Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ökologie und Arbeitslosigkeit | APuZ 12-13/1994 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 12-13/1994 Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland Ansatzpunkte zur Behebung der Arbeitsmarktprobleme Übergänge in die Vollbeschäftigung. Perspektiven einer zukunftsgerechten Arbeitsmarktpolitik Kürzer oder länger arbeiten? Ökologie und Arbeitslosigkeit

Ökologie und Arbeitslosigkeit

Axel Bust-Bartels

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Als Lösung des Problems der Massenarbeitslosigkeit wird von Protagonisten der SPD, der Gewerkschaften und des Instituts» für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit vorgeschlagen, zwischen Staat und Wirtschaft einen dritten und neuen Sektor der Arbeitsgesellschaft mit untertariflicher Bezahlung zu installieren: einen dauerhaften „zweiten Arbeitsmarkt“. Damit werden jedoch keineswegs die gesellschaftszerstörenden Auswirkungen der Unterbeschäftigung aufgehoben. Mit dem Ziel, die Notwendigkeit einer Vollbeschäftigungspolitik zu belegen, die mit neuen Instrumenten im „ersten Arbeitsmarkt“ ansetzt, wird in einem ersten Teil gezeigt, daß auch die einzelwirtschaftliche ökonomische Effizienz unserer Volkswirtschaft -und damit letztlich auch die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt -durch andauernde Massenarbeitslosigkeit bedroht ist. In einem zweiten Teil geht es darum zu belegen, daß die traditionelle Politik der Wachstumsförderung nicht einmal den selbstgesetzten Anspruch -die Bewältigung der sozialen Frage -einzulösen in der Lage ist: Trotz ökonomischen Wachstums werden wir immer ärmer. Es ist unbedingt am Ziel des ökologischen Umbaues der Industriegesellschaft festzuhalten -nicht nur, um den Weg in die ökologische Katastrophe zu vermeiden, sondern auch, weil nur so die soziale Frage wirklich gelöst werden kann. Wie die beiden wichtigen Aufgaben -der ökologische Umbau der Industriegesellschaft und die Verringerung der Arbeitslosigkeit -miteinander verbunden und in Angriff genommen werden könnten, wird im dritten Teil des Beitrags gezeigt. Ökologische oder ökologischere Produktionsverfahren und Lösungen vieler gesellschaftlicher Probleme sind in der Regel sehr viel arbeitsintensiver. Sie scheitern normalerweise daran, daß die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte nicht finanzierbar sind. Seit einigen Jahren ist nun aber bekannt, daß gesamtfiskalisch gesehen eine weitgehende Äquivalenz zwischen den Kosten der Arbeitslosigkeit und den Kosten tariflich bezahlter Beschäftigung besteht. Vor diesem Hintergrund wäre -politischen Willen auf Bundesebene vorausgesetzt -ein handfestes wirtschafts-und arbeitsmarktpolitisches Instrument denkbar, mit dessen Hilfe zusätzlich benötigte Arbeitskräfte im Rahmen der ökologischen Konversion finanziert und damit gleichzeitig die Arbeitslosigkeit vermindert werden könnte.

I. Problemaufriß

Offene und verdeckte Arbeitslosigkeit zusammengenommen, haben wir in Deutschland mittlerweile knapp 7, 5Millionen Arbeitslose -gut 2,5Millionen in der Ex-DDR und knapp 5Millionen auf dem Gebiet der früheren Bundesrepublik

Lange Jahre wurden alle Hinweise darauf ignoriert, daß allein mit der traditionellen Wachstumspolitik Vollbeschäftigung nicht zu realisieren ist und daß wir neue Instrumente brauchen, um dieses Ziel zu erreichen. Vor diesem Hintergrund wird jetzt vorgeschlagen, zwischen Staat und Wirtschaft einen „dritten und neuen Sektor der Arbeitsgesellschaft dauerhaft zu organisieren und zu finanzieren ... Arbeit in und um Werkstätten für Behinderte können Modelle sein, wie Erwerbs-wirtschaftlichkeit und Förderung zu verbinden sind.“ Die Löhne in solchen Beschäftigungsgesellschaften sollen „unter den üblichen Löhnen, aber deutlich über dem Sozialhilfesatz und Arbeitslosengeld liegend“ ausgehandelt werden Auch die Vorstellung des Zwangs zur Arbeit in einem solchen dritten -mit progressiver Geste „ökosozial“ genannten -Sektor wird mittlerweile ebenfalls ohne großen Widerspruch artikuliert

