Kriterien für einen militärischen Strategie-und Strukturwandel
Franz H. U. Borkenhagen
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Zusammenfassung
Die Diskussionen um herkömmliche militärische Strategie-und Strukturergänzungen sowie die Vorstellung vieler alternativer Konzepte lassen zunehmend eine Verengung auf den rein militärischen Aspekt erkennen. Inzwischen werden mehr denn je militärisch-technische Vergleiche und Kritiken entwickelt. Dadurch wird die sicherheitspolitische Sichtweise eingeschränkt. Verteidigungspolitische Daten und Fakten werden nicht mehr im notwendigen Maße gleichgewichtig nach politischen, wirtschaftlichen, militärischen und gesellschaftlichen Richtlinien untersucht und beurteilt. Zum Ausgleich dieses Mangels werden zehn Kriterien entwickelt. Sie sollen, so wird vorgeschlagen, als Maßstab für ein Beurteilungsraster von militärischen Strategie-und Strukturkonzepten herangezogen werden. Im Gleichklang mit den sicherheitspolitischen Dimensionen und möglichen operativ-taktischen sowie technischen Bedingungen ergibt sich ein Entscheidungsfeld mit unterschiedlich zu wertenden Einwirkungs-und Bestimmungsgrößen. Der herausgearbeitete Kriterienkatalog will einen Denk-und Handlungsanstoß vermitteln. Danach sind sicherheits-und verteidigungspolitische Analysen und Bewertungen weitestgehend nur in Anerkennung einer gemeinsamen Plattform möglich und sinnvoll. Demzufolge ist wiederum ein Konsens über die Kriterien notwendig. Der Beitrag unterbreitet dazu ein Angebot — insbesondere im Sinne einer an. guter Nachbarschaft zwischen den Staaten und gesellschaftlicher Akzeptanz orientierten Friedens-und Entspannungspolitik.
I. Politisch-militärischer Diskurs
Die Anzahl sowie die damit einhergehende Vielfalt der alternativen Vorschläge für militärische Strategie-und Strukturmodelle nimmt zu. Insbesondere die bundesdeutsche Palette kann als besonders farbenprächtig bezeichnet werden. Sie umfaßt inzwischen zumindest sechs sogenannte Defensiv- oder Alternativkonzepte Hinzu kommen noch einige strukturelle Mischmodelle, die vorgeben, sich der erstgenannten Entwicklungen im Rahmen einer primär sicherheitspolitischen Konzeption teilweise zu bedienen Zusätzlich werden diese Entwürfe auch als Aufhänger für kompatibel gestaltete oder als solche verstandene nichtmilitärische Verteidigungsideen herangezogen
Allen drei nur weitläufig miteinander verwandten Modellgruppierungen stehen andererseits Verbesserungs-und Erweiterungsvorschläge für die geltende NATO-Strategie gegenüber Zugleich ist zu bemerken, daß diese vorrangig militärisch-operativ angelegten Doktrinen natürlich gleichfalls für sich in Anspruch nehmen, die Effektivität und Glaubwürdigkeit der Strategie und Verteidigungsstruktur zu steigern.
Zumeist bemühen sich die Verfasser der jeweiligen Modelle, deren Wirksamkeit und Notwendigkeit durch die Kritik und die Dokumentation der Unzulänglichkeit des Gegen-Konzepts zu unter-streichen. Des weiteren konzentriert sich die Bewertung auf einen detaillierten militärisch-technischen Vergleich. Fast ausschließlich werden nur noch die Waffenwirkungen als Meßgrößen in der Gegenüberstellung der einzelnen Konzeptionen bevorzugt. I Diese Methoden der Abgrenzung und des Vergleichs lassen gleichzeitig den ersten negativen Aspekt der meisten der derzeit aktuellen Vorschläge zur Änderung oder zur Verbesserung von militärischen Strategie-und Strukturplanungen erkennen: Der Ansatz für einen Wandel oder gar für eine Abkehr von der herkömmlichen Planung, Gliederung, Dislozierung, Struktur und Bewaffnung der westeuropäischen und im speziellen der bundesdeutschen Streitkräfte gilt fast ausschließlich der Organisations-oder Durchführungsebene. Anstatt das insgesamt als weitaus komplexer anzusehende verteidigungspolitische Sicherheitsmodell in all seinen Phasen zu berücksichtigen, geschweige denn, sich zuvorderst um die ganz entscheidenden sicherheitspolitischen Vorgaben einer gewünschten oder auch als unabdingbar erkannten Wandlung bzw. Hinwendung zu neueren, effizienteren und ressourcenverträglicheren Strategien und Strukturen des militärischen Instruments zu kümmern.
Bedauerlicherweise lassen nicht nur die Gegenargumente der einen Gruppe gegenüber der anderen diese Übersicht vermissen. Auch und insbesondere die sich neutral und objektiv verstanden wissen wollenden Kritiker versäumen nicht selten den allgemeinen sicherheitspolitischen Einstieg. Sie werfen sich zumeist mit sachkundiger Verve auf die Gegenüberstellung von militärischen Potentialen, deren zu vermutender Waffenwirkung in computergestützten taktischen Szenarien bis hin zur technologischen Analyse. Sie fragen z. B., ob in einem angenommenen Kampfabschnitt eine spezielle Panzerplatte aus Keramik oder einer speziellen Metallegierung einen besseren Schutz gegenüber einer wiederum ganz außerordentlichen Panzerabwehrmunition gewährleistet — oder umgekehrt.
