Zum Zeitpunkt der Währungsreform 1948 hatte auf deutscher Seite Ludwig Erhard, Direktor der bizonalen Verwaltung für Wirtschaft, die wichtigste Entscheidungsposition inne. Als Nationalökonom, Verfasser wissenschaftlicher Gutachten und Vorsitzender eines amtlichen deutschen Expertenstabes zur Vorbereitung der Währungsreform hatte er ein wirtschaftspolitisches Reformkonzept erarbeitet, in dem eine schwerpunktmäßige Förderung der Konsumgüterproduktion mit der Rückkehr zu freien Marktverhältnissen verbunden war. Die politische Realisierung der Reform konnte nach der von der FDP durchgesetzten Wahl Erhards zum Wirtschaftsdirektor in einem gesetzlichen Rahmen — Bewirtschaftungsnotgesetz und zugehörige Erste Durchführungsverordnung — stattfinden, der bereits eine Lockerung und Vereinheitlichung des seit 1945 weithin zusammengebrochenen Bewirtschaftungssystems nahelegte. Um mit der Währungsreform im Sinne seines Konzepts voll handlungsfähig zu sein, mußte sich Erhard diese Möglichkeiten noch erweitern und durch Vollmachten auf preispolitischem Gebiet ergänzen lassen (Leitsätzegesetz). Als die Währungsreform von der Militärregierung verkündet wurde, war die Ausweitung der gesetzlichen Befugnisse zur Einführung eines freien Marktsystems noch nicht abgeschlossen. Erhard handelte deshalb auf der Basis des bisher geltenden Rechts, das die Freigabe einer ganzen Anzahl Verbrauchs-und Gebrauchsgüter aus der Bewirtschaftung zuließ. Diesen Schritt stellte er in die Perspektive der Politik, die in dem erst noch in Kraft zu setzenden Leitsätzegesetz zum Ausdruck kam. Die dadurch ermöglichte nicht mehr zurücknehmbare Dynamik verschaffte der neuen Deutschen Mark das Anfangsvertrauen, das für das Gelingen der Währungsreform — ein Prozeß, der sich über vielfache Gefährdungen noch lange hinzog — unabdingbar war.
Ludwig Erhards Wirtschaftspolitik im Frühjahr 1948
Die freiheitliche Wirtschaftsreform, der Ludwig Erhard im Sommer 1948 — parallel zu der von den Besatzungsmächten inaugurierten westdeutschen Währungsreform — zunächst im Gebiet der amerikanisch-britischen „Bizone“ zum Durchbruch verhalf, prägt bis heute das Gesicht der Bundesrepublik Deutschland. Einerseits war dieser „Sprung ins kalte Wasser“ der Einstieg in einen radikalen Umbau der Wirtschaftsordnung mit dem Ziel, eine „Soziale Marktwirtschaft“ zu etablieren. Andererseits markiert die marktwirtschaftliche Neuorientierung einen entscheidenden Punkt, vielleicht den „point of no retum“, auf dem Weg der Deutschen diesseits der Grenze des sowjetischen Hegemonialbereichs zur Integration in eine amerikanisch dominierte Zusammenarbeit der westlichen Demokratien. Die Chance, in diesem Rahmen durch die Einbindung in das europäische Wieder-aufbauprogramm eine politische Perspektive in Richtung größerer Freiheit und Selbständigkeit zu gewinnen, war ein wesentliches Motiv vieler der damals handelnden deutschen Politiker. Der Kampf um die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft war also von Anfang an mehr als der Versuch, durch die Schaffung eines leistungsfähigen Wirtschaftssystems der aktuellen Not Herr zu werden.
Die Diskussion um eine gesamtdeutsche Währungsreform, die bis weit in das Jahr 1948 hinein anhielt, war dabei für Erhard angesichts der Machtverhältnisse in Deutschland schon bald obsolet. Am 15. März 1948 erklärte er den angelsächsischen Militärgouverneuren klipp und klar, daß „nach der Durchführung der Währungsreform innerhalb des Gebietes der einheitlichen Währung auch eine einheitliche wirtschaftspolitische Linie verfolgt“ werden müsse. Innerhalb desselben Gebietes könnten ein totalitäres und ein liberales Wirtschaftssystem nicht nebeneinander bestehen. Die Erfahrung zeige, daß in solchen Fällen das totalitäre System obsiege. Auf die überraschte Zwischenfrage des britischen Militärgouverneurs Robertson, ob Erhard wirklich das gleichzeitige Bestehen zweier Wirtschaftssysteme innerhalb eines einheitlichen Finanzsystems nicht für möglich halte, bekräftigte dieser, es müsse jedenfalls die „wirtschaftspolitische Grundhaltung innerhalb eines einheitlichen Finanzsystems“ auf einer Linie liegen Der an der Besprechung teilnehmende hessische Ministerpräsident Stock protestierte sofort mit dem wahrlich zutreffenden Hinweis, daß Erhards Ansicht keineswegs von allen Deutschen geteilt werde
I. Als Währungsexperte in die Wirtschaftspolitik
Über die wirtschaftspolitische Bedeutung einer Reform der deutschen Währung bestanden auf deutscher Seite in der Tat ganz unterschiedliche Vorstellungen. Die wissenschaftliche Währungsreform-Diskussion, die schon vor Kriegsende begonnen hatte, ließ nach 1945 eine Vielzahl von Vorschlägen entstehen Nach dem Zusammenschluß der beiden angelsächsischen Besatzungszonen zum „Vereinigten Wirtschaftsgebiet“ und der Bildung deutscher bizonaler Vertretungskörperschaften 1947 beschloß der Wirtschaftsrat, das Bizonen-Parlament, einen amtlichen Expertenstab bei der Verwaltung für Finanzen (dem bizonalen Exekutivorgan für den Finanzbereich) einzurichten, der von autorisierter deutscher Seite aus die Währungsdiskussion verbindlich bündeln und konkrete Reformvorschläge erarbeiten sollte. 1. „Sonderstelle Geld und Kredit“
Diese „Sonderstelle Geld und Kredit“ begann am 10. Oktober 1947 mit ihren Beratungen Zum Leiter wurde Ludwig Erhard, der parteilose erste bayerische Wirtschaftsminister 1945/1946 berufen. Er hatte schon während des Krieges im Auftrag der damaligen Reichsgruppe Industrie ein Gutachten über „Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung“ erstellt (das auch von Carl Goerdeler, einem der führenden Mitglieder des Widerstandes gegen Hitler, ausdrücklich gutgeheißen worden war). Er hatte dort eine Währungssanierung, eine Bereinigung der durch die Art der Kriegsfinanzierung maßlos verstärkten preisgestoppten Inflation mit ihrem enormen Geldüberhang durch Umwandlung der ungedeckten Kaufkraftansprüche in Schuldtitel des Reiches empfohlen; die Tilgung sollte nach Maßgabe der sich neu aufbauenden ökonomischen Leistungsfähigkeit in Stufen volks-und sozialwirtschaftlicher Dringlichkeit erfolgen
Unmittelbar nach Kriegsende hatte Erhard eine sofortige Währungsreform abgelehnt, weil ihm bestimmte Minimalbedingungen nicht erfüllt schienen Aber schon Mitte 1945 war er im Rahmen der „Volkswirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Bayern“ um den Münchener Nationalökonomen Adolf Weber für entschiedene und schnelle Reformmaßnahmen eingetreten. Einen im wesentlichen an Webers Vorarbeiten anknüpfenden Währungsplan hatte er als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft im Juli 1945 in Frankfurt den amerikanischen Militärbehörden übergeben
Die Amerikaner ihrerseits, d. h. die von der amerikanischen Regierung beauftragten Währungsexperten Gerhard Colm und Raymond Goldsmith, hatten ihren Währungsreform-Plan, der zur Grundlage der amerikanischen Überlegungen wurde und 1948 in vieler Hinsicht zum Zuge kam, 1946 auch mit Ludwig Erhard diskutiert Die Fragen, mit denen die Sonderstelle Geld und Kredit sich befassen sollte, waren ihrem Leiter also wohlvertraut. Für die 13. Sitzung der Sonderstelle am 6. November 1947 war eine Anhörung wirtschaftswissenschaftlicher Sachverständiger anberaumt: Die Professoren Walter Eucken, Wilhelm Gerloff, Fritz Terhalle und Adolf Weber sollten der Sonderstelle Rede und Antwort stehen Zu dem breiten Spektrum von Fragen, die erörtert wurden, gehörten auch Probleme der Wirtschaftslenkung und der Preis-und Bewirtschaftungspolitik nach einer Währungsreform. Dabei kam es zu einer offenen Kontroverse zwischen dem Sonderstellen-Mitglied Günter Keiser, Abteilungsleiter in der Verwaltung für Wirtschaft, und Walter Eucken.
