Entwicklung des Umweltbewußtseins in der Bundesrepublik Deutschland
Udo Margedant
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Zusammenfassung
Schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wird in der Publizistik über Umweltschädigungen durch Rauch und giftige Gase, über Verunreinigungen der Gewässer und über deren gesundheitsschädigenden Wirkungen berichtet. Die Eingriffe des Menschen in seine natürliche Umwelt haben dann vor allem in der modernen Industriegesellschaft häufig irreversible Schäden verursacht. Anhand der Diskussionen in den Massenmedien vor allem im Zeitraum von 1960 bis 1980 und den Ergebnissen der Meinungsforschung wird versucht, den Meinungsbildungprozeß nachzuzeichnen, der Anfang der siebziger Jahre ein zunehmendes Umweltbewußtsein beim Bürger entstehen und wenig später auch dessen Bereitschaft erkennen ließ, Verantwortung und materielle Opfer für den Schutz der Umwelt auf sich zu nehmen. Während die Umweltverantwortung des Bürgers auch Zeiten wirtschaftlicher Rezession überdauerte. hatten und haben die politischen Parteien und die Sozialpartner große Schwierigkeiten, Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen.
I. Natur — Mensch — Umwelt
Mit der Seßhaftwerdung begann der Mensch seine Umwelt aktiv zu gestalten und damit zu verändern. Anbau von Nutzpflanzen, Ackerbau, Haustierhaltung und Anlage dicht besiedelter städtischer Zentren hinterließen Spuren im natürlichen Landschaftsbild. So wurden bereits in den frühen Hochkulturen Flüsse reguliert, Sümpfe trockengelegt, ganze Landstriche mit Bewässerungskanälen durchzogen. Die zivilisatorischen Fortschritte zogen aber bereits irreversible Umweltveränderungen nach sich: Ausdörrung und Versalzung der Böden, beginnende Waldzerstörung durch Rodungen und durch wachsenden Holzbedarf.
Der zweite große Umbruch im Verhältnis von Mensch und Natur erfolgte mit der industriellen Revolution. Die geistig bewegende Kraft war der neuzeitliche Fortschrittsbegriff, der seit Descartes, Newton und Bacon sich in den Naturwissenschaften Bahn brach. Der von den Aufklärern initiierte Fortschrittsglaube wurde zur wichtigen Voraussetzung für die technisch-ökonomische Entwicklung der Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Konsequenz der Aufklärung und der Französischen Revolution war die Befreiung des Menschen von den Zwängen der ständischen Gesellschaft. Daneben sollte auch der wirtschaftliche Bereich von allen regulierenden Eingriffen des Staates und von religiösen Fesseln befreit werden. Mit dem Anwachsen des Industrieproletariats und der sozialen Folgen des Kapitalismus im 19. Jahrhundert kam eine sozialistische Fortschrittskonzeption hinzu, die eine Ordnung in Aussicht stellte, in der es keine Herrschaft des Menschen über den Menschen mehr gäbe
Gemeinsam blieb diesen unterschiedlichen Fortschrittskonzeptionen bis in die Gegenwart als wesentliches Kriterium die starke Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen sowie die Expansion und das Wachstum der industriellen Produktion und der Produktivität. Fortschritt im technischen Wissen wurde gemessen am wirtschaftlichen Wachstum. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich die Erkenntnis und das Verständnis der Folgen menschlicher Eingriffe in die natürliche Umwelt derart erweitert, daß wissenschaftliche Begründungen für die komplexen Wechselwirkungen geliefert wurden. So definierte 1866 Ernst Haeckel den Begriff der „Ökologie“: „Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle Existenzbedingungen rechnen können.“ Weil sie die äußeren Lebensbedingungen von Lebewesen in ihrer Umwelt untersucht, wurde die Ökologie als Teildisziplin der Biologie betrachtet. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler, welche Folgen die menschlichen Eingriffe in das sich selbst steuernde System der Natur haben, blieben weitgehend unbeachtet. Die Folgen waren bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt und wurden publiziert: „Die Bäume werden fast kahl, die Äste und bei jungen Bäumen auch der Stamm dunkel bis kohlschwarz, die Äste trocken, die Kronen licht, und noch ehe wir die Hütte erreichen, endet der Wald mit weit auseinanderstehenden, ganz dünn benadelten Baumkrüppeln.“
Solche Berichte über „Rauchschäden“, die von chemischen Fabriken, Hütten-und Walzwerken verursacht wurden, fanden sich ab den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts zunehmend in Reiseberichten und in Publikationen von Naturforschern. Dr. Julius von Schröder, Chemiker an der forstlichen Versuchsanstalt in Tharandt, und Carl Reuß, städtischer Oberförster in Goslar, wiesen bereits 1883 in ihrem Buch über „Die Beschädigung der Vegetation durch Rauch und die Oberharzer Hüttenrauchschäden“ darauf hin, daß dieser Tatbestand seit langer Zeit wohlbekannt sei. Obwohl die Rauchfrage Gegenstand öffentlicher Konflikte wie wissenschaftlichen Interesses sei, seien die Forschungsergebnisse in Zeitschriften, Kommissionsberichten und Enqueten zerstreut, „ja nicht selten leider auch in den Akten der Gerichte begraben und gänzlich unzugänglich“ Erst wenn die Schädigungen für den Menschen unerträglich oder sogar gefährlich waren, wie etwa bei den frühen Sodafa- briken mit ihren Schwefelsäureschwaden, wurde mit staatlicher Gewalt Abhilfe verfügt.
In der Gründerzeit überdeckte die Fortschrittsgläubigkeit warnende Stimmen, die auf Umweltschädigungen aufmerksam machen wollten. Boden-erosion, Beseitigung organischer Abfälle in den Städten, Verschmutzung des Oberflächenwassers und Schadstoffabgaben durch Emissionen wurden als unvermeidlicher Preis technischen Fortschritts angesehen. Die Schädigungen traten zudem räumlich begrenzt auf. Der Fabrikarbeiter nahm die verpestete Umwelt auf sich, da ihm die Industrialisierung einen Arbeitsplatz bei ausreichendem Lohn und sozialer Absicherung schuf. Sofern der Verursacher von Umweltschäden feststellbar war, konnte der unmittelbar Betroffene klagen. Außerdem bemühte man sich, auf dem Verordnungswege Umweltschäden zu begrenzen Immer höhere Schornsteine verdünnten die Schadstoffe und verteilten sie über weite Landstriche; den Fäkalien und Haushaltsabfällen begegnete man in den Städten mit der Schwemmkanalisation; die Abwässer wur-den gereinigt Um die Jahrhundertwende bildeten sich in Schichten des Bürgertums Bewegungen gegen die Technik-und Fortschrittsgläubigkeit. „Volk“, „Heimat“, „Natur“ wurden zu einem Zeitpunkt „wiederentdeckt“ und romantisch verklärt, als sich Deutschland zum Industriestaat mit wachsender Verstädterung und steigender räumlicher Mobilität wandelte Die „Stadtflucht“ führte zu Bewegungen wie Körperkulturvereinen, „Wandervogel“, Förderung der Heimatkunst oder Garten-Stadtbewegung Die negativen Folgen der Modernisierung und Industrialisierung, die in den Umweltschäden, im Wohnungselend oder in der fehlenden Sozialhygiene zutage getreten waren, führten aber auch dazu, daß Bemühungen um den Naturschutz größere Beachtung fanden. So wurde 1904 der „Deutsche Bund Heimatschutz“ gegründet; wenig später wurde die „Staatliche Stelle für Naturdenkmalspflege in Preußen“ eingerichtet; 1921 entstand der erste Naturschutzpark in der Lüneburger Heide und 1935 wurde ein Reichsnaturschutzgesetz erlassen.
II. Der „blaue Himmel über dem Ruhrgebiet“
Abbildung 2
Tabelle 2: Wichtigste politische Probleme Oktober 1985—April 1987
Quelle: Emnid, Zit. nach: Presse-und Informationsdienst der Bundesregierung.
