Die Demokratische Volksrepublik Korea im Vorfeld des Umbruchs
Volker Grabowsky
/ 37 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Wie kein anderes sozialistisches Land glorifiziert Nordkorea (oder die „Demokratische Volksrepublik Korea“ — DVRK) die Rolle seiner führenden Persönlichkeit: des Staatsgründers und allmächtigen Präsidenten Kim II Sung. Unter Kim II Sungs Ägide hat sich Nordkorea zu einem abgeschlossenen, betont national-kommunistischen Land entwickelt. Nordkoreas Staatsphilosophie, die „Dschutsche-Ideologie“, rechtfertigt den autozentrierten, binnenmarktorientierten Wirtschaftsaufbau und eine von Moskau und Beijing unabhängige Außenpolitik. In einer sich wandelnden Welt sind Ende der achtzigerJahre die Grenzen der bisherigen Dschutsche-Politik deutlich erkennbar. Die hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten der siebziger Jahre sind verschwunden: Nordkoreas Ökonomie stagniert. Auf außenpolitischem Gebiet verfolgt die DVRK eine Politik der Block-freiheit, deren Hauptziel darin besteht, in Konkurrenz mit dem feindlichen Südkorea eine maximale internationale Unterstützung für das eigene Wiedervereinigungskonzept zu erhalten.
Wenn am 17. September in der ostasiatischen Metropole Seoul die XXIV. Olympischen Sommer-spiele beginnen, wird das Interesse der Weltöffentlichkeit auf das ökonomisch prosperierende „Schwellenland“ Südkorea gerichtet sein. Im Norden der koreanischen Halbinsel fristet hingegen die „Demokratische Volksrepublik Korea“ (DVRK) ein Schattendasein. Und es sind durchweg negative Attribute, die mit Nordkorea in Verbindung gebracht werden. „Stalinistische Diktatur“, „byzantinischer Personenkult um einen größenwahnsinnigen Führer“, „kommunistische Dynastie“: diese und ähnliche Vorurteile existieren in der westlichen Öffentlichkeit über den sozialistischen Norden Koreas. Die DVRK. die am 9. September den 40. Jahrestag ihrer Gründung feiert, blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Zwei Jahre nach der staatlichen Teilung Koreas begann ein blutiger Bürgerkrieg, der rasch in einen Ost-West-Konflikt mündete und beinahe zur Auslöschung der jungen koreanischen Volksrepublik geführt hätte. Nur das Eingreifen der VR China zugunsten der bedrängten Nordkoreaner verhinderte den Sieg der unter UN-Flagge kämpfenden amerikanischen Truppen.
Die im Koreakrieg (1950— 1953) besiegelte „chinesisch-koreanische Waffenbrüderschaft“ ermöglichte nicht nur eine schrittweise Lockerung des einst dominierenden sowjetischen Einflußes; sie schuf auch die Grundlage für die spätere nordkoreanische Balancepolitik gegenüber Moskau und Beijing.
Pyongyangs Innen-und Außenpolitik ist eng verwoben mit der Person des nordkoreanischen Staats-gründers und allmächtigen Präsidenten Kim II Sung, des heute dienstältesten Staats-und Partei-chefs der kommunistischen Welt. Unter der Ägide des inzwischen 76jährigen Generalsekretärs der herrschenden „Partei der Arbeit Koreas“ (PdAK) entwickelte sich die DVRK zu einem „monolithisch“ organisierten sozialistischen Staat. Dieser kann sich rühmen, eine betont nationalistisch inspirierte Außenpolitik zu betreiben. Begründet wird Nordkoreas eigenwilliger Weg mit der „Dschutsche-Ideologie", die seit Mitte der sechziger Jahre offizielle Staatsphilosophie ist.
I. Die Dschutsche-Ideologie
„Dschutsche“ — manchmal „Chuche“ oder „Chuch’e“ transkribiert — heißt wörtlich übersetzt „Subjekt“ im Gegensatz zu „Objekt“ (Kaekche). Im politischen Bereich könnte man das Dschutsche mit „Selbstbestimmung“ und „Selbstverwirklichung“ umschreiben. Manchmal wird Dschutsche auch mit der Wendung „Hausherr über das eigene Schicksal sein“ erläutert.
Die Verwirklichung des Dschutsche erstreckt sich auf drei Hauptbereiche: den staatspolitischen und kulturellen Bereich („Chaju“).den ökonomischen Bereich („Charip“) und den militärischen Bereich („Chawi“) -Gesellschaften verwirklichen das Dschutsche, indem sie lernen, ihre politische, ökonomische und kulturelle Entwicklung selbst zu steuern und auf nationale Bedürfnisse abzustimmen.
M. Y. Cho weist auf die semantische Verwandtschaft von Kim II Sungs Dschutsche-Ideologie und Mao Zedongs „Tzu-li Keng-sheng“ (gewöhnlich mit „Vertrauen auf die eigene Kraft“ übersetzt) hin. Beide Begriffe haben etwas mit „Selbständigkeit“ zu tun. Doch während Mao „Tzu-li Keng-sheng“ nur im gewöhnlichen Wortsinn benutzte, gebraucht Kim den Dschutsche-Begriff zur Charakterisierung eines philosophischen Systems, das eine theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus darstellen soll
Die nordkoreanischen Publikationen propagieren die Dschutsche-Ideologie in einem erstaunlichen Umfange. Man erfährt unter anderem von einer „Dschutsche-Außenpolitik", einem „DschutscheErziehungswesen“ und einer „Dschutsche-Agrarmethode“. Doch eine philosophische Begründung der nordkoreanischen Staatsideologie fehlte lange Zeit fast vollständig. Erst im Jahre 1982 versuchte Kim Dschong II.der älteste Sohn und designierte Nachfolger Kim II Sungs, mit seiner Schrift „Über* die Dschutsche-Ideologie" eine systematische weltanschauliche Einordnung dieser Ideologie zu leisten.
Mit den Worten Kim Dschong Ils ist die Dschutsche-Ideologie „eine neue philosophische Idee, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.“ Der Mensch sei als materielles Wesen zwar Teil der Natur, „aber nicht ein einfaches, sondern das höchstentwickelte, ein besonderes Produkt der Entwicklung der materiellen Welt“. Während alle anderen Lebewesen zur objektiven Welt gehörten, bloße Bestandteile der Natur seien, gestalte der Mensch sein eigenes Schicksal, indem er sich die Natur dienstbar mache Offensichtlich gehört die Dschutsche-Ideologie zu den philosophischen Systemen, die den Menschen als das Endziel in der Entwicklung der materiellen Welt begreifen. Der Mensch soll weniger als ein integraler Bestandteil der Natur im Einklang mit dieser leben, als sich zum „Eroberer“ und „Umgestalter“ der Natur empor-schwingen. Die nordkoreanischen Medien propagieren die Dschutsche-Ideologie als eine völlig neue, das bisherige Menschenbild revolutionierende Weltanschauung.
Welche Rolle spielt dann der Marxismus in der sozialistischen DVRK? Ist die Dschutsche-Ideologie nach Auffassung der PdAK lediglich eine koreanische Form des Marxismus? Oder stellt sie eine völlig eigenständige Weltanschauung dar, die mit dem Marxismus zwar einige Berührungspunkte besitzt, aber über ihn hinausweist?
Die nordkoreanischen Parteitheoretiker geben auf diese Frage widersprüchliche Antworten. Mögliche begriffliche Unklarheiten oder innerparteiliche Differenzen hinsichtlich der historischen Bedeutung der Dschutsche-Ideologie spiegeln sich selbst in den Schriften des „hervorgehobenen Parteisekretärs“ Kim Dschong II wider. Dieser bemerkte in seiner oben zitierten Publikation, die Dschutsche-Ideologie habe den Marxismus, „die revolutionäre Theorie der Arbeiterklasse“, auf eine höhere Stufe gehoben, worin auch „ihr historischer Beitrag zur revolutionären Sache der Arbeiterklasse, der Sache der Menschheit für die Befreiung“ liege
Ein Jahr später stellte Kim Dschong II in seiner Rede zum 100. Todestag von Karl Marx die Dschutsche-Ideologie und den Marxismus jedoch auf eine Stufe, als er vom „hoch erhobenen revolutionären Banner des Marxismus-Leninismus und der Dschutsche-Ideologie“ sprach
Vermutlich zielen Kim Dschong Ils zuletzt genannte Bemerkungen darauf ab, vor der „kommunistischen Weltbewegung“ die Dschutsche-Ideologie von dem Vorwurf der Häresie freizusprechen und das nordkoreanische Regime nachdrücklich als ein marxistisches zu präsentieren. Eine Durchsicht der nordkoreanischen Propaganda in den Jahren 1984 bis 1987 erhärtet die These, daß die PdAK unverändert die Dschutsche-Ideologie und nicht den Marxismus-Leninismus als ihr grundlegendes weltanschauliches Bezugssystem betrachtet.
