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Die neue Welt der Supermächte | APuZ 36/1991 | bpb.de

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APuZ 36/1991 Die Aufgaben der Vereinten Nationen im Wandel Zur Politik Deutschlands in den Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte Die neue Welt der Supermächte

Die neue Welt der Supermächte

Emst-Otto Czempiel

/ 17 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Zum Strukturwandel des internationalen Systems, der durch das Ende des Ost-West-Konflikts hervorgerufen worden ist, gehört das neue Verhältnis der Supermächte zueinander. Damit stehen vor allem die Vereinigten Staaten vor der Frage, wie sie sich gegenüber der Sowjetunion und ihrem „Neuen Denken“ verhalten sollen. Präsident Bush hat sich zwar entschieden, mit der Sowjetunion zu kooperieren, aber nicht, ihr direkt wirtschaftlich zu helfen. Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war bisher die aktive und passive Übereinstimmung bei der Zurückweisung der Aggression des Irak. Die Zukunft des neuen Verhältnisses ist jedoch ungewiß. Darauf deutet vor allem hin, daß die Aufrüstung der nuklearen Waffen auf beiden Seiten weitergeht und durch den START-Vertrag, der auf dem Juli-Gipfel in Moskau unterzeichnet worden ist, nicht beendet wurde. Hierin drückt sich eine Rivalität aus, die durchaus neue Machtkonflikte produzieren könnte.

Vorabdruck des (hier unwesentlich erweiterten) Kapitels II aus meinem Anfang September 1991 in München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, erscheinenden Buch: Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts.

Der rasante Wandel, der das internationale System seit 1985/1988 kennzeichnet, wurde hervorgerufen durch eine radikale Positionsveränderung der Sowjetunion. Unter der Führung von Michail Gorbatschow verließ Moskau über die ganze Breite der Sachgebiete die in den 40 Jahren zuvor aufgebauten und durchgehaltenen . Konfliktpositionen. Ob Präsident Gorbatschow diese Folgen der von ihm eingeleiteten Reformpolitik in der Sowjetunion vorhergesehen, intendiert oder lediglich akzeptiert hat, als sie sich zu entfalten begannen, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Zu vermuten ist, daß er diese Folgen weder beabsichtigt noch antizipiert, wohl aber hingenommen hat, daß die von ihm selbst vorgenommene Delegitimierung des Kommunismus die kommunistischen Herrschaftsapparate in Osteuropa grundsätzlich erschütterte, so daß ihr Einfluß durch den Spannungsabfall, den der Abschluß des INF-Abkommens (Abkommen über Mittelstreckenraketen) im Ost-West-Konflikt erzeugt hatte, bis zur Revolutionsreife geschwächt wurde. Gorbatschows politischer Weitsicht ist es zu verdanken, daß der einmal in Gang gebrachte Prozeß der Erneuerung nicht mehr aufgehalten wurde, so daß der Funke auf den gesamten Ostblock überspringen konnte. Damit war, nachdem Gorbatschow seit 1985 die Breschnewsche Weltpolitik ohnehin schon korrigiert hatte, die wichtigste, ja, die entscheidende Position des kommunistischen Lagers in Europa geräumt worden. Die Sowjetunion gestattete den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, sie tolerierte und förderte sogar die Demokratisierung der osteuropäischen Staaten; sie löste den Warschauer Pakt sowohl als militärische wie als politische Organisation auf, ebenso, am l. Juli 1991, den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Selbst um die Einführung liberaler Marktwirtschaft in der Sowjetunion bemüht, war es für Moskau nur folgerichtig, daß sowohl die politischen wie die ökonomischen Institutionen des früheren Ostblocks aufgelöst wurden. 1990 ergab sich daraus eine grundsätzlich veränderte weltpolitische Konstellation. Dem INF-Vertrag folgte der Abschluß des ersten Vertrages über die konventionelle Abrüstung in Europa, der auf dem KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) -Gipfeltreffen in Paris im November 1990 feierlich unterzeichnet wurde. Gleichzeitig fand der Ost-West-Konflikt sein dokumentiertes Ende in der „Charta von Paris für ein Neues Europa“. Diese Ereignisse können ausnahmsweise mit Recht als „historisch“ bezeichnet werden. Noch niemals zuvor war in der Geschichte ein weltpolitischer Konflikt dieser Größenordnung gewaltfrei und durch Kompromisse beendet worden. Verglichen damit war der Golfkrieg eher ein peripheres Ereignis. Es sollte nicht verdecken, daß von 1988 bis 1990 die europäische und die globale Politik einen Wandel durchlaufen haben, der ihre Strukturen radikal verändert hat.