a) Keiser: gelenkte Wirtschaft
Der Sozialdemokrat Keiser bekannte sich als „Vertreter der gelenkten Wirtschaft“. Er bestritt, daß man mit einer Währungsreform von der zentralen Lenkungswirtschaft abgehen könne. Eine stabile Währung ziehe, wenn sie mit einer Wirtschaftsliberalisierung verbunden werde, keineswegs automatisch eine stabile Wirtschaft nach sich. Beispielsweise seien „Umfang und Art des Geldes“ ohne Einfluß auf die beiden wichtigsten Faktoren der gegenwärtigen Wirtschaft, die Kohle und die „Arbeitsfähigkeit unserer Bevölkerung“. Eine Aufhebung der Preisbindung müsse angesichts der Kohlenknappheit zu schwersten Störungen, nämlich zu einer Verzerrung der Verteilung, damit zu einer „Verwirrung der Produktionsstruktur“ führen. Ferner sei die deutsche Wirtschaft so sehr auf die Lenkung eingespielt, daß ein plötzlicher Kurswechsel Friktionen hervorrufen müsse. Schließlich zwinge eine politische Determinante zur zentralen Lenkungswirtschaft. Es sei undenkbar, daß die Ein-fuhr, vor allem die Rohstoffversorgung vom Ausland her, freigegeben werde: „Das Ausland will uns nur an die allernötigsten Weltmärkte heranlassen“ b) Eucken: Wettbewerbsordnung Eucken hatte schon zuvor betont, es sei „der Sinn der Währungsreform, daß wir wieder richtige Preisrelationen bekommen, um dadurch die Direktive der volkswirtschaftlichen Kräfte zu haben“. Das volkswirtschaftliche Lenkungsmittel sei der Preis, in dem sich „die richtigen Knappheitsverhältnisse an jedem Punkte“ ausdrücken. Damit falle auch die Bewirtschaftung: „Wenn man eine funk-tionierende Währung hat, ist eine zentrale Bewirtschaftung praktisch unmöglich.“ Daran anknüpfend, trat Eucken im Anschluß an Keisers Ausführungen diesem vehement entgegen Es gehe keineswegs um Lenkung oder Nichtlenkung, sondern um eine „ordentliche Lenkung, die eine wirklich organische Wirtschaft ermöglicht“. Er wolle eine Wettbewerbsordnung, weil in einer Notlage wie der jetzigen einfach das getan werden müsse, was „zur Rettung erforderlich ist“.
Die Verteilung, beispielsweise der Kohle, führe deshalb zu Schwierigkeiten, weil das Zuteilungsverfahren falsch sei: „Ein so kompliziertes System kann nicht funktionieren, wenn man keine richtige Wirtschaftslenkung hat.“ Die Folgen seien fatal: „Wir haben das unsozialste System, was es gibt, denn wer arbeitet, bekommt etwas — Geld —, womit er nichts anfangen kann.“ Die Verbindung mit dem Weltmarkt sei in der Tat fundamental; aber die zentral geleitete Wirtschaft sei „völlig unfähig“, sie aufzunehmen. „Weil wir freie Einfuhr und Ausfuhr brauchen, muß die zentral verwaltete Wirtschaft wegfallen.“ Dies gehöre zur Währungsreform; wenn es als „politicum datum“ eine Verweigerungshaltung der Besatzungsmächte gebe, müßten sie belehrt werden. „Aber wir müssen unsererseits eine Wirtschaftspolitik treiben, die eben bewußt in den Weltmarkt hineingeht, und das kann nur eine Wirtschaftspolitik sein, die nicht über zentrale Stellen führt.“ — Erhard legte nach diesem Plädoyer Wert auf die „Klarstellung“, Keiser habe nicht die Meinung der Sonderstelle formuliert c) Erhard: Förderung der Konsumgüterproduktion Wie für Eucken waren auch für Erhard Währungsund Wirtschaftsreform zwei Seiten einer Medaille. Aber Erhards Konzept für das konkrete Vorgehen war nicht von gleicher Rigorosität wie dasjenige Euckens. Er konzedierte Keiser, daß man Kohle, Eisen und Stahl, NE-Metalle und Holz nach der Währungsreform zunächst unter güterwirtschaftlicher Lenkung belassen könne — unter der Voraussetzung, daß eine Schwerpunktverlagerung in der Gesamtwirtschaft zum Konsumgütersektor hin erfolge, der mit einigen Ausnahmen freizugeben sei. „Wir müssen das Experiment machen, die letzte Konsumsphäre freizulassen, . . .den Kon-sumgütersektor von der Kaufkraftsituation soweit wie überhaupt möglich zu befriedigen und auf der Investitionsseite nur das zu decken, was nach einem klaren Programm unbedingt gedeckt werden muß.“ Hier lag der Ausgangspunkt seiner Wiederaufbaustrategie. Deren Grundgedanken hatte er bereits Anfang der dreißiger Jahre im Hinblick aufdie Weltwirtschaftskrise entwickelt Es gelte, meinte er damals, „eine Produktion anzuregen, die mit neuen Einkommen zugleich das genußreife Sozialprodukt vermehrt“ Um der neuen Währung Vertrauen zu verschaffen, mußte, wie am 6. November auch Eucken betonte ein Konsumgüter-strom zur Verfügung stehen. Zu Edward A. Tenenbaum, dem Währungsreform-Experten der amerikanischen Militärregierung, der am 20. November 1947 „inoffiziell“ an den Beratungen der Sonder-stelle teilnahm, meinte Erhard: „Die Währungsreform wird dann psychologisch als gelungen betrachtet werden können, wenn wir sie güterwirtschaftlich unterbauen können“, denn „wenn man für das neue Geld nichts kaufen kann, dann ist die neue Währung nicht haltbar“
Dies war von besonderem Gewicht in der Anfangsphase der Reform. Denn die Geld-Erstausstattung, zu der sich die Sonderstelle entschlossen hatte, konnte naturgemäß noch nicht aus neuer Produktion gedeckt sein. Es würde sich hier um Kaufkraft handeln, deren güterwirtschaftliches Äquivalent nicht zuletzt durch eine Mobilisierung von Lager-reserven sicherzustellen war, die niemand in ihrem Umfang verläßlich abschätzen konnte. Erhard und die Sonderstelle entschieden sich für einen scharfen Geldschnitt, d. h. eine niedrige allgemeine Geld-Freigabequote von 5% des alten Geldes, die je nach Entwicklung später aus zunächst festgelegtem Geld erhöht werden konnte und einigten sich darauf, daß eine für alle gleiche Kopfquote in Höhe von mindestens 50 Mark aus sozialen Gründen unverzichtbar sei d) Freie Marktverhältnisse Gegen einen Übergang zu freien Marktverhältnissen hatte Tenenbaum — von Erhard danach gefragt — keine Einwendungen. Er wollte dieses Problem aber offensichtlich nicht unmittelbar mit der Währungsreform lösen Erhards Perspektive war anders. Bei der Anhörung Johannes Semlers, des Direktors der Verwaltung für Wirtschaft, am 14. Januar 1948 erklärte er; „Ich glaube tatsächlich, die beste Lösung wäre, grundsätzlich mit einer Währungsreform tendenziell zu einer Marktwirtschaft mit freier Preisbildung überzugehen.“ Einschränkend fügte er hinzu: „Wir würden es praktisch nicht so machen, im Lebensmittelsektor, bei Mieten und Kohle schon gar nicht; aber in der Gesamttendenz, glaube ich. ist es zu vertreten.“ Auf Semlers Warnung vor jeder Überstürzung, die chaotische Zustände hervorrufen werde, erwiderte er: „Unsere Aufgabe ist es . . ., ein möglichst gutes Geld zu schaffen, und dieses bedarf nicht mehr des Begleitpapiers eines Bezugsscheines, um wirklich echte Kaufkraft zu repräsentieren ... Ich hätte den Mut, das Experiment zu machen.“
