Flexible Arbeitszeitformen im Spannungsfeld von ökonomischer Liberalisierung und sozialem Schutzbedarf
Margarete Landenberger
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Zusammenfassung
Im Zentrum des vorliegenden Beitrags stehen zwei Fragen. Die erste richtet sich darauf, ob die geltenden Regelungen der Sozialversicherung arbeitsmarktpolitisch unerwünschte Barrieren darstellen, die einer (weiteren) Flexibilisierung der Arbeitszeit im Wege stehen, oder ob diese Regelungen gerade dazu dienen, einer sozialpolitisch unerwünschten Liberalisierung der sozialen Schutzrechte Einhalt zu gebieten (Abschnitt III). In einem zweiten Schritt soll gefragt werden, wo im Regelungssystem der Sozialversicherung Änderungen ansetzen müßten, um im Kontext von flexiblen Arbeitszeitformen arbeitsmarkt-und sozialpolitischen Zielen näherzukommen (Abschnitt IV). Im ersten Abschnitt wird ein Überblick über aktuelle Entwicklungen am Arbeitsmarkt gegeben. Die gravierendsten Veränderungen seit Mitte der siebziger Jahre haben sich im Bereich zwischen dem Block der stabilen Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse auf der einen und der nach wie vor umfangreichen Gruppe der Arbeitslosen und Arbeitssuchenden auf der anderen Seite ergeben. In diesem Zwischenbereich kam es — hauptsächlich im Zuge der zunehmenden Frauenerwerbsbeteiligung — zu einem kontinuierlich steigenden Anteil der Teilzeitbeschäftigung. Außerdem lassen verschiedene Indikatoren darauf schließen, daß in den letzten Jahren eine Zunahme im Bereich der geringfügigen, gelegentlichen und befristeten Beschäftigung erfolgte. Im zweiten Abschnitt werden die Arbeitszeitpräferenzen der Erwerbspersonen betrachtet. Hier zeigt sich ein nach wie vor ungestillter Bedarf an Teilzeitarbeitsplätzen. Allerdings liegen die Wünsche nicht im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, sondern in der Größenordnung von Zweidrittel-bis Dreiviertelstellen, die einen vollen Sozialversicherungschutz gewährleisten. Die Analyse der Sozialversicherung in ihrer Rolle als Förderer oder Hemmschuh einer (weiteren) Flexibilisierung der Arbeitszeitformen ergibt zwei wichtige Resultate. Einmal begünstigen die Regelungen der Sozialversicherung langjährige, ununterbrochene Vollzeiterwerbstätigkeit. Zweitens beinhaltet das Sozialversicherungsrecht Schwellenwerte, die entweder kumulativ begünstigend oder kumulativ benachteiligend wirken. Dadurch wird die Dualisierung in günstigte und ungünstige Erwerbschancen noch verstärkt. Bei der abschließend skizzierten, sozialpolitisch flankierten Teilzeitstrategie geht es darum, das die Sozialversicherung prägende Verhältnis zwischen strenger Lohnbezogenheit der Leistungsbemessung einerseits und nicht lohnbezogener Elemente der Familiensicherung und des sozialen Ausgleichs andererseits neu zu überdenken. Eine breitere Streuung des knappen Erwerbsarbeitsvolumens kann nur erreicht werden, wenn die Einstiege in und die Ausstiege aus dem Erwerbsleben sowie die Übergänge von der Vollzeit-in die Teilzeitarbeit und umgekehrt sozialpolitisch flankiert werden und damit ohne vermeidbare Nachteile für Beschäftigte und Unternehmen leichter möglich sind.
Die Verteuerung der Anlagen und ein härterer Wettbewerb lassen die Unternehmen nach Möglichkeiten suchen, den Personaleinsatz flexibel mit schwankenden Auftragslagen abzustimmen und die Laufzeiten der Maschinerie auszudehnen. Teilweise gleichgerichtete Interessen finden sich auf der Arbeitnehmerseite, wie Umfrageergebnisse zum Thema Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten und Arbeitslosen zeigen. Als Reaktion auf beide Interessenlagen, aber stärker noch aus beschäftigungspolitischen Motiven unternehmen Bund und Länder den Versuch, durch Förderung von Teilzeitbeschäftigung, Erleichterung von befristeter Beschäftigung und anderen Maßnahmen die Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt zu lindern.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stehen zwei Fragen. Die erste richtet sich darauf, ob die geltenden Regelungen der Sozialversicherung arbeitsmarktpolitisch unerwünschte Barrieren darstellen, die einer (weiteren) Flexibilisierung der Arbeitszeit im Wege stehen, oder ob diese Regelungen gerade dazu dienen, einer sozialpolitisch unerwünschten Liberalisierung der sozialen Schutzrechte Einhalt zu gebieten (Abschnitt III). In einem zweiten Schritt soll gefragt werden, wo im Regelungssystem der Sozialversicherung Änderungen ansetzen müßten, um im Kontext von flexiblen Arbeitszeitformen arbeitsmarkt-und sozialpolitischen Zielen näherzukommen (Abschnitt IV). Zuvor soll jedoch ein Überblick gegeben werden über die wichtigsten Entwicklungstrends bei Teilzeitarbeit und anderen Formen der flexiblen Arbeitszeit (Abschnitt I) sowie über die Präferenz-struktur der Erwerbstätigen im Hinblick auf ihre Arbeitszeit (Abschnitt II).
I. Aktuelle Entwicklungen am Arbeitsmarkt: Teilzeitarbeit, geringfügige und befristete Beschäftigung
Abbildung 1
Übersicht 1
Übersicht 1
Die Situation am Arbeitsmarkt ist seit nunmehr über zehn Jahren besorgniserregend. Zwar kann seit zwei Jahren eine positive Entwicklung beobachtet werden — die Zahl der Beschäftigten hat von Ende 1983 bis Mitte 1986 um rund eine halbe Million zugenommen, jedoch steht diesem Zuwachs kein größenmäßig entsprechender Abbau der Arbeitslosenquote gegenüber. Diese liegt seit zwei Jahren im wesentlichen unverändert bei rund 9%.
Durch verschiedene Maßnahmen der Arbeitszeit-verkürzung und Arbeitszeitdifferenzierung wurde von Seiten der Arbeitsmarktpolitik versucht, die vorhandene knappe Erwerbsarbeit auf mehr Schultern zu verteilen. Die Tarifabschlüsse im Jahr 1985 haben für einen Großteil der Arbeitnehmer eine Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit von 40 auf 38, 5 Stunden erbracht. Detaillierte Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung kommen zu dem Ergebnis, daß die tatsächliche Jahresarbeitszeit der Arbeitnehmer zwischen 1960 und 1984 im Durchschnitt um 400 Stunden auf 1 675 Stunden, also um rund ein Fünftel zurückgegangen ist. Dabei haben die Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit und die Urlaubs-verlängerung den größten Einfluß auf die Entwicklung der tatsächlichen Jahresarbeitszeit gehabt.
Daß die schrittweise Verkürzung der Wochen-und Jahresarbeitszeit ebenso wie die 1985 zum Gesetz erhobene Vorruhestandsregelung positive Beschäftigungswirkungen hatten und weiterhin haben, darüber besteht kein Zweifel. Zwar blieb die Inanspruchnahme bisher unter den Erwartungen — bis Ende 1985 hatten statt der erwarteten Zahl von rund 80 000 „Vorruheständlern“ erst 40 000 ältere Arbeitnehmer von der Regelung Gebrauch gemacht —, doch liegt die Wiederbesetzungsquote der aufdiese Weise frei werdenden Stellen mit rund 70% überraschend hoch ’ Die Teilzeitbeschäftigung hat in den letzten 25 Jahren beträchtlich zugenommen. Derzeit üben mehr als 3 Millionen Arbeitnehmer, also rund 15 % der abhängig Beschäftigten insgesamt, als Haupttätigkeit eine Teilzeitbeschäftigung mit einer normalerweise geleisteten Arbeitszeit bis zu 35 Wochenstunden aus. Allerdings verlangsamte sich der Zuwachs seit der Zeit der Arbeitsmarktprobleme. So betrug der Zuwachs bei den abhängig teilzeitbeschäftigten Frauen zwischen 1970 und 1984 57%, während er sich in der kürzeren Zeitspanne zwischen 1979 und 1984 nur noch auf 13 % belief. Damit ist die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten sehr viel stärker angestiegen als die der Vollzeitbeschäftigten, die im Zeitraum zwischen 1970 und 1984 bei allen abhängigen Beschäftigten um lediglich 1, 3%, bei Frauen allerdings immerhin um 4% zugenommen hat.