Von den Folgen sind alle Staaten der Welt betroffen, allen voran die Vereinigten Staaten. Ihre Weltpolitik war bis 1990 maßgeblich auf den Gegensatz zur Sowjetunion aufgebaut gewesen; 45 Jahre lang hatten dieser Gegensatz und die Herausforderung durch die Sowjetunion den Leitstern der amerikanischen Weltpolitik bestimmt Nachdem dieser Parameter fast vollkommen weg-gebrochen war, müssen nun die Vereinigten Staaten ihre Weltpolitik neu bestimmen. Gewiß, sie sind jetzt unbestritten die Weltmacht Nummer Eins, befinden sich in derjenigen Position, die schon Präsident Eisenhower angestrebt, die aber weder er noch seine Nachfolger bis hin zu Reagan erreicht hatten. Die USA sind als Weltführungsmacht unbestritten; ihre militärische Potenz ist nicht nur die stärkste der Welt; sie erfreut sich globaler Handlungsfreiheit, nachdem die disziplinierende Drohung einer militärischen, potentiell den Nuklearkrieg implizierenden Konfrontation mit der Sowjetunion nicht mehr existiert. Freilich ist mit der sowjetischen Bedrohung auch die Notwendigkeit entfallen, eine solche Militärmaschine zu unterhalten. Die Welt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verlangt von den Vereinigten Staaten eine Neubestimmung ihrer Führungsposition. Darin spielt die Frage, wie sie sich zu der neuen Sowjetunion, die Michail Gorbatschow hergestellt hat, verhalten sollen, die entscheidende Rolle.

I. Die politischen Beziehungen

Die Vereinigten Staaten haben den Wandel der sowjetischen Weltpolitik mit Klugheit und Generosität zur Kenntnis genommen und es auf diese Weise Gorbatschow leichtgemacht, diese für ihn schwierig durchzusetzende Politik auch weiterzuführen. Dennoch herrschte 1991 in Washington Unklarheit über die künftige Qualität der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen. Sie wird verstärkt durch das ungewisse Schicksal der inneren sowjetischen Entwicklung, die sowohl in einem Zerfall der Union, die sie als weltpolitischen Faktor beseitigen würde, als auch in einer militärischen Eruption enden könnte, aus der dann möglicherweise ein neuer Gegner entstehen könnte Selbst wenn, was man in Washington natürlich hofft, der Devolutionsprozeß in der Sowjetunion geordnet weitergeht und in einer demokratisierten Konföderation endet, bleibt die Sowjetunion aufgrund ihres Nuklearpotentials eine zumindest auf diesem Gebiet rivalisierende Supermacht.

Wie soll sich Washington zu einer Sowjetunion verhalten, die zwar jetzt Kooperation anbietet, aber die für eine Bedrohung erforderlichen Rüstungspotentiale noch immer besitzt Bushs Sicherheitsberater Scowcroft sah die Sowjetunion „im Übergang von klarer Feindseligkeit zu etwas, von dem ich nicht sicher bin, daß wir es gegenwärtig richtig definieren können“ Eine ähnliche Bewertung hatte die Bush-Administration schon in ihrem National Security Strategy Report vom März 1990 abgegeben bei dieser Ambivalenz ist es bis 1991 geblieben. Die Sowjetunion gilt nicht mehr als Gegner, aber der Rücktritt von Außenminister Schewardnadse im Dezember 1990 hat, wenn auch nur inoffiziell, die Unruhe Washingtons verstärkt, weil er den Sturz Gorbatschows vorweggenommen haben könnte. Wird auch nach einem solchen Ereignis noch keine Rückkehr zu einem neuen Kalten Krieg erwartet, so könnte es doch die Beziehungen zu Washington beeinflussen.

In dieser schwierigen Lage hat sich die Bush-Administration dazu entschlossen, die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion weltweit zu fördern. Wie schon 1989, so lobte Außenminister Baker auch im Oktober 1990 die Zusammenarbeit, die die Sowjetunion bei der Auflösung der Regionalkonflikte in Zentralamerika, in Angola und Namibia, Kambodscha und am Hom von Afrika gezeigt hatte. Er pries Moskaus unerschütterliche Kritik an der Besetzung Kuwaits durch den Irak. Baker sah „normale Beziehungen“, ja „sogar eine echte Partnerschaft“, in Reichweite Als besondere Geste der Verbundenheit ernannte Präsident Bush Anfang 1991 einen engen Freund, den wegen seiner Geschäftstüchtigkeit als „Mr. Deal“ bekannten Robert S. Strauss, zum neuen Botschafter in Moskau. Auf ihrer Gipfelkonferenz in Moskau im Juli 1991 beschworen beide Präsidenten die neue Partnerschaft und Zusammenarbeit.