Tabelle 2: Wichtigste politische Probleme Oktober 1985—April 1987
Quelle: Emnid, Zit. nach: Presse-und Informationsdienst der Bundesregierung.
In den zwanziger Jahren wurde die Luftverschmutzung in den Großstädten und im Ruhrgebiet auch von der Presse aufgegriffen. Umweltschädigungen wurden Gegenstand öffentlicher Interessen. 1924 sah sich der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR), in dessen Zuständigkeitsbereich auch die Anlage und Unterhaltung von Grünflächen fiel, daher veranlaßt, 1924 eine Untersuchung über Möglichkeiten der Verbesserung der Luft erstellen zu lassen. In der 1927 erschienenen Schrift heißt es: „Diese Denkschrift soll in letzter Stunde zeigen, wie weit das Sterben der Wälder im Ruhrgebiet bereits fortgeschritten ist und wie dringend notwendig sofortige Abhilfe im öffentlichen Interesse liegt.“ Bemerkenswerterweise wurden — im Unterschied zum historischen Verständnis der „Rauchplage“ — in der Studie auch die schädlichen sauren Gase angesprochen. Das Vorhaben, in Zusammenarbeit von Vertretern der Industrie, der Bergbau-und Gewerbeaufsicht, der Reichsbahn und des Dampfkesselüberwachungsvereins Verbesserungs-
Vorschläge auszuarbeiten, scheiterte, da die Verursacher der Rauchschäden allenfalls Abhilfe bei den „sichtbaren, aber ungefährlichen Stäuben und Aschen“ in Aussicht stellten, während sie ansonsten der Meinung waren, daß aufgrund der bereits bestehenden „scharfen Konzessionsbestimmungen“ die Abgabe der sauren Gase „entschieden unter jeder Schädlichkeitsgrenze“ lägen.
In der Bundesrepublik Deutschland knüpfte die Umweltpolitik zunächst an die alten Verhaltensmuster an, das heißt, es wurde dann reagiert, wenn Unzulänglichkeiten unerträglich wurden. Die Diskussion über Maßnahmen zur Luftreinhaltung wurde vom Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk Mitte der fünfziger Jahre wieder aufgegriffen, deren Direktor Sturm-Kegel Maßnahmen für das ganze Ruhrgebiet forderte: Seit der ersten Untersuchung des SVR habe die Luftverschmutzung ständig zugenommen, seien die Emissionsquellen vermehrt und wegen wachsender Koks-und Stahlerzeugung und der Umstellung auf Staubkohle in Großfeuerungsanlagen die Schadstoffanteile in der Luft erhöht worden. Diese Feststellung rief heftige Proteste und Widersprüche seitens des BDI hervor.
Wichtiger als solche Kontroversen über den meßbaren Grad der Verschmutzung, die Bestimmung des Schwefeldioxyd-Gehalts oder der Staubniederschläge war, daß sich nun auch die politischen Parteien dem Umweltsektor stärker zuwandten.
Die Initiative des CDU-Landtagsabgeordneten Otto Schmidt, der auch Erkenntnisse eines Besuchs beim Forschungsinstitut zur Luftreinhaltung in Pittsburgh in einen Entwurf zur Verbesserung der Meßmethoden und zur Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen einbrachte, wurde von allen Parteien des nordrhein-westfälischen Landtags positiv aufgenommen. Ein ähnliches Programm unterbreitete die SPD im Juli 1957 dem Bundestag. Dieser verabschiedete 1959 ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft, das die bestehende „Technische Anleitung“ von 1895 und die Gewerbeordnung von 1869 aufhob
Die Diskussion um die „Reinhaltung der Luft“ — ein recht widersinniger Begriff angesichts des damals bekannten hohen Verschmutzungsgrades der Luft in Industrie-und Ballungsräumen — wurde von den politischen Parteien in den sechziger Jahren punktuell weitergeführt. Der „Deutschland Union Dienst“ der CDU gab am 21. Juni 1960 eine Presseinformation heraus, die treffend das damalige umweltpolitische Verständnis formuliert: „Neben dem Schwerpunktprogramm — Wohnungs-, Straßen-, Krankenhaus-und Schulbau — erwachsen der nordrhein-westfälischen Landesregierung weitere Sorgen, bedingt durch die fortschreitende Technisierung und Industrialisierung des Landes: die Verunreinigung der Luft . . . Vor allem die Eisenhütten-und die Zementindustrie sowie alle Fabriken, in denen Kohle verbrannt wird, verunreinigen die Luft in oft unerträglicher Weise. Noch schlimmer sind die Abgase der chemischen Industrie, die vielfach schädliche Gasbestandteile enthalten ... Ferner spielen der Hausbrand, die Ölheizung und vor allem die Auspuffgase der Kraftfahrzeuge in Verkehrsballungsräumen eine wesentliche Rolle. Mittlerweile ist auf Veranlassung der Landesregierung ein , Staubatlas 4 erarbeitet worden; im rheinisch-westfälischen Industriegebiet wurden 200 Meßstellen als ständiges , Staubpegelnetz 4 eingerichtet... So sehr die Entwicklung der Technik fortgeschritten ist — und daher mehr Abgase produziert —, so hat sie doch nicht schrittgehalten in der Entwicklung von Einrichtungen, mit denen die Abgase aufgefangen werden können. Freilich gibt es entsprechende Geräte. Sie sind heute noch zu teuer, weniger in der Anschaffung als bei den Betriebskosten. Daher besteht die Gefahr, daß die Industrie die Kosten der Sauberhaltung der Luft im Preis lebensnotwendiger technischer Produktionsgüter auffängt.“
CDU und SPD traten in Nordrhein-Westfalen mit den Slogans „Die Dunstglocke über dem Rhein-Ruhrgebiet muß beseitigt werden“ (Meyers 1958) und „Blauer Himmel über dem Ruhrgebiet“ (Meyers/W. Brandt) an die Öffentlichkeit. Aber nur die Ankündigung der nordrhein-westfälischen Landesregierung im Juni 1961, neue Gesetze gegen die Luftverschmutzung zu erlassen, wurde von den Massenmedien bundesweit aufgegriffen und kontrovers diskutiert -
Trotz der hohen Schadstoffkonzentration in der Luft war das Problembewußtsein in der Öffentlichkeit kaum ausgeprägt. Die Bürger im Rhein-Main-Gebiet, im Saarland, dem Ruhrgebiet und in den Industrieregionen Baden-Württembergs maßen ökologischen Problemen keine vorrangige Bedeutung zu, obwohl sie je nach Wetterlage stark unter den Schadstoffen litten. In der Wiederaufbauphase dominierten wirtschaftliche Erwägungen, vor allem die Sicherung des Arbeitsplatzes und die Steigerung des materiellen Wohlstandes. „Wohlstand“ war in den späten fünfziger und in den sechziger Jahren gleichbedeutend mit gut bezahlter Arbeitsstelle, einer sozialen Absicherung (Kranken-und Rentenversicherung), einer Wohnung mit eigenem Bad und mit Zentralheizung, neuer Kleidung, einem Fernsehgerät oder einem Plattenspieler, dem „Sonntagsbraten 44, Motorrad oder Auto und schließlich dem Urlaub möglichst im sonnigen Süden.
In dieser Phase des „Wirtschaftswunders“ wurde die Bundesrepublik zum Inbegriff des modernen Industriestaates; Kritik an der Zivilisation, an Industrie und Technik verstummte. Diejenigen, die Kritik am Konsum äußerten, sich gegen die Massen- kultur wandten oder für alternative Lebensweisen eintraten, wurden als Sektierer eher belächelt. Die friedliche Nutzung der Atomenergie zeichnete in dieser Zeit den Weg vor, um einerseits die begrenzten fossilen Energievorräte zu schonen und andererseits die Belastungen der Luft mit Schadstoffen zu mindern.
