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Die Institutionalisierung des KSZE-Prozesses. Perspektiven und ihre Bewertung | APuZ 1-2/1987 | bpb.de

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APuZ 1-2/1987 Amerikanisch-sowjetische Beziehungen nach Reykjavik Die Institutionalisierung des KSZE-Prozesses. Perspektiven und ihre Bewertung Ende der KVAE — Ende der politischen Vertrauensbildung in Europa? Erfolgsbedingungen der Politik militärischer Vertrauensbildender Maßnahmen

Die Institutionalisierung des KSZE-Prozesses. Perspektiven und ihre Bewertung

Norbert Ropers/Peter Schlotter

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Institutionalisierung des KSZE-Prozesses sollte nicht als Selbstzweck betrachtet werden. Vielmehr kommt es darauf an, zu prüfen, ob und inwieweit das bisherige Leistungsprofil des KSZE-Prozesses durch einzelne Institutionalisierungsmaßnahmen verbessert werden könnte. Ein heikler Punkt ist dabei die Aufrechterhaltung des Kompromiß-bzw. Konsenszwanges. Denn nur, wenn dieser Mechanismus weiterhin funktioniert, ist mit einer anhaltenden Dynamik des KSZE-Prozesses zu rechnen. Andernfalls bestünde die Gefahr einer Reduktion auf die schlichte „Verwaltung“ der einmal erreichten Beschlußlage. Vor diesem Hintergrund sind nur sehr bescheidene Institutionalisierungsmaßnahmen geeignet, um das Instrumentarium der gesamteuropäischen Konferenzdiplomatie zu verbessern. Eine Möglichkeit dieser Art ist die Einrichtung eines häufiger tagenden Koordinierungsgremiums zwischen den Folgetreffen, sofern es strikt auf koordinierende und prozedurale Funktionen beschränkt bliebe. Eine andere Möglichkeit bietet die Institutionalisierung von eng umgrenzten und politisch weniger umstrittenen Teilbereichen des KSZE-Themenkatalogs. Unabhängig davon, welcher Institutionalisierungsweg im einzelnen beschritten wird, dürfte es sich generell empfehlen, nur schrittweise vorzugehen, um die KSZE-Folgetreffen in ihrer zentralen und koordinierenden Funktion zu sichern und um die politische Steuerung des Gesamtprozesses zu erhalten.

I. Einleitung

Am 4. November 1986 begann in Wien das dritte Folgetreffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Anders als die voraufgegangenen Folgetreffen in Belgrad (1977/78) und Madrid (1980— 1983), scheint diese Veranstaltung unter günstigeren Rahmenbedingungen stattzufinden. In Stockholm ist es auf der Konferenz über Vertrauens-und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE) zu einer von allen Teilnehmerstaaten begrüßten Einigung gekommen; im Verhältnis zwischen den beiden Führungsmächten USA und UdSSR ist eine deutliche Entspannung zu registrieren, und der Verlauf der Vorkonferenz sprach für eine beachtliche Kompromißbereitschaft bei allen Beteiligten. Trotzdem ist damit der Erfolg des Treffens noch keinesfalls garantiert. Sowohl die Fortführung der KVAE als auch die Zukunft der Körbe II (über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Kooperation sowie Umweltfragen) und III (über humanitäre Fragen) berühren eine Reihe höchst kontroverser und schwieriger Fragen. Um hier zu einer weiteren Verständigung in der Sache zu gelangen, wird es in Wien auch um die Frage gehen, wie der KSZE-Prozeß unter institutionellen Gesichtspunkten weiterentwickelt werden kann und soll. Im abschließenden Dokument des Madrider KSZE-Folgetreffens war ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Kontinuität des KSZE-Prozesses unternommen worden, indem ansatzweise eine Periodizität der Folgetreffen festgeschrieben wurde: „In Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen der Schlußakte und mit ihrer Entschlossenheit sowie ihrer Verpflichtung, den durch die KSZE eingeleiteten multilateralen Prozeß fortzusetzen, werden die Teilnehmerstaaten regelmäßig weitere Treffen zwischen ihren Vertretern abhalten.“ Darüber hinaus beschlossen die Teilnehmerstaaten in Madrid durch die Vereinbarung von insgesamt sechs multilateralen Treffen eine deutliche Verdichtung des KSZE-Prozesses bis zur Wiener Folgekonferenz.

Trotz dieser Maßnahmen zur Verstetigung und Intensivierung des KSZE-Prozesses ist die Frage der „Institutionalisierung“ weiterhin offen. So haben die KSZE-Konferenzen bisher die Frage der Einrichtung ständiger gesamteuropäischer Institutionen nicht abschließend beantwortet, sondern dies vom weiteren Verlauf des Entspannungsprozesses und insbesondere der Implementierung der KSZE-Beschlüsse abhängig gemacht. Außerdem wurde immer wieder deutlich, daß die Teilnehmerstaaten auch hinsichtlich der institutioneilen Formen für die Fortsetzung des KSZE-Prozesses unterschiedliche Meinungen vertraten. Nicht zuletzt hat der Begriff der „Institutionalisierung“ für Verwirrung gesorgt, da er sehr weit interpretierbar ist und unter dieser Überschrift recht unterschiedliche Ziele verfolgt werden können.

In der Politikwissenschaft und in der Soziologie werden mit dem Begriff Institutionalisierung sehr viel umfassendere Tatbestände angesprochen als in der politischen oder juristischen Alltagssprache. Das „Lexikon zur Soziologie“ definiert Institutionalisierung als „Vorgang der Generalisierung und Typisierung von gegenseitig aufeinander bezogenen und stark habitualisierten Handlungen, so daß sich relativ konstante Handlungsund Beziehungsmuster herausbilden“

Wenn dieser weite Begriff der Institutionalisierung verwendet wird, so ist der KSZE-Prozeß bereits heute eine „Institution“ zur Regelung von Konflikten im europäischen Ost-West-Verhältnis. Im Unterschied zu den traditionellen Formen diplomatischer Verhandlungen dienen die Schlußdokumente nämlich nicht nur der Kodifizierung einer einmal erreichten Beschlußlage; sie sind zugleich der Ausgangspunkt für die nächste Konferenz Dieser Aspekt, der in Madrid ausdrücklich festgeschrieben wurde, bedeutet, daß der Wert des KSZE-Prozesses sich nur zu einem Teil an der Substanz der bisher produzierten Schlußdokumente ermessen läßt. Ebenso bedeutsam sind die Spielregeln, die den Verhandlungsprozeß vorantreiben, und die Dynamik der periodischen Kommunikation über fast alle Bereiche der Ost-West-Beziehungen.

In der vorliegenden Studie möchten wir allerdings von dem alltagssprachlichen Begriff der Institutionalisierung ausgehen. Er ist dadurch gekennzeichnet, daß sich „bestimmte konstante Handlungs-und Beziehungsmuster im Sinne des weiteren Institutionalisierungsbegriffes zu einer organisatorischen Einheit, z. B. in Form eines Sekretariats, Rates oder Komitees, verdichtet haben“ Derartige gesamteuropäische Organisationen waren zu Beginn der siebziger Jahre ein wichtiges Element der KSZE-Vorschläge der Sowjetunion sowie ihrer Verbündeten, und auch westliche Wissenschaftler widmeten dieser Frage große Aufmerksamkeit. Im Zuge der Entfaltung des KSZE-Prozesses trat dieses Thema dann in den Hintergrund. Mittlerweile ist es jedoch wieder aktuell, da eine längerfristige Fortsetzung des KSZE-Prozesses viele Fragen aufwirft, die die institutionell-organisatorische Struktur dieses Prozesses betreffen

Ob eine stärkere Institutionalisierung des KSZE-Prozesses die Realisierung der in der Schlußakte niedergelegten Zielvorstellungen fördern könnte oder nicht, ist deshalb weiterhin eine bedeutsame Frage der europäischen Friedenspolitik. Allerdings stellt sie sich heute anders als Anfang der siebziger Jahre. Während das theoretische Für und Wider komplexer gesamteuropäischer Organisationsmodelle nur noch eine geringe Rolle spielt, gibt es eine relativ breite Debatte über partielle Änderungen innerhalb des schon bestehenden KSZE-Prozesses. Das heißt, die Palette an Institutionalisierungsperspektiven hat sich wesentlich verbreitert.

Diesem Gesichtspunkt möchten wir auch in unserer Studie Rechnung tragen, indem wir die Frage nach den Vor-und Nachteilen verschiedener Institutionalisierungsmodelle in zwei Schritten beantworten: — einer knappen Analyse der wichtigsten prozeduralen und institutioneilen Merkmale des KSZE-Prozesses, um daraus Kriterien für die Bewertung von Institutionalisierungsvorschlägen abzuleiten, und — einer Systematisierung der Institutionalisierungsvorschläge und deren Bewertung anhand dieses Kriterienkatalogs.

