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Die Kulturbeziehungen zwischen Ost und West im KSZE-Prozeß | APuZ 24-25/1986 | bpb.de

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APuZ 24-25/1986 Kooperation mit Kontrasten Über Kulturzusammenhänge im Rahmen eines Abkommens mit der DDR Bedingungen und Perspektiven deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen Die Kulturbeziehungen zwischen Ost und West im KSZE-Prozeß

Die Kulturbeziehungen zwischen Ost und West im KSZE-Prozeß

Hans Lindemann

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit dem Kulturforum in Budapest hat erstmalig ein KSZE-Expertentreffen in einem Mitgliedsland des Warschauer Paktes stattgefunden. Neu an diesem Treffen war, daß an ihm nicht nur Politiker und Diplomaten, sondern auch führende Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur teilnahmen. Trotz der bestehenden ideologischen Gegensätze zwischen Ost und West konnte in vielen Bereichen Übereinstimmung erzielt werden. So waren auf dem Kulturforum 250 Vorschläge zur Verbesserung der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Ost und West eingebracht worden, von denen viele kurz-, mittel-oder langfristig Aussicht auf Verwirklichung haben. Dennoch ist es nicht möglich gewesen, ein substantielles Schlußdokument zu erzielen, da die ideologischen Gegensätze sprachlich nicht überbrückt werden konnten. Eine kurze, von Ungarn entworfene Schlußerklärung, mit der den Teilnehmerstaaten empfohlen worden war, alle in Budapest eingebrachten Vorschläge auf dem HL KSZE-Folgetreffen in Wien im November 1986 zu unterbreiten, scheiterte am Widerstand Rumäniens. Übereinstimmend wurde jedoch in West und Ost anerkannt, daß das Kulturforum eine wichtige Etappe auf dem Weg zur besseren Zusammenarbeit unter den 35 Teilnehmerstaaten war und erfolgreich gearbeitet hat, zumal sich seit dem Abschluß dieses KSZE-Expertentreffens bereits manche Verbesserungen in den Kulturbeziehungen zwischen den westund osteuropäischen Staaten sowie zwischen den USA und einigen Warschauer-Pakt-Staaten ergeben haben.

Einleitung

Während des Madrider KSZE-Folgetreffens (11. November 1980 bis 9. September 1983) hatte Frankreich den Vorschlag unterbreitet, auf einem Kulturforum die Möglichkeiten einer engeren kulturellen Zusammenarbeit zwischen West und Ost zu erörtern Der französische Vorstoß fand einhellige Zustimmung. Daß Ungarn das Kongreßmandat erhielt, verdankte es ebenfalls Frankreich. Im Verlauf des bisherigen KSZE-Prozesses hatten nämlich bislang Folgetreffen und Expertentreffen lediglich in Mitgliedstaaten der NATO sowie in neutralen oder blockfreien Ländern stattgefunden. Erstmalig sollte mit Ungarn nun auch ein Mitgliedsland des Warschauer Paktes ein KSZE-Expertentreffen ausrichten. Auch die USA vertraten die Auffassung, daß Budapest ein ausgezeichneter Platz für diese Beratung sein werde, da nach amerikanischer Meinung Ungarn eine Art Brücke zwischen Ost und West bilden könne, um den Ausbau der kulturellen Beziehungen zwischen den KSZE-Teilnehmerländern zu inspirieren

Im „Abschließenden Dokument“ des Madrider Folgetreffens hieß es dann, daß auf Einladung der Regierung Ungarns in Budapest, beginnend am 15. Oktober 1985, ein „Kulturforum“ stattfinden werde. Neu daran war, daß an diesem Experten-treffen nicht nur Minister und Diplomaten, sondern auch führende Persönlichkeiten der Teilnehmerstaaten aus dem Bereich der Kultur teilnehmen sollten.

Zu einem Vorbereitungstreffen für das Kulturforum 1985 hatte die ungarische Regierung nach Budapest eingeladen, wo vom 21. November bis 4. Dezember 1984 Repräsentanten der 35 Teilnehmerstaaten Einigung über die Tagesordnung und den organisatorischen Rahmen sowie andere Modalitäten erzielten. Hatte der ungarische Außenminister Dr. Peter Värkonyi in seiner Rede anläßlich der Unterzeichnung des Abschlußdokuments des Madrider Folgetreffens den Teilnehmern dafür gedankt, Budapest als einen geeigneten Schauplatz für das Kulturforum anzusehen, erinnerte Staatssekretär Jänos Nagy vom ungarischen Außenministerium in seiner Begrüßungsansprache auf der Expertenkonferenz zur Vorbereitung des Kulturforums daran, daß Europa der Geburtsort solcher geistigen Strömungen wie der Renaissance und der Aufklärung sei, „deren Ausstrahlung wir heute noch spüren“

Auf dem Budapester Vorbereitungstreffen war man übereingekommen, daß die Eröffnungserklärungen von Vertretern der Teilnehmerstaaten und die Ansprache eines Vertreters des Gastgeberlandes in öffentlichen Sitzungen abgegeben werden, die Erörterung der Themen, wie der Austausch in den verschiedenen Bereichen der Kultur gefördert und ausgeweitet werden kann, jedoch in nichtöffentlichen Sitzungen stattfinden solle. So war festgelegt worden, daß die führenden Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur in vier Arbeitsgruppen vom 21. Oktober bis 15. November 1985 gemeinsam mit Diplomaten und Ministern die Ausweitung der Zusammenarbeit in folgenden Sparten beraten sollten: — Bildende und Angewandte Kunst Malerei, Graphik, künstlerische Photographie, Bildhauerei, Design, Architektur, Erhaltung kultureller und historischer Denkmäler; — Darstellende Kunst Theater, Tanz/Folklore, Musik, Film, kulturelle Programme in Rundfunk und Fernsehen; — Literatur Literatur, Publizieren und Übersetzen, auch mit Bezug auf weniger verbreitete Sprachen der Teilnehmerstaaten; — Gegenseitige kulturelle Kenntnis Forschung, Bildung und Ausbildung auf dem Gebiet der Kunst, Bibliotheken, kulturelles Erbe, Erhaltung und Achtung der Mannigfaltigkeit und der Eigenart der Kulturen der Teilnehmerstaaten, Museen, Ausstellungen.

Nichtöffentlich sollte auch die Ausarbeitung von Schlußfolgerungen des Kulturforums vorgenommen werden, während der offizielle Abschluß dieses KSZE-Expertentreffens mit der Abgabe von Schlußerklärungen der Teilnehmerstaaten wieder öffentlich sein sollte

I. Dialog der Gegensätze

Vorbereitung des Kulturforums und erste Auseinandersetzungen Auch wenn das KSZE-Kulturforum in Budapest, an dem rund 800 Delegierte teilnahmen, von seinem Umfang und der Vielfalt her einmaligen Charakter hatte, gab es doch nach dem Zweiten Weltkrieg schon mehrere Ansätze, die Ost-West-Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet zu beleben. Bereits zehn Jahre vor der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte von Helsinki hatte im Sommer 1965 auf Initiative des österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas in Wien ein Expertentreffen stattgefunden, an dem sich Persönlichkeiten des kulturellen Lebens aus beiden Teilen Europas und den USA beteiligten. Der ungarische PEN-Club-Präsident Ivan Boldiszär und der tschechoslowakische Schriftsteller Jiri Häjek — beide waren auch wieder Mitglieder der Delegationen ihrer Länder auf dem KSZE-Kulturforum — machten damals den Vorschlag, es solle eine europäische Kulturzeitschrift gegründet werden, in der Schriftsteller aus ganz Europa publizieren können. Die Überlegungen gingen 1965 schon so weit, ob diese Zeitschrift in Prag oder Budapest erscheinen solle. Doch nach der sowjetischen Intervention in der CSSR im August 1968 waren weitere Diskussionen über eine gemeinsame europäische Kulturzeitschrift zurückgestellt worden, die dann erst im Herbst 1985 auf dem Budapester Kulturforum wieder aufgenommen wurden.

Was dort im großen diskutiert wurde, hatten vier Politiker bereits im Juli 1985 in Wien im kleinen versucht: Der österreichische Bundeskanzler Dr. Fred Sinowatz hatte die Kulturminister Un-garns und der DDR, Prof. Dr. Bela Köpeczi und Dr. Hans-Joachim Hoffmann, sowie den Bundes-geschäftsführer der SPD, Dr. Peter Glotz, zu einem Dialog über die kulturelle Identität Europas eingeladen. Das, was wenige Monate danach auch in Budapest zu einem Streitpunkt wurde, nämlich die Organisation von Meinungsfreiheit und Toleranz, darüber war man auch in Wien zu keiner Einigung gelangt. Es blieb bei einem „Dialog der Gegensätze“

In Budapest nicht gegenseitig aufrechnen Inzwischen waren die KSZE-Teilnehmerländer an die Arbeit gegangen, um ihre Delegationen für Budapest zusammenzustellen. Die Delegationen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gehörten zu den größten, die an diesem Kulturforum teilnahmen. Hatte es zwischen vielen EG-und NATO-Staaten vor Beginn des Expertentreffens in Budapest bilaterale Gespräche gegeben, so waren auch die stellvertretenden Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten am 10. und 11. September 1985 in Budapest zu einem gesonderten Konsultativtreffen über die Vorbereitungen des Kulturforums zusammengekommen dabei waren die allgemeine Marschroute festgelegt und einige Korrekturen vorgenommen worden.