Angesichts der wachstumsorientierten und fortschrittsgläubigen Einstellungen aller Bevölkerungsschichten wurden Umweltfragen nur am Rande von den politischen Parteien beachtet. „Umwelt“ als Gesamtheit der äußeren Lebensbedingungen war noch nicht ins Bewußtsein der politisch Handelnden und der Bürger gedrungen. Man beschränkte sich darauf, Symptome mehr oder weniger isoliert zu betrachten. Einzelne, unkoordinierte Maßnahmen wurden ergriffen, um die Schadstoffe in der Luft zu begrenzen oder um die Qualität des Trinkwassers zu überwachen und die Belastung der natürlichen Gewässer zu mindern. Die Folgen der Verunreinigung für die Nahrungsmittel waren noch kaum ins Bewußtsein gedrungen. Erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre mehrten sich die Indizien, daß politische Parteien und Verbände, aber auch die Bürger den Umweltfragen größere Bedeutung zuzumessen begannen. Das Schlagwort „Blauer Himmel über der Ruhr“ blieb bis in die siebziger Jahre der Inbegriff für die Auseinandersetzung der Massenmedien mit Umweltproblemen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hatte mit seinem Landesimmissionsgesetz von 1962 nicht nur im Vergleich zu anderen Bundesländern, sondern auch zu Europa scharfe gesetzliche Maßnahmen fixiert, die dann Vorbildcharakter für die folgenden Landesgesetze hatten. Erstmals wurden alle Immissionen — schädliche Einwirkungen von Schadstoffen in der Luft — erfaßt, also neben Rauch und Gasen auch Lärm, Geräusche und Erschütterungen. Obwohl ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine umfassende Umweltpolitik, ging das Gesetz immer nur von der Gesundheit des Menschen selbst aus. Die nordrhein-westfälische CDU sah im Immissionsschutz eine „zentrale Aufgabe der modernen Sozialpolitik“. Die Nebenfolgen des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern sie die Gesundheit gefährdeten, sollten beseitigt werden. Hierbei müßte aber immer mit bedacht werden, daß die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhalten bliebe. In dieser Begründung der Gesetzesvorlage klingt der nach wie vor bestehende Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Umweltmaßnahmen an. Die Frage der Erhaltung des natürlichen Lebensraumes des Menschen als eines sich regulierenden Systems war noch nicht ins Bewußtsein getreten.
Ende 1964 sendete der WDR in seinem 2. Rundfunkprogramm einen Beitrag mit dem Titel: „Die Luft, in der wir leben. Vom Kampf gegen Dunst-glocke und Abgase“ Der Autor, Klaus Plümecke, bemühte sich, die Hörer über Staubpartikel, Schwefeldioxyde und Kohlenoxyde, den Unterschied zwischen Emissionen und Immissionen und die Entwicklung der Gesetze gegen Luft-verschmutzung zu informieren. Insbesondere wurde der mehrstufige Anti-Smog-Plan der Landesregierung aus medizinischer Sicht begründet: hohe Zahl der Todesfälle durch Lungenkrebs, Schäden bei der Blut-und Knochenbildung, Bronchitis und Rachitis als Folgen der geminderten ultravioletten Sonnenstrahlen durch Stäube. Der hohe Anteil des Automobils an der Luftverschmutzung war bereits bekannt und außerdem wurde die Entwicklung von Katalysatoren in den USA als eine wegweisende Lösung erörtert. Dieser sehr informative Beitrag veranschaulichte zugleich ein schwieriges Problem, das bei der Bildung eines Umweltbewußtseins in breiten Bevölkerungsschichten zu berücksichtigen war; denn die hochkomplexen Sachverhalte und die Kontroversen unter den Experten erschwerten den Zugang zur Frage des Umweltschutzes. Obwohl 1965 und dann noch verstärkt ab 1969 in den Massenmedien Umweltthemen angesprochen wurden, wußten noch 1970 nur 41 % der Befragten etwas mit der Vokabel „Umweltschutz“ anzufangen Diese Untersuchung von INFAS ist insofern mit Vorbehalt zu betrachten, als die Nichtkenntnis der Vokabel „Umweltschutz“ nur Rückschlüsse darauf zuläßt, daß der Mehrzahl der Bürger der Zusammenhang des Schutzes von Luft, Wasser, Natur und Landschaft nicht bewußt war. Das Defizit ist durch mehrere Faktoren zu erklären. Es fehlten in den sechziger Jahren noch weitgehend informative Sendungen (wie etwa diejenige des WDR) in Rundfunk und Fernsehen zu Sendezeiten mit hohen Einschaltquoten, leicht verständliche Beiträge in Zeitungen, die einzelne Phänomene in Problemfelder einordneten, und Artikel in Illustrierten.
1965 wurde der Aspekt der Luftverunreinigung durch Autoabgase in breiterem Umfang in der Presse erörtert. Den Impuls lieferte die von der Bundesministerin für Gesundheitswesen, Elisabeth Schwarzhaupt, angeregte Diskussion über den Einbau von Auspuff-Filtern in Kraftfahrzeugen nach dem amerikanischen Vorbild
Mit Überschriften wie „Der , blaue Himmel'im Revier braucht seine Zeit. Zwang zur Entstaubung kostet viele Millionen“ (Die Welt vom 1. Septem-ber 1966) und „Was kostet der blaue Himmel?“ (FAZ vom 9. April 1965) wird in den Medien nun auch im Zusammenhang mit Umweltkongressen oder Fachausstellungen und in Presseinformationen der Bundesregierung bzw.der Landesregierungen einerseits auf die Kosten der Luftreinhaltung und des Gewässerschutzes und andererseits auf die Bemühungen von Industrie, Forschung und Behörden zur Verbesserung der Umwelt durch eingeleitete Maßnahmen hingewiesen. Ab etwa 1965 werden auch die Diskussionen der Wissenschaftler und der Interessenverbände über die Wirksamkeit von Umweltschutzmaßnahmen in die Medien hineingetragen. Während das Deutsche Industrieinstitut in Materialien zum Thema „Industrie und reine Luft“ die neu erbauten Kamine von 140— 160 m Höhe als wirkungsvolle Maßnahme darstellte, da dadurch der noch unvermeidliche Gehalt der Abgase an Schwefeldioxyd in der Luft so verdünnt würde, daß er in Bodennähe allenfalls noch bei Inversionswetter nachweisbar wäre, berichtete die FAZ in einem Artikel unter Berufung auf Ergebnisse der Essener Landesanstalt für Immissions-und Bodennutzungsschutz über die Nutzlosigkeit höherer Schornsteine
Die Situation änderte sich grundlegend 1970/71. Ein äußeres Indiz für das nun sprunghaft wachsende Interesse an Umweltfragen war das rapide Ansteigen von Zeitungsmeldungen, Artikelserien auch in Illustrierten und in der Boulevardpresse sowie die zunehmende Zahl von Meinungsumfragen zu diesem Thema.
III. Prägung und Wandel der Einstellungen zur Umwelt
Der Europarat erklärte das Jahr 1970 zum Naturschutzjahr. Die Vereinten Nationen riefen 1972 das „World Year of Environment“ aus und hielten eine Weltkonferenz für Umweltschutz in Stockholm ab. Die Bundesregierung legte 1970 ein Sofortprogramm zum Umweltschutz vor. Die Gründe für dieses weltweit verstärkte Interesse an Umweltfragen waren vielschichtig. Ein wichtiger Faktor dürfte die internationale Zusammenarbeit in der Erforschung von Ursachen und Wirkungen der Umweltverschmutzung gewesen sein. Für die Konsum-und Industriegesellschaft in der Bundesrepublik war die Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre das Signal, welches die Infragestellung des bis dahin ungebrochenen Fortschrittsdenkens anzeigte.
