Die Wirtschaft Zentralasiens ist durch 70 Jahre sowjetischer zentralistischer Planwirtschaft und die davorliegenden Jahrzehnte russischer Kolonialherrschaft geprägt. Die Region wurde zum Lieferanten von Bodenschätzen wie Gold, Erze, Kohle, Erdgas und Baumwolle für die Sowjetunion. Die Infrastruktur ist entsprechend ausgerichtet. Es fehlt an verarbeitender Industrie und an ökonomischer Kooperation mit den Nachbarn. Die Ausbeutung der Wasserressourcen und die monokulturelle Nutzung der Böden führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung. Die ökologische Situation hat sich in mehrfacher Weise zugespitzt. Durch die Zerstörung des Wasserhaushalts im Einzugsgebiet des Aralsees wurde ein Teufelskreis aus Vergiftung der Böden durch den Einsatz von immer mehr Düngemitteln und Pestiziden, der Ausbreitung der mit Chemikalien durchsetzten Salzwüste und den dadurch verursachten Krankheiten sowie Armut und hohen Geburtenraten ausgelöst, wie er sich in kaum einer Region der Dritten Welt so exemplarisch entwickelt hat. Hinzu kommt eine nukleare Verseuchung weiter Landstriche durch Atomtests. Eine Entwicklungspolitik muß in dieser Region gleichzeitig äußerst schwierige Prozesse in Gang setzen. Erstens muß ein Strukturwandel weg von der auf die Moskauer Zentrale ausgerichteten Produktion und Infrastruktur vollzogen werden. Dazu gehören der Aufbau einer verarbeitenden Industrie, der Abbau der Baumwollmonokultur sowie ein intensiverer wirtschaftlicher Austausch zwischen den fünf Staaten und der nahen Umgebung der Region. Zweitens müssen wenigstens die dringendsten Umweltschäden beseitigt werden. Drittens muß ein technologisch effizientes, ressourcensparendes und umweltschonendes Wirtschaftssystem entwickelt werden, das den freien und fairen Wettbewerb fördert. Dem stehen aber die derzeitigen Machtstrukturen in drei der fünf zentralasiatischen Staaten im Wege.
I. Die sowjetisch geprägte Wirtschaftsstruktur
Die Auflösung der Sowjetunion und damit die Entlassung in die Unabhängigkeit souveräner Staaten traf kaum eine der ehemals sowjetischen Republiken so unvorbereitet wie die fünf zentralasiatischen Staaten. Dabei standen und stehen sie in der Mentalität ihrer Bevölkerungen, ihrer Kultur und Religion der Moskauer Zentrale noch ferner als die anderen Sowjetrepubliken. Diese sind immerhin auch Europäer, hier geht es dagegen um eine Region im Herzen Asiens entlang der legendären Seidenstraße, die nirgendwo abendländisches Territorium berührte. Doch so sehr das alte Kulturland, insbesondere seine Kernzone, das Zweistromland Transoxanien zwischen den Wüsten-flüssen Amu Darja und Syr Darja, die Phantasie anregt, so sehr die Rückkehr dieser Region in eine islamische Einflußzone von den einen begrüßt und von den anderen als Bedrohung angesehen wird, so gibt es doch gute Gründe, die Prägung der Region während der vergangenen siebzig oder hundert Jahre an den Anfang der Beschreibung dieses Wirtschaftsraumes zu stellen. Denn die Folgen der russischen/sowjetischen Phase bestimmen die nahe Zukunft mehr, als den Menschen in dieser Region und ihren Nachbarn lieb sein kann. Die Ökonomie dieser Region ist in einem Maße einseitig ausgerichtet und die Ökologie so nachhaltig zerstört, daß die Entlassung in die Unabhängigkeit kaum mehr Hoffnung läßt als die Unabhängigkeit französischer oder britischer Kolonien vor drei Jahrzehnten.
Abbildung 5
Tabelle 4: Außenhandel der zentralasiatischen Staaten außerhalb der früheren Sowjetunion 1987-1991 in Mio. Rubel Quelle: Für Kasachstan Plan Econ Report, VIII (1992) 30-31, S. 16 f. und RFE/RL Research Report, 2 (1993) 14, S. 42. Für alle anderen wie Tabelle 3. Für Kirgistan in Mio. US-Dollar
Tabelle 4: Außenhandel der zentralasiatischen Staaten außerhalb der früheren Sowjetunion 1987-1991 in Mio. Rubel Quelle: Für Kasachstan Plan Econ Report, VIII (1992) 30-31, S. 16 f. und RFE/RL Research Report, 2 (1993) 14, S. 42. Für alle anderen wie Tabelle 3. Für Kirgistan in Mio. US-Dollar
Zentralasien war für die Landmacht Rußland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das, was für die Seemacht England die überseeischen Gebiete bedeuteten, es war das Ziel der „natürlichen“ Ausdehnung der eigenen Kolonialmacht. Es ging um die Erweiterung und militärische Absicherung des eigenen Territoriums, um Macht im internationalen System und um wirtschaftlichen Gewinn. Die Rohstoffressourcen Mittelasiens hatten es den russischen Zaren angetan, vor allem gab es Gold, und die landwirtschaftlichen und klimatischen Voraussetzungen zum Anbau von Baumwolle waren hervorragend. Angeblich hatte auch dies einen primär machtpolitischen Grund: Baumwollstoffe wurden für die wachsende russische Armee gebraucht. Wasser gab es in dieser trockenen Region genug für die insgesamt in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts weniger als vier Millionen Menschen, selbst bei einem in Relation hierzu überdimensionierten Baumwollanbau. Riesige Bewässerungsprojekte wurden in Angriff genommen, um der Baumwollproduktion zu hohen Wachstumsraten zu verhelfen. Auch das Gold, das schon vor mehr als hundert Jahren die russische Begehrlichkeit geweckt hatte, blieb der Region als wichtiger Wirtschaftszweig erhalten. Usbekistan hat zuletzt mit 70 Tonnen pro Jahr etwa ein Drittel zur sowjetischen Goldproduktion beigetragen. Doch auch diese Produktion hat der Modernisierung und Effizienzsteigerung in der Ökonomie nicht gedient. Wie Tabelle 1 zeigt, ist der Anteil der Landwirtschaft am Wirtschaftsaufkommen in diesen Ländern außerordentlich hoch, der Anteil der Industrie mit Ausnahme Kasachstans verhältnismäßig niedrig, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß in der Statistik des Nettosozialprodukts die „produktiven“ Bereiche wie Industrie und Landwirtschaft zu Lasten des Dienstleistungsbereichs überschätzt werden.
