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Die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg zur Informationsgesellschaft? | APuZ 15/1989 | bpb.de

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APuZ 15/1989 Artikel 1 Theorien der Nachrichtenauswahl als Theorien der Realität Die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg zur Informationsgesellschaft? Auswirkungen des Kabelfernsehens: Passivität und Vereinsamung durch Reizüberflutung im erweiterten Fernseh-(Unterhaltungs-) Angebot?

Die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg zur Informationsgesellschaft?

Klaus Theo Schröder/Ulrich Eckert/Peter Georgieff/Dirk-Michael Harmsen

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Zusammenfassung

Die Industriegesellschaft umfaßt mehr als nur den direkten industriellen Kernbereich. Sie stellt ein vielschichtiges ökonomisches, soziales, ökologisches und politisches Gebilde dar, das ständiger Veränderung unterworfen ist. Dynamik ist als typisches Kennzeichen komplexer gesellschaftlicher Formationen zu verstehen. Die Diskussionen, die sich mit der Transformation der modernen Industriegesellschaft befassen, basieren auf der sogenannten Drei-Sektoren-Hypothese. Im Mittelpunkt der einschlägigen wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen stehen die Thesen von der „post-industriellen Gesellschaft“, der „Dienstleistungsgesellschaft“, der „Selbstbedienungsgesellschaft“ und in jüngerer Zeit die von der „Informationsgesellschaft“, wobei als neue Qualität die bisherige Drei-Sektoren-Hypothese zur Vier-Sektoren-Hypothese erweitert wird. Die Argumente, mit denen der gesellschaftliche Übergang vom Typus der Industrie-zur Dienstleistungsbzw. Informationsgesellschaft begründet werden, beziehen sich vor allem entweder (wie bei der Dienstleistungsgesellschaft) auf statistische Veränderungen von Tätigkeiten bzw. Berufen oder werden zusätzlich (wie bei der Auffassung von der Informationsgesellschaft) auf das Wachstum der Informations-und Kommunikationstechniken, auf deren Verbreitung und rasche Ausdifferenzierung gestützt. Der Stützpunkt dieser Argumentationsmuster stellt sich bei genauer theoretischer und empirischer Analyse als verkürzte, eindimensionale und damit wenig tragfähige Begründung dar. Die Analyse führt zu der Schlußfolgerung, daß von einer Informatisierung der Industriegesellschaft und nicht von einem Wandel zur Informationsgesellschaft gesprochen werden kann.

I. Einleitung

Die informations-und kommunikationstechnische Entwicklung und ihre Wechselwirkungen mit der Gesellschaft und ihren verschiedenen Teilbereichen zählt zu den bedeutenden politischen und wissenschaftlichen Themen der heutigen Zeit. In einer auch für Experten kaum noch zu überschauenden, ausufernden und differenzierter werdenden Debatte werden von unterschiedlichen Standpunkten aus und mit verschiedenen Blickrichtungen diverse Schwerpunkte betrachtet und kontrovers diskutiert. Wir wollen hier vor allem die relevanten technischen. ökonomischen und sozialen Aspekte dieser Entwicklung vorstellen. Dabei sollen neben den Chancen und Möglichkeiten, die die Entwicklung und Nutzung der Informations-und Kommunikationstechniken bieten, auch die Grenzen thematisiert werden. Es gilt, die Frage zu beantworten, ob und wie weit in der Bundesrepublik von einer „Informationsgesellschaft“ gesprochen werden kann. Die ökonomischen und sozialen Aspekte des gesellschaftlichen Wandels, die in einer Wechselwirkung zur Entwicklung der Informations-und Kommunikationstechniken stehen, sollen empirisch belegt werden. Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine Reihe von methodischen Problemen, mit denen sich die Wirkungs-und Gestaltungsforschung der Informations-und Kommunikationstechnik seit mehr als zehn Jahren auseinandersetzen muß -

Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes; d. h. im Kontext dieser Untersuchung mußte näher bestimmt werden, was unter Informations-und Kommunikationstechnik zu fassen ist und welche ökonomischen und sozialen Wirkungsfelder für die gesell-schaftliche Entwicklung von besonderer Bedeutung sind.

Die modernen mikroelektronisch basierten Informations-und Kommunikationstechniken bilden heute bereits eine kaum noch zu übersehende Produktpalette. Grundsätzlich können sie als Investitions-und Konsumgüter verwendet werden. Als Investitionsgüter werden sie von privaten und öffentlichen Investoren für unterschiedliche Zwecke eingesetzt. Der Verwendung als Infrastrukturtechnik kommt eine besondere Bedeutung zu, da mit der Telekommunikationsinfrastruktur nicht nur einzelne Individuen und Organisationen, sondern die Gesellschaft insgesamt konfrontiert ist. Auch bei der konsumtiven Verwendung der Techniken ist zu differenzieren. Zum einen werden Informationsund Kommunikationstechniken fast ausschließlich zur Unterhaltung (wie z. B. Fernsehen, Computer-spiele) genutzt, zum anderen aber auch professionell bzw.semiprofessionell (z. B. Personalcomputer) in der häuslichen Umgebung eingesetzt.

Erschwerend kommt hinzu, daß die modernen Informations-und Kommunikationstechniken stets Hard-und Software und in vielen Fällen zusätzlich auch Dienstleistungsfunktionen umfassen, so daß eine Abgrenzung nach sogenannten technischen Kriterien, die allein an der Hardware orientiert sind, nicht nützlich ist. Da es sich bei den Informations-und Kommunikationstechniken nicht (nur) um reine Arbeitsmittel handelt, sondern um Organisationstechniken, besitzen die Anwendungen als sozio-technische Systeme einen besonderen Stellenwert Daraus folgt nun wiederum, daß z. B. die Automatisierung des Zahlungsverkehrs spezielle Probleme aufwirft, die nicht mit den besonderen Aspekten der computergestützten Fertigung zu vergleichen sind; letztere unterscheidet sich wiederum von der Bürokommunikation, und diese exemplarisch aufgeführten kommerziellen Anwendungsbereiche können nicht mit der Benutzung des Fernsehens in privaten Haushalten verglichen werden.

