Die westdeutsche Wissenschaftspolitik auf dem Weg zur deutschen Einheit
Andreas Stucke
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Zusammenfassung
Wie andere Politikbereiche auch, wurde die Wissenschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren massiv mit den Folgen der deutschen Einheit konfrontiert. Strukturell folgenreiche Vorentscheidungen fielen dabei im Vorfeld der deutschen Vereinigung im Laufe des Jahres 1990, als sich die westdeutschen Akteure untereinander und in Verhandlungen mit der DDR auf einen bestimmten wissenschaftspolitischen Weg zur deutschen Einheit verständigten. Es erscheint deshalb lohnend, noch einmal zurückzublicken: Wie läßt sich die Genese der institutioneilen Grundlagen für die deutsche Vereinigung im Wissenschaftsbereich erklären, d. h., wie kam es -letztlich -zum Artikel 38 Einigungsvertrag, der die formale Basis für die Umsetzung der Einheit im Wissenschaftsbereich darstellt und im Kern einen Institutionentransfer von West nach Ost vorsieht? Die hier vertretene These lautet, daß der bestehende institutionalisierte Domänenkonsens zwischen Bund, Ländern und Wissenschaftsorganisationen in der westdeutschen Wissenschaftspolitik auch im Prozeß der deutschen Vereinigung die handlungsleitenden Prämissen für die beteiligten Akteure vorgab.
I. Einführung
Wie andere Politikbereiche auch, wurde die Wissenschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren massiv mit dem Ereignis und den Folgen der deutschen Einheit konfrontiert. Während Zeitablauf und Modi der Vereinigung durch exogene Faktoren („Flüchtlingswelle“, instabile Machtverhältnisse in der UdSSR, politische Motive der Regierung Kohl usw.) determiniert waren, fiel den Akteuren der bundesdeutschen Wissenschaftspolitik die Aufgabe zu, unter dem Druck der extern gesetzten Daten und Fristen die institutioneilen Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Wissenschaftslandschaft zu schaffen. Strukturell folgenreiche Vorentscheidungen fielen dabei im Vorfeld der deutschen Vereinigung im Laufe des Jahres 1990, als sich die westdeutschen Akteure untereinander und in Verhandlungen mit der DDR auf einen bestimmten wissenschaftspolitischen Weg zur deutschen Einheit verständigten.
Es erscheint deshalb lohnend, noch einmal zurückzublicken: Wie läßt sich die Genese der institutioneilen Grundlagen für die deutsche Vereinigung im Wissenschaftsbereich erklären, d. h., wie kam es -letztlich -zum Artikel 38 Einigungsvertrag, der die formale Basis für die Umsetzung der Einheit im Wissenschaftsbereich darstellt und im Kern einen Institutionentransfer von West nach Ost vorsieht? Eine Erklärung soll mit Rückgriff auf die Motive und Interessen der beteiligten wissenschaftspolitischen Akteure und vor dem Hintergrund des bestehenden institutioneilen Rahmens der westdeutschen Wissenschaftspolitik versucht werden. Meine These lautet, daß der bestehende institutionalisierte Dömänenkonsens zwischen Bund, Ländern und Wissenschaftsorganisationen in der westdeutschen Wissenschaftspolitik (sanktioniert durch die „Rahmenvereinbarung Forschungsförderung“ von 1975) auch im Prozeß der deutschen Einheit die handlungsleitenden Prämissen für die beteiligten Akteure vorgab. Das überragende Interesse der Westakteure war die Stabilisierung des forschungspolitischen Gleichgewichts zwischen diesen drei Akteurgruppen, ein Ziel, das sie in der turbulenten Situation im Vorfeld der deutschen Vereinigung am ehesten durch eine Bewahrung des institutioneilen Status quo gewährleistet sahen Während Mayntz die normative Bejahung des institutioneilen Status quo als treibendes Motiv der westdeutschen Akteure während des laufenden Prozesses hervorhebt, geht es mir darum, die vitalen Interessenlagen der beteiligten westdeutschen Akteure als ebenso wichtiges Motiv bei der Bewahrung des institutioneilen Status quo aufzuzeigen.
Die Erhaltung des institutioneilen Status quo führt jedoch -und damit komme ich zu meiner zweiten, eher in die Zukunft weisenden These -unter spezifischen (noch zu benennenden) Randbedingungen zu nicht intendierten und auch nicht wünschenswerten Folgen für die gesamtdeutsche Wissenschaftslandschaft 2. Im Verhältnis Bund/Länder lassen sich diese bereits als Zentralisierung der Forschungspolitik beobachten, während sich im Verhältnis der staatlichen Akteure zu den Wissenschaftsorganisationen Autonomie-und Legitimationsverluste der westdeutschen wissenschaftlichen Akteure andeuten.
Innerhalb des von mir gewählten Untersuchungszeitraums können drei Phasen unterschieden werden:
1. die Kooperationsphase, die sich direkt an die „Wende“ in der DDR anschließt und etwa von November 1989 bis März 1990 andauert. Ihr Merkmal ist die Ausweitung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf der Grundlage des entsprechenden Abkommens von 1987. Die Eigenstaatlichkeit der DDR ist in dieser Phase zunächst noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
2. die strategische Positionierungsphase, die ich von April 1990 bis Juli 1990 datiere. In dieser Phase kommt es zur Generierung und wechsel-seitigen Abstimmung von Interessenpositionen der westdeutschen wissenschaftspolitischen Akteure im Hinblick auf die zu erwartende staatliche Einheit.
3. die Verhandlungsphase. Diese sehr kurze Phase reicht von Mitte Juli bis Ende August 1990. Ihr Merkmal ist die Durchsetzung des Institutionentransfers von West nach Ost, dokumentiert im Artikel 38 Einigungsvertrag.
Zunächst werde ich jedoch die Ausgangssituation beschreiben, in der sich die West-Akteure mit Beginn des Einigungsprozesses befanden.