Das wird offensichtlich, wenn man zwei in der DDR erschienene Grundsatzartikel zum Kulturforum miteinander vergleicht, wobei der eine kurz vor dem Vorbereitungstreffen, der andere vor Eröffnung des Kulturforums erschienen war. Hieß es im November 1984 noch, „die aggressivsten Kreise des Imperialismus“ seien bestrebt, „Kultur und Kunst ihrer gegen den Sozialismus gerichteten Kreuzzugspolitik“ unterzuordnen und wollten deshalb auch „das Budapester Kulturforum in ihren Kurs der Konfrontation einordnen“, so rückte das DDR-Außenministerium im Oktober 1985 von dieser Beurteilung des Auftretens westlicher Staaten in Budapest ab. Der zweite Beitrag trägt nicht nur die Überschrift „Für konstruktiven Dialog und Suche nach Verständigung“, sondern ist auch in einem versöhnlichen Ton gehalten. Hatte der Autor elf Monate zuvor selbst noch polemisiert, plädierte er nun dafür, „auf unnötige polemische Zuspitzungen zu verzichten und die Probleme positiv mit der Absicht einer weiteren Förderung des europäischen Prozesses anzugehen“. Eine gegenseitige Aufrechnung sei nicht das Ziel des Forums; in der Natur der Sache liege es vielmehr, „wenn sich Vertreter sozial gegensätzlicher Sphären begegnen. Aber unterschiedliche Wertvorstellungen und Konzeptionen sollten nicht Anlaß zur Konfrontation, sondern gerade zum Dialog sein. In Budapest sollte nicht der Wunsch dominieren, dem anderen Schläge zuzufügen und Punkte zu sammeln.“ So war unverkennbar, daß wenige Wochen vor dem Treffen zwischen Generalsekretär Michail Gorbatschow und Präsident Ronald Reagan in Genf die Warschauer-Pakt-Staaten keine Konfrontation suchten und auch „der Geist des konstruktiven Dialogs, des Suchens nach Verständigung in Grundfragen das Klima in Budapest bestimmen“ sollten, wie es in dem zweiten Grundsatzartikel hieß.

Für umfassenden Kulturaustausch Am Rande der 40. UNO-Vollversammlung hatten Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und DDR-Außenminister Oskar Fischer intensiv über das Budapester Kulturforum gesprochen; beim Vorbereitungstreffen der Delegation der Bundesrepublik Deutschland zum KSZE-Kulturforum plädierte der Bundesaußenminister für einen umfassenden Austausch, der „die Vielfalt der europäischen kulturellen Identität zum Ausdruck bringt“. Ein erfolgreicher Verlauf des Kulturforums werde von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Weiterführung des KSZE-Prozesses sein Aber nicht nur die beiden deutschen Staaten, auch das neutrale Österreich erwarteten vom ersten KSZE-Treffen im kulturellen Bereich eine Dynamisierung des KSZE-Prozesses, da Isolation und Abkapselung die schöpferischen Kräfte der Völker auf die Dauer schwer beeinträchtigen

Die kulturelle Zusammenarbeit über die Grenzen, auch die Systemgrenzen hinweg in ganz Europa bleibt deshalb ein wichtiges Ziel. „Sie ist schon jetzt nicht Aschenbrödel, sondern wird von den Europäern und ihren Regierungen in West und Ost als ein unentbehrlicher Teil des Dialogs zwischen den Menschen und Völkern und der zwischenstaatlichen Kooperation verstanden.“

Kein Streitplatz der Supermächte Die tiefen ideologischen Gegensätze zwischen Ost und West waren in Budapest bereits aus den Eröffnungserklärungen von Vertretern der Teilnehmerstaaten herauszuhören. Forderten die Delegierten der westlichen und neutralen Staaten die freie Verbreitung künstlerischer Schöpfungen über alle Grenzen hinweg und das Recht jeden Künstlers, sich an die Orte zu begeben, die sein Schaffen inspirieren, so stellten die meisten Warschauer-Pakt-Staaten die Verantwortung des Künstlers für den Frieden oder den Kampf gegen die „Auswüchse“ der Kulturindustrie in den Vordergrund. Diese grundsätzlich unterschiedliche Auffassung kennzeichnete die Stellungnahmen, wobei die Sprecher der Warschauer-Pakt-Staaten — mit Ausnahme Ungarns — detailliert darüber berichteten, wieviele Ensembles sie ins Ausland entsandten, wie groß die Zahl der sie besuchenden ausländischen Kulturgruppen war und wie groß die Auflage der übersetzten ausländischen Autoren ist, um damit ihre Weltoffenheit zu beweisen

Budapest war in der ersten Konferenzwoche zwar nicht zum Streitplatz der beiden Supermächte geworden, deren Delegierte ihre Kritik ohne große Schärfen vorbrachten, aber es kam zu harten Auseinandersetzungen auch jenseits der Machtblöcke zwischen Bulgarien und der Türkei, zwischen Griechenland und der Türkei sowie zwischen der griechischen Republik Zypern und der Türkei, wobei auch noch das blockfreie Jugoslawien verhalten Kritik anmeldete, ohne dabei Bulgarien namentlich zu erwähnen. Die Türkei kritisierte die bulgarische Minderheitenpolitik, das Leugnen eines türkischen Bevölkerungsteils in Bulgarien; die Regierung in Sofia sei dazu übergegangen, die türkische Identität eines Teils der bulgarischen Staatsbürger zu zerstören. Bulgarien ließ darauf eine Erklärung zirkulieren, in der es hieß, daß es in diesem Land keine türkische nationale Minderheit gäbe, obwohl man in Nachschlagewerken, die in anderen in Warschauer-Pakt-Staaten erschienen sind, nachlesen kann, daß acht Prozent der bulgarischen Staatsbürger türkischer Nationalität sind.

Da die jugoslawische Delegation von einem mazedonischen Schriftsteller geleitet wurde, lag es nahe, daß dieser ebenfalls eine Anspielung auf Bulgarien machte, welches beharrlich eine mazedonische Minderheit im Lande leugnet und von Zeit zu Zeit die jugoslawische Mazedonienpolitik kritisiert. Das veranlaßte den jugoslawischen Delegationschef zu dem Hinweis, in seinem Land habe man manchmal das Gefühl, daß man plötzlich aus dem Hinterhalt angegriffen werde. Zypern wiederum hielt das Kulturforum für den geeigneten Platz, schwere Beschuldigungen gegen die Türkei vorzubringen. Nach der türkischen Invasion Nordzyperns im Jahre 1974 seien dort kulturelle Werte zerstört oder geplündert worden, da die Türkei mit der militärischen Intervention die Zerstörung der kulturellen Identität verbunden habe. Deshalb müsse auf einem Kulturforum die Zerstörung und der Raub zyprischen kulturellen Erbes angeklagt werden

Minderheiten — Brücke zu den Nachbarn Das Thema „kulturelle Entfaltung nationaler Minderheiten“ war in Budapest von vielen Delegierten behandelt worden. Einige der Teilnehmer-länder, die zum Warschauer Pakt gehören, waren sich voll bewußt, daß diese Thematik eine sehr wichtige Rolle spielen werde. So hatten sowohl die Sowjetunion als auch die DDR und Ungarn Angehörige ihrer nationalen Minderheiten in die Delegationen aufgenommen. Rumänien hatte darauf allerdings verzichtet; seine Delegation bestand ausschließlich aus Angehörigen des diplomatischen Dienstes. Der rumänische Delegationschef war jedoch in seiner Eröffnungserklärung kurz auf die Situation der Minderheiten in Rumänien eingegangen. Dabei ging er allerdings nicht ein auf die Gewährleistung einer ungehinderten

Ausübung der kulturellen Rechte der nationalen Minderheiten in Rumänien.