Im März 1985 erläuterte Pak Mun Hoe, Mitglied des ZK der Koreanischen Vereinigung der Sozialwissenschaftler, dem Verfasser Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Dschutsche-Ideologie und Marxismus. Während Marx und Engels angeblich die sozialen Entwicklungen mit Naturgesetzen verglichen hätten, würde die Dschutsche-Ideologie in den gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen dem Faktor „Mensch“ seine ihm gebührende Rolle einräumen. Professor Pak meinte, auch Länder mit rückständigen Produktivkräften könnten in der sozialistischen Revolution voranschreiten, wenn die Menschen nur genügend ideologisiert würden. Gemäß der Dschutsche-Ideologie spielen nicht die Produktivkräfte die entscheidende Rolle bei der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft. Die „ideologische Revolution“ gewinnt eine zentrale Bedeutung. Ohne eine systematische Umformung des Denkens, Handelns und Fühlens des Volkes, ohne eine „Revolutionierung des Bewußtseins“ ende die sozialistische Revolution unvermeidlich in einer Sackgasse Der ökonomistische Determinismus des Sowjetmarxismus (der Vor-Gorbatschow-Ära), der den menschlichen Willen weitgehend außer acht läßt, wird entschieden zurückgewiesen.
Nicht nur der Sowjetmarxismus, auch der Maoismus wird von den koreanischen Kommunisten einer harschen Kritik unterzogen. Auf die Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen der Dschutsche-Ideologie und den Mao Zedong-Ideen erwiderte Pak Mun Hoe unmißverständlich: „Eine , Ideologie, die keine monolithische Führung hervorbringt, deren Führung schwankt, ist keine ausgereifte Ideologie. So können Sie den Maoismus am besten beurteilen.“ Die Koreaner lehnen Maos kulturrevolutionäre Theorie von der „Weiterführung der Revolution unter der Diktatur des Proletariats“ die These vom „Kampfzweier Linien“ in der Kommunistischen Partei eines sozialistischen Landes, entschieden ab. Sie betonen die Einheit und Geschlossenheit von Partei und Volk während der sozialistischen Transformationsphase. Die Existenz von Klassenkampf im Sozialismus solle keineswegs geleugnet werden; doch dieser Klassenkampf dürfe nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen, erläuterte Pak Mun Hoe offensichtlich in Anspielung auf die chinesische Kulturrevolution. Die Dschutsche-Ideologie als eine „Ideologie für die Weiterführung der Revolution“ solle gewährleisten, daß Arbeiter, Bauern und Intelligenz in einem solidarisch geführten Klassenkampf „harmonisch zu einer Familie verschmelzen“. Der Artikel 6 der nordkoreanischen Verfassung von 1972 stellt sogar fest, daß in der DVRK die Klassengegensätze und jedwede Unterdrückung des Menschen durch den Menschen für immer (!) beseitigt seien
Die Dschutsche-Ideologie läßt sich folglich als eine der nationalen Eigenständigkeit verpflichtete, an Harmonie und Geschlossenheit des Volkes orientierte Weltanschauung beschreiben. Anleihen aus dem traditionellen konfuzianischen Wertesystem sind offensichtlich. Dem ideologischen Überbau der Gesellschaft räumen die Koreaner eine zentrale Stellung ein, auch wenn sie den Vorwurf des Idealismus weit von sich weisen würden.
II. Die Wirtschaft Nordkoreas
Abbildung 4
Tabelle 2: Long-Term Economic Goals Compared
Quelle: North Korea Quarterly, (1987) 48, S. 42 f. 2nd 7-Year Plan Results by 1986 3rd 7-Year Plan Goals (1987-1993)
Tabelle 2: Long-Term Economic Goals Compared
Quelle: North Korea Quarterly, (1987) 48, S. 42 f. 2nd 7-Year Plan Results by 1986 3rd 7-Year Plan Goals (1987-1993)
Der Aufbau einer unabhängigen Volkswirtschaft bildet die ökonomische Grundlage des Dschutsche. Die koreanischen Kommunisten betrachten sie als eine unerläßliche Voraussetzung für die politische Unabhängigkeit. Das Dschutsche untersagt keineswegs die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Diese Zusammenarbeit soll aber nach den Vorstellungen Pyongyangs auf der Basis des gegenseitigen Vorteils und der vollen Gleichberechtigung organisiert sein. Zwar besitzt die DVRK wie Jugoslawien den Status eines RGW-Beobachters; doch eine volle Integration in den sowjetisch beherrschten Wirtschaftsblock im Rahmen einer „sozialistischen Arbeitsteilung“ hat das Land stets abgelehnt.
Die reichen Bodenschatzvorkommen und die gewaltigen Wasserkraftreserven in den nördlichen Gebirgsregionen halfen dem Land nach dem Ende des Koreakrieges beim Aufbau einer eigenen Schwer-und Leichtindustrie Gegen den Willen der Sowjetunion baute Nordkorea eine Maschinen-industrie auf. die nach offiziellen Angaben 98 Prozent des Verbrauchs deckt Traktoren. Busse und Lastwagen stammen fast vollständig aus der nordkoreanischen Produktion.
Auch wenn verschiedene westliche Untersuchungen — mit Recht — die amtlichen, bis in die siebziger Jahre sehr hohen industriellen Wachstumsraten anzweifeln, erscheint der wirtschaftliche
Aufbau Nordkoreas doch bemerkenswert. Nordkorea ist, gemessen an den relativen industriellen Produktionskapazitäten, das am stärksten industrialisierte Land unter den sozialistischen Ländern Asiens.
Das Geheimnis des nordkoreanischen Industrialisierungserfolgs liegt in der einzigartigen Kombination von hohen staatlichen Akkumulationsraten und einer ungewöhnlichen Massenmobilisierung, die in der Chollima-Bewegung zum Ausdruck kommt Die im Vergleich zur Sowjetunion und China stärkere Dezentralisierung der Entscheidungsstrukturen bei gleichzeitiger Zentralisierung des Akkumulationsfonds ermöglichte in der DVRK eine effizientere Nutzung des investierten Kapitals und des „revolutionären Enthusiasmus der Massen“. Die lokalen und regionalen Komitees erfreuen sich einer relativ größeren Mitsprache bei der Gestaltung und Durchführung des staatlichen Plans, ungeachtet der Tatsache, daß ganz Nordkorea kleiner als eine gewöhnliche chinesische Provinz ist. Eine jüngere Untersuchung weist jedoch auf eine zunehmende Bürokratisierung der nordkorea-nischen Massenlinie (in den beiden vergangenen Jahrzehnten) hin Die bürokratischen Aspekte der nordkoreanischen Gesellschaft springen ausländischen Besuchern ins Auge; doch die Bürokratie scheint effizienter als in anderen sozialistischen Entwicklungsländern wie etwa in Vietnam zu sein.Das auf wirtschaftliche Autarkie und nationale Unabhängigkeit abgestellte Industrialisierungsmodell Nordkoreas stößt heute an seine Grenzen. In gewisser Weise sei Nordkorea — so eine britische Studie aus dem Jahre 1984 — Opfer seines einstigen Erfolgsrezepts. „Despite efforts to modernise technology, North Korean industry looks increasingly old fashioned as the rest of the region enters the electronics age.“
Im September 1984 verabschiedete die Oberste Volksversammlung der DVRK ein Joint-Venture-Gesetz. das die Modalitäten für die Schaffung gemeinsamer Unternehmen mit ausländischen Investoren regelt Der Einfluß der chinesischen Wirtschaftsreformen auf die vorsichtige Öffnung der DVRK ist unübersehbar; denn nur wenige Monate vor Verabschiedung des Gesetzes hatte der nordkoreanische Vizepremier und Wirtschaftsfachmann Kong Jint’ae Chinas ökonomische Sonderzone Shenzhan in der Nähe Hongkongs besucht.
Im Rahmen des nordkoreanischen Joint-Venture-Gesetzes soll westliche, vor allem westeuropäische und japanische Spitzentechnologie, die die Koreaner kurz-und mittelfristig nicht aus eigenen Anstrengungen heraus entwickeln können, für eine grundlegende Modernisierung der einheimischen Industrie verwendet werden.