Bildet die Region zwischen dem Kaspischen Meer im Westen und China im Osten, zwischen Iran und Afghanistan im Süden und Rußland im Norden eine organische Einheit, geographisch dadurch un-21terstützt, daß dieses Gebiet fast genau identisch ist mit dem Wassereinzugsgebiet des Aralsees, so schwankt sie doch bei ihren wirtschaftlichen Voraussetzungen zwischen Homogenität und Heterogenität
Gemeinsam ist diesen Ländern die Armut. Das sowjetische statistische Jahrbuch verwies diese Länder auf die letzten Plätze im Vergleich der Pro-Kopf-Einkommen der 15 Republiken. Tadschikistan nahm mit einem Anteil von 43 % am sowjetischen Durchschnittseinkommen den letzten Rang ein, davor rangierten Usbekistan auf dem vorletzten (48), Kirgistan (53), Turkmenistan (61) und schließlich -noch vor Aserbaidschan -Kasachstan (74 %) als das den europäischen Sowjetrepubliken am nächsten kommende Land 1989 wiesen zwischen 16 % (Kasachstan) und 51 % der Haushalte (Tadschikistan) ein Pro-Kopf-Einkommen unterhalb der Armutsgrenze von 75 Rubel aus. Im sowjetischen Durchschnitt gehörten nur 11 % der Bevölkerung zu dieser Einkommensschicht
Gemeinsam ist diesen Ländern auch, daß ihr Anteil an der sowjetischen Industrieproduktion wesentlich geringer war als ihr Bevölkerungsanteil und daß sich die Industrie vor allem auf den Bergbau konzentrierte. Alle diese Staaten produzieren weniger Nahrungsmittel, als ihrem Bevölkerungsanteil entspricht, wenngleich der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten (einschließlich Baumwolle) weit über dem Unionsdurchschnitt lag. In Kasachstan betrug der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten 20 %, in Usbekistan 29%, in den anderen zentralasiatischen Staaten lag diese Quote zwischen diesen beiden Werten Alle diese Länder wiesen bis Anfang der neunziger Jahre im Handel mit Rußland und den anderen Sowjetrepubliken ein beträchtliches Handelsdefizit auf und trugen im Vergleich zu Rußland wenig zum Export der Sowjetunion bei. 17 % der Einwohner der Sowjetunion, die in den fünf zentral-asiatischen Ländern leben, hatten einen Anteil von 4,6% am sowjetischen Export und 9, 9 % am sowjetischen Import Dies führte dazu, daß mindestens gemessen in sowjetischen Preisen, alle diese Länder dauerhaft einen Nettotransfer an Gütern und Dienstleistungen aus den übrigen Republiken des Sowjetreichs erhielten. Diese Zuwendung wirkte sich keineswegs als Strukturhilfe zur Modernisierung der Wirtschaft, sondern vielmehr als Alimentierung aus, deren weitgehendes Ausbleiben heute zusätzliche Probleme schafft.
Neben der Gemeinsamkeit dieser Staaten als Rohstofflieferanten für die sowjetische Planungszentrale gab und gibt es auch offensichtliche Unterschiede. Kasachstan allein ist flächenmäßig größer als die anderen vier Staaten zusammen und dabei in sich ein gespaltenes Land. Die Kasachen haben mit knapp über 43 % (Anfang 1993) einen nur wenig höheren Bevölkerungsanteil als die Russen, deren Anteil durch Abwanderung nunmehr auf 36% gesunken ist Es ist ein asiatisches Land, doch je nachdem, wo die Grenzlinie zwischen Asien und Europa südlich des Urals bis zum Kaspischen Meer gezogen wird, reicht es bis nach Europa. Im Norden des Landes haben die Russen ein Übergewicht, und dieser Teil ist wirtschaftlich stärker nach Rußland als nach Zentralasien orientiert. Der vom Norden durch eine äußerst dünn besiedelte Zone (Kasachensteppe) getrennte Süden mit der Hauptstadt Almaty (vormals Alma Ata) dagegen ist weiter nach Süden ausgerichtet. Neben dieser geographisch-ethnisch-kulturellen Trennung gibt es eine weitere in der Entwicklung des Landes. Es ist auf der einen Seite ein rückständiges Land mit wenig Leicht-und verarbeitender Industrie und einer vor allem durch Chruschtschows Programme fehlgeleiteten Landwirtschaft. Auf der anderen Seite beherbergt es den ehemals sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur und das seit 1991 geschlossene Atomtestgelände Semipalatinsk mit seinen Tausenden von hochqualifizierten Ingenieuren und Wissenschaftlern. Kasachstan, ein Land, das wie seine zentralasiatischen Nachbarn seit kurzem von den intemationelen Organisationen (UN, OECD, EG) als Entwicklungsland anerkannt wird, beansprucht, Atommacht zu sein.