Der Leiter der Delegation der Bundesrepublik Deutschland beim Kulturforum wies indes auf die Minderheiten deutscher Sprache und deutscher Kultur in einigen Ländern Südosteuropas hin und bezeichnete sie als Brücke zu den Nachbarn dieses Raumes, in deren Mitte sie leben. Deshalb gelte für die Menschen deutscher Kultur in anderen Ländern Europas, soweit sie sich in Gleichberechtigung und Toleranz entfalten könnten, dasselbe Die Situation der zwei Millionen in der Sowjetunion lebenden Deutschen war zwar nicht direkt angesprochen worden, doch daß sie sich dort nicht in Gleichberechtigung und Toleranz kulturell entfalten können, dafür gibt es viele Beispiele. Der sowjetischen Delegation in Budapest hatte kein sowjetdeutscher Künstler angehört, obwohl es nahegelegen hätte, z. B. auf die erfolgreiche Arbeit des Deutschen Dramentheaters in Temirtau/Kasachstan zu verweisen. Dafür hob die DDR die Pflege der sorbischen Kultur hervor, jener kleinen westslawischen Minderheit, die von Ost-Berlin mit etwa 100000 Bürgern angegeben wird

Da jeder vierte Ungar außerhalb Ungarns lebt (so vor allem in Rumänien, Jugoslawien, Österreich und der Tschechoslowakei), legte die ungarische Delegation besonderen Wert auf die Behandlung des Themas der kulturellen Betätigung der nationalen Minderheiten. So wurden von Ungarn nicht nur der Nationalismus, nationale Ressentiments sowie jede Form der Assimilation durch Zwang verurteilt. Nach ungarischer Auffassung, so wurde erklärt, könne die Mehrheitsnation den Minderheiten nicht weit genug entgegenkommen; sie müsse ihnen die gleichen, in mancher Hinsicht sogar noch mehr Rechte einräumen, um die sich aus der Minderheitenexistenz ergebenden Nachteile aufzuheben. Für Ungarn sind die nationalen Minderheiten Bindeglieder, die bei der Pflege der Freundschaft zwischen den Donauvölkern eine bedeutende Rolle spielen könnten. Der Kopräsident der Arbeitsgruppe Literatur der ungarischen Delegation zitierte in diesem Zusammenhang — ohne Nennung eines Landes — den 1983 verstor-benen ungarischen Dichter Gyula Illyes Da Illyes sehr offen die rumänische Nationalitäten-politik kritisiert hatte, genügte seine Namensnen-nung, um zu wissen, wen Ungarn auf dem Kulturforum zu einer korrekten Nationalitätenpolitik ermahnen wollte.

II. Tagung hinter verschlossenen Türen

Vorschläge der Teilnehmerstaaten Obwohl doch gerade die Kultur auf die Öffentlichkeit angewiesen ist, fanden auf dem Budapester Kulturforum die Sitzungen der vier Arbeitsgruppen, in denen vor allem die Persönlichkeiten des kulturellen Lebens das Wort ergriffen, hinter verschlossenen Türen statt. Das war auf eine Forderung der Warschauer-Pakt-Staaten zurückzuführen. Die Sowjetunion stellte schließlich auch noch die Forderung, daß alles, was in den Arbeitssitzungen gesagt werde, nicht zu protokollieren sei. Die Folge davon war, daß zwangsläufig viele Ungenauigkeiten ins Spiel kamen, die bei der Vorlage offizieller Protokolle ohne weiteres hätten vermieden werden können. Dennoch ist von allen Teilnehmerländern des Kulturforums gerade die Aussprache in den Arbeitsgruppen, trotz der bestehenden Meinungsunterschiede, als sehr erfolgreich und fruchtbringend bezeichnet worden. Denn dabei konnten viele Wege aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten im Kulturaustausch bestehen und wo es Bereiche gibt, die entweder überhaupt noch nicht oder nur sehr unbefriedigend genutzt werden.

Auf dem Kulturforum wurden insgesamt 250 Vorschläge unterbreitet, wie die Zusammenarbeit zwischen den 35 KSZE-Teilnehmerstaaten verbessert werden kann. Ein großer Teil dieser Vorschläge wird sicherlich erst längerfristig zu verwirklichen sein. Aber in Budapest wurden auch Vorschläge gemacht, die sich bereits kurz-oder mittelfristig realisieren lassen. Dabei gab es eine Reihe von Projekten, denen spontan Mitgliedstaaten der beiden Machtblöcke und blockfreie Länder zustimmten. Eine Reihe von Vorschlägen fanden wiederum nur bei zwei, drei oder vier Staaten besonderes Interesse, die nach dem Kulturforum diese Pläne der Zusammenarbeit weiter verfolgen wollen. Einhellig ist man auch in Ost und West der Auffassung, daß die in Budapest gemachten Vor

Schläge nicht in einem Aktenschrank verstauben dürfen. Während der Arbeitssitzungen war deshalb der Vorschlag gemacht worden, ein sogenanntes Budapester Register anzulegen, das dann auch beim III. KSZE-Folgetreffen in Wien im November 1986 eingebracht werden könnte. So bestechend dieser Vorschlag auch war, so fand er natürlich auch Kritiker. Denn mehreren Teilnehmerstaaten war die Veröffentlichung eines solchen Registers unangenehm. Sie fürchteten, daß sich dann Bürger ihres Landes auf gewisse Inhalte dieses Registers berufen und entsprechende Forderungen stellen könnten. „Schatz der Ideen“

Die 250 unterbreiteten Vorschläge sind jedoch in Budapest schriftlich festgehalten worden. Und so ist es nicht ausgeschlossen, daß sich damit auch andere Gremien, etwa der Internationale PEN-Club, beschäftigen werden, was mit diesem „Schatz der Ideen“, wie der italienische Delegationschef Giulio Tamagnini das Budapester Register nannte, geschehen soll. In der „Budapester Schatztruhe“, wie Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher die Vorschläge bezeichnete, ruhen auch wichtige Anregungen, die von der Delegation der Bundesrepublik Deutschland und einzelnen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens eingebracht worden sind. Dazu gehört der von allen EG-und NATO-Staaten mitgetragene Vorschlag, daß jeder Teilnehmerstaat, der dies wünscht, in jedem anderen Teilnehmerstaat ein Kulturinstitut eröffnen kann, wobei der ungehinderte Zugang der Öffentlichkeit gewährleistet sein müsse. Das Recht, nach freier Wahl der einzelnen Teilnehmerstaaten in anderen Teilnehmerstaaten Kulturinstitute eröffnen zu können, wäre in der Tat eine großartige Sache. Schließlich ist es längst zur Selbstverständlichkeit geworden, daß die KSZE-Teilnehmerstaaten gegenseitig Handels-vertretungen einrichten, was nur selten auf Vorbehalte oder Schwierigkeiten gestoßen ist.

Dieser Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland, der auch bei den neutralen und blockfreien Ländern, die in Budapest vertreten waren, auf Interesse stieß, wird in den Warschauer-Pakt-Staa37 ten keineswegs einstimmig abgelehnt. In Rumänien ist die Bundesrepublik Deutschland bereits seit November 1979 durch ein Kulturinstitut vertreten. Frankreich verfügt über ein Kulturinstitut in Ost-Berlin und in einigen Hauptstädten der Warschauer-Pakt-Staaten. Das neutrale Österreich ist durch Kulturinstitute in Warschau und Budapest präsent und strebt die Eröffnung eines Kulturinstituts in Prag an. Die DDR und Italien sind längst übereingekommen, gegenseitig Kulturinstitute einzurichten, auch wenn die Verwirklichung dieser Übereinkunft noch auf sich warten läßt. Ablehnend hatte sich vor allem die Sowjetunion verhalten. Sie hat bisher auch nicht einmal der Einrichtung von Kulturinstituten der anderen Warschauer-Pakt-Staaten in Moskau zugestimmt, so daß kein einziges Land in der sowjetischen 'Hauptstadt mit einem Kulturinstitut vertreten ist.

Kulturstadt Europas Ein weiterer Vorschlag Bonns betrifft die Ausrufung einer Kulturstadt Europas, woran selbstverständlich auch Städte in den Warschauer-Pakt-Staaten teilnehmen können. Dies geht auf einen Beschluß des Europäischen Rats auf seiner Sitzung im Sommer 1983 in Stuttgart zurück, in jedem Jahr eine Stadt zur kulturellen Hauptstadt Europas zu erklären, wobei 1985 mit Athen begonnen wurde und in den darauffolgenden Jahren bis 1988 als kulturelle Hauptstädte Florenz, Amsterdam und Berlin (West) folgen. Bundes-außenminister Genscher stellte schon vor Beginn des Kulturforums die Frage, ob die Zeit nicht bereits dafür reif sei, das ganze Europa bei der Auswahl der kulturellen Hauptstadt einzubeziehen, wobei Künstler aus Polen dann vielleicht Warschau oder Krakau und die aus Ungarn Budapest oder die aus der CSSR Prag als kulturelle Hauptstadt vorschlagen könnten Mag als erster Schritt nach der Ausrufung von Kulturstädten Europas innerhalb des Bereichs der Europäischen Gemeinschaft auch zunächst die Stadt eines neutralen Landes dafür in Betracht kommen, so wäre danach Budapest als Kulturhauptstadt Europas ein durchaus realistisches Ziel, zumal in Wien sogar das Projekt einer gemeinsamen Weltausstellung der Städte Wien und Budapest verfolgt wird

Als weiterer Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland wurde die Wahrung und Pflege des gemeinsamen kulturellen Erbes, insbesondere die Erhaltung und Restaurierung historischer Städte, eingebracht. Auch das war eine realistische Anregung, die durchaus bei Teilnehmerländern aus Ost und West auf Zustimmung stieß. Schließlich gibt es bereits Städtepartnerschaften zwischen Hansestädten in der Bundesrepublik Deutschland, Polen und den baltischen Sowjetrepubliken, wobei der Erfahrungsaustausch bei der Restaurierung historischer Gebäude eine wichtige Rolle spielt — haben sich doch polnische Fachleute bei der Restaurierung bedeutender Bauwerke in der Bundesrepublik Deutschland einen hervorragenden Ruf erworben

Europäische Kulturstiftung nach Budapest?