Der Text ist ein — geringfügig geänderter — Auszug aus einer Studie, die die Autoren als wissenschaftliche Mitarbeiter des eraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) für das Bundeskanzleramt in Bonn erstellt haben.

II. Industriegesellschaft und Aspekte einer Transformation

Die Begriffe, die zur Kennzeichnung gesellschaftlicher Entwicklungsstadien geprägt wurden, verdekken in vielen Fällen mehr von der (historischen) Realität als sie zu erhellen in der Lage sind. Die „Sklavengesellschaft“ ist mit diesem Begriff ebenso wenig umfassend charakterisiert wie die „Agrargesellschaft“ der vorindustriellen Ära. Ähnliches gilt für die in jüngster Zeit im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Begriffe „Industriegesellschaft“, „Dienstleistungsgesellschaft“, „Informationsgesellschaft“ und „Selbstbedienungsgesellschaft“. Mit diesen Begriffen soll das Augenmerk aufdominante Prinzipien der Erstellung und Verteilung von Gütern und Leistungen unter Vernachlässigung anderer gesellschaftsrelevanter Bereiche gelenkt werden. Abgesehen von der Frage, ob — qualitativ und/oder quantitativ — wirklich ein dominantes Prinzip benannt wird, müssen die Herrschaftsmechanismen, die Prozesse der politischen Willensbildung, die Legitimität der Gewaltanwendung, die Umgangs-und Verkehrsformen, die vorherrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die Art und Verwendung von Technik etc. berücksichtigt werden. All dies muß zur genauen Kennzeichnung einer Gesellschaft mit herangezogen werden, um ein realitätsnahes Bild vermitteln zu können. Zudem sind die Übergänge zwischen den Entwicklungsstufen fließend, so daß sich vorfindbare gesellschaftliche Konstellationen stets als Konglomerat verschiedener Einflußgrößen darstellen. Die Über-gänge sind also nicht glatt und selbst ex post nicht exakt zu bestimmen, geschweige denn ex ante präzise zu prognostizieren. Somit kann die Aufgabe, gesellschaftliche Transformationsprozesse zu umreißen, nur in der Herausarbeitung partieller Entwicklungstrends und deren Wirkung auf das Gesamtgefüge verstanden werden; das dominante oder gar ausschließlich wirksame Prinzip läßt sich weder theoretisch ableiten noch empirisch belegen. Die Diskussionen, die sich seit Ende der dreißiger Jahre — und in den letzten zehn bis 15 Jahren verstärkt — auf die Drei-Sektoren-Hypothese die post-industrielle Gesellschaft die Selbstbedienungsgesellschaft oder allgemeiner auf die „Dienstleistungsgesellschaft“ und aufdie „Informa-tionsgesellschaft“ beziehen, sind nicht von der Entwicklung der Industriegesellschaft und ihren immanenten Veränderungen zu trennen.

Das Entstehen und Wachsen eines Dienstleistungssektors wird bis heute nicht theoretisch geschlossen begründet. Vielmehr existiert eine Reihe meist unverbundener Argumente und Begründungsstränge, mit denen das Wachstum des sogenannten tertiären Bereichs belegt und seine zunehmende Bedeutung begründet werden soll. Mit wachsendem Einkommen, so wird zum Beispiel argumentiert, verschiebt sich die Struktur der Konsumnachfrage von den Gütern der Grundversorgung (Lebensmittel, Wohnung und Kleidung) immer mehr zu den Bedarfs-und Luxusgütem. Diese Tendenz wird in entwickelten Volkswirtschaften noch dadurch verstärkt, daß nicht nur die oberen, sondern auch mittleren Einkommensgruppen über finanzielle Ressourcen verfügen, die es ihnen ermöglichen, mehr Dienstleistungen am Markt zu kaufen Diese Tendenz würde, so die Erweiterung dieses Argumentationsstrangs, durch einen in den letzten Jahren spürbaren Wertewandel verstärkt. Dieser Wertewandel soll einerseits Präferenzänderungen bei den Verbrauchern hervorrufen, wodurch diese mehr Mittel für Bildung, soziale Versorgung, Unterhaltung u. ä. aufwenden. Gleichzeitig greift ein Bewußtseinswandel Platz, der die Grenzen des materiellen, quantitativen Wachstums und die Knappheit natürlicher Ressourcen reflektiert und damit auch verhaltenswirksam wird. Der Wandel fällt, nach anderen Aussagen, mit einem größeren Freizeitbudget zusammen, dessen Umverteilung ebenfalls immateriellen Leistungen wie Bildung und Unterhaltung zugute käme Bedingt durch die Art der Dienstleistungen, die aufgrund der Präferenzänderungen verstärkt nachgefragt werden (soziale Dienste, Bil-düng, Gesundheitsvorsorge etc.), und durch den Ausbau des Sozialstaates, wächst auch die Ausweitung des Staatsanteils und somit ebenfalls nominell der Dienstleistungsbereich. Hinzu kommt ein Wandlungsprozeß der volkswirtschaftlichen Arbeitsteilung. Produktionsnahe Dienstleistungen wie Wartung, Werbung. Vertrieb und Software-Entwicklung werden ausgelagert bzw. von selbständigen Unternehmen preisgünstig am Markt angeboten. Weiterhin, so wird gesagt, würde wegen des technischen Fortschritts die Produktivität im primären und sekundären Sektor schneller als im tertiären Sektor steigen, so daß es zu Arbeitskräfteverschiebungen zugunsten des tertiären Sektors kommt. Der Produktivitätsunterschied zwischen dem Industrie-und dem Dienstleistungsbereich wird vor allem durch den „Uno-actu-Zusammenhang von Dienstleistung und Produktion begründet“ Damit ist gemeint, daß Dienstleistungen nicht lager-und transportfähig sind, da sie an die Personen gebunden sind, die sie erbringen. Gerade vordem Hintergrund des zuletzt angeführten Argumentationsstranges wird der Dienstleistungssektor als „Auffangbecken“ für Arbeitskräfte genannt Statistisch gesehen haben sich sowohl die Anteile der Beschäftigten, die in Dienstleistungsberufen und -unternehmen tätig sind, erhöht, als auch der Anteil des Dienstleistungssektors am Sozialprodukt vergrößert. Damit ist aber noch keine schlüssige Begründung der Transformation von der Industrie-zur Dienstleistungsgesellschaft gegeben.