Die Studentenbewegung war ein internationales Phänomen, das zuerst in den USA auftauchte. Die neuen Aktionsformen des Protestes wurden übernommen; man setzte sich auch in der Bundesrepublik mit den Themen Bürgerrechte, Vietnamkrieg und sexuelle Revolution auseinander, aber man ignorierte noch weitgehend das Umweltthema. Die deutsche Studentenbewegung war jedoch sichtbarer Ausdruck eines Wertewandels, indem sie sich mit ihren kulturrevolutionären Intentionen gegen tradierte bürgerliche Tugenden wie Disziplin, Pflicht oder Gehorsam wandte. Sie wirkte nach ihrem Selbstverständnis „emanzipatorisch“, zumal sie ihr Programm der Selbstverwirklichung des autonomen Individuums in breite Bevölkerungsschichten trug. Emanzipation, Selbstverwirklichung und Autonomie waren die neuen, von der Studentenbewegung aufgegriffenen Werte innerhalb des Wandlungsprozesses, der Mitte der sechziger Jahre einsetzte
Die Protesthaltung entfaltete sich zu einem Zeitpunkt, als die „Kosten“ des Wirtschaftswachstums in zunehmenden Umweltproblemen zutage traten. So wurde im Juni 1969 die Öffentlichkeit durch ausführliche Presseberichte über eine Rheinverschmutzung mit Insektenmitteln alarmiert. Das Thema blieb in der Diskussion nach einer weiteren Verschmutzung im Februar 1970
Aber auch Berichte aus den USA, wo die öffentliche Auseinandersetzung mit Umweltproblemen weiter fortgeschritten war, trugen dazu bei, das Interesse an der Umweltthematik zu wecken'. Der Umdenkungsprozeß in breiten Schichten der amerikanischen Bevölkerung setzte Ende der sechziger Jahre mit den Alarmrufen renommierter Wissenschaftler ein Senator Gaylord Nelson entfachte eine Kampagne für den Umweltschutz, die am 22. April 1970 mit dem „earth day“, dem Tag der Erde, einen Höhepunkt erreichte. Viele prominente Politiker bekannten sich zum Umweltschutz. Über das neue Umweltgefühl in den USA, dem vor allem Jugendliche überschwenglichen Ausdruck verliehen, berichteten die Medien in Deutschland positiv.
Ein weiterer Grund für das erwachende Interesse an Umweltfragen lag in der Einsicht, daß solche Probleme nicht an nationalen Grenzen haltmachten. Hierzu trugen die nun von den Medien sensibler zur Kenntnis genommenen Meldungen über Umweltprobleme im In-und Ausland wesentlich bei. Als im Februar 1969 in Straßburg das „Jahr des Naturschutzes“ eröffnet wurde, ging Prinz Philip auf den Einstellungswandel zum Thema Umwelt ein: „Noch vor einigen Jahren galt jemand, der sich um die Erhaltung der Natur und der natürlichen Umwelt besorgt zeigte, als eine Art harmloser Irrer, den man bestenfalls nicht ernst nahm und schlimmstenfalls als Schwarzseher schalt. Doch die Zeiten ändern sich, wie man uns unermüdlich erklärt, und heute erscheint es fast als ehrenwert, sich um den Schutz der Tierwelt Gedanken zu machen, wegen der Zerstörung der Landschaft besorgt zu sein, Angst zu empfinden wegen der wahllosen Verwendung von Chemikalien in der Landschaft oder sich für die verfügbaren Süßwasservorräte zu interessieren . . . Meiner Meinung nach ist es einfach so, daß jeder, der mit ausreichender Intelligenz und Vorstellungskraft begabt ist, zu begreifen beginnt, welche Gefahren unsere Umwelt bedrohen.“
Einer von diesen „harmlosen Irren“ war Bernhard Grzimek, der im Oktober 1970 in der ARD seine 100. Sendung „Ein Platz für Tiere“ feiern konnte. Professor Grzimek hatte seit Anfang 1970 Bestandsaufnahmen und Prognosen zur Umweltverschmutzung in den Mittelpunkt seiner Interviews und Gespräche gestellt. Die hohe Sehbeteiligung von 78— 80% und die sehr hohe positive Benotung der Fernsehsendungen lassen den Schluß zu, daß die regelmäßigen Hinweise auf die Bedrohung von Tier und Mensch mit dazu beigetragen haben, daß in breiten Bevölkerungsschichten das Interesse an Umweltfragen geweckt wurde. Ab 1970 wurde das Thema zunehmend von den Massenmedien aufgegriffen und publizistisch genutzt. Besondere Bedeutung dürfte hierbei den Illustrierten, der Boulevardpresse und den Artikelserien in Tageszeitungen zukommen. Hierzu einige Beispiele aus dem Zeitraum vom September 1970 bis März 1971: 6. 9. 1970 Stern: „Giftkrieg in Deutschland“
11. 9. 1970 Süddeutsche Zeitung: „Schon tickt die Zeitbombe. Umweltverschmutzung hält nicht an nationalen Grenzen /Neue Gesellschaftspolitik nötig.“ Im dem Artikel heißt es u. a.: „Der Rhein, die Kloake Europas, wird nicht schon davon sauberer, daß Bundesinnenminister Genscher ihn als zentrale Entwicklungsachse Europas entdeckt. Aber Genscher hat wohl recht: Wir sind umweltbewußter geworden. Strontium in der Milch und Öl in der Ostsee, Dunstglocken über den Städten und Schleichverkehr auf überfüllten Straßen haben ihre Schockwirkung nicht verfehlt und die Diskussion über eine neue Gesellschaftspolitik befruchtet.“
20. 9. 1970 Stuttgarter Zeitung berichtet über „Stuttgarts Kampf gegen Umweltverseuchung“. Die Neue Revue druckt ein Gespräch mit Bundesernährungsminister Josef Ertl zur Bedrohung von Mensch und Natur ab.
24. 9. 1970 Pressemitteilungen über den „Großen Hessenplan. Aktionsprogramm Umwelt“, hrsg. vom Hessischen Minister für Landwirtschaft und Forsten.
2. 10. 1970 Die Zeit: „Gesetze gegen den Dreck. Die Bonner Kampagne zum Umweltschutz“. Rolf Zundel umreißt die Grundlinien der Bonner Umweltpolitik und informiert über künftige Strategien und die Suche nach neuen Technologien im Kampf gegen die Umweltverschmutzung. 3. 10. 1970 Die Welt berichtet über die biologische Klärung der Emscher und in einem Sonderbericht über Umweltprobleme in den Niederlanden, Großbritannien und der Bundesrepublik.
5. 10. 1970 Der Spiegel: „Umwelt — Morgen kam gestern“. Ein umfangreicher Bericht, dessen Bedeutung durch ein entsprechendes Titelbild untermauert wurde, setzt sich mit Umweltkatastrophen in der ganzen Welt auseinander, mit der Umweltbelastung in den Ballungszentren, den Gesundheitsrisiken und der Zunahme von Erkrankungen infolge der Luftverschmutzung sowie den Kosten der Müllbeseitigung und der Ölpest. Kritisch werden die Folgen ungehemmten technischen Fortschritts und maßlosen Konsums in den Industrienationen dargelegt. 19. 11. 1970 Stuttgarter Zeitung: Unter der Überschrift „In 30 Jahren keine Atemluft mehr?“ nimmt die Zeitung zum WWF-Kongreß in London Stellung.
28. 11. 1970 Die Welt: „Aber die Natur wächst nicht nach . . . Der Mensch muß endlich die Verantwortung für seine irdische Heimat übernehmen.“ Der Beitrag des französischen Philosophen Bertrand de Jouvenel setzt sich mit der Besinnung auf die Natur, mit dem erwachenden ökologischen Bewußtsein auseinander.
5. 12. 1970 FAZ: „Die freie Fahrt ist vorbei — wir müssen zahlen. Ein Film über Umweltprobleme/Staat und Wirtschaft diskutieren miteinander“.
8. 12. 1970 Bunte Illustrierte, Nr. 50: „Wir rotten uns selber aus. Unsere Umwelt ist vergiftet. Die Menschheit ist in höchster Gefahr. Es ist später, als wir denken“. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Warnung der „Lebensschutz-Verbände“ vor den Folgen der Atommüllversenkung und der Autoabgase.
8. 1. 1971 Die Frankfurter Rundschau überschreibt einen Artikel, der sich mit dem Umweltschutz als globalem Problem beschäftigt, mit „Bleifreies Benzin gesucht“.
18. 1. 1971 Frankfurter Rundschau: „Umweltschädigung gleicht Verstoß gegen den Frieden“.