Kein anderes Land Zentralasiens ist so gespalten, wie dies für Kasachstan zutrifft, doch gibt es in drei Bereichen sehr unterschiedliche Entwicklungsvoraussetzungen für die verschiedenen zentralasiatischen Staaten. Der erste Bereich betrifft die Ausstattung mit Energierohstoffen. Durch die Auflösung der Sowjetunion wurden diese Länder zu „haves“ und „have-nots“. Zu den „haves“ zählen Turkmenistan und Kasachstan, zu den „havenots“ die anderen drei Staaten.
Turkmenistan ist in einer ganz besonderen Situation, die dieses Land immer mehr von seinen zentralasiatischen Nachbarn abspaltet. Das Land pro-duziert jährlich zwischen 80 und 90 Mrd. m 3 Erdgas (derzeit mit abnehmender Tendenz: 1989: 90 Mrd. m 3 und 1991: 84 Mrd. m 3) von denen es selbst nur knapp 10 Mrd. m benötigt. Es verbleiben rund 75 Mrd. m für den Export, die in der Vergangenh Mrd. m benötigt. Es verbleiben rund 75 Mrd. m für den Export, die in der Vergangenheit zu in der Sowjetunion üblichen äußerst niedrigen Preisen an das sowjetische Pipeline-Netz abgeliefert wurden. Nur durch diese verzerrte Preisstruktur ist es zu erklären, daß Turkmenistan an viertletzter Stelle des Pro-Kopf-Einkommens der sowjetischen Republiken lag. Heute dürfte es -gemessen in Weltmarktpreisen -vermutlich an erster Stelle unter allen ehemaligen Sowjetrepubliken liegen, denn das Exportpotential bei Erdgas weist einen Wert von mehr als 6 Mrd. US-Dollar auf. Dieses auf eine Bevölkerung von 3, 6 Millionen Einwohnern verteilt, ergibt ein Pro-Kopf-Einkommen von 1500 bis 2000 US-Dollar allein aus den potentiellen Erdgasexporterlösen.
Doch wenn auch Erdgas ein weltmarktfähiges Produkt ist, kann Turkmenistan bisher dennoch nicht alle Exporte in US-Dollar zu Weltmarktpreisen ummünzen. 1991 wurden 63 Mrd. m 3 in die anderen Republiken der GUS und 12 Mrd. m nach Europa exportiert 8. Die Pipelines, praktisch die einzige Überland-Transportmöglichkeit bei Erdgas, sind bisher ausschließlich ins Innere des sowjetischen Reiches gerichtet. Sie reichen, sofern mit den Transitstaaten Einvernehmen erzielt wird, durchaus auch wieder hinaus, nämlich nach Europa, der weltweit größten Abnehmerregion. Doch der Konsens mit den Transitländern muß hart erkämpft und nach turkmenischem Verständnis über Gebühr bezahlt werden. Insbesondere die Ukraine, ein Land, das durch die Auflösung der Sowjetunion wegen seines Energieimportbedarfs hart getroffen wurde, nutzt seine Macht als Durchleitungsmonopolist und fordert beträchtliche Preisabschläge für den eigenen Import turkmenischen Erdgases als Gegenleistung zur Weiterleitung der Exporte nach Europa. So kann sich Turkmenistan erst längerfristig, wenn sich die Transportabhängigkeiten verteilt haben, seines ganzen Reichtums erfreuen. Die wichtigsten Faktoren turkmenischer Außenpolitik sind deshalb, die Exportinfrastruktur für das Erdgas zu verbessern und den Reichtum des 3, 6-Millionen-Volks nicht mit den fast 50 Millionen Nachbarn Zentralasiens oder auch noch mit dem unmittelbaren armen Nachbarn Usbekistan (20 Millionen Einwohner) teilen zu müssen.
Kasachstan als das andere Land mit großen Energieressourcen weist vor allem bei Kohle große Überschüsse auf. 1991 hat Kasachstan 126 Mio. Tonnen Kohle produziert, von denen 51 Mio. exportiert werden konnten, 44 Mio. allein nach Ruß-land, 5 Mio. nach Kirgistan, Usbekistan und in die Ukraine, die verbleibenden 2 Mio. in andere ehemalige Sowjetrepubliken und in Drittländer 9. Angesichts der fehlenden Nachfrage nach Kohle auf dem Weltmarkt ist kaum zu erwarten, daß Kasachstan mit seinen Kohleexporten bei seinen Abnehmern in den GUS-Ländem harte Devisen als Gegenleistung aushandeln kann, so daß es sich mit diesem Potential keine Turkmenistan vergleichbare Position erwerben können wird. Bei den anderen fossilen Energieträgern befindet sich Kasachstan derzeit in einer fast ausgeglichenen Position. 1991 wurden in Kasachstan 27 Mio. Tonnen Erdöl und 8 Mrd. m 3 Erdgas gefördert, von denen im Rahmen eines regen Austausches mit Rußland 7 Mio. Tonnen Erdöl netto exportiert und 7 Mrd. m 3 Erdgas netto importiert wurden 10, was sich wertmäßig ungefähr die Waage hält. Wichtig ist allerdings, daß Kasachstan sich auf eine große Zukunft als Erdöl-und Erdgasproduzent vorbereitet. Eines der größten noch unerschlossenen Erdölfelder der Welt -das Tengis-Feld -befindet sich auf kasachischem Territorium, dazu kommen über 200 weitere nachgewiesene und vermutete Öl-Lagerstätten.