II. Kriterien für die Bewertung von Institutionalisierungsvorschlägen

Mit der Schlußakte von Helsinki ist es zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte gelungen, einen gemeinsamen Katalog von Zielvorstellungen, Verhaltensregeln und Absichtserklärungen zu verabschieden, der auf absehbare Zeit den Horizont einer verstärkten gesamteuropäischen Sicherheit und Zusammenarbeit zu definieren vermag. Auch wenn viele der dort niedergelegten Ansprüche noch lange nicht eingelöst werden dürften, bieten die KSZE-Dokumente immerhin konsensuale Maßstäbe, an denen schon das heutige Verhalten gemessen werden kann.

Ermöglicht wurde dies durch ein innovatives Element in der Ost-West-Politik: den „blockübergreifenden Multilateralismus" 6), d. h. die gleichberechtigte Teilnahme von 35 souveränen westlichen, östlichen und neutralen bzw. nichtblockgebundenen Staaten und die Beschlußfassung nach dem Konsensprinzip. Im Gegensatz zu direkten Verhandlungen zwischen den Bündnisvormächten bzw.den Bündnisorganisationen bietet diese Interaktionsweise insbesondere den kleineren Staaten eine Mitwirkungsmöglichkeit.

Ein weiteres innovatives Element der KSZE-Diplomatie ist ihr prozeßorientierter Charakter. Im Laufe der vergangenen anderthalb Jahrzehnte entwickelte sich aus der KSZE durch das System der Folgetreffen und Expertenkonferenzen der KSZE-Prozeß. So entstand ein neuer Typus von Ost-West-Diplomatie, der die Beteiligten immer wieder an einen Tisch brachte und den Meinungs-und Informationsaustausch zwischen ihnen zu einer regelmäßigen Aufgabe machte. Zusammen mit dem breiten Teilnehmerkreis konnte dieser Kommunikationsprozeß dazu beitragen, einige Auswirkungen der Krise der Entspannungspolitik zwischen den beiden Bündnisvormächten abzumildern. Allerdings hängt aufgrund des Verzichts auf ein permanentes Folgeorgan und die periodische Einberufung von Konferenzen die Fortführung des KSZE-Prozesses davon ab, daß bei den hochrangigen Folgetreffen eine Einigung über das nächste Treffen zustande kommt. In Belgrad und Madrid ist das bisher gelungen, auch wenn es zeitweise nicht danach aussah. Ob dies auch künftig gelingen wird, ist eine offene Frage. In einer besonders kritischen Situation ist ein Abbruch des KSZE-Prozesses jedenfalls nicht auszuschließen. Ein drittes Strukturelement des KSZE-Prozesses ist die langfristige „Konfliktsozialisierung“ durch interessenausgleichende Kompromisse. Der Ausgangspunkt des KSZE-Prozesses war eine Art Tauschgeschäft, das beiden Seiten als lohnend erschien: Das östliche Streben nach einer Anerkennung des Status quo und einer Stärkung der sozialistischen Ökonomien durch die Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen stand einem westlichen Bemühen um die Steuerung und Einbindung des sowjetischen Konflikt-verhaltens sowie um größere Freizügigkeit für Menschen und Informationen gegenüber. Der Interessenausgleich wurde in der Schlußakte durch die Verknüpfung der drei thematischen Körbe formalisiert und durch den Konsens über die grundsätzliche, wenn auch nicht rechtliche Verbindlichkeit des insgesamt verabschiedeten Textes bekräftigt

Während des mit dem Jahr 1975 beginnenden KSZE-Prozesses konnten bis heute neue Beschlüsse nur dort vereinbart werden, wo beide Seiten wiederum bereit waren, sich auf einen neuen Interessenausgleich und eine schrittweise Erarbeitung von neuen Kompromissen einzulassen. Ein Vergleich der Folgetreffen von Belgrad (1977/78) und Madrid (1980— 1983) sowie der diversen Expertentreffen macht das deutlich. Nur dort, wo die Bereitschaft zu interessenausgleichenden Kompromissen vorhanden war und sich auch aus der Verhandlungsmaterie geeignete „package deals" anboten, ließen sich substantielle Schlußdokumente verabschieden.

Aus diesen Erfahrungen lassen sich ein kurz-und ein langfristiger Wirkungsmechanismus herauskristallisieren, die beide nach unserer Ansicht den entscheidenden entspannungspolitischen Wert der KSZE-Diplomatie ausmachen. Der* kurzfristige beruht auf der Stabilität und dem Gewicht der interessenausgleichenden Kompromisse und „package deals“. Je mehr Gewinn eine Seite aus solchen Vereinbarungen zieht, desto größer dürfte ihre Bereitschaft sein, auch „Nachteile“ zu akzeptieren. Der langfristige Wirkungsmechanismus läßt sich stichwortartig mit der These von der „normativen Kraft des Faktischen“ (und des Symbolischen) umschreiben:

Der mit dem KSZE-Prozeß entwickelte Fächer an Verhaltensregeln, Absichtserklärungen und praktischen Empfehlungen für alle möglichen Beziehungsfelder schafft allmählich eine gesamteuropäische Kultur der Konfliktregulierung und Kooperationsförderung, der sich die Teilnehmer-staaten um so weniger entziehen können, je länger dieses Regelwerk in Kraft ist und je häufiger es tatsächlich für die Problemlösung im Ost-West-Verhältnis herangezogen wird. Die beiden Wirkungsweisen lassen sich im Begriff der „Konfliktsozialisierung“ zusammenfassen. Damit ist gemeint, daß die Konfliktregulierung zwischen Ost und West schrittweise in ein dichter werdendes Geflecht von expliziten Vereinbarungen und impliziten Verhaltenserwartungen eingebunden wird — ähnlich dem säkularen Prozeß der Zivilisierung bzw. Sozialisierung innergesellschaftlicher Konflikte im Verlauf der Neuzeit.

Ein letztes Strukturelement ist die Diskussion innergesellschaftlicher Verhältnisse als ein legitimes Thema der KSZE-Konferenzen. Während ursprünglich auf westlicher Seite befürchtet worden war, daß durch die KSZE die Sowjetunion ein einseitiges Mitspracherecht in westeuropäischen Angelegenheiten erhalten könnte, hat die reale Entwicklung einen genau entgegengesetzten Effekt belegt. Die Ursache liegt vor allem darin, daß in der Schlußakte auch innergesellschaftliche Verhältnisse als legitimer Gegenstand internationaler politischer Kontrolle anerkannt wurden. Diese Aspekte repräsentieren einen weitverbreiteten Konsens über den entspannungspolitischen Nutzen der KSZE. Die Überlegungen zur Institutionalisierung sollten sich deshalb konsequenterweise darauf richten, diese Stärken des KSZE-Prozesses zu bewahren und, wenn möglich, noch auszubauen. Um diese Überlegungen möglichst präzise beurteilen zu können, sollen die erwähnten Gesichtspunkte in einem Katalog von fünf Kriterien zusammengefaßt werden 1. Sicherung der Kontinuität des KSZE-Prozesses (und seiner Voraussetzungen)

Dieses Kriterium wird meistens an erster Stelle genannt, wenn es um die Begründung einer stärkeren Institutionalisierung des KSZE-Prozesses geht. Durch die Etablierung eines ständigen Gremiums bzw. Sekretariats oder durch eine Verstetigung und Formalisierung des Prozesses —-so ein verbreitetes Argument — steigen die Chancen, den KSZE-Prozeß über kritische Phasen hinweg erhalten zu können. So einleuchtend diese These auf den ersten Blick ist, zwei Fragen bleiben dabei offen: nämlich erstens, welche Form der Institutionalisierung die Kontinuität am besten gewährleistet, und zweitens, ob nicht die Sicherstellung der Voraussetzungen substantieller KSZE-Fortschritte wichtiger ist als die institutionelle Kontinuität des Prozesses als solchem. 2. Verbesserung der informationeilen Leistungen und der prozeduralen Effizienz des KSZE-Prozesses Zu den informationellen Funktionen zählt vermutlich der größte Teil der KSZE-Aktivitäten. Sie betreffen die Sammlung, Analyse, Bewertung und den Austausch von Daten und Meinungen auf den KSZE-Treffen. Im weiteren Sinne können sowohl die Darstellung grundsätzlicher Positionen, das Einbringen und die Erörterung neuer Vorschläge sowie die Implementierungsdebatte als informationeile Leistungen qualifiziert werden. 3. Förderung effizienter Problemlösungen für die im Rahmen des KSZE-Prozesses behandelten Fragen