Dies soll heißen: Die sich als fachspezifisch verstehende Expertenrunde — ob Vertreter einer jeweiligen Schule oder als „Kampfbeobachter“ des Systemstreits — verengt die zweifellos notwenB dige Suche nach Verbesserung der Strategie und Streitkräftestruktur auf das operativ-taktische Militäreinerlei. Sie verabsäumt zugleich und in sehr gefährlicher Weise die politischen und sicherheitsrelevanten Vorgaben. Gleichzeitig trägt sie somit dazu bei, daß die Bestimmungsabläufe ausgetauscht werden: Nicht die allgemeinen Determinanten regeln die untergeordneten Instrumentarien, sondern militärisch-taktische oder operative Grundsatzüberlegungen beherrschen die strategischen und strukturellen Dimensionen.
Hingegen wäre es sinnvoll, sich der sicherheitsund verteidigungspolitischen Änderungsvorschläge zu vergewissern. In überzeugender Form und für die Militärstruktur heutigen Zuschnitts unverändert gültig hat dies u. a. Bogislaw von Bonin bereits 1966 artikuliert Seine Vorschläge zu einer Verbesserung des Beitrags der bundesdeutschen Streitkräfte waren in der Hauptsache an der sicherheitspolitischen und militär-strategischen Beurteilung der Lage orientiert Insofern hat Bonin damals ein Beispiel für die Rangfolge einer Denkgliederung zur Erstellung eines alternativen Militärkonzepts abgeliefert. Nebenbei: Bonin hat seinerzeit im Gegensatz zu vielen maßgebenden Politikern die Nuklearwaffen als politische Waf-fen definiert und sie nicht als eine etwas wirkungsintensivere neuartige Artillerie verstanden wissen wollen.
Der zweite negative Aspekt: In steigendem Maße konzentrieren sich auch Politiker und Wissenschaftler auf die zuvor bemängelte militärische Detailmethode. Sie verabsäumen damit die weitaus wichtigere Ausformung der sicherheitspolitischen Rahmenrichtlinien. Quasi im Gegensatz zum Streben des älteren Moltke nach bestimmendem Einfluß auf die Politik können wir heute eine fahrlässige Reduzierung des politischen Vorgabe-rechts auf die Gestaltung militärisch-instrumenteller Modelle beobachten.
Beide negativen Erscheinungsformen sind —-für sich allein genommen oder in ihrer Gesamtheit — Hemmnisse einer nüchternen und sachlicheren Aufarbeitung hin zu einem notwendigen militärischen Strategie-und Strukturwandel. Um so wichtiger scheinen Vorschläge für verteidigungspolitische Kriterien, die bei den derzeitigen Überlegungen und Richtlinien den Vorrang haben müssen, sollen die Militärstrukturen effektiver werden. Den Überlegungen dazu sollen zunächst die sicherheitspolitischen Grundvorgaben vorangestellt werden.
II. Sicherheitspolitische Grundvorgaben
Abbildung 2
Abbildung 2: Mögliche Einwirkungs-und Bestimmungsgrößen auf ein Entscheidungsfeld zur militärischen Strategie und Struktur
Abbildung 2: Mögliche Einwirkungs-und Bestimmungsgrößen auf ein Entscheidungsfeld zur militärischen Strategie und Struktur
Zunächst sei nochmals daran erinnert, daß Sicherheitspolitik nicht einseitig als nur militärisches Aktions-und Reaktionsprogramm mißverstanden werden darf; sie würde sonst unzeitgemäß und ineffizient sein. Sicherheitspolitik umfaßt mehrere Schichten, die verschiedenen Aktionsfeldern zugeordnet sind. Diese Schichten können auch als Dimensionen der Sicherheitspolitik bezeichnet werden. Die westliche Sicherheitspolitik sollte sich zumindest aus den folgenden fünf Dimensionen zusammensetzen:
1.dem politischen (außen-wie innenpolitischen) Gefüge und den damit verbundenen Gegebenheiten und Absichten;
2.der wirtschaftlichen Potenz und den damit einhergehenden ökonomischen Interaktionen;
3.den militärischen Optionen, Fähigkeiten und Potentialen;
4.der gesellschaftlichen Struktur;
5.der gesamt-psychologischen Konstellation
Diese sicherheitspolitischen Dimensionen bilden zugleich das Dach eines Bezugsmodells mit mehreren Ebenen und mit einer Vielzahl von Verbindungslinien und -zonen. In der folgenden Übersicht (Abb. 1) sind sieben Ebenen mit den wichtigsten Bezugsfeldem dargestellt
Erkennbar ist eine Hierarchie, deren Ebenen E (Fähigkeiten/Optionen) und F (Personal, Material, Logistik, Waffen) als Ziel der folgenden Erläuterung und Vorstellung der Bedingungen und Ansprüche angesehen werden. Die Aufmerksamkeit muß sich jedoch entsprechend der eingangs vorgebrachten Kritik sowie den sicherheitspolitischen Dimensionen folgend auch auf die Bezugs-felder der Ebenen B (Sicherheitspolitik) und C (Abschreckung/Strategische Stabilität) richten. Bei näherem Betrachten ergeben sie den Rahmen für einen umfassenden und richtungweisenden Kriterien-oder Richtlinienkatalog für die Ebene D (Militärstrategie) und für eine Streitkräfte-Struktur in der NATO. Die Kriterien sind unterschiedslos für eine Bewertung der gängigen wie auch der alternativen Strukturmodelle zu verste-hen. Allerdings werden Angaben unterlassen, inwieweit einzelne Modelle die Kriterien berücksichtigt oder vernachlässigt haben