Ein solches Konzept politisch durchzusetzen, war schwer. Nach der Anhörung Semlers, über dessen Amtsenthebung die Militärgouverneure in jenen Tagen nachdachten, konstatierte Erhard illusionslos, „daß, wenn wir alle diese Fragen parlamentarisch durchziehen wollen, die Dinge platzen, bevor nur überhaupt eine Möglichkeit der Einigung besteht. Alles bestärkt mich in der Überzeugung, daß zur Währungsreform Vollmachten gegeben werden müssen. Es ist nur die Frage: Wer kriegt sie?“ 2. Die Wahl Erhards zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft Eineinhalb Monate später war Erhard der Beantwortung dieser Frage schon beträchtlich näher. Die Militärgouverneure Clay und Robertson hatten Semler inzwischen wegen polemischer Äußerungen gegen die Besatzungsmächte abgesetzt Im Zuge der Reform der bizonalen Organe vom Frühjahr 1948 — die Abgeordnetenzahl des Wirtschaftsrates wurde auf 104 verdoppelt, als Exekutivorgan wurde ein „Verwaltungsrat“ geschaffen, ein kabinettähnliches Kollegium der Direktoren unter Leitung eines „Oberdirektors“ — stand nun ohnedies eine Neuwahl der Direktoren an. Während man die vier Direktoren für Landwirtschaft, Finanzen, Verkehr und Post in ihren Ämtern bestätigen wollte, mußten für das neue Amt des Oberdirektors und für das vakante des Wirtschaftsdirektors geeignete Kandidaten gefunden werden.
Aber die Wirtschaftsrats-Koalition konnte sich nicht einigen. Die CDU/CSU-DP-Fraktionsgemeinschaft entschied sich für Hermann Pünder, den Kölner Oberbürgermeister und einstigen Staatssekretär in der Reichskanzlei, als Oberdirektor-Kandidaten; die FDP-Fraktion nominierte den früheren Reichsminister Hermann Dietrich. Für das Amt des Wirtschaftsdirektors schlug sie Erhard vor, der enge Verbindungen zu den Liberalen hatte, so auch über den hessischen Generalsekretär der Partei, Victor-Emanuel Preusker. Erhard war schon einer der Hauptredner auf dem Marburger Parteitag der hessischen Liberalen im Juni 1947 gewesen und wurde von Preusker als Redner auf Veranstaltungen der LDP, wie die liberale Partei in Hessen hieß, herangezogen Preusker scheint es auch gewesen zu sein, der eine nähere persönliche Bekanntschaft zwischen Erhard und Franz Blücher, dem Fraktionsvorsitzenden der Liberalen und Vorsitzenden des Finanzausschusses im Wirtschaftsrat, vermittelte und Erhard als Nachfolger Semlers ins Spiel brachte Dabei bestand von vornherein ein einvernehmlicher Kontakt zu den CDU-Politikern Theodor Blank, dem Wirtschaftsratsabgeordneten vom Arbeitnehmerflügel der CDU, und Franz Böhm, dem ordoliberalen Wirtschaftsrechtler, ersten hessischen (CDU-) Kultusminister nach 1945 (bis April 1946) und Mitglied des im Januar 1948 erstmals tagenden Wissenschaftlichen Beirats bei der Verwaltung für Wirtschaft
Aber der Entscheidungsprozeß verlief in der Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU und DP nur stokkend In der Fraktionssitzung vom 23. Februar war Erhard einer von acht in Frage kommenden Kandidaten (Harmsen, Wimmer, Rudolf Mueller, Binder, Seidel, Walter Strauß, Erhard, Seebohm). Am 29. Februar wurde Erhard zusammen mit Rudolf Mueller und dem MAN-Direktor Schmidt genannt. Am 1. März, an dem die Wahl im Wirtschaftsrat stattfinden sollte, gab es drei Fraktionssitzungen. In der Vormittagssitzung wurden stärkste Bedenken gegen ein „überstürztes Vorgehen“ laut; man übergab die Vorschläge Seidel, W. Strauß, Seeling, Seebohm und Schniewind einer Prüfungskommission. In der Nachmittagssitzung — ihretwegen mußte die für 15. 00 Uhr angesetzte Vollversammlung des Wirtschaftsrates kurzfristig auf den nächsten Vormittag verlegt werden — wurde beschlossen, die bisher erfolglosen Abstimmungsversuche mit der FDP fortzusetzen. Die Nachtsitzung, an der auf Seiten der FDP die Abgeordneten Faßbender und Oellers teilnahmen, blieb zunächst ohne Ergebnis; die FDP-Vertreter brachen die Aussprache ab. Nach Mitternacht, als noch 14 Fraktionsmitglieder anwesend waren, rang man sich schließlich mit 12 : 2 Stimmen dazu durch, zugunsten der Zusammenarbeit mit der FDP auf Seebohm (für den sich einstimmig die Prüfungskommission ausgesprochen hatte) zu verzichten und einer Nominierung Erhards zuzustimmen. Diese Absprache wurde am folgenden Vormittag, also am 2. März, unmittelbar vor der Plenarversammlung von der Gesamtfraktion bestätigt, wobei nur die Fraktionsdisziplin fortbestehende Bedenken unterdrückte. Das Plazet der bayerischen CSU-Landespartei hatte deren Vorsitzender Josef Müller, möglicherweise auch unter Druck von FDP-Seite nach offenbar heftigen internen Diskussionen durchgesetzt
Als Gegenleistung half die FDP dabei. Pünders Wahl zum Oberdirektor drch die Zustimmung zu einer vor dem Wahlgang erfolgenden geschäftsordnungsrechtlichen Klarstellung abzusichern. Die SPD, die keinen eigenen Kandidaten benannt hatte, wollte nämlich weiße Stimmkarten abgeben, diese aber nicht als Enthaltungen, sondern als Neinstimmen gewertet wissen. Solange die FDP die Kandidatur Dietrichs nicht zurückzog (wozu sie nicht bereit war), wäre so die Wahl eines Oberdirektors verhindert worden. CDU/CSU-DP und FDP stellten jedoch mit Mehrheit fest, daß weiße Stimmkarten hier, wo es um eine Wahl, nicht um eine Abstimmung gehe, nicht mitzuzählen seien
Nun konnte die Wahl stattfinden: Pünder wurde mit 40 Stimmen (gegen acht für Dietrich), Erhard mit 48 Stimmen gewählt 3. Erhards Programm Erhard hatte sein Programm in einer Artikelserie in der „Neuen Zeitung“ öffentlich dargelegt — ohne zu ahnen, daß er selbst in Vorbereitung und zum Zei Stimmen gewählt 44). 3. Erhards Programm Erhard hatte sein Programm in einer Artikelserie in der „Neuen Zeitung“ öffentlich dargelegt 45) — ohne zu ahnen, daß er selbst in Vorbereitung und zum Zeitpunkt der Währungsreform die auf deutscher Seite wichtigste Entscheidungsposition innehaben würde. Wer Erhard zum Wirtschaftsdirektor gewählt hatte, mußte wissen, daß ein Kurs-wechsel mit einer Schwerpunktverlagerung in der Gesamtwirtschaft hin zur Konsumgüterindustrie zu erwarten war. Aber die Personaldebatte hatte für solche politischen Einsichten offenbar wenig Raum gelassen. Der DP-Abgeordnete Mühlenfeld schrieb am 19. März an den Vorsitzenden der CDU/CSU-DP-Fraktion, Holzapfel, erst jetzt habe er „betr. Person und Politik“ Erhards erfahren, daß dieser sich in Bayern 1945/46 als „nicht zum Minister geeignet“ erwiesen habe und im Gegensatz zum Kurs Semlers und der Fraktion die Produktionsgüterindustrie zugunsten der Verbrauchsgütererzeugung vernachlässigen wolle. Das gebe „zu einiger Besorgnis Veranlassung“ und bedürfe schnellstens der Klärung 46).