Die anderen drei zentralasiatischen Staaten befinden sich wegen ihres Importbedarfs an Energie in einer großen Notlage. Usbekistan verweist zwar gerne auf seine großen Energieressourcen doch konnte das Land mit seiner Erdgasproduktion 1992 in Höhe von 42 Mrd. m 3 seinen Eigenbedarf gerade decken und nur noch knapp 4 Mrd. m 3 exportieren. Bei Erdöl stand einer Produktion von weniger als 3 Mio. Tonnen ein zusätzlicher Import-bedarf von 6 Mio. Tonnen gegenüber. Bei Kohle wird der Bedarf durch eine Eigenproduktion von 6 Mio. Tonnen und Importe in Höhe von 5 Mio. Tonnen im Jahre 1992 gedeckt Es ist nicht zu erwarten, daß sich Usbekistan in naher Zukunft durch Erdgasüberschüsse oder eine gesteigerte Ölproduktion aus der Rolle des Nettoimporteurs befreien könnte, auch wenn unklar ist, aus welchen Exporterlösen die Mittel dafür aufgebracht werden sollen.
Noch ungünstiger ist die Energiesituation für die beiden Gebirgsstaaten Tadschikistan und Kirgistan. Mit ihrer geringen Kohleproduktion können sie zwar den Eigenbedarf decken, doch Erdöl und Erdgas wird hier praktisch nicht gefördert. So mußte Kirgistan Anfang der neunziger Jahre, als es noch Teil des Unionsverbundes war, 2, 7 Mio. Tonnen Erdöl und 1, 7 Mrd. m 3 Erdgas, Tadschikistan 2, 4 Mio. Tonnen Erdöl und 1, 6 Mrd. m 3 Erdgas importieren. Doch angesichts ihrer negativen Handelsbilanz und der astronomisch wachsenden Energiepreise im Handel zwischen den GUS-Staaten bleibt für diese Länder kaum eine Chance, ihren Energiebedarf zu befriedigen. Beide verfügen im Überfluß über Wasserkraft. So können sie sich eine energie-(d. h. elektrizitäts-) intensive Aluminiumindustrie leisten und auch Strom exportieren, beides aber nicht in einer ausreichenden Größenordnung, um sich ein für ihre Entwicklung erforderliches Exportpotential aufzubauen. Eine verstärkte Nutzung der Wasserkraft wird dieses Problem in absehbarer Zukunft nicht lösen, denn zum einen sind Wasserkraftwerke außerordentlich investitionsintensiv und deshalb viel zu teuer, zum anderen gibt es beim Energieträger Strom in dieser Region keine gesicherten Nachfrager, die verläßlich mit Devisen oder Öl bzw. Erdgas bezahlen würden.
Hinsichtlich der Verfügbarkeit von Wasser kehren sich die Positionen von Mangel und Überfluß gegenüber dem Energiesektor also um. Die Gebirgsstaaten Kirgistan und Tadschikistan befinden sich in der privilegierten Situation, nicht nur genug Wasser, sondern auch Flüsse von ihrer Quelle an (so auch den Syr Darja und den Amu Darja) zu besitzen, d. h., die Wasserqualität liegt in ihren eigenen Händen. Turkmenistan, das Wüstenland, und Kasachstan, das Steppenland, sind von der Wasserzufuhr besonders abhängig und leiden unter der zum großen Teil selbst verursachten Wasserverschmutzung. Usbekistan nimmt wie bei der Energie eine Mittelposition ein. Das Land zwischen den beiden großen Strömen hätte genug Wasser, wenn nicht die Bevölkerungsdichte in den bewässerten Regionen so hoch wäre -Usbekistan hat mit 21 Mio. Einwohnern eine größere Bevölkerungszahl als Kasachstan und alle anderen zentral-asiatischen Staaten -und die Baumwoll-Monokultur so exorbitant viel Wasser verschlingen würde. Neben der Ineffizienz der Bewässerungsanlagen ist vor allem die Begrenzung der Wassermenge die Ursache für den Rückgang der Baumwollproduktion in Usbekistan. Dieser Rückgang des wichtigsten Produktionszweiges des Landes wird sich notwendigerweise fortsetzen, wenn die Nahrungsmittelproduktion aufrechterhalten werden soll, und damit wird die Wirtschaftskrise angesichts einer mit 2, 4 % jährlich wachsenden Bevölkerung verschärft, von der 70 % unter 30 Jahre sind
Der dritte Bereich, der die Entwicklungschancen verschieden prägt, ergibt sich aus der ganz unterschiedlichen Reformfreudigkeit dieser Länder. Kirgistan hat mit seinem Präsidenten Akajew und der Verfassung vom 5. Mai 1993 den Weg in Richtung auf ein demokratisches und marktwirtschaftliches System beschritten. Ähnlich reformoffen gibt sich Kasachstans Präsident Nazerbajev, der allerdings die Kluft zwischen abend-und morgenländischen Strukturen in seinem Lande bei seinen Reformbemühungen berücksichtigen muß. Die Änderungen in Richtung auf Demokratie scheinen deshalb weniger kraftvoll vorangetrieben zu werden als die zu einer modernen Marktwirtschaft hin. Nazerbajev glaubt jedenfalls, daß er ein besonders attraktives Land für ausländische Investitionen anbieten kann, mit deren Hilfe er die Modernisierung schaffen will. Tadschikistan hat wegen seines Bürgerkriegs, in dem neben der Austragung ethnischer Rivalitäten persisch orientierte Fundamentalisten und um ihre Positionen fürchtende Altkommunisten verwickelt sind, seine Rolle noch nicht gefunden. Eine Öffnung in Richtung auf ein demokratisch-marktwirtschaftliches System ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Usbekistan und Turkmenistan werden von den alten Klanoberhäuptern regiert. In Turkmenistan besteht kein Grund, von dem stabilen patriarchalischen System abzuweichen, denn die wachsenden Einnahmen aus den Erdgasexporten bieten genug Verteilungsmasse, um der Bevölkerung mehr Wohlstand als in der Vergangenheit zu bieten und sie mehrheitlich an die augenblicklichen Machthaber zu binden. In Usbekistan sind Reformen aller Art riskant. Neben den Usbeken mit einem Anteil von 70% an der Bevölkerung leben verschiedene Nationalitäten in diesem Land mit einem erheblichen ethnischen Konfliktpotential vor allem in dem dicht besiedelten Fergana-Tal, in dem Pogrome schon 1989 zu Ausschreitungen mit vielen Toten geführt haben. Es ist unwahrscheinlich, daß unter Bedingungen einer sich verschlechtemden Umwelt und einem zurückgehenden Wirtschaftsaufkommen Reformen im Sinne einer Privatisierung der Wirtschaft und Schaffung von Wettbewerbsbedingungen gegen die überkommenen Strukturen durchgesetzt werden können. Ein Bereich mit einem kleinen aber für die Entwicklung der Länder wichtigen Anteil am Wirtschaftsaufkommen stellt der Außenhandel dar.