III. Kriterienkatalog Strategiegrundsätze und Streitkräftestrukturen unterliegen wie die sie bestimmenden sicherheitspolitischen Dimensionen Entwicklungsprozessen. Starre und unflexibel angelegte oder verstandene Konzeptionen werden irgendwann einmal den äußeren und/oder inneren Bedingungen nicht mehr gerecht. Den gleichen Erfordernissen und Gefährdungen unterliegen auch die daraus zu entwickelnden Kriterien. Hinzu kommen je nach politischem Verständnis noch unterschiedliche Annahmen über die Prioritätenzuordnungen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Modellentwürfen für Streitkräftestrukturen hat sich Horst Afheldt stets um eine schlüssige und begründete Kriterien-Vorgabe bemüht. Afheldt formulierte neben seiner umfänglichen sicherheitspolitischen Analyse, die er abschließend in Resultate und Normen gliederte u. a.sechs Kriterien für eine Konzeption einer Defensiv-Militärstrategie Sie lauten kurzgefaßt:
1.den Krieg so unwahrscheinlich wie möglich machen;
2. keine Präventions-bzw. Präemptionsprämien; 3. Verteidigungsmittel und -Strategien müssen die eigene soziale und wirtschaftliche Struktur sichern ;
4. Kernwaffen dürfen keine militärischen Aufgaben übertragen werden;
5. Einsatz militärischer Mittel nur bei einem erfolgten Angriff;
6. moderne Technologien begünstigen die Verteidigung. Unverkennbar sind Afheldts Kriterien als Richtschnur für ein militärisches Defensivkonzept angelegt. An dieser Stelle soll ihnen nicht weiter gefolgt werden, da es zunächst wichtiger scheint, allgemeinere Richtlinien herauszustellen. Nichtsdestoweniger sind Afheldts Thesen für eine Zweit-phase der Kriterienfestlegung nach der hier vorgenommenen Ordnung ohne weiteres tauglich, wenn nicht sogar ein Fortsetzungskatalog schlechthin. Auch sind gewisse Übereinstimmungen oder Verwandtschaften zu den jetzt zu konkretisierenden Vorstellungen unverkennbar. Auf eine mögliche Verbindung soll jedoch in der abschließenden Zusammenschau eingegangen werden.
Die zuvor genannten fünf sicherheitspolitischen Dimensionen geben zugleich die Grundlage für zehn Kriterien ab, die als allgemeiner Maßstab für eine militärische Strategie-und Strukturbestimmung speziell westeuropäischen Zuschnitts gelten können. Dieser Katalog läßt sich zugleich in drei Gruppen unterteilen, um auch eine gewisse sicherheits-und verteidigungspolitische Rangfolge und Wirkungsbestimmung zu ermöglichen. Die Gruppierungen und Richtlinien lauten im einzelnen
8. Kriterium: Optimierung der Verteidigungsfähigkeit;
9. Kriterium: Teil-, und Zwischenlösungsmöglichkeit;
10. Kriterium: Evolutionäre Entwicklung.
Vor einer Erläuterung der Kriterien sei darauf hingewiesen, daß einige von ihnen Aspekte aufweisen, die auch in mehreren Koordinierungsbereichen ihren Platz finden können. Die prägenden Merkmale der jeweiligen Richtlinie sollen — so-weit möglich — nach offensiven, defensiven, aktiven und passiven Ansätzen unterteilt werden. Zudem müssen auch nicht genannte Koordinierungsbereiche wie z. B.der wirtschaftliche berücksichtigt werden. Die Zuordnung geschah jedoch nach dem Gesichtspunkt, nach den vorherrschenden Dimensionen zu schematisieren. Auf diesem Wege gelingt vielleicht eine überschaubarere und verständlichere Klassifizierung der Kriterien.
Zur Beschreibung, Bewertung und Folgerung der Kriterien im einzelnen: 1. Kriterium: Konflikt und Kriegsverhütung Die hiesige militärische Strategie und die Struktur müssen einer Sicherheitspolitik gerecht werden, die auf Konflikt-und Kriegsverhütung im regionalen Sinne angelegt ist. Die Optionen und Fähigkeiten einer Strategie dürfen keine Merkmale aufweisen, die dazu geeignet sind, generell oder jederzeit zu offensiven und raumgreifenden Aktionen auf dem Gebiet des potentiellen Gegners zu befähigen. Zugleich dürfen sie nicht dazu geeignet sein, militärische Aktionen außerhalb des politischen Gültigkeitsbereiches (z. B. außerhalb der NATO und ihres Verteidigungsbereiches) zu ermöglichen oder dazu zu verführen.
Umgekehrt müssen Strategie und Struktur in ihrer defensiven Ausgestaltung, Zielprojektion sowie in Gliederung, Dislozierung, Bewaffnung und personeller/materieller Komponente die eigene Verteidigungsfähigkeit sichern; und zwar in dem Sinne, daß sie in ihren aktiven wie passiven Maßnahmen so gestaltet sind, daß sie nicht zu kriegerischen Handlungen, konfliktfördernden Aktionen oder politischen Pressionen einladen, sie provozieren oder erleichtern. Vielmehr müssen sie stabilitätsfördernd sein und Freiraum lassen zu einer politischen Verfestigung einer Konflikt-und Kriegsverhütungspolitik.