Die Förderung sachlich effizienter Problemlösungen scheint ein so selbstverständliches Kriterium für die Beurteilung politischer Instanzen und Verfahren zu sein, daß es kaum erwähnt werden muß. Im Zusammenhang der KSZE verdient dieser Aspekt jedoch besondere Aufmerksamkeit, da innerhalb dieses Prozesses verschiedene und zum Teil recht komplizierte Problemlösungsstrategien wirksam sind. 4. Sicherung und Ausbau der langfristigen konfliktsozialisierenden Funktion des KSZE-Prozesses

Die langfristige konfliktsozialisierende Wirksamkeit des KSZE-Prozesses beruht vor allem auf dem Gewicht der durch ihn organisierten Interessenverknüpfungen und der fortwährenden Relevanz des KSZE-Instrumentariums für die Organisation der Ost-West-Beziehungen. Ob Institutionalisierungsmaßnahmen diese Funktion fördern können, hängt vor allem davon ab, wie stark der Aufforderungscharakter ist, diese KSZE-Struktur für die Regelung wichtiger Ost-West-Fragen zu benutzen. 5. Sicherung und Förderung der Partizipationschancen für die kleineren und mittleren Teilnehmerstaaten

Auch bei diesem Kriterium ist der Einfluß der Institutionalisierung zunächst eine offene Frage. Einerseits könnte durch die Verstetigung der multilateralen Interessenabklärung der Einfluß der kleineren und mittleren Staaten auf die Ost-West-Politik auf Dauer sicher gestellt werden, andererseits besteht bei einer Routinisierung und Bürokratisierung der gesamteuropäischen Zusammenarbeit die Gefahr, daß der Einfluß dieser Staaten durch das organisatorische Gewicht der Großmächte und Bündnissysteme verringert wird.

Diese fünf Kriterien sollen im folgenden an die verschiedenen Modelle einer Institutionalisierung angelegt werden.

III. Eine Synopse von fünf Denkrichtungen zur Institutionalisierung des KSZE-Prozesses und ihre Bewertung

Unter systematischen Gesichtspunkten lassen sich die verschiedenen Vorschläge und Ideen zur Institutionalisierung fünf Denkrichtungen bzw. Konzeptionen zuordnen: 1. Vorschläge zur Bildung einer eigenständigen internationalen Organisation gesamteuropäischen Zuschnitts, 2. Vorschläge zur Verdichtung des KSZE-Prozesses durch die Einrichtung von häufiger tagenden Gremien zwischen den Folgetreffen, 3. Vorschläge zur Verstetigung und Formalisierung des KSZE-Prozesses durch Periodisierung der Folgetreffen, 4. Vorschläge zur Institutionalisierung in Subregionen des KSZE-Raumes, 5. Vorschläge zur Institutionalisierung in funktionalen Teilbereichen des KSZE-Themenkatalogs.

Natürlich gibt es zwischen diesen fünf Grund-richtungen diverse Überschneidungen; für eine systematische Bewertung sind sie jedoch weniger relevant. 1. Vorschläge zur Bildung einer internationalen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Die ursprünglichen Vorschläge zur KSZE seitens der Sowjetunion orientierten sich deutlich am Modell einer internationalen Organisation, d. h. einer durch einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossenen Staatenverbindung mit drei Merkmalen

— einer Veranstaltung regelmäßiger Treffen zwischen offiziellen Vertretern der beteiligten Staaten,

— einem Satz einheitlicher Verfahrensregeln für die intergouvernementale Zusammenarbeit und — einem ständigen bürokratischen Apparat zur Organisation der Treffen und zur Ausführung der Beschlüsse.

Diese Vorstellungen sind auch kennzeichnend für die verschiedenen KSZE-Modelle in der wissenschaftlichen Diskussion Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre Bei allen Unterschieden im Detail waren sie sich darin einig, daß die zu schaffenden gesamteuropäischen Institutionen neben einer systematischen Konferenzdiplomatie einen permanenten organisatorischen Unterbau erhalten sollten, weil viele Autoren die Erwartung hatten, daß mit der KSZE ein schrittweiser Übergang von der Teilung Europas in zwei Bündnissysteme zu einem gesamteuropäischen System der kollektiven Sicherheit stattfinden würde (bzw. sollte). Diese Erwartungen sind mittlerweile durch die Beschränkung des KSZE-Prozesses auf einen zusätzlichen, die Bündnis-strukturen nicht in Frage stellenden, blockübergreifenden Multilateralismus hinfällig geworden. Interessant sind deshalb heute nur noch jene Vorstellungen, die trotz dieser Entwicklung am Ziel eines kollektiven Sicherheitssystems festhalten bzw. eine eigenständige gesamteuropäische Organisation auch außerhalb eines solchen Systems als funktional ansehen.

Zu der ersten Gruppe lassen sich verschiedene Konzepte aus der jüngeren Diskussion über eine europäische Friedensordnung rechnen. So schlägt Dieter S. Lutz Schritte zu einem „System kollektiver Sicherheit (SKS) in und für Europa“ vor Dabei kommt der Institutionalisierung eine Schlüsselrolle zu, und zwar in der letzten, dritten Phase, in der sie als funktionales Äquivalent an die Stelle der Bündnissysteme treten soll. Allerdings wird das Institutionalisierungsgefüge nicht im einzelnen beschrieben. Ausführlicher sind die Institutionalisierungsvorschläge von Herbert Ammon und Theodor Schweisfurth für ein „System kollektiver Sicherheit für Europa“ (SKSE) Sie sehen die Errichtung eines „Ständigen Europäischen Sicherheitsrates“ sowie eine dichte Folge von Sicherheitskonferenzen auf der Ebene Regierungschefs, Außen-und der der der Verteidigungsminister vor.

Die zweite Gruppe von Vorschlägen zur Institutionalisierung des KSZE-Prozesses in Richtung auf eine eigenständige internationale Organisation ohne die Perspektiven eines kollektiven Sicherheitssystems orientiert sich generell an der friedensfördernden Funktion blockübergreifender Kommunikations-und Regulierungsstrukturen in Europa Die konkrete Struktur einer solchen Organisation wird allerdings selten spezifiziert. Ein Beispiel ist die Idee einer „Organisation Europäischer Staaten“ bei Hermann Scheer Sie soll durch jährliche Treffen aller europäischen Regierungschefs eine gesamteuropäische politische Kommunikationsebene fördern und nach dem Muster der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) oder der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) gestaltet werden

In jüngster Zeit ist Olaf Feldmann eine der wenigen Ausnahmen, die die Konkretisierung eines solchen Modells versucht haben Er plädiert dafür, die KSZE langfristig in eine „europäische Filiale“ der Vereinten Nationen umzuwandeln, und knüpft damit an einige der Vorschläge aus dem wissenschaftlichen Bereich zur Institutionalisierung im Vorfeld der KSZE-Verhandlungen an. Der erste Schritt sollte in der Einrichtung eines „Ständigen Büros der KSZE“ bestehen, mit den beiden zentralen Aufgaben, als Clearing-Stelle bei der Implementierungsdiskussion zu fungieren und den Plan für die Gründung einer regionalen VN-Organisation auszuarbeiten. In einem nächsten Schritt könnte dann ein „Ständiger Rat für alle die Sicherheit Europas betreffenden Fragen“ eingerichtet werden, mit einem festen Sitz in einem der neutralen Staaten. Dieser Rat, bestehend aus Delegierten aller KSZE-Teilnehmerstaaten, sollte in relativ kurzen Abständen (eventuell monatlich) zusammentreten und schrittweise seine Kompetenzen ausweiten. Für die moderierenden und operativen Funktionen dieser Organisationen sollte ein Generalsekretär verantwortlich sein, der ebenfalls aus den Reihen der Neutralen zu wählen wäre.

Wie sind diese Vorstellungen — abgesehen von den Realisierungschancen — im Hinblick auf die oben angeführen fünf Kriterien zu bewerten? Die Kontinuität des KSZE-Prozesses scheint bei dieser Form der Institutionalisierung am besten gesichert zu sein. Unabhängig von der inhaltlichen Verständigung in Konfliktfragen garantiert die auf Dauer angelegte Struktur von Ratssitzungen und einem Sekretariat die Fortführung der gesamteuropäischen Zusammenarbeit. Hinzu käme eine erhebliche symbolische Aufwertung, die eine Rücknahme dieses Institutionalisierungsschrittes schwierig machen würde. Ob damit allerdings auch die politischen Voraussetzungen der Kontinuität besser gesichert werden können, ist eine offene Frage. Auszuschließen ist nicht, daß die Entlastung der KSZE-Verhandlungen von der Kontinuitätssicherung den Konsenszwang vermindert und damit den Prozeß aushöhlen könnte. Dieser denkbare Effekt betrifft auch das Kriterium der langfristigen konfliktsozialisierenden Funktion des KSZE-Prozesses. Wenn nämlich der Konsenszwang verringert würde, müßte darunter ebenfalls die substantielle Dynamik des Prozesses leiden. Die Möglichkeiten zur Differenzierung und Aktualisierung der Verhaltensregeln über das „package dealing" wären kleiner; statt dessen wüchsen die Gefahren, daß die Ratssitzungen sich in immer detaillierteren Implementierungsdebatten verschleißen würden.