Ein vierter deutscher Vorschlag, der auch in den Entwurf eines Schlußdokuments der EG-und NATO-Staaten aufgenommen wurde, stammte von dem deutschen Schriftsteller Günter Grass. Er besagt, es solle die Möglichkeit geprüft werden, eine Kulturstiftung der KSZE-Teilnehmer-staaten ins Leben zu rufen, deren Ziel es wäre, die Bedingungen und Möglichkeiten für das künstlerische Schaffen zu verbessern, die Verbreitung von Kultur innerhalb der KSZE-Teilnehmerstaaten zu erleichtern sowie den Austausch und die Zusammenarbeit im Bereich der Kultur zwischen ihnen zu fördern.

Als Hauptsitz dieser kulturellen Clearingstelle war Budapest vorgesehen, wobei zwei Zweigstellen in Wien und Amsterdam — also in einem neutralen und einem NATO-Staat — ihre Arbeit aufnehmen sollten. Diese europäische Kulturstiftung soll — nach dem Vorschlag von Günter Grass — eine eigene Zeitschrift herausgeben, einen Fernsehkanal sowie ein gemeinsames Archiv besitzen. Bei diesem Vorschlag dürfte es sich um ein Projekt handeln, das keineswegs kurz-oder mittelfristig verwirklicht werden kann, worüber sich auch Grass im klaren war, als er in Budapest hinzufügte, daß „ohne eine konkrete Utopie kein Fortschritt zu erzielen“ sei. War seine Anregung in einigen Warschauer-Pakt-Staaten zunächst skeptisch aufgenommen worden, kam später verhaltene und aus Ungarn freudige Zustimmung, wo man sich wegen des vorgeschlagenen Hauptsitzes der Kulturstiftung mit Recht geehrt fühlte

Budapest soll aber auch noch Sitz eines internationalen Folklore-Zentrums der 35 KSZE-Signatarstaaten werden. Das hatte die Delegation Spaniens vorgeschlagen. Sie meinte, dieses Zentrum solle den Namen des bedeutenden ungarischen Komponisten Bela Bartök tragen, weil dessen Schaffen in der ungarischen Volksmusik verwurzelt ist. Diese Anregung Spaniens wurde in den Katalog von Vorschlägen der EG-und NATO-Staaten aufgenommen mit dem Hinweis, die Möglichkeit zu prüfen, daß das Folklore-Zentrum für die Sammlung, Katalogisierung und Veröffentlichung des Erbes an Volksbräuchen der Teilnehmerstaaten zu Bildungszwecken zuständig sein solle Auch das ist ein Projekt, das in Ost und West weitgehende Zustimmung fand, dessen Verwirklichung aber aus finanziellen Gründen ebenfalls erst langfristig geplant werden kann.

Europäisches Jugendorchester Es wurden in den Arbeitssitzungen aber auch eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die durchaus schon innerhalb kürzester Frist verwirklicht werden könnten, weil sie einmal mit wenig finanziellen Kosten verbunden sind und zum anderen dabei keine politischen Vorbehalte bestehen. Zu diesen Vorschlägen gehört die auch von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragene Anregung, ein europäisches Jugendorchester zu gründen, dem Musiker aus West und Ost angehören sollen. Bislang gibt es Jugendorchester nur auf bilateraler Ebene, so beispielsweise für die Bundesrepublik und Frankreich oder von Jugendlichen der DDR und Polens. Auch die Idee, eine „Europäische Bibliothek“ herauszugeben, ließe sich relativ schnell verwirklichen. Darunter wird die Herausgabe einer Kollektion der besten Prosawerke verstanden, die in diesem Jahrhundert von Schriftstellern europäischer Länder geschaffen worden sind Zustimmung hatte dieses Projekt sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR gefunden, wo man sich an einem europäischen verlegerischen Unternehmen beteiligen würde.

Die gemeinsame Entwicklung des Bibliothekswesens war von Norwegen, der DDR, der Bundesrepublik, der SSR, Großbritannien und den USA angeregt worden. Der Plan, eine Europäische Vereinigung für Kulturforschung einzurichten, war in Budapest sogar bei noch mehr Staaten aus Ost und West auf Zustimmung gestoßen.

Ein gemeinsamer Vorschlag über die Ausrichtung von Kolloquien, Ausstellungen und Festivals stammte von zwei EG-, einem neutralen und drei Warschauer-Pakt-Ländern. Er war von Italien, Luxemburg, Österreich, der DDR, der ÖSSR und der UdSSR eingebracht worden. So lautete denn auch eine Bonner Zwischenbewertung des Kulturforums elf Tage vor dessen Abschluß, daß Budapest bereits die Funktion erfüllt habe, zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten über die Ost-West-Grenze hinweg zu schaffen. Denn in erfreulichem Maße sei es gelungen, den Dialog zwischen den Künstlern aus West und Ost zustande zu bringen. Was jedoch die Abschlußerklärung betreffe, so solle darin die KSZE-Schlußakte von Helsinki nicht verwässert, sondern verbessert werden

Sprach Osteuropa mit einer Stimme?

Auch wenn die Generallinie auf der Vorbereitungskonferenz der stellvertretenden Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten für das Kulturforum in großen Zügen festgelegt worden war, haben die kleinen und mittelgroßen Partner der Sowjetunion im Bündnis den vorhandenen Spielraum weitgehend ausgenutzt. Nach Beobachtungen eines Mitglieds der Delegation der Bundesrepublik Deutschland mußte es den kleinen und mittelgroßen Warschauer-Pakt-Staaten um eine eigenkulturelle Abgrenzung gegenüber der allmächtigen Sowjetunion gehen. Die Sowjetunion ihrerseits suchte dagegen Europa von den USA abzuspalten und ließ in diesem Sinn Europastärkendes zu In der Tat fällt es schwer, auseinanderzuhalten, was nun in den Reden und Vorschlägen aus den kleinen und mittelgroßen War-schauer-Pakt-Staaten zur kulturellen Zusammen-arbeit in Europa auf Eigeninitiative dieser Länder zurückging und was auf „Bestellung“ der Sowjetunion vorgebracht wurde. Wenn — außer von Ungarn — von den Delegationschefs der War-schauer-Pakt-Staaten geradezu mit buchhalterischer Akribie aufgezählt wurde, welche kulturellen Leistungen sie im In-und Ausland vollbrächten, so können diese übereinstimmenden Aussagen nicht zufällig gewesen sein. Rückblickend hat auch ein maßgebender Kulturfunktionär der DDR es offenbar als Manko empfunden, daß der DDR-Kulturminister in Budapest ein Beispiel nach dem anderen über die Pflege des Kulturerbes in der DDR verlas: „Überhaupt nicht einzusehen ist, warum wir uns manchmal bei solchen Gelegenheiten in die Rolle von Angeklagten bequemen und zum Beweise unserer Unschuld geradezu beflissen aufzählen, was alles aus bürgerlicher Kultur bei uns in pflegerischen Händen ist.“

Die Beobachtung von einer kulturellen Abgrenzung gegenüber der Sowjetunion trifft beispielsweise auf Ungarn zu. Dort sind 1983 und 1984 weit mehr Filme in westliche als in Warschauer-Pakt-Staaten exportiert worden, wobei Rumänien, Bulgarien und die Sowjetunion die wenigsten ungarischen Filme abnahmen; an der Spitze stand hingegen das kulturell noch immer eigenwillige Polen, gefolgt von der SSR und der DDR. Bei den ins Ungarische übersetzten belletristischen Werken stand 1984 nicht etwa die Sowjetunion an erster Stelle, sondern Großbritannien, gefolgt von Frankreich und den USA. Danach kam erst die russische und sowjetische Literatur, deren Auflage in Ungarn nicht viel höher als die der deutschsprachigen Verfasser aus Ost und West ist Daß die Belletristik aus drei bedeutenden westlichen Ländern, die auch noch der NATO angehören, die größte Auflage in Ungarn hat, ist sicher auch vielen Schriftstellern in Osteuropa nicht bekannt gewesen. Nach Budapest, so schrieb jedenfalls ein namhafter Erzähler und Essayist der DDR, laute seine Frage, die er sich nach dem Kulturforum stelle: „Wo liegen die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede im kul-turellen Selbstverständnis der sozialistischen Staaten?“ 24)

Kein Krach zwischen Ost-Berlin und Bonn Der international angesehene, in der DDR lebende Schriftsteller Stephan Hermlin betonte, daß es zwischen den beiden Delegationen der deutschen Staaten in Budapest zu keiner Zeit irgendwelche Zusammenstöße gab. Es habe Meinungsverschiedenheiten gegeben, aber die waren normal, und man habe über sie auf ruhige Weise gesprochen. Wie unzureichend aber die Information der einzelnen Delegationsmitglieder der DDR über die vom Westen eingebrachten Vorschläge gewesen ist, dafür lieferte dieser hoch angesehene Schriftsteller ein interessantes Beispiel.