Zu dieser Zunahme der Teilzeitbeschäftigung haben zahlreiche Förderprogramme auf Bundes-, Länder-und betrieblicher Ebene beigetragen. Zwar wird der Netto-Beschäftigungseffekt allgemein eher skeptisch beurteilt, jedoch sollte der Aspekt der personellen Umverteilung des vorhandenen Beschäftigungsvolumens nicht außer acht gelassen werden.
Dieser Effekt ist vor allem deshalb positiv zu werten, weil nach Umfragen sowohl bei Vollzeitbeschäftigten als auch bei Nichtbeschäftigten ein großer unerfüllter Bedarf an Teilzeitbeschäftigung besteht. Besonders für Frauen mit Kindern und einem eher niedrigen Haushaltseinkommen ist Teilzeitarbeit eine Form der Erwerbsbeteiligung, zu der es für den besagten Personenkreis keine Alternative gibt. Ein nach wie vor ungelöstes Problem stellen die überwiegend geringen Qualifikationsanforderungen, die niedrigen Stundenlöhne und die schlechten Aufstiegschancen dar, die Teilzeitbeschäftigte häufig in Kauf nehmen müssen. Doch auch hier gibt es erste gesetzliche, tarifliche und betriebliche Initiativen, um diese Nachteile abzumildern.
Obwohl die bestehenden Datendefizite gesicherte Aussagen verhindern, lassen verschiedene Indikatoren darauf schließen, daß in den letzten Jahren eine Zunahme im Bereich der geringfügigen, gelegentlichen und befristeten Beschäftigung erfolgte. So weist die amtliche Erwerbsstatistik (Mikrozensus; EG-Arbeitskräftestichprobe) im Bereich der Teilzeitbeschäftigung eine deutlich überdurchschnittliche Steigerungsrate von (Haupt-) Beschäftigungen mit einer normalerweise geleisteten Arbeitszeit von bis zu 20 Wochenstunden aus. Geringfügige (Haupt-) Beschäftigungen werden zu über 90 % von — überwiegend verheirateten — Frauen ausgeübt Zwar arbeitet die Mehrheit der weiblichen Teilzeitkräfte (65%) in regulären Beschäftigungsverhältnissen mit regelmäßig 20 und mehr Wochenstunden und voller Sozialversicherungspflicht, jedoch liegt der Anteil der sozialversicherungsfrei teilzeitbeschäftigten Frauen mit regelmäßigen Wochenarbeitszeiten zwischen 1 und 14 Stunden immerhin bei 16% aller teilzeitbeschäftigten Frauen. Der Zwischenbereich der Teilzeitbeschäftigungen von 15 bis 19 Wochenstunden, die in der Mehrzahl zwar in der Renten-und Krankenversicherung, nicht jedoch in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert sind, beläuft sich auf rund 8% aller teilzeitbeschäftigten Frauen.
Unter Hinzurechnung von Teilzeitbeschäftigten ohne feste Arbeitszeit sowie der kurzzeitigen und sonstigen Beschäftigungen, die nicht kontinuierlich und berufsmäßig ausgeübt werden, schätzen Büchtemann und Schupp die Anzahl der Gesamtgruppe der nicht sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten auf gut 700 000 abhängig beschäftigte Frauen, die somit einen Anteil von 23 % aller teilzeitbeschäftigten Frauen ausmachen Sozialversicherungsfreiheit bedeutet in jedem Falle zugleich, daß mit der Ausübung „geringfügiger“ oder sonstiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigungen keine individuellen Leistungsansprüche gegenüber der Sozialversicherung erworben werden, weshalb in Teilen der sozial-und arbeitsmarktpolitischen Auseinandersetzung auch von „sozial ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen“ gesprochen wird. Diese Frage wird weiter unten diskutiert.
Teilzeitarbeit ist bis heute eine Domäne verheirateter Frauen mit einem oder mehreren Kindern im Vorschulalter. Diese Frauen sind zu rund zwei Dritteln teilzeitbeschäftigt, überwiegend mit Arbeitszeiten bis maximal 20 Wochenstunden. Jedoch können sich in der Regel nur solche Frauen Teilzeitarbeit „leisten“, deren (Ehe-) Partner über ein ausreichendes Einkommen verfügen. Bei ledigen, geschiedenen und verwitweten Müttern liegt der Anteil der Vollzeitbeschäftigten über dem Durchschnitt. Die Teilzeitquote dieser Frauen, die im Durchschnitt über ein niedrigeres Haushaltseinkommen verfügen als verheiratete Mütter, liegt nur bei rund einem Viertel. Daß eine Vollzeiterwerbstätigkeit bei alleinstehenden Müttern mit erheblichen Problemen verbunden ist, soll hier nur angedeutet werden.
Der Anteil der teilzeitbeschäftigten Frauen ist in den Berufsgruppen der ungelernten Arbeiter und einfachen Angestellten überproportional groß.
Entsprechend schwach repräsentiert sind teilzeitbeschäftigte Frauen in Tätigkeiten mit besonders qualifizierten Arbeitsinhalten (wie z. B. Planung, Koordination, Aufsicht) sowie in Tätigkeiten mit funktionalen Freiheitsräumen (bzgl.der Zeiteinteilung, Arbeitsdurchführung usw.) -Die relativen Nachteile, die mit Teilzeitarbeit verbunden sind, zeigen sich auch anhand der erzielten Stundenlöhne: Sie sind bei teilzeitbeschäftigten Frauen deutlich niedriger als bei Frauen in Vollzeitarbeit. Brutto verdienen teilzeitbeschäftigte Frauen (sozialversicherungspflichtig und regelmäßig sowie geringfügig und/oder unregelmäßig Beschäftigte) pro Stunde rund 10 % weniger als vollzeitbeschäftigte Frauen. Betrachtet man die geringfügig und/oder unregelmäßig teilzeitbeschäftigten Frauen alleine, so beträgt die Differenz zu den vollzeitbeschäftigten Frauen sogar rund 20%. Der Hauptgrund für diese Unterschiede liegt dabei nicht in einer (offenen) Lohndiskriminierung, sondern in der abgestuften Qualifikationsstruktur der angebotenen Vollzeit-, regulären und geringfügigen Teilzeitarbeitsplätze
Trotz dieser Nachteile, die Teilzeitbeschäftigte in Kauf nehmen müssen, existiert ein großer Bedarf an Teilzeitstellen. Ende Februar 1987 suchten rund 225 000 bei der Bundesanstalt registrierte Arbeitslose eine Teilzeitarbeit. Zum selben Zeitpunkt waren bei den Arbeitsämtern aber lediglich rund 17 000 offene Teilzeitstellen gemeldet. Das Interesse an Teilzeitarbeit ist wesentlich größer, als die Daten der Arbeitslosenstatistik ausweisen. Wie im folgenden gezeigt werden soll, existiert sowohl bei den vollzeiterwerbstätigen als auch bei den nichterwerbstätigen Frauen, jedoch auch bei Männern ein erheblicher latenter Bedarf an Teilzeitarbeitsmöglichkeiten
Aus den von Büchtemann und Schupp (1986) analysierten Daten ergeben sich erstmalig Einblicke in die Struktur der sozialversicherungsfrei, also der geringfügig und kurzzeitig beschäftigten Frauen (vgl. Übersicht 1).