Differenziert man die bisher angesprochenen Bereiche des Dienstleistungssektors einer Volkswirtschaft, dann ergeben sich folgende Segmente des Dienstleistungsbereichs Die direkt personen-und produktionsbezogenen Dienstleistungen erfüllen im arbeitsteiligen Prozeß der Erstellung und Verteilung von Gütern eine mediäre Funktion, die für einen erfolgreichen Produktions-und Vermarktungsprozeß prinzipiell unverzichtbar ist. Auch wenn diese Teilleistungen durch rechtlich selbstän-dige Organisationen erbracht werden, können sie funktional und ökonomisch nur als ein Teil der Gütererzeugung und Verbreitung i. w. S. verstanden werden. Die indirekt personenbezogenen, soge-nannten mentalen Dienstleistungen (Scharpf) wie Informieren, Ausbilden etc., sind dadurch gekennzeichnet, daß sie mittels Hard-und Softwarekomponenten der Informations-und Kommunikationstechnik (zum Beispiel in Auskunfts-und Teachwaresystemen) gespeichert und übertragen werden können.

Auf diese Weise können Dienstleistungen dieser Art als Produktinnovationen den Produktions-und Verteilungsprinzipien der „materiellen Welt“ der Industriegesellschaft eingegliedert werden. Für sie entfallen auch die restringierenden Faktoren, die oben durch das uno-actu-Prinzip benannt worden sind; d. h. mentale Dienstleistungen lassen sich zumindest grundsätzlich lagern (speichern) und im Raum verschieben (übertragen), ohne daß gleichzeitig ein Personenverkehr mit der Leistungsbereitstellung verbunden ist. Damit bleibt als industriefemer Bereich nur das Segment, das die direkt personenbezogenen, konsumnahen Dienstleistungen umfaßt. Aber auch dieser Bereich ist nicht vollständig „deindustrialisiert“, denn in diesem Feld sind zwei Arten von Substitutionsprozessen möglich. Zum einen werden Leistungen durch Güter ersetzt, die der industriellen Produktion entnommen sind: die Waschmaschine ersetzt die Wäscherei. Fernsehapparat, Radio und Videorecorder treten an die Stelle des Theater-und des Kinobesuchs, das Privatauto tritt zunehmend in Konkurrenz zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder verdrängt diese sogar. Eine zweite Substitutionsbeziehung besteht zwischen konsumnahen, personenbezogenen Dienstleistungen und Eigenarbeit; d. h. im Einzelhandel, bei Tankstellen, beim Gaststätten-und Hotelgewerbe wird die ursprüngliche Dienstleistung in einigen Fällen durch Selbstbedienung ersetzt, in anderen Fällen durch „Do-it-yourself“, für das wiederum Produkte, Geräte etc. gekauft und eingesetzt werden müssen.

Somit zeigt sich weder eine (vollständige) Transformation der Industrie-in eine Dienstleistungsgesellschaft, noch kann überhaupt von einem homogenen Dienstleistungsbereich gesprochen werden. Die Heterogenität dieses volkswirtschaftlichen Bereiches läßt sich auch durch unterschiedliche Kapital-intensitäten in einzelnen Feldern. Automatisierungs-und Rationalisierungspotentiale und Qualifikationen der Beschäftigten in einzelnen Dienstleistungsbereichen belegen.

Einige Dienstleistungen wie Bewachung, Beratung und Beherbergung sind sehr arbeitsintensiv; andere, die vor allem Infrastrukturfunktionen darstel-len wie Wasser-, Gas-und Stromversorgung. Verkehr und Nachrichtenwesen, sind sehr kapitalintensiv Die technisch-organisatorischen Konstellationen unterscheiden sich in den einzelnen Zweigen des Dienstleistungssektors so deutlich, daß kapitalintensiv arbeitende Dienstleistungsunternehmen eher mit Industriebetrieben gleicher Größenklasse verglichen werden können als mit anderen (arbeitsintensiven) Dienstleistungsbetrieben.

Tendenziell vergrößern sich die Rationalisierungsund Automatisierungsmöglichkeiten bei Dienstleistungen. je produktionsorientierter und je „mentaler“ diese sind. Da die Personengebundenheit kein unabdingbares Definitionskriterium für Dienstleistungen ist, muß die „natürliche“ Begrenzung der Produktivitätsentwicklung im Dienstleistungsbereich durch mangelnde Automatisierungspotentiale sehr skeptisch betrachtet werden Gleichzeitig soll angemerkt werden, daß für viele Dienstleistungen, wie z. B. Beratungstätigkeiten, Planungs-und Ingenieurbüros, eine Produktivitätsmessung und somit eine Erfassung des Automatisierungspotentials schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, da keine homogenen, nur quantitativ faßbaren Ergebnisse erzeugt werden.

