auf der freien Beschlußkraft und den eigenen Anstrengungen und dem eigenen Willen der vom Volke gewählten Vertreter“ beruhe. „Auch die Anstrengungen von der amerikanischen Seite haben die freie innere Zustimmung dieses Hauses gefunden.“

Die von der amerikanischen Besatzungsmacht gewünschten Änderungen wurden insgesamt bereitwillig vorgenommen. Im allgemeinen stellten sie nur Ergänzungen oder Präzisierungen dar, die durchaus auch den Intentionen der deutschen Verfassungsgeber entsprachen. Die Ablehnung eines verbindlichen, nach der vorläufigen Verabschiedung an die Deutschen herangetragenen Abänderungswunsches in Württemberg-Baden durch die Verfassungsgebende Landesversammlung (Art. 25 Abs. 2, Schaffung von Körperschaften zur Ordnung der wirtschaftlichen Angelegenheiten) wurde von der amerikanischen Militärregierung hingenommen. Insgesamt wirkte der Einfluß der amerikanischen Besatzungsmacht auf die Verfassungsberatungen in Richtung einer Stärkung demokratischer Prinzipien und war in bezug auf die Inhalte relativ gering.

Zu einem Dissens mit den deutschen Verfassungsgebern ist es kaum gekommen. Dies hat einmal damit zu tun, daß diese Grundsätze im Prinzip bei den Deutschen unstrittig waren und zum anderen, daß die Amerikaner die Verfassungen unbedingt als Werk der Deutschen erscheinen lassen wollten. Aussagen sowohl deutscher Verfassungsgeber als auch amerikanischer Berater stimmen in der Einschätzung überein, daß die Amerikaner den Deutschen die größtmögliche Freiheit bei ihren Verfassungsarbeiten ließen.

Der Eindruck herrscht vor, daß die Amerikaner unbefangener als die Europäer mit den historischen und geographischen Gegebenheiten umgegangen sind. Während zum Beispiel die französische Führung vorbereitende historische Studien über die deutschen Länder anfertigen ließ mit dem Ziel, historisch gewachsene Einheiten zusammenzulassen bzw. sie als separate Einheiten behandeln zu können, zogen die Amerikaner aus verkehrsstrategischen Gesichtspunkten quer durch die Länder Baden und Württemberg eine Landesgrenze, die nicht von Bestand sein konnte, weil kein deutscher Politiker diese willkürliche Grenzziehung akzeptieren wollte.

Die Berater der amerikanischen Militärregierung waren zwar mit den deutschen Verhältnissen vertraut, doch legten sie im Blick auf die Neugestaltung unterschiedliches Gewicht auf deren gesellschaftliche und staatliche Absicherung. Die Gruppe deutscher Emigranten, die im amerikanischen State Department arbeitete und zu der Vertreter der Frankfurter Schule gehörten wie Max Horkheimer, Herbert Marcuse oder Hans Speyer, legte vor allem Wert auf wirtschafts-und gesellschaftspolitische Maßnahmen, die die West6 machte zum Neuaufbau Deutschlands ergreifen sollten. Ihr Einfluß kann aber nach Aussagen eines Beteiligten als minimal angesehen werden, da General Clay, der eine wichtige Rolle bei der Verfassungsgebung spielte, mit dem „War Department“ und nicht mit dem „State Department“ di-rekt in Verbindung stand. Den Beratern um Clay wie Walter Dorn, Carl Joachim Friedrich, Robert Murphy, James K. Pollock, Hans Simons etc. ging es vornehmlich um die Sicherung demokratischer Grundrechte und den Aufbau demokratischer Institutionen.

II. Die britische Verfassungspolitik

Die Briten ließen sich bei ihrer Deutschland-bzw. Verfassungspolitik vor allem von den übergeordneten Gesichtspunkten des europäischen Gleichgewichts bestimmen — eine klassische Konzeption, die im Zeichen beginnender Teilung des europäischen Kontinents früher als bei den Amerikanern und Franzosen in einen Ost-West-Gegensatz einmündete. Eine von langer Hand vorbereitete oder als Leitlinie geltende Vorgabe für die deutschen Verfassungsarbeiten hatten die Engländer im Gegensatz zu den Amerikanern und Franzosen nicht. Zwar lassen ihre Eingriffe in die deutschen Verfassungsarbeiten den Versuch der Übertragung eigener Verfassungsprinzipien erkennen, die Implementierung dieser Grundsätze wurde aber unterschiedlich gehandhabt und war, wenn nicht in der deutschen Tradition stehend, nicht durchsetzbar.

Das anfängliche Zögern der Briten bei der Ausarbeitung von Verfassungen hatte sicherlich mehr mit der zunächst unklaren territorialen und politischen Struktur ihrer Zone zu tun, als mit der eigenen Tradition ungeschriebener Verfassungen. Spätestens 1946/47, als die Briten gegenüber den übrigen Besatzungsmächten ins zeitliche Hinter-treffen geraten waren, wurden die Verfassungsarbeiten forciert. Die Vorschläge der britischen Militärbehörden zur Verfassungsgebung in den Ländern und die Auseinandersetzungen und Verhandlungen darüber zogen sich bis zur Erarbeitung des Bonner Grundgesetzes hin.

Die britische Verfassungspolitik ergibt sich als besatzungspolitische Notwendigkeit aus der britischen Deutschlandpolitik, welche sich ihrerseits von den Konstellationen auf internationaler Ebene, d. h. letztlich der Abkehr von der Viermächteverantwortung und der beginnenden Teilung Europas herleitete. Das ursprüngliche Wechselspiel der politischen Akteure im Dreieck USA-GB-UdSSR und dessen zunehmende Entwicklung zu einem bipolaren Verhältnis, in dessen Interaktionen auch die Deutschen immer stärker einbezogen wurden, hinterließ auch im Prozeß der Verfassungsgebung in der britischen Zone seine Spuren. Dies um so mehr, als es nach neueren Forschungen gerade die Briten waren, die frühzeitig auf einen antisowjetischen Kurs einschwenkten und ihre Deutschlandpolitik dafür einsetzten

Das britische Vorgehen läßt sich in drei Phasen beschreiben: Verfassungspolitisch setzte in der britischen Zone im Frühsommer 1946 zunächst eine erste Phase des Verzögerns und Abwartens ein. Im Dezember 1946 erst legte die britische Militärregierung mit der Verordnung Nr. 57 den Rahmen fest, innerhalb dessen die gesetzgebenden Organe und Regierungen handeln konnten In den neu gebildeten Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurde auf dieser Grundlage die Ausarbeitung von vorläufigen Landesverfassungen in Angriff genommen, die den Charakter von Organisationsstatuten trugen. In wenigen Artikeln sollte nach dem Willen der britischen Verfassungsgeber das Verfassungssystem dieser beiden Länder geregelt werden. Pragmatische de-facto-Lösungen waren in dieser Phase offensichtlich gefragter als juristisch ausgefeilte Kodifizierungen von umfassenden Verfassungsnormen. Die Organisationsstatute mit ihrer Beschränkung aufdie unmittelbar notwendigen staatsrechtlichen Bestimmungen entsprachen ebenso wie die frühe Hamburger Verfassung und die beiden nicht genehmigten Verfassungen für Bremen und Schleswig-Holstein völlig den Anforderungen, wie sie sich aus der deutschlandpolitischen Konzeption Londons ergaben. Dieser entsprechend wurde durch die konstitutionelle Sicherung der Länder in der Zone allen weiteren Separierungs-und Internationalisierungsversuchen eine Absage er-teilt. Eine endgültige Regelung in bezug auf Gesamtdeutschland war damit allerdings noch nicht getroffen. Vor diesem Hintergrund werden auch die beiden „Gentlemen agreements“ in den verfassungspolitischen Auseinandersetzungen in Schleswig-Holstein und Bremen gegen Ende des Jahres 1946 verständlich. Beide Verfassungen waren für die Regelung des staatlichen Lebens ausreichend und standen keineswegs im Widerspruch zu den deutschlandpolitischen Zielen der Briten zu dieser Zeit.