31. 1. 1971 Neue Revue fordert „Härtere Strafen für Luftverschmutzer“.
5. 2. 1971 Publik beschäftigt sich in einem Artikel mit dem Skandal um die Abgasentgiftungsanlagen für Autos: „Kannibalen, freßt keine Bundesbürger — es könnte euer Tod sein!“
7. 2. 1971 Bild am Sonntag, die im Dezember die Luftverschmutzung als Thema aufgegriffen hatte mit einem Artikel über den Bleigehalt und mit Testergebnissen aus Großstädten, gratuliert sich selbst zu ihrer Werbeaktion in Zusammenarbeit mit der Autoindustrie (Einstellung von Vergasern): „Gratuliere!“ sagte Genscher.
14. 2. 1971 Der Stern berichtet über Umweltverschmutzung in München: „Der Selbstmord der heimlichen Hauptstadt“.
4. 3. 1971 Die Süddeutsche Zeitung stellt das geplante Umweltschutzprogramm unter der Überschrift vor: „Ich möchte nicht mein Enkel sein“.
Dieser Auszug aus der „Vermarktung“ von Umweltproblemen durch die Massenmedien zeigt bereits in der Aufmachung der Artikel, daß die Beschäftigung mit dem Thema in eine neue Phase getreten ist: Die Überschriften — auch der überregionalen Tagespresse — werden schärfer akzentuiert, die Beiträge engagierter geschrieben, auf Mängel und Gefahren wird sensibler reagiert. Vorschläge zu Problemlösungen, die politisch Verantwortliche unterbreiten, werden von der Presse viel kritischer zur Kenntnis genommen bzw. beurteilt als etwa noch Umweltschutzmaßnahmen Anfang der sechziger Jahre. Immer häufiger wird ein Umdenken gefordert, ein Umweltbewußtsein. Geändert hat sich auch, daß nun die Illustrierten und die Boulevardpresse sich in den Meinungsbildungsprozeß zur Ümweltpolitik einschalten. Da diese Publikationen mit ihren hohen Auflagen auch breite Leserschichten erreichen, die kaum oder nur selten ihre Informationen aus Tageszeitungen beziehen, werden nun neue Bevölkerungsgruppen mit Umweltproblemen konfrontiert. Die Kombination von Wort und Bild bietet zudem zusätzliche Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu wecken. Andererseits besteht die Gefahr, daß apokalyptische Szenarien entworfen und der Leser über skandalträchtige Schlagzeilen beeinflußt wird. Ob nun die journalistische Sorgfaltspflicht beachtet wurde oder nicht, festzuhalten bleibt, daß zwischen September 1970 und November 1971 nach zwei repräsentativen Befragungen des INFAS-Instituts der Anteil der Befragten, die angaben, noch nichts über Umweltschutz gehört zu haben, von 59 % auf 8 % gesunken war.
Nach einem Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 8. Mai 1971 über „Volkes Stimme zu den Umweltproblemen“ ist nach den Petitionen und Briefen, die im Bundesinnenministerium gesammelt wurden, das Umweltbewußtsein gestiegen. Zum gleichen Zeitpunkt beklagte die Frankfurter Neue Presse das mangelnde „Umweltbewußtsein“ der Öffentlichkeit: „Nur wenn von der Bevölkerung der nötige Druck ausgeht, werden sich die Politiker veranlaßt sehen, durch Gesetze und Verordnungen ihren Teil zum Umweltschutz beizutragen.“
Die politischen Parteien in der Bundesrepublik wandten sich nach den Bundestagswahlen 1969 intensiver dem gesamten Umweltbereich zu, das heißt, sie begannen zum Teil unvorbereitet auf das wachsende Interesse in der Öffentlichkeit zu reagieren. So bildete die SPD eine lose Arbeitsgemeinschaft interessierter Abgeordneter und ernannte im Arbeitskreis Innenpolitik einen Obmann für Umweltfragen Die CDU berief Anfang Juni1970 eine Fachtagung über Umweltschutz ein Bundesinnenminister Genscher, der in dem nun in den Blickpunkt tretenden Umweltbereich die FDP zu profilieren suchte, konnte die Kompetenzen der Abteilung Umweltschutz in sein Ministerium verlagern, das von nun an bis zur Bildung des Bundesumweltministeriums federführend blieb.
In ihren Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik forderte die FDP 1971 in Fortschreibung der individuellen Freiheitsrechte, daß Artikel 2 des Grundgesetzes ergänzt werden sollte: „Jeder hat ein Recht auf eine menschenwürdige Umwelt. Die Natur-grundlagen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Grenze der im Allgemeininteresse zulässigen Umweltbelastung wird durch Gesetz bestimmt“ (Umweltpolitik, These 1). Im Unterschied zu den beiden großen Parteien sorgte sich die FDP weniger um die Höhe der entstehenden Kosten nach dem Verursacherprinzip; sie trat für die Zentralisierung der Kompetenzen im Umweltbereich sowie für verstärkte staatliche Eingriffe ein, sofern Umweltschutzbestimmungen von Produzenten verletzt würden.
Die CDU hatte in ihrem Berliner Programm von 1968 den Umweltbereich noch dem Kapitel „Raumordnung, Wohnungsbau, Verkehr“ zugeordnet und sich dort nur spärlich geäußert: „Die Raumordnung muß die schädlichen Auswirkungen des vielerorts gestörten Naturhaushalts soweit als möglich abbauen und für die weiteren Entwicklungen davon ausgehen, daß die biologische Leistungsfähigkeit der Landschaft die Grundlage einer den menschlichen Bedürfnissen gerechten Umweltgestaltung ist“ (Punkt 73). In das Berliner Programm von 1973 wurden dann in einem eigenen Abschnitt „Umweltschutz“ eine Vielzahl von Forderungen der Umweltpolitik aufgenommen, die auf der Höhe der damaligen Diskussion im In-und Ausland lagen. Diese blieben aber nur Ansätze zu einem umfassenden Konzept.
Die SPD konnte lange Zeit ökologische Kriterien nicht mit den ökonomischen in Einklang bringen. Solange die Partei am wirtschaftlichen Wachstum als einzigem Mittel festhielt, um die „Ausbeutung des Menschen“ zu überwinden, wurden nur dort Grenzen der „Ausbeutung der Natur“ gesehen, wo der Mensch unmittelbar gefährdet war. Die
Umweltpolitik wurde der Gesundheitspolitik und der Raum-und Städteplanung zugeordnet.
In der Öffentlichkeit und vor allem in den Medien wurden den politischen Parteien und der Bundesregierung nur geringe Kompetenzen in Umweltfragen zugewiesen. Willy Brandt hatte in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 zwar versprochen, daß „dem Schutz der Natur, von Erholungsgebieten, auch dem Schutz der Tiere“ mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, aber diese Allgemeinplätze aus dem Vokabular traditionellen Naturschutzdenkens wurden skeptisch aufgenommen; ähnliche Resonanz erfuhr dann 1970 die Ankündigung, daß ein umfangreiches Umwelt-programm erarbeitet werden sollte. Auch der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Umweltfrage vom 20. Mai 1970 der auf die steigende Umweltbelastung und auf die Notwendigkeit eines umfassenden Konzepts zur Problemlösung hinwies, wurde als eher umweltpolitischer Appell aufgenommen.
Die Medien bescheinigten den politischen Parteien zwar allgemein, daß sie sich nun verstärkt für den Umweltschutz engagierten, sie äußerten aber zugleich Zweifel daran, daß Konzepte entwickelt werden könnten, welche in eine wirksame Umweltpolitik umsetzbar wären. Vor allem in der ersten Hälfte des Jahres 1971, als die Ankündigung des Umweltprogramms in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, wiesen die Zeitungen immer wieder auf die Notwendigkeit eines umfassenden Konzeptes hin. Angesichts der Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern und angesichts der auf mehrere Ministerien verlagerten Zuständigkeiten waren die in der Presse geäußerten Bedenken verständlich.