Alle fünf Staaten wiesen sowohl im Handel außerhalb der GUS als auch im innersowjetischen Handel bis 1990 große Defizite auf. Das Exportpotential stützt sich in allen zentralasiatischen Staaten auf Roh-und Grundstoffe wie Erze, Stahl und Aluminium, wobei Usbekistans wichtigstes Exportprodukt mit einem Anteil von 65 % an den Gesamtexporten die Baumwolle ist. Tadschikistans wichtigstes Exportprodukt ist Aluminium (60%), gefolgt von Baumwolle (22%). Beiden Staaten gemeinsam ist der Import von Maschinen. Im innersowjetischen Handel hat sich diese Außenhandelsstruktur nach den Preisverschiebungen im Jahr 1991 positiv ausgewirkt. Alle zentral-asiatischen Staaten mit Ausnahme Kasachstans kehrten ihr Handelsdefizit im interrepublikanischen Handel in einen Überschuß um (Tabelle 3). Im Außenhandel außerhalb der Sowjetunion blieben die Handelsdefizite mit Ausnahme Tadschikistans, das seine Importe gewaltig einschränkte, bestehen (s. Tabelle 4). Doch konnte Turkmenistan dieses Defizit dank seiner Erdgasexporte beträchtlich verringern. Für die anderen Staaten wird es schwer sein, ihr Exportpotential zu erhöhen, um damit die Handelsbilanz auszugleichen oder gar dringend benötigte Investitionsgüter zu importieren. Die hohe Inflationsrate des Rubels verdeckt in den Tabellen 3 und 4, wie stark der Rückgang des Außenhandels dieser Länder in den neunziger Jahren real verlaufen ist, nämlich noch stärker als der Rückgang des Sozialprodukts. Insofern bedeutete das Erreichen der Talsohle bei den Exporten schon ein Hoffnungsschimmer für diese Länder.
II. Die ökologische Last
Abbildung 3
Tabelle 2: Energieproduktion der zentralasiatischen Staaten 1991 Quelle: Ekonomitscheskaja Gazeta No. 6, Februar 1992, S. 15
Tabelle 2: Energieproduktion der zentralasiatischen Staaten 1991 Quelle: Ekonomitscheskaja Gazeta No. 6, Februar 1992, S. 15
Die Zerstörung des Gleichgewichts im Wassereinzugsgebiet des Aralsees wird zu Recht als die größte Umweltkatastrophe in Mittelasien, wenn nicht weit darüber hinaus, bezeichnet. Die Sorglosigkeit des Umgangs mit nuklearem Material hat weite Gebiete verseucht, die Ölproduktion vor allem in Kasachstan wurde ohne ausreichende Vorsichtsmaßnahmen betrieben, so daß große Flächen mit Ölschlamm bedeckt sind. Das Testgelände für B-und C-Waffen auf der „Insel der Wiedergeburt“ im Aralsee hat noch nicht übersehbare Schäden hinterlassen. Damit sind nur die offensichtlichsten Umweltnotstände angesprochen. Sie deuten jedoch an, wie sehr diese Region, gesteuert von der Planungszentrale in Moskau, in der Vergangenheit auf Kosten der eigenen Zukunft produziert und gelebt hat.
Der ökologische Eingriff am Aralsee kann wie folgt beschrieben werden Von der jährlich verfügbaren Wassermenge in Zentralasien im Umfang von 140 km 3 ergießen sich 90 % in das Einzugsgebiet des Aralsees. Die beiden Flüsse Amu Darja (73 km 3) und Syr Darja (37 km 3) nehmen davon den größten Teil auf. Insgesamt wird in Zentral-asien der allergrößte Teil, nämlich 128 km 3 für Bewässerung entnommen, wobei naturgemäß ein Teil hiervon, wenngleich von Salz und Chemikalien durchsetzt, in die Flüsse zurückfließt. Diese Wasserentnahme in Zentralasien entspricht 73 % der gesamten Wassernutzung in der früheren Sowjetunion. In dem viel größeren Rußland wird nichteinmal ein Drittel dieser Wassermenge zu Nutzzwecken verwendet. Abgesehen von einem außerordentlich hohen Verdunstungsgrad der offenen Bewässerungsanlagen, gibt es auch riesige Wassermengen, die auf Grund ihrer Leitungsführung für den Wasserhaushalt des Aralsees vollständig verloren gehen, so insbesondere der Karakum Kanal, der jährlich über 14 km 3 ableitet. Im Ergebnis führen die beiden großen Flüsse nur noch wenig Wasser (im Durchschnitt der Jahre 1981 bis 1988 waren es 7, 4 km 3 im Vergleich zu 60 km 3 im Jahr 1960) in Form einer braunen Chemiebrühe in den See.