Mühlenfeld wurde wohl beschwichtigt. Als jedenfalls Erhard am 21. April im Wirtschaftsrat sein Programm zusammenhängend darlegte 47), stimmten ihm die Sprecher der Koalitionsfraktionen zu, auch in der Frage der tendenziellen Lockerung der Zwangswirtschaft bis hin zur Errichtung einer freien Marktwirtschaft mit der Währungsreform 48). Die Schwerpunktverlagerung zur Konsumgüterindustrie — nach Erhard die „schlechthin entscheidende Frage der Industriepolitik“ — wurde aber erst vom zweiten CDU-Sprecher, dem Abgeordneten Naegel, mit einem zustimmenden, die sozial wohltätige Wirkung betonenden Satz aufgegriffen während Alex Haffner, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, der sich vehement hinter Erhards Postulat einer Befreiung der Wirtschaft stellte, gerade im Konsumgüterbereich die Beibehaltung von Bewirtschaftung und Produktionslenkung in der Übergangszeit nach der Währungsreform für unumgänglich hielt Ähnlich argumentierte Blücher: Es sei „auf sehr vielen Gebieten und vor allem überall da. wo es sich um die Deckung des Bedarfs unserer arbeitenden Massen handelt, nicht an dem Bezugsrecht vorbei(zu) kommen“ Auch Erhard hielt es nicht für wahrscheinlich, daß es möglich sein werde, „mit oder unmittelbar nach der Währungsreform die Bewirtschaftung im ganzen aufzuheben“. Er kündigte lediglich eine sorgfältige Prüfung dementsprechender Schritte an Aber der volkswirtschaftliche Zusammenhang zwischen bevorzugter Förderung der Konsumgüterindustrie, Marshallplan, Währungsreform, Tendenz zu freier Preisbildung und zur Aufhebung der Bewirtschaftung war für ihn zwingend. Die Politiker nahmen Erhards Rede — teils respektvoll, teils mit dem Vorwurf mangelnder Konkretheit — als wissenschaftliches Kolleg auf.
II. Handlungsspielräume für Erhards bizonale Wirtschaftsreform
1. Förderung der Verbrauchsgüterindustrie a) Der Aufbau-Jahresplan 1948149 zum Marshallplan Wie eng der Gestaltungsspielraum für die Umsetzung seines Programms war, hatte Erhard bereits erfahren. Für eine bevorzugte Förderung der Verbrauchsgüterindustrie bot sich eine entsprechende Akzentuierung des Aufbau-Jahresplans 1948/49 an, der vom Verwaltungsrat für die Beteiligung der Bizone am Marshallplan eingereicht werden mußte. Obwohl Clay am 15. März in einer Besprechung der Militärgouverneure mit bizonalen Vertretern dem neuen Wirtschaftsdirektor versichert hatte, daß im Rahmen des European Recovers Program (ERP) durch Zulieferung von Rohstoffen und im Tausch deutscher Exportwaren gegen Verbrauchsgüter Erhards Forderung zum Tragen kommen werde so hatten die Alliierten doch Abstriche bei entscheidenden Bedarfszahlen des am 25. März vorgelegten deutschen Aufbauplans verlangt, um diesen ihrerseits in die Pariser ERP-Verhandlungen einbringen zu können Auf seiner ersten Pressekonferenz am 2. April wich Erhard einer konkretisierenden Bestätigung der Verbindung seiner Verbrauchsgüterpolitik mit dem Marshallplan aus und betonte statt dessen, daß es vor allem um den deutschen Beitrag zum europäischen Wiederaufbau gehe und daß das Programm „nichts Starres und Unabänderliches“ sei
Die alliierten Änderungswünsche bedeuteten eine Revision des Plans hinsichtlich der Schrottausfuhr, der Kohleneinfuhr von 5, 5 Mio. Tonnen und des Gesamtzuschußbedarfs an Devisen für Importe Es war klar, daß das Kohlendefizit für die Steigerung der Verbrauchsgütererzeugung ein gravierendes Hemmnis sein würde, aber auch die Importkürzungen (rund 200 Mio. Dollar bei den Einfuhren für die gewerbliche Wirtschaft) konnten nur eine Beschneidung der Chance bedeuten, das Güter-äquivalent für die zum Verbrauchsgütermarkt drängende Kaufkraft bereitzustellen
Als Erhard am 14. April der Presse den revidierten Plan erläuterte, verhehlte er nicht, daß der Teilplan zum Konsum „sehr vorsichtig dosiert“ worden sei; er nehme an, „daß es im Laufe des Planjahres möglich sein wird, diesen Sektor noch weiter zu verstärken“. Allzu große Erwartungen hinsichtlich der ERP-Hilfe dämpfte er, hob aber doch die konstruktiven Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Währungsreform hervor. Viel versprach er sich von der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung mit den 16 Marshallplanstaaten; damit müsse eigentlich zwangsläufig einhergehen, daß „wir im Import-und Exportverfahren zu wesentlichen Lockerungen kommen“ und daß „in stärkerem Maße“ — zunächst bilaterale — Handelsverträge abgeschlossen werden könnten Erhard rechnete also mit einer Aktivierung des Außenhandels über den Marshallplan. Zudem hoffte er, mit dessen Hilfe die nach der Währungsreform zu erwartende Kapitalnot zu lindem Erhards Befürchtungen galten einer falschen, nämlich illiberalen Handhabung der ERP-Hilfe. Das — vor Herbst 1948 wenig erfolgreiche — Drängen auf schnelle Entscheidungen in der Frage einer Lockerung des Außenhandelsverfahrens, auf eine möglichst weitgehende Freigabe des Außenhandels und auf eine freizügige Verfügung über die Marshallplan-Kredite zeigte, daß er dem Marshallplan als einer der Erfolgsbedingungen der Währungsreform immer noch große Bedeutung beimaß, zumal er den psychologischen Faktor einer Ermutigung der deutschen Wirtschaft durch diese konkrete Wiederaufbauperspektive für wichtig hielt b) Um ein Enthortungsgesetz Was das Warenangebot zum Zeitpunkt einer Währungsreform betraf, so gab es keine verläßlichen Anhaltspunkte dafür, was in welchen Mengen vorhanden sein würde. Auch die Höhe des Währungsschnitts und damit das Ausmaß der hoheitlichen Geldschöpfung durch die Währungsreform waren nicht bekannt. Der Wirtschaftspolitik mußte es darum gehen, in jedem Fall am Tag der Währungsreform so viel Verbrauchsgüter wie möglich zur Verfügung zu haben.