In dieser ersten Phase wurde von den Briten Wert darauf gelegt, bestimmte, ihrem eigenen politischen System und Demokratieverständnis entstammende Regelungen noch unter der Perspektive von Kommunalverfassungen festzuschreiben. Auf höherer Ebene wurden zunächst keine auf Dauer angelegten und kodifizierten staatsrechtlichen Verhältnisse geschaffen. Vor allem forderten die Briten:

— besondere Regelungen zum Wahlsystem (Mehrheitswahl);

— die Trennung von politischen und administrativen Ämtern;

— das Verbot der politischen Betätigung von Beamten und Verwaltungsangestellten des öffentlichen Dienstes.

In der zweiten Phase britischer Verfassungspolitik rückten dann verfassungspolitische Forderungen ins Zentrum des Interesses, die eindeutiger für die Länderebene konzipiert waren und dem Ziel entsprachen, die eigene Zone territorial zu konsolidieren und konstitutionell zu festigen. Das hieß im einzelnen:

— keine direkte Bezugnahme in den Landesverfassungen auf einen künftigen deutschen Gesamtstaat, um hier jeglicher Präjudizierung vorzubeugen;

— Verbot der politischen Betätigung von Beamten und Verwaltungsangestellten des öffentlichen Dienstes;

— parlamentarische Kollektivverantwortlichkeit des Kabinetts;

— Regelungen der Aufgaben und Funktionen der Parlamentsausschüsse;

— Recht der Regierungsmitglieder oder deren Beauftragten, vor den Legislativorganen zu reden und Stellung zu einzelnen Sachfragen zu nehmen; — Gesetzesinitiativrecht auch für einzelne Landtagsabgeordnete.

Zu einem späteren Zeitpunkt (dritte Phase), als die Viermächteverantwortung wesentlich brüchiger geworden und daher die Bizone gebildet worden war, rückte die Kodifizierung der Menschen-und Grundrechte in den Länderverfassungen sowie deren Annahme durch Volksentscheide in den Vordergrund. Die Verfassungen sollten jetzt eindeutig zum Ausdruck bringen, daß sie nicht mehr vorläufige Provisorien, sondern definitive Länderverfassungen sein wollten. Der von deutscher Seite in die Verfassungen aufgenommenen Bestimmung, daß die Länder als Gliedstaaten eines übergeordneten Gesamtstaates zu betrachten seien, wurde nicht mehr, wie noch wenige Monate zuvor, widersprochen. Während der gesamten Zeit wurde den deutschen Verfassungsgebern in zunehmendem Maß Beteiligung, Einfluß und letztlich Eigenverantwortlichkeit für die ausgearbeiteten Verfassungen übertragen. Grundsätzlich galt auch in der späten Phase der Verfassungsgebung, daß die Länderverfassungen bzw. die Entwürfe dazu der britischen Militärregierung vorgelegt werden mußten

Nach der Bildung der Bizone orientierten sich die Briten zunehmend an den Länderverfassungen der amerikanischen Zone. Deutlich markierten die Empfehlungen des Deputy President der Governmental Sub-Commission, die vom Governmental Structure Office aus Vergleichen erarbeitet worden waren, den Übergang in die dritte Phase britischer Verfassungspolitik. Hierbei wurde zunächst der Unterschied zwischen den Verfassungen der Länder in der britischen Zone und denen in der amerikanischen verdeutlicht: „Thus, the main differences between the British Zone drafts and the U. S. Zone constitutions are that the formet, in effect, deal only with the structure of the State — and that very briefly and not always adequately — while the later deal with this subject in considerable detail and also cover the additional subjects .., above.“ (Basic Human Rights and Duties; Man and Society)

Von britischer Seite wurde sowohl ein reibungsloses Funktionieren des Staatsapparates gewünscht, als auch Wert darauf gelegt, daß die Länderverfassungen bestimmten verfassungsrechtlichen Grundprinzipien entsprachen. Insbesondere sollte die Trennung der drei Gewalten deutlich zum Ausdruck kommen. Die Richter sollten unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sein; der öffentliche Dienst sollte weitgehend von politischem Einfluß frei gehalten und die Beam-ten nach Qualifikation und Leistung berufen werden. Auf allen Ebenen der Länder war durch die Verfassungsgeber die Kontrolle der Wählerschaft und der Legislativorgane über die Exekutive sicherzustellen. Die gesetzgeberische Funktion der Parlamente durfte nicht delegiert werden. Nach den Prinzipien der Dezentralisierung waren die Selbstverwaltungsrechte der Kommunen zu stärken.

Die plebiszitäre Komponente in den Verfassungen sollte nach britischen Vorstellungen nicht zu stark ausgestaltet werden. Daher sollten zum einen bestimmte Materien — wie z. B. Haushaltsfragen — einem Referendum nicht unterworfen werden können; zum anderen sollte für Verfassungsänderungen und wichtige Materien — wie z. B. die Sozialisierung — ein Volksentscheid zwingend vorgeschrieben werden. Die Auslösung eines Volksvotums sollte grundsätzlich an eine qualifizierte Mehrheit im Landtag gebunden werden.

Darüber hinaus wünschten die Briten, um zumindest verfassungsrechtlich einem Rückfall in den Totalitarismus vorzubeugen, die Aufnahme der Grund-und Menschenrechte, und sei es nur in Form eines kurzen Hinweises in den Präambeln. Bezüglich der Arbeits-, Wirtschafts-und Gesellschaftsverfassung sollten die deutschen Verfassungsgeber Zurückhaltung üben und diese Materien — wie dies in der Praxis auch geschah — der normalen Gesetzgebung überlassen.

Auch hatten die deutschen Landespolitiker darauf zu achten, welche Aufgaben und Funktionen von der britischen Besatzungsmacht einer künftigen deutschen Zentralregierung zugedacht wurden. In generellen Übergangsbestimmungen war sicherzustellen, daß auch Materien, die aus der gesetzgeberischen Kompetenz der Landesparlamente herausgenommen waren, in Einklang mit den Richtlinien der Militärregierung geregelt werden konnten, ohne Gefahr zu laufen, dabei gegen die Verfassungen zu verstoßen.