Die richtige Balance der genannten Prinzipen ist vornehmlich dadurch zu erreichen, daß der Prärogative Charakter einer auf Entspannungs-und Verteidigungsfähigkeit (Grundsatz des Harmel-Berichtes 1967 — NATO-Rat) angelegten Sicherheitspolitik berücksichtigt wird. 2. Kriterium: Krisenmanagement Militärstrategie und -Strukturen müssen im Sinne der Anforderungskonfiguration ohne Einschränkung dem sicherheitspolitischen Instrument „Krisenmanagement“ einen ungestörten Aktions-und Reaktionsspielraum ermöglichen. Unabhängig von der Tatsache, daß es derzeit weder ein im westlichen Bündnis abgestimmtes, geschweige denn ein zwischen den Blöcken anerkanntes Krisenmanagement gibt, hat diese Forderung hohe Dringlichkeit. Denn Strategie-und Streitkräfte-struktur dürfen nicht von vornherein die Installierung eines Krisenverhinderungssystems unmöglich machen. Vielmehr müssen die militärischen Handlungsmuster und -vorgaben so flexibel gestaltet sein, daß sie in den Phasen Frieden, Spannung, Krise und auch Krieg (falls die Abschrekkung und das Krisenmanagement bis dahin nicht erfolgreich waren) immer auch kompatibel offensiv (taktisch-operativ), defensiv, aktiv und passiv gehandhabt werden können.
Dieser Anspruch verlangt zweierlei: Einerseits ist jeder strategische Zwang oder ein durch die Struktur vorgegebener Automatismus militärischer Aktionen zu vermeiden. Wäre er vorhanden, kann eine situationsbezogene politische Flexibilität nicht in das Management „eingebaut“ werden. Bewegungsfreiheit wäre dann auf dieser Handlungsebene gleichbedeutend mit prozessualer Automatik. Die militärischen Mittel müssen also andererseits auch dazu nutzbar sein, das Krisenmanagement erfolgreich im Sinne der eigenen Verteidigungsfähigkeit zu handhaben. Soll heißen: das militärische Instrument muß neben den politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und psychologischen Aktionsmöglichkeiten je nach Notwendigkeit aktive, passive, aber auch offensive und defensive Einsatzmöglichkeiten zulassen — einschließlich der Androhung von Gewalt gegenüber einem angreifenden Gegner. 3. Kriterium: Kooperative Rüstungssteuerung (KRSt) „Unter Kooperativer Rüstungssteuerung (KRSt) ist eine politisch-militärische Strategie zu verstehen, mit der Staaten oder Bündnisse trotz aller bestehenden Konflikte und Antagonismen als , Partner 1 ihre Militärpotentiale, deren Strategien, Umfang, Strukturen, Dislozierung und sogar deren taktischen Einsatz im Interesse ihrer beiderseitigen Sicherheit aufeinander abstimmen.“ In Verfolg dieser Definition von KRSt sowie im Einklang mit den Kriterien 1 und 2 resultiert daraus im Zusammenschnitt eine noch weitergehendere Anforderung an die westliche Militärstrategie und -Struktur: Das militärische Instrument muß nicht nur defensiven Schutz und flexibles Krisenmanagement im Sinne sicherheits-und verteidigungspolitischer Handlungsfähigkeiten zulassen; KRSt fordert unter Berücksichtigung der eigenen Sicherheitsinteressen auch den Abbau von Streit-kräftepotentialen sowie die Beschränkung von militärischen Optionen und Fähigkeiten zuzulassen. Partielle und temporäre konzeptionelle Reduzierungen, aber auch quantitative Stärkungen des militärischen Instruments müssen möglich sein. Auf dieser Ebene ist zweifellos die anspruchsvollste Herausforderung an Strategie und Struktur des militärischen Instruments erkennbar. Ähnlich den Bedingungen des 9. Kriteriums (Teil-und Zwischenlösungen) müssen kompliziert umzusetzende Forderungen bei der Planung, Dislozierung, Gliederung, Bewaffnung und personellen/materiellen Ausstattung der Streitkräfte berücksichtigt werden. Denn im Sinne eines als schlimmsten Fall gedachten Szenarios eines Krieges einerseits und des als besten Fall angenommenen Szenarios einer umfassenden Abrüstung andererseits müssen Strategie und Struktur zu beidem in Planung und Umfang gleichzeitig nutzbar sein. Übertragen heißt das: Sie müssen nebeneinander unverändert die Fähigkeit zur Vorneverteidigung garantieren und die Reduktion ihrer Optionen und Potentiale zulassen können — übrigens ein Anspruch, der weniger praktische Hemmnisse, denn politische Denk-und Handlungssperren vermuten läßt. 4. Kriterium: Bedrohung Die Bedrohung eines Landes oder Bündnisses kann durch politische, wirtschaftliche, militärische, gesellschaftliche und psychologische Maßnahmen erfolgen. Diese können wiederum offensive, defensive, aktive und passive Aktionen — getrennt oder gekoppelt — beinhalten. Das gleiche Beurteilungsraster gilt auch für die Schutz-und Gegenmaßnahmen zur Minderung einer wahrgenommenen und/oder realen Bedrohung. Zugleich wird deutlich: Die Vielfalt läßt einen breiten Raum für unterschiedlichste Analysen und politisch gesteuerte Wahrnehmungen zu. Trotz der dargestellten Komplexität einer Bedrohung soll an dieser Stelle das Hauptaugenmerk dem militärischen Anteil gelten. Hierbei sind wiederum im wesentlichen zwei Faktoren zu berücksichtigen, um den Stellenwert „Bedrohung“ als Maßgabe für Strategie und Struktur korrekt einzuordnen. Es wäre falsch, die militärische Bedrohung ausschließlich an den meßbaren Kriterien wie Anzahl, Bewaffnung etc., also den quantitativen Merkmalen zu messen. Hinzu müssen die qualitativen Kennzeichen gerechnet werden. Diese wiederum lassen sich nicht immer und umfassend quantifizieren. Demzufolge müssen oftmals vage Annahmen zur Grundlage der Analyse gemacht werden. Des weiteren sagen Potentiale und evaluierte Optionen und Fähigkeiten noch nichts über die dahinter stehenden politischen Absichten aus.