Die akute Versorgungsnot, mitbedingt durch ein Preis-und Bewirtschaftungssystem, das die Waren in die schwarzen Märkte drängte, und verstärkt durch eine angesichts der erwarteten Währungsreform zunehmende spekulative Warenzurückhaltung, veranlaßte die SPD (mit Berufung auf Erhards Vorgänger Semler, der im Januar 1948 einen eigenen Entwurfvorgelegt hatte), im Wirtschaftsrat am 17. März ein Enthortungsgesetz einzubringen Die Sorge, daß durch eine Zwangsauflö-sung der Lagerreserven das für den Erfolg der Währungsreform unverzichtbare Warenpotential, dessen Aktivierung bei einer wieder funktionierenden Geld-und Kreditpolitik kein Problem sein würde, reduziert werden könnte, veranlaßte Erhard schon vorher zu klar ablehnenden Stellungnahmen In seiner Rede vor dem Wirtschaftsrat am 21. April wandte er sich zwar, wohl unter dem politischen Zwang einer absehbar unvermeidlichen Annahme der Enthortungsvorlage, nicht grundsätzlich gegen ein solches Gesetz, warnte aber vor einer vorzeitigen Auflösung der Güterreserven Die Verabschiedung des Gesetzes erfolgte — gegen die FDP — noch in derselben Vollversammlung des Wirtschaftsrates der Länderrat stimmte am 30. April zu Das Gesetz trat jedoch nie in Kraft; die Militärregierung erteilte keine Genehmigung
Im Mittelpunkt der Vorbereitungen für die Währungsreform, über deren Termin auch Erhard nur wußte, daß er bald sein würde, standen nunmehr die Bewirtschaftungs-und die Preispolitik.
2. Bewirtschaftungspolitik a) Bewirtschaftungsnotgesetz und 1. Durchführungsverordnung
Die Handlungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Bewirtschaftung waren — nach der am 24. Januar 1948 endgültig erfolgten alliierten Genehmigung des Bewirtschaftungsnotgesetzes vom 30. Oktober 1947 mit der Ersten Durchführungsverordnung vom 18. Dezember 1947 und nach der Verkündung der Proklamation Nr. 7/Verordnung Nr. 126 der Militärregierung vom 9. Februar 1948 — durch die Neudefinition der deutschen bizonalen Kompetenzen bestimmt.
Artikel in, 2 der Proklamation Nr. 7/Verordnung Nr. 126 ermächtigte den Wirtschaftsrat „zur Annahme und zum Erlaß von Gesetzen über . . . Erzeugung, Zuteilung, Erfassung, Lagerung und Verteilung von Waren, Rohstoffen, Gas, Wasser und Elektrizität“, wobei der Länderrat gemäß Artikel V, 2 zustimmen mußte. Dies galt unter dem alle deutschen Gesetze betreffenden Vorbehalt der Zustimmung der Militärregierung (Artikel X, 1).
Da das früher erlassene und genehmigte deutsche Bizonenrecht weiter galt, solange es nicht durch neues Recht ersetzt war (Art. XIII, 3), stellten das Bewirtschaftungsnotgesetz und die dazu erlassene Erste Durchführungsverordnung den Rahmen für die bizonale Bewirtschaftungspolitik dar. Mit diesem Gesetzgebungswerk wurde die Verantwortung für die Bewirtschaftung in weitestem Ausmaß an die deutschen Organe zurückgegeben. Alle vorher geltenden Bestimmungen über die Erzeugung, Zuteilung und Verteilung von Waren und Rohstoffen sollten nach § 33, 1 des Bewirtschaftungsnotgesetzes am 30. Juni 1948 automatisch außer Kraft treten. Bis dahin mußte ein einheitliches bizonales Bewirtschaftungssystem installiert sein. Dabei waren — gemäß § 2, 1 der Ersten Durchführungsverordnung — „Kohle, Eisen, NE-Metalle, Holz, Zellstoff, Papier und Pappe, Spinnstoffe, Häute, Natur-und Kunstkautschuk, Tabak, Mineralöle, chemische Grundstoffe, technische Öle und Fette, Naturharze“ obligatorisch der Bewirtschaftung zu unterstellen; „daraus hergestellte Waren sowie Glas und Keramik“ hingegen konnten je nach den Gegebenheiten bewirtschaftet oder freigegeben werden.
