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Die Irisch Republikanische Armee Geschichte, Ziele und Aktivitäten | APuZ 45/1988 | bpb.de

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APuZ 45/1988 Die Bedeutung der ETA für Gesellschaft und Politik im spanischen Baskenland Protestbewegung und Terrorismus in Italien Die Irisch Republikanische Armee Geschichte, Ziele und Aktivitäten

Die Irisch Republikanische Armee Geschichte, Ziele und Aktivitäten

Wulf Friedrich Multhaupt

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die „Irisch Republikanische Armee“ (IRA) hat in diesem Jahr ihre Anschläge auf britische Soldaten und Kasernen in der Bundesrepublik Deutschland verstärkt. Die IRA ist die älteste und gefährlichste Untergrundorganisation Europas. Ihre Geschichte begann im anglo-irischen Krieg von 1919 bis 1921. In dieser Zeit führte sie einen blutigen Guerillakrieg gegen die britische Vorherrschaft in Irland. Nach der Errichtung eines selbständigen irischen Staates im Süden Irlands und dem Anschluß der Nord-provinz an Großbritannien konzentrierte sich die IRA auf die Wiedervereinigung beider Teile der Insel. Um diese zu erreichen, verübte sie Attentate in Nordirland und Großbritannien. 1969 kam es in der IRA zur Spaltung in einen marxistischen offiziellen Teil, der sich für eine politische Lösung des Nordirland-Problems entschied, und in einen provisorischen Teil, der den bewaffneten Kampf fortsetzte und die traditionelle Rolle der IRA übernahm. Ziel der neuen IRA ist der Abzug der Briten aus Nordirland und die Gründung einer gesamtirischen sozialistischen Republik. Um Großbritannien zum Rückzug zu bewegen, führt sie eine terroristische Kampagne. Ihre Anschläge verübt sie auf die britischen Sicherheitskräfte und auf kommerzielle Zentren. 1981 beschloß die junge radikal-sozialistische Führung der IRA. in Irland „mit dem Gewehr in der einen Hand und der Wahlurne in der anderen, die Macht zu ergreifen“. Es zeigt sich, daß die IRA einen Rückhalt in der katholischen Minderheit besitzt und zu einem integrierten Bestandteil der nordirischen Gesellschaft geworden ist.

Wie kommt es, daß sich die Anschläge der „Irisch Republikanischen Armee“ (IRA) auf Angehörige der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten britischen Rheinarmee häufen? Am 1. Mai 1988 wurden von der IRA in den Niederlanden nahe der Grenze zu Nordrhein-Westfalen drei Soldaten der britischen Luftwaffe getötet. Sie alle gehörten zu den in der Bundesrepublik Deutschland liegenden Einheiten. Am 13. Juli 1988 und am 5. August 1988 detonierten auf dem Gelände britischer Kasernen in Duisburg und in Ratingen Sprengkörper der IRA, durch die insgesamt 13 Personen verletzt wurden. Am 12. August 1988 erschoß die IRA in Ostende einen britischen Hauptfeldwebel. Für die IRA stellt gerade die Bundesrepublik ein ideales Operationsfeld dar. Die dort stationierten Briten sind für sie „sehr leichte Ziele“ Insgesamt kam es seit 1978 zu 23 Attentaten der IRA auf die britische Rheinarmee in der Bundesrepublik. Die IRA erklärt, sie werde den Kampf gegen die Engländer über Großbritannien hinaus überall dorthin tragen, wo britische Streitkräfte stehen.

Der eigentliche Schauplatz des Konflikts zwischen der IRA und ihren Gegnern ist jedoch Nordirland. Dieses Gebiet — drei Flugstunden von der Bundesrepublik entfernt — gehört geographisch zur irischen Insel, während es politisch ein Bestandteil des Vereinigten Königreiches ist. Die blutigen Ereignisse dort werden von unseren Medien nur noch in besonders krassen Fällen registriert. In keinem Land Europas sind in den letzten Jahren die politisehen und gesellschaftlichen Gegensätze so stark in Erscheinung getreten wie im Norden Irlands. Bei den Unruhen in Nordirland mit seinen 1, 48 Millionen Einwohnern wurden seit 1970 mehr als 2 600 Personen getötet und über 20 000 Menschen verwundet. Überträgt man die Situation auf die Bundesrepublik Deutschland, müßte man hier entsprechend von Verlusten mit über 106 500 Toten und 824 000 Verletzten in den vergangenen 18 Jahren ausgehen!

Hauptakteurin in diesem blutigen Drama ist die „Irisch Republikanische Armee“ (IRA), die sich selbst als legitime Erbin eines traditionellen Kampfes der Iren gegen die Engländer sieht. Ein Verständnis der IRA, die sich als Hüterin des irischen Erbes versteht, ist daher ohne einen historischen Rückblick auf die anglo-irischen Beziehungen nicht möglich.

I. Historische Hintergründe

Vor über 800 Jahren landete König Heinrich II. von England auf der irischen Insel und unterwarf die einheimischen Stammesfürsten. Eine aktive Kolonialpolitik der Engländer in Irland begann aber erst mit dem Aufstieg der Tudorkönige im Jahre 1485. Die irischen Clanhäuptlinge wurden zu Vasallen des englischen Königs. Das irische Clansystem wurde zerstört und durch das englische Feudalsystem ersetzt. Aus strategischen Gründen und um eine bessere wirtschaftliche Ausbeutung zu gewährleisten, sollte Irland noch enger an das englische Mutterland gebunden werden. Der ethnische und politische Gegensatz zwischen Iren und Engländern wurde verstärkt, als Heinrich VIII. in England 1534 die Reformation einführte, Irland jedoch römisch-katholisch blieb. Unter den Stuarts begann England mit der systematischen Ansiedlung von Protestanten — meist schottischer Herkunft — insbesondere im Norden der irischen Insel. Das Land wurde durch die Vertreibung der irischen Ureinwohner dafür frei gemacht. Immer wieder kam es zu Aufständen der Iren, die von den Engländern blutig unterdrückt wurden. Cromwell z. B.dezimierte die irische Bevölkerung um ein Drittel. Der Grundbesitz der Iren wurde an Engländer verteilt. Viele Iren schlossen sich nun in Geheimbünden zusammen, die zahlreiche Überfälle verübten und den nächsten Aufstand vorbereiteten. Unter dem Einfluß der Ideen der Französischen Revolution gründete Wolfe Tone die Untergrundorganisation der „Vereinten Iren“, die eine von Großbritannien unabhängige irische Republik anstrebte. Ein von ihr 1798 begonnener Aufstand scheiterte jedoch kläglich und führte zur Union Irlands mit Großbritannien.

Der Traum von einem freien Irland blieb jedoch erhalten. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts bildete sich in Irland eine Organisation, die sich „Junges Irland“ nannte. Sie versuchte dieselben Ziele zu verwirklichen wie auf dem Kontinent die Bewegungen „Junges Deutschland“ und „Junges Italien“. Im Jahre 1848 beschlossen die „JungIrländer“ — angespornt von den Revolutionsereignissen auf dem Festland —, nach europäischem Muster gegen die Briten loszuschlagen. Die Erhebung blieb jedoch schon in ihren Anfängen stecken. Irland befand sich nach einer mehrjährigen Hungersnot in einem Erschöpfungszustand, der zu einer allgemeinen politischen Interessenlosigkeit geführt hatte. 1858 wurde in New York und in Dublin die Geheim-gesellschaft „Irish Republican Brotherhood“ (IRB) gegründet. Sie war der direkte Vorläufer der IRA. Die IRB sollte sich zu der bedeutendsten irischen Untergrundorganisation ihrer Zeit entwickeln. Ihre Absicht war die Errichtung einer souveränen irischen Republik. Um diese zu erreichen, wollte die IRB Irland mit Gewalt von der Herrschaft Großbritanniens befreien. Ein 1867 begonnener Aufstand erwies sich als Fehlschlag. Durch ihre Agenten war die britische Polizei gewarnt und konnte die Rebellion ohne große Mühe unterdrücken. Ihr gelang es jedoch nicht, die IRB völlig zu zerschlagen. Ein Teil der Mitglieder tauchte unter und versuchte, indirekt Einfluß auf die irische Politik zu nehmen. So infiltrierte die IRB mit Erfolg die 1905 gegründete nationalistische irische „Sinn Fein“ (Wir selbst) -Partei. Diese setzte sich aus Republikanern und