Die Entstehungsgeschichte des ersten Umweltschutzprogramms der Bundesregierung schien die skeptische Erwartenshaltung, die in den Massenmedien geäußert wurde, zu bestätigen. Unter Federführung des Bundesinnenministers wurden mehrere Arbeitsgruppen in verschiedenen Ministerien zusammengestellt, die Bestandsaufnahmen, methodisches Vorgehen und Zielkataloge erarbeiten sollten. Neben Ministerialbeamten saßen in den Gremien Vertreter der Interessenverbände, Wissenschaftler und Experten. Trotz dieser organisatorischen Schwierigkeiten, der schwierigen Kompetenzregelungen (auch zwischen Bund und Ländern) und interessenpolitischen Zielkonflikten wurde am 17. September 1971 ein umfassendes Umweltprogramm vorgelegt. Umweltpolitik wurde darin als Gesamtheit aller Maßnahmen definiert, „die notwendig sind, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht, um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen-und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und um Schäden und Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen“
Ziele dieses Umweltprogramms waren: Es soll eine „Umweltplanung auf lange Sicht“ (Vorsorgeprinzip) durchgesetzt werden; im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft soll grundsätzlich der Verursacher die Kosten der Umweltbelastungen tragen (Verursacherprinzip); die technologische Forschung soll sich an Umweltkriterien orientieren (umweltfreundliche Technik); bei der Verwirklichung des Umweltprogramms darf die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft nicht überfordert werden; das Umweltbewußtsein des Bürgers soll gefördert werden. Diese Ziele sollen in Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden, Wissenschaft und Wirtschaft in wirksame Maßnahmen umgesetzt werden (Kooperationsprinzip).
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte am 1. Oktober 1971 das Programm unter dem Gesichtspunkt vor, daß ein „neues Bewußtsein“ geschaffen und „ökologische und ökonomische Aspekte gleichrangig“ behandelt werden sollten. Weiterhin wurden das Verursacherprinzip und die Entwicklungsfähigkeit des Programms hervorgehoben. Diese Kriterien bestimmten in der Folgezeit die Berichterstattung und Meinungsbildung in den Massenmedien. In diesem Kontext wurden dann auch die Berufung eines Rates für Umweltfragen 1972 und die Gründung des Umweltbundesamtes in Berlin (1974) gesehen.
Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Medien in dieser Phase umweltpolitischer Aufbruchsstimmung dem Thema Umwelt und Gesundheit sowie der Umweltbelastung durch geplante Industrieanlagen und Atomkraftwerke Vor allem in den überregionalen Tageszeitungen mehrten sich ab Anfang 1972 Stimmen, die vor Hysterie und vor dem „Geschäft mit der Panik“ warnten
In diese Phase eines entstehenden Umweltbewußtseins in der Bundesrepublik Deutschland fiel 1972 der Bericht amerikanischer Wissenschaftler an den „Club of Rome“, der mit Hilfe eines mathematischen, computergesteuerten Weltmodells die künftige Entwicklung der Menschheit prognostizierte. Für den Prozeß der Bewußtseinsbildung im Umweltbereich waren — die in der Forschung umstrittenen — Entwicklungstrends relativ unwesentlich, während die Schlußfolgerungen, daß die Grenzen des Wachstums in den nächsten hundert Jahren erreicht würden, sofern nicht ein ökologisches und wirtschaftliches Gleichgewicht herbeigeführt und aufrechterhalten werde den Meinungsbildungsprozeß beeinflußten. In den folgenden Jahren wurden vielfältige Hypothesen aufgestellt, in denen sich auch die ökologischen Positionen innerhalb der politischen Parteien und Strömungen niederschlugen. Das allen gemeinsame Anliegen hat sehr prägnant Gunnar Myrdal formuliert: „Wie bringt man die Öffentlichkeit und die in ihrem Namen handelnden Entscheidungsträger dazu, die Umweltgefahr nicht nur zu registrieren, sondern ihr mit der Bereitschaft zu den notwendigen Kontrollen zu begegnen?“
IV. Die Umweltverantwortung des Bürgers
Eine mögliche Form, die Öffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen auf die bedrohliche Entwicklung der Umweltschädigung aufmerksam zu machen, stellen die Bürgerinitiativen dar. Die Bürgerinitiativbewegung in den siebziger Jahren hatte ihre, wenn auch anders gearteten Vorläufer in der Studentenbewegung und in den Bemühungen während der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD, eine außerparlamentarische Opposition aufzubauen. Diese „Vorläufer“ verschwanden nach den Protesten gegen die Notstandsgesetze (1968). Sie zeigten jedoch insofern Wirkungen, als sie zur politischen Sensibilisierung beitrugen. Während Anfang der sechziger Jahre etwa 60 % der Bürger an der Politik desinteressiert waren, hielten es 1971 nach einer INFAS-Erhebung 55% der Befragten für wichtig, Einfluß auf den Staat zu nehmen, und 78 % waren bedingt bereit, aktiv an gemeinwohl-orientierten Aktionen teilzunehmen
Die Bürger setzten sich zunehmend kritischer mit gesellschaftlichen und politischen Problemen auseinander und zeigten Bereitschaft, auch selbst zu handeln. 1969/70 entstanden viele Bürgerinitiativen die sich in der Regel auf kommunaler oder allenfalls regionaler Ebene organisierten und sich auf ein Problem konzentrierten. Die Betroffenheit der Bürger entzündete sich an so unterschiedlichen Ärgernissen wie zu großen Schulklassen, fehlenden Kindergärten, an lokalen Umweltschädigungen, Straßenbauprojekten. Die Bürger wandten sich gegen den Bau von Kernkraftwerken, gegen Industrieansiedlungen, den Bau von Autobahnen (Eltviller Rheinufer oder Schwarzwald) oder den Ausbau von Flughäfen (Hamburg, München, Frankfurt). Von den Zehntausenden Bürgerinitiativen — die Schätzungen schwanken zwischen 15 000 und 50 000 — setzten sich 1975/76 etwa 40— 45% mit Umweltfragen auseinander generell verstärkte sich ab Mitte der siebziger Jahre das ökologische Engagement der Bürgerinitiativen.
Übergänge von lokalen zu regionalen bzw. überregionalen Bürgerinitiativen im Umweltbereich setzten bereits 1970 ein, also in der Entstehungsphase der Bewegungen: 1970 wurde die „Rhein-MainAktion gegen Umweltzerstörung“ gegründet; es folgten u. a. die „Rhein-Ruhr-Aktion“ und das „Oberrheinische Aktionskomitee gegen Umweltgefährdung durch Kernkraftwerke“ (1972/73), die „Bürgeraktion Umweltschutz Rhein-Neckar“ (1972), die „Bürgerinitiative Umweltschutz Unter-elbe BUU“ (1973/74) und die „Bürgeraktion Küste“ (1974). Über diese Bürgerinitiativen wurde auch in der überregionalen Presse berichtet. 1972 wurde der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU) als Dachverband von etwa 1 000 Organisationen mit damals rund 500 000 Mitgliedern gegründet.
Einflußreiche Natur-und Umweltschutzverbände waren der „Deutsche Naturschutzring“ (DNR) mit etwa 90 Verbänden, der 1975 gegründete „Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland“ (BUND) mit etwa 100 000 Mitgliedern und der „Deutsche Bund für Vogelschutz“ (DBV), gegründet 1899, mit 120 000 Mitgliedern. Daneben waren und sind internationale Organisationen mit deutschen Büros im Umweltbereich tätig, wie Greenpeace und Robin Wood.
Im Zeitraum von 1970 bis 1975, in dem sich die Bürgerinitiativen formierten, hatten sie überwiegend kein ausgeprägt ökologisches Profil; das heißt, sie waren noch Ausdruck einer allgemeinen „Politisierung“ in dem Sinne, daß Bürger sich spontan zusammenfinden, um gegen einzelne Mißstände und Fehlentwicklungen in ihrem engeren räumlichen Umfeld einzuschreiten. Hierin unterschieden sich diese Bürgerinitiativen sowohl von der Studentenbewegung und den Aktionen der APO in den sechziger Jahren als auch von den späteren Ökologiebewegungen, die jeweils Problemlösungs-und Handlungskompetenzen in politischen Fragen nationaler oder sogar internationaler Relevanz zum Ausdruck bringen wollten. Die Aktionen der Bürgerinitiativen fanden in diesem Zeitraum relativ geringe Beachtung in den überregional verbreiteten Massenmedien. Ausnahmen bildeten u. a. die Aktionen 1971 — 1973 gegen den geplanten Bau des Chemiewerkes bei Orsoy im Rheinbogen und 1973/74 die Einsprüche Hamburger Bürger gegen die Inbetriebnahme einer Aluminiumhütte; Schlagzeilen erregten auch erste Erfolge der Umweltverteidiger im Ruhrgebiet.