Diese Vorschläge sind sehr ernst zu nehmen, da sie von Protagonisten der Gewerkschaften, der SPD und des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit vorgetragen werden, mithin von Persönlichkeiten, die sich für eine aktivere Politik gegen die Arbeitslosigkeit einsetzen. Sie treiben das voran, was sich in der Praxis auf der Grundlage des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ohnehin schon entwickelt hat. Nun mag das Konzept der Beschäftigungsgesellschaften oder Arbeitsförderungsbetriebe zwar im Einzelfall und wenn Tariflöhne gezahlt werden für eine Übergangszeit notwendig und sinnvoll sein und einigen Arbeitslosen auch wirklich helfen als die Lösung des Problems Massenarbeitslosigkeit ist es jedoch abzulehnen Mit der dauerhaften Institutionalisierung eines „zweiten (minderwertigeren) Arbeitsmarktes“ werden die höchst problematischen Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht aufgehoben, die mit einer langandauernden Massenarbeitslosigkeit verbunden sind und die letztlich unsere Gesellschaft in ihrer Existenz bedrohen.

In Kapitel II sollen -mit dem Ziel, die Notwendigkeit einer Vollbeschäftigungspolitik, die mit neuen Instrumenten im ersten Arbeitsmarkt ansetzt 8, zu belegen -einige Argumente angeführt werden, die die ökonomische Effizienz unserer Wirtschaft betreffen. Vielleicht bewirken sie ja etwas mehr als ethische Argumente zu den individuellen Folgen der Arbeitslosigkeit oder politische Argumente, die auf die Destabilisierung der Gesellschaft und den sich entwickelnden Rechtsradikalismus hinweisen.

Massenarbeitslosigkeit und die derzeit vorliegenden unzureichenden „Lösungsvorschläge“ führen dazu, daß immer mehr auf die traditionelle Politik der Wachstumsförderung gesetzt wird. Auf diesem Wege sollen möglichst viele Arbeitsplätze erhalten und eventuell neue geschaffen werden. Spielte bisher der Anspruch auf einen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft bei den tatsächlich getroffenen Entscheidungen ohnehin kaum eine Rolle, so wird gegenwärtig schon im Vorfeld -auf der ideologischen Ebene -eine Abkehr von diesem Anspruch vollzogen. Derzeit wird auch zur Lösung der sozialen Frage wieder voll auf die traditionelle Wachstumsförderung gesetzt. Ohne großen Rechtfertigungszwang werden etwa trotz sich abzeichnender Klimakatastrophe weiter Großkraftwerke für fossile Brennstoffe gebaut, wird in großem Stil in Straßen-und Autobahnbau sowie in Müllverbrennungsanlagen investiert, wird der Giftmüll der

Unternehmen als „Wertstoff“ deklariert in die Bergwerke der Ex-DDR gekippt u. v. a. m.

In Kapitel III geht es darum aufzuzeigen, daß diese traditionelle Politik der Wachstumsförderung unabhängig von den ökologischen Implikationen nicht einmal den selbstgesetzten Anspruch -die Bewältigung der sozialen Frage -einlösen kann. Es wird deshalb dafür plädiert, unbedingt am Ziel des ökologischen Umbaues der Industriegesellschaft festzuhalten -nicht nur, um den Weg in die ökologische Katastrophe zu vermeiden, sondern auch, weil nur so die soziale Frage wirklich gelöst werden kann.

Wie diese beiden Aufgaben -der ökologische Umbau und die Verminderung der Arbeitslosigkeit durch die Schaffung zusätzlicher, tariflich bezahlter Dauerarbeitsplätze im „ersten Arbeitsmarkt“ -miteinander verbunden sowie schnell und wenig kostenintensiv in Angriff genommen werden könnten, soll schließlich in Kapitel IV dargelegt werden. Dabei geht es um den folgenden Gedankengang: Die ökologischen oder ökologischeren Lösungen vieler gesellschaftlicher Probleme sind häufig sehr viel arbeitsintensiver. Solche Wege werden normalerweise nicht beschritten, da die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte nicht finanzierbar sind. Seit einigen Jahren ist jedoch bekannt, daß -gesamtfiskalisch gesehen -eine weitgehende Äquivalenz zwischen den Kosten der Arbeitslosigkeit und den Kosten tariflich bezahlter Beschäftigung besteht. Es wäre also denkbar -politischen Willen auf Bundesebene vorausgesetzt -, ein handfestes wirtschafts-und arbeitsmarktpolitisches Instrument zu entwickeln, mit dem zusätzlich benötigte Arbeitskräfte im Rahmen der ökologischen Konversion finanziert und damit gleichzeitig die Arbeitslosigkeit vermindert werden könnte.