II. Der institutioneile Domänenkonsens in der westdeutschen Wissenschaftspolitik
Abbildung 2
Schaubild 2: Störungen des forschungspolitischen Gleichgewichts in der gesamtdeutschen Wissenschaftspolitik
Schaubild 2: Störungen des forschungspolitischen Gleichgewichts in der gesamtdeutschen Wissenschaftspolitik
Im Laufe der letzten vierzig Jahre hat sich in der westdeutschen Wissenschaftspolitik ein stabiles Verhandlungsnetzwerk zwischen den drei wesentlichen Akteurgruppen Bund, Länder und Wissenschaftsorganisationen etabliert Grundlage dieses Verhandlungsnetzwerkes sind relativ stabile Austauschbeziehungen zwischen den drei Gruppen, die institutionell in der Rahmenvereinbarung Forschungsförderung von 1975 verankert sind. Diese Bund-Länder-Vereinbarung regelt verbindlich die gemeinsame Forschungsförderung von Bund und Ländern und stellt damit für alle beteiligten Akteure eine feste institutioneile Erwartungsgröße dar. Eine solche Regelung war lange Zeit überfällig; die Bedeutung, die ihr von den Akteuren zugeschrieben wird, läßt sich nur verstehen, wenn man die lange und konfliktreiche Vorgeschichte dieser Vereinbarung berücksichtigt.
So galt mit Gründung der Bundesrepublik zunächst der verfassungsrechtlich garantierte Primat der Bundesländer in der Wissenschaftsförderung, von den Ländern selbst ausformuliert im Königsteiner Staatsabkommen von 1949. Die Wissenschaftsorganisationen entwickelten jedoch auf Grund eigener Wachstumswünsche bald ein dezidiertes Interesse, den Bund als Finanzier stärker in die institutionelle Forschungsförderung einzubeziehen. Dieses konnte gelingen, da der Bund zu einem bestimmten Zeitpunkt über erhebliche freie Mittel verfügte (von etwa Mitte der fünfziger bis Ende der sechziger Jahre), die Länder aber die wachsenden Ansprüche der Wissenschaftsorganisationen nicht mehr befriedigen konnten. So hatten sie der zunächst überhaupt nicht und später lange Zeit über befristete Verwaltungsabkommen geregelten Wissenschaftsförderung des Bundes nichts entgegenzusetzen. Die Länder antizipierten nicht, daß sie damit dem Bund faktisch Zugeständnisse machten, die nicht mehr widerrufbar waren.
Im Gegenteil -die vor allem im Laufe der sechziger Jahre wachsende Mitfinanzierung des Bundes in der Allgemeinen Wissenschaftsförderung (also auch und vor allem die Mitfinanzierung von Max-Planck-Gesellschaft und Deutscher Forschungsgemeinschaft) weckte auch auf seiten der Länder das Interesse, Bundes-und Landeskompetenzen in der Wissenschaftsförderung formal neu zu regeln. Bis dato gab es eine Regelung lediglich über befristete Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern. Nachdem 1969 der Artikel 91b in das Grundgesetz eingefügt worden war, der die gemeinsame Wissenschaftsförderung durch Bund und Länder ausdrücklich vorsah, war eine verläßliche Durchführungsvereinbarung überfällig. So kam es schließlich in einem über mehrere Jahre laufenden und konfliktreichen Verhandlungsprozeß zwischen Bund und Ländern 1975 zur Verabschiedung der „Rahmenvereinbarung Forschungsförderung“, die die institutioneile Gemeinschaftsfinanzierung der Wissenschaft durch Bund und Länder regelt. Die dadurch entstandene vertikale Politikverflechtung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Wissenschaftsförderung brachte zwar eine Reihe von formalen Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen beiden Akteurgruppen; gleichzeitig schrieb die Rahmenvereinbarung aber auch die Rollen zwischen Bund, Ländern und den Wissenschaftsorganisationen institutionell fest, so daß ein relativ stabiles politisches Gleichgewicht zwischen den drei Akteurgruppen entstehen konnte. Die Stabilität dieses Netzwerkes wird deutlich, wenn man sich die Austauschbeziehungen anschaut, die die einzelnen Akteurgruppen miteinander verknüpft (vgl. Schaubild 1).
So war es den Ländern gelungen, alle Bereiche der Allgemeinen Wissenschaftsförderung in die gemeinsame Koordinierung von Bund und Ländern zu integrieren, ohne auf die finanziellen Bundeszuwendungen verzichten zu müssen. Dem Bundes-einfluß über finanzielle Zuwendungen waren nun formale Grenzen gesetzt. Damit hatten sich die Länder de jure eine wissenschaftspolitisch starke Position gesichert, die sich vor allem Anfang der achtziger Jahre auszuzahlen begann, als einige Bundesländer begannen, eine regionalpolitisch motivierte Forschungs-und Technologiepolitik zu betreiben. Der Austauschgewinn, den die Länder aus der Rahmenvereinbarung ziehen, liegt also in formal kanalisierten, finanziellen Zuwendungen des Bundes.
Der Bund, und hier insbesondere die zuständige Fachadministration (Bundesminister für Forschung und Technologie: BMFT), hatte mit der Rahmenvereinbarung definitiv eine von den Ländern anerkannte Teilkompetenz für die Wissenschaftsförderung erlangt, so daß auch für den Bund durch die Entschärfung des Konflikts mit den Ländern eine erwünschte Beruhigung der Situation eintrat. Einerseits begab sich der Bund zwar mit dieser Vereinbarung formal in ein Prokrustesbett, also in ein festes Schema von Koordinationszwängen, und gab damit einen Teil seiner Flexibilität in der Forschungsförderung auf. Andererseits ermöglichte die nun notwendige Abstimmung mit den Ländern in allen Fragen der Wissenschaftsförderung auch eine bessere Abwehr erhöhter Ressourcenansprüche aus der Wissenschaft. Der Austauschgewinn des Bundes liegt also, kurzgefaßt, in zusätzlichen formalen Kompetenzen in der Wissenschaftspolitik.
Für die Wissenschaftsorganisationen wurden durch die Rahmenvereinbarung die finanziellen Ungewißheiten erheblich reduziert. Zumindest aus der Perspektive Mitte der siebziger Jahre bedeutete die langfristige Garantie einer institutioneilen (zumeist 50: 50-) Finanzierung durch Bund und Länder für die Wissenschaftsorganisationen eine relative Abschottung der eigenen Organisation gegenüber ökonomischen und politischen Unsicherheiten. Diesem zeitbedingten Interesse an Bestandssicherung kam der hohe Grad an vertikaler Politikverflechtung entgegen, denn die Schwelle für politische Einigung über Eingriffe in die Wissenschaftsorganisationen, etwa über den Versuch, Institute zu schließen, war damit entsprechend hoch gesetzt. Der Druck der Wissenschaftsorganisationen auf den BMFT, der Rahmenvereinbarung zuzustimmen, findet damit durchaus eine Erklärung. Der Austauschgewinn der Wissenschaft läßt sich als gewachsene institutionelle Sicherheit bezeichnen.