Mit der wachsenden Umweltschutzbewegung mußten sich auch die Verbände auseinandersetzen. Die Naturschutzvereinigungen, die sich 1950 im „Deutschen Naturschutzring“ zusammengeschlossen hatten und in der Folgezeit kaum in Erscheinung getreten waren, legten 1970 den Entwurf eines Bundesgesetzes für Naturschutz und Landschaftspflege vor. Vorangegangen war 1961 die „Grüne Charta von der Mainau“, die ein Jahr später zur Gründung des „Deutschen Rates für Landespflege“ geführt hatte. Jedoch erzielte die „Grüne Charta“ keine Breitenwirkung, obwohl dieses Programm für eine „gesunde Landschaft“ in der Industriegesellschaft bereits konkrete Forderungen enthielt, die dann in den siebziger Jahren von Naturschutzverbänden wieder aufgegriffen wurden In den siebziger Jahren traten Naturschützer vor allem mit der „Verbandsklage“ gegen Mißstände im Umweltbereich und der weitergehenden Forderung nach Umweltklagerecht für jeden Bürger hervor
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erkannte zwar frühzeitig Umweltschutzmaßnahmen auch über gesetzliche Regelungen an, wies aber gleichzeitig auf die Kostenseite hin und äußerte starke Bedenken gegen Umweltgesetze, die dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen sollten. Der BDI forderte statt dessen, „das umweltschützerisch Notwendige, nicht das technisch Mögliche“ anzustreben um — so seine immer wiederkehrende Argumentation — Arbeitsplätze nicht zu gefährden; die Rezession von 1966 schien diese Behauptung zu stützen. In der Folgezeit bejahte der Verband Maßnahmen, die zum unmittelbaren Schutz der Gesundheit zu treffen wären, konnte sich aber nicht zu einem ökologischen Konzept der größtmöglichen Begrenzung von Umweltrisiken durch den Einsatz des technisch Möglichen durchringen.
Die Arbeitnehmerorganisationen sahen sich einem ähnlichen Dilemma gegenübergestellt; denn die Durchsetzung des Verursacherprinzips und des Grundsatzes der Umweltverträglichkeit von Produkten mußten die Betriebsrisiken steigern und mit ihren Kosten die in der Vergangenheit weitgehend gelöste Verteilungsproblematik wieder aufleben lassen. 1974 verabschiedete der DGB sein Umweltschutzprogramm, in dem er sich zu den Zielen der Umweltpolitik bekannte. These 17, in der die „Sicherung der Arbeitsplätze bei umweltpolitisch begründeten oder motivierten Voll-und Teilstillegungen“ gefordert wird zeigt, wie sehr sich der Gewerkschaftsbund zur Rücksichtnahme auf die Interessen seiner Mitglieder gezwungen sah. Den Bürgerinitiativen standen die Gewerkschaften zunächst sehr zurückhaltend gegenüber; sie warfen ihnen „partikulare Interessen“ und „klein-bürgerliche Interessenwahrung“ ebenso vor wie fehlende demokratische Legitimation
In der Phase bis 1974, also vor der Rezession, fanden die Bedenken, die von Arbeitgeber-und Arbeitnehmerorganisationen gegen ihrer Meinung nach zuweit gefaßte Umweltgesetze und -Vorschriften vorgetragen wurden, wenig Zustimmung in den Massenmedien. Vielmehr wurde dort solchen Aktivitäten Beachtung geschenkt, die sich gegen die These wandten, daß ökonomischen Erwägungen einseitig der Vorrang gegenüber tiefgreifenden ökologischen Maßnahmen eingeräumt werden müsse. Eine positive Aufnahme in den Medien erfuhr die „Gruppe Ökologie“, die im Frühjahr 1972 von namhaften deutschen, österreichischen und schweizer Naturwissenschaftlern und Publizisten gegründet wurde. Die Gruppe trat für ein biologisches Gleichgewicht ein; sie wollte die bedenkenlose Ausnutzung der Umwelt aus kurzfristigen wirtschaftlichen Erwägungen stoppen. Die „Gruppe Ökologie“, zu der u. a. die Wissenschaftler Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek, Wolfgang Haber, Irenäus Eibl-Eibesfeld und der Publizist Horst Stern zählten, trat dafür ein, die herrschenden Wirtschaftstheorien auf ihre ökologische Brauchbarkeit hin zu prüfen Im Sommer 1972 erhob die Gruppe den „Umweltschutz als Wahlkampfthema“ und beabsichtigte „mit einem Programm zur scharfen Befragung von Parteien und Behörden sowie mit öffentlichen Streitgesprächen im kommenden Bundestagswahlkampf Themen des Umweltschutzes zur Geltung“ zu bringen Dieser Schritt an die Öffentlichkeit war der wohl erste Ansatz von Seiten engagierter Umweltschützer, um auf die politischen Parteien direkt einzuwirken. Die „Gruppe Ökologie“ wurde im Wahlkampf 1976 wieder aktiv mit ihrer Forderung eines „Wachstumsstopps“; Ende Mai 1976 kündete auch der BBU ein Eingreifen in den Wahlkampf an. Mit dem Auftreten grün-alternativer Listen in den Kommunalwahlen 1977, auf Landesebene 1978 und der Gründung der Bundespartei „DIE GRÜNEN“ rückten die Bürgerinitiativen in den Hintergrund.In der umweltpolitischen Diskussion in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre trat angesichts der wirtschaftlichen Probleme die Frage des Verhältnisses von Ökonomie zu Ökologie in den Vordergrund. Dieses galt besonders für den Zeitraum ab Mitte 1974 bis Mitte 1978 Die Berichterstattung zu Umweltfragen in den Medien ging erheblich zurück; neben Wirtschaftswachstum/Konjunktur und Umweltschutz, der Anti-Atomkraftwerk-Beweeung mit den spektakulären Aktionen in Kalkar (1974/1977). Wyhl (1975), Brokdorf (ab 1976) und Grohnde (1977) und dem .. Dauerthema“ Auto und Umwelt waren noch die Jahresberichte der Bundesregierung und des Umweltbundesamtes, Umwelttage sowie Umweltschutzkonferenzen Themen, über die berichtet wurde.
Im Problemkreis des Verhältnisses von Ökonomie und Ökologie stand naturgemäß — angesichts der Bedenken vor allem seitens der Industrie — der Aspekt der Arbeitsplatzgefährdung durch Umwelt-schutzmaßnahmen im Mittelpunkt. Für den Bürger schien diese Frage klar entschieden, wenn man die Ergebnisse von Meinungsumfragen heranzieht. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach, die das ZDF im August 1974 verbreitete, unterstützten 56% der Bundesbürger auch bei möglicher Gefährdung ihres Arbeitsplatzes Umweltschutzmaßnahmen, 22% sprachen sich dagegen aus und 22 % waren ohne Urteilsbildung. 80% der Befragten hielten Umweltschutz auch dann noch für eine dringende Aufgabe, wenn er auf Kosten des Wirtschaftswachstums ginge, und 50% würden Umweltschutzmaßnahmen hinnehmen, wenn sie mit Preissteigerungen verbunden wären Nach einer Umfrage von INFAS 1977 lehnten 60% ein Wirtschaftswachstum ab. das zu Umweltschäden führen würde. 45% bejahten zu diesem Zeitpunkt auch dann den Umweltschutz, wenn ihre Arbeitsplätze gefährdet wären Nach einer Studie von 1981. die das Institut für Forstpolitik und Raumordnung an der Universität Freiburg vorlegte, waren 76% der Befragten bereit, für die Finanzierung einer besseren Umwelt Einschränkungen bei ihren persönlichen Ausgaben hinzunehmen Das Umweltbewußtsein und die Bereitschaft. Verantwortung zu übernehmen, waren also bei den Bürgern so gewachsen, daß auch wirtschaftliche Rezession und mögliche Arbeitsplatzgefährdung keinen Einstellungswandel herbeiführten.