Baker und Bush scheuten aber davor zurück, den innenpolitischen Wandlungsprozeß in der Sowjetunion substantiell zu unterstützen. Sie boten gute Wünsche und die Intensivierung der zwischengesellschaftlichen Kontakte, aber keine Wirtschaftshilfe an. Am Widerstand des amerikanischen Präsidenten scheiterten auf den Weltwirtschaftsgipfeln von Houston, Juli 1990, und London, Juli 1991, die von Gorbatschow direkt oder indirekt erbetenen finanziellen Hilfsmaßnahmen des Westens. Bush hatte am 12. Dezember 1990 das Jackson/Vanik-Amendment bis Juli 1991 ausgesetzt, aber nur für landwirtschaftliche Kredite in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar. Er hatte zwar im Mai 1991 diesen Kredit verlängert, aber den im Juni 1990 abgeschlossenen Handelsvertrag, der der Sowjetunion die Meistbegünstigung einräumen würde, weiter zurückgehalten, obwohl die Sowjetunion ihre Emigrationsgesetzgebung Ende Mai 1991 abgeschlossen hat Erst bei der Moskauer Gipfelkonferenz gab er am 30. Juli 1991 bekannt, daß er den Handelsvertrag mit der Meistgebünstigung dem Kongreß zur Ratifizierung zuleiten und damit das 1974 eröffnete Kapitel erneut verschärfter Konfrontation endgültig schließen wolle.

Für die Zurückhaltung der Regierung Bush gab es mehrere Gründe. Zunächst ist es nicht sinnvoll, den Zusammenbruch eines maroden Wirtschaftssystems durch Finanzhilfen künstlich aufzuhalten; sie könnten auch als Versuch einer Einmischung von außen gedeutet werden und die Probleme Gorbatschows noch erhöhen. Bush und Baker betrieben die richtige Strategie: durch enge, geradezu freundschaftliche Kooperation in der Weltpolitik den Konfliktdruck zu mindern und damit der Sowjetunion, der Regierung wie der Opposition, Gelegenheit zu geben, in Ruhe und Sicherheit die notwendigen Reformen vorzunehmen.

II. Rüstung und Rüstungskontrolle

Die Sowjetunion hat im Bereich der strategischen Waffen ihre Kompetenz als Supermacht behalten. Sollte die Union der Sowjetischen Republiken aufgelöst werden, so dürfte diese Kompetenz an die Russische Republik übergehen. Der Rüstungswettlauf der strategischen Waffen ist das einzige Gebiet, auf dem sich die Vereinigten Staaten nach wie vor einer wettbewerbsfähigen Sowjetunion gegenübersehen. Zwar zeigte sie sich kompromißbereit. Die Verifikationsprotokolle des Schwellen-vertrages von 1974 und des Vertrages über die friedliche Nutzung der Atomenergie von 1976 konnten aufgrund sowjetischer Konzessionen im Oktober 1990 unterzeichnet und in den Vereinigten Staaten auch ratifiziert werden. Der seit langem verhandelte START-Vertrag hingegen konnte auf dem Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und Bush (31. Mai -4. Juni 1990 in Washington) nicht unterschrieben werden. Wie die Grundsatzerklärung der beiden Staatschefs erkennen ließ, hatte sich an dem START-Rahmen bis dahin nichts geändert Er blieb auch bei der im Juli 1991 in Moskau unterschriebenen Endfassung unverändert. Strittig waren bis zuletzt die Verschlüsselung der Raketendaten und die Anzahl der auf den Raketen verbleibenden Sprengköpfe (downloading). Die verabredeten Obergrenzen von 1600 Trägersystemen und 6000 Sprengköpfen reduzieren die Potentiale um maximal 30 Prozent. Infolge der Zählkriterien verbleiben den USA rund 9000, der Sowjetunion rund 7000 Sprengköpfe. Seegestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 600 Km bleiben ausgeklammert, müssen also noch hinzugezählt werden. Die Modernisierung wird nicht verboten.

Der in dieser Form unterzeichnete START-Vertrag trägt noch das alte Charakteristikum der Rüstungskontrolle: zahlenmäßige Verringerung bei qualitativer Verbesserung der Nuklearwaffen. Er müßte alsbald durch ein wirkliches, dem Fortschritt des INF-Vertrages folgendes Abkommen ersetzt werden, das die Kernwaffen systematisch und systemweise verringert.