Wesentlich positiver ist dagegen bei diesem Modell das Kriterium der informationellen Leistungen und der prozeduralen Effizienz des KSZE-Prozesses einzuschätzen. Die Formalisierung und Routinisierung der Verfahrensweisen im Rat und im Sekretariat dürfte die äußeren Bedingungen für die gesamteuropäische Zusammenarbeit erleichtern. Mühsame Vorkonferenzen über die Tagesordnung von Folgetreffen können entfallen, die administrative Unterstützung von Konferenzen und Expertentreffen wird vereinheitlicht und durch die Akkumulation von Erfahrungen möglicherweise auch verbessert. Außerdem entsteht ein bürokratischer Apparat, dessen informationelle Leistungen eine zusätzliche Quelle für das Monitoring des KSZE-Prozesses darstellen. Schließlich ist noch der Effekt zu bedenken, daß sich mit dem hauptamtlichen Personal der KSZE-Organisation eine neue Experten-und Interessengruppe für gesamteuropäische Belange herauskristallisieren könnte. Dieser Effekt war allerdings schon in den früheren Institutionalisierungsdebatten umstritten. So sah Zellentin in einer solchen Institutionalisierung Ansatzpunkte für eine eigenständige „Agentur für ein gesamteuropäisches Interesse“ während Kühne statt dessen eine im Sande verlaufende bürokratische Eigendynamik befürchtete Vermutlich treffen beide Argumente zu. Jede Institutionalisierung politischer Regelungsmechanismen steht nämlich in dem Spannungsverhältnis, daß sie einerseits den zugrundeliegenden Konflikt mit „neutralen“ Elementen anzureichern vermag und andererseits leicht ein „Schattendasein“, abseits vom realen Konfliktgeschehen, führen kann.

Ein wichtiges zusätzliches Bewertungskriterium ist deshalb dasjenige einer sachlich effizienten Problemlösung. Sie betrifft den KSZE-Prozeß in drei verschiedenen Formen: als direkte und indirekte Problemlösung und als Delegation von Problemlösungen. Dort, wo im Rahmen von KSZE-Veranstaltungen eine direkte Lösung gesucht wird, könnte die Institutionalisierung weiterhelfen, weil es hier um das Aushandeln von Kompromissen geht, wobei der langfristige Kontakt unter Experten die Kommunikation erleichtert. Für die beiden anderen Problemlösungstypen könnte sich eine umfassende bürokratische Institutionalisierung als kontraproduktiv erweisen. Die indirekte Problemlösung ist nämlich vor allem auf die Öffentlichkeit angewiesen und bedarf einer regelmäßigen Rückkopplung mit dem politischen Geschehen in Ost und West. Die Problemlösung durch Delegation an andere Institutionen könnte in einen Konflikt mit dem Bestreben der gesamteuropäischen Bürokratie geraten, alle Zuständigkeiten an sich zu ziehen. Sofern also eine gesamteuropäische Superbehörde nicht als Wert an sich betrachtet wird, dürfte die Institutionalisierung von Teilbereichen wesentlich problemadäquater sein.

Schließlich bleibt noch das letzte Kriterium zu prüfen: die Partizipationschancen für die kleineren und mittleren Teilnehmerstaaten. Durch eine eigenständige gesamteuropäische Institution für Sicherheit und Zusammenarbeit könnte die formelle Mitwirkung dieser Staaten zweifellos verstetigt werden. Gleichzeitig ist aufgrund der Erfahrungen in anderen Internationalen Organisationen nicht zu übersehen, daß innerhalb eines bürokratischen Apparats der Einfluß der Groß-mächte und Bündnissysteme stärker durchschlagen würde als bei einer flexiblen Konferenzorganisation. Ob dieser Effekt durch eine Quotierung der Zusammensetzung (z. B. durch eine Drittel-parität der westlichen, der östlichen und der N + N-Staaten) aufgefangen werden kann, erscheint zweifelhaft. Der Vorteil einer Aufwertung der N + N-Staaten würde in diesem Fall mit einer Abwertung des Egalitätsprinzips und einem erhöhten Druck zur Gruppenkohäsion erkauft werden. 2. Vorschläge zur Verdichtung des KSZE-Prozesses durch die Einrichtung von häufiger tagenden Gremien zwischen den Folgetreffen

Eine Reihe von Vorschlägen für die stärkere Institutionalisierung des KSZE-Prozesses konzentrierte sich frühzeitig darauf, zwischen den Folgetreffen ein häufiger tagendes Gremium für informationelle und koordinierende Funktionen zu etablieren. In der Fachöffentlichkeit kursierten diese Ideen gelegentlich unter den Begrif-B fen „Botschaftertreffen“ bzw. „Botschafterausschuß“. Einen größeren Raum nahm diese Idee in Madrid bei der Diskussion der rumänischen und finnischen Vorschläge zur Institutionalisierung ein Die wesentlichen Funktionen des „CSCE-Committees" sollten nach der finnischen Vorstellung in der Vorbereitung, Koordinierung und Organisation der Expertentreffen, in der Vorbereitung der Folgetreffen und in einem Meinungsaustausch über Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse bestehen. Der Ausschuß sollte in der Regel drei-bis viermal zwischen den Folgetreffen mit einer zeitlichen Begrenzung tagen. In der wissenschaftlichen Diskussion wurde diese Idee aufgegriffenund weiter ausdifferenziert Danach sollen die KSZE-Botschafter auch das Recht erhalten, ad hoc Folgetreffen einzuberufen — sofern sie sich darauf einigen können und eine internationale Krisensituation dies nahelegt. Außerdem soll zusätzlich die Position eines Exekutivsekretärs geschaffen werden, der auf Anforderung eines Teilnehmerstaates das Botschaftergremium einlädt und daneben als „Clearing house“ für Beschwerden über die Verletzung von KSZE-Beschlüssen fungiert. Dieses Exekutivsekretariat sollte überdies in seinen technischen Funktionen vor und während der Folgetreffen aufgewertet und jeweils von dem Land gestellt werden, in dem die letzte Folgekonferenz stattfand.

In eine ähnliche Richtung der Verdichtung des KSZE-Prozesses zielt ein Vorschlag, den eine gemeinsame Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion und des Abgeordnetenclubs der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei im Juli 1986 der Öffentlichkeit vorstellte Danach soll im Rahmen des KSZE-Prozesses ein „Europäischer Rat für Vertrauensbildung“ mit der Aufgabe einberufen werden, „über aktuelle, die Sicherheit Europas betreffende Probleme einen regelmäßigen Gedankenaustausch (zu) führen“. Die Teilnahme an diesem Gremium soll allen Teilnehmerstaaten offenstehen (d. h. nicht obligatorisch alle einschließen), die Sitzungen sollen vertraulich geführt werden und ein Schwergewicht der Beratungen soll auf der Konkretisierung und Fortent-Wicklung der vertrauensbildenden Maßnahmen liegen. Weitere inhaltliche und prozedurale Fragen wurden in dem Vorschlag nicht präzisiert, insbesondere finden sich keine Angaben über die Integration dieses Gremiums in den übrigen KSZE-Prozeß.

Die folgende Bewertung dieser Gruppe von Institutionalisierungsideen beschränkt sich auf die grundlegenden Merkmale einer Verdichtung des KSZE-Prozesses, ohne die Details der verschiedenen Vorschläge oder ihre Verknüpfung mit anderen institutionellen Änderungen zu berücksichtigen. Das Kontinuitäts-Kriterium wird von diesen Vorschlägen erfüllt, da unabhängig vom Verlauf der Folgetreffen zumindest auf dieser Ebene eine Fortführung des KSZE-Prozesses gewährleistet wird. Auch die Gefahr einer Verselbständigung gegenüber politischen Entwicklungen (wie bei einer eigenständigen gesamteuropäischen Organisation) besteht nicht. Im Gegenteil dürfte sich infolge der engen Tagungsdichte und des politischen Charakters der Treffen der Aktualitätsbezug innerhalb des KSZE-Prozesses eher erhöhen.

Ebenso positiv ist vermutlich die prozedurale Effizienz einzustufen. Sofern einem solchen Gremium die Kompetenz für die Vorbereitung und verfahrensmäßige Organisation der Expertentreffen und für die Vorbereitung der Folgetreffen übertragen wird, könnte das manche prozedurale Doppelarbeit vermeiden helfen.