II. Arbeitslosigkeit und ökonomische Effizienz

Massenarbeitslosigkeit hat Folgen, die -auch bei prosperierender Wirtschaft -die Ökonomie in ihrer Effizienz ernsthaft bedrohen. Selbst die bisher noch hocheffektiv arbeitenden Kernbereiche der Wirtschaft sind dadurch gefährdet. Das wird deutlich am veränderten Bewußtsein und Verhalten sowohl der dort Beschäftigten als auch der Unternehmer und Manager und an dem -als Folge der Arbeitslosigkeit -verminderten Innovationsdruck. Hohe und langandauernde Arbeitslosigkeit hat Folgen für die Beschäftigten in der Privatwirtschaft: „Bemerkenswert ist der starke Einfluß der Arbeitsmarktlage auf das Betriebsklima. Das Klima der Verunsicherung (durch die Massenarbeitslosigkeit, d. V.) geht mit unkooperativen, egoistischen Verhaltensregeln am Arbeitsplatz einher.“ Das gilt keineswegs nur für die sogenannten Randbelegschaften, sondern auch für qualifizierte Arbeitnehmer in leitender Funktion: „Dieser Zusammenhang besteht auch, wenn wir den Einfluß der beruflichen Stellung statistisch ausschalten. Durch das Klima der Verunsicherung vermindert sich auch die Produktivität: „Gerade moderne Produktionsweisen, die aufgrund des Einsatzes komplexer Technologie und starker Arbeitsteilung eine gut funktionierende Beziehung von Beschäftigten untereinander und zu ihrem Vorgesetzten erfordern, dürften durch unkooperative Arbeitsformen besonders behindert werden.“

Noch stärker ist die ökonomische Effizienz durch Bewußtseins-und Verhaltensänderungen von Unternehmern und Managern in der Industrie bedroht. In neueren empirischen Studien in den USA werden für den ökonomischen Niedergang und die nicht mehr gegebene Konkurrenzfähigkeit vieler Branchen auf dem Weltmarkt Veränderungen in der Kultur des ökonomischen Handelns verantwortlich gemacht, die letztlich -so die im Beitrag vertretene These -durch die mit der Massenarbeitslosigkeit einhergehende gesteigerte Existenzangst in der Gesellschaft bedingt sind Solche effizienzmindernden Verhaltensänderungen bei den Managern der US-Industrie äußern sich etwa: -in einer stärkeren Orientierung am schnellen Erfolg (kurzfristigere Kalküle); -in stärkerem Vorrang der reinen Finanztransaktionen;

-in einem geringeren Interesse am Produkt und am Produktionsprozeß (geringere Sinn-und Sachorientierung);

-in ruppigeren Geschäftsbeziehungen, verringerter Kooperation mit Lieferanten und Kunden;

-in einer stärkeren Bereitschaft zum Vertragsbruch, mangelnder Vertragstreue;

-in einem autoritäreren innerbetrieblichen Führungsstil, immer geringerer Fähigkeit zu demokratischen Umgangsformen;

-in fehlendem Verständnis für fremde Kulturen und Gesellschaften, fehlender Toleranz, fehlender Lernfähigkeit (Existenzangst blockiert das Denken ...);

-in der Zunahme halb-und krimineller ökonomischer Handlungen („moral hazard“) usf.

Fatale Folge dieser Verhaltensänderungen ist die allmähliche Zerstörung der sozio-moralischen Voraussetzungen, der „Tugenden“ -die beschriebenen Änderungen entsprechen einer Abkehr von diesen -, von denen eine effektive kapitalistische Wirtschaft lebt und profitiert.

In dem Maße, wie die veränderten Bewußtseinsund Verhaltensformen immer mehr auch die hoch-produktiven Kernbereiche der Wirtschaft durchdringen, wird davon die gesamte Volkswirtschaft bedroht.