Während eines Besuchs in der DVRK im Frühjahr 1985 befragte der Verfasser den Vizepräsidenten des Außenhandelskomitees, Li Cholsu, mit welchen Ländern die DVRK gemeinsame Unternehmen betreiben wolle. Li führte aus, vorrangig sei an westeuropäische Firmen gedacht, jedoch seien auch Investitionen von in Japan oder den USA lebenden Koreanern wünschenswert.
Nach dem Abzug einer Steuer von 25 Prozent des Nettoerlöses wird der Gewinn entsprechend den Kapitalanteilen der Partner aufgeteilt. Die Gewinne können auch vollständig in das Ausland transferiert werden. Die genauen Vertragsbestimmungen müßten von den Partnern ausgehandelt werden. Das Gesetz stecke lediglich den groben Rahmen ab. Eine Beteiligung ausländischer Unternehmen am Bodenkauf sei ebenso wie ein ausländischer Kapitalanteil von 100 Prozent nicht vorgesehen
Vier Jahre nach seiner Verabschiedung hat das nordkoreanische Joint-Venture-Gesetz nur wenige westliche Firmen anlocken können. Die meisten Investoren sind in Japan lebende koreanische Geschäftsleute, die der einflußreichen pronordkoreanischen Organisation „Chongryon“ nahestehen. Der große Durchbruch nach Westeuropa und Japan wird durch widersprüchliche Signale erschwert, die Pyongyang auf wirtschaftspolitischem Gebiet nach außen sendet.
Offenbar bestehen in der nordkoreanischen Führung unterschiedliche Ansichten über die künftige Wirtschaftspolitik. Soll westlicher Technologieimport in größerem Umfange betrieben werden? Dieser Weg setzt letztlich eine stärkere Förderung der exportorientierten Industrien und eine Revision der bisherigen autozentrierten, auf den einheimischen Markt fixierten Wirtschaftspolitik voraus. Oder soll die ökonomische Wende auf „Sparflamme“ betrieben werden? Dann wären westliche Investoren nur sehr begrenzt bereit, sich auf den nordkoreanischen Markt einzulassen, zumal die DVRK international als wenig kreditwürdig gilt
Kim II Sung scheint eher zu den „Bremsern“ zu zählen. In einem im Sommer 1985 veröffentlichten Interview mit der japanischen Zeitschrift „Sekai“ sprach sich Kim II Sung jedenfalls unmißverständlich gegen eine zu starke Inanspruchnahme ausländischen Kapitals bei der weiteren Modernisierung der Volkswirtschaft aus
Ein Ausweg aus der ökonomischen Stagnation, die deutlich mit dem Wachstum der siebziger Jahre kontrastiert, erscheint nicht in Sicht. Keines der Ziele des zweiten Sieben-Jahres-Plans (1978— 1984) wurde erreicht. Eine zweijährige Berichtigungsphase mußte eingeschoben werden, bevor die Oberste Volksversammlung der DVRK im April 1987 den dritten Sieben-Jahres-Plan (1987— 1993) verkünden konnte. Dieser Plan bleibt weit hinter den Zielen zurück, die Ende der siebziger Jahre im Rahmen eines ehrgeizigen zehnjährigen Entwicklungsplans (1980— 1989) formuliert worden waren. Trotz der relativ fortgeschrittenen Industrialisierung spielt das nordkoreanische Dorf eine wichtige Rolle; denn zwei Fünftel der Bevölkerung leben noch auf dem Lande. Vor 1945 wegen der gebirgi- gen Oberflächenstruktur und ungünstiger klimatischer Bedingungen (extremer Temperaturschwankungen) ein Agrardefizitgebiet, erzielte der Norden Koreas laut US-CIA im Jahre 1976 nahezu die Selbstversorgung mit Getreide -Genaue Angaben über die Entwicklung der Agrarproduktion werden durch die Selektion von Produktionsstatistiken erschwert. Für das Jahr 1982 meldete die nord-koreanische Regierung eine Ernte von 9, 5 Mio. Tonnen, für 1984 die bisherige Rekordernte von 10 Mio. Tonnen. Südkoreanische Quellen (Seouler Regierung, KCIA) schätzen den Ernteertrag Nordkoreas für 1981 jedoch nur auf knapp über 5 Mio. Tonnen Die Diskrepanz in den Zahlenangaben mag teilweise in der unterschiedlichen Zählweise (Paddy-versus Reisproduktion) begründet sein. Aufgrund der weit fortgeschrittenen Mechanisierung und Chemisierung der Landwirtschaft sowie eines gut ausgebauten Bewässerungssystems tendiert die FAQ zu höheren Produktionszahlen (8, 8 Mio. Tonnen für 1982)
Um nicht nur die erreichte Selbstversorgung für eine wachsende Bevölkerung (jährlicher Geburtenüberschuß: circa 2, 4 Prozent), sondern auch eine substantielle Erhöhung der Agrarexporte zu erreichen, soll durch ein ehrgeiziges Eindeichungsprogramm am Westmeer bis Ende der achtziger Jahre die derzeitige landwirtschaftliche Nutzfläche von 2, 3 Mio. ha um 300 000 ha Marschland erhöht werden; weitere 200 000 ha Neuland sollen durch Terrassierungen im Landesinnern gewonnen werden. Im Jahre 1990 soll dem staatlichen Entwicklungsplan zufolge die Getreideproduktion die Marke von 15 Mio. Tonnen überschreiten Die Nordkoreaner werden dieses Produktionsziel voraussichtlich nicht erreichen, zumal das Eindeichungsprogramm langsamer als geplant voranschreitet. Da substantielle Steigerungen der Hektarerträge selbst bei weiterer landwirtschaftlicher Mechanisierung und Chemisierung nicht zu erwarten sind und Terrassierungen der Berghänge nur noch in bescheidenem Umfang möglich sind, dürfte die Getreideproduktion in wesentlich bescheidenerem Umfange als geplant steigen. Die nordkoreanische Landwirtschaft muß ihren Tribut an eine karge Umwelt entrichten, die den Norden der koreanischen Halbinsel zu einem chronischen Getreidedefizitgebiet machte. Unter diesen Umständen ist der in der DVRK erreichte Grad der Selbstversorgung als beachtlich einzuschätzen.
Der bemerkenswerte Ausbau der nordkoreanischen Landwirtschaft verwundert umso mehr angesichts ihrer vollständigen Kollektivierung, die wenig Spielraum für die bäuerliche Privatinitiative läßt. Jeder Bauernfamilie stehen lediglich 30 pyong (= 100 m 2) privat genutztes Gartenland zur Verfügung. Es sind im wesentlichen drei Gründe für dieses vermeintliche Paradoxon anzuführen: 1. Eine schrittweise Verringerung des Stadt-Land-Gefälles wurde durch eine systematische infrastruktureile Erschließung der ländlichen Gebiete erreicht, so daß der wirtschaftliche Fortschritt nicht nur den Städtern zugute kommt, sondern auch den Bauern spürbare Vorteile verschafft 2. Gemäß der sogenannten „Chongsanri-Agrarmethode“ werden viele Fragen der landwirtschaftlichen Organisation und Produktion nicht pyong (= 100 m 2) privat genutztes Gartenland zur Verfügung. Es sind im wesentlichen drei Gründe für dieses vermeintliche Paradoxon anzuführen: 1. Eine schrittweise Verringerung des Stadt-Land-Gefälles wurde durch eine systematische infrastruktureile Erschließung der ländlichen Gebiete erreicht, so daß der wirtschaftliche Fortschritt nicht nur den Städtern zugute kommt, sondern auch den Bauern spürbare Vorteile verschafft 25). 2. Gemäß der sogenannten „Chongsanri-Agrarmethode“ werden viele Fragen der landwirtschaftlichen Organisation und Produktion nicht zentral, sondern dezentral in den Kreisen und Kooperativen entschieden. Das Moment der stillschweigenden bäuerlichen Sabotage fehlt auf diese Weise weitgehend (im Unterschied zur Sowjetunion) 26). 3. Anders als die unüberschaubaren chinesischen Volkskommunen orientierten sich die 1958 gegründeten koreanischen Kooperativen an den gewachsenen Dorfeinheiten (ri). Die Militarisierung des dörflichen Lebens (wie in China während des „Großen Sprungs nach vorn" und im Kambodscha der „Roten Khmer“) mit ihren großen Gemeinschaftsunterkünften und Eßsälen blieb in Nordkorea unbekannt. Kollektive Aufgaben werden in Nordkorea häufig auf der Basis von Großfamilien organisiert 27).