Demzufolge lassen sich für das Kriterium „Bedrohung“ zwei Handlungsbereiche herausschälen: Strategie und Struktur müssen bedrohungsgerecht sein. Sie dürfen weder in Planung, Organisation und Durchführung ausnahmslos den schlimmsten anzunehmenden Fall zugrunde legen — weil die personellen und materiellen Ressourcen überfordernd — noch dürfen sie minimalistisch angelegt sein. Die eine wie die andere Konzeption würde entweder durch Überkompensation bzw. durch Leichtfertigkeit zu einer gefährlichen Destabilisierung des sicherheitspolitischen Gefüges zwischen den Bündnissen und auch innerhalb der eigenen Allianz führen.
Bedrohungsgerechte Strategie und Struktur hingegen müssen auf die gesamte Bedrohungspalette eine angemessene und hinlängliche Antwort bereithalten und gleichzeitig in ihrer Konstruktion nicht von der Bedrohung allein abhängig sein, sondern auch durch die eigene Präsenz, Option und Fähigkeit nicht bedrohend wirken und sich auf den optimalen Schutz des eigenen Territoriums und Handlugsspielraums durch defensive aktive und passive Maßnahmen konzentrieren. 5. Kriterium: Lebensfähigkeit im Frieden Versteht man in Clausewitz’ Ausführungen im „Achten Buch“ die Begriffe „Krieg“ und „Heer“ gleichsam als Synonyme für heutiges Militär (Strategie und Struktur), behalten seine folgenden Aussagen unveränderte Gültigkeit, wenn die Gefahr einer Trennung von Gesellschaft und Militär beschrieben werden soll. Clausewitz führt u. a. aus: „...der Krieg (war) noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm“. Und weiter: „Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nah, immer mehr auf das Heer beschränkt. Das Heer ... machte einen Staat im Staate aus...“ Durch diese Hinweise auf den Status und die Aufgabe des damaligen Militärs erhalten Strategie und Struktur zeitgemäßer Streitkräfte die angemessene und gesellschaftlich relevante Kontur: Sie müssen den gesellschaftspolitischen Werten, Normen und Ansprüchen in den bereits genannten Bereichen Optionen und Fähigkeiten sowie Gliederung, Dislozierung, Bewaffnung, personelle/materielle Ausstattung entsprechen und dürfen ihnen nicht zuwider angelegt sein. Weder dürfen sie sich abgekoppeit von der gesellschaftlichen Struktur eine nur militärische Existenzbestimmung suchen lassen, noch sind die militärischen Erfordernisse so umzuformen, daß sie sich als Maßstäbe für das gesellschaftspolitische Denken und Handeln auswachsen, also eine Militarisierung der Gesellschaft bedeuten würden. Soll die Verteidigungsfähigkeit glaubwürdig sein — nach innen wie nach außen —, so sind die Akzeptanz, die Aktionsfähigkeit (Optionen/Fähigkeiten), die Umsetzbarkeit (Strategie) und die Operationalisierbarkeit (Struktur) bereits im Frieden, vor einer Krisensituation zu gewährleisten, um einen Krieg zu vermeiden. Eine derartige Qualität darf nicht als ein Streben nach Kriegführungsfähigkeit mißinterpretiert werden. Streitkräfte und Strukturen sind nur dann tauglich, wenn sie gemäß einer glaubwürdigen militärischen und gesellschaftlich orientierten Funktionalität einen Gegner von einem Angriff abhalten. 6. Kriterium: Sozialverträglichkeit Im Gleichklang mit den sich aus dem 5. Kriterium ergebenden Bedingungen ist hinsichtlich der Sozialverträglichkeit von militärischen Strategien und Strukturen auch Raymond Arons Feststellung zur Abschreckungsfähigkeit zu verstehen. Er führt u. a. aus: „Heute wie gestern hängt die Abschreckung von den materiellen Mitteln ab, über die ein Staat verfügt, der einen anderen zum Stehen bringen will.. Hinzuzufügen wären noch die zu berücksichtigenden personellen und finanziellen Ressourcen.
Diese Grundlagen der militärischen Komponente müssen angemessen und in ihrer Belastung erträglich sein sowie die übrigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse nicht zurückdrängen. Eine überproportionale Ausschöpfung des personellen, materiellen und finanziellen Reservoirs stärkt die militärische Kapazität nur vordergründig und kurzfristig. Auf Dauer konterkariert sie eine aufGlaubwürdigkeit, Durchsetzungsfähigkeit sowie Akzeptanz anzulegende Strategie. Die Militärstruktur darf in Umfang, Aufgabe und Zielverfolgung die Ressourcen nicht überstrapazieren, da sonst die übrigen sicherheitspolitischen Dimensionen für wichtige Tätigkeitsbereiche und im Falle des Notwendigwerdens eines Krisenmanagements ihre Handlungsfreiheit mangels Verhandlungsmasse verlieren könnten.