Schließlich wird die durch die veränderte Kultur des ökonomischen Handelns bereits geschwächte technologische Innovationsbereitschaft der Industrie auch durch das bei Massenarbeitslosigkeit sinkende Lohnniveau beeinträchtigt, was sich an einem einfachen Modell verdeutlichen läßt: Ein Unternehmen, das wegen guter Absatzbedingungen seine Produktion ausweiten will, kann zusätzliche Arbeitskräfte einstellen und eventuell Erweiterungsinvestitionen vornehmen. Es kann aber auch rationalisieren, d. h. durch technisch-technologische Innovationen zu höherer Produktivität und Produktion kommen. Ist Arbeitskraft billig, besteht die Tendenz, den ersten Weg zu beschreiten. Im Hinblick auf die Entwicklung moderner Wirtschaftsstrukturen sowie unter dem Gesichtspunkt der Weltmarktkonkurrenz wäre mittel-bis langfristig der zweite Weg der vernünftigere. Die Unternehmer brauchen also die „Peitsche der hohen Löhne“, sollen sie sich im Sinne einer effektiveren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verhalten. Daneben gilt weiterhin das alte Argument, daß hohe Löhne nicht nur einzelwirtschaftlich ein Kostenfaktor, sondern gesamtwirtschaftlich ein nachfragesteigernder Faktor sind, der die Ökonomie belebt.

Innovationshemmend wirkt unter den Bedingungen von Massenarbeitslosigkeit auch das veränderte Machtverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Maßnahmen der Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, der Einschränkung von arbeitsrechtlichen Errungenschaften, der Senkung von Löhnnebenkosten sowie der Aufweichung ökologischer Auflagen lassen sich gegenüber den Gewerkschaften und in der politischen Arena unter diesen Bedingungen leichter durchsetzen. Für die Unternehmer ist das ein Anreiz, eher diesen „politischen“ Weg zur Gewinnsteigerung zu gehen -etwa alle Phantasie darauf zu verwenden, die neuen arbeitsrechtlichen Möglichkeiten auszunutzen -, als sich innovativ zu verhalten, was größere Risiken birgt. Sie „bohren“ einfach das „dünnere Brett“. Die Politik einer Regierung, die derartige Wege der „Gewinnmaximierung“ ebnet, behindert den volkswirtschaftlich so wichtigen technologischen Innovationsprozeß.

Ein Beispiel für eine „klügere“ Wirtschaftspolitik hat Japan gegeben. Dort sind nach der ersten Ölpreiskrise 1973 keineswegs Maßnahmen ergriffen worden, um die Industrie, die von Ölimporten abhängig war, von diesem Kostendruck zu entlasten -im Gegenteil: Durch verschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen ist in Japan der inländische Ölpreis noch einmal zusätzlich verteuert worden -als Anreiz dafür, durch technologischen und strukturellen Wandel zu einer raschen Verringerung der extrem hohen Abhängigkeit vom Öl zu gelangen Und diese Strategie war erfolgreich.

An diesem Beispiel wird deutlich, daß die Unternehmen nicht nur ökonomische Anreize, sondern auch ökonomischen Druck brauchen, um sich volkswirtschaftlich sinnvoll zu verhalten. Druck wird mit der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Strategie aber nur auf die abhängig Beschäftigten ausgeübt, während an die Unternehmen allenfalls appelliert wird, die Gewinne investiv und technologisch-innovativ zu verwenden.

Insgesamt dürfte an Hand der hier umrissenen ökonomisch-gesellschaftlichen Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit deutlich geworden sein, daß der derzeit eingeschlagene Weg -dauerhafte Ausgliederung von Teilen der Erwerbsbevölkerung aus dem „ersten Arbeitsmarkt“ -nicht unbedingt zu Volks-und betriebswirtschaftlicher Effektivität führt.

Ein dauerhafter Unterbeschäftigungskapitalismus -mit oder ohne „zweiten Arbeitsmarkt“ -zerstört langfristig seine ökonomischen Grundlagen und wird einem Vollbeschäftigungskapitalismus immer ökonomisch unterlegen sein. Unter solchen Bedingungen werden zudem die oben genannten „Tugenden“, die sozio-moralischen Voraussetzungen einer effektiven kapitalistischen Wirtschaft, vernichtet: „Gegenüber Normen wird in zunehmendem Maße eine utilitaristisch-kalkulative Perspektive gezeigt.“ Es ist eine eindeutige Verstärkung dieses Trends bei höherer Arbeitslosigkeit festzustellen. Aber keine Gesellschaft kann langfristig überleben, wenn sich ihre Mitglieder nicht an grundsätzlichen Normen, sondern an kurzfristigen Nutzen-Kosten-Kalkülen orientieren.