Damit ist natürlich noch nichts über die Problemlösung in der Sache gesagt. In dieser Hinsicht wird ein Botschaftergremium mit Vorbereitungs-und prozeduralen Funktionen nur begrenzte (direkte) Leistungen aufweisen können. Das gleiche gilt bei einer Kompetenzzuweisung für Implementierungsfragen oder gar einer Zuständigkeit für die Erörterung neuer Vorschläge Ob dafür diese Arbeitsebene geeignet ist, erscheint zweifelhaft; denn dann müßte sich dieses Gremium selbst sachkundig machen, was eines Expertenstabs bedürfte, und würde so in Konkurrenz zum Aufgabenkatalog der Folgetreffen treten. Eine derartige inhaltliche Kompetenzzuweisung wäre außerdem problematisch im Hinblick auf das Kriterium der langfristigen Konfliktsozialisierung. Wie oben herausgearbeitet, ist dieser Effekt nämlich vor allem auf den Konsenszwang der Folgetreffen und auf eine regelmäßige, aktualisierte und umfassende Interessen-verknüpfung im KSZE-Prozeß angewiesen. Die Entlastung der gesamteuropäischen Konferenz-diplomatie von diesen beiden Mechanismen durch ein häufiger tagendes Botschaftergremium mit inhaltlichen Kompetenzen und einer Reduktion der Folgetreffen auf die Implementierungsdiskussion wäre deshalb kontraproduktiv.

Wird das Kriterium der Partizipation berücksichtigt, dürfte ein zwischen den Folgetreffen tagendes Botschaftergremium vermutlich positiv bewertet werden, allerdings auch hier nur bei einer deutlich begrenzten Funktionszuweisung auf organisatorisch-prozedurale Fragen. Die kleinen und mittleren Staaten hätten dann den relativ größten Handlungsspielraum, weil hier organisatorische Flexibilität und Verhandlungsgeschick stärker gefragt sind als der versammelte Sachverstand einer großen Verhandlungsdelegation. Wichtig sind deshalb auch die persönlichen Qualifikationen der Verhandlungsführer. 3. Vorschläge zur Verstetigung und Formalisierung des KSZE-Prozesses durch Periodisierung der Folgetreffen

Die Idee einer Verstetigung des KSZE-Prozesses durch die Vereinbarung von periodisch stattfindenden Folgetreffen tauchte frühzeitig als eine Kompromißversion in der Institutionalisierungsfrage auf. Konkrete Gestalt gewann sie im Vorschlag Finnlands während der Madrider Folge-konferenz, die weiteren Treffen regelmäßig im Abstand von maximal zweieinhalb Jahren abzuhalten. Ein weiterer Schritt in dieser Richtung wäre die zeitliche Begrenzung der Folgetreffen, etwa auf sechs oder zwölf Wochen. So äußerten Sizoo und Jurrjens die Idee, die Folgetreffen auf einen zweijährigen Rhythmus und auf jeweils sechs Wochen vor und nach einer Weihnachtspause festzulegen Konsequenterweise bietet es sich auch an, diese periodischen Folgetreffen auf der Basis einer Standard-Tagesordnung abzuwikkeln.

Wie bei allen anderen Institutionalisierungsvorschlägen, wenn sie nicht eine regionale oder sachliche Aufspaltung des KSZE-Prozesses beinhalten, könnte eine solche Periodisierung und Formalisierung zur Erhaltung der Kontinuität des KSZE-Prozesses beitragen. Ebenfalls wäre hier die Gefahr einer Verselbständigung der KSZE von aktuellen politischen Entwicklungen gering. Wie bei den ersten beiden Modellen würde die prozedurale Effizienz durch den Wegfall der Vorbereitungstreffen und die informationelle durch die Routinisierung des Ablaufs der Haupttreffen erhöht. Als entscheidenden Nachteil betrachten wir den mit der Periodisierung implizierten Wegfall des Konsensdrucks für ein Schlußdokument. Als ein zentrales Element des KSZE-Prozesses ist nämlich — wie ausgeführt — die immer neue Ausdifferenzierung und Konkretisierung der Schlußakte durch neue Vereinbarungen anzusehen, die auf den — gewiß stets unzureichenden — Stand der Implementierung Bezug nehmen. Durch den Wegfall des Konsens-drucks wäre zu befürchten, daß die Folgetreffen sich mehr und mehr auf Implementierungsdebatten konzentrieren. Für das „package dealing", die Differenzierung von Verhaltensregeln und die zunehmende Einengung des Konfliktverhaltens gäbe es dagegen weniger Anreize. Vielmehr bestünde die Gefahr, daß der KSZE-Prozeß zu einer Routine-Veranstaltung würde, bei der die unterschiedlichen Standpunkte nur noch dokumentiert, aber nicht mehr verhandelt würden.

Die Chancen einer effizienten Problemlösung und einer langfristigen Konfliktsozialisierung sind deshalb bei diesem Institutionalisierungskonzept nicht besonders hoch einzustufen. Die direkte Konfliktlösungskapazität wäre geringer, die indirekte, die ja stark von der Verankerung der KSZE in den jeweiligen Gesellschaften abhängt, infolge des Routinecharakters der Folgetreffen gleichfalls; Tendenzen, komplexe Probleme auf Untergremien zu delegieren, würden durch eine Routinisierung befördert, was für den KSZE-Prozeß insgesamt als negativ einzuschätzen ist.

Sollte sich diese Interpretation als richtig erweisen, werden davon auch die Partizipationschancen der kleinen und mittleren Staaten in Mitleidenschaft gezogen, trotz des periodischen Dialogs zwischen allen KSZE-Staaten. Das Gewicht jener dürfte nämlich nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit sie innerhalb der KSZE-Veranstaltungen wichtige Beiträge beim Vorsondieren und bei der Aushandlung von Kompromissen leisten können. Bei einer reinen Implementierungsdebatte wäre ihr funktionaler Nutzen gering und damit vermutlich auch ihr Einfluß. 4. Vorschläge zur Institutionalisierung in Subregionen des KSZE-Raumes Die Vorschläge zur Institutionalisierung des KSZE-Prozesses lassen sich nicht nur nach ihrer funktionalen Reichweite und ihrer organisatorischen Form aufgliedern, sondern auch nach ihrem geographischen Bezug. Dabei müssen zwei Ebenen unterschieden werden. Die eine Ebene umfaßt Maßnahmen, bezogen auf eine bestimmte Region, von der jedoch alle KSZE-Staaten in annähernd gleicher Weise betroffen sind (wie z. B. die Einrichtung nuklear-oder chemiewaffenfreier Zonen) als auch auf die dazugehörigen Institutionen (z. B.der Verifikation). Hierzu gehört auch die Idee einer subregionalen Institutionalisierung zur organisatorischen Verbesserung der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum oder einer Sicherheitskommission für diese Konflikt-zone.

Die zweite Ebene umfaßt ebenfalls Maßnahmen und Institutionen, bezogen auf die Konfliktlösung in einer bestimmten Region. An deren Vereinbarung und Implementierung wären jedoch nur die direkt betroffenen Staaten beteiligt. Vorstellungen dieser Art sind bisher nur außerhalb der KSZE-Verhandlungen im mitteleuropäischen Raum artikuliert worden. Sie gehen in Richtung eines „mitteleuropäischen Konsultativorgans“ oder gar einer „mitteleuropäischen Friedens-union“