Anhängern einer gälischen Erneuerung zusammen. Als London für Irland um 1900 die Einführung der Selbstverwaltung („Home Rule“) beschloß, bereiteten sich die Protestanten in Ulster auf einen Aufstand gegen die britische Regierung vor. Sie weigerten sich, in einem mehrheitlich von Katholiken bewohnten irischen Staat zu leben und wollten die Union mit Großbritannien aufrechterhalten. Zur Durchsetzung ihrer Forderung gründeten sie 1913 eine Freiwilligenarmee. Als Reaktion darauf schlossen sich im Süden der irischen Insel katholische Iren zu den „Irish Volunteers“ zusammen, die sich für „Home Rule“ einsetzten. Ein Teil von ihnen wurde von der IRB unterwandert. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges stand Irland vor einem Bürgerkrieg. Der Ausbruch des großen Krieges sorgte für eine Aufschiebung aller Selbstverwaltungspläne für Irland. Für die IRB bot der Weltkrieg nach dem Motto „Englands Verlegenheit ist Irlands Gelegenheit“ die Möglichkeit, erneut eine Erhebung zu versuchen. Eine Schiffsladung mit Waffen aus Deutschland, das man um Hilfe gebeten hatte, wurde jedoch von der britischen Marine abgefangen. Trotzdem beschloß die IRB, den Aufstand zu wagen. Ostern 1916 besetzten 1 500 Rebellen unter der Führung des Dichters Patrick Pearse und des Arbeiterführers James Connolly das Zentrum von Dublin. In einer feierlichen Proklamation wurde Irland zur Republik ausgerufen. Die von der Empörung erhoffte Signalwirkung auf die übrige Insel blieb dagegen aus. Das Ausmaß der Revolte beschränkte sich auf Dublin. Innerhalb einer Woche besiegte die britische Armee die Aufständischen. Die Rädelsführer wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und standrechtlich erschossen. Die übrigen Rebellen erhielten langjährige Haftstrafen.

II. Das Entstehen der Irisch Republikanischen Armee

Der größte Teil der irischen Bevölkerung hatte dem Osteraufstand ablehnend gegenübergestanden. Die Hinrichtung seiner Anführer weckte indessen patriotische Emotionen. Die Erkenntnis, daß die Rebellen tapfer und ehrenhaft gekämpft hatten, bewirkte allmählich einen Umschwung in der öffentlichen Meinung Irlands. Die „Sinn Fein“ -Partei, die selbst nicht unmittelbar an der Erhebung beteiligt war, profitierte von dem aufkommenden Nationalismus in Irland. Bei den Wahlen zum britischen Unterhaus im Jahre 1918 gewann sie 73 der 105 irischen Sitze. Ihre Abgeordneten weigerten sich aber, ihre Plätze im Unterhaus einzunehmen und trafen sich 1919 in Dublin. Die Versammlung gab sich den Namen „Dail Eireann“ und erklärte, das rechtmäßig gewählte Parlament von Irland zu sein. Außerdem wurde die Proklamation der 1916 von den Aufständischen ausgerufenen Republik erneuert. Der „Dail“ bildete eine eigene Regierung und baute neben dem britischen Herrschaftsapparat eine „Gegenverwaltung“ auf. De Valera, der letzte überlebende Kommandant des Osteraufstandes, wurde Präsident und Premierminister. Die Republikaner forderten die irische Bevölkerung erfolgreich dazu auf, die englischen Institutionen zu boykottieren. Diese Situation mußte auf Dauer dazu führen, daß die Regierungsgewalt der Briten ganz offen und mit militärischen Mitteln bekämpft wurde.

Die „Irish Volunteers“ waren nach dem Osteraufstand von 1916 in den Untergrund gegangen. Dort wurden die Freiwilligen unter der Führung von Michael Collins, der gleichzeitig Präsident der IRB war, zu einer schlagkräftigen Guerillaarmee reorganisiert. Da sich die „Volunteers“ der von der „Sinn Fein“ -Partei geschaffenen republikanischen „Regierung“ als bewaffnete Macht zur Verfügung stellten. wurden sie allgemein als die „Irish Republican Army“ (IRA) bekannt. Die IRA war nach militärischem Vorbild in Brigaden gegliedert. Ab Anfang 1919 begann die IRA unter der Leitung von Michael Collins einen Guerillakrieg gegen Großbritannien. Kleine bewegliche Gruppen überfielen irische Polizeistationen und britische Armeeposten. Diese Einheiten griffen überraschend aus dem Hinterhalt an und verschwanden ebenso schnell wieder. Iren, die im Verdacht standen, mit der britischen Verwaltung zu kollaborieren, wurden getötet und britische Agenten erschossen. Durch den gezielten Einsatz von Terror wollte die IRA nicht nur die britische Moral schwächen, sondern auch die irische Zivilbevölkerung davon abhalten, die Sicherheitskräfte der britischen Regierung zu unterstützen. Dieser neuen Taktik stand die irische Polizei hilflos gegenüber. London entsandte daher zu ihrer Verstärkung eine Hilfspolizei, die man aus ehemaligen britischen Soldaten des Ersten Weltkrieges rekrutierte. Diese sogenannten „Black and Tans“ wurden durch ihre Brutalität schnell bei der irischen Bevölkerung verhaßt. Gleichzeitig waren über 40 000 reguläre britische Truppen in Irland stationiert. Die häufige Reaktion des Staates auf die Anschläge der IRA mit blindem und unterschieds-losem Terror erzeugte bei der Mehrheit der Iren immer größere Unterstützung und Sympathie für die IRA und die „Sinn Fein“ -Partei. So gelang es der IRA im Zusammenspiel mit der britischen Regierung. die eigene Organisation mit Nationalismus und Patriotismus zu identifizieren Im Sommer 1921 kam es schließlich zwischen den irischen Rebellen und der britischen Regierung zu Verhandlungen. Am 11. Juli 1921 trat ein von beiden Parteien vereinbarter Waffenstillstand in Kraft. Den Briten war es nicht gelungen, die IRA zu zerschlagen. Die Guerillakämpfer selbst hatten keinen mili-tärischen Sieg errungen, sondern nur eine Niederlage verhindert.

Am 6. Dezember 1921 wurde ein anglo-irischer Vertrag unterzeichnet. In ihm wurde der „Irish Free State“ als ein britisches Dominion begründet, dessen Staatsoberhaupt der englische König blieb. Es war nicht die Republik, für die die IRA und die „Sinn Fein“ -Partei zwei Jahre lang gekämpft hatten. Der größte Teil der nordirischen Gebiete blieb im Vereinigten Königreich. Damit hatten sich die nordirischen Protestanten, die in Ulster 60 Prozent der Bevölkerung gegenüber 40 Prozent an Katholiken ausmachten, durchgesetzt. Von der Bevölkerung des Freistaates Irland waren 94 Prozent katholisch. Nordirland erhielt ein eigenes Parlament und eine eigene Regionalverwaltung. Die protestantische Mehrheit ging dazu über, ihre Macht zu konsolidieren und die katholische Minorität von jeglicher Anteilnahme am politischen Leben auszuschließen. Die Stimmabgabe bei Lokalwahlen wurde von Besitz abhängig gemacht. Da die Katholiken in Nordirland wirtschaftlich unterprivilegiert waren, traf sie diese Maßnahme besonders hart. Außerdem wurden Wahlkreisgrenzen so eingeteilt, daß es zu protestantischen Mehrheiten auch in Gebieten mit überwiegend katholischer Bevölkerung kam: Es wählten z. B. in Londonderry, der zweitgrößten Stadt Nordirlands, 8 000 Protestanten 12 Stadträte, während die Stimmen von 14 000 Katholiken nur für acht Gemeindevertreter ausreichten. Die protestantische Majorität konnte ihre Herrschaft fest in Politik und Verwaltung etablieren. Aber die katholische Minderheit wurde nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich diskriminiert. Noch heute ist die Zahl der arbeitslosen Katholiken in Nordirland doppelt so hoch wie die der Protestanten.