Denn ohne das Abschreckungssystem des Ost-West-Konflikts haben diese strategischen Waffen ihre Funktion eigentlich verloren. Daß sie dennoch nicht ebenso rasch und gründlich vermindert werden -wie die konventionellen Bewaffnungen in Europa -zeigt, daß diese Waffen ihre Existenz nicht nur der Supermacht-Rivalität verdankten. Auch der Hinweis auf die mögliche nukleare Be-drohung aus der Dritten Welt reicht nicht aus, um zu erklären, warum der Abrüstungsprozeß nur so langsam und so unvollständig vorankommt. Selbst der START-Vertrag wird die Arsenale auf beiden Seiten nicht um 50, sondern maximal um 30 Prozent verringern.

Vielmehr müssen die Nuklearwaffen als Attribut der Supermachtposition angesehen werden, als Mittel der politischen Distanzierung von allen Nicht-Nuklearmächten. Der Prestigewert der Nuklearwaffen ist mindestens ebenso hoch zu veranschlagen wie ihr strategischer Wert, vermutlich höher. Denn angesichts des Spektrums der in der Zukunft zu erwartenden Konflikte lassen sich diese Waffen noch weniger einsetzen als innerhalb des Ost-West-Konflikts. Zur Verhütung eines globalen Nuklearkrieges würde außerdem eine energische Nichtweiterverbreitungspolitik sehr viel tauglicher sein als die Bewahrung großer und kontinuierlich modernisierter Nuklearpotentiale. Doch ließen es die beiden Supermächte auf der Vierten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags im September 1990 in Genf erneut an ihrer Bereitschaft fehlen, mit einer dezidierten Abrüstungspolitik ihrer Forderung nach Nicht-Weiterverbreitung und Atomwaffenverzicht nachzukommen

Von einem umfassenden Verbot aller unterirdischen Atomversuche sind beide Supermächte weit entfernt. Die Sowjetunion hatte zwar im November 1990 einen neuen Versuch in diese Richtung unternommen. Die Teststoppkonferenz (PTBT) im Januar 1991 zeigte jedoch keine Kompromißbereitschaft Washingtons und Moskaus. Am l. Juni 1990 unterschrieben Moskau und Washington einen Vertrag, der die Chemiewaffen um 80-90 Prozent verringern soll, allerdings über einen langen Zeitraum Aufgrund der Erfahrungen des Golfkrieges unterbreitete Präsident Bush am 13. Mai 1991 einen weitreichenden Vorschlag für die Abschaffung aller Chemiewaffen und erklärte die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, nach Abschluß eines solchen Vertrages auf jeglichen Einsatz von Chemiewaffen zu verzichten

Wegen des Supermachtanspruchs -aber auch aus Gründen ihrer latenten Rivalität -halten die USA und die Sowjetunion an den Nuklearwaffen fest. Gorbatschow hat vieles aufgegeben, aber nicht denAnspruch der Sowjetunion, nukleare Weltmacht zu sein. Er will die strategische Parität mit den Vereinigten Staaten behalten möchte diese Kapazität, obwohl sie konfliktpolitisch sinnlos geworden und militärisch unbenutzbar ist, bewahren und weiter ausbauen für den Zeitpunkt, an dem die Sowjetunion durch die von ihm eingeleiteten Reformen wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich zu einer veritablen Supermacht herangereift sein wird.

III. Waffenhandel und globale Präsenz

In den Waffenlieferungen an die Dritte Welt hingegen zeichnet sich die Beruhigung des Ost-West-Konflikts deutlich ab. Mit 30, 4 Mrd. US-Dollar belief sich der Umfang neuer Waffenlieferungsverträge 1989 nur noch auf die Hälfte des Betrages von 1982, nämlich 61, 4 Mrd. Dabei verringerte die Sowjetunion den Umfang ihrer Verpflichtungen. Er fiel von ursprünglich 26, 1 Mrd. US-Dollar 1982 auf 11, 2 Mrd. US-Dollar 1989, während die Ausgaben der Vereinigten Staaten nur um rund ein Viertel gesenkt wurden, von 12, 9 Mrd. auf 7, 7 Mrd. US-Dollar 1989. Nach wie vor steht die Sowjetunion mit einem Anteil von 38, 3 Prozent an der Spitze aller Waffenlieferanten, gefolgt von den Vereinigten Staaten, die zu 26, 3 Prozent beteiligt sind. Es folgt Großbritannien mit 10, 9 Prozent und, 1989 sogar auf Platz 4, die Bundesrepublik mit 4, 4 Prozent