Im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig und regelmäßig vollzeitbeschäftigten Frauen sind sozialversicherungsfrei geringfügig beschäftigte Frauen häufiger in unteren (20— 30 Jahre) und oberen (50— 70 Jahre) Altersstufen zu finden. Im Gegensatz zu Vollzeitbeschäftigten und noch häufiger als Teilzeitbeschäftigte sind geringfügig Beschäftigte verheiratet, wobei immerhin rund 10 % der letztge-nannten Gruppe ledig bzw. verwitwet sind. Sie leben ganz überwiegend in Drei-und Mehrpersonenhaushalten, jedoch haben die Hälfte der regulär teilzeitbeschäftigten und rund 40 % der geringfügig beschäftigten Frauen keine Kinder unter 16 Jahren zu betreuen.
Dieser Befund deckt sich mit der Altersstruktur der geringfügig beschäftigten Frauen: Es handelt sich einerseits um Frauen in den ersten Berufsjahren und andererseits um ältere Frauen, die teilweise neben der Rente noch erwerbstätig sind. Auch im Hinblick auf die Qualifikationsanforderung der ausgeübten Tätigkeit zeigen sich nicht nur zwischen Voll-und Teilzeitbeschäftigten, sondern auch zwischen regulär Teilzeitbeschäftigten und geringfügig Beschäftigten deutliche Unterschiede. Es verwundert nicht, daß die letztgenannte Gruppe ganz überwiegend einfache kaufmännische Verwaltungs-und Dienstleistungstätigkeiten ausübt.
Vergleicht man den Beschäftigungsumfang der beschäftigten Frauen zum Befragungszeitpunkt (1984) und ein Jahr zuvor (1983), so zeigt sich, daß regulär Teilzeitbeschäftigte häufig ein Jahr vorher vollzeitbeschäftigt waren, während ein großer Teil der geringfügig Beschäftigten ein Jahr zuvor entweder nicht erwerbstätig oder arbeitslos war. Während überraschenderweise zwischen Voll-und regulär Teilzeitbeschäftigten (Arbeiterinnen und Angestellten) bei den Bruttostundenlöhnen kaum Unterschiede auftreten — weder in der Höhe noch in der Streuung —, sind zwischen regulär Teilzeitbeschäftigten und geringfügig Beschäftigten in beiden Dimensionen beträchtliche Unterschiede festzustellen. Im Durchschnitt liegt das Bruttoarbeitsentgelt hier um rund DM 1, — niedriger (bei rund DM 50/Std.), wobei 60% dieser Beschäftigten-gruppe im Bereich von rund DM 5, — bis unter DM 9, — liegt. Es verwundert nicht, daß bei der Betrachtung der Netto-Stundenlöhne die Differenzen zwischen vollzeit-, teilzeit-und geringfügig beschäftigten Frauen weitgehend nivelliert werden.
Die Möglichkeit der Einsparung der Sozialversicherungsbeiträge stellt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Anreiz dar, einen Beschäftigungsumfang unterhalb der Sozialversicherungspflichtgrenze zu wählen. Doch zum einen zeigt sich insbesondere in bezug auf die Alterssicherung, daß dieses kurzfristige Kalkül sich für den Beschäftigten langfristig nicht auszahlt. Zum anderen wird in Abschnitt III gezeigt, daß der Regulierungstatbestand, den eine solche Schwelle und der damit verbundene Anreiz darstellt, in Vollbeschäftigungsphasen andere Effekte hat als in einer Phase langandauemder Arbeitsplätzeknappheit.
II. Teilzeitpräferenzen der Erwerbstätigen
Abbildung 2
Abhängig beschäftigte Frauen (ohne Auszubildende)
Abhängig beschäftigte Frauen (ohne Auszubildende)
Zum Thema Teilzeitpräferenzen liegen zahlreiche Studien vor. Unserem Vergleich liegen 24 Befragungen zugrunde, wobei es sich sowohl um solche handelt, die ganz speziell Teilzeitarbeit thematisieren, als auch solche, die Teilzeitarbeit neben anderen Arbeitszeitformen untersuchen 9). Ein Zeitvergleich der vorliegenden Untersuchungsergebnisse ist kaum möglich, da der Großteil der Studien in den Jahren von 1979 bis 1982 erschienen ist. Aus den Jahren davor und danach sind uns nur wenige Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich bekannt.
Besonders stark interessiert an Teilzeitarbeit sind vollerwerbstätige Frauen. Aus den Untersuchungsergebnissen, die zu Arbeitszeitwünschen dieser Teilgruppe vorliegen, geht übereinstimmend hervor, daß vollerwerbstätige Frauen, die Teilzeitarbeit vorziehen würden, dieselben sozialstatistischen Merkmale aufweisen wie jene Frauen, die überdurchschnittlich häufig auch faktisch teilzeitbeschäftigt sind. Der Wunsch nach Teilzeitarbeit ist besonders stark bei verheirateten Frauen im Alter zwischen 30 und 45 Jahren mit minderjährigen Kindern und einem Ehepartner, der vollzeitbeschäftigt ist. Bei Männern hingegen, die insgesamt ein deutlich geringeres Interesse an Teilzeitarbeit äußern als Frauen, nimmt dieses insbesondere bei älteren Arbeitnehmern zu.
Der Wunsch nach Teilzeitarbeit ist im produzierenden Gewerbe, wo bisher kaum solche Stellen angeboten werden, ebenso hoch wie im Handels-, Ver-kehrs-und Dienstleistungsbereich, wo bereits knapp 20% der Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt sind. In beiden Wirtschaftsbereichen würden jeweils rund 15 % der Vollzeitbeschäftigten lieber auf eine Teilzeitstelle gehen. Am wenigsten Interesse an Teilzeitarbeit äußern männliche Facharbeiter, Beamte und höhere Angestellte. Dagegen streut der Wunsch nach Teilzeitarbeit bei Frauen durch alle Berufsgruppen und Ausbildungsstufen.
Ein ausgeprägtes Interesse an Teilzeitarbeit äußern vollzeitbeschäftigte verheiratete Frauen, die in mittleren und höheren Berufspositionen des öffentlichen Dienstes tätig sind. In einer Totalerhebung unter den weiblichen verheirateten Beamtinnen ausgewählter Bundes-, Landes-und Kommunalbehörden zeigten sich zwei Drittel der befragten Vollzeitbeamtinnen daran interessiert, „jetzt oder später“ eine Teilzeitbeschäftigung aufzunehmen. Eine Umfrage bei beamteten Lehrern erbrachte ähnliche Ergebnisse. Rund 30% der befragten Lehrerinnen (und 8 % der Lehrer) äußerten sich an einer Teilzeitbeschäftigung interessiert. Wünsche in diese Richtung werden auch hier besonders häufig von verheirateten Lehrerinnen im Alter zwischen 26 und 40 Jahren geäußert. Nach Auskunft der Befragten spricht vor allem folgendes gegen das Überwechseln auf eine Teilzeitstelle: Einkommens-einbußen, Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, Kürzung des Ruhegehalts sowie Einschränkung der Beihilfe zur Krankenversicherung. Im Vordergrund der gewünschten Arbeitszeitdauer stehen die selten angebotenen Teilzeitstellen im Bereich zwischen 25 und 35 Wochenstunden. Auf auffallend geringes Interesse stößt die Teilzeitarbeit im Bereich von unter 20 Wochenstunden. Dies gilt allerdings nicht für jüngere verheiratete Frauen mit Kindern. Für diese Gruppe stellt Teilzeitarbeit in diesem Umfang eine positive Möglichkeit dar, Beruf und Familie zu vereinbaren bzw. die Phase der Familiengründung zu überbrücken. Werden Voll-und Teilzeitbeschäftigte nach der bevorzugten Lage ihrer Arbeitszeit gefragt, liegen die Präferenzen mit einem Anteil von rund der Hälfte der Befragten eindeutig auf einer Vormittagsarbeit. Für den Nachmittag spricht sich rund ein Zehntel der Befragten aus. Auf einige Tage in der Woche würden rund 5% der Befragten ihre Arbeitszeit gerne verteilen wollen. Bei rund einem Drittel der befragten Teilzeitkräfte stimmt die tatsächliche Lage ihrer Arbeitszeit mit der gewünschten nicht überein.