Das irische Volk, das sich nichts sehnlicher wünschte als den Frieden, billigte in seiner Mehrheit das Abkommen. Diese Bestätigung fand auch ihren Ausdruck in den Wahlen, die im Jahre 1922 im Freistaat abgehalten wurden. Die meisten aktiven Einheiten der IRA sowie eine starke Minderheit der irischen Parlamentarier unter der Führung von de Valera lehnten den Kompromiß ab. Für sie war der anglo-irische Vertrag ein Verrat an dem Ideal der irischen Republik, die alle Teile der Insel umfaßte. Daß die Vereinbarung mit Großbritannien von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurde, ließ ihre Gegner unberührt. Die IRA. die zum größten Teil dem Abkommen feindlich gegenüberstand, sah sich in der Rolle einer elitären Minorität. Wenn eine Vielzahl der Iren das historische Endziel, die Republik, vorübergehend aus den Augen verloren hatte, mußte die IRA eben diese Aufgabe übernehmen. Zur Durchsetzung dieser Vision der nationalen Republik Irland war sie bereit, zu den Waffen zu greifen. Während der Debatten im „Dail“ über den Vertrag erklärte eine Abgeordnete ihren Widerstand gegen die Übereinkunft so: „Es war eine Minderheit, die 1916 kämpfte, es ist immer eine Minderheit, die die Seele einer Nation in ihrer Stunde der Not rettet.“ Im selben Zusammenhang begründete de Valera seine Ablehnung der Vereinbarung damit: „Jedesmal, wenn ich wissen wollte, was das irische Volk will, brauchte ich nur mein eigenes Herz zu befragen, und es sagte mir sofort, was das irische Volk wollte.“ Das Selbstverständnis, das aus diesen Gedanken spricht, ist bis auf den heutigen Tag kennzeichnend für die IRA. Die Republikaner weigerten sich, die Legitimität des irischen Freistaates anzuerkennen. Es kam im Juni 1922 zum Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Abkommens mit Großbritannien und seinen Feinden. Die Freistaatregierung stellte in aller Eile mit britischer Hilfe eine eigene Armee auf, die sich bald der IRA überlegen zeigte. Diese wurde gezwungen, sich in die Berge zurückzuziehen und führte von dort aus einen Guerillakrieg. Die irische Regierung ging mit größerer Härte als die Briten gegen die IRA vor: Insgesamt wurden 77 IRA-Männer erschossen und 13 000 Republikaner kamen ins Gefängnis. Obwohl die IRA durch Terroraktionen diese Unterdrückungsmaßnahmen provoziert hatte, gelang es ihr nicht, die Bevölkerung zur Unterstützung der Rebellen zu mobilisieren. Im Mai 1923 war der Bürgerkrieg schließlich beendet. Die IRA war besiegt, aber sie hatte nicht kapituliert. Ihre Waffen hatte sie versteckt und war in den Untergrund gegangen.

Die IRA sah sich nach wie vor als Armee der Republik und als Erbin der IRB-Tradition. Sie behielt ihren Namen bei, ebenso wie sich der politische Flügel der Republikanerweiterhin „Sinn Fein“ (SF) nannte. IRA-Männer unternahmen sporadisch Gewaltaktionen, aber sie spiegelten eher die Enttäuschung des Mißerfolges wieder. 1926 verließ de Valera mit seinen Anhängern SF und gründete eine eigene Partei, die „Fianna Fail", welche sich an den Wahlen zum Parlament des Freistaates beteiligte. Die übriggebliebene „Sinn Fein“ -Gruppe verkümmerte zur völligen Bedeutungslosigkeit und wurde ein Anhängsel der IRA. In den zwanziger und dreißiger Jahren machten radikale Mitglieder der IRA den Versuch, ihre Organisation weiter nach links zu rücken. Diese Bestrebungen hatten keinen Erfolg, weil die Mehrheit in der IRA darin eine Ablenkung von der ausschließlichen Konzentration auf nationalistische Ziele sah. 1932 wurde de Valera zum irischen Premierminister gewählt. Das Verbot der IRA wurde aufgehoben. De Valera hatte die Absicht, eine größtmögliche Unabhängigkeit Irlands von Großbritannien auf demokratische Weise und mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Die IRA blieb jedoch bei ihrer Ablehnung demokratischer Methoden und des Mehrheitsprinzips. Sie setzte die Reihe ihrer Attentate fort. Nachdem im März 1936 ein britischer Admiral von der IRA erschossen worden war, ließ de Valera die Organisation wieder verbieten und ihre Anführer verhaften. Für die IRA war de Valera, der einstige Mitstreiter des Befreiungskampfes und des Bürgerkrieges, zu einem weiteren Kollaborateur der Briten geworden.

Ende der dreißiger Jahre begann die IRA sich auf die fortdauernde Herrschaft Großbritanniens über Ulster zu konzentrieren. Von Januar 1939 bis Anfang 1940 führte die IRA eine Bombenkampagne in England. London reagierte mit Notstandsgesetzen und verschärften Polizeimaßnahmen. Die Täter wurden gefaßt, und die Aktion verlief im Sande. Während des Zweiten Weltkrieges versuchte die IRA, Hilfe vom Deutschen Reich zu erhalten. Die deutsche Abwehr überprüfte die Möglichkeit eines Einsatzes der IRA als Fünfte Kolonne gegen Großbritannien. Ihre nach Irland entsandten Agenten überzeugten sich jedoch schnell von der völligen Unfähigkeit der damaligen IRA. Die Kontakte der IRA zu Deutschland beunruhigten trotzdem die irische Regierung unter Premierminister de Valera. Irland war im Weltkrieg neutral geblieben. De Valera wollte alles vermeiden, was den Alliierten, für die Irland strategisch wichtig war, einen Vorwand gab, den Süden der Insel zu besetzen. Er ließ die IRA unerbittlich verfolgen. Ihre verhafteten Anführer und Mitglieder wurden entweder interniert oder zu Freiheitsstrafen verurteilt. Gegen Ende des Krieges war es de Valera, dem ehemaligen Rebellen gegen Großbritannien und den Freistaat, gelungen, die IRA zu einer führerlosen Organisation zu machen. Praktisch hatte die IRA aufgehört zu existieren. Nach Beendigung des Weltkrieges wurden in Südirland die Gefangenen der IRA allmählich aus den Internierungslagern und Gefängnissen entlassen. Viele ihrer Mitglieder zogen sich desillusioniert ins Privatleben zurück. Der Rest von ihnen fing mit dem Wiederaufbau der IRA an. Ihr Ziel war die Wiedervereinigung beider Teile Irlands und der Abzug Großbritanniens aus Ulster. Deshalb begann die IRA in den Jahren von 1956 bis 1962 diebritischen Sicherheitskräfte in Nordirland anzugreifen. Dieser sogenannte „Grenzfeldzug“ wurde zu einem gänzlichen Mißerfolg. Die Polizei im Norden und im Süden Irlands ging gegen die Angehörigen der IRA vor. De Valera ließ fast die gesamte IRA-Führung verhaften. Wie die IRA erkennen sollte, war auch die katholische Bevölkerung von Ulster nicht mehr bereit, die IRA bedingungslos zu unter-stützen. In Nordirland hatten die Leistungen des britischen Wohlfahrtsstaates den Wunsch der nord-irischen Katholiken nach einem Zusammenschluß mit dem weniger entwickelten Süden erheblich gedämpft. Auch hatte eine Verminderung der interkonfessionellen Spannungen die traditionelle Rolle der IRA als Beschützerin der katholischen Minderheit in Ulster geschwächt.