Was die Dimension der regionalen Maßnahmen auf der ersten Ebene (der Betroffenheit aller) angeht, so dürfte die Bewertung in erster Linie vom konkreten Inhalt der Maßnahme abhängen, also z. B. von der Beantwortung der Frage, ob eine nuklear-oder chemiewaffenfreie Zone in Mitteleuropa einen Beitrag zur Vertrauens-und Sicherheitsbildung darstellt oder nicht. Solche Vorschläge, deren inhaltliches Pro und Contra nicht Gegenstand dieser Studie ist, sollten jedoch nicht von vornherein mit dem prinzipiellen Argument abgelehnt werden, Zonen einer erhöhten regionalen Sicherheit würden mit dem KSZE-Prinzip kollidieren, daß es nur Zonen gleicher Sicherheit geben dürfe. Da es schon jetzt Zonen sehr ungleicher Sicherheit im KSZE-Raum gibt, würde das in der Konsequenz die Verallgemeinerung der Unsicherheit bedeuten. Demgegenüber könnte die Einrichtung einer Zone erhöhter Sicherheit als erster Schritt zu einer weiteren Ausdehnung auf den ganzen KSZE-Raum durchaus als für den KSZE-Prozeß förderlich angesehen werden. Verhandlungen über derartig politisch sensible Themen sollten allerdings nur hochrangigen KSZE-Konferenzen vorbehalten bleiben. Eine Behandlung solcher hochpolitischer Fragen in ständigen KSZE-Institutionen erscheint uns aus all den Gründen, die gegen weitgehende Institutionalisierungen der KSZE sprechen, nicht sinnvoll. Was Maßnahmen und Institutionen auf der zweiten Ebene angeht, die auf spezifische Probleme einer Region bezogen sind und nicht alle KSZE-Staaten in gleicher Weise betreffen, so lassen sich die prozedurale Effizienz und die Problemlösungskapazität vermutlich durch eine regionale Institutionalisierung infolge des Zuschnitts auf regionale Problemlagen steigern. Ähnliches gilt auch für die Partizipationschancen der kleinen und mittleren Staaten. Das entscheidende Defizit dieses Ansatzes liegt in der Frage der langfristigen Kontinuitätssicherung und in der konfliktsozialisierenden Funktion. Durch die Regionalisierung entsteht nämlich die Gefahr einer allmählichen Aufspaltung des KSZE-Prozesses, da die ohnehin unterschiedlichen Interessen der Teilnehmerstaaten an der gesamteuropäischen Konferenzdiplomatie sich auf diese Weise noch weiter differenzieren würden. Das Konsensprinzip würde durch Beschlüsse, an denen nicht alle Teilnehmerstaaten mitwirken, ausgehöhlt. Damit würde letztlich auch die Wirkungsdynamik des bisherigen KSZE-Prozesses in Frage gestellt, die vor allem auf der interessenverknüpfenden Einbindung aller Teilnehmer, insbesondere auch der beiden Bündnisvormächte, beruht. Schließlich ist noch an die Komplikationen zu denken, daß bei einer regionalen Institutionalisierung externe Probleme die KSZE zusätzlich belasten könnten, wie es vermutlich bei einem Mittelmeer-Ansatz infolge des Nahost-Konflikts der Fall wäre.

Damit soll nicht einer gesamteuropäischen Verallgemeinerung regionaler Probleme das Wort geredet werden. Vielmehr erscheint es uns sinnvoll, regionale Probleme bilateral oder multilateral zu regeln, jedoch außerhalb des KSZE-Kontextes. Die Behandlung deutsch-deutscher Fragen prinzipiell außerhalb der KSZE ist hierfür ein gutes Beispiel. Erfolge regionaler Konfliktlösung könnten jedoch als bi-oder multilaterale Beiträge zur KSZE-Implementierung auf Folgekonferenzen zur Kenntnis genommen werden. 5. Institutionalisierung in Teilbereichen des KSZE-Themenkatalogs Das weiteste Feld von Institutionalisierungsmöglichkeiten eröffnet sich bei einer funktionalen Aufgliederung des KSZE-Themenkatalogs. Bei dieser Betrachtungsweise gibt es einige Bereiche, in denen die gesamteuropäische Kooperation bereits heute mehr oder weniger institutionalisiert ist. Dazu gehören vor allem die Implementierung von KSZE-Beschlüssen durch die UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE) und der Hinweis auf die Zuständigkeit anderer Internationaler Organisationen in der Schlußakte, z. B. der UNESCO. Darüber hinaus gibt es eine Reihe gesamteuropäischer Organisationen und mehr oder weniger institutionalisierter Verhandlungsformen, die in den KSZE-Dokumenten zwar nicht ausdrücklich erwähnt werden, die aber offensichtlich durch ihre Entstehungsgeschichte, ihre Arbeitsweise, ihre Themenbereiche sowie den Kreis der Teilnehmerstaaten einen engen Bezug zur KSZE-Diplomatie aufweisen. Ein Beispiel dafür sind die Gesamteuropäischen Jugend-und Studententreffen die in der Anfangszeit des KSZE-Prozesses eine wichtige Vorreiter-Funktion einnahmen; ein anderes Beispiel sind die Europäischen Sportkonferenzen (ESK), deren Konstruktion sich deutlich am Vorbild der KSZE orientierte

Vorschläge zur Institutionalisierung von Teilbereichen innerhalb des KSZE-Prozesses wurden für den Bereich „Kultur“ sowie „Bildung und Wissenschaft“ zuerst von Jugoslawien auf den Genfer KSZE-Beratungen 1973 unterbreitet Einige der Intentionen für eine bereichsspezifische Diskussion der KSZE-Kooperation und ihrer Weiterentwicklung gingen später in das Instrument der „Expertentreffen“ ein, ohne daß allerdings diese Zusammenkünfte für bestimmte Themen eine Dauerinstitution geworden wären. Eine solche Verstetigung liegt jedoch konzeptionell nahe. So enthält das Mandat für die KVAE eine offenkundige Option für die Fortführung der Verhandlungen über Vertrauens-und Sicherheitsbildende Maßnahmen über mehrere KSZE-Phasen hinweg.

Ähnliche Gremien mit einem längerfristigen Mandat kann man sich auch für andere Themen vorstellen, z. B. für die Sicherung der Menschenrechte oder den Ausbau der menschlichen Kontakte. Konzeptionell läßt sich dieser Ansatz bis zu einer weitgehenden Aufspaltung des KSZE-Prozesses in mehrere „Standing Commissions" für die in den drei KSZE-Körben behandelten Fragen weiterdenken.

Bei einer systematischen Aufgliederung der thematisch angelegten Institutionalisierungsvorschläge läßt sich mithin ein Kontinuum von der Institutionalisierung relativ unkontroverser Be-reiche über diejenige von zentralen und umstrittenen Bereichen bis hin zu einer weitgehenden Aufspaltung des gesamten KSZE-Prozesses feststellen. Eine weitere Aufgliederung wird durch die Frage ermöglicht, für welche Funktionen diese Gremien zuständig sein sollen. So beschränkten sich die jugoslawischen Vorschläge von 1973 auf die Implementierungsdiskussion, während bei den anderen Konzepten auch die Debatte über und Verabschiedung von neuen Beschlüssen einbezogen wird.

Schließlich gibt es noch eine dritte Variante von themenspezifischen Institutionalisierungsideen, in denen KSZE-Organe zusätzlich oder nur ausschließlich operative Aufgaben übernehmen sollen. Zu dieser Gruppe gehören etwa der Vorschlag von Günther Grass einer „(Gesamt-) Europäischen Kulturstiftung“, der 1985 auf dem Budapester Kulturforum der KSZE vorgebracht wurde oder das Konzept eines „ReportingGremiums“. Die Grundidee des „Reporting-Gremiums“ besteht darin, die Öffentlichkeit so weit wie möglich an der Implementierungsdebatte zu beteiligen Es sollte aus Vertretern der drei Staatengruppierungen gebildet werden, mit einem Sekretariat ausgestattet sein und sämtliche Beschwerden über eine unzureichende Implementierung der Schlußakte sammeln. Sein Auftrag würde darin bestehen, zu diesen Beschwerden Stellungnahmen der betroffenen Regierungen einzuholen und beide in regelmäßigen Abständen zu publizieren. Die Teilnehmerstaaten wären dann verpflichtet — so die zentrale Überlegung dieses Vorschlages —, diese Berichte unzensiert zu verbreiten.

Wie sind diese themenspezifisch angelegten Institutionalisierungsvorschläge im Hinblick auf den Kriterienkatalog zu bewerten? Hier ergibt sich insgesamt ein sehr ambivalentes Bild. Einerseits könnte nämlich die Institutionalisierung zentraler KSZE-Themen (z. B. in Form der KVAE) zur Kontinuitätssicherung des KSZE-Prozesses beitragen; andererseits entsteht damit zugleich die Gefahr einer allmählichen Verselbständigung dieses Bereiches und einer Aushöhlung der Möglichkeit umfassender Interessenverknüpfungen. Bei marginalen Themen ist dies weniger zu befürchten, dafür ist ihr Beitrag zur Kontinuitätssicherung durch Institutionalisierung aber auch geringer. Die prozedurale Effizienz wäre bei einer Institutionalisierung nach Themenbereichen vermutlich höher als in den nicht-institutionalisierten Bereichen. Darauf deuten zumindest die Erfahrungen mit der „Gesamteuropäischen Jugend-und Studentenstruktur“ hin, wenn die Phase von 1980 bis 1982 mit der nicht-institutionellen der siebziger Jahre verglichen wird. Ob dies auch für stärker bürokratisierte Institutionalisierungsformen gilt, ist eine offene Frage, da in diesen Fällen andere Reibungsverluste auftreten können. Die Erfahrungen mit der ECE könnten hierfür wichtige Indizien liefern. Leider gibt es gerade über ihre Strukturen und Arbeitsweise kaum empirische Studien.

Inwieweit effizientere Problemlösungen durch eine themenspezifische Institutionalisierung möglich werden, hängt davon ab, ob ein Interessenausgleich innerhalb des jeweiligen Themas möglich ist oder nicht. Falls das zutrifft, wie z. B. beim Umweltschutz im Rahmen der ECE, können die technische Expertise und die professionelle Kooperation innerhalb eines ständigen Gremiums die Konsensfindung erleichtern. Falls das jedoch nicht zutrifft, wie in der Menschen-rechtsfrage oder bei vielen Korb-III-Themen, dürfte die Problemlösung durch eine auf einzelne Themen isolierte Institutionalisierung eher erschwert werden.