Aus dem Verbot der Nichtüberbeanspruchung entsteht gleichzeitig das Gebot zur angemessenen, innovativen und optimalen Ausnutzung der aufgeführten Ressourcen. Insbesondere sind ergänzend die technologischen Möglichkeiten und Entwicklungen zur Verbesserung der Optionen und Fähigkeiten nebst der Dislozierung, Gliederung, Bewaffnung und personellen/materiellen Ausstattung der Streitkräfte heranzuziehen — nicht zu einer Ausweitung hin zu einer offensiven Konzeption, doch ganz sicher zu einer Optimierung der Verteidigungsfähigkeit (siehe 8. Kriterium). 7. Kriterium: Biindnisverträglichkeit Die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland unterliegen keiner nationalen Strategie. Genauso-wenig ist ihre Struktur allein national „gestrickt“. In beiden Fällen gelten die Richtlinien und Vorgaben des Bündnisses. Ein Ausscheren aus diesem Rahmen wäre weder politisch, wirtschaftlich, militärisch noch gesellschaftlich vertretbar noch der sicherheitspolitischen Situation hinsichtlich der Strategischen Stabilität zuträglich. Außer bei dem politischen Status „Neutralität“ läßt sich eine nationale Strategie und Struktur für die Bundeswehr nicht als sinnvoll erkennen. In einer nüchternen Abwägung verbietet sich derzeit und auf weitere Sicht eine neutralistische Umorientierung der Bundesrepublik. Die Ereignisse bis 1945 sowie die politische Entwicklung danach bis heute sprechen dagegen. Jede strategische und strukturelle Neuformulierung und -bestimmung hat sich daran auszurichten. Diese Feststellung schließt aber keineswegs eine Wandlung des Bündnisses aus. Sie soll gleichzeitig verdeutlichen, daß aus der Block-zugehörigkeit durchaus neue, umfassende, vielleicht auch wirkungsvollere — eventuell auch gesamteuropäische — Allianzen entstehen können und somit möglich sein müssen. Abgesehen von diesen eher futuristisch klingenden Gedankengängen verbieten sich auch derzeit und auf absehbare Fristen bezogen nationale Alleingänge zur Wandlung von Strategie und Struktur. Erstens erhalten letztere ihre gewünschte Wirkung im Rahmen der Vorneverteidigung nur im internationalen Gleichklang. Zweitens lassen sich nur in dieser Konstellation eigene Vorstellungen und Ansprüche zur Optimierung durchsetzen.
Allerdings wird an dieser Stelle auch deutlich, daß es unverzichtbar ist, gerade die nationalen Interessen im Bündnis einzubringen und durchzusetzen. Nachgerade dann, wenn es um so existentielle Zonen geht wie hier in Mitteleuropa. Bündnisverträglichkeit bedeutet gemeinhin nicht die absolute deckungsgleiche Struktur. Hier sind durchaus getrennte Entwicklungen und Umsetzungen möglich. Unabdingbar ist nur, daß sie unter dem Dach einer gemeinsamen Strategie ohne weiteres aneinander koppelbar sind. Für das militärisch-taktische Denken und Handeln gilt dies allemal. Für das nicht unbedingt bewegungsreich zu nennende operative Spektrum der NATO mögen und dürfen Zweifel angebracht sein, inwieweit ihm nationale „Kapriolen“ zuträglich sind. Vielmehr sollten für diese Ebenen die regionalen und speziell sicherheitspolitischen Determinanten berücksichtigt werden. Soll heißen: Das Vorneverteidigungskonzept in Mitteleuropa entlang der Grenze zur DDR und CSSR verbietet aus sicherheitspolitischen Erwägungen militärisch-operative Aktionen tief im Hinterland des War-schauer Pakts (Begründung siehe eingangs der Er-läuterung dieses Kriteriums). Umgekehrt läßt der unterschiedliche Status der Mitgliedsländer der NATO eine nur marginale Einflußnahme auf die strategischen und strukturellen Prinzipien der westlichen Vormacht zu. Die Bundesrepublik Deutschland wird und kann die USA nicht daran hindern, den von den Staaten definierten Grundsätzen zu folgen. Aber sie kann und muß nicht nur die eigenen nationalen Vorstellungen in die Allianzplanung einbringen, sondern sie muß gleichermaßen allein — soweit möglich —, besser noch gemeinsam mit den übrigen Bündnispartnern untaugliche Konzeptionen und der Vorne-Verteidigung unzuträgliche operative Modelle für den Bereich der NATO verhindern. 8. Kriterium: Optimierung der Verteidigungsfähigkeit Das 7. und 8. Kriterium gehören eng zusammen. Um nicht den Pfad der allgemeinen Betrachtung zu verlassen und der eingangs bemängelten Verengung auf die militärische Sichtweise anheimzufallen, seien hier nur wenige Punkte herausgehoben: Anforderungen an den Wandel von militärischer Strategie und Struktur müssen neben den bisher genannten Kriterien immer auch und gerade die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit im Auge haben. Ausgehend von dem Vermögen zu einer „kollektiven Aktionsfähigkeit“ auf operativer und taktischer Ebene sind grundsätzlich Steigerungen der Fähigkeit zur Luftabwehr, Panzerabwehr und Sperrung gefordert.