III. Die Spaltung der IRA

Wieder einmal schien die IRA am Ende zu sein. Wenn sie weiterhin überleben wollte, mußte sie sich reformieren und neue Strategien entwickeln. Auf der Suche nach neuen Wegen geriet die Führung der IRA unter den Einfluß des Marxismus/Leninismus. Sie beschloß, den bewaffneten Kampf aufzugeben und zukünftig die Rolle einer Vorhut der Arbeiterklasse in Irland zu übernehmen. Das nationale Ziel, die Vereinigung beider Teile Irlands, werde dann automatisch auf den Zusammenschluß der Arbeiter Gesamtirlands — unter Leitung der IRA — erfolgen, erwies sich als Irrtum. 1968 brachen in Ulster Unruhen aus. Die katholische Minorität begann, sich gegen die Unterdrükkung durch die protestantische Mehrheit zu wehren. Nach dem Vorbild der Schwarzen in den USA bildete sich eine Bürgerrechtsbewegung, die mehr Rechte für die Katholiken forderte. Um die internationale Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, veranstaltete sie Protestmärsche. Die protestantische Majorität fühlte sich dadurch provoziert. Sie reagierte mit Gegendemonstrationen, die teilweise in blutigen Attacken auf die Bürgerrechtler endeten. Die hauptsächlich aus Protestanten bestehende nordirische Polizei vermochte nicht, die katholische Bevölkerung zu schützen, sondern war selbst partiell an Übergriffen gegen die Minderheit beteiligt. Als im August 1969 die Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken sich zu einem Bürgerkrieg auszuweiten drohten, sandte London britische Truppen nach Ulster, die die Funktionen der Ordnungskräfte übernahmen -Da protestantischer Mob mehrmals katholische Gettos angegriffen und ganze Straßenzüge niedergebrannt hatte, befürchteten ihre Bewohner noch schlimmere Ausschreitungen. Sie forderten daher die IRA auf. ihren Schutz zu übernehmen. Die Führung der IRA lehnte das Ersuchen um Hilfe ab. Für sie konnte der Nordirlandkonflikt nur mit politischen Mitteln gelöst werden. Eine Verteidigung der nordirischen Katholiken gegen die Protestanten hätte der von der IRA angestrebten Solidarität der Arbeiterklasse widersprochen. Diese Haltung stieß bei vielen Mitgliedern der IRA auf Ablehnung. Die Traditionalisten unter ihnen sahen in der neuen ideologischen Ausrichtung eine Aufgabe der republikanischen Prinzipien.

Über die Fragen, ob die IRA ihren gewohnheitsmäßigen Wahlboykott aufgeben und ob sie den Schutz der katholischen Gettos in Ulster übernehmen sollte, kam es Ende 1969 in der IRA zur Spaltung. Der rechte traditionalistische Flügel bildete die „Provisional IRA“ (PIRA). Die linke Mehrheit innerhalb der IRA wurde unter dem Namen „Official IRA“ (OIRA) bekannt. Die OIRA baute ihre sozialistische Strategie weiter aus. Für sie war der natürliche Verbündete der katholischen Arbeiter in Nordirland die protestantische Arbeiterklasse. Die PIRA dagegen wollte die protestantischen Attakken auf die katholische Minderheit abwehren und gleichzeitig durch Terroranschläge die Briten zum Abzug aus Ulster veranlassen. Zwischen den beiden rivalisierenden Gruppen kam es zeitweilig zu blutigen Auseinandersetzungen. 1972 beschloß die OIRA endgültig, auch ihre noch gelegentlich verübten Attentate einzustellen. Als 1982 die „Official Sinn Fein“, der politische Arm der OIRA, ihren Namen in „The Workers’ Party“ umänderte, dokumentierte die OIRA zugleich nach außen hin das Ende ihrer Entwicklung von der nationalistischen Bewegung zur sozialistischen Partei.

Das Ausscheiden der OIRA aus dem nordirischen Konflikt bedeutete, daß die republikanische Tradition des Kampfes gegen Großbritannien alleine von der PIRA fortgesetzt wurde. Damit war die „Provisional IRA“ (PIRA) zur neuen „Irisch Republikanischen Armee“ (IRA) geworden. Der traditionelle Begriff der IRA wurde bald die Bezeichnung für eine moderne, rücksichtslose Untergrundorganisation. Die erste größere bewaffnete Aktion der neuen IRA war die erfolgreiche Verteidigung einer katholischen Enklave in Belfast gegen den Überfall eines protestantischen Mobs im Juni 1970. Als die britische Armee daraufhin die katholischen Gettos nach Waffen durchsuchte, begann die IRA Terror-anschläge auf die Sicherheitskräfte und Bombenattentate in den städtischen Gebieten Nordirlands durchzuführen. Um die IRA zu zerschlagen, ordnete die nordirische Regierung am 9. August 1971 die Internierung ohne Gerichtsverfahren an. 342 katholische Nationalisten wurden verhaftet. Die Führung der IRA war jedoch gewarnt worden und rechtzeitig untergetaucht. Bis zum Ende der Internierung im Dezember 1975 waren über 2 000 Personen in Gewahrsam genommen worden. Die IRA überstand die Festnahmeaktionen ohne größeren Schaden. Sie konnte ihren Terrorfeldzug noch steigern. Da die Internierungspolitik einseitig gegen die Minderheit ausgerichtet war, stiegen in der katholischen Bevölkerung die Sympathien für die IRA. Im Frühjahr 1972 kam es zu einer verstärkten Bombenkampagne der IRA in Belfast. Ihre Ziele waren, Nordirland unregierbar zu machen und für Großbritannien die Kosten seiner Verbindung mit Ulster ins Unerträgliche hochzuschrauben. Die Regierung von Nordirland war nicht mehr Herr der Lage. London hob daraufhin die Selbstverwaltung Ulsters auf und führte eine Direktregierung der Provinz ein. Nach 51 Jahren hatte die IRA das protestantische Parlament von Nordirland und seine Regierung durch ihre Aktionen zu Fall gebracht

Großbritannien setzte die Reformpolitik der letzten nordirischen Provinzregierungen fort und bemühte sich, die Diskriminierung der katholischen Minderheit weiter abzubauen. Im Juni 1972 verkündete die IRA einen Waffenstillstand. Führer der IRA trafen sich zu Verhandlungen mit dem britischen Minister Whitelaw. Diese brachten indessen kein Ergebnis und die IRA setzte die Serie ihrer Anschläge fort.

Im Dezember 1973 berief der britische Premierminister Heath eine Konferenz von Delegierten der Republik Irland, Großbritanniens und von Vertretern aus Ulster in Sunningdale ein. In einem Abkommen wurde die Einsetzung eines gesamtirischen Rates, in dem beide Teile Irlands Zusammenarbeiten sollten, beschlossen. Ferner sollte die katholische Minorität an der politischen Macht in Ulster beteiligt werden. Die Mehrheit der nordirischen Protestanten sah in der Vereinbarung den ersten Schritt zur Integration Nordirlands in einen gesamtirischen Staat und lehnte sie ab. Mit einem Generalstreik, der das gesamte Leben in der Provinz lahmlegte, zwangen sie London, die Zugeständnisse zu widerrufen. Damit scheiterte der erste ernsthafte Versuch, zu einer Lösung des Nordirlandkonflikts zu kommen. Bis 1985 sollten sich alle weiteren Nordirland-Initiativen als Fehlschläge erweisen. Die IRA fühlte sich in ihrem Kampf gegen die Briten und die nordirischen Protestanten weiterhin bestätigt und führte ihre terroristischen Aktionen fort. Im Jahre 1981 gelang es ihr, durch einen Hungerstreik der Gefangenen der IRA große Teile der katholischen Bevölkerung zu mobilisieren. Einer der Hungerstreiker wurde als Abgeordneter ins Unterhaus nach London gewählt. Nach dieser Zustimmung beschloß die IRA, die Auseinandersetzung auch auf die politische Ebene zu tragen. Die IRA-Partei „Sinn Fein“ (SF) vereinbarte auf ihrer Jahresversammlung von 1981, die Macht in Irland „mit dem Gewehr in der einen Hand und der Wahlurne in der anderen“ zu ergreifen. Ihre Teilnahme an Wahlen brachte einen überraschenden Erfolg für die SF: Der politische Flügel der IRA erhält in Nordirland seit 1982 einen konstanten Anteil von elf bis 13 Prozent der Stimmen, das sind 40 Prozent der katholischen Minderheit. Damit ist die Behauptung widerlegt, die IRA verkörpere nur eine verschwindend kleine Gruppe von Terroristen-Der IRA ist es gelungen, sich fest in Teilen der katholischen Gemeinschaft von Ulster zu verankern.