Ausländische Beobachter empfinden auf ihren von Koreanern sorgfältig betreuten und organisierten Reisen durch das Land (jedoch mit vielen Möglichkeiten der kritischen Beobachtung) den in Nordkorea erreichten Lebensstandard als beachtlich für ein asiatisches Entwicklungsland. Der amerikanische Journahst Harrison Salisbury von der New York Times meinte nach seinem Besuch im Jahre 1972, die Lebensbedingungen seien erheblich besser als in China und mindestens so hoch wie im europäischen Rußland 28).
Subjektive Eindrücke sind häufig nützlicher als Statistiken über das nordkoreanische Nationaleinkommen (oder Bruttosozialprodukt-BSP). Nordkorea-nische Regierungsvertreter gaben dem Verfasser im Frühjahr 1985 das Nationaleinkommen pro Kopf mit mehr als 2 000 US-Dollar an. Diese Zahl wird von den meisten westlichen Experten angezweifelt. Eine westliche Quelle schätzt das Nationaleinkommen pro Kopf auf 1 286 US-Dollar (1981) 29), eine andere auf nur 923 US-Dollar (1983) 30). Die süd-koreanische Regierung nennt lediglich 736 US-Dollar (1982), während sie gleichzeitig für Südkorea eine Zahl von 1 800 US-Dollar angibt -
Verschiedene Umstände erschweren eine Berechnung des BSP. Die DVRK hat seit Mitte der sechziger Jahre — vorgeblich aus Sicherheitsgründen — die Veröffentlichung statistischer Jahrbücher eingestellt. Die nordkoreanische Zählweise orientiert sich am gesamten Geldwert der im agrarischen und industriellen Sektor erwirtschafteten Güter (einschließlich der geleisteten technischen Dienste). Das kann in doppelter Weise zu groben Verzerrungen führen: 1. Die meisten Dienstleistungen werden nicht mit-gerechnet. Das in Nordkorea gut ausgebaute Netz der staatlichen Sozialeinrichtungen (z. B. das kostenlose Gesundheits-und Bildungswesen) findet kaum Berücksichtigung. 2. Umgekehrt gibt es Doppelzählungen, wenn Halbfertigprodukte in der Statistik als Endprodukte geführt werden.
Ein weiteres Problem betrifft den geeigneten Wechselkurs zwischen der einheimischen Währung, dem Won. und dem amerikanischen Dollar. Da Nordkorea mit verschiedenen Wechselkursen arbeitet, die im Verhältnis von 3: 1 abweichen können, hängt bei der Berechnung des Nationaleinkommens sehr viel von der Wahl des geeigneten Wechselkurses ab Südkoreanische Propagandaquellen wählen offensichtlich den ungünstigsten Kurs. „Recent more scholarly South Korean studies, however, suggest that taking the official rather than the commercial exchange rates may have merit. On this basis, a GNP equivalent of some US-Dollar 30 bn (or per caput, some US-Dollar 1 500) for the mid 1980s may not be inappropriate. A figure of this order of magnitude is accepted by the World Bank.“
Das Nationaleinkommen (pro Kopf) Nordkoreas stagniert Ende der achtziger Jahre wie die gesamte Volkswirtschaft. Gegenüber dem kapitalistischen Südkorea, mit dem Mitte der siebziger Jahre nach US-CIA-Angaben Gleichstand herrschte gerät der Norden immer weiter ins Hintertreffen.
III. Der Personenkult
Nach Auffassung der PdAK ist Nordkoreas Wirtschaftsaufbau untrennbar mit der Person Kim II Sungs verbunden. Die exzessive Verehrung Kim II Sungs kollidiert offenbar mit dem Prinzip des Dschutsche, nach welchem „das schöpferische Potential der Massen zur Umformung von Natur und Gesellschaft“ gefördert werden müsse. Dieser Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer Widerspruch. Der Dschutsche-Ideologie zufolge entwikkeln sich Revolutionen nicht zwangsläufig aus dem Widerspruch zwischen fortgeschrittenen Produktiv-kräften und rückständigen Produktionsverhältnissen. Entscheidende Bedeutung gewinnt vielmehr der menschliche Wille. Von dieser Prämisse leitet sich die nordkoreanische These von der überragenden Rolle der charismatischen Führerpersönlichkeit in der Revolution ab. Diese These spiegelt sowohl die Erfahrungen der internationalen kommunistischen Bewegung als auch die der koreanischen Revolution wider. Die Entwicklung in der Sowjetunion nach Lenins Tod und in der VR China nach dem Ableben Mao Zedongs war den Koreanern eine Warnung, ebenso wie die Geschichte der frühen kommunistischen Bewegung in ihrem eigenen Land.
Die Koreaner argumentieren wie folgt: In den zwanziger und dreißiger Jahren sei die kommunistische Bewegung Koreas in diverse konkurrierende Gruppen und Sekten, die lediglich an einer Anerkennung durch die Komintern, nicht aber an einem wirkungsvoll geführten antijapanischen Befreiungskampf Interesse gehabt hätten, gespalten gewesen. Erst Kim II Sung und seine im mandschurisch-koreanischen Grenzgebiet operierenden Partisanen hätten seit Mitte der dreißiger Jahre diese sektiererischen Tendenzen überwunden und dem koreanischen Volk den Weg zur nationalen und sozialen Befreiung gewiesen. Nach dem Koreakrieg habe Kim II Sung die prochinesischen und prosowjetischen Fraktionen in der PdAK (die sogenannten „Fraktionsmacher“) zerschlagen und die politische Unabhängigkeit der DVRK gesichert Seiner „weitsichtigen und klugen Führung“ verdanke Nordkorea alle Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Die Unbarmherzigkeit der innerparteilichen Säuberungen wird so in der Retrospektive verharmlost und gerechtfertigt. Die nordkoreanische These von der entscheidenden Funktion des charismatischen Führers im revolutionären Prozeß ist in ihrer Stringenz und Verabsolutierung für eine kommunistische Partei einzigartig.
Das Geburtshaus Kim II Sungs in Mangyongdae, einem kleinen Dorf in der Nähe Pyongyangs, dient heute als nationale Pilgerstätte. Das Kim II Sung-Museum von Mangyongdae dokumentiert nicht nur den revolutionären und patriotischen Werdegang des nordkoreanischen Präsidenten, sondern auch den seiner Familie (einschließlich des Urgroßvaters und des Großonkels mütterlicherseits). Der Über-gang vom Personen-zum Familien-/Sippenkult. die Verehrung der „Heiligen Familie“, nimmt deutliche Konturen an.
Der quasi-religiöse Kult um Kim II Sung drängt die Frage auf: Warum entwickelte ausgerechnet Nordkorea einen Personenkult, der alle historischen Vorbilder, wie zum Beispiel die Kulte um Stalin und Mao, weit in den Schatten stellt? Verschiedene Erklärungen können angeführt werden, unter anderem der zu vermutende Narzismus Kims und die konfuzianischen Traditionen Koreas -Keiner dieser Deutungsversuche liefert, für sich allein genommen, eine erschöpfende und befriedigende Antwort, vermag dem komplexen Phänomen des Personenkultes gerecht zu werden.Konfuzianische Wertvorstellungen sind in Korea — im Norden wie im Süden — heute wahrscheinlich in einer reineren, ursprünglicheren Form lebendig als in den anderen drei vom Konfuzianismus geprägten Ländern Ostasiens (China, Japan und Vietnam). Das konfuzianische Weltbild verlangt neben der Güte (Wohlwollen) vor allem Ehrfurcht (Respekt, Loyalität). Im Gegensatz zu den Chinesen stellen die Koreaner Loyalität ganz unbedingt vor Güte gegenüber dem Mitmenschen. Im alten Korea beschränkte sich die Loyalität der Koreaner streng auf einen inneren Kreis, der sich aus der Großfamilie, den engsten Freunden und den Vorgesetzten einschließlich dem König zusammensetzte. Die Verpflichtung zu Verbundenheit und Wohlwollen galt jedoch nicht den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft
Diese traditionelle Art der Loyalität prägt noch heute den Süden Koreas, dem begrenzte Personen-kulte um seine Präsidenten Syngman Rhee (1948— 1960), Park Chung Hee (1962-1979) und Chon Du Hwan (1981— 1987) nicht fremd waren bzw. sind Der große Unterschied zwischen Nord-und Südkorea ist in dem Umstand zu sehen, daß Kim II Sung es im Sinne einer kulturell abgestützten Herrschaftssicherung verstanden hat, die früher auf den engen Kreis der Großfamilie beschränkte Loyalität auf das gesamte Land auszudehnen, ganz Nordkorea als einzige große Sippe zu konstituieren. „Ob erzwungen oder nicht, moralisch befindet sich jeder Nordkoreaner heute im Bereich des inneren Kreises: Loyalität ist für ihn erstes Gebot. Damit kann Kim II Sung seine absolute Staatsführung auf intuitive Werte abstützen, die in der ostasiatischen Region seit überzweitausend Jahren Gültigkeit haben, im Kerngehalt wenig verändert, trotz Abschwächung, Aushöhlung, Pervertierung in manchen Epochen.“
Die konfuzianischen Traditionen erleichtern zweifellos die offensichtliche Akzeptanz des Personen-kultes in der nordkoreanischen Bevölkerung. Der Kult verleiht dem Land Stabilität und Kohärenz im Innern und begrenzt Einmischungen von außen. Angesichts des in der kommunistischen Bewegung Koreas berüchtigten und pathologischen „Fraktionismus“ erscheint die uneingeschränkte Herrschaft Kim II Sungs als eine Notwendigkeit für die Verteidigung und die Modernisierung des nordkoreanischen Staates.