Obwohl Teilzeitbeschäftigte häufig erhebliche Nachteile in Kauf nehmen — gering qualifizierte Tätigkeiten, mangelnde Aufstiegschancen, auf wenige Wirtschaftsbereiche konzentriertes Angebot —, äußern teilzeitbeschäftigte Frauen ein hohes Maß an Zufriedenheit mit dieser Arbeitszeit-variante. Befragte, deren Partner oder sie selbst teilzeitbeschäftigt sind, sind zu 75 % mit der gegenseitigen Abstimmung der Arbeitszeit zufrieden, dagegen nur 63 % der Vollzeitbeschäftigten. Zwar würden viele derzeit Arbeitslose eine (Teil-zeit-) Beschäftigung aufnehmen können, wenn die gegen ihren Wunsch Vollzeitbeschäftigten auf einen Teil ihres Arbeitszeitvolumens verzichten würden. Doch der damit zu erzielende positive Beschäftigungseffekt würde weitgehend dadurch kompensiert, daß zahlreiche bisher nicht beschäftigte (Haus-) Frauen aus der „Stillen Reserve“ herausträten und zu den Nachfragern nach den neugeschaffenen Teilzeitarbeitsstellen hinzukämen.
Doch niemand wird diesen Effekt als Argument gegen eine Ausweitung der Teilzeitarbeit verwenden, denn in der Beschäftigungspolitik kann es nicht nur darum gehen, die Rate der amtlich registrierten Arbeitslosigkeit zu senken, sondern darum, einer größtmöglichen Anzahl von Arbeit-suchenden eine Beschäftigung in dem Umfang zu ermöglichen, den sie wünschen und der sich mit ihrer gesamten Lebenssituation vereinbaren läßt.
Es liegen nur vereinzelte Studien vor, in denen den Wünschen der Beschäftigten in bezug auf eine höhere Flexibilität ihrer Arbeitszeit sowie der Akzeptanz „neuer“ flexibler Arbeitszeitformen nachgegangen wird Im Hinblick auf die Arbeits-zeit bevorzugen die Befragten deutlich solche Formen, die mit einem Zugewinn an individuellen Spielräumen verbunden sind. An erster Stelle wird die persönliche Wahl von Zeitpunkt und Aufteilung des Urlaubs genannt, an zweiter Stelle Variationsmöglichkeiten bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Fast im gleichen Maße wie diejenigen, die starren Arbeitszeitregelungen unterliegen, wünschen sich Gleitzeitbeschäftigte mehr Spielraum bei der Entscheidung über Arbeitsanfang und Arbeitsende. Häufiger als der Durchschnitt der Befragten sprechen sich Gleitzeitbeschäftigte für die Möglichkeit aus, die wöchentliche Arbeitszeit auf weniger Tage zu konzentrieren. Diese Ergebnisse werden als ein Indiz dafür gewertet, daß (begrenzte) Dispositionsmöglichkeiten im Rahmen von Gleitzeitarbeit nicht etwa einen gegebenen Flexibilitätsbedarf abdecken, sondern sie scheinen vielmehr weiterreichende gleichgerichtete Bedürfnisse zu erzeugen.
Ein Modell zur Umverteilung des Familienarbeitszeitvolumens zielt auf die Auflösung der ungleich-gewichtigen geschlechtsspezifischen Rollenverteilung, die bislang überwiegend dem männlichen Partner die Rolle des Alleinverdieners zuweist. Bei rund zwei Dritteln der Befragten stößt folgender Vorschlag auf Zustimmung: Beide Ehepartner vereinbaren jeweils Arbeitszeiten unter der Vollerwerbsgrenze, um sich gleichgewichtig um Kinder und Haushalt kümmern zu können. Besonders aufgeschlossen zeigen sich jüngere Befragte sowie Angestellte und Beamte, während Arbeiter und ältere Befragte einer Änderung des traditionellen Familienmusters wenig Neigung entgegenbringen.
Auch das Interesse der Erwerbstätigen an einem Langzeiturlaub (Sabbatical) ist groß. In einer entsprechenden Frage ist die Weiterbezahlung von 75 % des derzeitigen Nettoeinkommens sowie eine Weiterbeschäftigungsgarantie nach Ablauf der Arbeitspause vorgegeben. Fast zwei Fünftel der Befragten antworten mit „Ja“, ein weiteres Fünftel mit „Vielleicht“, der Rest spricht sich gegen eine solche Möglichkeit aus bzw. gibt kein Votum ab. Ein überdurchschnittliches Interesse an einer längeren Arbeitsunterbrechung äußern Frauen, Bezieher niedriger sowie hoher Einkommen, Personen ohne Kinder und die Altersgruppe der unter 35jährigen. Hinsichtlich der Dauer des Sabbatical werden Zeiten von einem viertel bzw. einem halben Jahr besonders häufig genannt (von jeweils rund einem Viertel der Befragten), doch auch eine Unterbrechung von zwei Monaten bzw. einem Jahr erachten jeweils rund 15 % der Befragten als wünschenswert. In einer anderen Untersuchung wurde die Frage gestellt, ob Erwerbstätige und Nichterwerbstätige abgesehen vom Jahresurlaub das ganze Jahr hindurch arbeiten wollen oder ob sie eine variable Jahresarbeitszeit vorziehen würden. Rund ein Viertel der Befragten spricht sich für die Möglichkeit der flexiblen Gestaltung der Jahresarbeitszeit aus. Dabei genießt eine rund zehn monatige Arbeitszeit das höchste Interesse, gefolgt von Voten, die sich auf eine Jahresarbeitszeit von etwa acht Monaten konzentrieren.
Als Befürwortung einer Flexibilisierung der Arbeitszeit und für die Beschreitung neuer Wege in der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik läßt sich die positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber einer Förderung alternativer und in Selbsthilfe organisierter Projekte interpretieren. Besonders selbstbestimmtes Arbeiten und die Einteilung der Arbeitszeit nach eigenen Wünschen machen Selbsthilfeprojekte und alternative Betriebe aus der Sicht der Berufstätigen attraktiv. In einer Umfrage äußert fast die Hälfte der Befragten im Alter von unter 35 Jahren die Einstellung, daß ein Arbeitsplatz in diesem Bereich für sie selber in Frage käme. Un-und angelernte Arbeiter sowie Selbständige und Freiberufler stehen der Förderung solcher Projekte und Betriebe am skeptischsten gegenüber.
Zuletzt ein Blick auf die Wünsche älterer Arbeitnehmer nach einer (flexiblen) Ruhestandsregelungn). Statistische Daten über die Altersverteilung der Arbeitslosen sowie die Entwicklung der Frühvenentungen zeigen, daß der verbreitete Wunsch nach einer Vorverlegung der Ruhestandsgrenze nicht einer freien Wahlsituation entspricht. Ältere Erwerbstätige im Alter von über 55 Jahren sind überdurchschnittlich lange arbeitslos. Die ungünstige Beschäftigungssituation dieser Gruppe wird insbesondere daran deutlich, daß ältere Arbeitslose in der Mehrzahl nicht mehr in den Erwerbsprozeß zurückkehren, sondern in den vorgezogenen Ruhestand überwechseln. Entsprechend stimmt die gesetzliche Altersgrenze mit dem tatsächlichen Austrittsalter aus dem Erwerbsleben immer weniger überein: Männliche Erwerbstätige sind im Jahre 1985 durchschnittlich mit 58, 7 Jahren, weibliche mit 60, 4 Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Arbeiter haben im Durchschnitt* bereits mit 58 Jahren aufgehört zu arbeiten, zweieinhalb Jahre früher als Angestellte.