Seit 1960 ist der Wasserspiegel um Meter gesunken, der See hat fast die Hälfte seiner Fläche und zwei Drittel seines Volumens verloren 15. Der Salzgehalt des Gewässers hat sich verdreifacht und liegt damit über dem des Toten Meeres. Im See gibt es keine Lebewesen mehr, die Fischerei und Fischverwertung wurden eingestellt. Das Verschwinden des Sees ist für Ende der ersten Dekade des nächsten Jahrhunderts vorausgesagt, wenn keine ernsthaften Maßnahmen zu seiner Rettung eingeleitet werden.
So einschneidend die Vernichtung dieses 66000 km 2 großen Sees als Änderung der Geographie dieses Raumes wirkt, so gibt es doch noch Bedrückenderes an dieser Katastrophe: Die Fruchtbarmachung von Boden in dieser Region geschieht nicht nur durch Bewässerung. Der Einsatz einer wachsenden Menge Düngemittel ist notwendig, weil die Böden durch die Monokultur ausgelaugt sind. Pestizide sind auf Grund der einseitigen Bewirtschaftung in steigendem Maße notwendig, und der Einsatz von DDT, obwohl seit 1982 verboten, ist in einer vielfachen Menge im Vergleich zu anderen Landwirtschaftsregionen der früheren Sowjetunion nachgewiesen. Dementsprechend sind Grund-und Flußwasser und damit das Trinkwasser für einen großen Teil der Bevölkerung (etwa die Hälfte der Bevölkerung Zentralasiens lebt in der näheren Umgebung des Syr Darja) in einer hohen Konzentration verseucht. Die Salz-wüste, die der trockengelegte Seeboden freigibt, bietet Nahrung für Stürme, die jährlich über 100 Millionen Tonnen eines mit Chemikalien versetzten Salz-Sand-Gemischs zum Teil Tausende von Kilometern weit tragen. In der näheren Umgebung des Sees schlägt sich jährlich über eine Tonne dieses Gemischs pro Hektar nieder, wodurch nicht nur die Böden, sondern auch die auf dem Feld arbeitenden Menschen verseucht werden.
Insbesondere in den seenahen Regionen leiden die Menschen zu einem überwiegenden Teil an Gesundheitsschäden. Hans-Jochen Vogel schreibt in einem Reisebericht: „ 78 % der Bevölkerung gelten als krank. Von den Ärzten wurden als häufigste Krankheiten Erkrankungen der Atmungsorgane, Infektionskrankheiten, Krebs (vor allem Speiseröhrenkrebs), Leukämie, Anämie und Entzündungen aller Art genannt; 1990/91 seien auch Pest und Cholera aufgetreten.“ Weiter werden in diesem Bericht eine Reduzierung der Lebenserwartung um mindenstens zehn Jahre, eine Kindersterblichkeit von bis zu 15 % und Krankheit indikationen bei 95 % der Mütter zum Zeitpunkt der Geburt genannt.
Sofern man die lange diskutierten Lösungsansätze durch Umleiten von nach Norden gerichteten Flüssen oder das Pumpen von Wasser aus dem Kaspischen Meer mit all den daraus folgenden dramatischen ökologischen Problemen außer acht läßt, muß der Lösungsweg bei der Reduzierung des Wasserverbrauchs für Bewässerung und der Verminderung des Einsatzes von Chemikalien liegen. Die Reduzierung des Wasserverbrauchs könnte zum einen dadurch erfolgen, daß große Bewässerungsflächen stillgelegt werden. In diesem Sinn böte sich vor allem an, daß Turkmenistan auf seine Baumwollproduktion mit Hilfe des Karakum-Kanals verzichtet, da es über Erdgas ohnehin zu überdurchschnittlichem Reichtum gelangt. In Usbekistan müßte vor allem die Verschwendung von Wasser durch ineffiziente Anlagen verringert werden. Dies erfordert Investitionsmittel; über die das Land derzeit nicht verfügt, die deshalb, wenn die Rahmenbedingungen geeignet sind, in Form von Entwicklungshilfe von außen kommen müßten. Voraussetzung ist auch die Veränderung der Mentalität beim Baumwollanbau, d. h., die Produzenten sollten verinnerlichen, daß Wasser ein kostbares und tatsächlich auch teures Gut ist. Dies bedeutet, daß nur über eine Systemreform, für die derzeit die Machtkonstellationen nicht gegeben sind, die Problemlösung in Angriff genommen werden kann.
Ein weiterer Lösungsansatz wird derzeit in Kasachstan diskutiert, nämlich, daß der Nordteil (also gewissermaßen der kasachische Teil) des Aralsees, der schon durch eine Landzunge weitgehend vom Südteil getrennt ist, mittels Dammbau ganz abgetrennt wird und über den Syr Darja gezielt aufgefüllt würde. Dies würde allerdings einen Konflikt mit Usbekistan auslösen, dessen Problem durch den fehlenden Wasseraustausch mit dem Nordteil nur noch größer würde. So bleibt als reale und bestenfalls über mehrere Jahrzehnte wirksame Lösung nur ein integrierter Ansatz, der einen politischen und gesellschaftlichen Umdenkungsprozeß bezüglich der Vereinbarkeit von Ökonomie und ökologischem Gleichgewicht ebenso einbezieht wie effiziente und ressourcensparende Technologien zum Einsatz bringt und hierfür die Finanzierung sichert. Dazu bedarf es eines regionalen und internationalen Konsenses, um den man sich bemühen sollte, den aber die bestehenden Konsensbildungsmechanismen in der Region (patriarchalisches Klansystem) bisher ausschließen.