Wir brauchen also dringend eine Vollbeschäftigungspolitik, die im „ersten Arbeitsmarkt“ ansetzt. Da die bisherigen Instrumente in den letzten zwei Jahrzehnten offensichtlich versagt haben, müssen wir neue Wege gehen, um dieses Ziel zu erreichen. Darüber gibt es kaum eine ernsthafte Diskussion. Vielmehr wird -lernunfähig und bornierten Teilinteressen folgend -die Politik der traditionellen Wachstumsförderung fortgesetzt.

III. Traditionelles Wachstum, Struktur des Bruttosozialproduktes und die Notwendigkeit des ökologischen Umbaues

Die ökologischen Folgen des bisherigen Wachstumsprozesses sind dramatisch genug (Waldsterben, Ozonloch, Treibhauseffekt, Zunahme von Allergien usw.), um aus sich selber heraus ein entschiedenes Umsteuern der wirtschaftlichen Entwicklung zu legitimieren. Darum soll es aber hier gar nicht gehen. Das Anliegen dieses Beitrages besteht darin zu zeigen, daß die Vernachlässigung des ökologischen Umbaues auch zu einer weiteren Zuspitzung der sozialen Frage führt bzw. umgekehrt: daß nur der ökologische Umbau die sozialenProbleme lösen kann. Als Beleg für diese These sei als erstes auf das Problem der defensiven Produktion verwiesen. Damit sind diejenigen Produktionsleistungen im Bruttosozialprodukt (BSP) gemeint, die lediglich der Kompensation von Schäden dienen, die an anderer Stelle des Wachstumsprozesses auftreten. Dieser Teil des BSP ist absolut und relativ gewachsen -und zwar nach einer sehr vorsichtigen Schätzung des Wissenschaftszentrums in Berlin von sechs bis sieben Prozent des BSP 1970 auf fast zwölf Prozent 1988

Schaut man sich die Entwicklung der Schäden an, denen die Gesellschaft mit kostenaufwendigen Maßnahmen einfach begegnen muß, so wird deutlich, daß die Zunahme der defensiven Produktion sich massiv weiter fortsetzen wird -selbst wenn nur ein Bruchteil der aufgetretenen Schäden des Wachstumsprozesses auch tatsächlich repariert wird Die Kosten für die gegenwärtig vorherrschende Art und Weise, mit der Umweltproblematik umzugehen -Nachsorge statt Vermeidung -, drohen mehr und mehr außer Kontrolle zu geraten

Darüber hinaus geraten manche Bereiche auch aus ihrer immanenten Logik heraus in eine volkswirtschaftliche Kostenkrise -und „okkupieren“ immer größere Teile des BSP. Ein Beispiel dafür ist der Autoverkehr 19. Der Schein, daß Staat und Bürger die Kosten unseres Verkehrssystems mit dem Vorrang für das Auto noch lange weitertragen können, wird nicht ewig aufrechtzuerhalten sein. 1959 mußte ein durchschnittlicher privater Arbeitnehmerhaushalt für Ortsveränderungen 3, 6 Prozent seines Budgets aufwenden. 1991 war dieser Anteil schon etwa fünfmal so hoch. Wenn der Liter Benzin kosten würde, was er kosten müßte (wenn er sich in den letzten drei Jahrzehnten im Gleichschritt mit dem Preis für Brot verteuert hätte), nämlich etwa 4, -DM, dann wäre das Verhältnis noch viel schlechter.

Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich bei den öffentlichen Haushalten ab. Die Kosten für den sich in der Realisierung befindenden Bundesverkehrswegeplan, der u. a.den Bau von 12000 km neuer Fernstraßen -zwei Drittel davon in der alten Bundesrepublik -vorsieht, sind mit 191 Milliarden DM gewaltig. Die Mittel lassen sich schon jetzt nur durch drastische Einschränkungen in anderen Bereichen aufbringen. Nicht berücksichtigt in den Kalkulationen des Bundesverkehrswegeplans -der bewußt „, auf gezielte Maßnahmen zur Reduktion von Straßen-und Luftverkehr verzichtet “ -ist das Problem, daß mit immer dichter werdendem Straßennetz auch der Erhaltungsaufwand immer größer wird. Nach Berechnungen des DIW ist völlig ungeklärt, wie die Kosten für den Erhaltungsaufwand für die Kommunal-und Landesstraßen in Höhe von 231 Milliarden DM (151 Milliarden im Westen, 80 Milliarden im Osten) bis zum Jahr 2010 gedeckt werden sollen. Und in den Kommunen wird mit Millionenbeträgen der Bau von neuen Straßen mitfinanziert, während gleichzeitig zum Beispiel Schwimmbäder und kulturelle Einrichtungen geschlossen, Kindergartenplätze enorm verteuert werden etc.