Nach einer im Jahre 1980 durchgeführten Befragung von Arbeitnehmern, die im Alter von 45 und mehr Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, konnten lediglich 22% aller Befragten ihr Erwerbsleben zum gewünschten Zeitpunkt beenden. 35 % der Befragten hätten es gerne früher (um durchschnittlich vier Jahre) beendet, 43 % dagegen hätten lieber (um durchschnittlich sechs Jahre) länger gearbeitet. Aus diesen Voten läßt sich der verbreitete Wunsch nach einer weiteren Flexibilisierung der Altersgrenze nach oben und unten ablesen. In einer anderen Umfrage wurden den Befragten zwei alternative Modelle des Übergangs in den Ruhestand vorgelegt. Dabei präferierten fast 60% der Untersuchungspersonen ein „offenes“ Modell im Gegensatz zu den geltenden festen Altersgrenzen. Ob die Befragten eher früh oder eher spät in den Ruhestand treten wollen, hängt hauptsächlich von ihrem Alter zum Befragungszeitpunkt, ihrer Familiensituation, ihrem beruflichen Status und Einkommen, vom Gesundheitszustand und den Arbeitsbedingungen ab. Je jünger die Befragten sind, desto früher wollen sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Mit zunehmendem Alter äußern die Befragten jedoch verstärkt die Absicht, bis zur regulären Altersgrenze Weiterarbeiten zu wollen. In dieselbe Richtung weist ein anderes Ergebnis: Je näher der Zeitpunkt der Zurruhesetzung rückt, desto negativer wird die Einstellung dazu. Allein-stehende und Verwitwete plädieren seltener für einen frühen Zeitpunkt des Ruhestandes als Verheiratete mit Kindern. Ein vorhandener Familien-zusammenhang begünstigt also eine außerberufliche Orientierung, während für Alleinstehende das Arbeitsleben einen zentralen Ort der Selbstbestätigung und Wahrnehmung sozialer Kontakte darstellt.
Je höher das monatliche Einkommen bzw. die Rente oder Alterspension, desto früher liegt der gewünschte Zeitpunkt der Zurruhesetzung. Trotz der Eindeutigkeit dieses Zusammenhangs gibt es Einflußfaktoren, die die dominierende Bedeutung des Einkommens außer Kraft setzen. Je ungünstiger der eigene Gesundheitszustand und die berufliche Leistungsfähigkeit von den Befragten eingeschätzt werden, desto häufiger plädieren sie für eine Herabsetzung der (flexiblen) Altersgrenze. Eine zweite Gruppe von beruflichem Status und Einkommenshöhe weitgehend unabhängiger Faktoren sind die Belastung am Arbeitsplatz und die Zufriedenheit mit der beruflichen Tätigkeit. Je positiver die Einstellung zur Arbeit ist, desto häufiger wollen die Befragten ihre Erwerbstätigkeit über die Alters-grenze hinaus fortsetzen. Umgekehrt steigt mit zunehmender Arbeitsbelastung und mit kleiner werdenden Entscheidungsspielräumen die Bereitschaft, zum frühestmöglichen Zeitpunkt aus dem Arbeitsprozeß auszuscheiden.
Fassen wir zusammen: Sowohl auf der Arbeitgeber-als auch der Arbeitnehmerseite werden in letzter Zeit verstärkt Interessen an einer Flexibilisierung der betrieblichen und individuellen Arbeitszeiten formuliert. Für die Betriebe bedeuten Schicht-, Nacht-und Wochenendarbeit, aber auch die in den letzten Tarifrunden ausgehandelten neuen Arbeitszeitvereinbarungen die Möglichkeit, die Betriebszeiten auszudehnen und die Arbeitszeit der Beschäftigten in begrenztem Rahmen an den Arbeitsanfall und die Auftragslage anzupassen. Die Wünsche der Beschäftigten hingegen zielen darauf, durch eine flexiblere Gestaltung ihrer Arbeitszeit ihre individuellen Dispositionschancen im Erwerbsleben zu erweitern und dadurch Beruf, Familie, Freizeit sowie soziale und kulturelle Bedürfnisse besser vereinbaren zu können.
Es wäre unrealistisch zu glauben, diese beiden Ziel-bündel könnten konfliktlos in eine Flexibilisierungsstrategie integriert werden. Doch neuere Fallstudien kommen zu dem Ergebnis, daß es auf einzelbetrieblicher Ebene durchaus zu Lösungen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung kommen kann, in denen sozial akzeptable Kompromisse für die Beschäftigten gefunden werden. Dies gelingt in dem Maße, wie berechtigte Interessen der Beschäftigten an Arbeitsplatzsicherheit sowie an arbeitsund sozialversicherungsrechtlichem Schutz Berücksichtigung finden.
III. Sozialstaatliche Regulierungen: Barrieren für die Arbeitsmarkt-und Arbeitszeitflexibilisierung?
Abbildung 3
Abhängig beschäftigte Frauen (ohne Auszubildende)
Abhängig beschäftigte Frauen (ohne Auszubildende)
In den vorangegangenen Abschnitten wurde gezeigt, daß in den letzten fünfzehn Jahren sowohl auf der Arbeitsangebots-als auch auf der Arbeitsnachfrageseite weitreichende Änderungen eingetreten sind. Arbeitsplätzeknappheit, neue Arbeitszeitmuster und neue Beschäftigungsformen sind die Stichworte. Bevor nun untersucht werden soll, ob die bestehenden sozialstaatlichen Regulierungen zu diesen Veränderungen noch „passen“ oder ob sie einer weiteren Flexibilisierung der Beschäftigung und der Arbeitszeit im Wege stehen, soll ein Blick auf die Ziele der Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik geworfen werden.
Ziel der Arbeitsmarktpolitik unter den Bedingungen von Arbeitsplätzeknappheit ist es, das vorhandene Erwerbsarbeitsvolumen möglichst breit zu streuen, durch Förderung der Qualifikation und Mobilität die Arbeitsuchenden in geeignete Arbeitsplätze zu vermitteln sowie durch gezielte Fördermaßnahmen die Arbeitgeber bei der Erhaltung bzw. Schaffung sozial akzeptierter Arbeitsplätze zu unterstützen Obwohl die Erfolge der Arbeitsmarktpolitik unbestritten sind, diagnosti-ziert die empirische Arbeitsmarktforschung nach wie vor sozial unerwünschte Allokations-und Verteilungsergebnisse am Arbeitsmarkt. Die Ungleich-gewichte am Arbeitsmarkt drücken sich nicht nur in Arbeitslosigkeit aus, sondern auch in einer starken Segmentierungstendenz. Auf der einen Seite des Kontinuums konzentrieren sich sichere, qualifizierte, gut bezahlte und ununterbrochene Voll-und Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse, auf der anderen Seite lassen sich kumulative Benachteiligungen in Form von unsicheren, schlecht qualifizierten und bezahlten sowie diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen beobachten
Außerdem hat das sinkende Arbeitsvolumen zu einer stärkeren Konzentration der Erwerbstätigkeit aufdie mittleren Altersgruppen und damit auf einen relativ geringen Erwerbspersonenanteil geführt. Dies zeigt sich vor allem in der Tendenz der Ausgrenzung älterer auf der einen und jugendlicher bzw. junger Arbeitnehmer auf der anderen Seite
Aus der Defizitanalyse ergibt sich das arbeitsmarkt-und sozialpolitische Zielmodell einer breiteren Streuung der Beschäftigungschancen. Hierzu können vor allem eine sozialpolitisch flankierte Teilzeit-Strategie sowie die Förderung einer höheren Durchlässigkeit zwischen Erwerbs-und Nichterwerbstätigkeit beitragen. 1. Sozialversicherungsregelungen als Begünstigung langjähriger, ununterbrochener Vollerwerbstätigkeit Die derzeit geltenden sozialversicherungsrechtlichen Regelungen stehen dem oben skizzierten Ziel-modell teilweise entgegen. Vielmehr sind beispielsweise die Konstruktionsprinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ausgerichtet am Modell der lebenslangen Vollzeiterwerbstätigkeit des Ehemannes in der stabilen Einverdienerehe. Im Hinblick auf den individuellen Rentenanspruch, der mit der sogenannten Rentenformel errechnet wird, ruht das deutsche System der sozialen Alterssicherung auf den Säulen Lebenseinkommensposition und Dauer der Erwerbstätigkeit in Jahren
Zum Erwerb eines Anspruchs auf Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe des Sozialhilfeniveaus muß ein Vollzeiterwerbstätiger mit Durchschnittsverdienst immerhin 26 Jahre lang Beiträge entrichten Teilzeitbeschäftigung oder Phasenerwerbstätigkeit führen, entsprechend dem im Vergleich zur kontinuierlichen Vollzeitbeschäftigung geringeren Lebensarbeitsentgelt, zu geringeren Rentenansprüchen. Erwerbsverläufe, die langjährige Teilzeitphasen und/oder Erwerbsunterbrechungen aufweisen, führen also häufig zu Altersrenten, die für den individuellen Lebensunterhalt nicht ausreichen Ein anderes Bild könnte sich allerdings ergeben, wenn in einer Familie (oder Lebensgemeinschaft) zwei oder mehr Personen Rentenansprüche aus Teilzeitbeschäftigungen „zusammenlegten“.