Dies gilt auch für die konfliktsozialisierende Wirkung des KSZE-Prozesses. Hierfür ist von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Dynamik und die politische Aktualität des „package dealing" erhalten bleibt. Eine partielle Ausklammerung zentraler Themen aus diesem Prozeß durch Teilinstitutionalisierungen wäre kontraproduktiv. Die Partizipationschancen dürften wiederum je nach Institutionalisierungstyp unterschiedlich ausfallen. Den größten Spielraum haben die kleinen und mittleren Staaten vermutlich in den weniger bürokratisierten Institutionalisierungsformen und in jenen Kooperationsfeldern, bei denen die nationalen Interessenprofile nicht mit der Ost-West-Teilung zusammenfallen.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Bewertung für die konkreten Perspektiven einer themenspezifischen Institutionalisierung? Drei Punkte sollen hervorgehoben werden: 1. Die Aufteilung des KSZE-Prozesses in mehrere eigenständige Gremien für alle wesentlichen Themen würde der Logik der bisherigen KSZE-Diplomatie widersprechen und vermutlich dem Prozeß seine langfristigen Wirkungschancen rauben. 2. Dort, wo es bereits eine Institutionalisierung von Teilbereichen gibt, sollten diese expliziter in den KSZE-Prozeß einbezogen werden. Die Enttäuschung über die mangelnden Kooperationserfolge in der ECE sollten zum Anlaß genommen werden, ihre Ursachen auf den KSZE-Folgetreffen zu erörtern und einen Konsens über die Rolle der ECE in den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen zu erzielen.

3. Neue themenspezifische Institutionalisierungen sollten nur dort — wenn überhaupt — vereinbart werden, wo hinreichende Voraussetzungen für einen Erfolg in der Sache gegeben sind und nicht die Gefahr besteht, daß davon negative Effekte auf den gesamten KSZE-Prozeß ausgehen könnten. Der Prüfungskatalog für solche Vorschläge enthält daher folgende Anforderungen:

a) Der betreffende Themenbereich muß relativ unkontrovers sein bzw. genügend interne, interessenausgleichende Kompromisse zulassen, um zu sachlich substantiellen Fortschritten kommen zu können. b) Es muß sich um ein eng umgrenztes Gebiet handeln, damit ein möglichst präzises Mandat ausgesprochen werden kann und die Kosten sowie die Risiken einer solchen Institutionalisierung begrenzt bleiben.

c) Die Institutionalisierung sollte nicht von einem fertigen Endkonzept ausgehen, sondern schrittweise von weniger festen Kooperationsformen zu verbindlicheren Strukturen voranschreiten, um die politische Steuerung zu gewährleisten. Unter diesen Gesichtspunkten scheinen die Vorschläge eines „Reporting Gremiums“ und einer „Europäischen Kulturstiftung“ vorerst als nicht konsensfähig bzw. als zu umfassend und anspruchsvoll. Wenn der themenspezifische Institutionalisierungsweg beschritten werden soll, erscheint es daher klüger, aus dem weniger kontroversen Korb-II-Katalog und den Korb-III-Abschnitten Kultur sowie Bildung und Wissenschaft einen Abschnitt oder mehrere eng umgrenzte Themen auszuwählen.

IV. Resümee

1. Der KSZE-Prozeß hat sich in mehrfacher Hinsicht als ein sinnvolles Instrument zur Förderung der Entspannung und Zusammenarbeit in Europa erwiesen. Seiner Fortsetzung sollte deshalb eine hohe politische Priorität eingeräumt werden. Die Frage der Institutionalisierung ist vor allem unter dem Gesichtspunkt zu bewerten, ob sie die bisherigen Leistungen des KSZE-Prozesses weiter fördert und ob sie dazu beiträgt, seine Schwächen zu verringern. Die Institutionalisierung sollte keinesfalls als Selbstzweck betrachtet werden. 2. Die Prioritätensetzung zugunsten der Fortführung des bisher entwickelten KSZE-Prozesses schließt die Orientierung von Institutionalisierungsmaßnahmen am Aufbau einer eigenständigen „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ aus. Statt detaillierte Modelle für eine permanente gesamteuropäische Organisation zu konstruieren, empfiehlt es sich, die Schritte zu einer stärkeren Institutionalisierung an den gegenwärtig feststellbaren Stärken und Schwächen des KSZE-Prozesses auszurichten. Auf diese Weise können auch die unterschiedlichen Interessen der Teilnehmerstaaten und die Dynamik der KSZE-Diplomatie am ehesten in einem konstruktiven Kompromiß miteinander verknüpft werden. 3. Eine Möglichkeit zur Verdichtung des KSZE-Prozesses stellt die Einrichtung eines häufiger tagenden Koordinierungsgremiums zwischen den Folgetreffen dar. Dieses Modell, auch als „Botschafterausschuß“ benannt, könnte unter Umständen zur Kontinuität beitragen und die Effizienz der gesamteuropäischen Diplomatie erhöhen, ohne die Substanz des Prozesses in Frage zu stellen. Voraussetzung wäre allerdings, daß die Aufgaben dieses Gremiums strikt auf koordinierende und prozedurale Funktionen beschränkt bleiben. Eine wichtige und sinnvolle Funktion könnte es z. B. bei der Vorbereitung, Koordinierung und Organisation der Expertentreffen und bei der Vorbereitung der Folgekonferenzen spielen. 4. Die Idee einer Verstetigung und Formalisierung des KSZE-Prozesses durch die Periodisierung (und zeitliche Begrenzung) der Folgetreffen erscheint im Vergleich zum „Botschafterausschuß“ dagegen als äußerst problematisch. Mit einem solchen Schritt bestünde die Gefahr einer allmählichen Aushöhlung des KSZE-Prozesses, da infolge des fehlenden Konsensdrucks für ein Abschlußdokument die Folgetreffen sich mehr und mehr auf Implementierungsdebatten beschränken könnten. Im ungünstigsten Fall liefe das schließlich darauf hinaus, daß der KSZE-27 Prozeß nur noch „verwaltet“, aber nicht mehr vorangetrieben werden würde. 5. Ebenso problematisch erscheinen die Ideen zur Institutionalisierung in Subregionen des KSZE-Raumes. Sofern darunter Institutionalisierungsmaßnahmen verstanden werden, die nur eine Untergruppe der Teilnehmerstaaten betreffen, entsteht die Gefahr einer regionalen Aufspaltung des KSZE-Prozesses. Hinzu kommt, daß die gesamteuropäische Konferenzdiplomatie auf diese Weise noch mit zusätzlichen externen Problemen belastet wird, wie etwa dem Nahost-Konflikt bei einer Mittelmeer-Institution. 6. Die Frage einer themenspezifischen Institutionalisierung des KSZE-Prozesses muß sehr differenziert beurteilt werden. Eine Aufspaltung der gesamteuropäischen Diplomatie in mehrere eigenständige Gremien für alle wesentlichen Themen stünde offensichtlich im Widerspruch zur Logik des bisherigen Prozesses. Erfolgreiche Teilinstitutionalisierungen könnten dagegen diesem Vorhaben unter Umständen eine neue Dynamik und Popularität geben. Voraussetzung ist allerdings, daß die betreffenden Themen und Aufgaben relativ unkontrovers und möglichst klar definiert sind. Im Fall der ECE ist es deshalb auch erforderlich, auf den nächsten KSZE-Folgetreffen ihre Rolle und Funktion präziser zu bestimmen. Nur so kann das technisch-administrative Potential dieser Organisation optimal genutzt werden. Bei neuen Institutionalisierungsmaßnahmen sollte sowohl von der Themenbreite wie vom Organisationscharakter her schrittweise vorgegangen werden, um die politische Steuerung des Gesamtprozesses zu erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es generell von entscheidender Bedeutung, daß alles unternommen wird, um die Folgetreffen in ihrer zentralen koordinierenden und steuernden Funktion zu stärken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Auswärtiges Amt (Hrsg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Dokomente zum KSZE-Prozeß, Bonn 1984, S. 188.

  2. Werner Fuchs u. a. (Hrsg.), Lexikon zur Soziologie, Opladen 1973, S. 303.

  3. Vgl. zum KSZE-Prozeß insgesamt Mathias Jopp /Berthold Meyer /Norbert Ropers /Peter Schlotter, Zehn Jahre KSZE-Prozeß. Bilanz und Perspektiven gesamteuropäischer Entspannung und Zusammenarbeit, Frankfurt/M. 1985 (HSFK-Report 7/1985).