Der im Bundesverkehrswegeplan prognostizierte Anstieg der Zahl der deutschen PKWs von derzeit 36, 5 auf 45, 5 Millionen im Jahr 2010 sowie die Zunahme der Verkehrsleistung dabei um etwa 30 Prozent wird also zur Folge haben, daß immer größere Teile des BSP für den Autoverkehr aufgewandt werden müssen. Sie werden jedoch nicht ausreichen, um auf Dauer die immer weiter steigenden Unterhaltskosten des bestehenden Straßennetzes zu finanzieren. In den USA etwa -immerhin einem der reichsten Länder der Erde -können sie kaum noch aufgebracht werden, verfallen Highways und Brücken. „Schlaglochperspektive?“ fragt zu Recht der Kasseler Verkehrswissenschaftler Helmut Holzapfel

Als weiteres Beispiel für die problematische Veränderung der Struktur des BSP sei hier auf das Problem der Müllverbrennung verwiesen. Mit der vor kurzem beschlossenen „Technischen Anleitung Siedlungsabfall" wurde der Zwang zur Hausmüllverbrennung weitgehend festgeschrieben. Das bedeutet, daß in der Bundesrepublik schätzungsweise über 100 neue Müllverbrennungsanlagen gebaut werden müssen -Preis pro Anlage: 500 bis 700 Millionen DM. In einer Zeit also, in der unter dem Stichwort „Solidarpakt“ um die Finanzierung von 100 Milliarden DM zur Unterstützung der neuen Bundesländer gestritten und selbst Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger mit „zur Kasse gebeten“ wurden, sind ohne große Diskussion Beschlüsse gefaßt worden, die faktische Mehrausgaben in Höhe von etwa 70 Milliarden DM für neue Müllverbrennungsanlagen bedeuten. Das ist mehr, als der gesamte jährliche Militäretat der Bundesrepublik umfaßt. Hier sollen im Interesse des Müllgeschäfts, der Verpakkungsindustrie usw. gigantische Ausgaben getätigt werden für eine -wenn man es von der Sache her betrachtet -alles andere als intelligente Lösung des Problems: Es ist eine Illusion zu glauben, daß der Müll nach der Verbrennung beseitigt wäre. Tatsächlich müssen über 40 Prozent der Ausgangsmenge nach der Verbrennung als Schlacke, Asche, Filterstäube etc. noch deponiert werden -Stoffe, die giftiger sind als das Ausgangsmaterial. Der gleiche quantitative Effekt wäre -ohne zusätzliche Kosten für den Bau und Betrieb von Müllverbrennungsanlagen -auf dem Wege einer Vermeidungspolitik zu erreichen (und ohne den zusätzlichen Sog für die Müllproduktion, der von den neuen Kapazitäten der Müllverbrennungsanlagen ausgeht).

Durch die skizzierte Entwicklung der defensiven Produktion verändert sich die Struktur des BSP in höchst problematischer Weise. Es bleibt -lax ausgedrückt -immer weniger übrig für „das normale Leben“ und „den sozialen Topf“. Es besteht die große Gefahr, daß diese Entwicklung völlig aus dem Ruder läuft und wir insgesamt immer ärmer werden Damit verschärft sich aber -vor dem Hintergrund vorhandener sozialer Ungleichheiten -die soziale Frage. Verteilungskämpfe werden massiv zunehmen Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft mit dem Schwerpunkt auf Vorsorge und Vermeidung statt auf der Nachsorge ist also gerade auch aus sozialen Gründen notwendig, weil sich sonst die krisenhafte Entwicklung unserer Gesellschaft rasant verschärft.