Der Deputy President der Governmental Sub-Commission empfahl dementsprechend auf den Prozeß der Verfassungsgebung in den Ländern einzuwirken. Grundsätzlich sollte allerdings gelten: „That the principle, as indicated by the drafts so far submitted, of a short Constitution dealing primarily with the structure of the State and little eise should be accepted ..

Dabei stand die Auffassung im Vordergrund, daß die bereits geleisteten Arbeiten zu den Landes-grundgesetzen oder vorläufigen Verfassungen/Organisationstatuten in die künftigen Verfassungsarbeiten integriert werden sollten. Zeitökonomische Gründe spielten hierbei sicherlich genauso eine Rolle wie die Überlegung, daß eine reibungslose Organisation der Landesgewalt — das Funktionieren der Staatsorgane — mit den vorläufigen Landesgrundgesetzen erreicht werden konnte bzw. erreicht worden war. Die britische Militärregierung solle aber nicht auf dieser Form der Landesverfassungen insistieren: „If final drafts are more on the model of the Constitutions for the U. S. Zone, they need not necessarily be radically cut, provided that our interests are not prejudiced“ hieß es in verfassungspolitischem Pragmatismus.

Die verfassungspolitischen Zielsetzungen der britischen Besatzungsbehörden wirkten somit über mehrere Jahre in den jeweils unterschiedlichen Stand der Verfassungsarbeit hinein. Letztlich durchgesetzt hat sich, außer auf der Ebene der Kommunalverfassungen, nur wenig des ursprünglich Geforderten. Deutlich zeigt sich das Scheitern der Bemühungen um eine forcierte Systemübertragung z. B. daran, daß weder das Mehrheitswahlrecht noch die Regierungsbildung nach dem Prinzip der Integration, weder das Verbot der politischen Betätigung für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes noch die parlamentarische Kollektivverantwortlichkeit der Landes-regierungen in den endgültigen Verfassungen der Länder der ehemaligen britischen Besatzungszone festgeschrieben wurden.

Die Vorbilder Weimars, die eigene Landestradition und zu einem späteren Zeitpunkt das Bonner Grundgesetz wirkten wesentlich stärker auf die Ausgestaltung der Verfassungen als die britischen Vorgaben und verfassungspolitischen Zielsetzungen. Nicht zuletzt mag dazu auch die Haltung der britischen Besatzungsbehörden beigetragen haben, einen gewissen verfassungspolitischen Pragmatismus zu pflegen, der weniger darauf aus war, auf einzelnen detaillierten Verfassungsbestimmungen zu bestehen, als vielmehr, die Verfassungen während der verschiedenen Stadien in Einklang mit der Besatzungs-und Deutschlandpolitik zu sehen. Die konkrete Ausgestaltung der Verfassungen wurde in zunehmendem Maße den deutschen Verfassungsgebern selbst überlassen. Dies darf aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, daß einzelne Dienststellen und Militärbehörden auf die unmittelbare Ausgestaltung von Verfassungstexten Einfluß zu nehmen suchten, was oft genug die Verhandlungen in die Länge zog. So stellte beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Educational Branch einen umfangreichen Forderungskatalog für die Schulverfassungen auf Letztlich konnten sich deutsche Verfassungsgeber und Militärregierungen jedoch immer darauf einigen, entweder die Präzisierung und Konkretisierung von Verfassungsnormen eigenen Ausführungsgesetzen zu überlassen, oder aber die gestellten Forderungen verliefen im Sande.

Die Rolle und Funktion der britischen Besatzungsmacht kann zusammenfassend vor allem darin gesehen werden, daß sie die Verfassungsgebung in den Ländern in Gang brachte, deren Ablauf organisierte und sie zum Ergebnis führte. Neben ihrem Einfluß auf die prozeduralen Abläufe der Verfassungsgebung widmeten sich die britischen Besatzungsbehörden stärker als die beiden anderen Besatzungsmächte der inhaltlichen Ausgestaltung der einzelnen Landesverfassungen. Diese stand vor allem in der frühen Phase ihrer Besatzungspolitik unter dem verfassungspolitischen Vorzeichen der Systemübertragung, was sich jedoch bald auf Grund der geänderten deutschlandpolitischen Rahmenbedingungen und der notwendigen Partizipation und Eigenverantwortlichkeit der deutschen Verfassungsgeber änderte. Das Maß der Einflußnahme ging zurück. Die britische Verfassungspolitik stellte mithin den Versuch dar, den Neubeginn einer parlamentarischen Parteiendemokratie zu initiieren, deren Erfolgschancen nicht zuletzt durch den Rollen-tausch der Besatzungsmacht vom sendungsbewußten Demokratiemissionar zum aufmerksam begleitenden Kritiker erhöht worden sind.

III. Die französische Verfassungspolitik

Die französische Verfassungspolitik schließlich unterscheidet sich von der amerikanischen und der britischen vor allem durch die außenpolitische Vorgabe eines dissoziativen Föderalismus; die verfassungspolitische Konsequenz dieses eher staatenbundlichen Deutschlandkonzepts war die Stärkung landesstaatlicher Tradition, die auch partikularistische Tendenzen innerhalb gewachsener Länder nicht ausschloß. Bei den Franzosen ist deshalb die Kluft zwischen der eigenen Verfassungstradition des zentralistisch organisierten Nationalstaats und der auf Dezentralisierung gerichteten deutschen Staatsorganisation größer als bei den übrigen westlichen Besatzungsmächten. Diese Anlage der französischen Deutschlandpolitik kontrastiert vor allem mit der zentralstaatlichen sowjetischen Deutschlandpolitik und der ihrer Statthalter KPD und SED.

Die Verfassungspolitik Frankreichs erfährt ihre Determinanten aus übergeordneten Gesichtspunkten der französischen Deutschlandpolitik:

1. Vorrangig war die territoriale und organisatorische Ausgestaltung des künftigen deutschen Staates aus französischem Herrschafts-bzw. Sicherheitsbedürfnis.

2. Zentraler Gesichtspunkt der staatlichen Organisation war das Verhältnis der Gliedstaaten — insbesondere der vier Länder der französischen Besatzungszone Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und der Saar — zu einem künftigen deutschen Zentralstaat. Handlungsmaxime war die klassische Herrschaftsformel des divide et impera. 3. Einen Sonderstatus sollte von Anfang an das Saarland erhalten; um das Saarland vor allem wirtschaftlich an Frankreich anzugliedern, mußten Anstrengungen bei den anderen alliierten Siegermächten unternommen werden.

Die jeweilige französische Verfassungspolitik wurde diesen drei Gesichtspunkten nach-bzw. funktional zugeordnet. Je mehr die eigenen Vorstellungen zur territorialen, dezentralen und dem Sonderstatus entsprechenden Organisationen des künftigen deutschen Staatswesens den tatsächlich erreichten oder erreichbaren entsprachen, um so größer war dann der Spielraum für die deutschen Verfassungsgeber in dieser Region.

