Alternative Ökonomie. Geschichte, Struktur, Probleme
Rolf Schwendter
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Zusammenfassung
Alternative Ökonomie (auch unter anderen Namen, beispielsweise „Selbstverwaltungswirtschaft“, bekannt) wird hier, versuchsweise und in extremer Kürze, in ihrer Ganzheit betrachtet. Zunächst werden ihre differenzierenden Momente von anderen Bereichen wirtschaftlichen Handelns und ihre Systemgrenzen betrachtet; es schließt sich an die Darstellung ihrer Besonderheit, die Gleichzeitigkeit von Eigenschaften des Kapitals und der Arbeit. Der nicht leicht zu beantwortenden Frage, wieviele Projekte Alternativer Ökonomie es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, folgt als Kernstück des Aufsatzes die strukturelle Zusammenfassung ihrer Finanzierungsquellen: die des Marktes, des Staates und der privatumverteilten, ursprünglich für Konsumzwecke vorgesehenen Einkommensanteile Dritter. Zumeist nebeneinander verlaufend, entsteht Alternative Ökonomie (bzw. weitet sich aus) in drei unterschiedlichen Formbestimmungen: der naturwüchsigen Entstehung kleiner regionaler Projekte und Betriebe; der — zumeist in widersprüchlicherweise geplanten — Herausbildung von Großprojekten, die einem Mangel in der alternativen Infrastruktur sich verdanken, sowie des allmählichen Zusammenschlusses zu gegenstandsbezogenen Vernetzungsstrukturen. Einer Reflexion auf die gleichzeitigen Neigungen der in der bundesdeutschen Alternativen Ökonomie Handelnden zu Pragmatismus und Realutopie folgt abschließend eine exemplarische Darstellung von Haltungen der im Bundestag vertretenen Parteien zur Alternativen Ökonomie.
I.
Alternative Ökonomie nennt sich heute nur noch selten so, sondern wird, je nach den Interessen der Benennenden, oft eher als „Selbstverwaltungswirtschaft“, „lokale Beschäftigungsinitiativen“ (so der EG-Jargon), „neue Genossenschaftsbewegung“ oder „Selbsthilfegesellschaft“ bezeichnet. Dieser Sachverhalt kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Alternative Ökonomie in Keimform immer schon dort beginnt, wo Subkulturen — um an der Umsetzung ihrer Normen und Werte zu arbeiten — Räume anmieten. Informationen versenden, Infrastrukturen herstellen müssen. Gedacht sei unter anderem an Vereinslokale, Info-Kultur und Fanzines („Fan-Magazines", spezielle Gruppen-ZeitSchriften mit geringer Auflage). Eine Steigerung erfährt Alternative Ökonomie durch die Notwendigkeit für viele in diesen Subkulturen Aktiven, ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, ohne deshalb gezwungen zu sein, das Feld dieser Aktivitäten zu verlassen. War vielleicht bislang der her-umgehende Hut als Finanzierungsquelle hinreichend, betreten nun mehr Markt und Staat die subkulturelle Szene.
Als differenzierende Momente der Alternativen Ökonomie von allen anderen Bereichen wirtschaftlichen Handelns sind die folgenden beiden anzusehen:
Zum einen steht der unbedingte Primat des Gebrauchswerts (und dies auch noch häufig emphatisch vertreten und ideologisch überhöht) im Vordergrund. Zeichnet sich die gesamtgesellschaftlich hegemoniale Ökonomie durch die Norm aus, dort zu investieren, wo die lukrativsten Renditen zu erwarten sind — bis hin zur völligen Gleichgültigkeit gegenüber den produzierten Waren —, so ist vom chaotisch mit Lay-Out versehenem Fanzine (kopierte oder hektographierte Mitteilungen innerhalb einer bestimmten Subkultur) bis hin zu den Kreditvergaberichtlinien der Ökobank eine Priorität der stattfindenden oder geführten Produktion vor dem Tauschwert und Profit festzustellen. (In die gleiche Richtung geht die Differenz des genossenschaftlichen Bedarfsprinzips bzw.des Kostendeckungsprinzips gegenüber dem Profitprinzip.) Rechtlich gesehen, ist es auch kein Zufall, daß ein großer Teil der Projekte Alternativer Ökonomie gemeinnützig sind oder zumindest die Anerkennung als gemeinnützig angestrebt haben.
Zum anderen wird Alternative Ökonomie durch das Bestreben gekennzeichnet, hierarchisierende Formen der Arbeitsteilung soweit wie irgend möglich gar nicht erst aufkommen zu lassen bzw. sie einzuschränken oder abzubauen. Die Varianz dieser Bestrebungen ist entsprechend breit und reicht von den Sphären der Kapitalordnung und der rechtsförmigen Verfaßtheit bis hin zu jener der Arbeitsorganisation, der Einbeziehung unbezahlter Hausarbeit, ja der gemeinsamen Reproduktion (Wohnen, Haushalt, „Freizeit“ . . .). Dies entspricht hinsichtlich des Verhältnisses von Kapital und Entscheidungsfindung auch den Grundsätzen der traditionellen Genossenschaftsbewegung („Ein Mensch, eine Stimme“) — wenn auch letztere die überkommene Arbeitsteilung ansonsten weithin übernommen hatte.
Das Dilemma, daß in den mitteleuropäischen Rechtsnormen (mit Ausnahmen in der Schweiz) basisdemokratische Gestaltungsmöglichkeiten kaum vorgesehen sind (auch die bundesdeutschen und österreichischen Genossenschaftsgesetze waren in ihren späteren Novellierungen der aktienrechtlichen Gesetzgebung angenähert worden), führte dazu, die Institutionen des eingetragenen Vereins und der GmbH in den einzelnen Satzungen und Gesellschaftsverträgen diesen Grundsätzen anzunähern, soweit dem keine bindenden Rechtsnormen entgegenstanden. Erst in den letzten Jahren hat der Spielraum für neue Genossenschaftsgründungen sich etwas erweitert. Gegenüber der Emphase des „Gemeinsam lernen — leben — arbeiten“ der siebziger Jahre ist unzweifelhaft ein Trend zur stärkeren Einführung arbeitsteiliger Strukturen in alternative Projekte festzustellen — die Differenzen zur Arbeitsteilung imGros der hegemonialen Wirtschaft sind indes nach wie vor erheblich.
Alternative Ökonomie ist und bleibt eine Gratwanderung — wie das Bestehen jener Subkulturen auch, die sie, wenigstens ursprünglich, hervorgetrieben haben. Wenngleich auf Produktionsgenossenschaften beschränkt, hat dies bereits zum Ende des vorigen Jahrhunderts Franz Oppenheimer formuliert: Entweder bleiben diese ökonomischen Einheiten erfolglos, dann gehen sie unter (melden Konkurs an . . .) — oder sie reüssieren, sind dann allerdings über kurz oder lang nicht mehr von hegemonialen wirtschaftlichen Einheiten unterscheidbar. Dieses „Oppenheimersche Transformationsgesetz“, das im übrigen präzise der Dialektik von Subkulturen zwischen Isolation und Integration entspricht, zählt zu den meist diskutierten Problemen im Umfeld alternativer Projekte. Gerade daraus jedoch ergibt sich die Chance, diesen von Oppenheimer prognostizierten Prozeß zu verzögern — indem er ins Kalkül einbezogen wird.
Eine weitere Ausdrucksform dieser Gratwanderung besteht in der langfristigen Verortung Alternativer Ökonomie und deren Widersprüchen. Von der Vorstellung, Alternative Ökonomie sei von sich aus imstande, durch ein allmähliches Wachstum gesamtgesellschaftlich hegemonial zu werden (aus den „Freistaaten“ und „Inseln“ entstünde die Wirtschaft und Gesellschaft von morgen), bis zur dauerhaften Vorverurteilung als bloßer „Nischen" -Ökonomie reicht der Bogen dieser Topologie. Beide Extreme greifen indes zu kurz. In der Tat ist es nicht möglich, daß die Gesamtheit auch vervielfachter selbstverwalteter Betriebe die dominierenden Konzerne im Akkumulations-und Konzentrationsprozeß des Kapitals niederringt. Die Systemgrenzen Alternativer Ökonomie bestehen zum einen im Umstand, daß ihr nicht gleichzeitig konstantes und variables Kapital (Betriebsmittel und Arbeitskraft) in hinlänglichem Ausmaße zur Verfügung stehen. Ohnehin mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kind struktureller Wirtschaftskrisen mit ihrer Massenerwerbslosigkeit (wie schon um 1830, um 1880, um 1930) leidet Alternative Ökonomie in diesen Zeiten, in welchen viele Personen bereit wären, eine selbstbestimmte, aber unterbezahlte Tätigkeit der Erwerbslosigkeit vorzuziehen, im Verhältnis zu dieser Vielzahl von Personen an Kapitalmangel. In Zeiten strukturellen Aufschwungs hingegen mögen auch die benötigten Mittel anwachsen — doch wächst gleichzeitig die Konkurrenz um die Lohnabhängigen und beeinflußt damit die Lohnhöhe. Anders gesagt: Wären die Leute da, fehlte das Geld; wäre das Geld da, fehlten die Leute.
Zum zweiten besteht eine Systemgrenze Alternativer Ökonomie darin, daß ein geschlossener Kreislauf derselben so gut wie unmöglich ist. Mag noch eine ökonomische Vernetzung über zwei Stufen häufig vorkommen (z. B. Food-Coops, Naturkosthandel), eine solche über drei Stufen öfter als nur gelegentlich der Fall sein (Druckereien — Verlage — Buchhandel), so wäre, selbst bei ungeheurem Ausbau des Vernetzungspotentials, die derzeitige empirische Grenze bei der Produktion von Maschinerie, die logische Grenze bei der mineralischen Urproduktion erreicht. Die relative Festigkeit dieser Systemgrenze kann durch kein Beispiel besser veranschaulicht werden als durch die Schwierigkeiten selbst nach Millionen Einwohnern zählender Staaten, sich auch nur einigermaßen autark zu halten (was immer wieder versucht worden ist, meist indes mit negativen Konsequenzen).
Nun könnte dies als ein bloß theoretisches Problem abgetan werden (zumal es auch einen großen Teil der in der Selbstverwaltungswirtschaft Tätigen nicht bzw. nicht mehr interessiert), hätte es nicht ökonomische Wirkungen. In der Produktionssphäre folgt daraus langfristig eine Art Wertübertragung an die etablierte Wirtschaft (strukturell jenem „ungleichen Tausch“ durchaus ähnlich, der, um beim Beispiel ökonomischen Handelns zwischen den Staaten zu bleiben, in der Diskussion des Verhältnisses zwischen Industrieländern und jenen der Dritten Welt eine so große Rolle spielt), in der Distributionssphäre ein Zusetzen vom Wert für aus der etablierten Wirtschaft herrührenden Waren.
Dieses Problem, in Zusammenschau mit der verschleierten (Hausfrauen) und unverschleierten Erwerbslosigkeit, ist von jenen Theoretiker/innen erkannt worden, die sich besonders auf die Subsistenzperspektive Alternativer Ökonomie beziehen (besonders Claudia von Werlhof, Maria Mies, Veronika Bennholt-Thomsen). Deren Dilemma besteht darin, ihrerseits nicht angeben zu können, wie in den Metropolen eine Subsistenzökonomie geschichtsmächtig werden könnte (abgesehen von jener eher platten Zusammenbruchstheorie, die der Schweizer Utopist mit dem Pseudonym „P. M.“ seiner ansonsten überaus lesenswerten Utopie „bolo’bolo’“ zugrundelegt): Das mir bekannte europäische Maximum an Subsistenzfähigkeit liegt bei jenen 70 Prozent, die die südfranzösische kommunitäre Gemeinschaft „L'Arche" auch nur infolge ausgesprochen günstiger Naturbedingungen (z. B. eigenständige Energieversorgung) erreicht hat.Wie dies aufnoch so sehr umgebaute großstädtische Milieus übertragbar sein sollte, ist bislang ein Rätsel geblieben.
Dies leitet zur dritten Systemgrenze über, die gerade auch für eine subsistenzorientierte Primärversorgung (und diesen zu Recht vorangehenden ökologischen Ansprüchen) von Interesse ist: War bislang der agrarischen Gemeinschaften zugängliche Grundbesitz vor allemjenen Grenzböden zuzurechnen, die keinerlei Differentialrente abgeworfen hatten (inklusive der „Sozialbrache“), so erhöhte sich die Notwendigkeit, Einkommen von anderswo her zu diesem Zweck umzuverteilen, um so stärker, je umfassender das Aufkaufprogramm von Grundeigentum für subkulturelles Einzelkapital wurde. Das Dilemma, welches die Systemgrenze konstituiert, besteht schlicht darin, daß — egal, welche Strategie das alternative Kapital verfolgt — das Resultat in einer Erhöhung der Bodenpreise besteht — bis die denkbare Umverteilung von Einkünften zum Ankauf der Böden damit nicht mehr Schritt halten kann.
II.
Diese meine realistische Darstellung der Systemgrenzen Alternativer Ökonomie ist immer wieder dem Mißverständnis ausgesetzt gewesen, es handle sich um eine defaitistische Einschätzung subkulturellen wirtschaftlichen Handelns. Das Gegenteil ist der Fall. Die Skizzierung der Systemgrenzen ist absolut notwendig, um die Möglichkeit des Hinausschiebens derselben überhaupt diskutieren zu können — welches indes nur durch eine Erweiterung der Stufenleiter und durch begleitende politische Aktivitäten der Fall sein kann. Die Gründung der Ökobank (von welcher unten noch andeutungsweise die Rede sein wird) geht ebenso in diese Richtung wie eine Reihe von Maßnahmen, seien sie nun in sozialdemokratisch-grünen Koalitionen punktuell erprobt oder in grünen Umbauprogrammen gefordert worden (Regionalentwicklung, Innovationsfonds). Was immer auch ansonsten etwa die gesamtgesellschaftlichen Wirkungen eines Garantierten Mindesteinkommens (auch als „Grundsicherung“ und „Negative Einkommensteuer“ diskutiert) wären — eine Forderung, die nicht zufällig immer wieder im Umkreis der Selbstverwaltungswirtschaft zu Tage tritt —, eine erhebliche Senkung der Selbstausbeutungsrate gerade bei neu beginnenden Betrieben Alternativer Ökonomie wäre die Folge.
Seit je hat die Tatsache Irritationen hervorgerufen, daß Personen, die im alternativen (bzw. schon im genossenschaftlichen) Kontext hauptamtlich arbeiten, gleichzeitig Kapitalist/inn/en und Lohnabhängige (und womöglich auch noch Grundeigentümer/innen) zu sein haben. Dies hat gleichzeitig dazu geführt, in der Alternativen Ökonomie eine Art Dritten Weges zu sehen (oder doch wenigstens ein Moment desselben) und (etwa in der organisierten Arbeiterbewegung vor der Entdeckung der „Gemeinwirtschaft“) den Genossenschaften als Institu43 tionen der Beschäftigung „unechter“ Arbeiter/innen zu mißtrauen. In der Tat ist, wenigstens solange weltweit das Verhältnis von Kapital und Arbeit als Grundsatz des Wirtschaftens hegemonial ist (woran auch durch die Übernahme des Kapitals durch den Staat keine strukturelle Änderung erfolgt), dieser Widerspruch (der sich dann mit Notwendigkeit in dem einzelnen Betrieb bzw. das einzelne Projekt verlagert) unaufhebbar. Infolge dieses Sachverhalts sind auch die vehementen Diskussionen, ob nun die in alternativen Projekten hauptamtlich Arbeitenden primär Lohnabhängige oder Selbständige seien, weithin akademisch geblieben — auch wenn die dahinterstehenden Interessenkonstellationen durchaus ausmachbar sind.
Die Position, daß Selbstverwalter/innen letztlich Lohnabhängige sind, da auch sie von nichts anderem leben können als vom Verkauf ihrer Arbeitskraft (so in etwa Karl Bergmann, der der Oberurseler ASH angehört, einem Mischbetrieb von Antiquitätenaufbereitung über Caf bis zur Software), kann auch nicht umhin wahrzunehmen, daß sie selbst es sind, die sich als Lohnabhängige anwenden — sonst könnte ja von Selbstverwaltung keine Rede sein. Und auch die Gegenposition, es handle sich in der Selbstverwaltungswirtschaft um „Kollektiv-Selbständige“ (so in etwa Constantin Bartning vom Berliner „Oktoberdruck“), muß davon absehen, daß im anteilig erzielten Ertrag, der zu Konsumtionszwecken verteilt wird, nur eine andere Lohnform verborgen ist (die etwa im etablierten Taxigewerbe schon, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen.seit langem üblich war). Wie denn überhaupt in der Alternativen Ökonomie lange Zeit die Verwechslung von Lohn und Lohn-form an der Tagesordnung gewesen ist — ob es sich nun um den „Bedürfnislohn“ handelte, der eine besondere Form des Naturallohns gewesen ist, oderauch um die reine, „unentgeltliche“ Lebenserhaltung, etwa bei Landkommunen.
Gleichwohl bringen beide Positionen in ihrer unterschiedlichen Akzentuierung des Widerspruchs reale Probleme alternativen Wirtschaftens zum Ausdruck. Die erstere markiert in Absicht der Veränderung derselben jene Wirklichkeit, daß der Zusammenhang zwischen alternativ-ökonomisch Tätigen und anderen Lohnabhängigen (etwa repräsentiert durch die Gewerkschaften) immer noch als ausgesprochen dünn zu bezeichnen ist — was freilich an beiden Seiten liegt. Erscheint etwa einerseits die Selbstverwaltungsszene des DGB als ein groß-institutioneller Koloß, der zudem hinsichtlich der ökologischen Problematik allzu lange auf der anderen Seite stand, so ist diesem wiederum die Alternative Ökonomie ebenso vernachlässigbar wie andere Arbeitende, die er bloß als Randschichten wahrzunehmen imstande ist: Erwerbslose, Hausfrauen, Teilzeitarbeitende oder formal selbständige Dienstleistende. Die zweite Position wiederum hat zu Recht wahrgenommen, daß die Konkurrenz der subkulturell Lohnarbeitenden als Motivationsverlust sich ausdrückt, daß die „Lohnabhängigengleichgültigkeit“ (so der in Klagenfurt lehrende Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer) auch in alternativen Betrieben fortzubestehen neigt. Und diesem soll wohl durch einen Schuß „selbständiger“ Verantwortlichkeit entgegengewirkt werden.
Verschärfend treten noch zwei Umstände hinzu, die indes — auf der anderen Seite — auch ein Stück der Chance Alternativer Ökonomie ausmachen: Zum einen (und dies gilt insbesondere für „soziale“ und „kulturelle“ Projekte, siehe unten) arbeiten oft nicht nur Hauptamtliche, sondern auch Ehrenamtliche und Honorarkräfte mit. Dies selbst macht zwar noch keinen Unterschied zu etablierten Trägem (etwa der Freien Wohlfahrtspflege) aus, wohl aber unter den Bedingungen der Selbstverwaltung, die freilich von beiden Personenkategorien in Anspruch genommen werden. Komplexer wird dies noch in dem (im Bereich der Printmediumbranche keineswegs seltenen) Falle, in welchem die letzteren selbst Kapitalanteile innehaben, also als Kapitalinhaber/innen sich selbst als Ehrenamtliche anwenden. Dies führt zu extrem hohen Selbstausbeutungsraten (die im Grenzfall zu „unendlich“ hin oszillieren mögen), gleichzeitig indes drückt dies ebenso häufig eine im Vergleich zu den Hauptamtlichen gesichertere ökonomische und/oder soziale Stellung (etwa als Erwerbstätigkeit bei etablierten Institutionen) aus.
Zum anderen erscheint dies — ebenso wie die außerordentlich unterschiedliche wirtschaftliche Gesamtsituation der Betriebe und Projekte — als klassenströmungsspezifische Differenz, die weitergehende Kooperationen, welche gleichzeitig unumgänglich erforderlich wären, so gut wie unmöglich macht. So war es möglich, daß bereits 1979 Peter Brückner anläßlich des einjährigen Bestehens von Netzwerk Selbsthilfe Berlin eine „Klassenanalyse der Subkultur“ formulieren konnte, die sich in etwa an den oben angeführten Sachverhalten orientierte. In der Tat reicht die Gesamtheit des alternativ-ökonomischen Syndroms von Vergesellschaftungsformen jugendlicher verelendet Gehaltener, deren ökonomischer Ertrag womöglich noch den Sozialhilfesatz unterschreitet (das logische Reservoir aller vergangenen und künftigen Hausbesetzungen) bis hin zu jenen mißvergnügten Hochschullehrern (von welchen ich selbst einer bin) und, zum anderen, zu Genossenschaften gut bezahlter Mitarbeitender in hochtechnologischen Branchen — mit Einheitslöhnen, die das Einkommen ersterer um das Zehnfache übersteigen.
III
Immer noch nicht möglich ist es, festzustellen, wie-viele Projekte Alternativer Ökonomie es tatsächlich in der Bundesrepublik gibt. 1980 hat Joseph Huber eine Schätzung von über 20 000 veröffentlicht (eine Zahl, die wahrscheinlich damals etwas zu hoch gegriffen war, da sie Berliner Zahlen — und in Berlin sind, verhältnismäßig, die alternativen Projekte überrepräsentiert — extrapolierte). Nach dieser Schätzung müßten es heute, da in den frühen achtziger Jahren ein weiterer Gründungsboom eingesetzt hatte, bei weitem mehr sein. Diese Schätzung ist zwischenzeitlich wiederholt kritisiert worden. In detaillierten, zumeist regionalen Untersuchungen wurde eine Bestandsaufnahme Alternativer Ökonomie vorgenommen. Dennoch ist es aus mehreren Gründen immer noch nicht möglich, eine auch nur einigermaßen präzise Angabe über die Zahl bestehender alternativer Betriebe und Projekte zu treffen.
Zum einen ist, trotz der erwähnten umfassenden regionalen Bemühungen, immer noch eine flächen-B deckende bundesrepublikanische Gesamtschau unmöglich. Ganze Bundesländer (zumeist CDU-regierte, in welchem wohl eine Finanzierung solcher Projekte politisch unerwünscht gewesen sein dürfte) fehlen (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz).
Zum anderen, und dies wiegt schwerer, sind die genannten Untersuchungen einander kaum kompatibel. Von der Totalerhebung bis zur exemplarischen Beschränkung auf einen als wesentlich angenommenen Projektteil, von der Einbeziehung „neuer Selbständiger“ (im letzten Jahrzehnt entstandene Privatunternehmen mit Sympathien für alternative Bewegungen) bis zur ausdrücklichen Begrenzung auf gewerbliche Betriebe in Selbstverwaltung (im engeren Sinne des Wortes) reicht ihre Palette. Die zwischenzeitlich auch im alternativen Diskurs gängige Dreiteilung in „gewerbliche“, „soziale“ und „kulturelle“ Projekte — aus der ohnehin schon die „politischen“ Projekte, Bürgerinitiativen u. ä., ausgegrenzt worden sind — verdankt sich ohnehin weniger dem Selbstverständnis Alternativer Ökonomie als den regional oft unterschiedlichen Finanzierungsmodi staatlicher Instanzen. So verwundert es denn auch nicht, daß Brigitte Runge und Fritz Vilmar auf 40 000 Projekte kommen (die höchste mir bekannte Schätzung), indem sie zu den vier genannten Projektkategorien (ohne „neue Selbständige“) noch die Selbsthilfegruppen (etwa im gesundheitlichen Bereich) hinzuzählen. Andererseits weisen alle Untersuchungen und Schätzungen im kulturellen Bereich („Fanzines“, Musik-gruppen) bedeutende Lücken auf. Immerhin kann gesagt werden, daß es jedenfalls in der Bundesrepublik eine fünfstellige Zahl von Betrieben alternativer Ökonomie mit einer sechsstelligen Zahl darin Erwerbstätiger geben dürfte — mehr aber auch nicht.
IV.
Die Finanzierungsquellen Alternativer Ökonomie sind ebenso weitläufig wie am Rande der Übersichtlichkeit. Dennoch hat die Aussage in nichts an Berechtigung verloren, daß sie sich strukturell in drei Orte der Herkunft zusammenfassen lassen: den Markt, den Staat und den privat umverteilten Einkünften (ursprünglich für Konsumzwecke vorgesehene Einkommensanteile).
Auf den Markt geht, wer dies aus den Eigenschaften der produzierten Güter und Dienstleistungen heraus jeweils kann (was — entsprechend — für den überwältigenden Großteil sozialer, kultureller und politischer Projekte nicht gilt). So sehr sich dies paradox anhören mag, spielt die (oft verdeckte) Mehrwertproduktion bei alternativen Projekten eine besonders große Rolle (und nicht eine besonders kleine, wie überraschungsfrei anzunehmen wäre). Anders ist der wiederholt vorfindliche Umstand nicht zu erklären, daß es einer Reihe von Projekten gelungen ist, Kredite in der Höhe von mehreren 100 000 DM zwecks Schaffung eines Anlageund/oder Betriebsvermögens in relativ kurzer Zeit (zumeist einigen Jahren) zurückzuzahlen.
Dies hat, häufig in mißverständlicher Weise, zu einer Diskussion um die Kategorie der „Selbstausbeutung“ geführt. Ist. in ökonomischer Hinsicht, „Selbstausbeutung“ ein heuristischer Begriff, der über nichts anderes eine Aussage macht, als über den Zusammenhang von konstantem Kapital, variablem Kapital (Arbeitsentgelt) und Mehrwert unter den Bedingungen der Selbstverwaltung, so. ist dieser zu einem moralischen Begriff verkehrt worden, als ob Ausbeutung ein spezifisches Merkmal Alternativer Ökonomie wäre. Gleichwohl bestand stets weitgehende Übereinstimmung darüber, daß die Selbstausbeutungsraten Alternativer Ökonomie die Ausbeutungsraten hegemonialer Ökonomie (etwa in gewerkschaftlichen Tarifverträgen) zu übertreffen neigen (was infolge der Unterkapitalisierung und Verlängerung des Normalarbeitstages auch plausibel zu sein scheint).
Dieses Verhältnis hat sich in den letzten Jahren gebessert, wie sich überhaupt die Tendenz zu einem Ansteigen der Durchschnittslöhne mit fortdauernd längerer Existenz von Betrieben in Selbstverwaltung nachweisen läßt. Im allgemeinen liegen sie zwischenzeitlich bei 1 000 DM bis 1 400 DM; in Einzelfällen (etwa in der Softwarebranche) wird ein Einheitslohn von ca. 3 300 DM erreicht. Dem Markt ist zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet worden. Dies gilt sowohl für die Sphäre des konstanten Kapitals (z. B. Computerisierung) als auch für jene der Zirkulation (Tagungen zu Themen wie „ökologisches Marketing“ sind in den vergangenen Jahren stets überfüllt gewesen).
Die Finanzierung durch den „Staat“ — die, strukturell, von kommunalen Beiträgen bis hin zu EG-Zuschüssen reichen kann — hat gleichfalls im vergangenen Jahrzehnt an Bedeutung für die Alternative Ökonomie gewonnen. Wurde in den spätensiebziger Jahren und auch noch danach erbittert darüber kontrovers diskutiert, ob „Staatsknete“ (staatlich umverteilte Gelder als Zuschüsse oder Darlehen) genommen werden dürfe oder nicht, hat dies zwischenzeitlich für die Mehrheit der Projekte als entschieden zu gelten. Die bereits erwähnte mangelnde Übersichtlichkeit bezieht sich sowohl auf die Finanzierungsraten (Darlehen analog zur Mittelstandsförderung, Zuschüsse, Infrastruktur-leistungen, Tagessätze) als auch auf die Träger (Bundesministerien/Regelfinanzierung, Modell-programme, Arbeitsmarktverwaltung, Wohlfahrtsverbände, Länder, Gemeinden, europäische Gremien). Nicht zufällig sind Bücher zur finanziellen (besonders staatlichen) Förderung erschienen, wie auch alternative Finanzberatungsgruppen eine expansive Tendenz erfahren haben.
Die Diskussion um das Verhältnis von Selbsthilfe und Staatshilfe ist bekanntlich beinahe so alt, wie die Alternative Ökonomie selbst. Erinnert sei beispielsweise an das vehemente Eintreten Ferdinand Lassalles für Produktionsgenossenschaften mit Staatshilfe um 1860 oder an staatlich geförderte Erwerbslosenprojekte zur Zeit des US-amerikanischen New Deal (die indes zumeist nur wenige Jahre überlebten). Zum einen bestehen bedeutende Differenzierungen hinsichtlich der einzelnen Branchen und ihres Förderungsbedarfs. Unbestritten scheint zu sein (von Joseph Huber 1980 festgestellt und seither in empirischen Untersuchungen immer wieder bestätigt), daß die überwiegende Zahl der Projekte den Dienstleistungsbereichen angehört, deren Minderheit den Sektoren der Güterproduktion wie der Zirkulation. Bei den ersteren sind die vielfältigen „sozialen“ und „kulturellen“ Projekte einzurechnen, die letztlich einen auf Dauer gestellten gesamtgesellschaftlichen Förderungsbedarf aufweisen würden. Zum anderen variieren die Konzeptionen der unterschiedlichen Träger wie auch der politischen Parteien (und der von diesen beeinflußten Regierungen) erheblich — was im Falle eines Regierungswechsels für alternative Projekte, die auf Staatshilfe sich eingestellt hatten, fatale Folgen haben kann (siehe beispielsweise die Lage des nordhessischen Vereins für Eigenständige Regionalentwicklung nach dem Übergang der Regierungsverantwortung von der sozialdemokratisch-grünen zur christdemokratisch-liberalen Regierungskoalition in Hessen). Das Spektrum reicht hierbei von grundsätzlicher Ablehnung über eine bescheidene Förderung von Selbstverwaltung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips (so etwa beim Berliner Fonds, der vom ehemaligen Sozialsenator Ulf Fink eingerichtet worden war) bis hin zu einer grundsätzlichen Bejahung der Förderung von Projekten, die soziale und kulturelle Aufgaben übernommen haben; von Prioritäten der Wirtschaftsförderung (Bremen, sozialdemokratisch-grünes Hessen) zu Prioritäten der Sozialförderung (christ-demokratisch-liberales Berlin).
Schließlich die privat umverteilten Einkünfte: Waren sie in den späten sechziger wie in den siebziger Jahren die weithin einzige Finanzquelle Alternativer Ökonomie, so haben sie infolge des beschriebenen Bezugs auf Markt und Staat relativ an Bedeutung verloren — was nicht im geringsten in Abrede stellt, daß immer noch ein Betrag in mehrstelliger Millionenhöhe diesen Zwecken dienen dürfte. Die faktische Überlassung formell erworbener GmbH-Anteile an die in Selbstverwaltung Arbeitenden, die vielfältige Zahlung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden an Vereine und Fördervereine, das Eingehen von Rechtsverhältnissen als stille Gesellschafter/innen, der gezielte Erwerb von alternativ-ökonomisch produzierten Gütern und Dienstleistungen stellen nur einige der Formen von Umverteilung privater Einkünfte dar, die auch heutzutage keineswegs vergessen sind. (Der wechselseitige Übergang von Kauf und Spende stellt überhaupt eine charakteristische Konsumtionsweise Alternativer Ökonomie dar.) ökonomische Grundlage dieser Erscheinung ist eine vergleichsweise breite Schicht intellektueller Lohnabhängiger, die zumeist den kritischen sozialen Bewegungen nahestehen, was indes in ihrer Erwerbstätigkeit selten zur Geltung kommen kann.
Den bisherigen Höhepunkt der beabsichtigten Koordination der privaten Umverteilung von Einkünften stellte 1978/79 die Gründung des Netzwerks Selbsthilfe dar, welches allerdings — von Berlin abgesehen, das mit mehreren tausend Mitgliedern jährlich durchschnittlich eine halbe Million DM um-verteilte — aus inneren Widersprüchlichkeiten der Konzeption den in es gesetzten Erwartungen und Hoffnungen qualitativ wie quantitativ nicht gerecht geworden ist. 1987 wurde ein Dachverband (BAG Netzwerke Selbsthilfe) gegründet, von dem eine Verbesserung der Arbeit ausgehen könnte; auch haben verschiedene Netzwerke Selbsthilfe in Fragen der Staatsfinanzierung, der Direktkreditvermittlung etc. Verdienste sich erworben.
Eine Mischform zwischen privater und staatlicher Umverteilung von Einkünften (mit Akzent auf ersterer) stellen die nach Ländern organisierten Ökofonds der Partei Die Grünen dar. Im letzten Jahr-fünft haben auch Stiftungen eine relativ größere Rolle zu spielen begonnen (Umverteilung. ANstif-Btung, Reemtsma), auch wenn diese bislang in keiner Weise mit der Rolle von Stiftungen etwa in den USA vergleichbar ist. Eine Verstärkung dieser Aktivitäten wird in einigen Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit vom grünen „Regenbogen“ -Stiftungsdachverband (deren drei Momente die Hein-rich-Böll-Stiftung, die Länderstiftung und die Frauen-AN-Stiftung sein werden) ausgehen — auch wenn schon im Vorfeld zu warnen sein wird: Durch diese absehbare Verstärkung wird mit Sicherheit kein qualitativer Sprung erzielt werden können.
Ganz abgesehen davon, daß die immer noch fortgeführte etablierte Obstruktionstaktik eine umfassendere Mittelvergabe ohnehin noch auf Jahre hin hinauszuzögem geeignet ist (was in unserem Zusammenhang wiederum auf das Problem verweist, daß es sich erheblich mehr um staatliche denn um private Umverteilung von Einkünften handeln wird), werden zwei strukturelle Probleme entstehen, deren Umfang derzeit erst in Keimform (etwa bei den rudimentären Tätigkeitsansätzen der Böll-Stiftung) sichtbar ist: Zum einen werden staatliche Vorgaben zur Mittelumverteilung (ergänzt durch die Prioritäten der formellen oder informellen Stiftungshierarchien) die Geldströme nicht in die Richtung jener Selbstverwaltungsprojekte lenken, die diese benötigen würden — was indes den Doppelcharakter der Ausweitung Alternativer Ökonomie in bislang un-Meinebisherige Schilderung mag vielen auf den ersten Blick als eher skeptisch erscheinen. Sie hatte auch bislang davon zu abstrahieren, was im Kontext der Alternativen Ökonomie in nur zwei Jahrzehnten (ich spreche hier von der Bundesrepublik) — im ersten Jahrzehnt war sie zudem nur eine Art Geheimtip unter relativ wenigen Personen und Gruppen — erreicht werden konnte. Strukturell lassen sich hierbei drei in sich unterschiedliche Momente der Entwicklung und Ausweitung Alternativer Ökonomie feststellen, die gleichwohl soweit nebeneinander verlaufen, daß von einer Tendenz zu Phasen keine Rede sein kann, obwohl zeitweilig dieser irreführende Eindruck entstanden ist: 1.
Die teils kontinuierlich, teils in Schüben erfolgende Entstehung regionaler oder lokaler Betriebe und Projekte
Eher naturwüchsig vorgehend, eher klein (Projekte mit über 20— 30 Personen bilden die relativ weniterrepräsentierte Arbeitsfelder (etwa im gesamten Dritte-Welt-Bereich) aufweist. Zum anderen stellte selbst eine den empirischen Gegebenheiten adäquate Mittelverwendung angesichts der gleichzeitigen impliziten Ermutigung zur Neugründung von Projekten nichts weiter dar als einen weiteren Tropfen auf den ziemlich voluminösen heißen Stein. Dies ist schon aus der bisherigen tragikomödienreifen Geschichte der Heinrich-Böll-Stiftung zu ersehen: Diese, die bislang mühsam aus relativ spärlichen Eigenmitteln gerade ihre Infrastruktur aufrechterhält, hatte schon mehrere hundert Ansuchen um umzuverteilende Gelder auf dem Tisch des Hauses, bevor überhaupt der erste auszugebende Pfennig da war.
Die beschriebene, teils verwirrende, teils unbefriedigende Lage hat im Umkreis der alternativ-ökonomischen Tätigen bereits wiederholt die Forderung nach einem integrierten Finanzierungsmodell laut werden lassen, welches imstande wäre, die denkbaren Quellen des Marktes, des Staates und der privaten Umverteilung zu bündeln. Auch wenn Skizzen in dieser Richtung bereits vorhanden sind (etwa aus den Richtungen des Netzwerks Selbsthilfe Bremen oder der Zukunftswerkstatt Saarbrükken) — richtig herangewagt hat sich da noch niemand: eine der vielen Aufgaben der Zukunft, die Alternative Ökonomie noch vor sich hat. gen Ausnahmen, wozu zumeist ein quantitativ ähnliches Umfeld kommt, das sich indes lokal zu überlappen pflegt), so gut wie immer unterkapitalisiert, bilden sie den Humus Alternativer Ökonomie und sind durch häufiges Werden und Vergehen charakterisierbar. Alles andere als planmäßig vorgehend („Plan“ ist hier überhaupt zumeist ein Schimpfwort — besonders zu Beginn der Arbeit soll soviel wie möglich „spontan“ sich abspielen), entspringen sie den politischen und sozialen Umständen des jeweiligen Ortes bzw.der jeweiligen Region, selbstredend beeinflußt durch die je besonderen Motivationen und Qualifikationen der Gründenden.
Konnte in den siebziger Jahren noch kontrovers diskutiert werden, ob die Erwerbslosigkeit einen direkten Einfluß auf die Gründungstätigkeit ausübe, oder ob sie nur vermittelt über andere gesellschaftliche Faktoren (etwa Leistungsstreß in etablierten Institutionen, Berufsverbote, Anpassungszwänge an jeweilige Hierarchien) sich auswirke, kann zwi47schenzeitlich diese Frage bedauerlicherweise als weithin beantwortet gelten. Es kann sich, um nur wenige Beispiele zu nennen, um einen Buchladen handeln, der politisch notwendig geworden ist; um eine Bürgerinitiative, die ihren Tätigkeitsbereich (etwa der Beratung) ausweitet; um einen Zusammenschluß erwerbsloser Professioneller; um Leute, die zusammen „etwas machen“ wollen und mit dem beginnen, was relativ einheitliche Qualifikationen erfordert (etwa Entrümpelungen); auch — viel seltener — um einen Konkursbetrieb, der in die eigenen Hände genommen wird.
Je nach den — ähnlich disparaten — Umständen kann die Grundfinanzierung durch eine Umlage bei Freund/inn/en, durch gerade zufällig abrufbare öffentliche Mittel, durch Zuschüsse oder (zunehmend) durch Kredite erfolgen. Dabei spielt häufig, nahezu grundsätzlich, die zentrale Rolle, worin in der umgebenden Gesamtgesellschaft ein Mangel besteht. Bestimmte Dienstleistungen sind nicht (mehr) vorgesehen — die entsprechenden Vereine (z. B. für Altenpflege) werden gegründet. Ökologisches breitet sich aus: Es entstehen Bioläden, Vollkornbäckereien, Wissenschaftsläden und Konstruktionsbüros.
Gewirtschaftet wird (falls erfolgreich) nach dem Bedarfsprinzip. Akkumuliert wird ungern, es sei denn, es werden (weitere) Arbeitsplätze benötigt. Die Projekte sind nicht nur klein, sie wollen auch klein bleiben. Was die Zahl einer umfassenden Großfamilie übersteigt, erweckt ihr Mißtrauen und wird als „unüberschaubar“ bezeichnet. Außerhalb des lokalen Kontextes neigen sie dazu, übersehen zu werden. Wenn aber, um nun ein Beispiel zu nennen, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) Nordrhein-Westfalen festgestellt hat („soziale“ Projekte tendieren dazu — wenn es aus Zuschußgründen notwendig wird —, wenn überhaupt einem Träger der Freien Wohlfahrtspflege, dann dem DPWV aufgrund seiner ideologischen Neutralität beizutreten), in nur fünf Jahren hätte sich die Anzahl seiner Mitglieder verdoppelt, dann können wir gewiß sein: Es gibt sie. 2. Die zumeist geplante, zumeist lange und erbittert diskutierte Herausbildung von Großprojekten Diese Großprojekte — sie können regional oder bundesweit beabsichtigt sein — entspringen nicht nur einem gesamtgesellschaftlichen Mangel, sondern auch einem Mangel in der alternativen Infrastruktur selbst, der indes von den Agierenden äußerst unterschiedlich beurteilt zu werden pflegt. Allgemein kann darüber ausgesagt werden: Ihre Gründung erfolgt nicht nur mit dem Einverständnis vieler Momente der alternativen Infrastruktur (jener jedenfalls, die den Mangel wahrgenommen haben), sondern auch zumeist begleitet vom Widerwillen ebenso vieler anderer. Dieser Widerwillen hat im allgemeinen mehrere Quellen: Bedenken gegenüber möglichen zentralisierenden Wirkungen der neuen Einrichtungen; Konkurrenzaspekte (so wurde die Gründung der „Tageszeitung“ von vielen Stadtzeitungen, die Gründung des Berliner Mehringhofs wie auch des Netzwerks Selbsthilfe Berlin von der Berliner Großkommune UFA-Fabrik, die Gründung der Grünen von lokalen Bunten Listen, die Gründung der Ökobank von lokalen Direktkreditvermittlungsinitiativen bekämpft); Abneigung gegen „Unüberschaubarkeit“ überhaupt. Übersehen wird hier, daß — zu Recht! — Emst F. Schumacher mit seinem berühmt gewordenen „Small is beautiful“ gegen Betriebseinheiten polemisierte, die etwa die Zahl von 1 500 Mitarbeitenden überschreiten; was indes bei den Großprojekten, von welchen hier die Rede ist, mit Ausnahme der Grünen und des Netzwerks Selbsthilfe Berlin keineswegs der Fall ist.
Jedoch ist ihre Gründung schließlich erfolgt, etwa um dem lokal vorfindlichen Raummangel abzuhelfen (1969 Sozialistisches Zentrum Westberlin, Kultur-und Kommunikationszentren — z. B. „Börse“ Wuppertal, Mehringhof Berlin, Werkhof Nernstweg Hamburg), dem Mangel an überregionalen subkulturellen Informationsmöglichkeiten („Tageszeitung“ [taz], die feministischen Monatszeitschriften „Emma“ und — nicht mehr bestehend — „Courage“), dem Mangel an Koordination der Umverteilung von Geldern (Netzwerk Selbsthilfe), dem Mangel an Wohnraum (Stadtbau Berlin), dem Mangel an überregionaler politischer Vertretung (Partei Die Grünen), dem Mangel an adäquaten Anlage-und Kreditmöglichkeiten (Bürgschaftsbank Berlin, Ökobank Frankfurt — erinnert sei in diesem Zusammenhang an die bis vor kurzem banküblichen Usancen, bei alternativen Kreditwerbern nicht nur die Bonität zu überprüfen, sondern auch das Ausmaß hierarchischer Willensbildung im Projekt! Bei den der Wirklichkeit nahekommenden Aussagen wie: „Der Chef sind wir alle“ gab es dann keinen Kredit . . .), dem Mangel an einem Fachorgan für Selbstverwaltungswirtschaft („Wandeisblatt“, später auf Grund einer Interventionsdrohung des „Handelsblattes“ in „Contraste“ umbenannt). Dem steht weder entgegen, daß diese Mängel bislang trotz dieser neuen Großprojekte nur unzulänglich behoben werden konnten, noch daß ein Teil von ihnen Verselbständigungstendenzen aufgewiesen hat bzw. aufweist. Im Falle der ÖkoBbank ist es bei allen bekanntgewordenen inneralternativen Querelen nachweisbar, daß nahezu alle gegenwärtig vorherrschenden Mängel sich den Bedingungen der Bankaufsicht verdanken.
Die Diskussionen jedenfalls der „taz“, des Netzwerks Selbsthilfe (dem etwa die britische CLAP„Gemeinschaftsabgabe für alternative Projekte“ vorangegangen war) und der Ökobank hatten einen Vorlauf von wenigstens einem Jahrzehnt — woraus sich schließen läßt, welche großprojektförmigen Innovationen sich in den neunziger Jahren bzw. nach 2000 ergeben könnten. Nach dem (in der interessierten Öffentlichkeit genüßlich aufgebauschten) Konflikt zwischen „Contraste“ (und anderen) und Ökobank um den Umstand, daß letztere zwecks Absicherung von Krediten sich der (etabliert-genossenschaftseigenen) R+V-Versicherung bediente, die auch in Südafrika-Geschäften engagiert ist (die Vermeidung solcher spielte bei der Ökobank-Gründungspropagierung eine gewisse Rolle), ist zu erwarten, daß die Diskussion um eine alternative Versicherung wiederum einen Aufschwung nehmen wird. Auch ein alternativer Wohlfahrtsverband ist bereits erwogen worden (dessen Zustande-kommen letztendlich davon abhängen wird, wie der DPWV mit den möglichen zukünftigen Konflikten zwischen seinen traditionellen und seinen alternativen Mitgliedern umgehen kann). 3. Der allmähliche Zusammenschluß einzelner Betriebe und Projekte zu gegenstandsbezogenen Vernetzungsstrukturen Abstrakt besteht hierzu mit Sicherheit Bereitschaft, wenngleich starke Ungleichzeitigkeiten festzustellen sind. Bereits nach 1968 hatte sich der „Verband des linken Buchhandels“ (VLB) gegründet, der bis in die achtziger Jahre bestand (der Form nach wie auf regionaler Ebene gibt es ihn noch heute; Rekonstitutionsbestrebungen gibt es im Rahmen von Zusammenschlußtendenzen des kleinen Sortiment-buchhandels gegen die Monopolisierungstendenzen am Buchmarkt). Wenig später entstanden Dachverbände von Sozialprojekten (Bund Deutscher Pfadfinder — Bund Demokratischer Jugend, Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise), die es, wenn auch mit teils gewandelten Projekten, noch heute gibt. Für die siebziger Jahre ist der Bundes-verband Soziokultureller Zentren zu erwähnen, der sich heute vor allem in seinen Landesverbänden manifestiert, sowie eine Reihe von Richtungsgruppen (erwähnenswert vor allem die anthroposophische Aktionsgemeinschaft Dritter Weg, die zeitweilig bestehende Politisch Offensive Verkaufs-Organisation, die Sozialen Selbsthilfen, später die Gruppe um UFA-Fabrik/Wirtschaftsteil der „taz“).
In den letzten Jahren sind mehrere Branchenverbände gegründet worden, deren Zusammenhang teils locker und vorübergehend war („Holzwürmer" /Tischlereien, Vollkombäckereien, schon nach WlblTl die Stattzeitungen, dann die Arbeitsgemeinschaft Alternativer Verlage), teils verbindlicheren Charakter angenommen haben (Werkstätten in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie, Graphisches Gewerbe, Gesundheitsläden/Gesundheitsakademie, Versicherungsläden, Fahrradläden, Naturkosthandel — später „Gesundheit und Umwelt“ —, Landschaftsgärtnereien). Es ist wahrscheinlich, daß diese Tendenz sich fortsetzen wird.
Weniger stringent sind die Neigungen alternativer Betriebe, sich auf kommunaler Ebene bzw. auf der Ebene des Landes zu vernetzen. An verschiedenen Orten sind zwar „Projekträte“ — oder wie sie auch immer geheißen haben mögen — gegründet worden, deren Lebensdauer indes begrenzt zu sein schien. Hinsichtlich der Bundesländer fällt auf, daß die Verbandsgründungen zumeist in einem Zusammenhang mit möglich gewordenen (oder zumindest als möglich angesehenen) politischen Konstellationen entstanden sind (mit deutlicher Abnahme der Motivation im Falle einer alternativ-unfreundlichen Veränderung). Prototypisch hierfür der „Verband selbstverwalteter Betriebe Hessens“; auch in Bremen und Hamburg gibt es vergleichbare Gruppen; einer Berliner Verbandsgründung sehe ich mit Spannung entgegen. Entsprechend dürfte es kein Zufall sein, daß aus Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz solche Diskussionen nicht bekannt geworden sind. Ein „Bundesverband selbstverwalteter Betriebe“ dürfte noch in weiter Feme liegen.
VI.
Insgesamt gesehen, bewegen sich die Agierenden bundesdeutscher Alternativer Ökonomie in zwei unterschiedlichen Richtungen, die mir indes nur auf den ersten Blick als einander widersprüchliche erscheinen. Gleichzeitig sind sie, gegenüber den früheren Jahren, pragmatischer geworden. Im Vordergrund ihres Interesses stehen die Ausweitung von Beratungstätigkeiten, die Einrichtung von eigenen Institutionen der Weiterbildung, die zunehmende Ausübung von (auf die Selbstverwaltungswirtschaft bezogenen) Forschungsarbeiten, Aspekte der internationalen Vernetzung. Neben den theoretischen Inhalten von Fort-und Weiterbildung (beispielsweise des kürzlich gegründeten hessischen Instituts für Selbstorganisation) stehen Fragen der Buchhaltung, des Rechnungswesens, der EDV-Benutzung, der Gruppendynamik oder der Konfliktlösung auf den Programmen — wie denn auch Supervision (selbst professionalisierte) nicht mehr länger ein Schimpfwort in Kreisen selbstverwalteter Betriebe und Projekte ist.
Auf Europa bezogen, scheint es die beiden Positionen des Schielens auf das magische Datum 1992 und des Anstrebens einer davon unabhängigen Vernetzung (die denn auch stärker außerhalb der EG stehende Staaten beträfe) zu geben. Wie auch in der hegemonialen Wirtschaft wird der europäische Bezug Alternativer Ökonomie (abgesehen von den erstrebten Mitteln für „lokale Beschäftigungsinitiativen“) nicht ohne Probleme abgehen. Dies betrifft zum einen, als ob es einen Abklatsch der erstgenannten darstellte, die unterschiedlichen Normen: Die idealtypisch angestrebte Kombination von Selbstverwaltung und Ökologie in kleinen Einheiten dürfte in dieser (relativen) Breitenwirksamkeit auf europäischer Ebene einsam dastehen. Zum anderen jedoch wird sich der historische Sachverhalt zweifellos auswirken, daß in vielen anderen europäischen Ländern die genossenschaftliche Tradition lebendiger geblieben ist als in der Bundesrepublik (und in Österreich), wo sie zuerst durch das NS-Regime zerschlagen und dann in „Wirtschaftswunder“ -Zeiten aktienrechtlich nivelliert worden ist.
Dies impliziert jedenfalls ein anderes Verständnis von Größenordnung, Vernetzung, Arbeitsteilung, Produktionsgegenständen wie auch andere Diskussionen geschichtlicher Erfahrung. Niemand — um nur das herausragendste Beispiel zu nennen — kann an die Erfahrung Kataloniens heranreichen, wo 1936 einige Monate lang der Nachweis geführt wurde, daß eine genossenschaftliche Vergesellschaftung möglich gewesen wäre, hätte sie nicht der (nur diesbezügliche!) gemeinsame Ansturm von Falangisten und Stalinisten zerschlagen. Allein das Umfeld der baskischen Genossenschaftsgruppierung Mondragon umfaßt so viele Mitarbeitende wie etwa ein Fünftel der Gesamtheit selbstverwalteter Projekte in der Bundesrepublik (und sie produziert auch noch Kühlschränke — einen Gegenstand, den, es sei denn zu eigenen Konsumtionszwecken, bundesdeutsche Alternative nicht mit der Beißzange anfassen würden). Auch bei den französischen Genossenschaftsbetrieben (z. B. Marketube) handelt es sich (wie seinerzeit bei den legendär gewesenen Projekten LIP und Lucas Aerospace) um industrielle Großprojekte — oft genug (wie auch die österreichischen Frilla-Leuchten) aus Konkursbetrieben entstanden. In der Bundesrepublik stehen diesbezüglich, von häufigen Krisen geschüttelt, eine Handvoll Betriebe — wie die Glashütte Süßmuth und die aus Voith Bremen entstandene ANGmbH — ziemlich allein da. Hier eine sinnvolle Vernetzung zustande zu bringen, wird noch eine ziemlich aufwendige Aufgabe darstellen.
Die andere Richtung bezeichnet das zunehmende makroökonomische Interesse vieler in der Alternativen Ökonomie Handelnder, begleitet von einer periodisch immer wieder hervortretenden realutopischen Unterströmung, mag diese nun beispielsweise sich auf Dualökonomie, Genossenschaftsvergesellschaftung, Großkommunen oder Subsistenz beziehen. Das grüne Schlagwort vom „Umbau der Gesellschaft“ bietet seit 1986 die Form für derlei makroökonomische Überlegungen — was nicht bedeutet, daß solche nicht schon vorher erwogen worden waren.
In unterschiedlichem Ausmaße hat diese pragmatisch-realutopisch gemischte Orientierung eines allmählich zunehmenden Bevölkerungsteils Reaktionen bei den politischen Parteien hervorgerufen, die von der einheitlichen Ablehnung noch in den späten siebziger Jahren differieren. (Ich sehe hier von der FDP ab, aus welcher mir keine Position bekanntgeworden ist, die über jene engagierter Einzelpersonen hinausginge.) In der CDU/CSU ist dies fraglos eine außerordentlich minoritäre Position, die mit den Namen Ulf Fink und Warnfried Dettling verbunden ist: Ausgehend von einer Neuinterpretation des Subsidiaritätsprinzips, wird das Gewicht auf sich ausweitende Selbsthilfe gelegt, in die (neben der traditionellen Klientel) Alternative Ökonomie und (insbesondere bei Rita Süßmuth) Frauenprojekte tendenziell miteinbezogen werden. Die Crux liegt darin, daß die hegemoniale Ökonomie unangetastet bleibt, welche die diversen Erscheinungsformen von „Selbsthilfe“ erst notwendig macht. Majoritätjedoch ist nach wie vor jener Wirtschaftsflügel, der am Tage nach dem Zustandekommen der hessischen sozialdemokratisch-grünen Koalition per FAZ-Leitartikel mitteilen ließ, noch nie hätte sich die Klientel einer Partei so schamlos aus dem Budget bedienen können (als ob nicht sämtliche Fördermaßnahmen dieser beiden Jahre zusammengenommen gegenüber der Gesamtheit der hegemonialen wirtschaftlichen Subventionen — von Grünen Plänen über Exportstützungen bis zu Infrastrukturinvestitionen und Forschungszuschüssen —, wenn überhaupt, in Promiliezahlen sich ausdrücken ließen). Aufhorchen ließ vor einigen Monaten ein Fernsehinterview des Innsbrucker Ökonomieprofessors Clemens Andreae (welcher der CSU nahesteht): voll des Lobs für Genossenschaften (etwa jener in Matrei/Tirol, in der Tat nach 1945 eine linkskatholische Gründung aus dem Umkreis des der ÖVP assoziierten Karl-Kummer-Instituts) und für die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung — allerdings unter der Zusatzbedingung allerstriktester Marktorientierung (als ob diese in der hegemonialen Wirtschaft so ohne weiteres funktionieren würde!).
Auch die sozialdemokratischen Parteien haben (und sei es in Erwägung der möglichen Abwanderung weiterer potentieller Wählerschichten) zaghaft begonnen, Aspekte der Selbstverwaltungswirtschaft wiederzuentdecken. Vor allem in Österreich ist dem verstorbenen Sozialminister Alfred Dallinger das Verdienst nicht abzusprechen, einen Kreis alternativ-ökonomisch interessierter Personen unterstützt und mit diesem selbstverwaltungsorientierte Innovationen angeregt zu haben (eigenständige Regionalentwicklung, Wirtschaftsberatung vor allem von Konkursbetrieben). In Bonn hat sich ein „Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e. V.“ gegründet, der sich u. a. um eine Verbindung neuer und traditioneller (z. B. Coop Dortmund) Genossenschaften bemüht. Dazu kommen die Aktivitäten weiterer Kreise, etwa jenes um den Berliner Politologen Fritz Vilmar, dessen „Strategien zur Demokratisierung“ in den „Weg zur Selbsthilfegesellschaft“ eingemündet sind. Auch hier ist allerdings nicht zu übersehen, daß die Mehrheit nach wie vor einen exklusiven zentralistischwohlfahrtsstaatlichen Kurs verfolgt.
Obwohl ein nicht unbeträchtlicher Teil alternativer Projekte zwischenzeitlich (wenigstens im Zweifelsfalle) sich am ehesten der grünen Partei zurechnen ließe, muß korrekterweise festgestellt werden, daß strukturell die Lage sich hier nicht wesentlich anders darstellt als bei den beiden großen Parteien. Zwar ist den Grünen fraglos zugute zu halten, daß sie programmatisch wie realpolitisch noch am ehesten die Alternative Ökonomie unterstützt haben (Ökofonds, ein Teil der Stiftungskonzeption, Grundsicherung, sozialdemokratisch-grüne Förderungspakete, Fondskonzeptionen in Umbauprogrammen, insbesondere in jenem zur Gesundheitspolitik), doch hält sich gegenüber ihren dominierenden Themen (Ökologie, Friedenspolitik) ihr Engagement für Aspekte Alternativer Ökonomie (seien es die „ökonomischen“ im engeren Sinne, seien es die „sozialen“ oder „kulturellen“) ähnlich in Grenzen wie in anderen Parteien. Wohl zur großen Enttäuschung der Medien muß auch festgestellt werden, daß hierin kaum eine Differenz zwischen den verschiedenen Strömungen der grünen Partei besteht: Die Handvoll Personen, für die Selbstverwaltungswirtschaft mehr ist als ein eventueller Gegenstand für Sonntagsreden, ist persönlich bekannt. Wobei eine schwierige Dialektik hier keinesfalls zu verkennen ist: Eine wirkungsvolle Unterstützung real existierender Projekte bedarf jenes effizienten Handelns, das dann wiederum jene unzufriedenen Autonomen auf den Plan ruft, welchen Alternative Ökonomie als bloßes Moment hegemonialer Ökonomie erscheint, dem dann die „Jobber“ -Mentalität“ als bestimmte Negation entgegengesetzt wird.
In diesem kurzen Überblick konnte die Vielfalt der Widersprüche und Chancen Alternativer Ökonomie selbstredend nur gestreift werden. Zu hoffen ist, daß ihre wünschbare und machbare Ausbreitung nicht dazu führt, daß ihr Gesamtzusammenhang verloren ginge oder zur Spezialität einiger weniger Alternativ-Expert/inn/en verkümmerte. M. Opielka/G. Vobruba (Hrsg.), Das garantierte Grundeinkommen, Frankfurt 1986 F. Oppenheimer, Die Siedlungsgenossenschaft, Leipzig 1896 C. Personn /O. Tiefenthal, Bedingungen und Strukturen alternativer Ökonomie, Hamburg 1984 M. Racki (Hrsg.), Frauentraum in Männerraum, München 1988 B. Runge/F. Vilmar, Auf dem Weg zur Selbsthilfegesellschaft, Essen 1986 R. Schwendter (Hrsg), Grundlegungen zur Alternativen Ökonomie, 2 Bände, München 1986 R. Schwendter, Theorie der Subkultur, Frankfurt 19783 0. Sik, Ein Wirtschaftssystem der Zukunft, Berlin 1985 W. Sperschneider, Alternative Betriebe in Südniedersachsen, Göttingen 1988 A. Uhlenwinkel, Alternative Betriebe in Bremen und Nordniedersachsen, Göttingen 1988 C. v. Werlhof, Frauen und Dritte Welt als „Natur“ des Kapitals, in: H. Dauber/W. Simpfendörfer (Hrsg.), Eigener Haushalt und bewohnter Erdkreis, Wuppertal 1981
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