Aus der Statistik ergibt sich jedoch für die aktuelle Situation ein anderes Bild. Als Folge schwächer werdender familiärer Bindungen sowie der beruflichen Mobilität leben immer mehr Frauen aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung im Alter allein. Vielfach sind ihre Versicherten-und Witwenrenten so niedrig, daß sie daneben noch auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind. Frauen erreichen bei ihren Versichertenrenten im Durchschnitt eine persönliche Bemessungsgrundlage, die um rund ein Drittel unter derjenigen der Männer liegt Eine Reihe von Schwellenwerten im Sozialversicherungsrecht führt dazu, daß Versicherte mit kurzen und/oder unsteten Erwerbsverläufen von bestimmten Leistungen oder Leistungselementen ausgeschlossen sind. In den Genuß von bestimmten „bevorzugten“ Altersgrenzenregelungen kommen nur Versicherte mit langjährigen Erwerbsbiographien. Beispielsweise beträgt die sogenannte Wartezeit bei der flexiblen Altersgrenze, die man ab dem 63. Lebensjahr in Anspruch nehmen kann, 35 Versicherungsjahre Das vorgezogene Altersruhegeld für Frauen ab dem 60. Lebensjahr kann nur beansprucht werden, wenn mindestens 15 Versicherungsjahre nachgewiesen werden können.
Zusätzlich wird verlangt, daß in den letzten 20 Jahren vor dem Versicherungsfall, also normalerweise zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr, eine mindestens zehnjährige versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen hat.
Auch bei den Renten wegen Berufs-und Erwerbs-unfähigkeit wird kontinuierliche versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit vorausgesetzt. Diese Rentenart wird seit 1984 nur noch gewährt, wenn in den letzten fünf Jahren vor dem Versicherungsfall wenigstens 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sind. Da der Eintritt einer Berufs-oder Erwerbsunfähigkeit unvorhersehbar ist, gefährdet jede Erwerbsperson, die irgendwann in ihrem Leben ihre versicherungspflichtige Beschäftigung drei Jahre oder länger unterbricht, ihren Anspruch auf Invaliditätsschutz.
Alle Wartezeiten können auch mit Hilfe versicherungspflichtiger Teilzeitarbeit erfüllt werden. Für solche Versicherten, die die notwendige Wartezeit noch nicht erfüllt haben, die aber aus familiären oder anderen Gründen einer Vollzeitbeschäftigung nicht oder nicht mehr nachgehen können oder wollen, ist Teilzeitbeschäftigung also eine wichtige Möglichkeit, um überhaupt einen Rentenanspruch zu erwerben. Dies gilt ebenso für das Risiko einer Berufs-oder Erwerbsunfähigkeit. Alternativ zur beitragspflichtigen Beschäftigung kann der Versicherte regelmäßig monatlich freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichten. Diese Möglichkeit ist jedoch an ein ausreichendes Haushaltseinkommen gebunden.
Zweijährige oder längere Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit oder der Wechsel von einer versicherungspflichtigen in eine sogenannte geringfügige Beschäftigung kann in ähnlicher Weise zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld führen. Vorausgesetzt wird in der diesbezüglichen Regelung des Arbeitsförderungsgesetzes neben anderem, daß die sogenannte Anwartschaftszeit erfüllt sein muß. Hierbei handelt es sich um eine gesetzlich festgelegte Vorversicherungszeit, die erfüllt hat, wer innerhalb der Rahmenfrist von drei der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorausgehenden Jahren 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat. Diese Regelung kann beispielsweise solche Frauen hart treffen, die früher lange Jahre erwerbstätig waren, dann für zwei oder mehr Jahre aussetzten, um anschließend ihre Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen. Werden sie danach vor Erfüllung der Anwartschaftszeit arbeitslos, können sie kein Arbeitslosengeld erhalten, obwohl sie in früheren Phasen ihrer Erwerbsbiographie bereits viele Jahre lang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet hatten.
Diese und andere sozialversicherungsrechtlichen Regelungen fördern die Beibehaltung einer kontinuierlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Sie stellen sich als Barrieren einer größeren Durchlässigkeit am Arbeitsmarkt entgegen. Allerdings existieren auch außerhalb des Sozialversicherungssystems schwergewichtige Barrieren wie beispielsweise der Lohnverlust oder die Gefahr des Verlustes von Qualifikationen und Berufserfahrung, die es Erwerbstätigen schwer machen, ihren Arbeitsplatz von Zeit zu Zeit „flexibel“ gegen Familienarbeit oder Freizeitinteressen zu tauschen. 2. Wirkungen von Arbeitszeitmobilität auf lohnbezogene und bedarfsorientierte Leistungsarten Eine breitere Streuung des knappen Arbeitsvolumens könnte erreicht werden, wenn mehr als bisher Vollzeitbeschäftigte auf Teilzeit übergingen und damit einen Teil ihres Arbeitsplatzes für Arbeit-suchende zur Verfügung stellten. Doch auch einer größeren Arbeitszeitmobilität stellen sich sozialversicherungsrechtliche Regelungen hemmend entgegen. Allerdings muß unterschieden werden zwischen Umfang und Richtung der Arbeitszeitänderung sowie zwischen Vor-und Nachteilen für die Beschäftigten einerseits und Unternehmen andererseits. Ein Wechsel von einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeit-in eine Vollzeitbeschäftigung wirft naturgemäß keinerlei Probleme auf. Im Gegenteil: Gemäß der damit in der Regel einhergehenden Lohn-/Gehaltssteigerung steigen alle daran orientierten Ansprüche auf Lohnersatzeinkommen (Rentenansprüche, Krankengeld, Arbeitslosengeld u. a.). Erfolgt umgekehrt ein Wechsel von Vollzeitin sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung, sind die Effekte im Hinblick auf Leistungsansprüche je nach Versicherungszweig und persönlichen Merkmalen des Beschäftigten unterschiedlich. Die Rentenanwartschaft eines Teilzeitbeschäftigten steigt langsamer als die eines Vollzeitbeschäftigten. Jedoch verändert sich nur der Einkommensfaktor in der Rentenformel. Der Zeitfaktor entwickelt sich bei Teilzeitbeschäftigung ganz genau so wie bei Vollzeitbeschäftigung. Technisch gesprochen zählt ein Jahr Teilzeitarbeit für den Steigerungssatz ebenso wie ein Jahr Vollzeitarbeit. Daraus folgt, daß für den Aufbau des individuellen Rentenanspruchs eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit als versicherungspflichtige Teilzeitarbeit in der Regel sehr viel günstiger ist als ein (zeitweises) Ausscheiden
Auch andere nach dem Äquivalenzprinzip bemessene, also lohnbezogene Leistungsansprüche wie beispielsweise das Krankengeld sowie Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe reduzieren sich durch den Übergang eines Versicherten von Vollauf Teilzeitarbeit. Parallel dazu reduzieren sich auch die zu entrichtenden Beiträge Obwohl der proportionale Wirkungszusammenhang zwischen erzieltem Bruttoarbeitsentgelt und Leistungsanspruch bei den Lohnersatzleistungen der drei hier behandelten Sozialversicherungszweige überwiegt, bestehen einige abweichende Regelungen wie bei-spielsweise der Bemessungszeitraum, der zur Berechnung der Höhe des Leistungsanspruchs zugrunde gelegt wird. Nach dieser Regelung kommen einem zuletzt Teilzeitbeschäftigten, der arbeitslos wird, frühere Vollzeitbeschäftigungsphasen mit entsprechend höherem Einkommen bei der Leistungsbemessung des Arbeitslosengeldes oder Unterhaltsgeldes nicht zugute, wenn diese nicht in den Bemessungszeitraum fallen.