Die Bildung selbständiger, staatlich verfaßter Ländereinheiten war somit das oberste Ziel der französischen Deutschland-und Besatzungspolitik. Das schnelle Vorgehen bei der Schaffung von Verfassungen in den Ländern ihrer Zone belegt die außen-und deutschlandpolitische Priorität. Aber auch die unterschiedliche Behandlung der Länder ihrer Zone verweist auf Motive der französischen Deutschlandpolitik: Je näher das jeweilige Land bei den eigenen Grenzen lag, um so stärker sollten die Bindungen zu Frankreich ausgestaltet werden. Das Saarland sollte als assoziier tes Land aufgebaut werden, Rheinland-Pfalz wurde zum Schwerpunkt vor allem kultureller Bemühungen, in Baden war die französische Politik auf die Stärkung verfassungs-und kulturpolitischer Elemente ausgerichtet und in Württemberg-Hohenzollern sollte vor allem die staatliche Existenz gesichert werden.

Der französischen Verwaltungstradition entsprach die penibel genaue Verfolgung bzw. zentrale Kontrolle der deutschen Verfassungsarbeiten, zumal die französischen Verwaltungsbehörden in Deutschland personell quantitativ wie qualitativ besser ausgerüstet waren als die der anderen Siegermächte. Juristisch geschulter Verstand und die Kenntnis deutscher Geschichte und Kultur bei zahlreichen in französischen Behörden angestellten französischen Germanisten ließen die historischen und kulturellen Wurzeln bei der deutschen staatlichen Organisation stärker zum Tragen kommen als bei den anderen Siegermächten. In der Tradition der französischen „mission civilisatrice“ steht auch der Gedanke, daß die Neuorientierung in Deutschland auf den Gebieten der Erziehung und Kultur beginnen müsse. Die französischen Kulturprogramme waren daher stärker entwickelt als bei den übrigen Besatzungsmächten.

Im Stil war die französische Verfassungspolitik zwar ebenfalls von der Strategie gekennzeichnet, die Verfassungsgebung nach außen nur als Werk der Deutschen in Erscheinung treten zu lassen, obwohl die französische Militärregierung schon im Vorstadium stärker als die anderen westlichen Militärregierungen Einfluß auf die Verfassungsarbeiten zu nehmen versuchte. Diese Gängelung der Deutschen sollte nach außen nicht bekannt werden, wurde sie doch über frankophile Gruppierungen — meist autonomistische oder gar separatistische Organisationen — zu leiten versucht.

Anfang 1947 formulierte die französische Militärregierung Verfassungsgrundsätze, die von den deutschen Verfassungsgebern in den verschiedenen Ländern der französischen Zone eingehalten werden sollten. Das Außenministerium hatte zum Studium der verfassungsmäßigen Organisation eines zukünftigen Deutschland eine Kommission einberufen. Wie der stellvertretende Militärgouverneur Laffon in diplomatischer Sprache betonte, handelte es sich bei diesen Verfassungsgrundsätzen nicht um „eine den Deutschen auferlegte Direktive, sondern nur einfach um Vorschläge (suggestions), die für die in Gang befindliche Ausarbeitung der Verfassungstexte eine mögliche Anregung“ sein könnten, Die „Vorschläge“ die von dem stellvertretenden Militär-gouverneur am 28. Februar 1947 an die Landesdelegationen von Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern geschickt worden waren, beschäftigten sich mit drei Bereichen:

— mit der Staatsangehörigkeitsfrage;

— mit den Grundprinzipien der Verfassung; — und mit der Staatsorganisation.

Die Staatsangehörigkeitsfrage Zur Frage der Staatsangehörigkeit wurde festgelegt: „Die Staaten (d. h. die Länder) haben die Zuständigkeit in Fragen der Staatsangehörigkeit.“ Die Rede ist also nicht von einer deutschen Staatsangehörigkeit, sondern von der Staatsangehörigkeit eines Landes.

Grundprinzipien der Verfassung Die „verfassungsmäßigen Grundprinzipien“ formulieren überzeitliche Grundrechte:

1. „Gleichheit aller vor dem Gesetz und vor der Justiz. Gleichheit und politische Rechte; gleiches Recht auf Erziehung; gleicher Zugang für alle zur Beschäftigung; Recht auf Arbeit und entsprechende Entlohnung.

2. Freiheit des Individuums, seiner Tätigkeiten, seiner Bewegungsfreiheit, seines Glaubens, seiner Meinungen, seines Rechts, diese auszudrücken. Diese Freiheit soll gegen Willkür geschützt werden.

3. Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit unter Beachtung der gesetzlichen Regeln einer Demokratie vor allem im Bereich der Gewerkschaften. 4. Anerkennung der Würde des Menschen, seines Lebens, seiner Entwicklungsmöglichkeiten und seiner Güter.

5. Anerkennung der Rechte der Minoritäten jeder Art.

6. Die genannten Menschenrechte sind unveräußerlich auch für den Fall des Widerrufs oder einer Umstimmung.

Organisation des Staates 1. Der Ursprung aller Gewalt ruht in der Volks-souveränität. Diese ist unveräußerlich.

2. Die politische Macht liegt bei den einzelnen Staaten. Diese delegieren einen Teil an eine diesen Staaten verantwortliche Bundesregierung. Der* Bundesstaat kann außerhalb der ihm ausdrücklich zugestandenen Zuständigkeit keine Gesetze erlassen.

3. Der Wille des Volkes wird von frei berufenen Versammlungen repräsentiert, denen gegenüber die jeweiligen Regierungen verantwortlich sind. 4. Die Einhaltung lokaler und kommunaler Freiheiten, Basis jeder Demokratie, muß durch Institutionen garantiert werden.

5. Das Völkerrecht bindet die öffentliche Gewalt und die Bürger.

6. Der Grundsatz , Reichsrecht bricht Landes-recht* muß formell gestrichen werden.

7. Die Staaten sind frei, ihrer obersten Gewalt die Bezeichnung Staatschef zu geben.

8. Für jeden Staat ist eine Volksvertretung vorgesehen, die direkt und geheim vom Volke gewählt wird, ohne Unterschied des Geschlechts. Die obligatorische Bestellung einer Kammer schließt nicht die Möglichkeit der Wahl einer zweiten Kammer — nach welchem Modus auch immer — aus.“

Die Kommission glaubte, daß die Staaten folgende eingeschränkte Zuständigkeiten behalten sollten:

— Erziehung auf jeder Stufe; Kultur und Künste;

— Gerichtsbarkeit in allen Instanzen;

— Zivilrecht, Handelsrecht, Strafrecht;

— innere Verwaltung und Sicherheit;

— Hygiene und öffentliche Gesundheit;

— auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen sollten die Staaten das Recht haben, diplomatische Vertreter mit auswärtigen Staaten auszutauschen und Verträge zu schließen;

— Bereich Wirtschaft, Technik und Kultur;

— auf allen anderen Gebieten behalten die Staaten die Zuständigkeit, die nicht ausdrücklich an den Bundesstaat abgegeben wurde. Interventionen der französischen Militärregierung lassen sich in allen Stadien und Gremien (in der Gemischten Kommission, im Verfassungsausschuß, während der Verabschiedung) bei folgenden Punkten nachweisen:

— Im Sinne eines „dissoziativen Föderalismus“ favorisierten die Franzosen z. B. in Rheinland-Pfalz Senat und Staatspräsident. Senat und Staatspräsident seien „desirables du point de vue federaliste et qu’ils repondent ä notre proc-cupation politique vitale pour la securite franaise"

— Die Pfalz sollte den Status einer eigenen Provinz mit eigener Provinzialregierung erhalten, Hohenzollern eine Sonderstellung innerhalb von Württemberg-Hohenzollern einnehmen.