Die Nordkoreaner sehen ihr kleines Land von feindlichen oder potentiell gefährlichen Nachbarn umringt; sie fühlen sich vor allem von der „amerikanisch besetzten Neokolonie Südkorea“, die jede Unruhe und Instabilität im Norden für ihre finsteren Pläne ausnutzen würde, bedroht. Der Personenkult wie der „monolithische“ Charakter von Partei und Gesellschaft fügen sich in diese Belagerungsmentalität ein. Die Geschlossenheit des Volkes, die Gleichgerichtetheit seines Denkens genießen in den Augen der nordkoreanischen Führung die allerhöchste Priorität. In diesem Sinne ist Nordkorea ein totalitärer Staat par excellence. Die vielleicht am dichtesten organisierte Gesellschaft der Welt duldet keine Abweichung. Zwar sind neben der Partei der Arbeit Koreas in der Obersten Volksversammlung in Pyongyang noch zwei „bürgerliche“ Parteien vertreten, die Koreanische Sozialdemokratische Partei (die Vertretung der Christen sowie der ehemaligen Kleinunternehmer und Kaufleute) und die Chondogyo Chongu-dang (die Vertretung bäuerlicher Anhänger der koreanisch-nationalistischen Chondogyo-Religion); aber diese Parteien akzeptieren bedingungslos die „führende Rolle der PdAK“ und Kim II Sungs. Nordkorea meldet für Wahlen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene nicht wie andere sozialistische Länder 99prozentige, sondern lOOprozentige Ergebnisse Bis auf einige Intellektuelle mögen heute sämtliche Schichten der nordkoreanischen Bevölkerung den Kult um Kim II Sung wenn auch nicht unbedingt verinnerlicht, so doch akzeptiert haben. Für Widerstand der Bevölkerung und staatliche Repression scheint es keine Anzeichen zu geben. Die soziale Selbstkontrolle ist offensichtlich lückenlos, die Loyalität des Volkes noch ungebrochen. „They will work for the regime in peace and fight for it in war“ so bemerkten die Politologen Robert A. Scalapino und Chong-Sik Lee im Jahre 1972. Dem in der Tradition der Aufklärung stehenden Sozialisten wird der nordkoreanische Personenkult rückständig und irrational erscheinen müssen; aus seiner Sicht behindert er jegliche emanzipatorischen Triebkräfte einer sozialistischen Gesellschaft.
Die Bemerkung des Parteiorgans „Rodong Sinmun“ aus dem Jahre 1975, Kim II Sungs „tactics and strategy amaze even God“ dürfte ebensowenig wie das fast vollständige Fehlen marxistischer Literatur in nordkoreanischen Buchläden (Schriften Kim II Sungs, aber keine Werke von Marx, Engels, Lenin und Mao sind hier erhältlich) vom Standpunkt des aufklärerischen Sozialismus aus akzepta-bei sein. Auch Berichte, wonach die Lektüre von Engels Schrift „Anti-Dühring“ als ein schwerer Verstoß geahndet werde würden — falls sie zu-treffen — das Bild von der undialektischen, idealistischen Denkweise der nordkoreanischen Kommunisten vervollständigen.
IV. Die Nachfolgefrage
Seit Beginn der achtziger Jahre wird der Kult um Kim II Sung auch auf dessen ältesten Sohn Kim Dschong II übertragen, der den Titel „geliebter Führer“ (chinnaehan chidoja) trägt. Mitte der siebziger Jahre tauchten die ersten Gerüchte über eine mögliche Nachfolge Kim Dschong Ils auf. Bereits im Sommer 1975 berichteten Funktionäre der pronordkoreanischen „Generalvereinigung der Koreaner in Japan“ (Chongryon) nach einem Besuch in der DVRK, daß der damals 35jährige Kim Dschong II wichtige Positionen im nordkoreanischen Regime ausübe: als Parteisekretär, Mitglied der Propagandaabteilung der PdAK und möglicherweise als Kandidat des Politbüros. Seit 1975 bezeichneten die nordkoreanischen Massenmedien Kim Dschong II euphemistisch als „Parteizentrum“ (tang chungang)
Nur wenige und widersprüchliche Informationen existieren über den persönlichen und politischen Werdegang des jüngeren Kim. Die in Südkorea verbreitete Meldung, Kim Dschong II habe 1959 an der Luftwaffenakademie der DDR studiert wurden von nordkoreanischer Seite nicht bestätigt. Südkoreanische Quellen behaupten ferner, Kim Dschong II habe seit 1973 durch . die persönliche Leitung der aus Jugendlichen und Studenten gebildeten „Drei-Revolutionen-Teams“ eine starke innerparteiliche Hausmacht aufbauen können
Für den Zwischenfall in Panmunjom am 18. August 1976, als zwei amerikanische Soldaten mit Äxten erschlagen worden waren, sei der Sohn Kim II Sungs verantwortlich gewesen, weswegen er für einige Jahre wieder in den politischen Hintergrund treten mußte Auch dieses Gerücht findet keine Bestätigung von nordkoreanischer Seite.
Auf dem sechsten Parteitag der PdAK im Oktober 1980 erschien Kim Dschong II jedenfalls an der Spitze der Partei. Als Mitglied des damals fünfköpfigen Präsidiums des Politbüros der PdAK und als hervorgehobener Parteisekretär leitet Kim Dschong II seither alle wichtigen Staatsaufgaben, während Kim II Sung sich zunehmend auf seine repräsentativen Pflichten konzentriert. Die Nordkoreaner betonen, Kim Dschong II habe sich in langen Prüfungen als der beste und geeignetste Kandidat erwiesen, der alle Kriterien für die Fähigkeit zur Nachfolge erfülle. Die Verwandschaft mit Kim II Sung habe für seine Wahl nicht den Ausschlag gegeben
Andererseits erinnert die Nachfolge Kim Dschong Ils an historische Vorgänger aus der konfuzianischen Yi-Dynastie Koreas (1392— 1910). Der Thronfolger wurde im voraus unter den Söhnen des Herrschers ausgewählt. In den meisten Fällen war es der älteste Sohn, der seine „grenzenlose Loyalität“ zum König, d. h. zu seinem Vater, zu demonstrieren hatte Dem konfuzianischen Herrscherideal entsprechend, baut die nordkorea-nische Propaganda den jungen Kim systematisch zum „Genie der Revolution und des Aufbaus“, zum „fürsorgenden Lehrmeister des koreanischen Volkes“ mit „edlen Charakterzügen und Tugenden“ auf Die südkoreanische und pro-südkoreanische Propaganda kritisiert im Rahmen ihres „Negativkultes" nicht die Nachfolge; sie verurteilt vielmehr die vermeintlichen Charakterschwächen des „Autonarren“ und „Frauenwüstlings“ Kim Dschong II
Die „dynastische Erbfolge“ in der DVRK ist einzigartig für ein sozialistisches Land, jedoch im Kontext der asiatischen — zumal der vom Konfuzianismus geprägten ostasiatischen — ’ Gesellschaften nicht außergewöhnlich. In Taiwan folgte Chiang Chingkuo seinem Vater Chiang Kai-shek im Amt des Präsidenten nach. In Singapur wird offenbar der älteste Sohn des Ministerpräsidenten Lee Kuan Yew, Brigadegeneral Lee Hsien Yew, zum Nachfolger aufgebaut Im parlamentarisch-demokratischen In-dien regiert die Nehru-Familie inzwischen in der dritten Generation.