IV. Die Ideologie der IRA

Die heutige IRA hat eine erstaunliche ideologische Entwicklung durchgemacht. Die neue IRA war gerade deshalb gegründet worden, weil ihre traditionalistisch eingestellten Mitglieder das marxistische Ideengut, das in die IRA eingedrungen war, und den aus ihm entspringenden Verzicht auf Gewalt ablehnten. Für sie besaß nach wie vor die alte IRA-Philosophie eines irischen Nationalismus und Republikanismus ihre Gültigkeit. Die neue IRA sah sich als wahre Nachkommenschaft einer ungebrochenen Überlieferung des irischen Widerstandes gegen Großbritannien. Sie betrachtete sich als legitime Erbin der während des Osteraufstandes von 1916 ausgerufenen Republik. Daher waren die politischen Institutionen sowohl im Norden wie auch im Süden Irlands für die IRA illegal. Folgerichtig weigerten sich gewählte Republikaner, ihre Sitze in den Parlamenten einzunehmen (abstentionism). Als wirtschaftliches Programm vertraten die traditionalistischen IRA-Mitglieder einen Sozialismus auf genossenschaftlicher Grundlage

Aber gegen Ausgang der siebziger Jahre zeichnete sich auch in der neuen IRA eine Entwicklung nach links ab. Beeinflußt wurde sie von nordirischen Angehörigen der IRA. welche sich Gedanken über die soziale Lage der Katholiken in den nordirischen Gettos machten. Zu dieser Zeit ging die Leitung der IRA in die Hände von Nordiren über. Auf dem Parteitag der „Sinn Fein“ von 1983 übernahm dann eine junge radikal-sozialistische Mannschaft aus Nordirland auch die Führung des politischen Armes der IRA.

Die IRA hat sich zum Ziel ein vereinigtes, republikanisches und sozialistisches Irland unter ihrer Leitung gesetzt. Verschiedene Äußerungen ihrer Führer haben der IRA den Ruf eingebracht, eine marxistische Organisation zu sein. Fest steht jedenfalls, daß sie die marxistischen und sozialistischen Schriften zur Grundlage ihrer politischen Analyse gemacht hat. Was sie allerdings nicht daran hindert, im Gegensatz zur „Official IRA“, den bewaffneten Kampf fortzusetzen. In Großbritannien fürchtet man daher auch, daß bei einer Machtübernahme der IRA in Irland auf der Nachbarinsel ein „neues Kuba“ entstehen würde. Zu den Forderungen der IRA gehört auch der Austritt aus den ihr verhaßten „Instrumenten des Imperialismus“: EG und NATO. Ein Verlust des strategisch wichtigen nord-irischen Territoriums an die IRA wäre somit auch ein großer Schaden für das westliche Bündnis.

V. Die Organisation der IRA

Die IRA ist — im Gegensatz zu ihrem politischen Flügel „Sinn Fein“ — eine in beiden Teilen Irlands verbotene Untergrundorganisation. Ihr unterstes Repräsentativorgan ist die „General Army Convention“, in welche die verschiedenen Einheiten der IRA ihre Vertreter schicken. In der Praxis ist die „Allgemeine Armee-Versammlung“ indessen ziemlich funktionslos. Im Oktober 1986 trat sie nach 16 Jahren erstmalig wieder zusammen. Ihr Exekutivkomitee beruft die sieben Mitglieder für den „Army Council“, der an der Spitze der IRA steht. Dieser Armeerat plant und leitet die terroristischen Aktionen. Er bestimmt auch die Besetzung des Generalstabes der IRA, der von einem Stabschef geleitet wird. Ferner gibt es ein „Northern Command“, dem alle Regionen in Ulster und im irischen Grenzgebiet unterstehen. Das „Kommando Nord“ ist für die Terrorkampagne in Nordirland verantwortlich. Ein „Southern Command“ beschafft den Nachschub der IRA über die Republik Irland. Es hat jedoch den strikten Befehl, südirische Sicherheitskräfte nicht anzugreifen.

Traditionell folgte die IRA in ihrem Aufbau dem Beispiel der britischen Armee und gliederte sich in Brigaden und Bataillone. Als ihr aber Mitte der siebziger Jahre durch die steigende Zahl von Verhaftungen eine Niederlage drohte, stellte die IRA fest, daß diese Organisationsform es der Polizei erleichterte, die IRA zu infiltrieren. Sie übernahm daher das Zellensystem von Terrororganisationen, wie z. B.der „Roten-Armee-Fraktion“ (RAF).

Aus Sicherheitsgründen wurde eine Einteilung von kleinen Gruppen, den „active Service units“, aufgebaut. Sie haben bis zu fünf Mitglieder und sind einem örtlichen Kommandanten unterstellt. Jedes Mitglied der IRA kennt so wenig andere Angehörige der IRA wie möglich. Die gesamten mit bewaffneten Operationen beschäftigten Einheiten umfassen nicht mehr als 75 bis 100 Personen. Dazu kommen noch schätzungsweise 200 Freiwillige der IRA, die den Aktivisten ständig logistische und sonstige Unterstützung gewähren.

Die Basis der IRA sind junge Männer und Frauen bis Mitte Zwanzig. Im Vergleich zu anderen, ähnlichen Vereinigungen sind die Mitglieder der IRA keine Intellektuellen. Nach ihrem Selbstverständnis ist die IRA eine Organisation der Arbeiterklasse und bekommt ihre Freiwilligen aus den katholischen Arbeitergettos von Ulster. Angesichts der großen Arbeitslosigkeit in den katholischen Gebieten Nordirlands hat die IRA die Möglichkeit, ihren Nachwuchs sorgfältig auszuwählen. Eine große Rolle für die Mitgliedschaft in der IRA spielt der familiäre Hintergrund. Circa 80 Prozent der Freiwilligen der IRA haben nahe Verwandte in der Bewegung. Neben der nationalistischen irischen Tradition erhöhen drei Punkte die Anziehungskraft der IRA für Jugendliche:

1. Das Ziel der IRA ist einfach und leicht verständlich: die Beseitigung der irischen Teilung.

2. Der Feind der IRA ist leicht erkennbar: die Briten und ihre nordirischen Verbündeten, welche die Grenze zwischen Nord-und Südirland aufrechterhalten. 3. Die IRA gibt die Mittel, für erlittene Demütigungen Rache üben zu können Viele Rekruten der IRA haben seit ihrer frühesten Jugend in den katholischen Gettos nur Gewalt und Haß kennengelernt, Gewalt in den Straßen. Haß gegen alles, was britisch und protestantisch ist.

Die Mitglieder der IRA wissen, daß ihnen die Zugehörigkeit zu der Untergrundorganisation aller Wahrscheinlichkeit nach entweder hohe Gefängnisstrafen oder den Tod einbringen wird. Zwischen 1969 und November 1986 wurden 281 Angehörige der IRA getötet.