Während im Verhältnis Bund und Länder im wesentlichen Finanzen gegen Kompetenzen getauschtwurden, stellt sich das Austauschverhältnis zwischen den beiden staatlichen Akteuren und den Wissenschaftsorganisationen zunächst asymmetrisch dar: Erstere haben durch ihre Einigung den Wissenschaftsorganisationen institutioneile (Bestands-und Planungs-) Sicherheit garantiert, wodurch die Wissenschaftsorganisationen erheblich an Autonomie gewonnen haben, ohne selbst ein entsprechendes Gut in den Austausch einzubringen. Mittel-und langfristig zeigte sich jedoch, daß die Wissenschaftsorganisationen als Preis für diese institutionelle Sicherheit mit reduzierten Wachstumserwartungen leben müssen. Zwar garantieren die Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern, daß eine Einigung zu Lasten der Wissenschaft, etwa bei der Schließung von Instituten, relativ schwierig wird, so daß diese Art von Domänenkonsens den Status quo begünstigt. Gleichzeitig werden Einigungen zugunsten der Wissenschaft (wie organisatorische und programmatische Innovationen) damit aber höchst unwahrscheinlich, da auch hier Bund und Länder sich vorab in einem komplizierten Prozeß einigen müßten. Der Preis, den die Wissenschaftsorganisationen für die gewonnene institutionelle Sicherheit zahlen müssen, besteht in einem Wachstums-und Innovationsverzicht. Als Tauschgut könnte man also die Anspruchsreduktion gegenüber den staatlichen Akteuren aus Bund und Ländern ansehen (es ist allerdings fraglich, ob diese Tauschrelation von den Wissenschaftsorganisationen selbst Mitte der siebziger Jahre so gesehen wurde).
Meine These ist nun, daß die Stabilisierung des forschungspolitischen Gleichgewichts zwischen diesen drei Akteurgruppen ein entscheidendes Motiv für das Handeln der Westakteure im Einigungsprozeß war. Inwieweit dieses Akteurnetzwerk durch die Ereignisse berührt war, will ich im folgenden für die einzelnen Phasen darstellen
III. Die politische Wende in der DDR: Annäherung durch Kooperation
Die deutsch-deutsche Kooperationsphase reicht etwa von November 1989 bis März 1990. Konstitutives Merkmal ist, daß das Handeln der Akteure von einer Eigenstaatlichkeit der DDR ausgeht. In dieser Phase kommt es zu einer ausgeweiteten wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen Akteuren der Bundesrepublik und der DDR auf der institutioneilen Grundlage des Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit aus dem Jahre 1987 Diese intensivierte wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit ist im Grunde nichts anderes als die quantitative Ausweitung von „Standard operating procedures“. So kommt es auf Ministerebene im Januar/Februar 1990 zu mehreren Treffen zwischen Professor Klaus-Peter Budig (Minister für Wissenschaft und Technik in der Regierung Modrow: MWT) und Bundesminister Heinz Riesenhuber (BMFT). Ziel ist „die Vertiefung und Ausweitung der Zusammenarbeit im Rahmen des Abkommens“. Zu diesem Zeitpunkt existieren bereits 56 Vereinbarungen zu gemeinsamen Forschungs-und Entwicklungsvorhaben, zwölf neue Vereinbarungen werden Ende Januar in Kraft gesetzt. Besondere Bedeutung wird einer Zusammenarbeit in der Umweltforschung zugemessen. Angesprochen werden weiterhin vor allem die Fachbereiche Biotechnologie, Kernphysik, Reaktorsicherheit und Medizin. Außerdem regen beide Minister eine stärkere Zusammenarbeit der Wissenschaftsorganisationen von Bundesrepublik und DDR an; in diesem Zusammenhang wird auch die Förderung des Wissenschaftleraustausches vereinbart. Das BMFT entwickelt dazu ein Konzept „Deutsche Forscher kommen zueinander“. Zur Finanzierung der verschiedenen Maßnahmen beschließt das Bundeskabinett bereits Mitte Februar 1990 den Nachtragshaushalt für das BMFT. Dieser beinhaltet 40 Mio. DM zusätzliche Mittel und 40 Mio. DM an Umschichtungen des bestehenden BMFT-Haushaltes zugunsten der DDR
Von Bedeutung ist, daß das institutioneile System der Forschung und Forschungsförderung und damit der institutionalisierte Domänenkonsens in der Wissenschaftspolitik der Bundesrepublik (vgl. Schaubild 1) durch diese Ereignisse nicht in Frage gestellt ist. Die entscheidende Frage ist die der Leistungsfähigkeit des bundesdeutschen Systems im Hinblick auf eine stark erweiterte Zusammenarbeit mit den Akteuren aus der DDR.