Diese Qualifikationen müssen aktive, passive (nicht weiträumig grenzüberschreitend — siehe Kriterium 7) und defensive militärische Programme umfassen. Sie müssen sowohl die statische wie die bewegliche Komponente zeitgerechter taktischer und operativer Handlungsmöglichkeiten berücksichtigen und beinhalten. Eine ausschließliche Beschränkung auf das eine oder das andere Merkmal behindert nicht nur eine vielschichtige und flexible Reaktions-und Aktionsfähigkeit; sie würde darüber hinaus eine auf Risikoandrohung angewiesene Abhaltung des Gegners starr werden lassen und der Gefahr aussetzen, berechenbar und kalkulierbar zu sein. Folglich wären die Verteidigungsanstrengungen minimiert und nicht mehr kostengerecht. Das Kriterium 6 (Sozialverträglichkeit) würde zudem unterlaufen.
Zur Ergänzung der bisher genannten Fähigkeitssteigerungen und im Rahmen der kollektiven Aktionsfähigkeit bieten sich sechs Bedingungen eines möglichen Kriegsbildes an Sie können die
Aktionsschienen sein, auf denen sich die Optimierung der Verteidigungsfähigkeit im wesentlichen auf der operativ-taktischen Ebene zu orientieren hat. Sie lauten — immer im militärischen Sinne zu verstehen —:
— Punkte, Standorte, Ziele;
— Entfernung;
— Fläche (Breite/Tiefe);
— Höhe;
— Zeit;
— Information;
— Elektromagnetisches Spektrum.
In dem folgenden Abschnitt IV soll eine graphische Darstellung versucht werden, die sowohl die zehn Kriterien, die Fähigkeitsanforderung wie die Bedingungen des Kriegsbildes als Einflußgrößen auf das politisch-militärische Entscheidungsfeld für Strategie-und Strukturkonzeptionen (herkömmlich und/oder alternativ) erläutern soll. 9. Kriterium: Teil-und Zwischenlösungsmöglichkeit Militärische Strategien und Strukturen müssen nicht nur — wie bisher erläutert — politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und psychologische Wandlungen berücksichtigen. Sie müssen gleichermaßen auch militärisch begründete und notwendige Einschnitte, Änderungen oder Verschiebungen zulassen können. Sie dürfen nicht so starr sein, daß Teilaspekte immer sofort auch eine generelle Umorientierung unumgänglich machen. Das setzt allerdings voraus, daß im sicherheitspolitischen Verständnis nicht jede Forderung und jeglicher Anspruch nach einer Erweiterung oder Verbesserung einer Fähigkeit im Bereich von Dislozierung, Gliederung, Bewaffnung oder personellen/materiellen Absichten zugleich nach einer umfassenden Bestandsaufnahme rufen läßt.
Im gleichen Sinne müssen Teil-und Zwischenlösungsprogramme stets auch nach ihren Bezügen zur Gesamtstrategie und -Struktur untersucht werden. Dieser Kontrollmechanismus ist deshalb notwendig, um Programme zu verhindern, die auf „Schleichwegen“ unangemessene, unzuträgliche Konzeptionserweiterungen erreichen wollen. Gemeint sind Aktionen, die den Charakter der sicherheitspolitischen Dimensionen einseitig zugunsten der militärischen Komponente verändern oder die Maßnahmenkataloge der Vorneverteidigung räumlich oder offensiv ausweiten wollen. 10. Kriterium: Evolutionäre Entwicklung Um die zuletzt genannten Gefährdungen bei der Einführung von Teil-und Zwischenlösungen sowie bei einem insgesamt vorzunehmenden Strate-gie-und Strukturwandel auszuschließen, verbietet sich in einer krisen-und konfliktreichen Ära — und in der scheinen wir derzeit im sicherheitspolitischen Bereich zu leben — jedwede abrupte Kursänderung. Sie würde aufder eigenen Seite als auch beim Gegenüber nur Irritation hervorrufen. Die Folge wäre ein Schwenk von einer auf Strategische Stabilität ausgelegten Sicherheitspolitik hin zu einer gefährlichen Destabilisierung.
In einer so sensiblen Region wie der hiesigen müssen plötzliche Strategie-und Strukturänderungen (auch Teiländerungen) immer auch zu überzogenen politischen und militärischen Reaktionen führen. Das eigene Verständnis von der Aufgabe der Streitkräfte wie auch die Wahrnehmung durch die Gegenseite verlangen eine ausgewogene, transparente, evolutionäre Entwicklung. Im Verständnis einer Sicherheit, die diese nicht als Null-summenspiel — Gewinne der einen Seite sind zugleich Verluste der anderen — versteht, muß ausdrücklich dieser Grundsatz im gleichen Maße für die Streitkräfte des Warschauer Pakts gelten.
IV. Einwirkungs-und Bestimmungsgrößen in einem Modell
Wie können diese Kriterien in ein sicherheits-und verteidigungspolitisches Entscheidungsfeld einfließen und wie könnte dieses graphisch dargestellt aussehen?