VI. Die Taktik der IRA

Die IRA führt ihren Terrorfeldzug. um Großbritannien zum Rückzug aus Nordirland zu bewegen. Die Provinz selbst soll unregierbar werden. Mit hohen Verlusten der britischen Sicherheitskräfte will die IRA den Wunsch der Briten nach ihrem Abzug verstärken. Durch Bombenanschläge soll die internationale Wirtschaft davon abgehalten werden, langfristig in Ulster zu investieren. Die Zahl der Aktionen der IRA hat im vergangenen Jahr zugenommen: 1987 wurden in Nordirland 93 Menschen durch Attentate getötet, 1986 waren es noch 61.

Zu den besonderen Angriffszielen der IRA gehören die nordirischen Sicherheitskräfte. Das sind die Polizei: die „Royal Ulster Constabulary" (RUC) und die nordirische Miliz: das „Ulster Defence Regiment“ (UDR). Beide Einheiten bestehen vorwiegend aus Protestanten. Daher werden die Attacken der IRA auf RUC und UDR von dem protestantischen Bevölkerungsteil Nordirlands oft als sektiererische Angriffe verzeichnet. Häufig bringen dann protestantische Mordkommandos aus Vergeltung schuldlose nordirische Katholiken um. was wieder Aktionen der IRA gegen militante Protestanten hervorruft. Gleichzeitig fällt es einem großen Teil der katholischen Gemeinschaft schwer. RUC und UDR als unparteiische Vertreter einer legitimen Staatsgewalt anzuerkennen. Besonders das UDR wird von katholischer Seite immer wieder in Verbindung mit protestantischen paramilitärischen Terrororganisationen gebracht. Die Verluste von Polizei und Miliz betrugen bis zum Sommer 1987 für die RUC 251 und für das UDR 169 Mann.

Seit August 1969 hat die britische Armee den Auftrag. die nordirischen Ordnungskräfte bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zu unterstützen. Zur Zeit sind in Ulster 10 000 Soldaten stationiert. Die IRA betrachtet die britische Armee als ihr „legitimes“ Ziel. Vorbild für ihre Angriffe sind die britischen Kolonien wie Zypern oder Aden, in denen blutiger Terror aus dem Untergrund zu einem Rückzug der Engländer führte. Nach Auffassung der IRA ist Nordirland die letzte Kolonie Großbritanniens, und die IRA führt einen gerechten Krieg gegen die britische Besatzungsmacht. Bis Ende 1986 starben 386 Soldaten durch Anschläge der IRA. Das sind mehr Gefallene als die Britische Armee im Falklandkrieg zu beklagen hatte.

Seit dem Jahre 1970 begann die IRA mit einer gezielten Bombenkampagne, die Geschäftszentren von Ulster anzugreifen. Die IRA hat dafür zwei Gründe: In erster Linie wird die britische Wirtschaft geschwächt, weil die Regierung in London den Opfern Schadensersatzsummen in Millionenhöhe zahlen muß. Außerdem sind die Sicherheitskräfte so damit beschäftigt, die Straßen zu räumen und die Bomben zu entschärfen, daß sie sich nicht mit aller Kraft auf die IRA konzentrieren können. Ein besonderes Kennzeichen für den Terror in Nordirland ist die Autobombe. Trotz der Vorwarnungen. die die IRA bei ihren Bombenanschlägen gegen kommerzielle Ziele gibt, kommt es häufig zu Toten und Verwundeten unter der nordirischen Zivilbevölkerung. Die IRA hat ihre Aktionen nicht alleine auf Ulster konzentriert, sondern auch in Großbritannien Attentate verübt. Sie registrierte, daß eine Bombe in London hundert Mal mehr Aufmerksamkeit erregt als eine Bombe in Belfast. Die Angriffe auf der britischen Insel sind bewußt auf eine politische Wirkung ausgerichtet. Die öffentliche Meinung und die Politiker in Großbritannien sollen von folgenden Fakten überzeugt werden: Die IRA könne nicht geschlagen werden, die Kosten für das Bleiben der Briten in Ulster seien zu hoch und das irische Volk als Ganzes habe das Recht zur Selbstbestimmung. So zielen eine Reihe von Anschlägen ausdrücklich auf die politische Durchschlagskraft dieser Forderungen. Die IRA tötete verschiedene Persönlichkeiten, die dem öffentlichen Leben des Vereinten Königreiches angehörten. So wurde z. B. 1979 Lord Mountbatten, ein Vetter der britischen Königin und ehemaliger Vizekönig von Indien, von einer Bombe der IRA umgebracht. Für das größte Aufsehen sorgte das versuchte Attentat auf die britische Premierministerin Margaret Thatcher im Oktober 1984 in Brighton während des Parteitages der Konservativen. Einen Monat vorher hatte die IRA in dem von Parteitagsmitgliedern bewohnten Hotel eine mit einem langfristig eingestellten Zeitzünder ausgerüstete Bombe versteckt. Durch ihre Explosion starben fünf Hotelgäste. Die IRA sieht in dem Abkommen von Hillsborough zwischen Großbritannien und der Republik Irland vom November 1985 eine späte Folge dieses Anschlages in Brighton. Es sei bisher immer nur die Gewalt gewesen, die englische Politiker an den Verhandlungstisch gebracht hätte

Aber neben der bewaffneten Propaganda betreibt die IRA eine ausgezeichnete Werbung für sich selbst und ihre Ziele. Im Jahre 1981 traten Gefangene der IRA in den Hungerstreik mit der Absicht, von der britischen Regierung den Status politischer Gefangener zu erhalten. Das wäre einer Legitimation der IRA durch London gleichgekommen. Premierministerin Thatcher weigerte sich, dem Verlangen nachzukommen. Zehn Gefangene hungerten sich zu Tode. Durch die so hervorgerufene internationale Aufmerksamkeit gelang es der IRA, weltweit um Verständnis für ihre Anliegen zu werben. In der irischen Öffentlichkeit weckte der Hungerstreik starke Emotionen. Bobby Sands, der Anführer der Hungerstreiker, wurde ins britische Unterhaus, zwei andere Gefangene wurden ins irische Parlament gewählt. „Sinn Fein“ (SF), die IRA-Partei, gibt eine politische Wochenzeitung, die „An Phoblacht/Republican News“, und verschiedene Zeitschriften heraus. Mit 30 „Advice Centres“ für die Bevölkerung sorgt die SF dafür, daß der politische Arm der IRA auch außerhalb von Wahlkämpfen ständig im Bewußtsein der katholischen Minderheit Nordirlands präsent ist. In diesen Beratungszentren geben arbeitslose Freiwillige Hilfestellung bei den Problemen des täglichen Lebens, wie bei der Ausfüllung von Anträgen auf Sozialhilfe und der Durchführung von Umzügen, Renovierungen und Reparaturen. SF organisiert mit den Anhängern der IRA Demonstrationen gegen die britische Regierung. Beerdigungen — von durch Sicherheitskräfte getöteten Aktivisten der IRA — werden zu Massenveranstaltungen für den bewaffneten Kampf der IRA umfunktioniert. Bei vielen Bewohnern der katholischen Gebiete hat die Propaganda der IRA Erfolg. Das zeigt sich z. B. darin, daß bei den Wahlen zum Unterhaus in London von 1987 Gerry Adams, Präsident der SF, zum zweiten Male als Abgeordneter für Westbelfast in das britische Parlament gewählt wurde.