Er schrieb, gegen den von Günter Grass eingebrachten Vorschlag für die Bildung einer europäischen Kulturstiftung habe die amerikanische Delegation heftig Front gemacht Hätte ihm das DDR-Außenministerium den westlichen Entwurf einer Abschlußerklärung auf dem KSZE-Kulturforum zur Einsicht überlassen, dann wüßte er, daß die USA den Vorschlag von Günter Grass mit den anderen NATO-Staaten unterstützt haben. Wenn selbst einem so prominenten Schriftsteller der DDR eine für ihn wichtige Information vorenthalten wird, zeigt sich deutlich, wie viel noch im Informationsaustausch über Kulturfragen zwischen Ost und West im KSZE-Prozeß getan werden muß, damit es zur Selbstverständlichkeit wird, daß wichtige Informationen weitergegeben werden.

Als einziges Warschauer-Pakt-Land trat Ungarn dafür ein, die unmittelbaren Beziehungen auch unter Personen, also nicht nur der Institutionen und Unternehmungen im Kulturaustausch mit anderen Ländern zu unterstützen. Auch war mitgeteilt worden, daß in Ungarn die Auswahl der Werke nicht vom anonymen Staat getroffen wird, sondern die Verleger, die Theater, die Filmstudios, die Ausstellungsinstitutionen, die Konzert-büros darüber entscheiden, was sie erscheinen lassen, was sie vorführen und was sie verbreiten

Verfolgte Schriftsteller wurden nicht vergessen Hatten in den Eröffnungserklärungen mehrere Delegationsleiter westlicher und neutraler Staaten auf die Unterdrückung oppositioneller Schriftsteller und Künstler in einigen nichtgenannten KSZE-Ländern hingewiesen, so wurden in der Arbeitsgruppe Literatur vor allem Namen von Autoren in der Sowjetunion und in der Tschechoslowakei genannt, deren Werke nicht erscheinen dürfen oder deren Autoren sich aus politischen Gründen in Haft befinden. Da in dieser Arbeitsgruppe die Rolle der Literatur in Ost und West besprochen wurde, prallten die unterschiedlichen Auffassungen hierbei natürlich härter aufeinander als in den Arbeitsgruppen, in denen man über die Zusammenarbeit der Bibliotheken, den Denkmalschutz oder über den Austausch von Musikensembles und Gemäldeausstellungen sprach. Denn dort, wo über Reiseverbote für Künstler und Zensurmaßnahmen gesprochen wurde, reagierte die östliche Seite entweder mit eisigem Schweigen, Zurückweisungen oder Gegenbeschuldigungen

Mit scharfen Worten hatte auch der Heilige Stuhl Einschränkungen der Religions-und Gewissensfreiheit sowie die Arbeitsbehinderungen für religiös orientierte Literaten und Künstler in verschiedenen Staaten kritisiert. So wurde es als ein schwerer Schlag für Gläubige bezeichnet, wenn sie nicht ihre Bücher, Zeitschriften und religiösen Publikationen oder ihre Lehrbücher für Kinder herausgeben könnten und keinen Zugang zu den Medien hätten. Diese in manchen Staaten vorherrschende „Situation der kollektiven Ungerechtigkeit“ hat nach der Auffassung des Heiligen Stuhls mit dem „Geist von Helsinki“ wenig zu tun

Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland brachte deshalb auf dem Kulturforum gemeinsam mit anderen Delegationen folgende Vorschläge ein, die als Grundsatzfragen künstlerischer Arbeitsbedingungen betrachtet werden können: Die Verwirklichung kultureller Rechte und Freiheiten durch Verbesserung der Bedingungen für Zusammenkünfte, Ausdrucksfreiheit kulturell aktiver Personen und Institutionen, Veranstaltung von Ausstellungen zum Thema der kulturellen Freiheiten, Recht auf Erörterung problematischer Fragen, wozu beispielsweise auch die Behandlung des Themas Zensur gehört. Auch das ungehinderte Reisen aus persönlichen und beruflichen Gründen von in den verschiedenen Bereichen der Kultur tätigen Personen sowie die ungehinderte Verbreitung von Manuskripten, soweit sie nicht Staats-oder Militärgeheimnisse beinhalten, gehörten zu den wichtigsten Vorschlägen, die von der Delegation der Bundesrepublik Deutschland und anderen Delegationen gemeinsam eingebracht worden waren.

Wenn man bedenkt, daß die Zahl der in Budapest eingebrachten Vorschläge 250 beträgt, an denen die Bundesrepublik Deutschland mit 51 beteiligt ist, so unterstreicht das die besonders aktive Mitarbeit dieser Delegation und der einzelnen Delegationsmitglieder

III. Das Ringen um ein Schlußdokument

Der Entwurf der EG-und NATO-Staaten Bei den bestehenden tiefen ideologischen Gegensätzen zwischen Ost und West hatten von vornherein nur geringe Möglichkeiten bestanden, sich auf ein substantielles Schlußdokument zu einigen. Da die Teilnehmer aus den EG-und NATO-Staaten das KSZE-Expertentreffen in Budapest als ein Forum freier Begegnung und Diskussion ansahen, räumten sie von Anfang an der Verabschiedung eines Schlußdokuments keine hohe Priorität ein. Allerdings hätten sie die Annahme eines Schlußdokuments schon deshalb begrüßt, da die westlichen Staaten in Budapest eine Reihe wichtiger Vorschläge im Bereich der kulturellen Zusammenarbeit unterbreiteten.

Im westlichen Entwurf sind durchaus Feststellungen enthalten, die auch von der östlichen Seite akzeptiert werden. So etwa der Hinweis, daß sich seit der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki die kulturelle Zusammenarbeit als stabilisierender Faktor in den Beziehungen zwischen den KSZE-Teilnehmerstaaten erwiesen habe, die Zusammenarbeit in vielerlei Hinsicht aber noch verbessert werden müsse. Daneben enthält der westliche Entwurf jedoch einen sehr umfangreichen Passus, in dem alle die zwischen Ost und West bestehenden Hindernisse und Beschränkungen aufgezählt werden, die auf dem Kulturforum erörtert wurden. Ebenso umfangreich ist aber auch der Katalog, in dem die Teilnehmerstaaten des Kulturforums dringend aufgefordert werden, die bestehenden Hemmnisse zu beseitigen. Zu diesen Forderungen gehört die Möglichkeit für Einzelpersonen, unabhängige Einrichtungen und Organisationen zu gründen oder sich solchen anzuschließen. Privatpersonen sollen das Recht haben, Treffen und Ausstellungen zu veranstalten. Eine weitere wichtige Forderung ist die Abschaffung der Zensur und die Aufhebung der Beschränkungen für den Erwerb, den Besitz, die Vervielfältigung, die Veröffentlichung und die Verteilung von Material aus den verschiedenen Bereichen der Kultur. Aufgehoben werden sollen weiterhin das Verbot, Schreibmaschinen, Textverarbeitungs-und Kopiergeräte privat zu besitzen und zu nutzen. Damit waren entsprechende gesetzliche Bestimmungen in Rumänien gemeint, die die Registrierung aller privat genutzten Schreibmaschinen und das Verbot der privaten Nutzung von Kopiergeräten vorsehen, wobei das Land natürlich nicht erwähnt wurde.

Aber auch die vom Heiligen Stuhl mehrfach vorgebrachte Empfehlung, einzelnen Gläubigen und Glaubensgemeinschaften ungehinderten Zugang zu religiösen Veröffentlichungen und ähnlichem Material zu gewähren, war in den westlichen Entwurf aufgenommen worden. Vor allem in Richtung Sowjetunion und Bulgarien zielte die Forderung, den ungehinderten Empfang von Rundfunksendungen zu gestatten und das Recht des einzelnen, seine Quellen für Information und Kultur durch den Rundfunk frei zu wählen, nicht einzuschränken.

Da Frankreich vorgeschlagen hatte, in Ost und West jedem Bürger das Recht zu sichern, aus den Satelliten-Fernsehprogrammen selbst seine Auswahl treffen zu können, lautete nun der Vorschlag: Es muß Einzelpersonen und Gruppen gestattet werden, sich die notwendige Ausrüstung zum Empfang von über Satelliten ausgestrahlten Fernsehprogrammen zu beschaffen.