Die nukleare Verseuchung kann hier kurz abgehandelt werden, da ein eigener Artikel diese Problematik zum Inhalt hatte Zusammengefaßt geht es vor allem um die nukleare Verseuchung von großen Landstrichen im Bereich des offiziellen Atomtestgeländes Semipalatinsk, in dem über 700 Atombomben mit dem Potential von 20000 Hiroshima-Bomben teils oberirdisch, teils unterirdisch gezündet wurden. Von der Verseuchung sind etwa eine Million Menschen unmittelbar und dauerhaft betroffen Doch gelangen laufend weitere Strahlungspotentiale über undichte Stellen der unterirdischen Gesteinsblasen in das Grundwasser und die Flüsse, so daß weitere Verstrahlungen auf Dauer zu erwarten sind. Neben " Semipalatinsk, dem größten, haben sich in Kasachstan weitere Atomtestgelände befunden, in deren Einzugsbereich 75 % der kasachischen Bevölkerung leben sollen 19. Die Auswirkungen auf die Gesundheit erweisen sich vor allem in einer akuten Schwächung des Immunsystems.
Wie sehr die zentralasiatischen Staaten auch über diese gravierenden Umweltschäden hinaus in die in der Sowjetunion übliche Sorglosigkeit bei der Belastung der Umwelt einbezogen waren, zeigen die Daten über Luft-, Gewässer-und Bodenverschmutzung. Es werden Werte erreicht, die zu einem großen Teil die selbst festgelegten Grenzwerte um ein Vielfaches überschreiten
Stellte man eine Vermögensrechnung für die Anlageinvestionen (alle Infrastruktur-und Produktionsstätten) dieser Region auf und zöge davon die Negativinvestitionen durch Zerstörung der Umwelt ab, und zwar nur die Schäden, die irgendwann einmal saniert werden müssen, wenn die Region sich im wahrsten Sinne des Wortes als „lebensfähig“ entwickeln will, so käme man nach grober Schätzung auf seine negative Summe. Dies bedeutete, daß das Wachstum vergangener Jahrzehnte ausschließlich auf Kredit zustande gekommen wäre. Nun werden Zinsen und Tilgungszahlungen in Gestalt von Gesundheitskosten bzw. Arbeitsausfällen wegen Krankheit, negativem Wachstum wegen Übernutzung der Böden sowie Wachstums-verzicht, um die Voraussetzungen für Struktur wandel zu schaffen, fällig.
III. Entwicklungsaussichten
Abbildung 4
Tabelle 3: Außenhandel der zentralasiatischen Staaten mit den anderen Republiken der Sowjetunion 1987-1991 in Mrd. Rubel Quelle: Für Kasachstan: Narodnoe Chozjajstvo SSSR (Anm. 2), S. 636; für die anderen Republiken wie Tabelle 1: Kirgistan, S. 35, Tadschikistan, S. 21, Turkmenistan, S. 85, Usbekistan, S. 52. Daten für 1989
Tabelle 3: Außenhandel der zentralasiatischen Staaten mit den anderen Republiken der Sowjetunion 1987-1991 in Mrd. Rubel Quelle: Für Kasachstan: Narodnoe Chozjajstvo SSSR (Anm. 2), S. 636; für die anderen Republiken wie Tabelle 1: Kirgistan, S. 35, Tadschikistan, S. 21, Turkmenistan, S. 85, Usbekistan, S. 52. Daten für 1989
Es gibt gute Gründe, dieses auf der ökologischen Zerstörung beruhende pessimistische Bild für die Entwicklungaussichten ernst zu nehmen. Ein hierfür indikativer Bereich, in dem dramatisches Wachstum stattfindet, ist der Anbau von Drogen. Kasachstan und Kirgistan haben den Opiumanbau für medizinische Zwecke legalisiert und damit die wichtigste Barriere zur Verhinderung von Drogen-anbau beseitigt. Opium wird heute auf rund 125000 ha in Zentralasien produziert, womit es neben Burma zum größten Opiumanbaugebiet geworden ist Wie aus anderen Regionen der Welt bekannt ist, bringen Drogen zwar dringend benötigte Devisen ein, doch verhindert dieser Wirtschaftszweig die Entwicklung in Richtung auf ein modernes, wettbewerbsorientiertes, auf Rechtssicherheit beruhendes Wirtschaftssystem und ist damit ein wichtiger Indikator für eine mögliche fehlgeleitete Entwicklung. Zentralasien ist dank seiner Baumwollproduktion ohnehin die Ursprungsregion der sowjetischen Mafia und der Wirtschaftskriminalität. Die undemokratische und wettbewerbsfeindliche Führungsstruktur in Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan leistet diesem Gebahren zusätzlich Vorschub. Diese Umstände geben durchaus Anlaß, die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Region mit Sorge zu betrachten.
Es gibt aber auch Ressourcen und Aktivitäten, die eine Entwicklung zum Besseren fördern können. An erster Stelle sind hier die Erdöl-und Erdgas-potentiale in Kasachstan und Turkmenistan zu nennen, die für diese beiden Länder den Zufluß von Devisen und damit auch dringend benötigte Investitionsmittel bereitstellen können. So möchte Kasachstan mit Hilfe verschiedener westlicher Ölunternehmen (das Abkommen mit Chevron vom April 1993 zur Erschließung des Tengis-Feldes ist das bekannteste) seine Erdölproduktion von 27 Mio. Tonnen (1991) auf 42 Mio. im Jahr 2000 er-höhen Möglicherweise können längerfristig durch solche Investitionsmaßnahmen auch für das eher überbesiedelte Usbekistan (Gast-) Arbeitsplätze in diesen energiereichen Ländern entstehen, oder die beiden energiereichen Länder könnten einen größeren Anteil an der Schaffung einer sinnvollen Infrastruktur für die ganze Region übernehmen. Ein anderes positives Element ergibt sich aus dem Bemühen um den Aufbau einer rohstoffverarbeitenden Industrie und damit um die Entwicklung diversifizierter Strukturen zur Überwindung des zentralistischen sowjetischen Modells. So hat z. B. Usbekistan seine Baumwollexporte in die GUS reduziert und in westliche Länder erhöht. Im Gegenzug zum Export von 16 500 Tonnen Baumwolle hat ein dänisches Unternehmen den Bau einer Jeans-Firma übernommen.