Der IRA ist es inzwischen gelungen, nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich in Nordirland Fuß zu fassen. Die IRA besitzt ein durchschnittliches Jahreseinkommen von fünf Millionen Pfund. Sie benötigt die Summen zur Finanzierung ihrer terroristischen Aktionen, zur Beschaffung von Waffen und Sprengstoffen, für ihre Propaganda und auch zur Finanzierung der Wahlkämpfe der SF. In den siebziger Jahren hing die IRA noch sehr stark von den Unterstützungsgeldern der Amerikaner irischer Herkunft in den Vereinigten Staaten ab. Inzwischen ist die IRA durch legitime Geschäftstätigkeit, Investitionen, organisiertes und konventionelles Verbrechen so reich geworden, daß sie nicht mehr auf Zuwendungen ausländischer Helfer angewiesen ist Die offenen Unternehmungen der IRA sind Klubs, Geschäfte, zwei Taxiunternehmen in Belfast, Sammlungen, Subskriptionen und finanzielle Hilfe aus dem Ausland. Die illegalen Einnahmequellen der IRA sind Raubüberfälle auf Banken im Norden und im Süden Irlands, Erpressung, Schutz-Rackets, Kidnapping, Steuer-Befreiungsschwindel und illegale Spielautomaten. In Westbelfast hat die IRA das gesamte Baugeschäft unter ihrer Kontrolle. Unternehmen, die dort bauen wollen, zahlen Abgaben an die IRA, um die Sicherheit ihres Personals und ihres Baumaterials zu gewährleisten. Die IRA verdient außerdem am Schmuggel von Waren über die Grenze zwischen der Republik Irland und Ulster. Auch von der Europäischen Gemeinschaft hat die IRA durch Zollmanipulationen landwirtschaftliche Subventionen erhalten.

Ihre Waffen bezieht die IRA aus den Vereinigten Staaten, Libyen und vom schwarzen Markt des internationalen Waffenhandels. Am 28. Januar 1988 fand die irische Polizei in Donegall ein Waffenlager der IRA. Die schweren Maschinengewehre, 100 rumänische Kalaschnikows, 50 kg Plastiksprengstoff und große Vorräte an Munition waren offensichtlich aus Libyen gekommen. Nach Schätzung der Sicherheitskräfte befand sich in diesem Depot etwa ein Drittel von 150 Tonnen Waffen, die in den Jahren 1986 und 1987 nach Irland gelangten. Daß die IRA trotzdem für ihren Bedarf nicht genügend Waffen besitzt, zeigt sich besonders darin, daß eine einzige Waffe häufig für mehrere Aktionen benutzt wird. Ein Beispiel: Am 31. August 1988 wurden an der deutsch-niederländischen Grenze bei Heinsberg zwei mutmaßliche Mitglieder der IRA festgenommen. Ein bei ihnen sichergestelltes Gewehrvom Typ Kalaschnikow (AK 47) konnte als die Tat-waffe identifiziert werden, die am 13. Juli 1988 bei einem Anschlag auf eine Kaserne der britischen Rheinarmee in Duisburg verwendet wurde. Ferner stellte ein waffentechnisches Gutachten fest, daß der Maschinenkarabiner auch am 1. Mai 1988 bei dem Überfall der IRA auf drei britische Soldaten in der niederländischen Stadt Roermondt benutzt wurde. Auf diese Weise fällt es der Polizei leicht, Beweismaterial zusammenzutragen.

VII. Die internationalen Beziehungen der IRA

Hilfe aus dem Ausland bekommt die IRA von den vielen Amerikanern irischer Abstammung in den Vereinigten Staaten. Die Iren in den USA bilden eine eng verbundene ethnische Gruppe. Neben der gemeinsamen gälischen Kultur und der gemeinsamen Religion, vereinigt sie ein gemeinsamer irischer Nationalismus. Daraus haben sich häufig Ressentiments gegenüber Großbritannien entwickelt. Vor diesem Hintergrund gelang es der IRA, sich in Kreisen von Amerikanern irischer Herkunft mit einem volkstümlichen Mythos zu umgeben. So besitzt die IRA in den USA eine eigene Hilfsorganisation mit dem Namen NORAID (Irish Northern Aid). Sie sammelt unter den irischen Amerikanern zum Teil erhebliche Gelder für die IRA. Eine Reihe führender Mitglieder von NORAID ist wegen des Schmuggels von Waffen aus den Vereinigten Staaten nach Irland für die IRA festgenommen worden. Auch sonst verfügt die IRA in den USA über eine Lobby. Viele amerikanische Politiker machen — mit Rücksicht auf ihre irisch/amerikanischen Wähler — einen Unterschied zwischen arabischen Terroristen und Angehörigen der IRA.

Aus der UdSSR hat die IRA unmittelbar keine Unterstützung erhalten. Bekannt wurde nur eine einzige direkte Sendung von Waffen aus dem Ostblock an die IRA. Diese Lieferung aus der Tschechoslowakei wurde im Oktober 1971 in Holland von der Polizei entdeckt. Trotzdem hat die IRA nicht auf Waffen sowjetischer Bauart verzichten müssen. Sie bekam sie aus Libyen und von der PLO. Häufig wird die Ansicht vertreten, daß Mitglieder der IRA in Ausbildungslagem der PLO geschult worden seien. Geht man dem Hintergrund solcher Informationen nach, stößt man meistens auf israelische Quellen. Die britischen Nachrichtendienste behaupten dagegen, sie hätten keinerlei Kenntnisse davon, daß Angehörige der IRA von der PLO ausgebildet worden seien.

Seit 1972 erhält die IRA regelmäßige Hilfe durch Waffen und Geld aus Libyen, dessen Führer Oberst Gadhafi ein geschworener Feind Großbritanniens ist. Anfang 1987 erklärte Gadhafi, daß er seine Unterstützung für die IRA verstärkt habe. Er begründete dies mit der britischen Hilfe bei dem amerikanischen Luftangriff auf Libyen im Frühjahr 1986. Das Verhalten der USA und Großbritanniens rechtfertige terroristische Gegenmaßnahmen. Nach Schätzungen der britischen Geheimdienste hat die IRA in den Jahren 1982 bis 1986 von Libyen mehr als zwei Millionen Pfund bekommen. Außerdem wird die IRA von Libyen regelmäßig mit Waffen beliefert.

Von der Zielsetzung und der Ideologie her mußte sich die IRA eng verbunden fühlen mit der baskischen ETA: Beide Bewegungen vertreten einen revolutionären Nationalismus und kämpfen für die Gründung einer sozialistischen Republik. Beide haben einen katholischen Hintergrund und können auf die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung zurückgreifen. So gibt es seit 1971 gute Kontakte zwischen IRA und ETA. Auch die jeweiligen politischen Flügel unterhalten Verbindungen, wie sich aus den gegenseitigen Besuchen von Delegationen immer wieder ergibt.

Seit Anfang der siebziger Jahre gibt es in den meisten westeuropäischen Ländern Solidaritätsgruppen für die IRA. Diese werden vom Außenamt der IRA-Partei „Sinn Fein“ (SF) betreut. Führende Vertreter der SF machen Propagandatourneen auf dem europäischen Kontinent. In öffentlichen Veranstaltungen erklären sie die Ziele der IRA. Umstritten ist, ob die IRA mit Untergrundorganisationen auf dem Festland zusammenarbeitet. Seit Anfang 1985 propagiert die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF) den Aufbau einer „westeuropäischen antiimperialistischen Front“. Beweise für ein Zusammengehen von terroristischen Vereinigungen hat es jedoch bisher nur zwischen der RAF und der französischen „Action Directe“ (AD) gegeben. Wenn die IRA auch nicht einer einheitlichen „westeuropäischen Guerilla“ angehört, so kann deshalb noch nicht jegliche Zusammenarbeit zwischen der IRA und kontinentalen Terrorgruppen ausgeschlossen werden. Ein begründeter Anlaß für die Annahme einer Verbindung der IRA zu westdeutschen Untergrundorganisationen scheinen die Aktionen der IRA ab August 1978 in der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Ihr Ziel ist die britische Rhein-armee. An den Außenmauern britischer Kasernen in der Bundesrepublik detonieren Sprengsätze, und es kommt zu Attentaten auf dort stationierte britische Soldaten.