Der Dienstleistungssektor und die in ihm Beschäftigten werden zudem meist nur als Residualgröße definiert: „Der Dienstleistungssektor wird ebenso wie das Modell der Dienstleistungsgesellschaft dadurch definiert, was sie nicht sind. So wird üblicherweise unter Dienstleistungen die Gesamtheit jener •Erwerbstätigen verstanden, die weder dem primären Sektor noch dem sekundären Sektor . . . zugerechnet werden können.“ Doch was haben der Werkschutzmann, der Bankangestellte und der niedergelassene Arzt für Allgemeinmedizin gemeinsam? Auch die Unterschiede hinsichtlich jener Kriterien, die vielfach zur Konstitution des Dienstleistungsbereichs herangezogen werden, wie hohe Qualifikationsanforderungen, direkte Interaktionsbeziehungen bei der Ausführung der Tätigkeit, intensiver Umgang mit Informationen bzw. Informations-und Kommunikationstechniken, können in den beispielhaft ausgeführten Fällen nicht als Merkmal der Gemeinsamkeit herangezogen werden.

Obwohl es heute keine inhaltliche, sozial-ökonomisch tragfähige Definition von Dienstleistungen gibt, kann man tendenziell sagen, daß sie zur Aufrechterhaltung der Funktionen des Industriesystemsdienen. Dienstleistungen, als zweckorientiertes Handeln verstanden, sind also nur im Kontext mit der Frage „Leistung wozu und wofür?“ zu charakterisieren. Damit führen die theoretischen Betrachtungen zur Schlußfolgerung, daß der Prozeß der industriellen Produktion, sein Fortschritt und seine Ausdifferenzierung moderne Dienstleistungen hervorbringen und sich diese in der überwiegenden Zahl der Fälle auch direkt oder indirekt auf ihn beziehen. Der Dienstleistungssektor steht nicht für eine paradigmatische Abkehr von der Industriegesellschaft, sondern als Ausdruck des Wandels in der Industriegesellschaft.

Zum Teil sehr eng verknüpft mit der Debatte um die „Dienstleistungsgesellschaft“ ist die in derjüngsten Zeit aufkommende Diskussion über die „Informationsgesellschaft“. Dabei weichen die Begründungen für den Transformationsprozeß der Industriegesellschaft von denen zur Entwicklung einer Dienstleistungsgesellschaft zum Teil ab. Vergleichbar sind beide Argumentations-und Begründungsmuster in bezug auf den statistischen Ausweis der Tätigkeiten und Berufe, in denen Informationen produziert, verarbeitet, verteilt und verwaltet werden, die statistische Erfassung des Anteils des „Informationssektors“ am Sozialprodukt und eine — wenn auch nicht immer detailliert benannte -Veränderung im sozialen und individuellen Wertsystem. Unterschiede bei den Begründungen zeigen sich vor allem bei der Herausstellung des gesellschaftlichen Stellenwerts eines Technikbereichs, also den Informations-und Kommunikationstechniken, der Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion von Information, die die traditionellen „Produktionsfaktoren“ Materie und Energie, aber auch Arbeit und Kapital als Schlüsselfaktoren ablösen sollen und der Diffusionsbreite und -geschwindigkeit, mit der die unterschiedlichen Informations-und Kommunikationssysteme in den verschiedensten Anwendungszusammenhängen genutzt würden. Die Berufs-und Tätigkeitsstatistiken der westlichen Industrieländer weisen in den vergangenen Jahren erhebliche Zuwächse an Informationsbeschäftigten aus Die statistische Zusammenfassung von Informationsberufen und -tätigkeiten auf der Basis des OECD-Klassifikationsschemas enthält sehr unterschiedliche Informationstätigkeiten. So werden als Informationsproduzenten u. a. Physiker, Soziologen, Ingenieure, verschiedene Inspektoren (z. B. Bergwerksinspektoren), Programmierer, Buchautoren und Rechtsanwälte subsummiert. Bei der Informationsverarbeitung werden unter anderem Richter, Navigationsoffiziere, Buchhalter und Manageraufgezählt. In der Rubrik Informationsverteilerwerden u. a. Lehrer. Erzähler und Kinodirektoren genannt. Zu den Informations-Infrastruktur-Beschäftigten zählen u. a. Fotografen, DV-Operateure, Graveure und die Postbediensteten Es dürfte unbestritten sein, daß die ökonomischen und gesellschaftlichen Funktionen dieser Tätigkeiten und Berufe sehr unterschiedlich einzustufen sind und das Wachstum einer so heterogenen Menge kaum etwas Bestimmtes über die Richtung gesellschaftlicher Veränderungen aussagt.

Auch die Begründung der steigenden Bedeutung des Informationssektors durch seinen Anteil am Sozialprodukt bleibt problematisch. Nach gängigen Verfahren setzt sich der gesamte Informationssektor aus dem primären Informationssektor, zu dem die Wert-schöpfung im Zusammenhang mit der Produktion von Informationsgütern und -diensten rechnet, und dem -sekundären Informationssektor, in dem die Wertschöpfung im Zusammenhang mit dem Einsatz von Informationsarbeit und -kapital zur Produktion sonstiger Güter erfaßt werden soll“ zusammen Sieht man einmal von den Definitions-und Erfassungsschwierigkeiten ab, die zumindest bei international vergleichenden Studien von besonderer Bedeutung sind, da letztlich nur auf einheitlicher Datenbasis verglichen werden kann, dann fällt auf, daß die jeweils erfaßten Informationsgüter und -dienste sowie die „Informationsarbeit“ und das „Informationskapital“ nicht ohne Erklärungsverlust von ihrem Kontext isoliert werden können. Nur durch die Abstrahierung von der konkreten Bedeutung, die Informationen im Handel, 'm Baugewerbe, für die Nachrichtenübermittlung etc. haben, kann die Eigenständigkeit des Wertschöpfungsanteils des Informationsbereichs herausgestellt werden. Mit diesem Hinweis soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die Informationsverar-beitung. die in einer modernen Gesellschaft individuell und kollektiv bewältigt werden muß, stark gewachsen ist. Es soll auch nicht die steigende Bedeutung der Informationsver-und -bearbeitung geleugnet werden. Es soll aber zu bedenken gegeben werden, ob damit Ansätze zu gesellschaftlicher Transformation begründet werden können.