1. Aktivitäten des Bundes in der Kooperationsphase
Das BMFT versteht sich in dieser Phase als Anreger und Koordinator der Aktivitäten. So wird gegenüber den Ländern der Anspruch formuliert, über deren Einzelaktivitäten in der DDR unterrichtet zu sein und diese gegebenenfalls auch auf Bundesebene zu koordinieren. Zu diesem Zweck werden eigene Arbeitsgruppen beim Wissenschaftsrat und bei der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) geschaffen. Von den Wissenschaftsorganisationen wird demgegenüber erwartet, die Kooperationsprojekte durchzuführen. Der BMFT findet im Wissenschaftsbereich eine Situation vor, in der die einzelnen Wissenschaftsorganisationen unterschiedlich schnell aktiv werden. Während die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. (FhG) bereits Ende 1989 ein eigenes Konzept für die Zusammenarbeit in der DDR entwickelt, sieht es der BMFT im Hinblick auf die Großforschungseinrichtungen zum Jahresbeginn 1990 noch als notwendig an, diese an eine verstärkte DDR-Kooperation heranzuführen. Übergreifendes politisches Ziel der Kooperationsmaßnahmen ist dabei auch, die weitere Migration von Ost-Wissenschaftlern in den Westen zu verhindern
2. Aktivitäten der Bundesländer in der Kooperationsphase
Die Bundesländer kooperieren mit Einrichtungen in der DDR im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Es kommt zu einer Reihe von Aktivitäten (vor allem Universitätskooperationen), die dann das bereits erwähnte wachsende Koordinierungsbedürfnis auf seiten des BMFT auslösen; die zusätzlichen Finanzmittel werden allerdings fast allein vom Bund bereitgestellt. Das Thema DDR-Kooperation spielt zwar im Rahmen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik (KMK) eine Rolle; von einer horizontalen Koordinierung der Länder läßt sich jedoch kaum sprechen. Das Fehlen einer „Wissenschaftsministerkonferenz“ dürfte hier ebenso eine Rolle spielen wie die Tatsache, daß die Länder der DDR zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierten und auch das Gesetz über die Länderneugliederung von der Volkskammer noch nicht verabschiedet war, so daß es auf dieser Ebene keinen entsprechenden Verhandlungspartner für die Westländer gab
3. Aktivitäten der Wissenschaftsorganisationen in der Kooperationsphase
Die Wissenschaftsorganisationen entfalten in der Kooperationsphase zum Teil eine Expansionsstrategie, zum Teil aber auch eine Strategie des gebremsten Aktivismus, der nur so weit geht, wie die Kooperationsvorhaben finanziell durch zusätzliche Bundeszuwendungen kompensiert werden. Es überrascht kaum, daß die marktorientierte Fraunhofer-Gesellschaft als erste ein Konzept für die Zusammenarbeit vorlegt und bereits frühzeitig an gemeinsame Auftragsvorhaben, an Beratungsleistungen bei der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Infrastruktur der DDR, an FhG-Aufträge in der DDR oder sogar an Joint-venture-Institute denkt. Verwunderlich erscheint auch nicht, daß die in den letzten Jahren vielgescholtenen Großforschungseinrichtungen nach Aufforderung durch das BMFT sehr schnell ein Engagement in der DDR als Chance begreifen, ihre politische Legitimationsbasis zu verbreitern. Hervorzuheben sind zum Beispiel Einrichtungen wie die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), das Deutsche Elektronen Synchroton (DESY) oder das Hahn-Meitner Institut (HMI). So waren im März 1990 bereits 30 bis 40 konkrete Kooperationsvorhaben zwischen Großforschungseinrichtungen und Partnern in der DDR in Vorbereitung. Die Aktivitäten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (MPG) bewegen sich demgegenüber eher im Rahmen der bereits bestehenden wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit. Für beide Organisationen stellen die zusätzlichen Kooperationsanforderungen offenbar in erster Linie ein Budgetproblem dar, das durch zusätzliche Bundesmittel in Höhe von 2 Mio. DM an die MPG und von insgesamt 6 Mio. DM an die DFG teilweise aufgefangen werden kann
Die Kooperationsphase endet im März 1990 mit den Volkskammerwahlen und dem Wahlsieg de Maiziöres. Die schnelle Herbeiführung der staatlichen Einheit bestimmt jetzt die politische Tagesordnung. Die bilateralen Kooperationsaktivitäten des BMFT werden ab Mai 1990 endgültig und abrupt abgebrochen, als mit der Einrichtung eines Sonderfonds für die DDR zusätzliche Ressortausgaben vom Finanzministerium unterbunden werden, so daß auch das BMFT seine separaten Kooperationsaktivitäten einstellen muß.
IV. Die staatliche Einheit in Perspektive: Strategische Positionierungsversuche in der westdeutschen Wissenschaftspolitik
Nach den März-Wahlen in der DDR wird die schnelle staatliche Vereinigung der beiden Teile Deutschlands immer wahrscheinlicher. Für die Wissenschaftspolitik sind damit eine Reihe exogener Ereignisse verbunden, die sie nicht selbst beeinflussen kann. So gab es im Bundesinnenministerium bereits im Februar 1990 Überlegungen zu einer schnellen Vereinigung nach Artikel 23 Grundgesetz Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Kabinettsausschuß „Deutsche Einheit“ eingerichtet. Es wurden eigene Arbeitsgruppen für verschiedene Politikbereiche gebildet, nicht aber für Wissenschaft und Forschung. Des weiteren richtete das Bundesministerium des Innern (BMI) einen zusätzlichen Arbeitsstab „Deutsche Einheit“ ein, den man als „Keimzelle“ für den Einigungsvertrag ansehen kann. Die Volkskammer der DDR beschließt bereits am 12. April 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 Grundgesetz. Mitte Mai gibt es unter den bundesdeutschen Regierungsparteien eine erste Festlegung auf gesamtdeutsche Wahlen möglichst im Jahr 1990. Am 18. Mai kommt es zur Unterzeichnung des Vertrages über die Wirtschafts-, Währungs-und Sozial-union zwischen Bundesrepublik und DDR. Im Juni schließlich werden zwischen dem Innenministerium und den Chefs der Senats-und Staatskanzleien der Bundesrepublik Vorgespräche über Verhandlungen um einen Einigungsvertrag geführt.
Das bedeutet, daß sich spätestens ab April/Mai 1990 die westdeutschen Akteure in der Wissenschaftspolitik auf die baldige deutsche Einheit einrichten müssen. Während auf Regierungsebene in den ersten Gesprächen zwischen dem BMFT und dem Minister für Forschung und Technologie (MET) zunächst noch die Kooperationsprojekte zwischen Bundesrepublik und DDR eine Rolle spielen, wird dieses Thema in der Folge sehr schnell durch zwei immer stärker an Bedeutung gewinnende Fragen verdrängt:
1. Wie soll die institutionelle Struktur von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik in einem geeinten Deutschland aussehen?
2. In welchem Verfahren will man zu dieser institutionellen Struktur gelangen?
Damit wird erstmals in dem laufenden Prozeß auch das institutioneile System der Forschung und Forschungsförderung in der Bundesrepublik prinzipiell in Frage gestellt. Zwar sollten sich die bundesdeutschen Akteure sehr schnell auf die Position verständigen, daß der Beitritt nach Artikel 23 Grundgesetz die Übernahme der westlichen institutioneilen Strukturen durch die DDR impliziere; aber dieses Postulat hat nicht verhindern können, daß grundsätzlich nun auch über Alternativen zu den westdeutschen Strukturen nachgedacht wurde. Keine der genannten westdeutschen Akteurgruppen in der Wissenschaftspolitik -Bund, Länder und Wissenschaftsorganisationen -konnte sich also zu dieser Zeit mehr indifferent verhalten: Jede der beteiligten Gruppen geriet im Verlauf der Ereignisse unter einen starken Erwartungsdruck ihrer Umwelt; und überdies mußte ein bloßes Unterlassen mit Konsequenzen für die eigene Positionierung in dieser strategisch wichtigen Vorbereitungsphase des Vereinigungsprozesses verbunden sein. Damit kam die Frage auf die Tagesordnung, inwieweit die staatliche Vereinigung der beiden Wissenschaftssysteme die wohlaustarierten Interessen in der westdeutschen Wissenschaftspolitik berühren könnte.