Bei diesem Rückgang spielt zunächst die Sättigung des Marktes und die daraus folgende Zurückhaltung der Käufer eine Rolle. Hinzu kommt die Verschuldung der Dritten Welt. Aber auch die Beendigung des Ost-West-Konflikts zeigte ihre Wirkung. Es gibt keinen Anlaß für die Supermächte mehr, sich mit Hilfe von Waffenlieferungen an Alliierte in der Dritten Welt zu bekämpfen. So werden die Vereinigten Staaten den Vertrag mit Somalia über die Benutzung des Hafens von Berbera nicht verlängern, wird Moskau die Unterstützung Äthiopiens beenden, liefern beide keine Waffen mehr nach Angola.

Dennoch werden die Waffenlieferungen und die militärische Auslandshilfe nicht gänzlich eingestellt. Infolge der Golfkrise haben die Vereinigten Staaten ihre Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die Golfstaaten erheblich aufgestockt Die Nachfrage nach den „smart weapons“, die ihre Leistungsfähigkeit bei der Bekämpfung des Irak unter Beweis gestellt haben, wird weltweit steigen und wohl auch gedeckt werden. Präsident Bush hat im März 1991 den Kongreß sogar um Bereitstellung staatlicher Exportkredite für neue Waffenverkäufe gebeten. Wie sich diese Politik mit der Ankündigung Präsident Bushs vom 6. März bzw. 29. Mai 1991 verträgt, er wolle einen Plan zur umfassenden Abrüstung der konventionellen und der Massenvernichtungswaffen im Mittleren Osten ausarbeiten lassen bleibt abzuwarten.

Die amerikanische Auslandshilfe für 1990 wurde wie bisher fast zur Hälfte als Militärhilfe vergeben, zunächst an Ägypten und Israel, dann an Griechenland, Portugal, die Türkei und die Philippinen, an Staaten also, in denen sich amerikanische Basen befinden Auf amerikanischer Seite bleibt die Infrastruktur der „power projection“ jedenfalls erhalten, auch wenn sie sich nicht mehr gegen die Sowjetunion richtet, sondern die Machtvollkommenheit der globalen Vormacht USA unterstreicht.

Aufgrund ihres Rückzugs von der Breschnewschen Weltpolitik ist die Sowjetunion außer in ihrem europäischen Teil nur noch in Asien militärisch präsent. Von einer Konkurrenz mit den Vereinigten Staaten könnte daher am ehesten noch im Pazifik gesprochen werden, jener Weltregion, in der sich die beiden Supermächte, geographisch gesehen, gegenüberstehen. Während der Ära Breschnew waren die sowjetischen Streitkräfte im asiatisch-pazifischen Raum vermehrt worden. Die Femost-Flotte war die stärkste in der sowjetischen Marine; im Femen Osten befanden sich 57 sowjetische Divisionen Wurde die konventionelle Präsenz der Sowjetunion aufgrund der von Gorbatschow in seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 7. Dezember 1988 bekanntgegebenen Kürzung aller sowjetischen Streitkräfte um 500 000 Mann drastisch reduziert, blieb dagegen die Fernost-Flotte präsent. Ihre zahlenmäßige Verringerung wurde durch Modernisierung kompensiert. Dennoch kann die Sowjetunion im pazifischen Raum den Streitkräften der Vereinigten Staaten nichtsVergleichbares entgegensetzen. Für die USA ist der Pazifik nach wie vor eine „amerikanische See“; dementsprechend groß ist ihre militärische Stärke dort. Sie wird nur in Japan und Südkorea etwas verringert werden. Die Zukunft der Stützpunkte auf den Philippinen ist ungewiß geworden; doch werden die aus den Philippinen abziehenden Streitkräfte im Pazifik verteilt werden.

Nicht ohne Aufmerksamkeit wird in Washington vermerkt, daß sich das Ansehen Gorbatschows durch seine radikale Rückzugspolitik in Asien nicht etwa verschlechtert, sondern verbessert hat. Zwar vermutet niemand dahinter eine neue politische Wettbewerbsstrategie Moskaus; niemand unterstellt Gorbatschow, daß er einen geheimen Plan verfolgt, um die Vereinigten Staaten, nachdem er ihnen militärisch nicht beikommen konnte, politisch auszuhebeln. Rüstungspolitische Konsequenzen werden aber daraus nicht gezogen. Das amerikanische Rüstungsbudget 1991 beläuft sich auf rund 290 Mrd. US-Dollar. Trotz des Endes des Konflikts mit der Sowjetunion setzen die Vereinigten Staaten in ihrer Weltpolitik auf das Militär als wichtigste Stütze ihrer Politik.