Der folgende Versuch einer Systematik für eine sicherheits-und verteidigungspolitische Entscheidungshilfe kann nicht vollständig sein. Die relevanten Aspekte und Kriterien einer Planungsgrundlage ergeben sich aus den zuvor aufgeführten Übersichten. Sie lauten entsprechend der Hierarchie der eingangs skizzierten Ebenen (Abb. 1):
Lebensfähigkeit im Frieden; Sozialverträglichkeit; Bündnisverträglichkeit; Optimierung der Verteidigungsfähigkeit; Teil-und Zwischenlösungsmöglichkeit; Evolutionäre Entwicklung.
Drittens: Bedingungen (Abschnitt III, Kriterium 8.)
Punkte, Standorte, Ziele;
Entfernung;
Fläche (Breite/Tiefe);
Höhe;
Zeit;
Information;
Elektromagnetisches Spektrum.
Diese drei Gruppierungen wirken mit unterschiedlicher Präferenz und Intensität auf die militärische Strategie und Struktur. Daraus kann sich die folgende Übersicht (Abb. 2) ergeben.
Nachzutragen bleibt, daß ein derartiges „Entscheidungsdreieck“ nichts über die tatsächliche Wertigkeit der einzelnen Einwirkungs-und Bestimmungsgrößen aussagen kann. Ebenso klar ist, daß es je nach politisch-militärischer Erfordernis und Sichtweise unterschiedliche Prioritätenzuordnungen geben kann. Zum entsprechenden Einstieg in diese Problematik müßten eventuell soge-nannte Bewertungsmatrixen herangezogen werden, die die jeweiligen Strategie-und Strukturmodelle in der Reihenfolge an den Vorgaben der Dimensionen, Kriterien und Bedingungen untersuchen und messen und daran eine zusammenfassende Wertungsübersicht anschließen würden. Dieser Arbeitsprozeß muß jedoch der zweite Schritt nach Berücksichtigung der genannten Kriterien bleiben. Ansonsten käme es nur zu der anfänglich bemängelten Verengung auf die rein militärische Pespektive.
V. Folgerungen
Eingangs wurden Horst Afheldts sechs Kriterien für eine Konzeption einer Defensiv-Militärstrategie vorgestellt. Ein Vergleich zu dem dann folgenden Kriterienkatalog weist zwei Merkmale auf: Einerseits sind Ähnlichkeiten oder Gleichheiten feststell-bar. Gemeint sind die Kriterien Kriegsverhütung (Afheldt: Krieg so unwahrscheinlich wie möglich machen) und Sozialverträglichkeit (Afheldt: Verteidigungsmittel und -Strategien müssen die eigene soziale und wirtschaftliche Struktur sichern). Die übrigen Afheldtschen Kriterien weisen hingegen unmißverständliche Anforderungen an ein spezielles Militärkonzept auf. Sie verlieren bewußt den eher allgemeinen Charakter. Sie wären somit die nachfolgende Stufe einer Kriterien-skala, nachdem die Beurteilung gemäß der allgemeinen Prinzipien eine Hinwendung auf ein Defensivkonzept ergeben haben mag. In dieser Arbeit wird dieser Schritt bewußt unterlassen, um damit nicht das eine oder andere Modell zu bevorzugen. Außerdem sind Afheldts Thesen ebenfalls nach seiner umfassenden sicherheits-und verteidigungspolitischen Analyse entstanden. Vorzuschlagen wäre demnach: Es müßte überprüft werden, inwieweit diese hier erläuterten zehn Richtlinien zu den sechs Afheldt-Kriterien führen. Die herkömmlichen und die alternativen Änderungsvorschläge und Modelle (siehe Abschnitt I) sollten in der bezeichneten Reihenfolge untersucht und bewertet werden. Es sei aber nochmals darauf hingewiesen, daß es bei den vorangegangenen Überlegungen in der Hauptsache darum ging, den sicherheitspolitischen Vorrang bei der Festlegung von Kriterien zu unterstreichen. Sollen sie in den politischen Prozeß umgesetzt werden, bedürfen sie zum einen der Anerkennung und zum anderen des allgemeinen Konsens und zum dritten einer einheitlichen Präferenzfestlegung. Diese Ansprüche kann und will dieser Vorschlag nicht erfüllen. Vielleicht ist aber mit diesem Beitrag ein Anstoß für eine breiter angelegte, auf eine gemeinsame Plattform ausgerichtete und über die Begrenzung auf rein militärische Themen hinausreichende Diskussion möglich.
Schließlich soll noch eine als grundsätzlich zu verstehende Bemerkung zur überwölbenden Vorgabe und Funktion der Politik gegenüber politisch-militärischen Planspielen bis hin zu Strukturmodellen angefügt werden: Das Denken und Handeln in diesem Sinne muß zugleich seine Orientierung und seinen Rahmen finden in den Maximen der Friedens-und Entspannungspolitik (Abb. 1, Ebene A), die „... nicht nur das Verhältnis zu den Nachbarn in all seiner Vielschichtigkeit, sondern auch zum Bürger im eigenen Lande (umfaßt) und weite Bereiche gesamtstaatlichen Handelns (überlagert)“
Franz H. U. Borkenhagen, geb. 1945; Referent, Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik — SAS. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Bundeswehr— Demokratie in Oliv? Streitkräfte im Wandel, Bonn-Berlin 1986; Militärische Defensivkonzepte in einem System der Kollektiven Sicherheit (SKS), in: Dieter S. Lutz (Hrsg.), Kollektive Sicherheit in und für Europa — Eine Alternative?, Baden-Baden 1985.
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