Dem Verfasser scheint das Hauptproblem weniger die nordkoreanische Nachfolge als solche zu sein, denn ihre politischen Implikationen. Mit dem Aufstieg Kim Dschong Ils zum einzig möglichen Nachfolger auf dem sechsten Parteitag im Oktober 1980 vollzog sich ein Generationswechsel in der Partei-spitze. Unter den 34 Mitgliedern des Politbüros waren 24 Neulinge, und nur 13 der 50 höchsten Parteikader stammten noch aus der revolutionären Partisanenbewegung Kim II Sungs Die Verjüngung der Parteihierarchie, die sich weiter fortsetzt, stärkt den innerparteilichen Einfluß Kim Dschong Ils und schwächt die Position einiger älterer Parteifunktionäre, die sich angeblich um Kim II Sungs zweite Frau, Kim Song Ae, scharen sollen. Die Festigkeit der Position Kim Dschong Ils ist insbesondere unter südkoreanischen Experten umstritten. Da die internen Machtstrukturen der nord-koreanischen Führung weitgehend im Verborgenen bleiben, sind verschiedenen Spekulationen die Tore geöffnet. Im wesentlichen können wir aber zwei gegensätzliche Denkschulen unterscheiden.
Erstens: Kim Dschong Ils Einfluß würde ohne die gottähnliche Stellung seines Vaters rasch schwinden. Außerdem ist Kim Dschong II durch seinen politischen Dogmatismus, seinen ausschweifenden Lebensstil und nicht zuletzt durch seine Terror-Eskapaden diskreditiert. Sowohl das Attentat von Rangun (1983), dem die halbe Seouler Regierungsmannschaft zum Opfer fiel, als auch das Verschwinden der südkoreanischen KAL-Boeing werden ihm persönlich angelastet
Zweitens: Kim Dschong II ist ein Pragmatiker. Die Wirtschaftsreformen, so halbherzig sie auch sein mögen, tragen seine Handschrift. Die Verantwortung für die beiden Terrorakte ist ihm nicht nachzuweisen. Kim Dschong Ils Position in Partei und Staat gründet sich nicht nur auf die Autorität seines Vaters, sondern auf eine eigene, ihm ergebene Gefolgschaft. Die Mehrheit der politischen Entscheidungsträgerkann eine langjährige enge Zusammenarbeit mit Kim Dschong II vorweisen, die wie beim heutigen Ministerpräsidenten Yi Gunmo häufig bis in die sechziger Jahre zurückreicht
Keine der beiden Denkschulen kann wirklich schlüssige Belege für ihre Positionen vorlegen. Die mysteriöse Affaire um die „Ermordung“ Kim II Sungs, die im November 1986 sensationelle Schlagzeilen machte, entpuppte sich wenig später als eine Falschmeldung. Bis heute ist umstritten, ob eine großangelegte Verschwörung gegen Kim II Sung stattfand, deren erfolgreiches Gelingen von nord-koreanischen Lautsprechern voreilig in den feindlichen Süden gemeldet wurde. Die südkoreanische Regierung vertrat diese Auffassung und witterte die Verschwörer in „prochinesischen“ nordkoreanischen Offizierskreisen, die gegen Kim II Sungs Diktatur und den „prosowjetischen“ Kurs Kim Dschong Ils rebellierten.
Gegen diese These spricht nicht nur das Fehlen konkreter Beweise, sondern auch der völlig normale Verlauf der Regierungsgeschäfte und des Alltagslebens in Pyongyang unmittelbar nach dem „Coup d’Etat“. Aber auch andere Theorien sind denkbar. Die Falschmeldung könnte eine gezielte Desinformation Nordkoreas gewesen sein, um die Regierung in Seoul bloßzustellen. Oder „übereifrige“ südkoreanische Militärs wollten mit einer fabrizierten Meldung ihre Vorgesetzten in Seoul beeindrucken
V. Die Außenpolitik Nordkoreas
Als Teil einer gespaltenen Nation gewinnen für Nordkorea die auswärtigen Beziehungen eine besondere Bedeutung. Neben der Absicherung der staatlichen Unabhängigkeit sucht Pyongyang auf internationaler Ebene Unterstützung für das eigentliche Hauptziel nationaler koreanischer Politik: für die Wiedervereinigung eines konföderierten Korea. 1. Dreieck Pyongyang-Beijing-Moskau Aufgrund der geostrategischen Lage Koreas sind die VR China und die Sowjetunion nach wie vor die Hauptverbündeten Nordkoreas. Ungefähr die Hälfte des Außenhandels wird mit diesen beiden Ländern abgewickelt. Pyongyang braucht die Unterstützung beider kommunistischer Großmächte in der Auseinandersetzung mit den USA und Südkorea. Die Sowjetunion und China liefern moderne militärische Rüstungsgüter, die die DVRK benötigt, und decken einen beträchtlichen Teil des nord-koreanischen Ölbedarfs. Pyongyang hat sich 1961 durch Freundschaftsverträge sowohl bei Moskau als auch bei Beijing rückversichert. Sieht man von chinesisch-nordkoreanischen Spannungen während des Höhepunktes der „Kulturrevolution“ (1966/1968) ab, als Maos rote Garden die „revisionistische Führungsclique“ um Kim II Sung angriffen verfolgt Pyongyang seit Beginn der siebziger Jahre eine auf Äquidistanz bedachte Politik gegenüber Moskau und Beijing. Doch die nordkoreanische Gleichgewichtspolitik schloß das Ausschlagen des Pendels in die eine oder andere Richtung keineswegs aus. Drei Phasen sind zu unterscheiden.
Erstens: Übergewicht Chinas (1970— 1978). Obwohl die DVRK die Vereinigten Staaten als den Haupt-feind Koreas und der gesamten Menschheit betrachtet, werden der Sowjetunion hegemonistische Tendenzen vorgeworfen. Mitte der siebziger Jahre prägte man in Pyongyang im Zusammenhang mit der sowjetischen Außenpolitik den Begriff „Vormachtstreben“. Im Jahre 1978 steuerte Nordkoreas Kritik an Moskaus Großmachtpolitik einem Höhepunkt zu. Ohne die Sowjetunion namentlich anzugreifen, verurteilte Kim II Sung in seinem Bericht zum 30. Jahrestag der nordkoreanischen Staats-gründung, am 9. September 1978, unverhüllt das Hegemoniestreben Moskaus in der „Dritten Welt“ und stellte es mit den imperialistischen Ambitionen der USA auf eine Stufe
Affinitäten zum Antihegemonismus-Konzept der Chinesen bestanden offensichtlich. Während die Beziehungen Nordkoreas zur Sowjetunion 1977/78 einen Tiefpunkt erreichten, herrschte mit der VR China ein herzliches Einvernehmen. Die Sowjetunion ergriff im eskalierenden kambodschanischvietnamesischen Grenzkonflikt offen die Partei Vietnams; hingegen erklärte Nordkorea ebenso unmißverständlich seine Unterstützung für das Demokratische Kampuchea. Eine Achse Beijing-Phnom Penh-Pyongyang schien im Entstehen
Zweitens. Gleichgewicht (1979— 1984). Im Jahre 1979 begann Nordkorea, sein Unbehagen über das sowjetische Großmachtstreben vorsichtiger als bisher zu artikulieren. Der Terminus „Vormachtstreben“ wurde immer seltener benutzt, während man gleichzeitig die Kritik am „US-Imperialismus“ stärker akzentuierte. Für die neuen Töne Pyongyangs gegenüber Moskau mögen folgende Ereignisse den Ausschlag gegeben haben: 1. die Erklärung Präsident Carters vom Juli 1979, den 1976 angekündigten und 1978 verschobenen Abzug der amerikanischen Bodentruppen aus Südkorea endgültig zu stoppen; 2.der „NATO-Nachrüstungsbeschluß“ vom Dezember 1979, dessen Verwirklichung aus nordkoreanischer Sicht zu einer globalen Überlegenheit der USA gegenüber der Sowjetunion führen mußte; 3. die rasante Annäherung Chinas an die USA und Japan sowie die damit verbundene Gefahr einer Achse Washington-Beijing-Tokyo.