Ein anderes Bild entsteht, wenn man die Berichterstattung in den Medien vor allem im Zeitraum von Mitte 1974 bis 1976 heranzieht; hier wurde vorrangig der Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Umweltschutz behandelt, also die Frage, die nach der Meinungsforschung von den Bürgern eindeutig entschieden war. Unter der Überschrift „Umweltschutz bremst Industrie“ warnte die FAZ beide Seiten davor, das „Maß des Möglichen“ zu überschreiten, und nannte als wesentliche Ursache für Ziel-konflikte die unsichere Gesetzgebung DIE ZEIT sprach von einer „Waffenbrüderschaft zwischen Kapital und Arbeit“ gegen die Bonner Umweltgesetze zur Verschärfung der „TA Luft“ Der Spiegel berichtete im Mai 1975: „Konjunktur geht vor. Kanzler Schmidt möchte die geplanten Verbesserungen des Umweltschutzes einschränken — aus Fürsorge für die Wirtschaft.“ Am 14. Dezember 1975 sendete das ZDF in den „Bonner Perspektiven“ den Beitrag „Umweltschutz oder Wirtschaftswachstum?“, in der die Frage von den Betroffenen in Politik und Wirtschaft beantwortet werden sollte, ob Umweltschutz Stillstand des Wirtschaftswachstums, Gefährdung der Arbeitsplätze bedeute Schließlich konstatierte die FAZ im April 1976 „Schlappen für den Umweltschutz“, die der „Bonner Umweltflügel“ am Ende der Legislaturperiode hinnehmen mußte. Entwürfe aus der Umweltabteilung des Innenministeriums seien oft bis zur Unkenntlichkeit verändert worden, „wenn alle mitberatenden Instanzen ihr Teil daran geflickt haben“ DIE ZEIT stellte die in der Rezession verstärkt auftretenden Widerstände in der Wirtschaft gegen die Umweltschutzgesetzgebung und die Kompromisse von Seiten der Politik gar unter das Schlagwort „Tendenzwende in der Umwelt-Politik“.
In dem ZEIT-Artikel vom 13. Januar 1978 heißt es hierzu: „Wachstum heißt das Zauberwort, die All-Parteienhoffnung, das Gebot der Stunde. Der Zuwachs soll mehr Energie und mehr Arbeitsplätze garantieren, auch ein höheres Sozialprodukt, das sich möglichst alle acht Jahre verdoppelt. Regierung, Opposition, Sozialpartner scheinen sich einig — wer fragt noch nach den . Grenzen des Wachstums“, nach Umwelt und Ökologie?“
Umweltbewußtsein und Umweltverantwortung der Bürger waren in dieser Phase stärker ausgeprägt als die Bereitschaft der politisch Handelnden und der Sozialpartner, einen Ausgleich von Ökonomie und Ökologie anzustreben. Vielmehr drifteten nach dem Ölschock 1973 etwa ab der Mitte 1974 die Bereitschaft der Politiker zum Handlungsvollzug im Umweltbereich und das Umweltbewußtsein der Bürger auseinander. In der Folgezeit war dann seitens der Politik die ursprünglich geforderte „Umweltverträglichkeit“ einer „Güterabwägung“ zwischen den Erfordernissen des Umweltschutzes und denen der Beschäftigung und des Wachstums gewichen. Die Prioritäten wurden immer stärker auf den Sektor des Wirtschaftswachstums gelegt. Ende der siebziger Jahre standen sich dann Wirtschaft und Umweltschutz wieder gegenüber; der alte Zielkonflikt der sechziger Jahre wurde erneut ausgetragen.
Viele der ab etwa 1972/73 erlassenen Umweltgesetze litten unter einem Vollzugsdefizit wegen der Widerstände von Kommunen, privaten und industriellen Umweltverschmutzern, von Interessenverbänden oder einfach wegen Kompetenzstreitigkeiten der Vollzugsorgane untereinander. Das Vorsorgeprinzip im Umweltschutz konnte nicht durchgesetzt werden. Das Verursacherprinzip war wirkungslos. Einmal waren Verursacher häufig nicht feststellbar, zum anderen wurden in der Praxis häufiger Schäden auf die Verbraucher überwälzt. In den politischen Parteien verloren die Kritiker der Wachstumsideologie an Einfluß. Dieser skizzierten Bestandsaufnahme um 1980 entsprachen auch die Befunde einer Studie des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft in Berlin. Nach Befragungen 1982 im Vergleich zu 1980 stimmten Befragte aus den Bereichen Industrie und Politik in weitaus geringerem Maße als die Bevölkerung allgemein (und erst recht die Umweltschützer) der Frage zu, ob es Grenzen des Wachstums gäbe, über die hinaus sich unsere industrialisierte Welt nicht ausdehnen könnte. Der Frage, ob der Mensch zum Überleben mit der Natur im Einklang leben müßte, stimmten die Befragten aus Politik und Wirtschaft ebenfalls in geringerem Maße zu
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde das Thema Umweltschutz durch die Auseinandersetzungen um die friedliche Nutzung der Atomenergie auf diese konkrete Frage thematisch eingeengt; diese Beobachtung ist unabhängig von der allgemeinen Diskussion über den Stellenwert von Ökonomie und Ökologie zu sehen. Zu den Umweltschützern der Bürgerinitiativbewegung in den frühen siebziger Jahren stießen jüngere Kemkraftgegner und politische Gruppen, die die Energiefrage zum Ausgangspunkt für politische Systemveränderungen nutzen wollten. Im Herbst 1980 rief die Ökologiebewegung des BBU zusammen mit der „Deutschen Friedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner“, dem „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit“, den „GRÜNEN“, einigen Jugendgruppen, „Pax Christi“ u. a. zu gemeinsamem Handeln gegen die „Abschreckungspolitik des internationalen Drohsystems“, gegen Atomraketen, für Frieden und Schutz der Umwelt auf Dieser „Politisierung“ folgten viele Umweltbewegungen nicht; sie standen auch der beanspruchten Kompetenz seitens der „GRÜNEN“ in Sachen Ökologie skeptisch bis ablehnend gegenüber. Das Abgleiten der Umweltschutzbewegung in den Engpaß der Atomdiskussion wurde ab Mitte 1981 durch die ersten Katastrophenmeldungen zum „Baumsterben“ aufgehalten. Mit den sich häufen-den Meldungen über den „sauren Regen“ war die Diskussion aus der Frühzeit der Industrialisierung — damals unter dem Begriff „Rauchschwaden“ — wieder in Gang gekommen Nur die Dimensionen hatten sich verändert. Die Alarmmeldungen über „Baumschäden von bisher unvorstellbarem Ausmaß“ im In-und Ausland, die verstärkte Diskussion um Schadstoffminderung der Autoabgase und die Reaktorkatastrophe haben die Umweltprobleme wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt (vgl. Tabelle 2).
Die Schlußfolgerungen, die die Autoren der oben erwähnten Studie zum Umweltbewußtsein 1982 zogen, haben an Gültigkeit nichts eingebüßt: „Für die Mehrzahl der Befragten stellt die Erhaltung der Natur einen wohl abgegrenzten Wert für sich dar und wird nicht ausschließlich zweckgebunden in ihrer Dienstfunktion zur Schaffung des gesellschaftlichen Wohlstandes gesehen.“
Udo Margedant, Dr. phil.; Privatdozent an der Universität/Gesamthochschule Wuppertal; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut der Konrad-Adenauer-Stiftung. Veröffentlichungen zur politischen Ideengeschichte, politischen Bildung und Zeitgeschichte.
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