Ein ganz anderer Wirkungszusammenhang besteht bei den nach dem Bedarfsprinzip bemessenen Leistungen sowie bei Leistungselementen des sozialen Ausgleichs. Im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung, wo sich die individuelle Höhe des Rentenanspruchs nach der Höhe des vormals im Laufe des Erwerbslebens erzielten Arbeitsentgelts richtet (Äquivalenzprinzip), herrscht in der gesetzlichen Krankenversicherung das Solidarprinzip vor.
Die individuell zu entrichtenden Beiträge sind (unterhalb der Beitragsgrenze) einkommensbezogen, die im Krankheitsfall gewährten Sachleistungen richten sich jedoch nach dem Bedarfdes Versicherten
Anders als in der Renten-und Arbeitslosenversicherung erhalten in der gesetzlichen Krankenversicherung auch Nichterwerbstätige und geringfügig Erwerbstätige im vollen Umfang Sachleistungen.
Ihr Leistungsanspruch beruht entweder auf ihrer Eigenschaft als beitragsfrei mitversichertes Familienmitglied, als Mitglied der Krankenversicherung der Rentner oder als über die Bundesanstalt für Arbeit versicherter Arbeitsloser. In bezug auf unsere Fragestellung bedeutet dies, daß im Konstruktionsprogramm der gesetzlichen Krankenversicherung Nichterwerbstätigkeit oder geringfügige bzw. kurzzeitige Beschäftigungsverhältnisse für rechtlich definierte Personenkategorien „erlaubt“
sind.
Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung steht einer Flexibilisierung der Beschäftigung also sehr viel weniger im Wege als dasjenige der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung. Allerdings gilt dies nur auf der Ebene des individuellen Beschäftigten/Versicherten, nicht hingegen auf der Ebene der Finanzierung, d. h.der Umlegung der Kosten für die beitragsfreie Krankenkassenmitgliedschaft auf die Versichertengemeinschaft.
Wechselt ein Vollzeitarbeitnehmer auf Teilzeitarbeit, so hat er insofern einen Vorteil, als er für die gleichen Leistungen seiner Krankenkasse nunmehr einen geringeren Beitrag zahlt. Das gilt in den meisten Fällen auch für Arbeitnehmer mit einem Monatseinkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze von im Jahr 1987 5 700 DM, auch wenn diese bei einem Teilzeiteinkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze anteilig einen höheren Beitrag leisten müssen. Ein Teilzeitbeschäftigter genießt also in bezug auf Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung im allgemeinen einen bedeutend „billigeren“ Krankenversicherungsschutz. Umgekehrt ist beispielsweise ein Halbtagsbeschäftigter mit entsprechend geringerem Einkommen bei gleicher Krankheitshäufigkeit für die Krankenkasse doppelt so teuer wie ein Vollzeitbeschäftigter
Wenn die Frage gestellt wird, in welchem Verhältnis bei den Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung das Leistungsprinzip/Äquivalenzprinzip zum Bedarfsprinzip/Solidarprinzip steht, so stellt die Familie die geeignete Analyseeinheit dar. Die Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehen idealtypisch vom Modell der Einverdienerehe aus. Der lebenslang vollzeiterwerbstätige Ehegatte finanziert mit seinen Beiträgen nicht nur seine eigenen Leistungen im Krankheitsfalle, sondern auch diejenigen seiner Ehefrau und seiner Kinder. Diesem Idealtypus entsprechen in der folgenden Übersicht 2 die Fälle 4 und 5.
Wie aus Übersicht 2 hervorgeht, enthält das Regelungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung Anreize, die zum Familienunterhalt notwendige Erwerbstätigkeit auf eine vollzeitbeschäftigte Person zu konzentrieren. Wollen oder müssen weitere Familienmitglieder erwerbstätig sein, so ergibt sich das günstigste Beitrags-/Leistungsverhältnis dann, wenn diese nur geringfügig bzw. kurzfristig beschäftigt sind. Am teuersten bezahlen ihren Krankenversicherungsschutz solche Familien, bei denen zwei oder mehr Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind (vgl. Übersicht 2, Fälle 6, 7 und 8).
Zugleich subventionieren die Mehrverdienerfamilien, die im statistischen Durchschnitt ein niedrigeres Familieneinkommen erzielen, mit ihren Beiträgen den Krankenversicherungsschutz von Einver-dienerfamilien mit im Durchschnitt höherem Familieneinkommen
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das Bedarfsprinzip in der gesetzlichen Krankenver-Sicherung in Verbindung mit der beitragsfreien Familienhilfe nicht dazu beiträgt, die knappe Erwerbsarbeit auf mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigte Personen zu verteilen. Familienversicherte Beschäftigte und deren Arbeitgeber werden in gewisser Weise angereizt, geringfügige bzw. kurzzeitige Beschäftigungsverhältnisse zu vereinbaren, um den Krankenversicherungsbeitrag zu sparen. Will man durch eine koordinierte arbeits27 markt-und sozialpolitische Strategie der Umverteilung der knappen Erwerbsarbeit auf mehr Schultern auch eine sozial verträgliche Verteilung der Krankenversicherungsbeitragslasten im Familien-kontext erreichen, so empfiehlt sich ein Überdenken der bestehenden Ungleichgewichte zwischen beitragsrechtlicher Subventionierung einerseits und Mehrfachbelastung andererseits.
IV. Sozialpolitische Flankierung einer Arbeitsumverteilungsstrategie
Abbildung 4
Übersicht 2
Übersicht 2
Der erste Ansatzpunkt für sozialpolitischen Flankierungsbedarf einer Arbeitsumverteilungsstrategie resultiert aus neuen Sicherungslücken, die im Zuge der Arbeitsmarktprobleme entstehen können. Teilzeitbeschäftigung und/oder Erwerbsunterbrechungen führen entsprechend dem im Vergleich zu kontinuierlicher Vollzeitbeschäftigung geringeren Arbeitsentgelt zu geringeren Rentenansprüchen. Durch die Berechnungsgrundlagen der soge-nannten Rentenformel fällt der individuelle Rentenanspruch um so geringer aus, je länger die Teilzeitphasen im gesamten Erwerbsleben dauern und je niedriger das beitragspflichtige Arbeitsentgelt ausfällt.