Die Vollmacht, die Einzelheiten einer Bewirtschaftung (oder Nichtbewirtschaftung) in diesem Rahmen durch Anordnungen zu regeln, sprach die Erste Durchführungsverordnung dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft zu. Die Alliierten verbanden ihre Genehmigung zwar mit der Auflage, daß „die Ausübung dieser Vollmachten“ jederzeit der Ablehnung durch den Verwaltungsrat unterliege aber das bedeutete in der Situation vom Frühjahr/Sommer 1948 kaum eine Einschränkung. Als Erhard sein Direktorenamt antrat, waren die Arbeiten für eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des bizonalen Bewirtschaftungssystems durch Anordnungen in vollem Gange forciert durch das Drängen der Alliierten Mitte Mai waren neue Bewirtschaftungsanordnungen für NE-Metalle, Holz, Zellstoff, Leder und Schuhe bereits in Kraft, die Textilanordnung und die Landmaschinenanordnung befanden sich in veröffentlichungsreifem Stadium. Andere Anordnungen waren noch in Bearbeitung, so die Anordnungen für Papier, Flachglas, Zündhölzer, Kautschuk, Chemie, Mineralöl, Hohlglas und Keramik, Sanitätskeramik, Glühlampen. Wälzlager, Industriediamanten, Tabak, landwirtschaftliche Geräte und Bedarfsartikel, ja selbst für den Hufbeschlag b) Erhards Richtlinie vom 19. Mai 1948
Am 19. Mai erteilte Erhard seiner Verwaltung die Weisung, bei der fälligen Prüfung von Möglichkeiten der Stelleneinsparung zu beachten, „welche Aufgaben in absehbarer Zeit in Wegfall kommen“: Zu erwarten sei, „daß die bevorstehende Währungsreform eine völlige Umwälzung im Angebot von Waren und in der Produktion“ bringen werde; deshalb sei „jetzt schon unter der Voraussetzung, daß diese Erwartungen eintreten, zu prüfen, auf welche Bewirtschaftungen mit dem Zeitpunkt der Währungsreform verzichtet werden kann.“ Wo aus sozialen Gründen — auf sie sei „unter allen Umständen Rücksicht zu nehmen“ — Bewirtschaftungen unverzichtbar sein würden wie (abgesehen von Lebensmitteln) bei Kleidern, Wäsche und Schuhen, solle das „Bezugsscheinsystem mit individueller Bedürfnisprüfung“ so bald wie möglich verlassen werden. Bei Textilien und Schuhen sei jeweils „auf die Schaffung einer allgemeinen Punktekarte . . . hinzuwirken, die, in Abschnitte eingeteilt, allgemeine Aufrufe ermöglicht und die Zusammenlegung von Teilpunkten zu ganzen Punkten (damit Familienangehörige sich gegenseitig aushelfen können) gestattet“ 3. Preispolitik Hatte die Verwaltung für Wirtschaft also im Bereich der gewerblichen Warenbewirtschaftung einen beachtlichen Gestaltungsspielraum bis hin zur Freigabe, so waren Erhards Möglichkeiten auf dem Gebiet der Preispolitik demgegenüber deutlich geringer. a) Preisgesetz Diese Möglichkeiten bemaßen sich nach dem Preisgesetz vom 10. April 1948 bei dessen Beratung und Verabschiedung Erhard selbst noch Einfluß nehmen konnte. Er reklamierte dabei — mit Erfolg — vor allem die eindeutige Kompetenz zur preispolitischen Federführung der Verwaltung für Wirtschaft gegenüber Bestrebungen, ein eigenes Preisamt einzurichten oder einzelne Verwaltungen selbständig agieren zu lassen Mit einer von den Sozialdemokraten gewollten Befristung des Gesetzes bis 31. Dezember 1948 konnte Erhard sich „ohne weiteres einverstanden erklären, da nach meiner Auffassung mit der Währungsreform ohnedies eine völlige Revolutionierung auf preispolitischem Gebiet Platz greifen wird“
Das Gesetz behielt dem Wirtschaftsrat die Festlegung der allgemeinen Grundsätze der Preispolitik vor, darüber hinaus bedurften Preisänderungen von „grundlegende(r) Bedeutung für den gesamten Preisstand, insbesondere die Lebenshaltung“ der Zustimmung des Wirtschaftsrates (§ 1). Im übrigen konnte der Wirtschaftsdirektor Preise, die mehr als ein Land der Bizone betrafen, durch Anordnungen und Verfügungen festsetzen und genehmigen (§ 2). Preisfreigaben lagen nicht im Bereich seiner Kompetenzen.
Gerade auf sie kam es aber an, denn, so Erhard, „eine Währungsreform ohne Übergang zu freieren marktwirtschaftlichen Formen, insbesondere ohne die Rückkehr zu tendenziell freier Preisbildung (könnte) nur den technischen Ansatz zu einer Heilung, nie aber diese selbst bringen und auf die Dauer sicherstellen“ b) Folgepreiserhöhungen Grundsätzlich lehnte Erhard neue Preisanpassungen vor der Währungsreform ab „in der Erwartung, daß mit der Währungsreform vom Preisstopp abgegangen und ein Auspendeln der Preise ermöglicht wird“. Einige wenige längst fällige Preiskorrekturen, die sich aus der Preiserhöhung für Steinkohle, Eisen und Stahl mit Wirkung vom 1. April 1948 ergaben, wollte er jedoch noch durchsetzen. Er hielt es für erforderlich, sicherzustellen, daß „die nach der Währungsreform für die Haushalte untragbaren Subventionen entfallen können, zugleich aber mindestens im Mittel eine innerbetriebliche Kostendeckung erreicht wird“
Beim Versuch, dafür eine breite Mehrheit im Wirtschaftsrat zu finden, sah es für Erhard einen Moment lang so aus, als könne er der SPD eine Billigung seiner Preisfreigabepolitik abgewinnen. In einer Nachtsitzung am 25. Mai mit führenden Fraktionsvertretern von CDU, SPD und FDP meinte er, diese Preiserhöhungen seien notwendig, jede Verzögerung sei schädlich. Allenfalls dann könne auf diese Maßnahme verzichtet werden, „wenn vom Tage der Währungsreform an dem Wettbewerb und einer freien Preisbildung Raum gegeben“ werde. Nach einer Aufzeichnung Erhards wurde dies mehrfach betont; schließlich gab Erhard die Zusicherung. unter dieser Bedingung auf die Folgepreisverordnung zu verzichten. Die SPD-Vertreter erhoben keinen Einspruch. „Es löste sich vielmehr die Versammlung in der allgemeinen Überzeugung auf, daß hinsichtlich der weiteren Behandlung der Angelegenheit eine Übereinstimmung erzielt worden sei.“
Erhard hatte dies allerdings nicht auf Strom und Gas bezogen, für die er eine sofortige Preiserhöhung für unvermeidlich hielt. Aber in der Wirtschaftsratssitzung des folgenden Tages waren die Sozialdemokraten nicht bereit, diese Erhöhungen mitzutragen Angesichts unmittelbar bevorstehender Wahlen in Bayern wollten daraufhin auch die CSU-Abgeordneten gegen die Erhöhungen stimmen Der Wirtschaftsrat billigte schließlich, bei Stimmenthaltung der CDU/CSU-Fraktion, einen KPD-Antrag, der Preiserhöhungen vor der Währungsreform generell ablehnte c) Die preispolitische Perspektive Auch wenn Erhards Annahme, die SPD sei für eine Politik der Preisfreigaben zu gewinnen, sich nicht bestätigte, hatte er nach diesen Vorkommnissen doch ein weiteres Argument in der Auseinandersetzung um seine Pläne zur Verfügung. Daß er Vollmachten brauchte, um wirksam und flexibel handeln zu können, war nun jedenfalls auf CDU/CSU-Seite klar. Der Fraktionsvorsitzende Holzapfel schrieb: „Der einzige Ausweg bleibt jetzt das vorgesehene . Ermächtigungsgesetz*.“ Die preispolitische Perspektive Erhards — Übergang (mit gewissen Einschränkungen) zum Marktpreissystem in Verbindung mit der Währungsreform — war in den Verwaltungen unter Federführung der Verwaltung für Wirtschaft Richtlinie konkreter Vorbereitungen. 4. Die Wirtschaftsratsdebatte vom 17. /18. Juni Den preis-und bewirtschaftungspolitischen Absichten Erhards entsprachen legislative Schritte. In der Verwaltung für Wirtschaft war der Entwurf eines Gesetzes über die wirtschaftspolitischen Leitsätze nach der Geldreform entstanden, der auf der 12. Direktorialsitzung am 1. Juni 1948 vom Verwaltungsrat verabschiedet und schon am 2. Juni sowohl dem Länderrat als auch dem Wirtschaftsrat zugestellt wurde
In der 18. Vollversammlung des Wirtschaftsrates am 17. und 18. Juni 1948 standen das Leitsätzegesetz und die Verordnung zur Änderung der Ersten Durchführungsverordnung zum Bewirtschaftungsnotgesetz (durch die letztere sollten die bisher obligatorischen Bewirtschaftungen durch eine Kann-Bestimmung fakultativ werden) zusammen mit einer Änderung des Bewirtschaftungsnotgesetzes selbst auf der Tagesordnung. Über der dramatischen Debatte lag die Spannung einer täglich, ja stündlich erwarteten Entscheidung über die Währungsreform. Erhard wies darauf hin, wie wichtig die Vorlagen „für die weitere Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Zukunft unseres Volkes“ seien. „Wir sind uns darüber klar, daß diese Währungsreform an sich als technische Maßnahme nicht die Gesundung bringen kann, sondern daß sie nur die Grundlagen und die Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung schafft . . . Ich glaube, es besteht völlige Übereinstimmung darüber, daß aus dem System der staatlichen Zwangs-und Befehlswirtschaft... die Folgerungen gezogen werden müssen, daß der Zusammenbruch dieser Art von Ordnung und Scheinordnung . . .den Zusammenbruch der Idee aller staatlichen Bewirtschaftungsformen mit sich gebracht hat.“
Auch die SPD-Sprecher waren für eine Beendigung der Zwangsbewirtschaftung, hielten Erhards Vorgehen aber für zu rigoros und wandten sich aus wirtschafts-und parlamentspolitischen Gründen gegen die Ermächtigungen. Die Koalitionssprecher, unter ihnen Theodor Blank, unterstützten Erhard. Nach der 3. Lesung in den ersten Morgenstunden des 18. Juni erhielt Erhard mit 52 Ja-gegen 37 Neinstimmen eine Mehrheit für das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“ und die beiden anderen Vorlagen Es fehlte noch die Zustimmung des Länderrates und die Genehmigung der Militärregierung.