Daß die Vereinigten Staaten ihren Rüstungshaushalt in den kommenden fünf Jahren nur um rund 21 Prozent senken, also keineswegs eine besonders reichhaltig ausgestattete „Friedensdividende“ an die amerikanische Gesellschaft verteilen wollen, hat wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und auch strukturelle Gründe. Die Beibehaltung hoher Rüstung signalisiert, daß die Vereinigten Staaten am meisten vom Ende des Ost-West-Konflikts profitieren wollen. Nachdem die nukleare Konfrontation mit der Sowjetunion beseitigt worden ist, die Sowjetunion sich selbst als rivalisierende Super-macht aus dem globalen Wettrüsten genommen hat, bleiben die Vereinigten Staaten in einer Monopolposition zurück. Sie sind jetzt unbestritten die weltpolitische Führungsmacht Nummer Eins, deren militärische Handlungsfreiheit von keiner Macht auf der Welt eingeschränkt werden kann und wird. In der Administration Bush gibt es offenbar Interessen, in die Position des Weltpolizisten zurückzukehren. Anders läßt sich die Intervention in Panama im Dezember 1989, aber auch die Rolle der USA im Golfkrieg 1991, nicht erklären. Interessant sind Äußerungen aus dem amerikanischen Außenministerium, daß amerikanische Truppen auch ohne Einwilligung des betreffenden Landes Hausdurchsuchungen und Festnahmen im Ausland vornehmen können, wenn es um die Bekämpfung des Drogenhandels geht.

IV. Kooperation im Golfkrieg

Auch die rasche Entscheidung der US-Regierung, die Aggression des Irak in Kuwait mit einer Militäraktion zu beantworten, muß auf dem Hintergrund des Bewußtseins einer neuen und praktisch unbegrenzten Handlungsfreiheit der Vereinigten Staaten gesehen werden. Ohne die Wende in Moskau wären die Vereinigten Staaten schon durch den Blick auf die Sowjetunion, die mit dem Irak verbündet gewesen ist, abgehalten worden, am Golf mit militärischer Macht aufzutreten. So aber konnten sie sofort und unilateral reagieren, bevor sie sich zum Führer einer globalen Koalition gegen den Irak machten. Damit ließ sich der Eindruck der Führungsschwäche verwischen, den Bush gelegentlich zu erwecken schien; damit ließ sich auch die Kürzung des Rüstungshaushaltes zugunsten der „Friedensdividende“ vermeiden. Die Bush-Administration nutzte die vergrößerte Handlungsfreiheit, um die USA als wiedergeborene Weltführungsmacht Nummer Eins zu präsentieren. Für die USA birgt die Regionalisierung die Gelegenheit, sich in die Position der globalen Vormacht zu versetzen.

Zwar hat die Administration Bush die zurückerhaltene Handlungsfreiheit freiwillig wieder eingeschränkt, indem sie sie in der Golfkrise dem kollektiven Führungsorgan der Vereinten Nationen ein-und unterordnete. Die seit 1985 gestiegene Bedeutung der UNO wurde damit nochmals erhöht. Wenn jedoch Präsident Bush und Außenminister Baker von Zeit zu Zeit verlauten ließen, die Vereinigten Staaten wären auch zu einem unilateralen Vorgehen bereit, so gaben sie die machtpolitische Position der USA in der regionalisierten Welt exakt wieder. Militärisch gesehen, also im Sachbereich der Sicherheit, können sie ihre ungeheure militärische Potenz ungehindert einsetzen. Sie haben die militärische Superiorität zurückgewonnen, die ihnen von der Sowjetunion seit Mitte der sechziger Jahre streitig gemacht worden war.