— Ebenso wie in Baden wurde die Formulierung „in Zeiten tiefster Not“ in der Präambel beanstandet, da sie als indirekte Anklage gegen die Besatzungsmacht ausgelegt werden konnte. Stattdessen sollte das Land „dem inneren und äußeren Frieden“ dienen, ein „neues demokratisches Deutschland bilden“ und „lebendiger Teil der Gemeinschaft der Nationen“ sein.

— Das parlamentarische Mißtrauensvotum sollte möglich sein mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl und nicht, wie die CDU beabsichtigte, mit zwei-Drittel-Mehrheit.

— Bei der Schule und Lehrerbildung waren die Franzosen der Meinung, daß diese nicht in bekenntnisgebundenen Anstalten stattfinden solle, sondern in staatlichen — in Ausnahmefällen auch privaten — Anstalten mit pluralistischer Orientierung. Die Militärregierung trat für Simultanschulen ein. Art. 32 des Verfassungsentwurfs sollte umformuliert werden: Erziehung sei nicht nur Berufsausbildung, sondern dazu da, „de formet leur personalite, d’elever la jeunesse dans la foi en l’humanite et dans le respect des convictions rligieuses, philosophiques et politiques d’autrui. Dans ce but, tout l’enseignement sera penetre de l’ideal democratique et l’inspirera des principes trnels de la liberte, de l'galit et de la fraternite des hommes . . .“

— Bei der Frage der Fortgeltung von Staatskirchenverträgen lehnten die Franzosen eine Festschreibung dieser Verträge in der Verfassung gemäß ihrem laizistischen Staatsverständnis ab.

— Freizügigkeit sollte auch für Ausländer gelten. — Die Öffentlichkeit der Landtagssitzungen müsse gewährleistet werden.

Um den Termin zur Volksabstimmung über die Verfassung am 18. Mai 1947 einhalten zu können, übten die Franzosen Druck auf die Verfassungsgeber aus. Das übergeordnete Ziel bestand darin, für die Verfassung eine große Mehrheit zu erreichen, eine breite Basis der Zustimmung: „alle Kräfte des Landes sollen in gerechter Weise repräsentiert sein.“ Im Unterschied zu den anderen Ländern der französischen Besatzungszone gab es auf französischer Seite für das Saarland mehrere Entwürfe für ein Organisationsstatut („Projet de Statut“ vom Oktober 1946, 14. November 1946 und 19. Dezember 1946), die der besonderen Lage und der besonderen Stellung im staatlichen Nachkriegsgefüge entsprechen sollten und im Quai d’Orsay erarbeitet wurden. Die Grundprinzipien der französischen Saarpolitik wurden schon im August 1945 klar umrissen: „Telles sont les raisons qu’on peut invoquer en faveur d’un traitement particulier de la question sarroise devant preparer, non une annexion pure et simple, mais une union ä la France, caractrise par une incorporation conomique et la creation d’une administration autonome ä direction franaise oü les Sarrois dbarrassees de leurs fonctionnaires prussiens et bavarois, occuperaient une large place dans un regime de liberte respectant leurs paricularites et leur dignite.“ 23)

Die verfassungspolitische Umsetzung dieser Ziele (wirtschaftliche Angliederung an Frankreich und Verwaltungsautonomie unter französischer Kontrolle) sollte zunächst in einem Saarstatut erfolgen, bis nach „der Integration der Saar in den wirtschaftlichen und monetären Verband mit Frankreich“ das endgültige politische Regime festgelegt werden könne. Nach französischen Vorstellungen sollte das Saarstatut gekennzeichnet sein durch:

— Die wirtschaftliche und monetäre Eingliederung in Frankreich.

— Die außenpolitische und militärische Vertretung durch Frankreich.

— Die französische Verwaltungskontrolle, die von einem Hohen Kommissar wahrgenommen werden solle, dem die Kontrolle der Regierungsarbeit obliege. Diese Kontrolle müsse geschickt getarnt werden (habilement camoufle), um nicht den Eindruck eines „Protektorats“ aufkommen zu lassen.

— Die Regierung der Saar sollte aus einer Regierungskommission bestehen mit einem auf ein Jahr gewählten Präsidenten und den Leitern ministerieller Verwaltungen.

— Die legislative Gewalt werde vom gewählten Parlament wahrgenommen. Das passive Wahlalter solle bei 20 Jahren liegen. — Eine Verfassungskommission solle einen Verfassungsentwurf ausarbeiten, der im Parlament beraten und verabschiedet werden solle. Nach Befürwortung durch die französische Regierung und Übereinstimmung mit dem vorliegenden Statut solle der Verfassungsentwurf einem Volksentscheid unterzogen werden.

— Es wird ein oberster Gerichtshof (Cour Supreme) eingerichtet. In bezug auf im Saarland geltendes französisches Recht solle ein gemischter französisch-saarländischer Gerichtshof zuständig sein.

— Dieses Saarstatut sollte von allen vier Besatzungsmächten unterzeichnet werden.

Die wichtigsten Grundsätze dieses französischen Saarstatuts sind in die (später wieder eliminierte) Präambel der saarländischen Verfassung aufgenommen worden: wirtschaftlicher Anschluß an Frankreich, politische Unabhängigkeit von Deutschland, Landesverteidigung und außenpolitische Vertretung durch Frankreich, Bestellung eines Vertreters der französischen Regierung etc. Die saarländische Verfassung sah jedoch keine Regierungskommission vor. Abweichend von anderen Verfassungen deutscher Länder legte sie das passive Wahlalter auf 20 Jahre fest.

Der französische Einfluß auf die Verfassungsarbeiten kann wegen fehlender Dokumente nicht exakt rekonstruiert werden. Charakteristische Abweichungen von anderen Ländern deuten aber auf Einflußnahmen hin. Ein von der CVP vorgeschlagener Staatspräsident hätte dem an Frankreich angegliederten Sonderstatus widersprochen. Mit einem an das Schweizer System angelehnten Kollegialorgan könne leichter verhandelt werden als mit einem starken Staatspräsidenten. Die Kompetenzen des Präsidenten sollten jedoch bewußt nicht klar definiert werden. In bezug auf das Verhältnis Exekutive — Legislative ließen die Franzosen den saarländischen Verfassungsgebern die Wahi zwischen ministerieller Verantwortlichkeit (französische Parlamentstradition) und ministerieller Unabhängigkeit (schweizerische Tradition).

In bezug auf die Legislative war auf französischer Seite an ein Ein-Kammer-System gedacht. Ein von der CVP vorgeschlagener Senat wurde also abgelehnt, ebenso die Bekenntnisschule. In beiden Fragen unterstützten die Franzosen die Positionen der saarländischen Links-Parteien. Ein Vergleich der französischen Vorstellungen mit dem endgültigen Text der saarländischen Verfassung zeigt, daß die französische Besatzungsmacht sich vor allem bezüglich des Staatscharakters und der Wirtschaftsorganisation durchgesetzt hat, daß aber bei anderen Verfassungsbestimmungen die deutsche Verfassungstradition ausschlaggebend war. Die, von der Präambel abgesehen, geringfügigen Änderungen der saarländischen Verfassung nach der Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland belegen dies.