1. Aktivitäten des Bundes in der strategischen Positionierungsphase
Das BMFT als das zuständige Fachministerium des Bundes schlug sehr schnell die Strategie ein, das Gesetz des politischen Handelns für sich zu reklamieren, auch um nicht von anderen Akteuren in (vor allem finanzielle) Bindungen hineingezwungen zu werden. Zu der in fiskalpolitisch günstigen Zeiten zu erwartenden Strategie des BMFT, seine Domäne zu Lasten der Länder zu erweitern kam es nicht. Das Ziel bestand vielmehr darin, Mehrbelastungen des BMFT-Haushaltes, die nicht durch zusätzliche Mittel kompensiert werden können, möglichst zu minimieren. Das bedeutete hinsichtlich der institutionellen Struktur der gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft, daß das BMFT zu nächst eher auf „Abwicklung“ denn auf „Überführung“ der DDR-Forschungseinrichtungen setzte und bei der Struktur der im Gebiet der ehemaligen DDR zu errichtenden Forschungseinrichtungen vor allem die gemeinschaftlich finanzierten Einrichtungen mit hohem Bundesanteil (also vor allem Großforschungseinrichtungen) vermeiden wollte. Es ist deshalb nur folgerichtig, daß das BMFT die Großforschungseinrichtungen, die es zunächst noch in der Kooperationsphase zu einem Engagement in der DDR bewogen hatte, jetzt „ausbremste“, da schwer kalkulierbare Folgen für den BMFT-Haushalt befürchtet wurden (die Großforschungseinrichtungen werden immerhin zu 90 Prozent vom Bund finanziert).
Neben diesem grundsätzlichen Interesse des BMFT an einer Vermeidung von langfristigen finanziellen Bindungen und einer damit verbundenen Einschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit votiert das BMFT für eine schnelle regierungsamtliche Evaluation der DDR-Forschungseinrichtungen. Noch im Mai 1990 sieht die vom BMFT präferierte Lösung einen gemeinsamen Ausschuß (BMFT, Wissenschaftsrat und Vize-Präsidenten der Forschungsorganisationen) zur Erarbeitung eines Aufgliederungsvorschlags für die sektorale Zuordnung der DDR-Einrichtungen zu Organisationstypen und Forschungsfeldern des westlichen Systems vor. In einer zweiten Phase sollten danach durch Expertenausschüsse eine Bewertung und Evaluation nach Qualität und Entwicklungspotential der einzelnen Institute stattfinden. Dem setzten alle Länder, vor allem aber der Wissenschaftssenat Berlins, Widerstand entgegen. Es wurde befürchtet, daß auf diese Weise eine „Filetierung“ der DDR-Forschungslandschaft stattfindet, die einseitig den Bund begünstigt und den Ländern (und damit vor allem Berlin) lediglich die wissenschaftlichen „Sozialfälle“ beläßt
Bemerkenswert ist, daß das BMFT offenbar noch im Mai 1990 über die Gründung einer Leibniz-und Helmholtz-Gesellschaft als Trägerin für die positiv beurteilten Institute in der DDR nachdenkt, also eine eigene institutioneile Wissenschaftsstruktur in Ostdeutschland nicht ausschließt. Möglicherweise wurde im BMFT darauf spekuliert, daß der Aufbau einer organisatorischen Konkurrenzstruktur im Beitrittsgebiet auch mit wachsenden Steuerungsmöglichkeiten für das Forschungsministerium verbunden sein könnte. Dieser Vorschlag stößt aber -wie nicht anders zu erwarten war -auf den Widerstand der westdeutschen Wissenschaftsorganisationen.
2. Aktivitäten der Bundesländer in der strategischen Positionierungsphase
Die Bundesländer zeigen im Vorfeld der Verhandlungen um den Einigungsvertrag, also in der strategischen Positionierungsphase, mit Ausnahme von Westberlin zunächst keine besonderen Aktivitäten. Man gewinnt den Eindruck, daß sie das Feld der Vorbereitung der staatlichen Einheit freiwillig dem BMFT überlassen. Berlin ist insofern eine Ausnahme, als es durch die Konzentration der Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften (AdW) im Ostteil der Stadt natürlich unmittelbar durch die Vereinigung betroffen ist. Berlin verfolgt Mitte 1990 explizit bereits zwei Interessen Zum einen will man den durch den Vereinigungsprozeß zu erwartenden wissenschaftspolitischen Bedeutungsgewinn für die Stadt nutzen, zum anderen die dadurch entstehenden finanziellen Lasten möglichst breit umverteilen. Folgerichtig setzte Berlin der vom BMFT zunächst gewollten „Filetierung“ der ostdeutschen Forschungslandschaft von Beginn an Widerstand entgegen. In einer Sitzung der Bund/Länder-Kommission vom Frühsommer 1990 hat die Stadt dazu ihre Position formuliert und wesentlich mit dazu beigetragen, daß ein systematisches Verfahren zur Bewertung aller ostdeutschen Forschungseinrichtungen durch den Wissenschaftsrat beschlossen wurde. In diese Frage schalteten sich allerdings auch die anderen West-Länder ein und erwirkten einen gemeinsamen Beschluß der KMK am 7. /8. Juni 1990, in dem gefordert wird, daß der Wissenschaftsrat die Evaluation der ostdeutschen Forschungseinrichtungen übernehmen solle.
Eine zweite Forderung Berlins, die zu diesem Zeitpunkt bereits erhoben wird, ist eine längere Übergangsfinanzierung für die Institute der AdW unter Beteiligung des Bundes. Dieser Punkt sollte in den Verhandlungen um den Einigungsvertrag später noch eine Rolle spielen. 3. Aktivitäten der Wissenschaftsorganisationen in der strategischen Positionierungsphase Die Wissenschaftsorganisationen mußten ein Interesse daran haben, ihre eigenen Strategien (soweit vorhanden) in der DDR abzusichern bzw. Autonomieverluste und Einschränkungen ihrer Handlungsfähigkeit nicht hinzunehmen. Ziel der Fraunhofer-Gesellschaft und der Großforschungseinrichtungen war es, ihre gesteigerten Kooperationsaktivitäten, die dem BMFT inzwischen als zu „imperialistisch“ erschienen, aufrechtzuerhalten. Andererseits ging es den Forschungseinrichtungen darum, daß sie nicht vom Bund in ein Engagement hineingezwungen wurden, das mit ihrer Autonomie bzw. ihrem historisch gewachsenen Selbstverständnis unvereinbar war und budgetär Einschränkungen ihrer Handlungsfähigkeit bedeutet hätte. Dieser Punkt betrifft vor allem die Max-Planck-Gesellschaft, die es aufgrund ihres wissenschaftspolitischen Selbstverständnisses als Zumutung empfunden hätte, mit der Akademie der Wissenschaften gleichberechtigte Verhandlungen aufzunehmen Übereinstimmend lehnten die Wissenschaftsorganisationen des Westens denn auch Initiativen der DDR-Seite ab, eine eigene Träger-gesellschaft für die AdW-Institute auch nach der staatlichen Einheit bestehen zu lassen oder gar in Konkurrenz zur Max-Planck-Gesellschaft eine Leibniz-Gesellschaft bzw. in Konkurrenz zur Fraunhofer-Gesellschaft eine Helmholtz-Gesellschaft zu gründen.
4. Bewahrung des institutionellen Status quo als gemeinsamer Nenner
Aus diesen unterschiedlichen partikularen Interessenlagen heraus war als Ziel eine Bewahrung des institutioneilen Status quo als gemeinsamer Nenner der Akteure der westdeutschen Wissenschaftspolitik wahrscheinlich. Was aber hieß das in dieser Situation?
Erstens wurde über die föderale Struktur des gesamtdeutschen Wissenschaftssystems (als formales Prinzip!) relativ schnell Einigkeit erzielt. Dieser Punkt stand auch beim MFT der DDR nicht in Frage, zumal die Länderneubildung in der DDR bereits frühzeitig diskutiert und dann im Juli 1990 beschlossen wurde. Die entscheidende Frage, welche Folgerungen daraus substantiell für die Zukunft des kooperativen Föderalismus zu ziehen seien (vor allem hinsichtlich einer Neuregelung des Finanzausgleichs), wurde allerdings ausgeklammert. Über die formale organisatorische Struktur des gesamtdeutschen Forschungssystems erzielten BMFT und Wissenschaftsorganisationen ebenfalls schnell eine Einigung. So ist das BMFT im Juni/Juli 1990 ganz auf die Linie der Wissenschaftsorganisationen eingeschwenkt. Die Position lautete, keine eigenen neuen DDR-Strukturen entstehen oder vorhandene sich modifiziert verfestigen zu lassen. „Es wird nur eine DFG, eine MPG, eine FhG geben usw.“ Die Frage, welche substantiel-len Auswirkungen die Integration von DDR-Forschungseinrichtungen und Wissenschaftlern in das bestehende bundesdeutsche System haben würde, blieb dagegen ebenfalls unbeantwortet. In der Frage der Evaluation der DDR-Forschungseinrichtungen und damit des Verfahrens auf dem Weg zur Einheit schloß sich der BMFT dem Vorschlag der KMK an, den Wissenschaftsrat damit zu betrauen. Zwar hatte man ursprünglich ein anderes Verfahren im Blick (s. o.), sah nun aber in der Einschaltung des reputierten Wissenschaftsrates eine Möglichkeit, die Legitimität der dann getroffenen Entscheidungen -auch gegenüber den politischen und wissenschaftlichen Akteuren aus dem Beitrittsgebiet -zu erhöhen. Was den Zeitplan anbelangt, stellte sich der BMFT noch in einem „Kamingespräch“ mit den Präsidenten der Wissenschaftsorganisationen und Vertretern der DDR-Regierung und der DDR-Wissenschaft am 3. Juli 1990 auf den Standpunkt, die Evaluation solle bis zum 1. Januar 1991 erfolgt sein. Dem widersprachen sowohl der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Dieter Simon, als auch der Minister für Forschung und Technologie der DDR, Frank Terpe, so daß das BMFT schließlich einlenkte Damit waren die wesentlichen Verhandlungsziele des BMFT für die im Juli 1990 beginnenden Verhandlungen um den Einigungsvertrag unter den West-Akteuren abgestimmt: 1. Es soll lediglich eine befristete Fortführung der AdW geben. 2. Es soll zu einer „Einpassung“ der positiv evaluierten Institute in die gesamtdeutsche Forschungslandschaft kommen. 3. Die neuen Länder treten der „Rahmenvereinbarung Forschungsförderung“ bei. Insgesamt läßt sich resümieren, daß das Handeln der westdeutschen Akteure in dieser Phase eher von Vermeidungs-denn von Gestaltungsimperativen geprägt war: Ziel des Bundes (BMFT) war es, vor allem durch Vermeidung von finanziellen Bindungen seine Handlungsfähigkeit zu erhalten; die Länder wollten -ebenfalls ohne unkalkulierbare finanzielle Verpflichtungen auf sich zu nehmen -das föderalistische Prinzip gewahrt wissen; den Wissenschaftsorganisationen ging es primär um eine institutionelle Bestandssicherung und die Wahrung der eigenen Autonomie. Der kleinste gemeinsame Nenner in dieser Situation bestand darin, den institutioneilen Domänenkonsens in der westdeutschen Wissenschaftspolitik möglichst unbeschadet durch den Prozeß der deutschen Einheit zu bringen, um auf diese Weise in einer risiko-reichen Situation eigene Verluste zu vermeiden.
V. Staatliche Vereinigung als Institutionentransfer
Die Verhandlungsphase um den Einigungsvertrag im Bereich Wissenschaft und Forschung ging -wenn man die Vorgespräche mitberücksichtigt -von Mitte Juli bis Ende August 1990. Beteiligt waren Vertreter von BMFT und MFT, des weiteren der Bundesministerien des Innern (BMI), der Finanzen (BMF), für Wirtschaft und Bildung (BMBW) sowie die Länder Baden-Württemberg, Berlin und das Saarland; AdW-Vertreter waren nur in einer Sitzung präsent. Zwischen den beiden Fachministerien BMFT und MFT konnte bereits im Vorfeld der Verhandlungen Einigkeit über wichtige Punkte erzielt werden. So war das Verfahren der Evaluation zu diesem Zeitpunkt schon genehmigt, ebenso die Ausweitung der Bund-Länder-Vereinbarung nach Artikel 91b Grundgesetz auf das Beitrittsgebiet. Umstritten war dagegen weiterhin die Frage des Erhalts der Akademie der Wissenschaften. Während das BMFT zu Beginn der Verhandlungen unmißverständlich erklärte, daß die Akademie als Trägerin von Forschungsinstituten aufgelöst wird, ging die DDR-Seite nach wie vor von einem Instituts-Verband aus. Die Entscheidungsfindung vollzog sich in mehreren Schritten.