Nun werden als weiterer Beleg einer „Informationsgesellschaft“ Wandlungen der gesellschaftlichen und individuellen Wertsysteme und Orientierungen genannt. Vergleichbar den Argumenten, mit denen die Ablösung der „Industrie“ -durch eine „Dienstleistungsgesellschaft“ gestützt werden, wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse in einer hochentwickelten Gesellschaft vor allem Bedürfnisse nach freizügiger Lebensgestaltung, Erschließung einer größeren (auch informationellen) Umwelt und der Wunsch, Routinen durch Maschinen erledigen zu lassen, Platz greifen. Gerade letzteres würde durch den verstärkten Einsatz informationsund kommunikationstechnischer Systeme ermöglicht Hinzu käme ein steter Wunsch der Menschen nach Gestaltung ihrer Umgebung und ein Interesse an „Ordnung und Struktur“. Für eine effektivere Befriedigung dieser Bedürfnisse seien die modernen Informations-und Kommunikationstechniken besonders gut geeignet; neu sind diese Bedürfnisse allerdings nicht. Schließlich wird ebenfalls ein altes Bedürfnis, das nach Machtausübung und Kontrolle, genannt, dessen Befriedigung ebenfalls durch die Informations-und Kommunikationstechnik besser oder effizienter erreicht werden könnte. Alles in allem sind diese Bedürfnisse und Werte nicht neu und originär mit dem Phänomen „Informatisierung“ verbunden, so daß bisher von einer Befriedigung neuer Bedürfnisse, die zur Suche nach technologischen Innovationen im Bereich der Informations-und Kommunikationstechniken führen, nicht zwingend gesprochen werden kann.

In einem weiteren bemerkenswerten Aspekt nähern sich die Begründungsmuster, die sich des Werte-und Orientierungswandels und der Vorstellung von einem neuen „Produktionsfaktor Information“ bedienen, an. Der Stellenwert der Information in einer hochentwickelten Gesellschaft wird mit den mangelnden konventionellen Möglichkeiten der Menschen begründet, der „Informationslawine“ Herr zu werden. Das Wachstum von Wissen und neuen Erkenntnissen, z. B. gemessen an der Zahl von Büchern, Fachaufsätzen und sonstigen Veröffentlichungen, sei gerade in den letzten Jahren progressiv verlaufen. Man stehe also vor einer Situation, in der zunehmend mehr Informationen verarbeitet werden müßten Um der (immer noch) wachsenden Fülle von Informationen begegnen zu können, reichten weder der Mensch selbst (das Gehirn) noch die traditionellen Mittel wie Papier, Bleistift, Rechen-und Schreibmaschine sowie die alten Nachrichtentechniken aus

Gleichzeitig wird die Bedeutung der Information als neuer Produktionsfaktor neben Materie und Energie herausgestellt. Da alle physischen Prozesse eine informationelle Komponente aufweisen und in allen Lebensbereichen durch neue Produkte, Prozesse, Differenzierungen, Arbeits-und Funktionsteilungen der Koordinations-und Steuerungsbedarf zunimmt, wächst geradezu zwangsläufig der Stellenwert der Informationsspeicherung, -Verarbeitung, -Steuerung und -Übertragung. Nicht selten wird ja davon gesprochen, daß die „Information . . . zum Produktionsfaktor Nummer eins einer hochentwickelten Industriegesellschaft geworden“ ist Wenn der Information aber die Funktion eines Produktionsfaktors zukommt, dann ist dieser Faktor entsprechend auszustatten. Leitungswege, Zentraleinheiten, hochwertige Peripherie, effiziente Netze und moderne Dienste, große Datenbanksysteme, mächtige Softwarepakete u. a. m. dienen also dazu, mehr als nur die Effizienz und die Effektivität der Informationsverarbeitung, -Speicherung und -Übertragung zu steigern. Es geht fast schon um die Errichtung einer „neuen Welt“. Einmal abgesehen von der Tatsache, daß menschliches Handeln unauflöslich mit Informationsverarbeitung und -austausch verbunden ist und daß die Information somit als konstitutives Moment einer menschlichen Gesellschaft verstanden werden kann, sollten auch andere Aspekte des „Produktionsfaktors Information“ kritisch betrachtet werden. Zum einen ist festzustellen, daß mit einem beschleunigten Wachstum an Information eine erhöhte . . . „Rate der Obsoleszenz des theoretischen Wissens“ einhergeht; d. h. auch wenn zu Recht gesagt wird, die Menge abstrakten Wissens steige stetig an, so muß gleichzeitig gesagt werden, daß eine deutliche Tendenz besteht, nur das aktuellste Wissen, die neuesten Informationen zu verwerten. Es bestehen also begründete Zweifel, ob die Menge der wirklich relevanten Informationen in gleichem Maße wie die Informationen insgesamt steigt.

Die abstrakte Nutzung der Begriffe Information bzw. Wissen differenziert darüber hinaus zu wenig, um genauer beurteilen zu können, welcher Stellenwert der Information und ihrem Zuwachs in der Gesellschaft zukommt. Allein das theoretische Wissen gliedert sich in viele Zweige, die durch die wissenschaftlichen Disziplinen vorstrukturiert sind. Ähnliches gilt für die praktischen Informationen, die jeweils in ihrem Verwendungszusammenhang (Berufe, Ausbildung, Privatleben, Politik, Verwaltung etc.) von Bedeutung sind. Daneben gibt es Informationen zur Unterhaltung und für andere Zwecke Damit soll nur angedeutet werden, daß es einer differenzierten Betrachtung der Informationsinhalte bedarf, um eine Schlußfolgerung von der Tragweite ziehen zu können, wie dies mit dem Begriff „Produktionsfaktor Information“ geschieht. Die nicht selten als „Informationsrevolution“ bezeichnete Entwicklung der letzten Jahre und die antizipierten Veränderungen der nächsten Jahre werden auch mit dem Wachstum der Informationsund Kommunikationstechniken selbst begründet. „Die Informationstechnik wird in den nächsten Jahrzehnten wie kaum eine andere technische Entwicklung das Zusammenleben der Menschen und den wirtschaftlichen Wettbewerb der Volkswirtschaften beeinflussen.“ So oder ähnlich lautet die gebräuchliche Formel. „Auf den ersten Blick kann der . innovativste Wachstumszweig'der westdeutschen Wirtschaft mit imponierenden Zahlen aufwarten:

— der Wert der Inlandsversorgung (= Produktion + Import. /. Export) in der Bundesrepublik mit Büro-und Informationstechnik stieg von 1974 bis 1984 von 5 064 Mio. DM auf 17 585 Mio. DM oder um 247, 3 Prozent; allein in der Zeit von 1983 bis 1984 betrug die Zuwachsrate 31, 4 Prozent.

— Im selben Zeitraum (1974 bis 1984) stieg die Zahl der Telefonhauptanschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland von 12, 446 Mio. auf 24, 921 Mio., also um 100, 2 Prozent. -Die Anzahl der Datenübertragungseinrichtungen in den Fernmeldenetzen wuchs von 24 435 im Jahre 1974 auf 209 572 im Jahre 1985; hier betrug die Wachstumsrate 757, 7 Prozent. Im Vergleich der Jahre 1983 und 1984 lag die Steigerungsrate bei 20, 1 Prozent.

Angesichts der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts in der Bundesrepublik Deutschland, das im Vergleichszeitraum von 1 008 Mrd. DM auf 1298, 5 Mrd. DM um real 20, 1 Prozent anstieg, von 1983 bis 1984 um real 2, 6 Prozent wuchs“ nehmen sich die wenigen Daten auf den ersten Blick sehr überzeugend aus. Aber auch in diesem Kontext ist es notwendig, den Stand und die Entwicklung der Informations-und Kommunikationstechniken genauer zu betrachten. Zum einen sind -wie bereits angedeutet — nicht alle Techniken so neu, wie oft behauptet. Viele sind mehr als 100 Jahre alt, wie das Telefon, andere älter als 50 Jahre (Telex), und auch das Fernsehen und die Computer weisen eine circa 40jährige Geschichte auf Zum anderen ist ökonomisch stets die relative Vorteilhaftigkeit von Produkten und Produktionsprozessen zu bewerten; d. h. man muß den Wirtschaftsbereich Informations-und Kommunikationstechnik mit der gesamten Wirtschaftsentwicklung vergleichen und relativ zu anderen Wirtschaftszweigen betrachten. So gesehen müssen die angeführten Wachstumsraten und ihre Bedeutung relativiert werden.

Als letzter Begründungsstrang soll die These von der schnellen Diffusion der Informations-und Kommunikationstechnik kurz gewürdigt werden. Die Schlüsselfunktion einer (neuen) Technik kann gerade dadurch belegt werden, daß sie sehr schnell in verschiedenen Lebens-und Anwendungsbereichen genutzt wird. Es besteht — allgemein betrachtet — kein Zweifel an der großen Verbreitung der Informations-und Kommunikationstechniken. So kann man sich heute fast keinen Lebensbereich mehr denken, in dem nicht informations-oder kommunikationstechnische Elemente oder Systeme implementiert sind Heute werden Konzepte wie „Büro der Zukunft“, „Fabrik der Zukunft“, die auf hochintegrierten Informationssystemen basieren, intensiv diskutiert Obwohl diese Konzepte in vielen öffentlichen und fachwissenschaftlichen Veranstaltungen behandelt und in Veröffentlichungen beschrieben werden, ist zu sagen, daß eine umfassende Anwendung der Informations-und Kommunikationstechniken noch nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen Platz gegriffen hat. Einzelne empirische Daten und Expertenschätzungen lassen auch in diesem Zusammenhang Zurückhaltung angemessen erscheinen. 1984 wurden in circa 90 Prozent aller Betriebsstätten in der Bundesrepublik Deutschland nur Schreibmaschinen, Kopierer und Telefone als Informations-und Kommunikationstechniken benutzt Von Multifunktionalität oder integrierten Systemen kann heute, besonders in kleinen und mittleren Unternehmen, noch nicht gesprochen werden; bei den Großunternehmen sieht die Situation zum Teil anders aus, obwohl auch dort bislang keine vollständige Automatisierung von Büro und Fertigung realisiert worden ist.

Die genannten Ansatzpunkte und Tendenzen einer Transformation der „Industrie-“ in eine „Informationsgesellschaft“ können Zweifel an der Schlüssigkeit und Tragweite der Aussagen nicht ausräumen. Sie sind zu partiell orientiert, als daß sie einen umfassenden gesellschaftlichen Transformationsprozeß ausreichend belegen und begründen könnten.

III. Zusammenfassung

Zusammenfassend hat die Analyse gezeigt, daß die Erklärungsansätze zur „Deindustrialisierung“ bzw. zur „Dienstleistungsgesellschaft“ im Sinne der Drei-Sektoren-Theorie nicht hinreichend erklärungskräftig sind. Das statistische Material, das als Beleg für einen Wandel von der Industrie-zur Dienstleistungsgesellschaft herangezogen wird, zeigt bei eingehender Untersuchung, daß die häufig beschriebene Zunahme an Dienstleistungen durch einen wachsenden Staatsanteil am Sozialprodukt und durch verschiedene Formen der Reorganisation des industriellen Kerns der Wirtschaft und seiner Teilbereiche bedingt ist. Unterscheidet man bei der privaten Dienstleistung nach Produktions-bzw. industrienahen auf der einen und konsumnahen Dienstleistungen auf der anderen Seite, dann zeigt sich ebenfalls ein differenzierteres Bild. Neue produktionsnahe Dienstleistungen lassen sich primär ökonomisch begründen, weil es für Unternehmen oft effektiver ist, sich fallweise z. B. Beratungsleistungen am Markt zu kaufen, als entsprechende Stabsmitarbeiter ständig zu beschäftigen. Da Dienstleistungen dieser Art dazu dienen, die Leistungsfähigkeit des industriellen Kemsystems zu erhalten und zu verbessern, sind sie eher diesem als einem „Dienstleistungssektor“ zuzuordnen. Die gängigen Erklärungen einer beschleunigten „Deindustrialisierung“ übersehen zudem einen eher gegenläufigen Trend, der als „Industrialisierung von Dienstleistungen“ bezeichnet werden kann.