Nicht selten war es vorgekommen, daß Persönlichkeiten aus dem kulturellen Bereich Einladungen zu Kongressen in Westeuropa erhalten hatten, die Behörden einiger Warschauer-Pakt-Staaten dann aber nicht die eingeladenen Persönlichkeiten, sondern von ihnen selbst ausgewählte Personen reisen ließen, für die die Einladungen gar nicht gegolten hatten. Deshalb hieß es im westlichen Entwurf des Schlußdokuments, es müsse sichergestellt werden, daß in den verschiedenen Bereichen der Kultur tätige Einzelpersonen ungehindert ins Ausland reisen dürfen. Auch müsse dafür gesorgt werden, daß Personen, die zu offiziellen oder privaten Besuchen in einen anderen Teilnehmerstaat eingeladen werden, Gelegenheit dazu erhalten. Hindernisse für die Teilnahme an Filmfestspielen, einschließlich Beschränkungen des Zugangs der Öffentlichkeit zu solchen Festspielen, sowie die Zensur und Kontrolle darüber, welche Filme gezeigt werden dürfen, müßten ebenfalls beseitigt werden. Das gleiche soll für Aussteller und Besucher von Buchmessen gelten, deren ungehinderte Teilnahme zu sichern sei. Beseitigt werden müßten Zensur und Kontrolle darüber, welche Bücher ausgestellt werden dürfen. Die Annahme dieser Forderung sollte die Arbeit der Aussteller auf Buchmessen in Warschauer-Pakt-Staaten erleichtern und den Besuchern freien Zugang verschaffen.

Zu den als dringend bezeichneten Forderungen im westlichen Entwurf des Schlußdokuments gehörte schließlich auch der Schutz der besonderen Identität nationaler Minderheiten und die freie Ausübung kultureller Rechte durch die ihnen angehörenden Personen. Diesen Personen müsse die ungehinderte Möglichkeit verschafft werden, ihre eigene Kultur in allen ihren Aspekten einschließlich der Religion, der Kulturdenkmäler, historischer Gegenstände, der Sprache und der Literatur . unabhängig zu erhalten und zu entwickeln In diversen Eröffnungserklärungen sowie in den Arbeitsgruppen war vor allem auf die Behinderung nationaler Minderheiten in Bulgarien, Rumänien und der Sowjetunion hingewiesen worden.

Der Entwurf von fünf Warschauer-Pakt-Staaten So selbstverständlich die von westlicher Seite vorgebrachten Aufforderungen und Empfehlungen auch sein mögen, so war doch zu erwarten, daß sie von den Warschauer-Pakt-Staaten in dieser Form nicht akzeptiert werden würden. Die Mehrheit dieser Staaten war nicht an einem Schlußdokument interessiert, in dem für sie so brisante Grundrechte wie etwa die Garantierung des freien Reiseverkehrs für im kulturellen Bereich tätige Persönlichkeiten, der ungehinderte Zugang zu religiöser Literatur oder der ungehinderte Empfang ausländischer Rundfunk-und Fernsehprogramme festgeschrieben würden.

Der von fünf Warschauer-Pakt-Staaten vorgelegte Entwurf eines Schlußdokuments enthält daher viele allgemein gehaltene Formulierungen wie etwa über „die Verantwortung des Künstlers für den Frieden und für die Gesellschaft“, Hinweise über die tiefe Beunruhigung „über die im Ergebnis eines zügellosen Wettrüstens anhaltende internationale Spannung und wachsende atomare Kriegsgefahr“ oder den Aufruf an „alle Kultur-schaffenden, durch ihr Schaffen dazu beizutragen, dem humanistischen Gedankengut des Friedens, des Antimilitarismus, des sozialen Fortschritts ... zum Durchbruch zu verhelfen“.

Ungarn und Rumänien hatten den Entwurf dieses Schlußdokuments nicht mit eingebracht. Beide Länder besaßen dafür besondere Gründe: Ungarn wollte sich als Gastgeberland die Hände freihalten für den Fall, daß keine Einigung über ein Schlußdokument erzielt würde, um — wie schließlich geschehen — selber den Entwurf eines kurzen Schlußdokuments vorlegen zu können, und damit wenigstens einen Minimalkonsens herzustellen. Bei Rumänien waren es andere Gründe. Dieses Land war auf dem Kulturforum direkt und indirekt wegen seiner restriktiven Kultur-und Minderheitenpolitik und wegen der Zerstörung kulturhistorischer Bauten bei der Umgestaltung der Hauptstadt Bukarest sowohl von Warschauer-Pakt-Staaten als auch von westlichen, neutralen und blockfreien Ländern kritisiert worden. Rumänien, das während des gesamten KSZE-Prozesses eine sehr aktive und konstruktive Rolle gespielt hatte, verhielt sich in Budapest außerordentlich passiv. Bukarest hatte es nicht einmal für erforderlich gehalten, rumänische Künstler, geschweige denn Angehörige der dort lebenden nationalen Minderheiten aus dem kulturellen Bereich an der Arbeit des KSZE-Kulturforums teilnehmen zu lassen. Ein mangelndes Interesse an diesem Expertentreffen konnte man auch daraus ablesen, daß in der rumänischen Presse darüber nur in wenigen kleinen Meldungen berichtet wurde, ja nicht einmal in Auszügen die Erklärung des rumänischen Delegationschefs bei der Eröffnung des Kulturforums wiedergegeben worden war. Für Rumänien scheint daher selbst die Formulierung im Passus „nationale Minderheiten“ des Entwurfs eines Schlußdokuments der fünf Warschauer-Pakt-Staaten unannehmbar gewesen zu sein. Darin waren nämlich die Teilnehmer des Kulturforums aufgefordert worden, auf gesetzlicher Grundlage alle Formen der Diskriminierung des Menschen im Bereich der Kultur aufgrund der Rasse, der Sprache oder der nationalen Herkunft zu beseitigen

Die Bemühungen der neutralen und blockfreien Staaten Wie schon auf anderen Treffen während des KSZE-Prozesses bemühten sich auch in Budapest die neutralen und blockfreien Staaten, mit Kompromißformeln eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen. So hatte im Namen dieser Staaten-gruppe Österreich den Entwurf für ein Schlußdokument vorgelegt, welches von östlicher und westlicher Seite positiv aufgenommen wurde. Von beiden Seiten wurden jedoch Änderungswünsche vorgetragen, über die keine Einigkeit erzielt werden konnte. Besonders war in dem Papier der so-genannten N u. N-Staaten (N u. N ist die Abkürzung für neutral und nichtpaktgebunden) auf den neuartigen und ursprünglichen Charakter des Kulturforums hingewiesen worden, daß an ihm führende Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur teilnehmen konnten, was für die Arbeit von großem Nutzen gewesen sei. Auch die Tatsache, daß unterschiedliche und bisweilen einander widersprechende Auffassungen zum Ausdruck gebracht wurden, war in dem Entwurf der N u. N-Staaten insgesamt als nützlich angesehen worden. Scheitern mußte die Annahme dieses Dokuments vor allem aber daran, weil die Sowjetunion darauf beharrte, daß darin die staatliche Kontrolle der Kunst gutgeheißen und verankert werden müsse. Die westlichen, neutralen und blockfreien Länder wiederum wollten auf jeden Fall an Formulierungen im Schlußdokument festhalten, die bereits in die Schlußakte von Helsinki und in andere KSZE-Dokumente Eingang gefunden hatten. So hatte sich die Sowjetunion der Erwähnung der kulturellen Freiheiten und Rechte widersetzt, obwohl diese bereits in der Schlußakte von Helsinki festgelegt sind War von sowjetischer Seite erklärt worden, „die Abordnungen der kapitalistischen Länder“ seien dafür verantwortlich zu machen, daß es zu keinem Schlußdokument gekommen sei (mit der Formulierung „kapitalistische Länder“ sollten auch neutrale Länder mit einbezogen werden), so wurde dies vom Delegationsleiter Luxemburgs im Namen der westlichen Länder zurückgewiesen. Beide Seiten hatten jedoch übereinstimmend den Meinungsaustausch für erfolgreich, nützlich und positiv bezeichnet

Rumänien blockiert Erklärung Ungarns Ungarn hatte als Gastgeberland auf dem Kulturforum hervorragende Leistungen erbracht, was von der überwältigenden Mehrheit der Teilnehmerländer immer wieder besonders hervorgehoben worden war. Ungarn fand deshalb auch volles Verständnis für seinen Vorschlag, man sei es schon den vielen Persönlichkeiten aus dem kulturellen Bereich, die in Budapest auf dem Kulturforum gute Arbeit geleistet hätten, schuldig, wenigstens eine kurzgefaßte Abschlußerklärung zu verabschieden, wenn man sich schon nicht auf ein Abschlußdokument einigen könne. In dem ungarischen Vorschlag war außerdem der Hinweis enthalten, auf Ersuchen der KSZE-Teilnehmerstaaten solle Ungarn auf dem III. KSZE-Folgetreffen, das am 4. November 1986 in Wien beginnt, dort über die Arbeit des Budapester Kulturforums berichten. Danach waren noch zwei Abänderungsvorschläge zum ungarischen Entwurf vorgebracht worden. Österreich ersuchte um die Ergänzung, daß Ungarn in Wien nicht nur über die Arbeit auf dem Kulturforum berichten solle, sondern daß die Teilnehmerstaaten auch über die in Budapest vorgelegten Vorschläge auf dem III. KSZE-Folgetreffen in Kenntnis gesetzt werden sollten. Der Abänderungsvorschlag Frankreichs sah vor, den von Österreich unterbreiteten Text dahin gehend zu ergänzen, daß die Teilnehmer des Wiener Treffens über alle vorgelegten Vorschläge, die in Budapest unterbreitet wurden, in Kenntnis zu setzen seien Einwände gegen diese Ergänzungen wurden von keiner Seite vorgebracht. Die einstimmige Annahme der von Ungarn vorgelegten Schlußerklärung war lediglich an dem Veto Rumäniens gescheitert. Die Begründung Rumäniens für die Ablehnung lautete, es habe kein Interesse an Schlußdokumenten, die keinen Inhalt hätten(!)