Zunächst war die Frage zu beantworten, ob es zur Trennung von Gelehrten-und Institutegemeinschaft der AdW kommen sollte. Die DDR-Seite lehnte dies anfangs ab, im Westen waren es hier vor allem die Länder, die sich formell und informell für eine Trennung stark machten. Man wollte keine zentralstaatliche Gelehrtengesellschaft bestehen lassen, da sie der Kulturhoheit der Länder widerspräche. Vor allem die Länder Bayern und Saarland waren in diesem Punkt Wortführer.
In einem zweiten Schritt versuchte die DDR-Seite dann, die Institutegemeinschaft in irgendeiner Form zu erhalten. Dieser Punkt blieb bis zum Schluß strittig. Die Position des BMFT bestand darin, erst nach der Überführung der Institute in die Länderhoheit Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Fortführung der Institute und die finanziellen Modi aufzunehmen. Bei einem Erhalt der Institutegemeinschaft, wie von DDR-Seite gewünscht, befürchtete das BMFT einen „gruppendynamischen Prozeß“, bei dem eine spätere Herauslösung einzelner Institute und notwendige Strukturreformen nur schwer möglich sein würden. In diesem Punkt hatte es ja bereits im Vorfeld etliche Gespräche zwischen Forschungsminister Riesenhuber und den Präsidenten der großen Wissenschaftsorganisationen gegeben.
In einem dritten Schritt schließlich wurde die Frage des Erhalts der Institutegemeinschaft zusammen mit der eines „Moratoriums“ für die befristete Weiterbeschäftigung der ADW-Mitarbeiter verhandelt, wobei letzteres in den ersten Wochen der Verhandlungen noch keine Rolle spielte. Da man auf Westseite bereit war, das Moratorium zu kippen, wenn die Gegenseite nicht beim Erhalt der Institutegemeinschaft einlenken würde, akzeptierte die DDR-Seite schließlich das Moratorium als die „second best choice“. Auch die Versuche der AdW, am MFT vorbei (über de Maiziöre) informell Einfluß auf den Einigungsvertrag zu nehmen, hatten keinen Erfolg mehr.
Die Länder spielten in den Verhandlungen um den Einigungsvertrag kaum eine Rolle; sie traten zu Beginn auf und betonten die föderalen Zuständigkeiten für Wissenschaft und Forschung. Nachdem dieser Punkt schnell und einvernehmlich geregelt werden konnte, ist es den Ländern im wesentlichen darum gegangen, sich von weiteren Finanzverpflichtungen zu entlasten. Zur Erinnerung: Der „Fonds Deutsche Einheit“ war im Juni 1990 beschlossen worden, die Länder vertraten danach di$Position, daß damit ihr finanzieller Beitrag zur deutschen Einheit geleistet sei. Entsprechend tauchten die Länder aktiv in den Verhandlungen erst wieder auf, als es gegen Ende um konkrete Finanzierungsmodi ging. Hier stand eine Forderung Berlins auf der Tagesordnung, einen Sonder-fonds des Bundes und der Länder für eine längere Übergangsfinanzierung der AdW-Institute einzurichten. Der Bund und die übrigen Westländer waren sich jedoch in der Ablehnung dieser Forderung einig.
Die wichtigsten Regelungen des Artikel 38 Einigungsvertrag sind: -Gelehrtengesellschaft und Forschungsinstitute der AdW werden getrennt.-Die Entscheidung über die Fortführung der Gelehrtensozietät wird landesrechtlich getroffen. -Die Forschungsinstitute bestehen zunächst bis zum 31. Dezember 1991 als Einrichtung der Länder fort, soweit sie nicht vorher aufgelöst oder umgewandelt werden. Die Übergangsfinanzierung der Institute wird bis zum 31. Dezember 1991 durch den Bund sichergestellt. -Die Begutachtung der DDR-Forschungseinrichtungen erfolgt durch den Wissenschaftsrat. Einzelne Empfehlungen werden schrittweise bereits vorher umgesetzt. -Die bewährten Methoden und Programme der Forschungsförderung werden auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt.
Bei der Gesamtbeurteilung der Verhandlungen muß berücksichtigt werden, daß dies keine Verhandlungen unter gleichen Partnern waren. Unter dem Druck des nahen Vereinigungstermins hatte die Ostseite keine Alternative, zumal sie auch über kein Drohpotential verfügte. Eine Nichteinigung im Forschungsbereich hätte den Einigungsvertrag nicht grundsätzlich verzögert oder in Frage gestellt. So blieb der DDR-Seite schließlich nichts anderes übrig, als das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, und das war das sogenannte „Moratorium“ bis zum 31. Dezember 1991. In der Retrospektive sah sich die DDR-Seite im Verhandlungsprozeß denn auch in erster Linie durch sozialpolitische Motive mit Blick auf die Mitarbeiter der AdW motiviert
VI. Störungen und mögliche Verlagerungen des forschungspolitischen Gleichgewichts in der gesamtdeutschen Wissenschaftspolitik
Wie bereits dargestellt, war das Handeln der westdeutschen Akteure im Vereinigungsprozeß eher durch Vermeidungs-denn durch Gestaltungsimperative geprägt. Das bedeutet, daß die beteiligten Akteure primär die durch die Einheit erwarteten Verluste minimieren, weniger mögliche Gewinne maximieren wollten. Sehr deutlich wurde dies auf seiten des BMFT, das keine expansive Domänenerweiterungsstrategie verfolgte, sondern in erster Linie seine budgetären Handlungsspielräume zu erhalten beabsichtigte. Daraus erklärt sich auch eine deutlich reservierte Haltung des BMFT, was die Gründung neuer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen mit hohem Bundesanteil anbelangt. Das Handeln der Länder war ebenfalls in erster Linie durch den Vermeidungsimperativ geprägt, sich nicht zu stark in den finanzpolitischen Strudel der deutschen Einheit hineinziehen zu lassen, die formalen föderalen Kompetenzen aber zu erhalten. Entsprechend wehrten die Länder bereits 1990 alle Forderungen nach einer weitergehenden Beteiligung der Länder an der Finanzierung der deutschen Einheit ab. Die Wissenschaftsorganisationen schließlich hatten von dem bis dato bestehenden Status quo der Forschungsförderung insofern profitiert, als er ihnen eine relative institutionelle Bestandssicherung und Planungssicherheit gab. Ihr Bestreben war es, zu vermeiden, daß sie durch die politische Seite in ein wissenschaftspolitisches Engagement im Osten „hineingezwungen“ werden, das ihrem Selbstverständnis und ihren Interessen widerspricht. Zugleich mußten sie allerdings eine Konkurrenzstruktur im Osten verhindern, die es den forschungspolitischen Akteuren zukünftig prinzipiell ermöglicht hätte, West-und Ostforschungsorganisationen gegeneinander aus-zuspielen. Diese sehr unterschiedlichen Partikular-interessen der beteiligten Akteure konvergierten in dem gemeinsamen Nenner der Erhaltung des institutionellen Status quo.