Schon bald nach Beginn der Anschläge tauchten Mutmaßungen auf, daß die IRA Hilfestellung von deutschen Terroristen bekäme. In der Presse wird immer wieder berichtet, die IRA arbeite mit der RAF zusammen. So wurde am 8. August 1988 gemeldet, daß das RAF-Mitglied Werner Lotze die IRA bei Attentaten auf britische Militärbasen in der Bundesrepublik im Sommer diesen Jahres unterstützt habe, eine Nachricht, die am 9. August dementiert wurde. Nach anderen Berichten sollen Kontaktversuche deutscher Terroristen mit der IRA am Widerstand der IRA-Führung gescheitert sein. Die Anschläge seien durch unabhängig voneinander handelnde IRA-Zellen ausgeführt worden. So soll sich unter den irischen Gastarbeitern in der Bundesrepublik Deutschland auch ein ständiges Kommando der IRA befinden. Gegen eine Zusammenarbeit der IRA mit der RAF spräche auch, daß die IRA keine marxistisch/leninistische Organisation, wie diese ist, und ein nationalistisches, auf Irland beschränktes Programm verfolgt. Die IRA selbst bestreitet jegliche Verbindung zu europäischen Terrorgruppen: weil diese Vereinigungen andere Ziele als die IRA verfolgten und keine Basis in der Bevölkerung besäßen und weil sie dadurch die irischen Amerikaner — auf deren Hilfe die IRA angewiesen sei — verärgern würden. Der Parteitag der „Sinn Fein“, des politischen Flügels der IRA, im November 1986 erkannte die Notwendigkeit, sich von den terroristischen Organisationen in Westeuropa öffentlich zu distanzieren. In einem besonderen Antrag wurde beschlossen, sich noch einmal von solchen Gruppen wie der RAF, der AD und den „Roten Brigaden“ loszusagen Die IRA fühlt sich dagegen mit vielen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt durch eine gemeinsame marxistische Interpretation des Imperialismus solidarisch verbunden und unterhält mit ihnen Kontakte. Ideologisch betrachtet, sieht sich die IRA als ein Teil des weltweiten antiimperialistischen Kampfes.

VIII. Das Abkommen von Hillsborough — ein Ende der Gewalt in Nordirland?

Großbritannien und die Republik Irland haben sich geeinigt, gemeinsam eine Lösung des nordirischen Konfliktes durch Verhandlungen zu suchen. Für eine solche Vereinbarung sind die Aktivitäten der IRA nicht ohne Einfluß gewesen. Am 15. November 1985 wurde zwischen den Regierungen von London und Dublin das Abkommen von Hillsborough geschlossen. In dem Vertrag anerkennt Irland die Zugehörigkeit Ulsters zum Vereinigten Königreich, so lange es die Majorität der Nordiren wünscht. Als Gegenleistung erhält Dublin ein Vorschlagsrecht für die Lösung von Problemen der nordirischen Politik und kann so versuchen, die Rechte der nordirischen Katholiken geltend zu machen. Die Sicherheitskräfte der Republik sollen eine stärkere Rolle bei der Bekämpfung der IRA übernehmen und mit der nordirischen Polizei Zusammenarbeiten. Von den britischen Behörden gesuchte Mitglieder der IRA können von Irland nach Großbritannien ausgeliefert werden. Die Republik Irland ist der europäischen Konvention gegen den Terrorismus beigetreten. Für die IRA besteht damit die Gefahr, daß sie ihr Hinterland, von dem aus sie ihre Aktionen im Norden vorbereiten kann, verliert. Die IRA lehnt den Vertrag von Hillsborough ab. Nach ihrer Ansicht ist das Abkommen erst aufgrund ihres Bombenanschlags gegen das britische Regierungskabinett in Brighton sowie der Wahlerfolge der IRA-Partei „Sinn Fein“ zustande gekommen. Der Vertrag könne aber nicht funktionieren, weil er den wahren Grund für den Konflikt — die britische Präsenz in Nordirland — festschreibe.

Das Beispiel Ulster demonstriert anschaulich, wie wichtig eine internationale Zusammenarbeit in Angelegenheiten von Minoritäten ist. Gegen den Widerstand der protestantischen Mehrheit von Ulster haben Großbritannien und Irland versucht, den nordirischen Konflikt einer Lösung näherzubringen. Jetzt wird es darauf ankommen, das Abkommen von Hillsborough mit Leben zu füllen, sonst wird die IRA auch in Zukunft eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in Nordirland bleiben. Daß die IRA einen Rückhalt in der nordirischen Bevölkerung besitzt, zeigt ein konstanter Stimmenanteil bei Wahlen von elf bis 13 Prozent für ihren politischen Flügel „Sinn Fein“. Solange die katholische Minderheit in Ulster sich benachteiligt und unterdrückt fühlt, die Arbeitslosenzahi unter den Katholiken doppelt so hoch ist wie unter den Protestanten, wird die IRA sich in Teilen der nord-irischen Bevölkerung bewegen können wie ein „Fisch im Wasser“, und solange werden junge Männer und Frauen als „Freiwillige“ in die IRA eintreten. Dann wird Gerry Adams, Präsident der „Sinn Fein“, recht behalten, mit dem was er auf dem IRA-

Parteitag von 1987 verkündete: Der Vertrag von Hillsborough versuche, mühsam die Tatsache zu verdecken, daß Nordirland ein sozial, wirtschaftlich und politisch gescheitertes Gebilde sei

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kölner Stadtanzeiger vom 19. Juli 1988.

  2. Michael Laffan, Gewalt und Terror im Irland des 20. Jahrhunderts, in: Wolfgang Mommsen/Gerhard Hirsch-feld (Hrsg.). Sozialprotest. Gewalt und Terror. Stuttgart 1982. S. 193.

  3. Dail Eireann. Official Report: Debate on the Treaty Between Great Britain and Ireland Signed in London on 6 December 1921, Dublin 1922. S. 112.

  4. Ebda.. S. 274.

  5. Einer von ihnen war der 16jährige Behan Brendan, der seine Erlebnisse in der IRA in seinem Buch: Borstal Boy. London 1958. niederschrieb.

  6. Zur politischen Entwicklung in Nordirland siehe: Roland Sturm. Der Nordirlandkonflikt. in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 38/87, S. 45 ff.

  7. Der Hauptverantwortliche für den Terrorfeldzug und erste Stabschef der PIRA. MacStiofain. hat die Gründungsjahre der neuen IRA in seinen Memoiren geschildert: Sean MacStiofain, Revolutionary in Ireland. Westmead 1974. S. 142 ff.

  8. Provisional Sinn Fein. Eire Nua. Dublin 1972.

  9. Vgl. Patrick Bishop/Eamonn Mallie, The Provisional IRA. London 1987. S. 3.

  10. Vgl.den führenden „Sinn Fein“ -Politiker Danny Morrison in: Danny Morrison. The Hillsborough Agreement, Dublin 1986. S. 8.

  11. Vgl. Carlos Marighela, an dessen Handbuch des Stadt-guerillero sich die IRA orientiert: Carlos Marighela, Handbuch des Stadtguerillero, in: Conrad Detrez (Hrsg.), Zerschlagt die Wohlstandsinseln der Dritten Welt. Hamburg 1971, S. 72.

  12. Zu den Finanzen der IRA vgl. James Adams, The Financing of Terror, London 1986.

  13. An Phoblacht/Republican News vom 6. November 1986.

  14. Vgl. An Phoblacht/Republican News vom 5. November

Weitere Inhalte

Wulf Friedrich Multhaupt, Dr. phil., M. A., geb. 1944; Jurist; Studium der Rechtswissenschaften, Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie an den Universitäten Bonn, Freiburg und Lausanne; Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Bundestages. Veröffentlichungen u. a.: Die Irisch Republikanische Armee — Von der Guerilla-Freiheitsarmee zur modernen Untergrundorganisation, Bonn 1988; sowie Autor von zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften.