Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Produktivität und Wirtschaftsordnung. Die Wirtschaft der DDR im Wandel | APuZ 33/1990 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 33/1990 Der deutsch-deutsche Staatsvertrag als Schritt zur Einheit Deutschlands Produktivität und Wirtschaftsordnung. Die Wirtschaft der DDR im Wandel Sozialpolitische Aufgaben der Umgestaltung der Wirtschafts-und Sozialordnung der DDR Überlegungen zu einer friedensvertraglichen Regelung für ein wiedervereintes Deutschland unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten

Produktivität und Wirtschaftsordnung. Die Wirtschaft der DDR im Wandel

Gernot Gutmann

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ein Kernproblem der bisherigen Planwirtschaft der DDR bestand darin, daß sie in einem doppelten Sinn nur wenig produktiv war. Zum einen war das mit den gegebenen Ressourcen erzeugte Gütersortiment den Zielen der Bürger nur begrenzt angemessen, erlaubte also nur ein bescheidenes Wohlstandsniveau, und zum anderen war der Faktoraufwand pro Einheit des erzeugten Sozialprodukts sehr hoch und damit die durchschnittliche Arbeitsproduktivität relativ gering. Hauptursache für diesen Produktivitätsrückstand gegenüber westlichen Industrieländern waren Defekte in der bisherigen Wirtschaftsordnung, insbesondere Mängel in der Informationsnutzung und in der Arbeitsmotivation. Verbesserung der Produktivität hat daher die Transformation der Wirtschaftsordnung in eine marktwirtschaftliche zur Voraussetzung. Beim Übergang von der Plan-in die Marktwirtschaft gibt es aber eine Reihe von Problemen, von denen einige an den Beispielen der Umgestaltung der Form der Wirtschaftsplanung, der Eigentumsordnung und der Form der Preisbildung beschrieben werden. Anschließend werden noch einige Vor-und Nachteile zweier alternativer Wege zur Transformation der Wirtschaftsordnung dargestellt.

I.

Seit dem 1. Juli 1990 ist der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in Kraft, mit dem die Währungsunion zwischen den beiden deutschen Staaten vollzogen und die Wirtschafts-und Sozialunion eingeleitet wurden. Dabei geht es um die Etablierung eines ganzen Katalogs von für eine Marktwirtschaft notwendigen Rahmenbedingungen in der DDR, vor allem um die Wiederbelebung der auf Vertragsfreiheit basierenden bürgerlichen Rechtsordnung 1), damit die in der bisherigen Planwirtschaft gelähmten Energien freigesetzt werden und so die Voraussetzung dafür geschaffen wird, daß Arbeitsleistung, Güterproduktion und Versorgung eine nachhaltige Steigerung erfahren.

Eines der Kernprobleme der Wirtschaft in der DDR bestand bislang darin, daß sie ein vergleichsweise niedriges Produktivitätsniveau erreichte. Versuche, die Arbeitsproduktivität der DDR-Wirtschaft zu messen, hat es iinmer wieder gegeben, wenngleich dies infolge mangelnder statistischer Daten und wegen unterschiedlicher Methoden bei der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wie sie in der Bundesrepublik und in der DDR angewendet wurden, ein sehr schwieriges und unsicheres Unterfangen war. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die 1971 vorgelegt wurden erreichte die Industrie der DDR im Jahre 1968 eine durchschnittliche Arbeitsproduktivität von 68, 4 v. H.des Werts, den sie in der Bundesrepublik hatte. Das Berechnungsergebnis für das Jahr 1983 ergab nur einen Wert der — unter Berücksichtigung der gleichen Arbeitszeit wie in der Bundesrepublik — 47 v. H.des westdeutschen ausmachte. Neuerdings spricht man davon, daß sich die Arbeitsproduktivität der DDR-Wirtschaft auf lediglich rund ein Drittel jener in der Bundesrepublik beläuft. Im volkswirtschaftlichen Durchschnitt benötigt man demnach in der DDR zur Herstellung einer Gütereinheit dreimal so viel Arbeit wie in Westdeutschland. Nun sind freilich solche makro-ökonomischen Durchschnittswerte — selbst wenn sie korrekt ermittelt werden konnten — und noch mehr ihr Vergleich zwischen Volkswirtschaften mit gänzlich verschiedenem Wirtschaftssystem in hohem Maße problematisch und bieten leicht Anlaß zu Fehlurteilen. Dies wird sofort erkennbar, wenn man sich verschiedene Verständnisse des Produktivitätsbegriffs und deren Implikationen verdeutlicht

In einem generellen Sinn ist eine Volkswirtschaft dann produktiv, wenn durch den Einsatz der verfügbaren Produktionsfaktoren im arbeitsteiligen Produktions-und Austauschprozeß solche Arten und Mengen von Gütern des privaten, gesellschaftlichen und öffentlichen Bedarfs hergestellt werden, durch die ein hohes Maß an Wohlfahrt für die Mitglieder der Gesellschaft erreicht wird. Nur solche Leistungen sind demnach als produktiv einzustufen, die dieser Wohlstandsmehrung dienen. Allerdings gibt es noch ein ganz anderes, spezifischeres Verständnis von Produktivität. Die Produktivität (Q) wird heute nämlich üblicherweise als ein statistisch-neutraler Maßbegriff verwendet, der in unterschiedlichen Formen und Arten vorkommt. Sie stellt generell den Beziehungszusammenhang zwischen dem Produktionsergebnis (Output) und dem hierfür eingesetzten Aufwand (Input) an Produktionsfaktoren (Arbeit, Natur, Kapital) pro Zeiteinheit (Stunde, Monat, Jahr) dar:

A _ Produktionsergebnis -Faktoreinsatz Dabei kann es sich um die Produktivität eines Betriebs, eines Wirtschaftszweigs oder einer ganzen Volkswirtschaft handeln.

Bei der Mengenproduktivität werden sowohl der Output wie Input in auch der quantitativen Größen (Stück, Kilogramm, Hektoliter) ausgedrückt, bei der Wertproduktivität hingegen sind sowohl das mengenmäßige Produktionsergebnis wie auch der mengenmäßige Faktoreinsatz mit Hilfe der Güter-preise und der Faktorpreise in Wertgrößen umgerechnet worden. Zu den Formen der gemischten Produktivitäten zählen jene, bei denen der Output in einer Wertgröße, der Input hingegen in einer Mengengröße beschrieben wird. Beim Input kann es sich dabei um die Zahl der beschäftigten Personen oder um die in Stunden ausgedrückte menschüche Arbeitsleistung (Arbeitsproduktivität), um den Kapitaleinsatz (Kapitalproduktivität) oder um die Verwendung von Grund und Boden (Flächen-produktivität) handeln. Von diesen faktorbezogenen Produktivitäten ist die Arbeitsproduktivität die wohl am meisten diskutierte Größe. In gesamtwirtschaftlicher Betrachtung handelt es sich dabei üblicherweise um den Beziehungszusammenhang zwischen der Wertgröße des Bruttoinlandsprodukts einer bestimmten Wirtschaftsperiode und der Zahl der in der Volkswirtschaft erwerbstätigen Personen (oder der Anzahl geleisteter Arbeitsstunden).

Für die sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaften tritt — wegen unterschiedlicher Methoden der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung — an die Stelle des Bruttoinlandsprodukts der Wert der in den einzelnen Wirtschaftszweigen entstandenen Bruttoproduktion, das gesellschaftliche Gesamtprodukt. Es ist die Gesamtheit der in der Volkswirtschaft in einer bestimmten Zeitperiode erzeugten materiellen Güter und der als produktiv angesehenen Leistungen, bewertet zu den vom Staat für die einzelnen Güterarten festgesetzten Preise. Es gehen also, entgegen den Gepflogenheiten in der westlichen Gesamtrechnung — nicht alle Dienstleistungsarten in die Berechnung ein, sondern nur ein Teil davon.

Vergleicht man den Wert der Arbeitsproduktivität der DDR-Wirtschaft, den sie im Rahmen des bisher dort bestehenden Wirtschaftssystems hatte, mit dem in der marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, dann muß man sich der Tatsache bewußt sein, daß die Bewertung des Bruttoinlandsprodukts in der Bundesrepublik vermittels jener Marktpreise — in DM gerechnet — erfolgte, welche die Güter an den Märkten erzielen konnten, das gesellschaftliche Gesamtprodukt hingegen vermittels völlig anderer, auf Mark der DDR lautender und staatlich fixierter Preise. Es war daher erforderlich, entweder die westdeutschen Erzeugnismengen in die in der DDR geltenden Preise umzurechnen, oder die in der DDR produzierten Mengen in solche Preise, die in der Bundesrepublik galten; ein recht kompliziertes Verfahren, das mit erheblichen Fehlerrisiken behaftet war Solche Vergleichswerte der gemessenen Arbeitsproduktivität verlieren aber spätestens dann weitgehend ihren Sinn, wenn die Wirtschaft der DDR in eine Marktwirtschaft umgewandelt wird, weil nämlich dann vielerlei Produkte gar nicht mehr oder wegen geringerer Qualität kaum noch absetzbar sind, selbst dann nicht, wenn sie zu erheblich reduzierten Preisen angeboten werden. Der Wert des Produktionsergebnisses ist dann in vielen Betrieben, wenn man es eben nicht von der Herstellung, sondern vom Umsatz her betrachtet, erheblich niedriger als in der Zeit zuvor, als staatliche Handelsorganisationen die planmäßig erzeugten Güter zu den staatlich festgelegten Preisen übernahmen und weiter verteilten. Der Wert der statistisch-neutralen Maßgröße Arbeitsproduktivität ist nämlich bei einem solchen Systemwechsel nicht dazu geeignet, eine Aussage darüber zu machen, ob die bisherige Art der Verwendung von Produktionsfaktoren produktiv in dem Sinne ist, daß dadurch etwas für die Bedürfnisse der Staatsbürger Nützliches und damit Wertvolles produziert wird oder nicht. Heute feststellen zu wollen, in welchem quantitativen Ausmaß die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität der DDR vor dem 1. Juli 1990 wirklich hinter jener in der Bundesrepublik lag und hieraus quantitative Prognosen für die Zukunft abzuleiten, scheint ein nutzloses Unterfangen zu sein.

Die Arbeitsproduktivität einer Volkswirtschaft ist von vielerlei Faktoren abhängig, u. a. von — der Leistungsfähigkeit und dem Leistungswillen der im Wirtschaftsprozeß tätigen Menschen; — der Ausstattung des Landes mit Maschinen und Einrichtungen (Realkapital) und der technischen Qualität dieser Anlagen;

— der Ausstattung des Landes mit natürlichen Ressourcen und deren Qualität;

— der Organisation des Produktionsablaufs und des Austauschs zwischen den arbeitsteilig verflochtenen Wirtschaftseinheiten sowie — der Art der Gewinnung und Nutzung von Informationen durch jene Personen oder Institutionen, die in der betrachteten Volkswirtschaft ökonomisch relevante Entscheidungen zu treffen haben.

Viele dieser Faktoren — der Leistungswille, der Umfang und die technische Qualität des Kapital-Stocks, der Grad an technischem Fortschritt, die Organisation der Produktionsabläufe, die Art der Informationsgewinnung und -Verarbeitung — werden ihrerseits von der bestehenden Wirtschaftsordnung beeinflußt, denn das wirtschaftliche Verhalten ist weitgehend ordnungsbedingt Wenn daher die Arbeitsproduktivität in der Wirtschaft der DDR — in welchem quantitativen Umfang auch immer — hinterjener in der Bundesrepublik Deutschland zurückgeblieben ist, dann ist dies in hohem Grad auf die bisher dort verwirklichte Wirtschaftsordnung zurückzuführen. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kamen freilich noch andere Einflußgrößen hinzu. Es handelt sich dabei um den unterschiedlichen Industrialisierungsgrad in den beiden Teilen Deutschlands, um unterschiedliche Reparationsentnahmen der Siegermächte, um die Marshallplanhilfe für Westdeutschland, um die Konsequenzen der Fluchtbewegung von Ost nach West in der Zeit nach dem Kriegsende und um die unterschiedliche Art der Eingliederung der Wirt-schäft beider Teile Deutschlands in die Weltwirtschaft Freilich lassen sich möglicherweise gegebene Startvorteile Westdeutschlands nach 45 Jahren nicht mehr als Argumente für den Produktivitätsrückstand der DDR ins Feld führen. Von daher ergeben sich zwei Fragen: 1. Weshalb hat die bisher in der DDR bestehende planwirtschaftliche Ordnung ein nur relativ geringes Produktivitätsniveau bewirkt und somit versagt? 2. Welche Probleme entstehen, wenn jetzt in der DDR eine andere, nämlich marktwirtschaftliche Ordnung aufgebaut wird, um die Produktivität zu erhöhen?

II

Bisher unterlag der Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens — also die Verwendung begrenzter Bestände an Produktionsfaktoren für die Herstellung von Gütern des privaten und des öffentlichen Verbrauchs, aber auch die gesamte Finanzierung des Wirtschaftsprozesses — bürokratisch-zentralisierter Planung, die sich für jeweils eine bestimmte Wirtschaftsperiode (z. B. Jahresvolkswirtschaftsplan) im Rahmen einer hierarchisch gegliederten Verwaltungsstruktur vollzog. Dabei bestand die Absicht, das wirtschaftliche Geschehen in und zwischen den Betrieben so zu lenken, daß dadurch Ziele erreicht werden konnten, welche die politischen Spitzengremien des Landes verfolgten und die allenfalls partiell mit jenen Zielen parallel gingen, die von den Bürgern selbst angestrebt wurden. Schon von hierher ergab sich eine Schwäche der DDR-Wirtschaft hinsichtlich ihrer Produktivität im generellen Verständnis. Der Umstand, daß das Wirtschaftsgeschehen primär darauf ausgerichtet war, solche Ziele zu verwirklichen, die entsprechend den Präferenzen der politischen Spitzengremien von vorrangiger Bedeutung waren, mußte zwangsläufig dazu führen, daß eben ein beträchtlicher Teil der dem Land verfügbaren Ressourcen hierfür vorbehalten und demnach nicht für die Erzeugung solcher Güter verfügbar war, die im Urteil der Bürger wichtiger waren.

Unterstützt wurde diese Form der Wirtschaftsplanung durch die verfassungsmäßig vorgeschriebene Eigentumsordnung. Art. 12 der DDR-Verfassung untersagte unter anderem privates Eigentum an Produktionsmitteln für Bergwerke. Industriebetriebe, Banken und Versicherungen. Hier war „gesamtgesellschaftliches Volkseigentum“ vorgeschrieben. Und der Staat übte durch die Leiter von Kombinaten und Betrieben die Nutzung dieses Volkseigentums aus, wobei die Ausübung des Nutzungsrechts an die vorgegebenen Planauflagen gebunden war. Die Betriebe waren also keine eigenständig disponierenden Wirtschaftseinheiten, sondern sie waren weitestgehend Einrichtungen, deren Aufgabe darin bestand, Planbefehle entgegenzunehmen und diese auszuführen. Das gilt nicht nur für volkseigene Kombinate und deren Betriebe, sondern auch für Banken.

Die direkte Lenkung und Planung der Wirtschaftsprozesse beruhte nicht auf Marktpreisen, und sie konnte es auch gar nicht. Preise für hergestellte Sachgüter und Leistungen sowie für Produktionsfaktoren wurden in einem ebenfalls hierarchisch strukturierten Gefüge von Preisgenehmigungsbehörden mit unterschiedlicher Entscheidungskompetenz festgesetzt. Derart zustande kommende und meist für längere Zeiträume festgelegte Preise sind aber ungeeignet, über die laufenden Veränderungen aller jener Daten zu informieren, die die Grade von Knappheit der vielen Güterarten täglich bestimmen.

Weder drückten sie die Knappheitsgrade und die relativen Knappheiten aus, die sich aus der Sicht der politischen Spitzengremien und der von diesen verfolgten Ziele ergaben, noch jene, die aus der Sicht und aus der Zielsetzung der Bevölkerung bestanden. Auch die außenwirtschaftlichen Beziehungen unterlagen güterwirtschaftlich und monetär der zentralen Planung. Art. 9 Abs. 5 der Verfassung der DDR legte fest: „Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft ist staatliches Monopol.“ Demzufolge wurden Export und Import behördlich entschieden und Wechselkurse zwischen der Mark der DDR und anderen Währungen festgelegt. Dabei war die Mark der DDR in keiner Hinsicht konvertibell, sondern sie war eine reine Binnenwährung.

Die hier skizzierte planwirtschaftliche Ordnung der DDR, die weitgehend ähnlich auch in anderen Ländern des RGW bestand, barg eine Reihe von „eingebauten“ Konstruktionsfehlern, die insbesondere hinsichtlich der Gewinnung und der Nutzung von Informationen für die Entscheidungsträger und hinsichtlich der Motivation der Menschen zu hoher Leistung negative Wirkungen zur Folge hatten, die wiederum den beklagten Rückstand in der volkswirtschaftlichen Produktivität und andere damit eng verbundene Konsequenzen mit verursachten.

Die hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Struktur der volkswirtschaftlichen Planungs-und Lenkungsorganisation enthielt eine nicht vermeidbare Schwäche hinsichtlich der Gewinnung und der Nutzung von Informationen über die Beschaffenheit all der Umstände, die man eigentlich kennen müßte, um gesamtwirtschaftlich richtige ökonomische Entscheidungen treffen zu können. In arbeitsteiligen Wirtschaften hat man es mit der Tatsache zu tun, daß die Gesamtheit des Wissens über alle jene Gegebenheiten, die letztlich für den sinnvollen Ablauf des volkswirtschaftlichen Geschehens von Bedeutung sind, in den Köpfen der wirtschaftenden Menschen verstreut vorhanden ist. Dies gilt insbesondere für die vielfältigen konkreten Umstände von Ort und Zeit Die Vielfalt dieses Wissens kann aber nur zum kleinen Teil im Rahmen einer hierarchischen Planungs-und Verwaltungsstruktur zusammengefaßt und den Entscheidungsinstanzen verfügbar gemacht werden. Das Wissen an der Spitze der Entscheidungspyramide ist daher unvermeidbar unzureichend. Das gilt selbst dann, wenn die zentralen Instanzen mit einer Fülle von Nachrichten überflutet werden, die ihnen auf verschiedenen Wegen zugehen.

Viele konkrete produktionstechnische und organisatorische Tatbestände waren also den Planungsgremien in der DDR gar nicht zureichend bekannt.

Sie waren daher gezwungen, die Betriebe und die Kombinate selbst in die Bewältigung der Planungsaufgabe mit einzubeziehen, indem sie diesen in sehr begrenztem Umfang Entscheidungsspielräume beließen. Man hatte dabei die Hoffnung, daß die in den Betrieben arbeitenden Menschen im Rahmen dieser Spielräume ihr Wissen, das nicht zentralisiert werden konnte, im Interesse der Erreichung der politisch vorgegebenen Zwecke des Wirtschaftens nutzen würden. Dies würde freilich bedeutet haben, daß die Betriebe ihre „Karten aufgedeckt“, also ihre tatsächliche Leistungsmöglichkeit offenbart hätten. Das hätte zwangsläufig dazu geführt, daß die Planungsgremien ihre Leistungsanforderungen an die Betriebe erhöht hätten, was nicht in deren Interesse lag. Statt dessen reagierten sie auf die Wissenslücken der Planungsinstanzen mit einer Politik der „weichen Pläne“. Da man seitens des Staates versuchte, die Leistungsmotivation der Menschen dadurch zu stimulieren, daß man ihnen Prämien zahlte, wenn sich nachweisen ließ, daß die ihnen erteilten Planauflagen erfüllt oder gar übererfüllt waren, richtete sich das Interesse der Betriebe darauf, sich durch überhöht ausgewiesenen Bedarf an Rohstoffen, Materialien und an Arbeitskräften versteckte Leistungsreserven anzulegen, um in den Genuß der Prämien zu gelangen. Volkswirtschaftliche Folge dieses Verhaltens war u. a. ein vergleichsweise hoher Verbrauch von Material und Energie bei der Erzeugung des Sozialprodukts und eine geringe Arbeitsproduktivität.

Als besonders gravierend muß man ansehen, daß sich diese Politik der weichen Pläne nicht nur in der laufenden Produktion negativ auswirkte, sondern daß sie vielfach auch Widerstände gegen die Einführung technischer Neuerungen hervorbrachte. Hinzu kam, daß es den zentralen Planungsinstanzen vielfach am Wissen darüber mangelte, wo und in welchem Umfang technologische Neuerungen sinnvollerweise hätten angesetzt werden können. Da außerdem das Außenwirtschaftsmonopol des Staates die Betriebe in der DDR fast völlig von den westlichen Weltmärkten isolierte, unterlagen diese keinem Wettbewerbsdruck von außen, der sie zu technischen Neuerungen gezwungen hätte. Der grundsätzliche Rückstand in der Arbeitsproduktivität gegenüber deren Entwicklung in westlichen Marktwirtschaften konnte somit auch von hierher nicht abgebaut werden.

Man kann zusammenfassend sagen, daß die planwirtschaftliche Ordnung in der DDR nicht vermeidbare informationeile Mängel aufwies und ein volkswirtschaftlich negativ wirkendes Verhalten der Menschen bewirkte — Schlamperei, Verantwortungslosigkeit, Risikoscheu und Desinteresse —, was sich dann in einer relativ niedrigen Arbeitsproduktivität und in schlechter Versorgung des Gemeinwesens mit Gütern der verschiedensten Art niederschlug. Es wäre also ein Irrtum anzunehmen, das ökonomische und ökologische Desaster in der DDR wäre wesentlich auf das Versagen und die Inkompetenz einzelner Personen zurückzuführen, etwa des im ehemaligen Politbüro für Fragen der Wirtschaft zuständigen Günter Mittag. Der Mißerfolg der DDR-Planwirtschaft war in der Anlage dieser Wirtschaftsordnung selbst vorprogrammiert und mußte daher früher oder später zutage treten.

Soll in der DDR die Arbeitsproduktivität nachhaltig verändert und die Versorgung mit Gütern entscheidend verbessert werden, dann ist es unerläßlich, die eigentliche Ursache der Misere zu beseitigen, und das heißt, ohne Wenn und Aber die planwirtschaftliche Ordnung abzulösen und eine marktwirtschaftliche aufzubauen. Hierbei läßt sich der Zeitbedarf für das Aufholen dann wesentlich verkürzen, wenn es gelingt, einen massiven Zufluß von Kapital und Know How aus den westlichen Industrieländern in Gang zu setzen, was wiederum zur Voraussetzung hat, daß die Wirtschaftsordnung der DDR marktwirtschaftlich wird, um so jene „Rahmenbedingungen“ herzustellen, die für das notwendige Vertrauen potentieller bundesdeutscher und ausländischer Investoren unerläßlich sind. Nur so ist es erreichbar, daß sich die Produktivität der Wirtschaft in der DDR im generellen Sinne und die Arbeitsproduktivität als statistisch-neutrale Maß-größe nachhaltig verbessern.

Letztere kann sich freilich schon dann fühlbar erhöhen, wenn im Prozeß der Umstrukturierung die derzeit große und ökonomisch ineffektive Fertigungstiefe von Kombinaten vermindert und der Arbeitskräftebestand auf jenen Umfang reduziert wird, der für eine rationelle Gütererzeugung tatsächlich notwendig ist. Allerdings wird das in vielen Fällen Freisetzung von Arbeitskräften bedeuten, also zeitweilige strukturell bedingte Arbeitslosigkeit.

III.

Der Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist in der DDR mit mancherlei Problemen verbunden. Einige davon seien hier am Beispiel der Umgestaltung von drei Elementen der bisherigen Wirtschaftsordnung — nämlich der Formen der Planung, des Eigentums und der Preisbildung — kurz erläutert.

Die Einführung von Marktwirtschaft und die Beseitigung der bürokratisch-zentralistischen Planung des arbeitsteiligen Geschehens verlangt wirtschaftlich eigenständig disponierende Betriebe, denn diese sind ja nicht länger Empfänger von Planbefehlen einer ihnen übergeordneten Verwaltungshierarchie. Die Betriebe müssen hinsichtlich des gesamten Umfangs ihres Produktionsprogramms — der Erzeugnispalette, der Herstellungsverfahren, der Beschaffung, des Absatzes, der Finanzierung, der Investitionen — Entscheidungsautonomie bekommen, damit sie sich im nationalen und im internationalen Wettbewerb behaupten können. Dieses Erfordernis stößt aber vielfach auf die Tatsache, daß eine große Zahl von Betriebsleitern es nie gelernt hat, jene Arten von Managementfunktionen auszuüben, die für Unternehmensleiter in marktwirtschaftlichen Systemen charakteristisch sind.

Die Fähigkeiten der DDR-Manager liegen größtenteils ganz anderen Zum Funktionieren Gebieten.

marktwirtschaftlicher Abläufe gehört aber ein Mindestmaß an Kompetenz des Managements, die sich in bestimmten Fertigkeiten und Techniken des Sozialverhaltens dokumentiert. Dazu zählen der selbstverantwortliche Umgang mit wirtschaftlichen Risiken, Kostenbewußtsein und ein Denken in alternativen Marktchancen sowie unternehmerische Kreativität. Diese Voraussetzungen sind jedoch oft nicht gegeben. „Das fehlende Erfahrungswissen führt häufig zu erheblichen Verhaltensunsicherheiten, die sich in planloser Geschäftigkeit, zumeist aber in einer weitgehenden Lähmung betrieblicher Initiativen ausdrücken. In der sich nun schockartig wandelnden Umwelt muß für einen Übergangszeitraum mit einem Dauerkonflikt zwischen (neuer) Wirtschaftsordnung und dem Trägheitsmoment einer (sich erst entwickelnden) sozialen Kompetenz gerechnet werden.“

Dieser Kompetenzmangel äußert sich — wie empirische Studien belegen —, in einer völlig unterentwickelten Fähigkeit, neue Marktchancen im Profil der Erzeugnisse überhaupt auffinden zu können der Erzeugnisse überhaupt auffinden zu können sowie in der Unfähigkeit, vorhandene betriebliche Schwächen oder gar Bedrohungen für den Bestand des Betriebes sofort zu erkennen. Dies muß sich anfänglich negativ auf die strukturelle Umgestaltung des Produktionsprogramms mancher Betriebe auswirken, wodurch sich die Gefährdung für die Überlebenschancen von Produktionsstätten oder zumindest der Zeitbedarf für die notwendige Umstrukturierung erhöht. Das wiederum verschärft potentiell das Problem der zeitweiligen Beschäftigungslosigkeit.

Verstärkt wird diese Kompetenzschwäche des in der DDR agierenden Managements dadurch, daß es derzeit meist noch kein betriebliches Rechnungswesen gibt, das geeignet ist, der Unternehmensleitung zuverlässige Informationen hinsichtlich der Rentabilität oder Unrentabilität der betrieblichen Vorgänge zu vermitteln. So weist etwa die Kostenrechnung erhebliche Mängel auf, die durch die bisher bestehende Wirtschaftsordnung bedingt sind. Es fehlte nämlich in der Planwirtschaft der Zwang zu einer möglichst exakten und verursachungsgerechten Aufschlüsselung von Gemeinkosten auf die verschiedenen Kostenträger, also auf die einzelnen im Betrieb hergestellten Produktarten. Es kam daher vielfach zu einer ganz einseitigen und unberechtigten Belastung oder Entlastung der einzelnen Produkte mit Kosten. Daher ist es nicht verwunderlich, daß es vielen Betriebsleitungen schwerfällt, realistische Kostenkalkulationen und darauf aufbauende Preiskalkulationen zu entwickeln

Weitere Probleme ergeben sich bei der notwendigen Transformation der Eigentumsordnung. Die bisherige Eigentumsordnung der DDR war Ausdruck einer ideologischen Dogmatik, die eine Dominanz des sogenannten sozialistischen Eigentums an den Produktionsmitteln vorsah. Hierzu zählten das gesamtgesellschaftliche Volkseigentum und das Eigentum sozialistischer Genossenschaften, letzteres insbesondere in der Landwirtschaft und im Handwerk. Nun ist es aber für den Zustrom ausländischen Kapitals und für das Funktionieren marktwirtschaftlicher Prozesse unabdingbar, daß privates Eigentum an den sachlichen Produktionsmitteln die vorherrschende Eigentumsform ist. Die Regierung Modrow hatte zwar schon im März dieses Jahres beschlossen, eine Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des sogenannten Volkseigentums einzurichten, der die Aufgabe zugedacht wurde, die volkseigenen Kombinate und Betriebe in Kapitalgesellschaften umzuwandeln. Hiermit wäre freilich lediglich eine formale Veränderung der Rechtsform der Betriebe erreicht und keine Umgestaltung der

Eigentumsordnung. Würden diese Kapitalgesellschaften aber weiterhin im Eigentum des von der Treuhandanstalt vertretenen Staates verbleiben, dann könnten sich neue Konkurrenten mit anderen Eigentumsformen deshalb leicht Wettbewerbs-nachteilen ausgesetzt sehen, weil der staatliche Eigentümer im drohenden Konkursfall entstehende Verluste seiner Betriebe sozialisiert. Es ist daher fraglich, ob sich unter solchen Umständen konkurrierende Privatunternehmen überhaupt etablieren würden. Das wäre aber dann geeignet, Monopolsituationen von Staatsuntemehmen auch weiterhin zu erhalten. Auch fiele eine indirekte Kontrolle der ökonomischen Leistungsfähigkeit staatseigener Aktiengesellschaften durch das Mittel der Börsen-bewertung deshalb aus, weil eben die Kapitalanteile in der Hand des Staates verbleiben und nicht an der Börse gehandelt würden

Jedoch stößt die rasche Privatisierung von Betrieben, die sich im staatlichen Eigentum befinden, auf gewisse Schwierigkeiten. Zwar sieht die Anlage IX zum Staatsvertrag vor, daß für jene ehemals volks-eigenen Betriebe, die in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden, der Grund und Boden analog zum Anlagekapital zu bewerten und in das Eigentum der Betriebe zu überführen ist. Man verspricht sich hiervon positive Effekte für die Kreditaufnahme bei Banken, wobei der Grund und Boden dann als Sicherheit dienen kann, sowie für die Beteiligung privater Investoren an solchen Betrieben. Da es jedoch derzeit noch keinen funktionsfähigen Markt für Grund und Boden und damit keine Marktpreise als Grundlage für diese Bewertung gibt, „. . . kann im Rahmen der Vertragsfreiheit mit den üblichen Klauseln vorgesehen werden, den zunächst vereinbarten Grundstückspreis nach Ablauf einer Übergangsfrist einer Überprüfung und nachträglichen Anpassung zu unterziehen. Dabei müssen Verfügbarkeit und Beleihungsfähigkeit des Grundstücks gesichert, die Übergangszeit kurz und die Kalkulierbarkeit der Belastung für den Erwerber gewährleistet sein.“

Gleichwohl liegen hier für potentielle private Investoren Risiken, die noch dadurch verstärkt werden, daß die Auseinandersetzung mit der nach dem Kriege in der DDR einsetzenden Enteignungspraxis noch keineswegs abgeschlossen ist. Zwar kön- ehe Unternehmen zurückgegeben oder deren ehemalige Eigentümer entschädigt werden, die als Kommanditgesellschaften mit staatlicher Beteiligung und als Einzelunternehmen im Jahre 1972 auf der Grundlage eines unveröffentlichten Beschlusses des Ministerrats in Volkseigentum überführt worden waren. Aber für alle übrigen Enteignungsfälle gibt es noch keine abschließenden gesetzlichen Bestimmungen. Das gilt für die Enteignung gewerblichen Vermögens zwischen 1949 und 1972 ebenso wie für die Enteignung landwirtschaftlichen Grundbesitzes und sonstigen Grundvermögens, insbesondere in der Wohnungswirtschaft. Überein-stimmung scheint es vorläufig lediglich hinsichtlich jener Enteignungen von gewerblichem Betriebsvermögen zu geben, die aufgrund von Anordnungen der damaligen Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und der auf solchen Änderungen beruhenden Ländergesetze zwischen 1945 und 1949 vorgenommen wurden, und die offenbar nicht rückgängig gemacht werden sollen. Die Unsicherheiten für potentielle private inländische und ausländische Käufer von Aktien und GmbH-Anteilen ehemals volkseigener Betriebe, die aus solchen ungeklärten Rechtsverhältnissen erwachsen, werden zumindest in bestimmten Branchen noch erheblich verstärkt durch schwer kalkulierbare Kosten, die für die Beseitigung jener Altlasten entstehen werden, die auf die rücksichtslose Verschmutzung und Zerstörung der natürlichen Umwelt zurückzuführen sind.

Wie schon dargelegt wurde, ist in einer arbeitsteiligen Wirtschaft das für ökonomische Entscheidungen unverzichtbare Wissen nicht bei einem Entscheidungsträgerzentralisiert, sondern nur bei allen Wirtschaftssubjekten zusammengenommen und damit verstreut vorhanden. Dezentrale Planung der Wirtschaftsprozesse und die Koordination der vielen Pläne erfordern daher Weitergabe von vorhandenem und Suche nach nicht vorhandenem Wissen. Bei diesem Prozeß der notwendigen Wissensvermittlung spielen aber die Märkte eine herausragende Rolle. Es wird nämlich über Preise und deren Veränderungen, über Variationen der Bezugs-und Lieferfristen sowie über Veränderungen der angebotenen und nachgefragten Gütermengen in indirekter Form eine Fülle von entscheidungsrelevanten Informationen wechselseitig ausgesendet und empfangen, ohne daß sich dabei das am Marktgeschehen beteiligte einzelne Wirtschaftssubjekt dieser Tatsache bewußt zu sein braucht. Da jeder Wirtschaftende im Schnittpunkt vieler Märkte steht, demnach durch sein Handeln an diesen Märkten nach vielen Seiten hin Informationen abgibt und andererseits von vielen Seiten her Informationen empfängt, sorgt letztlich die Verflechtung aller Märkte dafür, daß jeder Entscheidungsträger mittelbar oder unmittelbar mit allen übrigen in Verbindung steht und so fortlaufend über die sich ständig verschiebenden gesamtwirtschaftlichen Daten und die damit verbundenen Veränderungen der Knappheitsgrade informiert wird.

Diese Informationsfunktion erfüllen die Preise dann, wenn sie sich unter Bedingungen des Wettbewerbs bilden. Jedoch vollzieht sich die Markt-preisbildung in der wirtschaftlichen Realität in unvollkommener Weise. Es gibt Märkte, die nicht wettbewerblich strukturiert sind, sondern an denen Marktmacht besteht. Die Preise vieler Produkte sind durch Verbrauchssteuerung und andere Maßnahmen der Preispolitik verzerrt. Andere Preisbildungsvorgänge sind — man denke an die soge-nannte EG-Agrarmarktordnung — bis zur Unkenntlichkeit gegenüber ihren ökonomischen Grundlagen verfälscht. Es ist daher durchaus verständlich, wenn sich die DDR in der Anlage IV zum Staatsvertrag dazu verpflichtet, ein Gesetz über Preisbildung und Preisüberwachung zu erlassen, welches einerseits den Grundsatz der freien Preisbildung betonen und andererseits die Möglichkeit eröffnen soll, hiervon Ausnahmen dann vorzusehen, wenn es um die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen von großer Bedeutung geht, und das darüber hinaus Regeln für die Verhinderung mißbräuchlicher Praktiken bei freier Preisbildung enthalten soll, wenngleich dies unter wettbewerbstheoretischem Gesichtspunkt problematisch erscheint. Aber selbst ein solches, in vielerlei Hinsicht unvollkommenes Preisbildungsgeschehen hat noch eine beträchtliche koordinierende Kraft, und es ist der zentralen Entscheidungskoordination in Planwirtschaften hinsichtlich der Leistungskraft weit überlegen.

Bei Freigabe der Preisbildung in der DDR — insbesondere an Märkten, an denen industrielle Produkte angeboten und nachgefragt werden — ist man allerdings mit der noch bestehenden Kombinatsstruktur konfrontiert. Ende 1989 wurde die Industrieproduktion in den Betrieben von 126 zentral-geleiteten und 95 bezirksgeleiteten Kombinaten hergestellt, von denen sich derzeit einige in verschiedenen Stadien der Auflösung befinden. Dadurch ergibt sich an nicht wenigen Märkten eine monopolistische Marktstruktur, der man entgegenwirken muß. Ähnliches gilt auch für den Einzelhandel. Die Verkaufsstellen der staatlichen Handelsorganisationen (HO) und der sozialistischen Konsumgenossenschaften haben vielfach eine örtliche Monopolposition inne, die ihnen jetzt beträchtliche Marktmacht verleiht. Nun sieht zwar der Staatsvertrag in der Anlage II vor, daß die DDR das in der Bundesrepublik geltende Gesetz gegen Wettbe23 werbsbeschränkungen grundsätzlich übernimmt, jedoch wird es schwer sein, die in der Vergangenheit bewußt gebildete Konzentration in der DDR-Industrie und im Handel allein vermittels dieses Gesetzes schnell abzubauen. Hier sind zusätzliche wettbewerbspolitische Aktivitäten erforderlich: — Bestimmte Kombinate sind zu entflechten und die Betriebe zu verselbständigen, wobei gegebenenfalls eine Diversifizierung der Produktionsprogramme dort anzustreben ist, wo bisher innerhalb des Kombinats eine sehr weitgehende Spezialisierung der Betriebe vorgenommen worden war. Die staatliche Handelsorganisation und bestimmte Konsumgenossenschaften sind aufzulösen, ihre Betriebe zu privatisieren.

— Die Förderung von Unternehmensgründungen durch den Staat ist erforderlich, um wettbewerbliche Marktstrukturen entstehen zu lassen.

— Unverzichtbar ist auch das Offenhalten von Binnenmärkten für ausländische Wettbewerber. Gerade hier gibt es Widerstände. Durch die ausländische Konkurrenz kommen manche Betriebe in der DDR unter so starken Druck, daß die Umgestaltung ihres Produktionsprogramms mit erheblichen Verlusten an Arbeitsplätzen einhergeht. Es konkurriert daher das wettbewerbspolitische Erfordernis mit Bestrebungen zum Protektionismus.

IV.

Die skizzierten Probleme, die sich beim Prozeß der Transformation der Wirtschaftsordnung in der DDR und bei dem Versuch ergeben, dadurch das Produktivitätsniveau der Wirtschaft zu erhöhen und es im Verlauf von einigen Jahren an jenes heranzuführen, das der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland entspricht, werden unabhängig davon aktuell, welchen konkreten Weg der Vereinigung der Wirtschaft in den beiden Teilen Deutschlands man auch immer verfolgt oder hätte verfolgen können. Mit dem Staatsvertrag wurde eine bestimmte der hier bestehenden Alternativen unter dem Eindruck gewählt, daß hierdurch die Fluchtbewegung der Bevölkerung aus der DDR in die Bundesrepublik gestoppt werden könne, die in den zurückliegenden Monaten ein beträchtliches und für beide Teile Deutschlands bedrohliches Ausmaß erreicht hatte.

Was viele Wirtschaftswissenschaftler in der Bundesrepublik und in der DDR ursprünglich erwartet hatten, war der schnelle Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung in der DDR in eigenständiger Regie der dortigen Wirtschaftspolitik. Die Beseitigung der zentralen Wirtschaftsplanung, die Transformation der Eigentumsordnung, die Installierung von Märkten und Marktpreisbildung sowie die Veränderung anderer Ordnungselemente einschließlich des gesamten Rechtssystems wären dann bei einer der DDR verbleibenden Währungshoheit und einer selbständigen Währung vonstatten gegangen. Es gab vielfach die folgende Überzeugung: Bei frei an den Devisenmärkten gebildeten Wechselkursen zwischen einer Mark der DDR und der DM sowie anderen westlichen Währungen würde sich zunächst ein Kursniveau herausbilden, bei welchem es für potentielle Käufer im Westen attraktiver wäre, mancherlei Produkte in der DDR einzukaufen anstatt bei westlichen Firmen. Andererseits wäre der Einkauf — insbesondere von Konsumgütem — aus der Bundesrepublik und anderen Hartwährungsländem für die Bevölkerung der DDR eben wegen dieses Wechselkurses sehr teuer, so daß sich die Binnennachfrage stark auf die in der DDR selbst hergestellten Güter konzentrieren würde. Beide Effekte, so meinte man, würden vorläufig vielen DDR-Betrieben eine gewisse Nachfrage nach den Gütern erhalten, die sie produzieren, was sich dann auch günstig für die Beschäftigung auswirke. Da jedoch bei freiem Außenhandel und bei Konvertibilität der Mark der DDR die Struktur der Weltmarktpreise auch auf die DDR übergreifen würde, könne der beginnende Prozeß der Umstrukturierung der Produktion dadurch in die richtige Richtung gelenkt werden.

Allerdings muß man folgendes sehen: — Der Zeitbedarf für die Transformation der Wirtschaftsordnung wäre hier zweifellos erheblich größer gewesen und damit auch die Produktivitätserhöhung später eingetreten. — Für die DDR-Wirtschaft wäre es infolge ihrer negativen Außenhandelsbilanz schwer gewesen, jene Rohstoffe und sonstigen Vorprodukte zu importieren, die für die Produktionsumstellung erforderlich sind. Auch das hätte dann die erhoffte Verbesserung der Arbeitsproduktivität entsprechend verlangsamt. — Die aus der verbleibenden Währungshoheit der DDR sich ergebenden Befürchtungen für potentielle ausländische Investoren, daß nämlich im Bedarfsfälle die Währungskonvertibilität wieder eingeschränkt, die Mark der DDR bei erneuter Wechselkursfixierung abgewertet oder Schwierigkeiten bei der Rückführung von in der DDR zu erwirtschaftenden Gewinnen entstehen könnten, würden den für die Produktivitätssteigerung unverzichtbaren Zufluß von Kapital und Know How erheblich beeinträchtigt haben.

Die Frage, ob solche — eine schnelle Erhöhung des Produktivitätsniveaus — verhindernde Effekte dann nicht künftig eine neu einsetzende Wanderungsbewegung von Ost nach West ausgelöst hätten, ist schwer zu beantworten.

Der tatsächlich eingeschlagene Weg einer sofortigen Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR hat im Vergleich zu der oben beschriebenen Alternative einerseits Vorteile, birgt aber andererseits auch gewisse Risiken, die man beide gegeneinander abwägen kann. Vorteile bestehen darin daß die für den alternativen Weg vorstehend genannten drei negativen Momente nicht auftreten und daß sich die derzeit in der Bundesrepublik bestehende Konjunkturlage für den wirtschaftlichen Vereinigungsprozeß günstig auswirkt. Einmal bilden die konjunkturell bedingt höheren Einnahmen in den westdeutschen öffentlichen Haushalten eine gute Grundlage für die Finanzierung des Transformationsprozesses und andererseits bieten bestehende Engpässe in den Kapazitäten westdeutscher Unternehmungen leicht Anlaß, Kapazitätserweiterungen durch Investitionen nicht hier, sondern in die DDR hinein vorzunehmen.

Zu den spezifischen Problemen, die über die generellen Schwierigkeiten hinausgehen, die sich bei jeder Art des Zusammenwachsens der beiden Wirtschaften ergeben, gehören die folgenden:

— Da die Betriebe in der DDR seit dem 1. Juli dieses Jahres grundsätzlich der vollen internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind, ohne daß diese durch einen relativ niedrigen Wechselkurs einer eigenständigen Währung abgemildert würde, dürfte kurzfristig das Ausmaß der strukturell bedingten Arbeitslosigkeit höher ausfallen, was entsprechende finanzielle Belastungen für die Arbeitslosenunterstützung verursachen wird. — Für viele Betriebe in der DDR ergibt sich eine verschärfte Liquiditätsproblematik. Wer Ende des Monats Juli die Produktion noch nicht soweit umgestellt und den Absatz gesichert hat, daß die Erlöse in DM dazu ausreichen, die dann fälligen Löhne zu bezahlen und Material einzukaufen, benötigt Bankkredite. Bereits jetzt liegen Kreditanträge im Umfang zweistelliger Milliardenbeträge vor. Wegen der außergewöhnlichen Risiken, die mit solcher Kreditvergabe verbunden sind, müssen besondere Sicherheiten geschaffen werden, damit die Betriebe nicht wegen Kreditverweigerung zahlungsunfähig werden und deshalb in Konkurs gehen müssen. Es ist daher vorgesehen, daß die schon erwähnte staatliche Treuhandanstalt nach entsprechender Prüfung des konkreten Falls solche Kredite verbürgt. — Gefahren können sich für manche Betriebe auch daraus ergeben, daß man schnell eine DM-Eröffnungsbilanz aufstellen muß. Den Vermögenswerten auf der Aktivseite der Bilanz, die nach den für Marktwirtschaften geltenden Regeln neu bewertet werden müssen, stehen dann Verbindlichkeiten auf der Passivseite gegenüber, die gemäß den Bestimmungen der Währungsunion im Verhältnis von zwei Mark der DDR zu einer DM umgestellt wurden. Dort, wo die Wertverluste auf der Aktivseite wesentlich größer sind als die Abwertung der Verbindlichkeiten, erleiden die Betriebe — ganz unabhängig davon, ob sie im -Prozeß der Umstrukturierung ihrer Produktion eigentlich wettbewerbsfähig bleiben und daher überleben könnten — Bilanzverluste, die zum Konkurs zwingen, wenn nicht besondere Hilfsmaßnahmen ergriffen werden.

V.

Die Zahl der Probleme, die mit der sofortigen Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR verbunden ist, und von denen hier nur wenige skizziert werden konnten, ist sicherlich groß. Aber ebenso groß sind die Chancen, die sich nach Ablauf einer schwer ein-schätzbaren Übergangsfrist für die Wirtschaft in beiden deutschen Gebieten ergeben werden. Einseitige Betonung der Schwierigkeiten und Starren auf mögliche Kosten des wirtschaftlichen Wieder-25 belebungsprozesses der DDR-Wirtschaft und der mit ihm einhergehenden Produktivitätsverbesserung sind sicherlich ebenso dazu geeignet, Fehlurteile zu bilden wie ein Übermaß an Euphorie und realitätsfemer Unterschätzung der Übergangsprobleme. Über die Frage, welch quantitatives Ausmaß einzelne Größen in positiver oder in negativer Richtung kurzfristig haben werden — etwa welchen Umfang die Arbeitslosigkeit annehmen, welche Wachstumsraten die DDR-Wirtschaft in den kommenden Monaten aufweisen oder um wieviel Prozent sich die Arbeitsproduktivität erhöhen wird — läßt sich im Rahmen jeweils gesetzter Annahmen zwar spekulieren, wissenschaftlich sichere und beweisbare Aussagen hierüber sind jedoch nicht möglich.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl.der Bundesregierung und Bericht Materialien zur Lage der Nation 1971, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1971, S. 98.

  2. Vgl. Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1987, S. 392.

  3. Vgl. E. Mändle, Artikel Produktivität, in: W. Glastetter/E. Mändle/U. Müller/R. Rettig (Hrsg.), Handwörterbuch der Volkswirtschaft, Wiesbaden 1978, Sp. 1083— 1089.

  4. Vgl. Materialien (Anm. 3), S. 395 f.

  5. Vgl. K. P. Hensel, Grundformen der Wirtschaftsordnung. Marktwirtschaft — Zentralverwaltungswirtschaft, München 1972, S. 16.

  6. Vgl. P. Gregory/G. Leptin, Similar Societies under Differing Economic Systems. The Case of thc two Germanys, in: Soviet Studies. XIX (1977), S. 519f.; G. Leptin, Deutsche Wirtschaft nach 1945. Ein Ost-West-Vergleich, Opladen 1980, S. 51-64.

  7. Vgl. F. A. von Hayek, Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Erlenbach-Zürich 1952, S. 107.

  8. Gestaltung des modernen Fabrikbetriebes im Spannungsfeld neuer Fertigungstechnologien, ökonomischer Chancen und sozialen Wandels, vorgezogener Bericht des gemeinsamen Forschungsprojektes des Institutes für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der TU Berlin und der Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin, 30. Mai 1990, S. 17.

  9. Vgl. Ebd., S. 18 f.

  10. Vgl. W. Klein, Eigentumsstruktur und Transformation der Eigentumsordnung in der DDR, in: ders. /Sp. Paraskewopoulos, DDR. Schritte aus der Krise, 2. Teil, Entwicklung in Deutschland, Manuskripte zur Umgestaltung in der DDR, hrsg. von der Jakob-Kaiser-Stiftung e. V., Königswinter 1990. S. 6 ff.

  11. Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Anlage IX, Ziff. 4.

  12. Vgl. Soziälverträgliche Ausgestaltung der deutsch-deutschen Währungsunion, Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln, erstellt im Auftrag des Landes Niedersachsen, Köln, März 1990.

Weitere Inhalte

Gernot Gutmann, Dr. rer. pol., geb. 1929; seit 1971 o. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Zahlreiche Veröffentlichungen zu volkswirtschaftlichen Themen.