Dieser Funktionszusammenhang wirft keine prinzipiellen Fragen auf, solange am Arbeitsmarkt Verhältnisse herrschen, die es jedem Individuum im erwerbsfähigen Alter erlauben, in dem Umfang am Erwerbsleben teilzunehmen, den er wünscht und für den Aufbau einer Rentenanwartschaft als notwendig erachtet. Wenn also in Vollbeschäftigungs-Zeiten bei einzelnen Versicherten Altersrenten-ansprüche unterhalb des Sozialhilfeniveaus entstehen, so kann dies auf Ursachen zurückgeführt werden, die mit den normativen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung und dem darauf errichteten Konstruktionsprogramm prinzipiell durchaus übereinstimmen. Versicherte, die in Vollbeschäftigungsphasen Altersrentenansprüche erwerben, die für sich genommen nicht zum Lebensunterhalt ausreichen, sind in der Regel solche, die individuell oder über den Haushaltskontext durch zusätzliches Erwerbseinkommen, Vermögen u. ä. anderweitig gesichert sind. In anderen Worten: Unterhalb der Unterhaltsgrenze liegende Altersrentenansprüche der Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung können in Vollbeschäftigungsphasen vielfältige, in der Person, der Familie oder dem Beruf des Versicherten liegende Ursachen haben. Eine Ursache kann aber in Vollbeschäftigungsphasen im Grundsatz keine dominante Rolle spielen: ein (teilweise, zeitweise) verschlossener Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund von Arbeitsplätzeknappheit.
In ganz anderem Licht erscheinen im Unterschied dazu unter dem Sozialhilfeniveau liegende Alters-rentenansprüche, die in Phasen entstehen, die durch bereits länger andauernde Arbeitsplätze-knappheit und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind. Das Risikoverteilungsmuster, das bei engen Arbeitsmarktverhältnissen besteht, wurde bereits skizziert. Das Risiko, arbeitslos oder unterbeschäftigt zu sein, ist ungleich verteilt. Zwar werden Zeiten der registrierten Arbeitslosigkeit auf den Rentenanspruch des Versicherten angerechnet, jedoch sind im Laufe der letzten fünfzehn Jahre auch Formen der Nichterwerbstätigkeit entstanden, die der Rentenanwartschaft nicht zugute kommen.
Gemeint sind hier unfreiwillig verzögerte Einmündungen ins Erwerbsleben bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, arbeitsmarktbedingt mißglückte Wiedereinstiege ins Erwerbsleben von Frauen nach der Erziehungsphase, arbeitsmarktbedingt vorgezogener Ruhestand sowie allgemein die empirisch zu beobachtende Zunahme von marginalen Beschäftigungsformen (geringfügige, kurzzeitige Beschäftigung), die häufig sozialversicherungsrechtlich ungeschützt sind. Dualisierungstendenzen und Marginalisierungsprozesse sind die zwangsläufige Konsequenz. Dieses Risikoverteilungsmuster wird durch das vorfindliche System der gesetzlichen Rentenversicherung nur unbedeutend modifiziert Sozial unerwünschte Nachteilskumulationen könnten vermieden werden, wenn das bisher besonders in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehende Verhältnis zwischen strenger Lohnbezogenheit der Leistungsbemessung einerseits und nicht lohnbezogener Elemente der Familiensicherung und des sozialen Ausgleichs andererseits neu überdacht würde. Erste Ansätze sind in der Sozialpolitik der letzten Jahre bereits zu erkennen. Hierzu zählen die Anrechnung von eigenen Arbeits-und Transfereinkommen auf die Hinterbliebenenrente sowie die Anerkennung von Erziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Ziel sollte darin bestehen, eine ungenügende Alterssicherung bei denjenigen Versicherten zu verhindern, die aus Gründen der Arbeitsplätzeknappheit, unfreiwilliger Unterbeschäftigung sowie sozial erwünschter nichterwerbswirtschaftlicher Tätigkeiten wie Erziehung und Pflege Versicherungslücken aufweisen
Der zweite Ansatzpunkt zur sozialpolitischen Flankierung einer Arbeitsumverteilungsstrategie besteht im Abbau von dysfunktionalen Schwellen in den Regelungen des Sozialversicherungsrechts. Eine solche Schwelle stellt beispielsweise die soge-nannte Geringfiigigkeitsgrenze dar, die Beschäftigungsverhältnisse unter bestimmten Arbeitsentgelt-und Arbeitszeitgrenzen nicht der Sozialversicherungspflicht unterwirft. In Vollbeschäftigungsphasen kommt der Geringfügigkeitsgrenze eine sinnvolle Selektionsfunktion zu. In solchen Phasen kann davon ausgegangen werden, daß nur solche Personen eine geringfügige Beschäftigung ausüben, die nicht mehr als ein Zuverdienst zum Haushaltseinkommen erzielen wollen. Diese Voraussetzung ist aber im Falle länger anhaltender Arbeitslosigkeit nicht immer gegeben.
In Phasen verschärften Wettbewerbs in personalintensiven Branchen und eines hohen Arbeitskräfteüberschusses neigen Unternehmen dazu, bei Personalbedarf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (für Aushilfen, Pauschalkräfte, 14-Stunden-Kräfte u. ä.) anzubieten, um auf diese Weise die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zu sparen.
Außerdem sind Beschäftigungsverhältnisse dieser Art aus betrieblicher Sicht vorteilhaft, weil ein Teil der sozialrechtlichen Schutzvorschriften (Kündigungsschutz u. a.) auf sie keine Anwendung findet.
Mangels Alternativen nehmen Arbeitsuchende solche Stellen an, auch wenn sie, wie Umfrageergebnisse zeigen, versicherungspflichtige Teilzeitstellen im Umfang von rund 25 Wochenstunden vorziehen würden.
Ähnliche Schwellen enthalten andere sozialversicherungsrechtliche Regelungen wie die Anspruchs-voraussetzungen auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfälle, die Anwartschaftszeit und der Bemessungszeitraum nach dem Arbeitsförderungsgesetz sowie die genannten (III.) vorzeitigen Altersgrenzen für Langzeiterwerbstätige. Das Gemeinsame dieser sozialversicherungsrechtlichen Schwellenregelungen und -werte besteht darin, daß sie kumulativ begünstigend sowie kumulativ benachteiligend wirken. Dadurch wird der sozialpolitisch unerwünschte Allokationsmechanismus der Dualisierung in günstige und ungünstige Erwerbschancen noch zusätzlich verstärkt.
Mit dem hier in Ansätzen skizzierten sozialpolitisch flankierten Arbeitsumverteilungsmodell wird ein dazu im Kontrast stehendes Politikmuster befürwortet, das es erlaubt, im Rahmen der Debatte um die Renten-und Krankenversicherungsstrukturreform Handlungsaltemativen aufzuzeigen. Diese können den Wirkungsgrad einer arbeitsmarktpolitisch und sozialpolitisch motivierten Teilzeit-Strategie erweitern, indem durch Modifikationen des sozialversicherungsrechtlichen Konstruktionsprogramms der Zugang zu Teilzeitbeschäftigung für bestimmte Personengruppen in bestimmten Le. bensphasen erleichtert wird. Eine breitere Streuung des knappen Erwerbsarbeitsvolumens kann nur erreicht werden, wenn die Einstiege in und Aus-stiege aus dem Erwerbsleben sowie Übergänge von Vollzeit-in Teilzeitarbeit und umgekehrt durch gezielte sozialpolitische Flankierung ohne vermeidbare Nachteile für Beschäftigte und Unternehmen möglich sind.
Margarete Landenberger, geb. 1950; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 333 der Universität München, „Entwicklungsperspektiven von Arbeit“. Veröffentlichungen u. a.: Arbeitszeitwünsche — Vergleichende Analyse vorliegender Umfrageergebnisse, Discussion Paper IIM/LMP 83— 17, Wissenschaftszentrum Berlin 1983; Aktuelle sozialversicherungsrechtliche Fragen zur flexiblen Arbeitszeit und Teilzeitbeschäftigung, in: Zeitschrift für Sozialreform, 31 (1985) 6 (1. Teil), S. 321-335, und 31 (1985) 7 (2. Teil), S. 393-415; Sozialversicherungsrechtliche Fragen, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), Teilzeitarbeit, Forschungsbericht Sozialforschung Nr. 127, Bonn 1985; Arbeitszeitpräferenzen der Erwerbsbevölkerung, in: G. Buttler/K. Oettle/H. Winterstein (Hrsg.), Flexibilität gegen starre Sozialsysteme, Baden-Baden 1986.
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