In der seit 1979/80 veränderten Weltlage hält die DVRK Kritik an den Sowjets nicht länger für opportun. Die intensiven Kontakte zur Sowjetunion sollen jedoch die freundschaftlichen Beziehungen mit China nicht gefährden. Nur wenige Tage vor seiner großen Osteuropareise (1. Mai bis 1. Juli 1984), die ihn durch die Sowjetunion und — mit der Ausnahme Albaniens — durch sämtliche europäische sozialistische Länder führte, empfing Kim II Sung in Pyongyang den Generalsekretär der KP Chinas, Hu Yaobang, zu wichtigen Gesprächen. Sowohl Hu Yaobang als auch Konstantin Tschemenko versicherten Kim II Sung der ungebrochenen Unterstützung ihrer Regierungen und Parteien für die friedliche Wiedervereinigung Koreas und den Abzug der amerikanischen Truppen aus Südkorea. Im Gegensatz zum chinesischen Parteichef gab der sowjetische Generalsekretär keine öffentliche Unterstützung für den nordkoreanischen Vorschlag zur Abhaltung von Dreiergesprächen zwischen den USA, der DVRK und der Republik Korea, was man in Seoul aufmerksam registrierte
Nordkorea vermied Anfang der achtziger Jahre Präferenzen für eine der beiden kommunistischen Großmächte. Gleichwohl bezog Nordkorea in einigen regionalen Konflikten, in die sowohl Moskau als auch Beijing verwickelt waren, eindeutige Positionen. 1. Pyongyang verteidigte zwar nicht den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan (Dezember 1979), unterstützte gleichwohl im Gegensatz zu Beijing das „Unabhängigkeitsstreben“ und „den sozialistischen Aufbau“ des Kabuler Regimes 2. Die militärische Besetzung Kambodschas durch Moskaus Alliierten Vietnam (Januar 1979) war hingegen von Nordkorea scharf als eine „Herausforderung für Frieden und Sozialismus“ verurteilt worden, während die nordkoreanischen Massenmedien Chinas „Strafexpedition“ gegen Vietnam (Februar 1979) mit Schweigen übergingen
Drittens: Hinwendung zur Sowjetunion (seit 1985).
Seit 1985 wendet sich Nordkorea stärker der Sowjetunion zu. Für die enger werdende Zusammenarbeit mit Moskau sind vor allem militärische Gründe ausschlaggebend gewesen. Die als Bedrohung wahrgenommene „amerikanisch-südkoreanische Militärallianz", die alljährlich in den entlang der innerkoreanischen Grenze stattfindenden „Team-Spirit-Manövern" ihren Niederschlag findet, motiviert Nordkorea zu verstärkten Waffen-einkäufen in der Sowjetunion. Die Sowjets, nicht die Chinesen, vermögen die hochmodernen Waffen zu liefern, die Nordkorea nicht in Eigenproduktion herstellen kann.
Im Sommer 1985 schickten die Sowjets an Nordkorea 18 moderne MIG-23-Jagdbomber, die ein Gegengewicht zu den amerikanischen F-16-Jagdbombem in Südkorea bilden sollen. Bis Juli 1986 hatten die Nordkoreaner insgesamt 36 MIG 23-Jagdbomber, 30 Sam-3-Raketen und 47 M-2-Hubschrauber erhalten
Ein weiterer Grund für die Annäherung an die Sowjetunion liegt in den chinesischen Avancen an Seoul. China, das noch in den siebziger Jahren „das getarnte Zusammenspiel der sowjetischen (Sozial-) Imperialisten mit der Park Chung-hee-Clique" verdammt hatte knüpfte in den vergangenen Jahren inoffizielle Kontakte zu Seoul. Der geheime Handel zwischen China und Südkorea soll im Jahre 1983 einen Umfang von 136, 8 Mio. US-Dollar erreicht haben Erst nach heftigen Protesten aus Pyongyang wurde er vorübergehend gestoppt, nur um anschließend umso intensiver wieder aufzuleben.
Neben chinesisch-südkoreanischen Sportkontakten gewann im Jahre 1984 eine weitere Kategorie „unpolitischer“ Kontakte an Bedeutung: Der chinesische Ministerpräsident Zhao Ziyang signalisierte die Bereitschaft Chinas, Angehörigen seiner koreanischen Minderheit die Erlaubnis für Verwandtenbesuche in Südkorea oder Japan zu erteilen. Ebenso könnten Südkoreaner möglicherweise Verwandte in China besuchen
Sollten China und die Sowjetunion ihren Konflikt beilegen, hätten sie sich um die außenpolitische Orientierung eines wiedervereinigten Koreas weniger als bisher zu sorgen. Andererseits würden Rücksichtnahmen hinfällig, die beide Großmächte bisher an einer Normalisierung ihrer Beziehungen mit Seoul gehindert haben. 2. Japan und Westeuropa Im Kampf gegen das „Wiederaufleben des japanischen Militarismus" erkennt Nordkorea in der japanischen Linksopposition einen wertvollen Bündnis-partner. Pyongyang würdigt insbesondere die neutralistische Position der Sozialistischen Partei Japans (SPJ). Auch die kleinere buddhistische Komeito genießt das Wohlwollen Pyongyangs, da sie wie die SPJ Sympathien für den nordkoreanischen Wiedervereinigungsgedanken zeigt. Hingegen ist das Verhältnis der PdAK zur Kommunistischen Partei Japans (KPJ) äußerst gespannt. Von den einst engen Parteibeziehungen blieb ein Trümmerhaufen zurück. Die KPJ verurteilte die Festlegung einer 200 Meilen-Seezone durch die DVRK. Im Zusammenhang mit der Aufbringung eines japanischen Fischereischiffes innerhalb der von Nordkorea beanspruchten Hoheitsgewässer entwickelte sich im Spätsommer 1984 eine scharfe Polemik zwischen den Parteiorganen „Rodong Sinmun“ (PdAK) und „Akahata“ (KPJ). Rodong Sinmun bezichtigte Akahata des Zusammenspiels mit der konservativen japanischen Regierung gegen legitime nationale Verteidigungsinteressen der DVRK
Die Verurteilung des „japanischen Militarismus“ hindert die DVRK nicht an einer weiteren Intensivierung ihrer Handelsbeziehungen mit Japan. Die DVRK besitzt ebenfalls ein lebhaftes Interesse an dem Ausbau ihrer Wirtschaftskontakte zu den großen westeuropäischen Industrieländern, insbesondere zu Frankreich und der Bundesrepublik. Der Rahmen hierfür ist eng, bedingt durch das Fehlen diplomatischer Beziehungen beider EG-Länder zur DVRK und durch die intensiven südkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen zu Paris und Bonn. Während die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Nordkoreas mit der Bundesrepublik kurz-und mittelfristig kaum zu erwarten ist, setzte die DVRK nach dem Besuch Mitterands in Pyongyang im Februar 1981 und seiner Wahl zum französischen Staatspräsidenten im Mai 1981 auf Frankreich große Erwartungen. Die Hoffnungen wurden schwer enttäuscht. Als Frankreichs Außenminister Claude Cheysson im August 1982 Seoul besuchte, wurde ihm von südkoreanischen Regierungsvertretern bedeutet, daß Frankreich im Fall einer Anerkennung Nordkorea mit der Suspendierung seiner Wirtschaftsbeziehungen zu Südkorea rechnen müsse.