  4. Winrich Kühne, Die Schlußakte von Helsinki und das Problem der gesamteuropäischen Institutionalisierung, in: Bruno Simma /Edda Blenk-Knocke (Hrsg.), Zwischen Intervention und Zusammenarbeit. Interdisziplinäre Arbeitsergebnisse zu Grundfragen der KSZE, Berlin 1979, S. 339/340.

  5. Die Geschichte der Institutionalisierungsdebatte ist ausführlich dargestellt in: Norbert Ropers /Peter Schlotter, Die Institutionalisierungsdebatte im KSZE-Prozeß: Geschichte, Modelle, Evaluation, Frankfurt/M. 1986 (HSFK-Report 7/1986), S. 4— 20.

  6. Vgl. Winrich Kühne, Die Schlußakte der KSZE: Zur Bedeutung, Auslegung und Anwendung von Verhaltensregeln in den Ost-West-Beziehungen, in: Jost Delbrück u. a. (Anm. 6), S. 137— 154, und Peter Schlotter, Linkage-Politik und KSZE: Eine Zwischenbilanz des Madrider Folgetreffen, in: Deutsche Studien, (1983) 81, S. 69— 84.

  7. Vgl. auch die Funktionsdifferenzierung in der Forschung über Internationale Organisationen. So unterscheidet Harold K. Jacobsen fünf sicherheitsfördernde Aktivitäten von internationalen Organisationen: informationelle, normative, regel-setzende, regel-überprüfende und operative; siehe ders., Networks of Interdependence. International Organizations and the Global Political System, New York 1979, S. 163— 203.

  8. Memorandum der Konferenz der Außenminister der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages in Budapest zu Fragen, die mit der Einberufung einer gesamteuropäischen Konferenz Zusammenhängen, vom 22. 6. 1970, in: Hans-Adolf Jacobsen /Wolfgang Mallmann /Christian Meier (Hrsg.), Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), Köln 1973, S. 225— 227; Deklaration über Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, verabschiedet vom Politischen Beratenden Ausschuß der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages in Prag vom 26. 1. 1972, in: ebenda, S. 375— 380, hier S. 379.

  9. Vgl. Ignaz Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, Köln u. a. 19712.

  10. Z. B. Frans A. M. Alting von Geusau, Europäische Regionalkonferenz: Vorschläge für ein neues System gesamteuropäischer Politik, in: Hans-Peter Schwarz /Helga Haftendorn (Hrsg.), Europäische Sicherheitskonferenz, Opladen 1970, S. 101— 117; Johan Galtung /Working Group on European Co-operation and Security, Some Institutional Suggestions for a System of Security and Co-operation in Europe, in: Bulletin of Peace Proposals, 3 (1972) I, S. 74— 88; deutsch in: Johan Galtung /Dieter Senghaas (Hrsg.), Kann Europa abrüsten? Friedenspolitische Optionen für die 70er Jahre, München 1973, S. 62— 89; Gerda Zellentin, Für und Wider die Institutionalisierung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in: Europa Archiv, (1973) 4, S. 147— 150; dies., Europa 1985. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Gesamteuropa, Bonn 1972, S. 149— 173; Michael Palmer, The Prospects for a European Security Conference, London 1971, S. 56— 63.

  11. Vgl. Dieter S. Lutz, Auf dem Weg zu einer Neuen Europäischen Friedensordnung, in: Deutsche Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung (Hrsg.), DGFK-Jahrbuch 1982/83. Zur Lage Europas im globalen Spannungsfeld, Baden-Baden 1983, S. 505— 532, und ders. (Hrsg.), Kollektive Sicherheit in und für Europa— Eine Alternative?, Baden-Baden 1985.

  12. Herbert Ammon /Theodor Schweisfurth, Friedensvertrag. Deutsche Konföderation. Europäisches Sicherheitssystem. Denkschrift zur Verwirklichung einer europäischen Friedensordnung, Starnberg 1985, S. 40.

  13. Vgl. Ernst-Otto Czempiel, Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986, S. 105— 109.

  14. Hermann Scheer, Die Befreiung von der Bombe. Weltfrieden, europäischer Weg und die Zukunft der Deutschen, Köln 1986, S. 236.

  15. Vgl. zur OAS und zur OAU in diesem Zusammenhang Joachim Betz, Ältere und neuere Abkommen kollektiver Sicherheit und Verteidigung in der Dritten Welt; Ihre Leistungen und Defizite, in: Dieter S. Lutz (Hrsg.), Kollektive Sicherheit (Anm. 12), S. 225— 241.

  16. Olaf Feldmann, Mehr Sicherheit durch institutionalisierte Zusammenarbeit in Europa, in: Dieter S. Lutz (Hrsg.), Kollektive Sicherheit (Anm. 12), S. 120— 130, hier S. 126 ff.

  17. Gerda Zellentin, Europa 1985 (Anm. 11), S. 162.

  18. Winrich Kühne, Schlußakte (Anm. 4), S. 353/4.

  19. Vorschlag der Sozialistischen Republik Rumänien: Folgen der Konferenz, Dokument CSCE/RM. 32 vom 15. 12. 1980; Finnische Delegation: Follow-up to the CSCE, Dokument CSCE/RM. 36 vom 17. 12. 1980; Finnischer Vorschlag vom 30. 10. 1981.

  20. Jan Sizoo /Rudolf Th. Jurrjens, CSCE Decision-Making: the Madrid Experience, Den Haag 1984, S. 277 ff.

  21. Gemeinsames Kommunique vom 7. 7. 1986; Antrag der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Informationen der SPD-Fraktion vom 24. 10. 1986.

  22. Jan Sizoo /Rudolf Th. Jurrjens, CSCE Decision-Making (Anm. 21), S. 277.

  23. Vgl. Berthold Meyer, Atomwaffenfreie Zonen und Vertrauensbildung in Europa, Frankfurt/M. 1985.

  24. Volker Rittberger /Hans Werbik, „Gemeinsame Sicherheit“ im Ost-West-Konflikt? Pluralistisches Sicherheitssystem und friedliche Ko-Evolution in Europa, Tübingen: AGFF 1986 (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Friedensforschung, Nr. 2), S. 22.

  25. Otto Schily, Perspektiven der Friedenspolitik: Die „Mitteleuropäische Friedensunion“, in: ders., Vom Zustand der Republik, Berlin 1986, S. 103— 110.

  26. Eine Bewertung der Erfahrungen mit der ECE und der „gesamteuropäischen Jugend-und Studentenstruktur“ enthält Norbert Ropers /Peter Schlotter, Institutionalisierungsdebatte (Anm. 5), S. 40— 43.

  27. Vgl. Norbert Ropers, Tourismus zwischen Ost und West. Ein Beitrag zum Frieden?, Frankfurt/M. 1986, S. 74 ff.

  28. Vorschlag der Delegation Jugoslawiens: Zusammenarbeit im Bereich der Kultur, Dokument CSCE/II/K/3 vom 9. 10. 1973 und Vorschlag der Delegation Jugoslawiens: Bildungswesen und Wissenschaft, Dokument CSCE/II/L/5 vom 16. 10. 1973.

  29. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 1 1. 1 1. 1985 und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. 11. 1985 und vom 30. 11. 1985; Vorschlag der Delegationen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs, Errichtung einer Kulturstiftung aller Teilnehmerstaaten, Dokument CSCE/CFB. 102 vom 15. 11. 1985.

  30. Winrich Kühne (Anm. 4), S. 356— 361.

Weitere Inhalte

Norbert Ropers, Dipl. -Soz., Dr. phil., geb. 1944; Studium der Soziologie, der Wirtschaftswissenschaften und politischen Wissenschaften an den Universitäten Hamburg und Frankfurt; von 1974 bis 1980 Referent für Forschungsförderung in der Deutschen Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung; seit 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung, Frankfurt/M. Veröffentlichungen u. a.: (Mitherausgeber) DGFK-Jahrbuch 1979/80. Zur Entspannungspolitik in Europa, Baden-Baden 1980; (Hrsg.) Osteuropa. Ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg 1985; Tourismus zwischen Ost und West: Ein Beitrag zum Frieden?, Frankfurt/M. 1986. Peter Schlotter, Dr. phil., geb. 1945; Studium der politischen Wissenschaften, Geschichte und der deutschen Literaturwissenschaften an den Universitäten München, Heidelberg und Frankfurt; seit 1974 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung; seit 1976 Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Rüstungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beispiele Starfighter und Phantom, Frankfurt 1975; (zus. mit Carola Bielfeldt) Die militärische Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Einführung und Kritik, Frankfurt 1980; (Hrsg, im Auftrag der HSFK) Europa zwischen Konfrontation und Kooperation. Entspannungspolitik für die achtziger Jahre, Frankfurt/M. 1982.