Die Entstehung einer „Informationsgesellschaft“ — nun im Sinne einer Erweiterung der Drei-Sektoren-zu einer Vier-Sektoren-Theorie — wird (fast ausschließlich) mit zwei Argumentationslinien begründet: — Eine Analyse der Arbeitsmarktdaten und Berufsstatistiken zeige, daß heute Informationsbeund -Verarbeiter u. ä. überwiegen würden.

— Mikroelektronisch basierte Informations-und Kommunikationssysteme hätten angesichts ihrer Wachstumsdynamik technisch und ökonomisch eine so weitreichende Schlüsselfunktion eingenommen, daß auch aus diesem Grund in absehbarer Zukunft eine qualitativ neue Gesellschaft entstünde. Beide Argumentationsmuster erweisen sich bei genauer Untersuchung des statistischen Materials und tiefergreifender Betrachtung der wesentlichen Veränderungen als nicht ausreichend erklärungsträchtig. Die Argumente verweisen zwar auf wichtige Veränderungen in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen (Berufsstruktur, Teilarbeitsmärkte, technische Entwicklungslinien etc.), ohne daß sich damit allein ein grundsätzlicher Wandlungsprozeß begründen ließe.

Die erste Argumentationskette basiert auf der Umschichtung statistischen Materials. Durch Umgruppierung der vorhandenen Daten werden „homogene Informationsarbeitsmärkte“ mittels statistischer Abstraktion erzeugt. Entzieht man nämlich — wie eingangs gesagt — der Informationsverarbeitung und den Kommunikationsvorgängen die Zweckorientierung und betrachtet man somit Tätigkeiten oder gar Berufe ohne den jeweils relevanten Kontext, dann kann man ganz allgemein von „Informationsarbeitern" sprechen. Diese Vorgehensweise führt jedoch nicht zu tragfähigen Ergebnissen, da der spezifische Hintergrund, die Zielsetzung. die Situation etc. bei den jeweils betrachteten „Informationsarbeitern“ unberücksichtigt bleiben. Die formal als Informationsarbeiter Klassifizierten bleiben real Mediziner, Versicherungssachbearbeiter, Fernmeldetechniker der Deutschen Bundespost usw.

Die zweite Argumentationslinie muß als eindimensional und deshalb als nicht hinreichend begründet bezeichnet werden. Entstehung, Verbreitung und selbst überproportionales Wachstum einer Technik (-familie) kann nicht allein als Beleg für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel gelten. Die technologische Entwicklung ist nur eine, wenn auch wichtige. Komponente einer Gesellschaft. Wäre die Technik der dominierende Aspekt, dann hätten sich auch Dampfmaschinen-und Elektrizität-bzw. Eisenbahn-und Automobilgesellschaft als prägende Begriffe für bestimmte Epochen durchgesetzt.

Einen grundlegenden Wandel des vielschichtigen Gebildes „Industriegesellschaft“ monokausal oder auch nur mittels weniger ausgesuchter Faktoren begründen zu wollen, ist unangemessen. Es zeigt sich ein partieller Wandel der bestehenden Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, der im Begriff „Informatisierung der Industriegesellschaft“ adäquat gefaßt werden kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. u. a. J. Reese/H. Kubicek/B. -P. Lange/B. Lutter-beck/U. Reese, Gefahren der informationstechnologischen Entwicklung. Perspektiven der Wirkungsforschung, Frankfurt-New York 1979.

  2. Vgl. K. T. Schröder. Arbeit und automatische Datenverarbeitung. Ein Beitrag zur sozio-ökonomischen Theorie der automatisierten Datenverarbeitung. Wien 1981.

  3. Vgl. C. Clark, The Conditions of Economic Progress, London 1940; J. Fourastie. Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts. Köln 1954; V. R. Fuchs. The Service Economy. New York 1968.

  4. Vgl. O. Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt-New York 1975; A. Touraine, Die postindustrielle Gesellschaft. Frankfurt 1972.

  5. Vgl. J. Gersbuny, After Industrial Society. The Emcrging Self-Service Economy, London 1978.

  6. Vgl. u. a. F. Machlup, The Production and Distribution of Knowledge in the United States, Princeton 1962; Organization for Economic Co-operation and Development (OECD). Information Activities. Electronics and Telecommunications Technologies, Volume I, ICCP (Information, Computer, Communication, Policy) Reihe Nr. 6, Paris 1981; F. Otto/P. Sonntag, Wege in die Informationsgesellschaft. Stcuerungsprobleme in Wirtschaft und Politik. Reinbeck Computer/Tele-1985; E. B. Parker, Social Implications of communication Systems, Paris 1976; M. U. Porat, The Information of Economy, Stanford 1976; M. U. Porat. The Information Economy. Washington 1977; S. Nora/A. Mine. Die Informatisierung der Gesellschaft, Frankfurt 1979.

  7. Vgl. F. W. Scharpf, Strukturen der post-industriellen Gesellschaft. oder: Verschwindet die Massenarbeitslosigkeit in der Dienstleistungs-und Informations-Ökonomie?, in: Soziale Welt, 37 (1986) 1.