Die Einschätzung derfranzösischen Besatzungspolitik in Deutschland schwankt je nach Stand-und Bezugspunkt zwischen Verurteilung und gemäßigter Befürwortung. Vom Standpunkt der deutschen Einheit war die französische Politik der ersten Nachkriegsjahre extrem behindernd und wird so nicht nur in der expost-Betrachtung gesehen, sondern auch schon in den Augen von Zeitgenossen wie z. B.der amerikanischen Militär-verwaltung. Der „dissoziative Föderalismus“, den die Franzosen verfolgten, die Abgrenzungs-und Isolierungsstrategien waren mit Sicherheit für den Aufbau eines deutschen Zentralstaats hinderlich und in dieser Wirkung auch beabsichtigt.

Zu einer eher verstehenden Beurteilung gelangt man, wenn man das französische Wirtschafts-und Sicherheitsinteresse und die Angst vor einem neu entstehenden deutschen Zentralstaat als Bezugspunkt wählt bzw. wenn man den Aufbau traditionell gewachsener Länder betrachtet. So behindernd die französische Politik im Hinblick auf einen deutschen Einheitsstaat war, so förderlich war sie in bezug auf den Aufbau einzelner Länder. Hier betätigte sich Frankreich ähnlich wie die anderen westlichen Alliierten als „Prozeßorganisator“. Die Implementation der französischen Besatzungspolitik, der Verfassungspolitik im engeren Sinne, schwankte zwischen zwei Polen: einerseits eine engmaschige „administrative“ Kontrolle, andererseits größtmögliche Freiheit für die deutschen Verfassungsgeber.

Beides steht nicht unbedingt in Widerspruch zueinander. Bei Einhaltung der größeren und übergeordneten politischen Prinzipien (Dezentralisierung, starke Länder, Denazifizierung und Umerziehung, Parlamentarismus etc.) blieb den Deutschen relativ großer Handlungsspielraum. General Koenig formulierte dazu: „Cependant, mon Sentiment trs net est de ne pas imposer au Gouvernement provisoire, ainsi qu’ä l’Assemblee consultative, une Constitution qu’ils n’auraient pas librement debatue et proposee.“ Und noch deutlicher: „Les Etats doivent tre d’autant plus laisses libres d’etablir leur Constitution que l’absence d’uniformite dans les conditions sera une garantie contre un retour ä l'Etat centralise.“ Das Manövrieren zwischen diesen beiden Polen kann auch als Ausdruck des französischen Verwaltungssystems verstanden werden: Auf der unteren politischen Entscheidungsebene wurde die Kontrolle durch die Besatzungsmacht kleinlicher und administrativer; je höher die Ebene der politischen Entscheidungskompetenz, um so stärker kommen die größeren Leitlinien des politischen Handelns zum Tragen.

Das allen Verfassungsarbeiten übergeordnete Prinzip der französischen Politik war das einer extremen Dezentralisierung. Entsprechend wurde von den Franzosen gerade in der Verfassungspolitik alles abgelehnt, was nur im entferntesten nach Zentralismus aussah (vgl. z. B. die Ablehnung der Regelung bei allen Länderverfassungen: Reichs-recht bricht Landesrecht). Entsprechend dem obersten Prinzip der Dezentralisierung praktizierten die Franzosen in den einzelnen Gebieten ihrer Besatzungszone eine Politik, die auch kleineren geographischen Einheiten Sonderrechte zubilligte. In diesem Zusammenhang ist etwa der Sonderstatus für die Pfalz innerhalb von Rheinland-Pfalz zu sehen, der von den Franzosen gefordert wurde, sowie die Sonderstellung, die Hohenzoilern innerhalb Württemberg-Hohenzollern einnehmen sollte.

Der Parlamentarismus als oberstes politisches Prinzip sollte gerade nach der Nazivergangenheit gestärkt werden. Ausdruck der Volkssouveränität war u. a. auch der geforderte Volksentscheid für die Verfassungen. Die Franzosen legten Wert auf eine möglichst breite Annahme der Verfassung durch das Volk, um einerseits die demokratische Legitimation zu demonstrieren und andererseits die Verfassung als Werk der Deutschen selber erscheinen zu lassen. Die parlamentarische Kontrolle wurde durch die Einführung des Mißtrauensvotums in allen Verfassungen gewährleistet. Die Unabhängigkeit der Verfassungsgerichte sollte dem klassischen Prinzip der Gewaltenteilung nach französischer Vorstellung gerecht werden. Als eine Reaktion auf die NS-Vergangenheit Deutschlands ist die Sicherung gegen autoritäre Regierungen zu sehen; ein Notstandsartikel entsprechend Artikel 48 WRV wurde auf französischer wie deutscher Seite abgelehnt. Grundrechte, Gewaltenteilung und damit zusammenhängend die Unabhängigkeit der Gerichte wurden betont. In bezug auf das Verhältnis von Kirche und Staat wurde auf die WRV als Modell verwiesen. Französische Verfassungsprinzipien bzw. entsprechende politische Erfahrungen lassen sich in den Länderverfassungen nachweisen, ohne daß allerdings die Militärregierung notwendigerweise der Initiator gewesen sein muß:

— Die laizistischen Staatsauffassungen, wonach das Erziehungssystem in den einzelnen Ländern I nicht von einer Kirche dominiert werden dürfe.

Dementsprechend wurde die Bekenntnisschule I abgelehnt und die Gemeinschaftsschule, wie sie z. B. in Baden schon Tradition hatte und von anderen Parteien gefordert wurde, befürwortet.

— Die Menschenrechte als Erbe der französii sehen Revolution.

— Bestimmungen zum Parlamentarismus, wozu auch die Verhinderung des parlamentarischen Absolutismus einer Partei gehört. Wegen Fehlens einer entsprechenden Bestimmung wurde u. a. die französische Verfassung vom März 1946 abgelehnt. — Das Widerstandsrecht gegen staatliche Unterdrückung, das seit der Menschenrechts-und Bürgerrechtserklärung von 1791 Bestandteil französischer Verfassungen geworden ist.

— Schließlich muß auf das Nachwirken französischer Kulturpolitik vor allem in Rheinland-Pfalz hingewiesen werden.

Die französischen Verfassungsgrundsätze für die deutschen Länder entsprachen — vom staatsrechtlichen Status einmal abgesehen — auch deutschen Vorstellungen, wurden also auch von den deutschen Parteien getragen. Diesen zu tragfähigen Mehrheiten verhülfen zu haben, kann als wichtigster französischer Beitrag zur Verfassungspolitik gewertet werden.

IV. Einschätzung und Bewertung der alliierten Verfassungspolitik

Zur Verfassungspolitik der westlichen Alliierten lassen sich folgende Thesen formulieren:

1. Übergeordneter Gesichtspunkt der Verfassungspolitik war die territoriale und staatliche Rekonstruktion des Nachkriegsdeutschland bzw.des Nachkriegseuropa.