Die weltpolitische Handlungsfreiheit der Vereinigten Staaten vergrößert sich noch, wenn sie durch die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion unterstützt wird. Eine solche Kooperation hatte schon die erste Phase der Entspannung von 1972 bis 1975 charakterisiert. Es ist interessant, daß Präsident Ronald Reagan trotz seiner konfrontativen Politik gegenüber der Sowjetunion im Oktober 1985 mit seiner „Regionalen Friedensinitiative“ das Angebot eines amerikanisch-sowjetischen Kondominiums machte Beim Rückzug der Sowjetunionaus Afghanistan wurde der Vorschlag erstmals praktiziert; die USA traten als Garantiemacht der Verträge auf. Bei der Bekämpfung der irakischen Invasion in Kuwait ist diese Kooperation zum Bündnis, fast sogar zur Waffenbrüderschaft vorangetrieben worden. Die Sowjetunion hat die amerikanische Politik nicht nur toleriert, sondern aktiv unterstützt. Sie folgte dabei ihrem „Neuen Denken“, gewiß auch dem Interesse, in der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten den Supermachtstatus zu bewahren. Den USA ihrerseits kam die Hilfe aus Moskau gelegen, weil sie nicht nur den ausdrücklichen Verzicht auf Widerstand signalisierte, sondern darüber hinaus den Einfluß der Vereinigten Staaten multiplizierte. Wenn sie und die Sowjetunion in der Dritten Welt Zusammenarbeiten, ist ihnen ein dominanter Einfluß gewiß. Nicht umsonst kam Präsident Bush seinem sowjetischen Kollegen Gorbatschow im September 1990 bis nach Helsinki entgegen, um dessen Zustimmung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sicherzustellen Zwar wird es auch beiden zusammen nicht mehr gelingen, die Welt im Duo-pol global zu steuern. Das war nur in ihrem Konflikt möglich, der die Drohung der atomaren Weltzerstörung enthielt und damit global disziplinierend wirkte. Den jetzt entstandenen Regionalismus können die Supermächte nicht rückgängig machen, aber sie können ihn, wenn sie Zusammenarbeiten, in seinen Wirkungen dämpfen.

V. Die regionaleZusammenarbeit

Die spektakuläre Zusammenarbeit der beiden Supermächte im Golfkrieg läßt leicht das Ausmaß ihrer globalen Kooperation in den Schatten tretten. In den häufigen Treffen ihrer Außenminister wurden -und werden -alle relevanten Weltprobleme erörtert. Sie stimmen den Friedensprozeß im Nahen Osten miteinander ab, treten gemeinsam für eine Friedenskonferenz im Mittleren Osten ein, wirken beide, wenn auch getrennt, auf Israel und Syrien ein, um deren Widerstände gegen eine solche Konferenz abzubauen Bei der feierlichen Beendigung des angolanischen Bürgerkriegs am 31. Mai 1991 erklärten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion in einer gemeinsamen Verlautbarung, daß sie „entschlossen seien, eine konstruktive Rolle bei der Beendigung von Konflikten in Afrika zu spielen, und bei der Förderung der politischen Konfliktlösungen, der Stärkung der Demokratie und der wirtschaftlichen Entwicklung, der Bekämpfung von Hunger und Krankheit sowie der Verbesserung der Umwelt in dieser Region intensiv zusammenzuarbeiten“

Diese Kooperation macht auch vor dem amerikanischen Hinterhof nicht Halt. Der Bürgerkrieg in El Salvador ist noch nicht beendet; Washington versucht offenbar ganz erfolgreich, die Sowjetunion auch in dieser Region zu engagieren. Moskau erklärte sich bereit, auf Kuba einzuwirken, damit die Insel die Waffenlieferungen an die Rebellen in El Salvador einstellt. Jedenfalls bemühten sich die beiden Supermächte, wie der sowjeti-sehe Außenminister Bessmertnych sagte, „um die Beruhigung einer Region, die den Vereinigten Staaten geographisch und uns in anderer Hinsicht so nahesteht“

Diese Formulierung gibt sehr plastisch wieder, welchen Grad der Kooperation das Verhältnis der beiden Supermächte inzwischen erreicht hat. Die Interessen der USA und der Sowjetunion sind derart vernetzt, daß jede Verringerung der Kooperation nur suboptimale Ergebnisse bringen könnte. Von der Zusammenarbeit hingegen profitieren beide. Die Sowjetunion behält ihren Status als Supermacht, wenn auch in einer geminderten Position. Die Vereinigten Staaten steigern durch die Partnerschaft mit der Sowjetunion ihre Handlungsfreiheit im Sachbereich der Sicherheit beträchtlich. Zwar wissen sie nicht, ob die Sowjetunion ihren Kurs der Kooperation und des weltpolitischen Verzichtes weiterhin beibehalten wird; von daher stammt die amerikanische Vorsicht. Bleibt die Sowjetunion als Staatsverband erhalten, könnte das Verhältnis zu den USA wegen des Sicherheitsdilemmas und des nuklearen Rüstungswettlaufs langfristig wieder beschädigt werden; es gehörte ein beträchtlicher Demokratisierungsschub in der Sowjetunion dazu, beides zu neutralisieren, bewahrt durch die gleichberechtigte Kooperation mit der realen Supermacht Nummer Eins ihren Status, wenn auch in der neuen Form der kooperierenden Weltmacht. Das „Neue Denken“ in der Sowjetunion korrespondiert mit der „Neuen Weltordnung“, die Präsident Bush verkündet hat. Man darf gespannt sein, wie lange die Übereinstimmung anhält.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den amerikanisch-sowjetischen Beziehungen der achtziger Jahre vgl. Emst-Otto Czempiel, Machtprobe. Die USA und die Sowjetunion in den achtziger Jahren, München 1989.