III. Dramatische Tage: Vom 18. zum 21. Juni
1. Der alliierte Start in die Reform Die Währungsreform lag in alliierter Verantwortung. Vorbereitende deutsche Mitwirkung hatte sich auf die Umsetzung alliierter Vorgaben in — den deutschen Verhältnissen angepaßte — Gesetzes-, Verordnungs-, Formulartexte usw. beschränkt. Deutsche Experten, großenteils aus der Sonderstelle Geld und Kredit, hatten im „Konklave von Rothwesten“ diese Dokumente verfaßt Der „Homburger Plan“ als offizieller deutscher Währungsreformplan war fast ohne Einfluß geblieben. Aber nach Abschluß des Konklave (8. Juni) war noch ein Durchbruch gelungen. Wohl auf Grund der Bedenken und massiven Proteste der Konklave-Mitglieder hatten die Alliierten die vorgesehene 10%-Geldfreigabequote doch noch revidiert. Am 16. Juni hatten sie die wichtigsten direkt involvierten deutschen Politiker (Oberdirektor Pünder, die Direktoren Hartmann, Erhard und Schlange-Schöningen, die Wirtschaftsratsabgeordneten Blücher und Kriedemann, den Präsidenten des Zentralbankrates Bernard) vor eine Alternative mit zwei Varianten gestellt, die beide eine Annäherung an den Homburger Plan bedeutet hätten. Unter Erhards Wortführerschaft hatten sich die Deutschen in wenigen Minuten für diejenige Variante entschieden, die dann in den alliierten Währungsgesetzen tatsächlich, wie sich nach der Bekanntgabe des dritten Währungsgesetzes (des Umstellungsgesetzes am 26. Juni herausstellte, zum Zuge kam: Kopfbetrag DM 60 (auszuzahlen in zwei Teilbeträ-gen von DM 40 und DM 20), Freiquote von 5% (sofortige freie Verfügbarkeit über 5 % der alten Reichsmark-Guthaben), sowie eine Sperrquote von 15 % (aufgeteilt in unterschiedlich zu handhabende 5 %-und 10 %-Quote; nur 1, 5 % wurden dann später freigegeben) In den dramatischen ersten Tagen der Reform blieb die Öffentlichkeit in diesen Fragen uninformiert.
Am Tag der Verabschiedung des Leitsätzegesetzes im Wirtschaftsrat — am Freitag, dem 18. Juni — gaben die Militärregierungen den Termin der Währungsreform bekannt. Sie veröffentlichten ihr erstes Währungsreformgesetz für die Bizone als Gesetz Nr. 61. Die Geldumtauschaktion, das heißt die Auszahlung der ersten Kopfgeldrate von 40 DM, sollte am Sonntag stattfinden, ab Montag würde nur noch die neue Deutsche Mark gelten 2. Erhards erste Maßnahmen Der wirtschaftspolitischen Flankierung der Währungsreform fehlte noch die gesetzliche Legitimation für wichtige geplante Maßnahmen — ungeachtet einer gesamtpolitischen Konstellation, die ohne weiteres das Kalkül zuließ, weder Länderrat noch Militärregierung würden die betreffenden Gesetze ablehnen. a) Lockerung und Aufhebung von Bewirtschaftungen Aber Erhard war auch bei geltender Rechtslage handlungsfähig. Auf der Basis der Ersten Durchführungsverordnung zum Bewirtschaftungsnotgesetz alter Fassung waren Anordnungen vorbereitet worden. Sechs davon sollten, auf den 18. Juni datiert und von Erhard unterzeichnet, am Montag, dem 21. Juni, im Mitteilungsblatt der Verwaltung für Wirtschaft veröffentlicht werden, also in Kraft treten (die nächste Rate von 20 Anordnungen galt ab 1. Juli, dem Tag nach dem automatischen Wegfall alter Vorschriften
Vier der sechs Anordnungen entließen bereits viele Verbrauchs-und Gebrauchsgüter aus der Bewirtschaftung: die „Anordnung technische Erzeugnisse 1/48“, die „Anordnung Holzverarbeitung 1/48“, die „Anordnung Glas und Keramik 1/48“ und die „Anordnung Maschinenbau IV/48“ (die sich auf Landmaschinen und landwirtschaftliche Geräte bezog). Die „Anordnung Textilien 11/48“ und die „Anordnung Leder V/48“ brachten keine Freigaben, aber erhebliche Bezugs-und Liefererleichterungen b) Bekanntgabe Erhard entschied ferner, daß über diese Anordnungen bereits für Sonntag, den 20. Juni, Rundfunkberichte zu veranlassen seien, in denen zugleich „auch die zukünftigen Preismaßnahmen erörtert werden“ sollten Die Preisfreigabeanordnung und „die übrigen Bewirtschaftungsanordnungen“ würden dann — so die sehr optimistische Zeitvorstellung — „spätestens am Dienstag, dem 22. Juni 1948, erscheinen“ können, „nach Erlaß des Leitsätzegesetzes und des Bewirtschaftungsnotgesetzes und seiner Ersten Durchführungsverordnung in geänderter Fassung“
Im Frankfurter Sender gab Kuno Ockhardt, Erhards Pressesprecher, selber die ersten Freigaben aus der Bewirtschaftung am Sonntagnachmittag bekannt. Nach einem noch am Sonntag übermittelten Bericht des Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung erklärte er, für eine große Zahl von Waren würden Bewirtschaftung und Preiskontrolle mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Andere Konsumerleichterungen kämen hinzu. Beibehalten werde zunächst noch die Bewirtschaftung der Hauptnahrungsmittel und Rohstoffe wie Kohle und Eisen 3. Alliierte und deutsche Reaktionen a) Hat Erhard rechtswidrig gehandelt?