2. Die Alliierten achteten sehr darauf, daß die Verfassungen als Werk der Deutschen selber und keinesfalls von außen oktroyiert erscheinen sollten.

3. Das Bild des Verfassungslebens in den jeweiligen eigenen Staaten spielte keine übergeordnete Rolle, sondern war den Gesichtspunkten (1) und (2) untergeordnet.

4. Direkte Eingriffe der Besatzungsmächte in die Verfassungsarbeiten sind in allen Ländern nachzuweisen. Sie waren aber eher auf den Prozeßablauf als auf die inhaltliche Fixierung gerichtet. Die frühesten Verfassungspläne lagen von den Amerikanern vor (Juli 1946), die der Franzosen folgten (November 1946 bis Februar 1947) und schließlich publizierten die Briten ihre Verfassungsrichtlinien im November 1947.

5. Die materiellen Vorgaben der Alliierten lassen unverkennbar die eigene Verfassungstradition erkennen: bei den Amerikanern die liberal-kapitalistische Wirtschaftsauffassung, die demokratischen Willensbildungsprozesse, die föderalistische Staatsorganisation, die verfassungsgerichtliche Sicherung von Grundrechten etc.; bei den Briten das sogenannte british System, die Mehrheitswahl und die Prinzipien des local government; bei den Franzosen die Auffassungen vom parlamentarischen System sowie die Menschenrechts-und Kulturtradition. 6. Durchgesetzt haben sich nur solche Vorgaben, Korrekturen oder Modifikationen, die in der jeweiligen deutschen Landestradition lagen. Zu weitgehende Abweichungen wurden, wenn von außen oktroyiert, später wieder revidiert. 7. Da, wo die jeweilige Besatzungsmacht versuchte, Vorstellungen aus ihrem eigenen System zu übertragen, ohne daß auf deutscher Seite Unterstützung gewährt wurde, sind solche Versuche gescheitert. Auch wenn die oberste Militärbehörde den Deutschen bestimmte Regelungen aufdrängte, wurden solche Transplantationen wieder abgestoßen.

Solche Beispiele gab es in jeder Zone. Die Briten z. B. vermochten zwar anfänglich das britische Kabinettsystem (Kollegialorgan), den politisch nicht gebundenen Beamten, den parlamentarischen Minister, die Kommunalordnung und das modifizierte Mehrheitswahlsystem einzuführen, doch kehrten die Länder später meist wieder zu ihren traditionellen Systemen zurück. Zwar hat sich in der Bundesrepublik ein personalisiertes Verhältniswahlsystem, wie es die Briten in ihrer Zone eingeführt hatten, durchgesetzt, die Hansestädte sind aber wieder zur Tradition des reinen Verhältniswahlsystems zurückgekehrt. Den politisch neutralen Beamten nach britischem Vorbild gibt es im deutschen Verfassungsrecht nicht, Minister können auch außerhalb der Reihen der Parlamentarier rekrutiert werden. Das Kabinett als Kollegialorgan ist zwar als Verfassungsnorm noch zu erkennen, wurde aber in der Verfassungswirklichkeit durch die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs weithin ausgehöhlt. Geblieben sind als Teil des Wahlsystems die Mehrheitskomponente und die zweigeteilte kommunale Spitze in den Ländern der früheren britischen Besatzungszone. Von beiden gilt, daß sie auch Forderungen deutscher Verfassungspolitiker waren.

Auf die Amerikaner gehen als Transplantate des eigenen Systems die Neugründung des Kammer-wesens auf privatrechtlicher Vereinsbasis zurück, was allerdings verfassungspolitisch von geringerer Bedeutung war. Schon 1956 kehrten die Kammern wieder zur Form öffentlich-rechtlicher Anstalten zurück. Das leistungsbezogene Beamtentum bzw. das Wahlbeamtentum für Landräte wich wieder der deutschen Beamtentradition. Das Beharren der Amerikaner auf finanzpolitischer Autonomie der kleineren Gebietskörperschaften des föderativen Systems wurde im Zuge der Entwicklung zu einem System horizontaler und vertikaler Verflechtungen umstrukturiert. Willkürliche und nicht gewachsene Länderneubildungen auf dem Territorium des heutigen Landes Baden-Württemberg wurden schon 1952 wieder rückgängig gemacht. Die Aussetzung von Sozialisierungen und Bodenreformen ist ebenso von deutschen Politikern betrieben worden und kann nicht als exogener Verfassungswandel beschrieben werden. Die Franzosen waren mit Systemübertragungen aus eigenem Willen ebenfalls nicht erfolgreich. Die Modellierung des Schulwesens nach französischer Tradition konnte keine Wurzeln schlagen, und auch der Versuch, die Verwaltungselite nach französischem Muster auszubilden, ist fehlgeschlagen. Entsprechende Institutionen haben sich entweder auf deutsche Tradition zuentwickelt oder haben andere Funktionen erhalten.

Diese gescheiterten Versuche forcierter Systemübertragungen bedeuten aber nicht, daß nicht wichtige Verfassungsgrundsätze aus den drei westlichen Systemen in deutsches Verfassungsrecht Eingang gefunden hätten. Nur läßt sich eben nachweisen, daß bleibende Bestandteile von deutschen Verfassungspolitikern selbst eingebracht worden sind. Nur diejenigen alliierten Grundsätze sind geblieben, die auch von deutschen Politikern vertreten worden sind bzw. in der deutschen Tradition standen, wie das Wahlrecht, die lokale Selbstverwaltung, Föderalismus und Parlamentarismus, Grundrechte und Wirtschaftsrechte, das Widerstandsrecht und die Ausstattung der Verfassungsgerichtshöfe mit weitreichenden Kompetenzen, das richterliche Prüfungsrecht etc. Die Rolle der Westalliierten kann während der Gründungsphase der Bundesrepublik allerdings über Verfassungsprozesse allein nicht angemessen bestimmt werden, denn auf Gebieten, die nicht im Zentrum der Länderkompetenz bzw. im Vor-und Umfeld der Beratungen in der Zuständigkeit der Alliierten selbst standen, wurden Entscheidungen getroffen, die sich verfassungspolitisch nicht notwendigerweise niederschlugen. Dies gilt für alle drei Westalliierten.

So haben die Briten vor allem in der Lokalverwaltung und in der Wahl-und Sozialisierungsgesetzgebung ihren Einfluß geltend machen können, die Franzosen waren insbesondere im kulturellen Bereich initiativ geworden und haben den Zugang zum literarischen Schaffen in Frankreich eröffnet, das bis dahin weithin unbekannt war; auch die Einflußnahme auf den Schul-und Hochschulbereich durch Änderung der Curricula und Neugründung von universitären Institutionen in Rheinland-Pfalz müssen erwähnt werden. Die Rolle der Amerikaner muß vor allem im Hinblick auf den Aufbau des Weststaats, der späteren Bundesrepublik, bestimmt werden. Eine Korrektur der bislang in der Literatur vertretenen Positionen bezüglich des Föderalismus erscheint hier angebracht. Auch wenn die Schaffung eines dezentralen Aufbaus sicherlich als Grundkonzeption feststand, so wirkten die Amerikaner früher und nachhaltiger als die Briten und Franzosen auf die Stärkung zentraler Verbindungen hin. An einem durch Partikularisierung und Dezentralisierung geschwächten Weststaat war den Amerikanern aus außenpolitischen Gründen nicht gelegen. Die Stärkung zentraler Kompetenzen war somit nicht nur ein wirtschaftspolitisches Motiv (die Suspendierung des Sozialisierungsartikels in Hessen wurde mit Verweis auf zentralstaatliche Kompetenzen vorgenommen), sondern lag in der Logik des beginnenden Ost-West-Konflikts.