  2. Zu diesen Perspektiven vgl. Abhandlungen des Göttinger Arbeitskreises, Sowjetpolitik unter Gorbatschow. Die Innen-und Außenpolitik der UdSSR 1985-1990, Berlin 1991.

  3. Vgl. Brent Scowcroft, in: U. S. Policy Information and Texts (USPIT), 88, vom 6. Juli 1989, S. 21, 27.

  4. Ebd., S. 28.

  5. Auszugsweise abgedruckt in: USPIT, 40, vom 20. Februar 1990, S. 17 ff.

  6. Außenminister Baker in: USPIT, 145, vom 22. Oktober 1990, S. 3 ff. Seine Grundsatzrede vom 16. Oktober 1989 ist abgedruckt in: USPIT, 130, vom 18. Oktober 1989, S. 7ff.

  7. Vgl. The Washington Post vom 13. Dezember 1990.

  8. Vgl. Amy F. Woolf, The Strategie Arms Reduction Treaty: Major Elements of the Agreed Framework, Congressional Research Service, Washington, D. C. 1990, passim.

  9. Vgl. Harald Müller, Gescheiterte Prüfung. Der Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen nach der Genfer Überprüfungskonferenz, in: Europa-Archiv, 45 (1990) 22, S. 671 ff.

  10. Vgl. dazu Jürgen Wilzewski in: Ernst-Otto Czempiel u. a., Die USA und das neue Europa, HSFK-Report 5/1990, Frankfurt/M. 1990, S. 28.

  11. Vgl. USPIT, 72, vom 15. Mai 1991, S. 19-21.

  12. Vgl. ebd., 77, vom 31. Mai 1991, S. 41 ff.

  13. Zahlen nach Richard F. Grimmet, Trends in konventional Arms Transfers to the Third World by Major Supplier, 1982-1989, Washington, D. C., Congressional Research Service, 1990, S. 40f.

  14. Vgl. das Statement des Stellvertretenden Verteidigungsministers der USA, Paul Wolfowitz, vor dem Auswärtigen Ausschuß des Senats am 4. Oktober 1990, mimeo, S. 4f.

  15. Vgl. USPIT, 77, vom 31. Mai 1991, S. 35 ff.

  16. Zur amerikanischen Auslandshilfe im Haushaltsjahr 1991 vgl. Congress-Report 11-12, November 1990, S. 8.

  17. Vgl. dazu Emst-Otto Czempiel, Amerikanische globale Interessen heute, in: Wolfgang-Uwe Friedrich (Hrsg.), Deutsch-amerikanische Beziehungen, Jahrbuch 3, Frankfurt/M. 1991.

  18. Vgl. E. -O. Czempiel (Anm. 1), S. 305, 318.

  19. Vgl. das Kommunique von Helsinki in: USPIT, 115, vom 10. September 1990, S. 911.

  20. Vgl. USPIT, 72, vom 15. Mai 1991, S. 25.

  21. Ebd., 79, vom 5. Juni 1991, S. 31.

  22. Ebd., 86, vom 21. Juni 1991, S. 41.

Weitere Inhalte

Ernst-Otto Czempiel, geb. 1927; von 1966 bis 1970 Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Philipps-Universität Marburg; seit 1970 an der Universität Frankfurt; seit 1970 Forschungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung, Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986; (zus. mit C. -C. Schweitzer) Weltpolitik der USA nach 1945. Einführung und Dokumente, Bonn 1989; (zus. mit James N. Rosenau) Global Changes and Theoretical Challenges. Approaches to World Politics for the 1990s, Lexington 1989; Machtprobe. Die USA und die Sowjetunion in den achtziger Jahren, München 1989; (zus. mit W. P. Adams u. a.) Länderkunde USA, 2 Bde., Bonn 1990; Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, München 1991 (i. E.).