IV. Schlußbemerkungen und Ausblick

Sicher wäre es falsch, vom Scheitern des KSZE-Kulturforums zu sprechen, nur weil es zu keinem Abschlußdokument gekommen ist. In den Nach-betrachtungen über das Ergebnis von Budapest ist in Ost und West von Politikern und Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur immer wieder festgestellt worden, welchen großen Nutzen dieser Meinungsaustausch für sie erbracht habe. Machte der stellvertretende Delegationsleiter der DDR die Vertreter einiger NATO-Staaten dafür verantwortlich, daß es zu keinem akzeptablen, substantiellen Schlußdokument gekommen sei, weil der westliche Entwurf eines Schlußdokuments inhaltlich angeblich im Gegensatz zu Geist und Buchstaben der Schlußakte von Helsinki gestanden habe, so zog das ungarische Außenministerium ganz andere Lehren und Perspektiven aus dem Kulturforum. In der ungarischen Analyse heißt es zutreffend, das Streben der neutralen und blockfreien Länder nach Erzielung eines Kompromisses sei durch die politischen und ideologischen Gegensätze vereitelt worden, „die während der Tagung des Forums in erster Linie die sozialistischen und die NATO-Länder getrennt haben“

Nach Auffassung der deutschen Bundesregierung stand in Budapest von Anfang an der Dialog über konstruktive, weiterführende Vorschläge im Mittelpunkt. Signale der Offenheit und Bereitschaft gab es auf dem Kulturforum auch seitens der mit-tel-und osteuropäischen Staaten. Auf den Vorschlag Bonns, gegenseitig Kulturinstitute einzurichten, gab es positive Reaktionen der Regierungen Ungarns und Polens. Ein längerer Verhandlungszeitraum wird hier erforderlich sein. Das Europäische Übersetzer-Kollegium in Straelen/Niederrhein, das sich mit der Übersetzung von Werken der Literatur aus Sprachen kleiner Völker beschäftigt, erhielt wenige Wochen nach Abschluß des Kulturforums Besuch aus Ungarn, der ÖSSR und der DDR Daß erstmalig in einem Kulturabkommen zwischen einem EG-Mitglied und einem Warschauer-Pakt-Land, nämlich in dem am 6. Mai 1986 zwischen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichneten Kulturabkommen, nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Organisationen und Vereinigungen beider Staaten, sondern auch zwischen den im kulturellen Bereich tätigen Einzelpersonen Erwähnung findet, dürfte ebenfalls auf die positiven Auswirkungen der kulturellen Zusammenarbeit nach Budapest zurückzuführen sein.

Auch die USA konnten in der relativ kurzen Zeit nach Budapest Fortschritte in ihrer kulturellen Zusammenarbeit mit Osteuropa registrieren. Die USA und die Sowjetunion hatten im November 1985 in Genf während des Gipfeltreffens zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow ihr Kulturabkommen erneuert. Sieht dieses Abkommen u. a.den Ausbau des Wissenschaftleraustauschs und Theatergastspiele vor, so wurde die Gemäldeausstellung der Washingtoner Nationalgalerie in Moskau bereits zu einem großen Erfolg. Mit noch größerem Interesse wurde in den USA zur Kenntnis genommen, daß die Sowjetunion die Ausreisemöglichkeiten für Künstler etwas gelockert hat. So hat man es einem sowjetischen Pianisten gestattet, künftig ein-und auszureisen, wann es ihm beliebt, und hat ihm sogar noch die Erlaubnis erteilt, unbeschränkt Konzerte in den USA zu geben, was bisher besonders strengen Kontrollen unterlag Die USA und die CSSR unterzeichneten am 15. April 1986 das erste Kulturabkommen dieser Art nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Laufzeit von vier Jahren, so daß sich die seit der sowjetischen Intervention in der ÖSSR im Jahre 1968 gespannten Beziehungen verbessern könnten. Ungarn wiederum veranstaltete im April 1986 in Wien eine „Ungarische Kulturwoche“ mit einem derartigen Großaufgebot an Kunst und Kultur, wie es so etwas noch nie, auch nicht in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, gegeben hat, wobei die Kulturbeziehungen zwischen Österreich und Ungarn überhaupt den höchsten Stand zwischen einem Land des Warschauer Pakts und einem nichtkommunistischen Land erreicht haben. Hatte Ungarns Kulturminister bereits in seiner Schlußrede auf dem Budapester Kulturforum angekündigt, seine Regierung werde dem Wiener KSZE-Folgetreffen alle „annehmbaren Initiativen“ übermitteln, die in Budapest erörtert worden seien, wird der Internationale PEN-Club im Herbst 1986 eine Konferenz für Schriftsteller aus den KSZE-Staaten nach Budapest einberufen, um mit ihnen die Erfahrungen des KSZE-Kulturforums zu erörtern. Auch die Ergebnisse dieser Konferenz sollen dem Wiener KSZE-Folgetreffen vorgelegt werden

Niemand wird daher leugnen können, daß in den Kulturbeziehungen zwischen Ost und West seit dem KSZE-Kulturforum eine Reihe von positiven Auswirkungen zu verzeichnen sind, die mittel-und längerfristig aller Voraussicht nach auf vielen Gebieten noch weiter verbessert werden können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. dazu die Eröffnungserklärung des französischen Botschafters in Wien, Francois-Regis Bastide, auf dem KSZE-Kulturforum, Provisional record of the second meeting vom 15. 10. 1985, CSCE/CFB/Pr. 2, S. 61.

  2. Botschafter Walter J. Stoessel, Leiter der US-Delegation beim Kulturforum in einem Interview, deutsch in: Budapester Rundschau vom 18. II. 1985.

  3. Zehn Jahre auf dem Wege von Helsinki, Budapest 1985, S. 42, 48 f.

  4. Bericht über das Vorbereitungstreffen, Budapest, 4. 12. 1984, Journal Nr. 10.

  5. Ein Schritt für Europa — Dialog der Gegensätze, Wien 1985, S. 112 ff.

  6. Vgl. dazu „Für bessere Verständigung zwischen Nationen — Kulturforum“, in: Budapester Rundschau, vom 7. 10. 1985.

  7. Botschafter Peter Lorf, Leiter der Abteilung Kulturelle Auslandsbeziehungen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, in: Horizont, Ost-Berlin, Nr. 11/1984 (Kulturforum ‘ 85 in Budapest) und Nr. 10/1985 (Vor dem Budapester Kulturforum — Für konstruktiven Dialog und Suche nach Verständigung).

  8. Der Bundesminister des Auswärtigen informiert, Bonn, 4. 10. 1985, Rede von Bundesaußenminister Genscher vom 4. 10. 1985 in München.

  9. Außenminister Leopold Gratz, Wien: Große Aufgaben für ein kleines Land — Der Kulturaustausch: Eine Chance für Frieden und Fortschritt, in: Pannonia — Magazin für europäische Zusammenarbeit, Eisenstadt, Nr. 3— 4/1985, S. 3.

  10. Barthold C. Witte, Leiter der Abteilung für auswärtige Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Bonn: Gibt es eine europäische Kulturpolitik? — Aufgaben und Chancen, in: Pannonia, Nr. 3— 4/1985, S. 24— 27.

  11. Vgl. z. B. die Rede des Kulturministers der DDR, Hans-Joachim Hoffmann, vom 15. 10. 1985, CSCE/CFB/Pr. 2, S. 141— 149.

  12. Erklärungen von Botschafter Cenap Keskin (Türkei), Kulturminister Georgi Jordanow (Bulgarien), Botschafter Kole Casule (Jugoslawien), Attache Konstantinos Leontiu (Zypern), Botschafter Pantelis Economou (Griechenland) vom 16. 10. 1985, CSCE/CFB/Pr. 2, S. 61 ff., sowie Deklaration der türkischen Delegation vom 5. 11. 1985.