Aus der Analyse der Entstehung von Länderverfassungen ergeben sich zwei wichtige Funktionen der Westmächte im Prozeß der Verfassungsgebung: Die Militärregierungen wirkten im allgemeinen im Sinne der Stärkung demokratischer Rechte. Zu diesem Urteil kommt auch Feuchte, der die „Anregungen“ vor allem als „Stärkung der Selbstverwaltung, des demokratischen Elements und dem Schutz der Grundrechte durch die Gerichte qualifiziert“ Dieser Eindruck war auch 5 durchaus bei Zeitgenossen präsent. Für den bayerischen Verfassungsvater Wilhelm Hoegner bestand der Einfluß der Besatzungsmacht vor allem (darin, die Freiheitsrechte des Bürgers zu sichern, gemeinwirtschaftliche Regelungen zu verhindern und einen künftigen Bundesstaat vorzubereiten.

In diesem Sinne wirkten die Amerikaner, als sie in Bayern die Rücknahme zu weitgehender Einschränkungen der Presse forderten, im Falle eines Notstands die Einschränkung von Grundrechten verlangten, den Ausschluß der Öffentlichkeit an das Votum des Parlaments und nicht der Staatsregierung banden, die Wahl von Repräsentanten privater und öffentlicher Organisationen für den Bayerischen Senat an demokratische Grundsätze knüpften, die Einschränkung des Rechtes zur Errichtung von Zwangsverbänden verlangten ebenso wie die Herabsetzung der Zehnprozentklausel auf fünf Prozent bei Landtagswahlen.

Die Franzosen bemängelten zu weitgehende, nicht parlamentarische Einschränkungen von Grundrechten im Notstand und insistierten auf einem Referendum für Verfassungsannahme und -änderungen. Die Ablösung der Regierung sollte schon durch Mehrheitsentscheid möglich sein und nicht zwei Drittel der Stimmen erforderlich machen. In der Schulfrage favorisierten sie das offenere System der christlichen Gemeinschaftsschule. Sie wandten sich gegen eine Volkswahl des Staatspräsidenten und befürworteten das Ein-kammer-System in den Ländern. Die Briten schließlich wirkten im Sinne der Stärkung kommunaler Selbstverwaltung sowie der Grundrechte, deren Aufnahme in die Verfassungen sie ab 1947 verlangten.

Die wohl wichtigste Rolle der westlichen Alliierten muß jedoch in der Organisation des Verfassungsgebungsprozesses gesehen werden: Sie initiierten den Prozeß, planten die Termine, beauftragten Gremien und Mitglieder, vermittelten bei ins Stocken geratenen Verhandlungen. Im Bilde chemischer Prozeßabläufe kann diese Rolle vor allem auf amerikanischer Seite als Katalysator, also als Reaktionsbeschleuniger, bestimmt werden. Die Franzosen und Engländer nahmen diese Rolle erst ein, als auch sie die Entscheidung für die Weststaatslösung getroffen hatten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. L. D. Clay, U. S. Policy in Germany, in: The Papers of General Lucius D. Clay, 1974, S. 240.

  2. Public Record Office (PRO), FO 371/55588.

  3. Telegramm L. D. Clays an das Kriegsministerium vom 24. 8. 1946, in: BA, OMGUS CAD 17/255-2/24.

  4. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945— 1949, Bd. 1: September 1945 bis Dezember 1946, München 1976, S. 550.

  5. Vgl. Civil Administration Division, 20. July 1946: Military Government Relationship to the Work of the Constituent Assemblies, in: IfZ-Archiv, OMGUS Selected Records, MA 1420/9.

  6. Ebd.

  7. Ebd.

  8. Vgl. „Report and Recommendations on Drafts of Constitutions for Bavaria, Wuerttemberg-Baden, and Hessen“, in: IfZ-Archiv, OMGUS Selected Records, MA 1420/9.

  9. Horlacher (CSU), Verfassungsgebende -Landesversammlung (VLV) Bayern, Sten. Ber., 10. Sitzung, 26. 10. 1946, S. 241.

  10. Vgl. Falk, Pingel: Die Russen am Rhein? Zur Wende der britischen Besatzungspolitik im Frühjahr 1946, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1982), und Rolf Steininger, Deutsche Geschichte 1945— 1961. Darstellungen und Dokumente in zwei Bänden, Frankfurt 1983.

  11. Vgl. Verordnung Nr. 57 vom 1. Dezember 1946, Befugnisse der Länder in der britischen Zone, später geändert durch Verordnung Nr. 81 vom 1. März 1947, in: Amtsblatt der britischen Militärregierung 1947.

  12. Vgl. PRO, FO 1033/20, XC/A 51252, Land Constitutions.

  13. Ebd.

  14. Vgl. ebd.

  15. Ebd.

  16. Ebd.

  17. Vgl. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, NW 57, Nr. 11, S. 71 ff.

  18. Constitution Wurtemberg 1946/49, DGAP, Archives Diplomatiques, Ministere des Affaires Etrangers, Paris, Dossier 42, Caisse 231—P. 39.

  19. Frank R. Pfetsch, Die Außenpolitik der Bundesrepublik 1949— 1980, München 1981, S. 123.

  20. Kommentar General Koenig zum Verfassungsentwurf vom 11. 1. 1947, in: Direction de l’Interieur et des Cultes, Baden-Baden, Constitution de l’Etat Rheno-Palatin 1946/49, in: Archives Dipl., MdAE, Dossier 50 A—C.

  21. Ebd.

  22. Statut de la Sarre Novembre 1944—Mars 1946. Direction des Affaires Politiques et Commerciales, in: Archives Dipl., MdAE, Serie Z, Carton 570, Dossier 1.

  23. Organisation territoriale et constitutioneile d’Allemagne 1945— 46, in: Archives Dipl., MdAE, Pol. V A 2.

  24. P. Feuchte, Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, S. 51.

Weitere Inhalte

Frank R. Pfetsch, Dr. rer. pol., geb. 1936; Professor am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg; Studium der Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an verschiedenen Hochschulen des In-und Auslands. Veröffentlichungen u. a.: Zur Entwicklung der Wissenschaftspolitik in Deutschland (1974); Leistungssport und Gesellschaftssystem (1975); Einführung in die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland (1981); Außenpolitik 1949— 1980 (1981); Datenhandbuch der Wissenschaftsentwicklung (1982); Verfassungspolitik der Nachkriegszeit (1985); Datenhandbuch Länderparlamentarier 1949 bis 1953 (1985); Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe, Länderverfassungen 1946— 1953 (1986).