Frankreich verschob daraufhin die Frage einer diplomatischen Anerkennung. Im Dezember 1984 kam es zu folgendem Kompromiß: Die DVRK durfte in Paris ein Generalkonsulat einrichten, des-sen Angehörigen die gleichen Privilegien wie gewöhnlichen Diplomaten zuteil werden 3. Die Beziehungen zur „Dritten Welt“
Nordkorea bemüht sich intensiv um die Gastgeber-rolle bei internationalen Konferenzen der Blockfreien, auf denen es seine Vorstellungen von Politik, Wirtschaft und Kultur propagieren kann. So fand vom 24. bis 28. September 1983 in Pyongyang die erste Konferenz der Erziehungs-und Kulturminister der blockfreien Länder und anderer „Entwicklungsländer“ statt. Kim II Sung nutzte die Gelegenheit, um im Sinne der Dschutsche-Ideologie den Zusammenhang von Stärkung der Nationalkultur und Aufbau einer unabhängigen Wirtschaft darzulegen
In den vergangenen Jahren betonte die DVRK die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der „Entwicklungsländer“ untereinander („Süd-Süd-Kooperation“) und die Schaffung einer die Bedürfnisse dieser Länder berücksichtigenden neuen Weltwirtschaftsordnung. Im August 1981 organisierte Pyongyang das erste „Symposium of the Non-Aligned and other Developing Countries on Increasing Food and Agricultural Production“, auf dem die Koreaner die Unabhängigkeit in der Lebensmittelversorgung in den Mittelpunkt der Diskussion stellten
Während sämtliche sozialistische Länder exklusive Beziehungen zu Pyongyang unterhalten, die große Mehrheit der westlichen Industrieländer ausschließlich Seoul anerkennen, herrscht in der „Dritten Welt“ eine starke Konkurrenz beider Teile Koreas um die diplomatische Gunst. Regionale Schwerpunkte sind deutlich erkennbar. Während Nordkorea starke Bastionen auf dem afrikanischen Kontinent aufgebaut hat, verfügt Südkorea über größeren Einfluß im Nahen Osten und in Lateinamerika. In Mittelamerika erkennen Nicaragua, Kuba und Guayana die DVRK als den einzigen legitimen Staat auf der koreanischen Halbinsel an und sind ihr durch technische und wirtschaftliche Kooperationsverträge verbunden. Nordkoreas Werben um die bedeutenden lateinamerikanischen Staaten blieb bislang ohne größere Resonanz. Ausnahmen bilden Mexiko, Venezuela, Kolumbien und Argentinien, dessen Position im Malwinenkonflikt die DVRK vorbehaltlos billigte Die Beziehungen zu Chile, das unter der Volksfrontregierung Anfang der siebziger Jahre als erstes südamerikanisches Land die DVRK anerkannte, wurden nach dem Militärputsch im September 1973 abgebrochen. Während der siebziger Jahre entwickelte sich der afrikanische Kontinent zu einem Schwerpunkt der diplomatischen Aktivitäten Nordkoreas. Ideologische Präferenzen sind kaum erkennbar; denn die „sozialistisch orientierten“ Länder Algerien, Benin, Zimbabwe und Mosambik gehören zum engsten Unterstützerkreis Pyongyangs genauso wie die „prowestlich/kapitalistischen“ Länder Ägypten, Togo, Burundi und die Zentralafrikanische Republik. Die DVRK leistet eine nicht unbeträchtliche ökonomische, technische und militärische Hilfe an zahlreiche befreundete afrikanische Länder. Die Hilfe scheint nicht nur von Selbstlosigkeit geprägt zu sein; die Suche nach maximaler internationaler Unterstützung für das eigene Wiedervereinigungskonzept ist offensichtlich eine wichtige Antriebskraft, wie das folgende Beispiel verdeutlichen mag:
Vom 7. bis 13. Mai 1983 besuchte der Premierminister des Königreiches Lesotho, Leabua Jonathan, die DVRK. Während seines Besuches drückte der Gast aus dem südlichen Afrika die uneingeschränkte Unterstützung seiner Regierung für das nordkoreanische Wiedervereinigungskonzept aus.
Ein Abkommen über die wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische Hilfe wurde vereinbart Am 24. Juni 1983 brach das Königreich Lesotho seine diplomatischen Beziehungen zu Südkorea ab. Sämtliche Abkommen mit Seoul wurden gekündigt, die südkoreanischen Staatsangehörigen des Landes verwiesen Ähnliche Schritte hatten das mit dem Freistaat Bayern und der DVRK gleichermaßen gute Beziehungen unterhaltende Togo im September 1974, Sierra Leone im März 1975 und Rwanda im März 1980 vollzogen.
Seit Anfang der achtziger Jahre scheint Seoul den Erosionsprozeß in Afrika gestoppt zu haben. So wurden die Beziehungen zu Lesotho im Jahre 1987 nach einem dortigen Machtwechsel wiederhergestellt. Südkorea gelang sogar ein Einbruch in bisherige nordkoreanische Domänen. Libyen, das mit der DVRK durch einen militärischen Beistandspakt verbündet ist. und die Republik Korea beschlossen bereits im Januar 1981 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf Botschafterebene. Äuch das wie Libyen strikt prosowjetische Äthiopien pflegt Beziehungen sowohl zu Nordkorea als auch zu Südkorea. Im Oktober 1987 erkannte Somalia Südkorea als 128. Staat an und unterhält nunmehr diplomatische Beziehungen zu beiden Koreas. Nordkorea, das nur zu 102 Staaten diplomatische Beziehungen pflegt, ist im internationalen Anerkennungs-Wettstreit gegenüber dem Süden ins Hinter-treffen geraten
Der gegenwärtige Trend in der „Dritten Welt“ hin zu einer Anerkennung beider koreanischer Teilstaaten wird sich fortsetzen, zumal Südkoreas Wirtschaftsbeziehungen mit sozialistischen Ländern im- mer enger geknüpft werden. Der südkoreanische Außenminister Park Soo Gil umschreibt die subtile Strategie seiner Regierung mit den Worten: „We are convinced that the real basis of good friendship must come through economic Cooperation. Politics is only the superstructure.“
Standen dem südkoreanischen Außenministerium bislang 10 Mio. US-Dollar für ausländische Unterstützungsarbeit zur Verfügung, so gründete die Regierung im Jahre 1987 einen „Overseas Cooperation Fund“, den sie zunächst mit 70 Mio. US-Dollar ausstattete. Sein Budget soll in diesem Jahr 120 Mio. betragen und bis 1992 auf 320 Mio. US-Dollar erhöht werden
Diese gewaltigen finanziellen Mittel lassen sich gut nutzen, um die Phalanx der treuen Verbündeten Nordkoreas in der „Dritten Welt“ weiter aufzuweichen. Seit längerem konzentriert Seoul sein Hauptaugenmerk auf die südafrikanischen „Frontstaaten“ Sambia, Mosambik, Tansania, Angola und Zimbabwe, die teilweise seit zwei Jahrzehnten exklusive Beziehungen mit Nordkorea unterhalten.
VI. Schlußbemerkungen
Im Vorfeld der Seouler Olympiade wächst Nordkoreas internationale Isolierung. Kennzeichnend für den schwindenden Rückhalt Pyongyangs selbst unter seinen sozialistischen Verbündeten war deren Haltung in der Olympiafrage. Die Sowjetunion, China und die osteuropäischen Staaten gaben frühzeitig zu verstehen, auch dann nach Seoul zu fahren, wenn Pyongyang an der Ausrichtung der Spiele nicht beteiligt sein würde. Nur Kuba erklärte sich offen mit Pyongyangs solidarisch. Die DVRK muß Ende der achtziger Jahre die Grundlagen ihrer Außenpolitik überdenken. Zwei sehr unterschiedliche Optionen sind denkbar:
1. Nordkorea verstärkt seine militärische, politische und ökonomische Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Aufgrund der Kompatibilität der sowjetischen und der nordkoreanischen Gesellschaftssysteme wäre eine derartige Kooperation sicher nicht unvernünftig. Doch die DVRK würde ihr Selbstverständnis als blockfreies sozialistisches Land verlieren. Dies widerstrebt dem Nationalismus der koreanischen Kommunisten. Angesichts der sich anbahnenden chinesisch-sowjetischen Versöhnung wäre ein Zusammenspiel Pyongyang/Moskau wahrscheinlich der falsche Weg, um Chinas Südkorea-Politik nachhaltig zu stören.
2. Nordkorea öffnet sich westlichen Industrieländern, deren entwickelte Technologien für den notwendigen Entwicklungsschub benötigt werden. Diese Option mag in Nordkorea Befürworter finden und wird sicherlich die Unterstützung Chinas haben. Sie ist ohne eine spürbare Entspannung der innerkoreanischen Beziehungen kaum zu verwirklichen. Bisher stemmt sich die DVRK beharrlich gegen einen Entspannungsprozeß nach „deutschem Vorbild“, der auf der koreanischen Halbinsel den Status quo festschreiben würde und von Nordkorea den Verzicht auf sein Könföderationskonzept (ein Staat — zwei Regierungen — zwei Gesellschaftssysteme) verlangen würde
Volker Grabowsky, Dr. phil., geb. 1959; Studium der Geschichte, Osteuropäischen Geschichte und Mathematik in Kiel; Promotion 1986. Veröffentlichungen u. a.: Die kambodschanische Tragödie: Untersuchung zur Bevölkerungsentwicklung Kampucheas, Münster 1982; Nordkorea: Personenkult im Sozialismus, in: Asien, (1986) 18, S. 56— 80; Zwei-Nationen-Lehre oder Wiedervereinigung?: Die Einstellung der Partei der Arbeit Koreas und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zur nationalen Frage ihrer Länder seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein Vergleich, Bochum 1987.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).