Meine Feststellung und Prognose ist, daß das wissenschaftspolitische „Dreieck“ der alten Bundesrepublik und damit der institutionelle Domänenkonsens, der sich innerhalb dieses „Dreiecks“ herausgebildet hatte, zwar formal (d. h. im Einigungsvertrag festgeschrieben) über den Tag der deutschen Einheit hinweggerettet werden konnte, in der Folge aber unter einen erheblichen Druck geraten und möglicherweise in Zukunft an entscheidenden Stellen ganz aufgebrochen werden wird (vgl. Schaubild 2)
Eine dieser Stellen ist das Verhältnis von Bund und Ländern. Es zeigt sich bereits heute, daß die neuen Länder auf Grund ihrer eklatanten Finanzschwäche nicht in der Lage sein werden, ihre originären forschungspolitischen Aufgaben wahrzunehmen. Da die alten Länder nicht bereit (bzw. nicht in der Lage) sind, hier einen entscheidenden Solidarbeitrag zu leisten, kommt der Bund immer stärker in die Rolle eines Finanziers von Wissenschaft und Forschung in den neuen Ländern. Ein Indikator für die gewachsene Abhängigkeit der (neuen) Länder vom Bund ist die detaillierte inhaltliche Zweckbindung der Bundesmittel im Hochschulerneuerungsprogramm, aus dem u. a. die Sonderfinanzierung der in Ostdeutschland neugegründeten Blaue-Liste-Institute erfolgt. Wenn diese Mittel aus Sicht der neuen Bundesländer auch dringend notwendig und erwünscht sind, so sehen Spitzen-beamte aus den entsprechenden Wissenschaftsministerien der neuen Länder in den inhaltlichen Vorgaben -im Vergleich zu den Hochschulsonderprogrammen der Vergangenheit -doch auch den Versuch der „Knebelung“ und Einschränkung der Länderautonomie. Zwar leitet der Bund gegenwärtig (auf Grund eigener fiskalpolitischer Restriktionen) aus dem asymmetrischen Finanzierungsverhältnis keine Domänengewinnungsstrategien ab, aber eine über mehrere Jahre dauernde Festschreibung dieses Verhältnisses wird möglicherweise für eine schleichende Zentralisierung der Forschungspolitik in Deutschland sorgen.
Die Zentralisierung der Forschungspolitik, wenn sie denn eintritt, würde aber auch eine Veränderung des Verhältnisses der staatlichen Akteure zu den Wissenschaftsorganisationen bedeuten. Die Autonomie der Wissenschaftsorganisationen leitet sich ja im wesentlichen daher, daß Bund und Länder etwa gleich stark sind und Eingriffe eines Akteurs jeweils durch den anderen Akteur verhindert werden können. Wenn nun die neuen Länder dazu nicht in der Lage und auch nicht willens sind, so geraten die Wissenschaftsorganisationen, zumindest im Osten, in eine erhebliche Abhängigkeit vom Bund, dem damit prinzipiell erweiterte Steuerungsmöglichkeiten offenstehen.
Eine andere ebenfalls nicht intendierte Störung des forschungspolitischen Gleichgewichts zeigt sich hinsichtlich der Bedeutung der westlichen Wissenschaftsorganisationen im gesamtdeutschen Wissenschaftssystem. Sie waren auch durch das Interesse motiviert, Konkurrenzorganisationen im Osten erst gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats -mit der Konsequenz einer massiven „Aufblähung“ der Blauen Liste -haben aber letztlich dazu geführt, daß eine verstärkte Konkurrenzsituation innerhalb des Systems der außeruniversitären Forschung in Deutschland entstanden ist. Immerhin ist die Blaue Liste durch die hinzugekommenen Osteinrichtungen personell und vom Finanzvolumen fast ebenso stark wie die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Des weiteren hat das gesamte Evaluationsverfahren zu der vom Wissenschaftsrat aufgegriffenen Forderung geführt, auch die Westeinrichtungen zu evaluieren; erinnert sei an Konrad Adams Diktum von den „morschen Kähnen“ im Westen
Die westlichen Forschungseinrichtungen geraten also unter einen zunehmenden Legitimationsdruck, der insbesondere wiederum dem Bund die Gelegenheit gibt, möglicherweise lange geplante Strukturreformen in den Einrichtungen durchzusetzen. Im Kreuzfeuer der Kritik stehen gegenwärtig die Großforschungseinrichtungen, die sich einer systematischen programmatischen Überprüfung durch das BMFT mit zum Teil erheblichen Kürzungsplänen gegenübersehen. Grundsätzlich müssen sich jedoch von der in Ostdeutschland lauter werdenden und vom Wissenschaftsrat unterstützten Forderung nach einer Überprüfung der Forschung im Westen alle Forschungseinrichtungen angesprochen fühlen.
Es könnte deshalb sein, daß sich in der gesamtdeutschen Wissenschaftspolitik das forschungspolitische Gleichgewicht eindeutig zugunsten des Bundes verlagert, der Bund also zum eigentlichen „Gewinner“ wird (während es innerhalb des alten bundesrepublikanischen Systems die Wissenschaftsorganisationen waren). Ob und unter welchen Bedingungen dieses Szenario Realität wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die 16 Länder der neuen Bundesrepublik -trotz aller Disparitäten -willens und fähig sein werden, die notwendige wechselseitige Solidarität aufzubringen, um dem vorhandenen Zentralisierungsdruck standzuhalten. Voraussetzung -und erste Nagelprobe dafür -wird eine überzeugende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs unter Einbeziehung der neuen Bundesländer sein, denn erst auf dem Boden einer von allen Beteiligten als gerecht akzeptierten Regelung ihrer Finanzzuwendungen läßt sich Solidarität überhaupt erwarten.
Andreas Stucke, Dr. rer. soc., geb. 1958; Studium der Sozialwissenschaften in Wuppertal und Bielefeld; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Manfred Glagow und Wilfried Gotsch) Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Entstehungszusammenhang, Personalpolitik, Steuerungsfähigkeit, Pfaffenweiler 1989; Institutionalisierung der Forschungspolitik. Entstehung, Entwicklung und Steuerungsprobleme des Bundesforschungsministeriums, Frankfurt-New York 1992 (i. E.).
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