Im Handel mit den GUS-Ländem haben sich die zentralasiatischen Staaten durchaus bemüht, an einem gemeinsamen Wirtschaftsraum festzuhalten. Ihre intensive Abhängigkeit von industriellen Fertigprodukten vor allem aus Rußland hat sie zu dieser konservativen Position bewogen, wenngleich Turkmenistan sich schon früh wieder absonderte. Lange Zeit hielten die zentralasiatischen Staaten an der Rubel-und der Freihandelszone innerhalb der GUS fest. Inzwischen haben diese Staaten erkannt, daß Rußland nur bedingt an der Erhaltung des gesamten Wirtschaftsraumes der GUS interessiert ist. Seit Anfang 1993 versucht Rußland, für Energielieferungen Weltmarktpreise zu verlangen, statt Tausch-Geschäfte abzuschließen, womit ein wesentlicher Vorteil aus der Wirtschaftsgemeinschaft der GUS entfällt. Das Verbleiben in der Rubelzone wird für die anderen Staaten an Bedingungen geknüpft, ohne daß diese Länder einen nennenswerten Einfluß auf die Währungspolitik hätten. So gibt es verschiedene Bemühungen der zentralasiatischen Staaten um die Schaffung einer ökonomischen Subregion, gewissermaßen als Rückfallposition. Bei der Ausarbeitung eines Dokuments für eine gemeinsame Zollpolitik im März 1992 nahm Turkmenistan zwar nicht teil, aber bei der Gipfelkonferenz in Taschkent am 3. /4. Januar 1993 hielt sich das Land bei den Bemühungen der fünf Staaten um die Schaffung eines gemeinsamen Marktes nicht zurück. In der Reformpolitik gehen die Staaten mit unterschiedlichem Engagement vor. Dies bewog Kirgistan, im Mai 1993 im Alleingang eine eigene Währung einzuführen, wodurch der Handel zwischen den Staaten stark beeinträchtigt wird.
Der weitergehende Ansatz für einen internationalen Wirtschaftsraum bietet die Mitgliedschaft in dem Economic Cooperation Council (ECO), der 1964 von der Türkei, dem Iran und Pakistan gegründet wurde und mit der Aufnahme der zentral-asiatischen Staaten im Februar 1992 revitalisiert werden sollte. In der Tat haben mehrere Gipfelkonferenzen des ECO inzwischen stattgefunden. Es geht, wie bereits bei dem ersten Treffen der Staatschefs in Aschchabad (Mai 1992) festgelegt wurde, vor allem um die Schaffung einer Infrastruktur, welche die sternförmige Ausrichtung der zentralasiatischen Staaten auf Moskau hin auflösen soll. So ist vom Bau einer Autobahn und Eisen-bahnlinie, die die Hauptstädte von Ankara bis Almaty verbinden soll, die Rede; es geht vor allem um die Errichtung von Pipelines, die Turkmenistan vom GUS-Raum unabhängig machen sollen. Unklar ist jedoch noch immer, wie solche Groß-projekte zu finanzieren sind. Immerhin übernimmt die Türkei eine weitreichende Funktion zur Unterstützung des Transformationsprozesses, soweit er in diesen Ländern in Gang kommt.
Gemessen an der Größe der Aufgabe -der ökologischen Sanierung, des Umbaus der Wirtschaftsstruktur und des Abbaus wirtschaftsstruktureller Altlasten sowie der Veränderung des Wirtschaftssystems in Richtung auf ein wettbewerbsorientiertes Marktsystem -erscheinen die wenigen erfolgversprechenden Ansätze wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Verschlechterung der Situation im ökologischen Bereich zum Stillstand zu bringen, wäre schon ein Erfolg. Dabei bedeutete dies nur den Erhalt des Status quo einer für viele Menschen äußerst bedrückenden Situation. Es wäre wichtig, in Einzelbereichen aufzuzeigen, daß Verbesserungen möglich sind, wenn mit der Transformation zu einem effizienteren und dabei auf die Umwelt mehr Rücksicht nehmenden Wirtschaftssystems ernst gemacht würde. Hierfür könnte die Türkei ein besonders wichtiger Partner sein. Dazu wäre auch die Bereitstellung von Investitionsmitteln durch westliche oder nahöstliche Staaten (Saudi-Arabien) von großer Bedeutung. Doch muß realistischerweise auch klargemacht werden, daß die Voraussetzungen für einen Systemwandel, der eine nachhaltige Entwicklung zuläßt, nicht günstiger sind als in den meisten Ländern der Dritten Welt.
Friedemann Müller, Dr. rer. pol., geb. 1943; seit 1973 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Rußlands Energiepolitik: Herausforderung für Europa, Baden-Baden 1992; Polluted Potential: Ecology and the Economy in Central Asia, in: Harvard International Review, XV (1993) 3; Ökologie und die Wandlung weltwirtschaftlicher Strukturen, in: Albrecht Zunker (Hrsg.), Weltordnung und Chaos, Baden-Baden 1993.
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