  8. Vgl. L. Berekoven, Der Dienstleistungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland. Theoretische Fundierung und empirische Analyse, Band 1, Göttingen 1983; R. Ingelhart,

  9. M. Baethge/H. Oberbeck, Dienstleistungssektor als Auf-fangnetz? Zur These der Kompensation von Rationalisie-rungseffekten in der Produktion durch Ausweitung von Dienstleistungen — Am Beispiel kaufmännischer und verwaltenderTätigkeiten, in: Soziale Welt, 36 (1985) 2; Scharpf (Anm. 7), S. 15; vgl. auch M. Wegner, Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich — ein Vergleich zwischen den USA und der Bundesrepublik —, in: ifoschnelldienst, 38 (1985) 6.

  10. Vgl. Scharpf (Anm. 7); Scholz (Anm. 8); Baethge/Over

  11. Vgl. Scharpf (Anm. 7).

  12. Vgl. Scholz (Anm. 8). S. 4.

  13. Vgl. P. Berger/H. van Gerpen, Neue Informations-und Kommunikationstechniken im Dienstleistungs-und Bürobereich — Analyse und Prognose quantitativer Arbeitsplatz-effekte am Beispiel des Wirtschaftsraumes Hamburg —, in: WSI-Mittcilungen, (1986) 1. S. 30-40.

  14. J. Bcrger/C. Offe, Die Zukunft des Arbeitsmarktes. Zur Ergänzungsbedürftigkeit eines versagenden Allokationsprinzips, in: C. Offe (Hrsg.), „Arbeitsgesellschaft". Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven, Frankfurt-New York 1984, S. 230.

  15. Vgl. Wachsende Bedeutung des Informationssektors in der Bundesrepublik Deutschland, in: DIW-Wochenbe richt, 35 (1985), Berlin 1985, S. 397-402; R. Filip-Köhn/G. Neckermann/R. Stäglin/W. Dostal/J. Seetzen, Information Activities: Updating and Improving the Data Base for the Federal Republic of Germany, Berlin 1984; OECD (Anm. 6); 1. Schmoranz. Makroökonomische Analyse des Informationssektors, Schriftenreihe der österreichischen Computer Gesellschaft, Band 10, Wien-München 1980; vgl. Otto/Sonntag (Anm. 6).

  16. Vgl. OECD (Anm. 6), S. 122ff.

  17. DIW-Wochenbericht (Anm. 15), S. 397.

  18. Vgl. OECD (Anm. 6); Filip-Köhn u. a. (Anm. 15), ' 23 ff.; Schmoranz (Anm. 15), S. 179 ff.

  19. Vgl. K. Haefner, Mensch und Computer im Jahre 2000: Ökonomie und Politik für eine human computerisierte Gesellschaft, Düsseldorf 1984.

  20. Vgl. Schmoranz (Anm. 15), S. 48 ff.

  21. Vgl. L. A. Nefiodow, Europas Chancen im Computer-Zeitalter. Ein Plädoyer für die neuen Technologien, München 1984.

  22. B. Delaloye, Bedeutung der Kommunikations-und In-sorat ionstechnologie, in: Bulletin technique PTT, (1985) 6,

  23. Schmoranz (Anm. 15), S. 53.

  24. Vgl. ebda., S. 16 ff.

  25. Vgl. R. D. Hamrin, The Information Economy. ExPlo iting an Infinite Resource, in: The Futurist, 15(1981) 4 S. 25.

  26. Der Bundesminister für Forschung und Technologie, 1984 und danach. Die gesellschaftliche Herausforderung der Informationstechnik. Dokumentation der internationalen Konferenz der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und des Senats von Berlin in Zusammenarbeit mit der OECD, 28. -30. November 1984 in Berlin, Bonn 1985, S. 9.

  27. K. Schröder/U. Steppat, Bürokommunikation in mittelständischen Maschinenbauunternehmen, Sonderdruck aus: net, (1986) 7/8.

  28. Vgl. E. Haas, Industriestaaten auf dem Weg in die Informationsgesellschaft: Die europäischen Staaten, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 32 (1982) 1, S. 37-39.

  29. Vgl. u. a. H. R. Hansen u. a., Mensch und Computer, München-Wien 1979.

  30. Vgl. u. a. C. Krebsbach-Gnath (Hrsg.), Die gesellschaftliche Herausforderung der Informationstechnik, München 1986.

  31. Vgl. Den Rohstoff Information richtig verarbeiten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Februar 1985, S. 14.

Weitere Inhalte

Klaus Theo Schröder, Dipl. -Ing., Dipl. -Ökonom, Dr. rer. pol., geb. 1948; bis 1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Arbeit und Informationstechnik. Gl Fachtagung. Proceedings, Berlin u. a. 1986; Rationalisierung von Bankdienstleistungen und im Zahlungsverkehr, in: Verbraucherpolitische Hefte, (1987) 4. Ulrich Eckert, Dipl. -Informatiker, geb. 1955; bis 1987 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit S. Lange, D. -M. Harmsen, R. Bierhals) Lokale Initiativen zur Förderung der Anwendungen der Telekommunikation — Das Beispiel Hamburg, Köln 1986. Peter Georgieff, Dipl. -Volkswirt, geb. 1947; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit G. Bräunling u. a.) Wirkungsanalyse zu ausgewählten Zielaspekten des Aktionsprogramms Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens, Frankfurt-New York 1982; (zus. mit S. Lange u. a.) Telematik und regionale Wirtschaftspolitik, Köln 1985. Dirk-Michael Harmsen, Dr. rer. nat., geb. 1934; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit P. Berndts) Technologieorientierte Unternehmensgründungen in Zusammenarbeit mit staatlichen Forschungseinrichtungen, Köln 1985; (zus. mit G. Weiß) Aspekte der Datensicherheit und der Verletzlichkeit der Informationssysteme im Bankensektor, Düsseldorf 1989.