  13. Erklärungen von Botschafter Dumitriu Aninoiu (Rumänien) vom 15. 10. 1985, CSCE/CFB/Pr. 1, S. 9 ff., und Botschafter Karl Günther von Hase (Bundesrepublik Deutschland) vom 16. 10. 1985, CSCE/CFB/Pr. 3, S. 181.

  14. Vgl. dazu den Beitrag von Prof. Dr. Hans Koch, Ost-Berlin, auf dem Kulturforum, erwähnt von Regina General in: Ein großer Katalog-Bericht vom KSZE-Forum in Budapest, Sonntag, Ost-Berlin, Nr. 48/1985, S. 2.

  15. Erklärungen von Märton Klein, Hauptabteilungsleiter im ungarischen Außenministerium, und dem ungarischen PEN-Club-Präsidenten Ivan Boldiszär vom 14. und 15. 1 1. 1985 auf dem Kulturforum, zitiert aus: Vor Abschluß des Kulturforums, in: Budapester Rundschau, vom 25. 11. 1985.

  16. Rede vom Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher anläßlich des Festaktes „ 25 Jahre Bad Hersfelder Festspielkonzerte und Oper“ in Bad Hersfeld vom 18. 8. 1985, veröffentlicht vom Auswärtigen Amt am 2. 10. 1985.

  17. Beim Besuch von Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Wien sagten der Bundespräsident und Bundesaußenminister Genscher beim Treffen mit österreichischen Parlamentariern zu, sich für die Nominierung Wiens als Kulturhauptstadt Europas zu verwenden, wobei sie nach Wien für eine Ehrung einer Stadt im Bereich des Warschauer Pakts eintraten. In: Weizsäcker betont Einheit Europas — Wird Wien Kulturstadt?, Die Presse, Wien, vom 20. 3. 1986.

  18. Diese Vorschläge wurden von Botschafter Karl Günther von Hase im Autrag der deutschen Bundesregierung auf dem Kulturforum am 16. 10. 1985 unterbreitet. CSCE/CFB/Pr. 3, S. 187, abgedruckt auch im Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn, vom 23. 10. 1985, Nr. 116, S. 1016 ff.

  19. Vgl. dazu den Beitrag in der Budapester Rundschau vom 25. 11. 1985, der sich mit dem Vorschlag von Günter Grass befaßt (Vorschlag für eine andere Zukunft). Außerdem den Entwurf des Abschlußdokuments der EG-und NATO-Staaten vom 25. 11. 1985, CSECE/CFB 116, S. 8.

  20. Entwurf des Abschlußdokuments der EG-und NATO-Staaten, ebenda, S. 10.

  21. Botschafter Ekkehard Eickhoff und der Leiter der Abteilung für auswärtige Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Barthold C. Witte, am 14. 11. 1985 bei einem Pressegespräch in Bonn.

  22. Hansgünther Heyme, früherer Intendant des Schauspielhauses Köln, in einem Bericht über seine Beobachtungen auf dem Kulturforum, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 31. 10. 1985.

  23. Der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der DDR, Hermann Kant, in: Neue Deutsche Literatur, Ost-Berlin Heft 399, März 1986, S. 5. Statistische Angaben über den ungarischen Filmexport aus einem Gespräch mit dem Sekretär des Ungarischen Nationalen Vorbereitungskomitees des Kulturforums, György Nädor sowie Angaben über ins Ungarische übersetzte belletristische Werke ausländischer Verfasser aus einer statistischen Übersicht, in: Rundschau der ungarischen Gewerkschaften, Budapest, Nr. 10/1985, S. 6 ff.

  24. Stephan Hermlin, Vier Antworten, ebenda, S. 6 ff.

  25. Erklärung des ungarischen Kulturministers Prof. Ör. Bela Köpeczi vom 16. 10. 1985, CSCE/CFB/Pr. 3, S. 161 ff.

  26. Günther Gillessen, Warum ist das Volk nach sechzig Jahren immer noch nicht reif? Aufzeichnungen aus den politischen Debatten des Budapester Kulturforums der KSZE über die Freiheit der Literatur und verfolgte Schriftsteller, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. II. 1985, S. 7, und die Rede des Schriftstellers Reiner Kunze vom 12. 11. 1985 auf dem Kulturforum, in: Kulturpolitische Korrespondenz, Bonn, vom 30. 12. 1985, S. 5.

  27. Erklärung des Sekretärs des Päpstlichen Rates für Carrier vom 16. 10. 1985, P. die Kultur, Herve SJ, CSCE/CFB/Pr. 4, S. 27 ff., auch in: L’Osservatore Romano, Vatikanstadt (deutschen . Ausgabe), vom 10. 1. 1986.

  28. Vgl. Liste der von der Delegation der Bundesrepublik Deutschland und von Mitgliedern der Delegation eingebrachte Vorschläge, S. 1-9.

  29. Vorschlag der 17 Delegationen der NATO-und EG-Staaten für ein Schlußdokument, auf dem Kulturforum eingebracht am 25. 11. 1985, CSCE/CFB 116, S. 4 ff.

  30. Vorschlag von fünf Delegationen der Warschauer-Pakt-Staaten für ein Schlußdokument; eingebracht am 25. 11. 1985, CSCE/CFB 117, S. 2 ff.. Über die Arbeiten des Kulturforums hatte die rumänische Nachrichtenagentur Agerpres lediglich zwei kurze Meldungen zu Beginn des Expertentreffens formuliert, wobei sie sich auch noch auf die ungarische Nachrichtenagentur MTI berief. Diese Meldungen wurden nachgedruckt in: Neuer Weg, Bukarest, vom 18. u. 19. 10. 1985 und anderen rumänischen Zeitungen.

  31. Der von den neutralen und blockfreien Staaten eingebrachte Entwurf eines Schlußdokuments vom 20. 11. 1985; die vom stellvertretenden sowjetischen Delegationschef Juri Kiritschenko dazu vorgebrachten Einwände wurden am 25. 11. 1985 in der Schlußerklärung von der schweizerischen Delegationsleiterin Jeanne Hersch bedauert.

  32. Vgl. dazu den Beitrag „Bemühungen um Konsens auf Kulturforum“, Neueste Nachrichten, Budapest, vom 26. 11. 1985.

  33. Vorschlag der Delegation der Ungarischen Volksrepublik für eine Erklärung des Kulturforums vom 25. 11. 1985, CSCE/CFB 118 und dazu Abänderungsvorschläge der Delegationen Österreichs und Frankreichs vom 25. 11. 1985, CSCE/CFB 118/Amend. 1 u. 2.

  34. Erklärung des rumänischen Außenministers Ilie Vaduva gegenüber dem österreichischen Außenminister Leopold Gratz vom 3. 12. 1985 in Bukarest, in: Die Presse, Wien, vom 4. 12. 1985.

  35. Gespräch mit dem stellvertretenden Leiter der DDR-Delegation beim Kulturforum, Botschafter Peter Lorf, in: Neues Deutschland vom 27. 11. 1985, S. 4; Staatssekretär Gyula Horn vom ungarischen Außenministerium: Europäisches Kulturforum '— Lehren und Perspektiven, in: Internationale Politik, Belgrad, Heft 858, vom 5. 1. 1986, S. 12 ff.

  36. Rede von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher anläßlich eines Nachbereitungstreffens zum KSZE-Kulturforum im Auswärtigen Amt in Bonn vom 18. 12. 1985 und Diskussionsbeiträge auf diesem Treffen.

  37. Moskauer Frühling? Die UdSSR praktiziert Ausreisefreiheit für Musiker, in: Die Presse, Wien, vom 25. 4. 1986.

  38. Unterzeichnung des Kulturabkommens USA— ÖSSR, siehe Rude prävo, Prag, vom 16. 4. 1986, S. 2; Erklärung des Organisators der „Ungarischen Kultur-woche“ in Wien, György Kovacs, in: Die Presse, Wien, vom 25. 3. 1986; „Im Herbst in Budapest: PEN-Konferenz über Kulturforum-Erfahrungen“, in: Budapester Rundschau, vom 27. 1. 1986.

Weitere Inhalte

Hans Lindemann, geb. 1928; Studium der Volkswirtschaft und Politologie an den Universitäten Frankfurt/M. und Berlin; stellv. Leiter des Zentraldienstes Politik/Wirtschaft der Deutschen Welle in Köln. Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit Kurt Müller) Auswärtige Kulturpolitik der DDR, Bonn-Bad Godesberg 1974; Mitarbeit an den Handbüchern „Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR“ (herausgegeben von Hans-Adolf Jacobsen, Gert Leptin, Ulrich Scheuner und Eberhard Schulz), München—Wien 1979, und „DDR-Handbuch“, Köln 1984; Nicaragua und die Warschauer-Pakt-Staaten, Stuttgart—Bonn 1986, sowie zahlreiche Aufsätze in in-und ausländischen Zeitschriften zu außen-, wirtschafts-und kulturpolitischen Themen.