Im alliierten Zweimächtekontrollamt war die Überraschung über dieses Vorpreschen groß. Erhard hat oft darüber berichtet, daß ihm heftige Vorhaltungen gemacht worden seien Es dürfte jedoch schwer gewesen sein, einen rechtlich fundierten Vorwurf von einigem Gewicht zu finden. Einerseits standen zwar die gesamte bizonale Politik und Verwaltung unter der Kontrolle der Alliierten, deren Interventionsmöglichkeiten sich aus der prinzipiell unumschränkten Besatzungsgewalt ableiteten, andererseits ließ sich diese Tatsache in denjenigen Fällen, in denen die Militärregierung den Deutschen einen Auftrag zu eigenverantwortlichem Handeln erteilt hatte, schwerlich anführen, um einen Rechtsverstoß zu begründen. Die von Erhard erlassenen sechs Bewirtschaftungsanordnungen waren in diesem Sinne unanfechtbar. Eine Ignorierung des Anspruchs der Militärbehörden auf rechtzeitige Information wog demgegenüber gering.
Anordnungen unter Berufung auf die erst vom Wirtschaftsrat gebilligten Gesetze hat Erhard nicht erlassen. Sollte Ockhardts Erklärung — auf Erhards Weisung — sofortige Preisfreigaben umfaßt haben, bliebe als denkbarer Rechtsverstoß eine gezielte Desinformation der Bevölkerung. In Wirklichkeit dürfte es Erhard gemäß seinen Dispositionen vom 18. /19. Juni nur darum gegangen sein, in der Erklärung den Kontext seiner Politik, der kein Geheimnis war, so verdeutlicht zu sehen, wie es die programmatischen Formulierungen des Leitsätzegesetzes ausdrückten. b) Erhard und Clay Dennoch kam es am 21. Juni 1948 zu Auseinandersetzungen mit den Militärbehörden, was Erhard bewog, den turnusmäßig amtierenden der beiden angelsächsischen Militärgouverneure, Clay, einzuschalten. Nach dem Bericht eines Zeugen dieser Begegnung kanzelte Clay den Wirtschaftsdirektor ab und drohte ihm seine Entlassung an, während Erhard die Motive seiner Handlungsweise zu erläutern suchte. Am Ende erteilte Clay Erhard die Erlaubnis, seinen Kurs fortzusetzen Am Abend des 21. Juni konnte Erhard in einer Rundfunkansprache die Politik der „entschiedene(n) Abkehr vom Prinzip der Zwangswirtschaft“ unter Verweis auf die mit dem Leitsätzegesetz kommenden Vollmachten bekräftigen c) Der Länderrat Zur Stunde der Rundfunkrede Erhards beriet der Länderrat das Leitsätzegesetz Sein Wirtschaftsausschuß hatte am 4. Juni eine Vorfassung befürwortet Seither entstandene Bedenken stellte der Länderrat nun zurück, um „nicht die Währungsreform (zu) gefährden“; er billigte die Vorlage einstimmig Erhard hatte vorher mündlich zugesichert, von den ihm „übertragenen Befugnissen . . , nur nach Beratung im Verwaltungsrat Gebrauch (zu) machen“ und bei Ablehnung einer Maßnahme durch den Überwachungsausschuß „die Entscheidung des Wirtschaftsrates herbei(zu) führen“ Auch die Änderung der Ersten Durchführungsverordnung zum Bewirtschaftungsnotgesetz (nicht die Änderung des Bewirtschaftungsnotgesetzes selbst) wurde angenommen
Ausblick
Damit hatte das Leitsätzegesetz die deutschen Instanzen passiert. Die Militärregierung genehmigte es am 30. Juni 1948 am 7. Juli wurde es im Gesetz-und Verordnungsblatt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes veröffentlicht und trat rückwirkend „zugleich mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung der Geldreform“ in Kraft Erhard hatte nun die Vollmachten, die es ihm erlaubten, die Preis-und Bewirtschaftungspolitik am Grundsatz der Priorität von Freigaben auszurichten. Die erste auf dem Leitsätzegesetz beruhende Anordnung, die „Anordnung über Preisbildung und Preisüberwachung nach der Währungsreform“ vom 25. Juni 1948, trat mit ihrer Verkündung am 7. Juli in Kraft. Sie legte Höchstpreisvorschriften für bestimmte Nahrungs-und Genußmittel, für Kohle. Elektrizität, Gas und Wasser, Eisen, Mieten u. a. fest; sie unterwarf Getreide und Getreideerzeugnisse, Kartoffeln, Zucker, Butter u. a. Festpreis-vorschriften — und gab fast alle übrigen Preise frei Zu diesem Zeitpunkt galt der erste Schritt der Währungsreform — mit dem überwältigenden Schaufenster-Effekt des 21. Juni, den die Zeitgenossen fast als Wunder empfanden — längst als gelungen.
Allerdings ist die Vorstellung, der Erfolg der Währungs-und Wirtschaftsreform sei bereits am 21. Juni gesichert gewesen, unrealistisch. Diese Reform war nicht das Ereignis von wenigen Tagen oder gar eines Tages, sondern von vielen Monaten. Der Übergang zur Marktwirtschaft bedeutete — nicht nur. aber doch wesentlich dank der Erhardschen Inszenierung — vom ersten Tag an einen qualitativen Sprung; aber der bemerkenswert schnelle Wechsel erfolgte dennoch nicht schlagartig. Am 21. Juni war noch nicht einmal der Währungsschnitt — das wichtigste Datum im Hinblick auf die Menge der hoheitlichen Geldschöpfung — bekannt, und das Leitsätzegesetz gab es nur als Ankündigung. Gefährdet war die Reform das ganze zweite Halbjahr 1948 hindurch im Grunde noch bis zur Korea-Krise 1950/51, die Erhards marktwirtschaftlichen Kurs nochmals offen zur Disposition stellte
Im Juni/Juli 1948 führten Erich-Peter Neumann und Elisabeth Noelle im Auftrag Erhards Umfragen über die Reaktion der Bevölkerung auf die Währungsreform durch. In der Juni-Umfrage äußerten sich 71 % der Bevölkerung positiv, in der Juli-Umfrage 74 %. Die Zukunft Deutschlands beurteilten im Juli 44% optimistischer als vorher, 24% pessimistischer. 22% waren unentschieden
Hinweis der Redaktion:
Der Beitrag von Joachim Glaubitz „Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans“ (Bl 9/88 vom 6. Mai 1988) ist eine gedanklich weitergeführte und aktualisierte Fassung einer Studie, die demnächst erscheint in: Wichard Woyke (Hrsg.), Weltpolitik 2000. Großmächte, Mittelmächte und Regionen und ihre Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Leske Verlag, Leverkusen—Opladen.
1987. Volkhard Laitenberger, Dr. phil., geb. 1940; Leiter des Ludwig-Erhard-Archivs der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Akademischer Austausch und auswärtige Kulturpolitik 1923 bis 1945, Göttingen-Zürich 1976; Organisations-und Strukturprobleme der auswärtigen Kulturpolitik in den zwanziger und dreißiger Jahren, in: Kurt Duwell/Werner Link (Hrsg.), Deutsche auswärtige Kulturpolitik seit 1871, Köln—Wien 1981; Dokumente zur ordnungspolitischen Bewältigung der Korea-Krise, in: Die Korea-Krise als ordnungspolitische Herausforderung der deutschen Wirtschaftspolitik, Stuttgart 1986; Ludwig Erhard. Der Nationalökonom als Politiker (Biographie), Göttingen 1986; Aufsätze zur Geschichte der deutschen auswärtigen Kulturpolitik und zur deutschen Nachkriegsgeschichte.
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