IV. Reformvorschlag

Zur Lösung der Probleme der Massenarbeitslosigkeit und des ökologischen Umbaues der Industriegesellschaft brauchen wir wirksame (teilweise neu zu entwickelnde) Instrumente. Im folgenden soll ein schnelles und kostengünstiges Verfahren vorgestellt werden, mit dem in beiden Bereichen simultan spürbare Fortschritte erzielt werden könnten. 1. Ökologische Konversion und Arbeitsplätze Umweltschutz schafft Arbeitsplätze -das ist mittlerweile eine gängige, allgemein akzeptierte Aussage. Dabei gerät normalerweise aus dem Blickfeld, daß dies nur volkswirtschaftlich gilt, insofern als die durch Umweltauflagen etc. verlorengegangenen Arbeitsplätze gegen die größere Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze aufgerechnet werden. Die Betroffenen auf der betrieblichen bzw. kommunalen Ebene profitieren kaum von dieser Logik, da Arbeitsplätze, die verlorengehen in Betrieben, die wegen der Umweltschutzauflag^n nicht mehr konkurrenzfähig sind, in den seltensten Fällen durch neue in der gleichen Region ersetzt werden. Und wenn dies doch geschieht, dann handelt es sich um Arbeitsplätze mit ganz anderen Qualifikationsanforderungen. Einzelbetrieblich besteht also nach wie vor ein massiver Zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie bzw. zwischen Umweltschutz und Arbeitsplätzen, der mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und einer phantasievollen Ansiedlungspolitik gelöst werden muß.

Problematisch an der Aussage „Umweltschutz schafft Arbeitsplätze“ ist auch, daß es sich normalerweise um Arbeitsplätze des „nachsorgenden Umweltschutzes“ handelt Statt mit der wirklichen Ursachenbekämpfung am Anfang eines (umweltvergiftenden) Produktionsprozesses anzusetzen, d. h. die gänzliche Vermeidung von Umweltgiften anzustreben („integrierter Umweltschutz“), werden z. B. durch sogenannte „end-ofthe-pipe Technologien“ einzelne Gifte (keineswegs alle) äußerst kostenaufwendig wieder herausgefiltert. Im Einzelfall ist „Nachsorge“ natürlich sinnvoll -als generelle volkswirtschaftliche Strategie führt sie zu den oben umrissenen Problemen in der Struktur des BSP.

Nach Schätzungen bewegt sich die Zahl der durch Umweltschutz geschaffenen Arbeitsplätze gegenwärtig zwischen 430000 und 600 000 Sie soll bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf über eine Million anwachsen Der in der Öffentlichkeit verbreitete Eindruck, daß sich damit die ökologische Situation wesentlich verbessern würde, ist falsch. Es wächst vor allem der „nachsorgende Umweltschutz“ mit allen aufgezeigten Konsequenzen. Daneben gibt es definitorische oder Zuordnungsprobleme. So werden z. B. die Beschäftigten in Müllverbrennungsanlagen in die Berechnung einbezogen, die m. E. nicht einmal dem „nachsorgenden Umweltschutz“ zugerechnet werden können, während Arbeitsplätze in Produktionsprozessen, die eindeutig der ökologischen Ursachenbekämpfung dienen, nicht auftauchen.

Diese Zusammenhänge muß man sich vergegenwärtigen, wenn über Umweltschutz, ökologische Konversion (Umstellung des Produktionsprogrammes besonders umweltschädlicher Industriezweige) und Arbeitsplätze geredet wird. Um die anfangs geschilderten Probleme der Struktur des BSP in den Griff zu bekommen, haben (neben einer sinnvollen Nachsorge) Maßnahmen der Prävention und Ursachenbekämpfung Vorrang. Dazu werden im folgenden einige Beispiele arbeitsintensiver Produktion angeführt; die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte könnten nach dem weiter unten dargestellten Modell finanziert werden. Dabei handelt es sich allerdings zum Teil um Arbeitsplätze, die nach der derzeitigen definitorischen Abgrenzung dem Umweltschutz nicht zuzurechnen sind.

Ein erstes Beispiel sind die Mehrwegverpackungen. Einweg-sind gegenüber Mehrwegverpackungen „ökonomischer“, weil der Betrieb von Mehrwegsystemen mit (teurer) Handarbeit bei der Produktion'und im Handel verbunden ist. Durch eine Reduzierung der Einweg-zugunsten der Mehrwegverpackungen ließe sich jedoch eine erhebliche Verminderung der Abfallmenge erreichen. Der BUND schätzt das Einsparpotential auf „ 40 bis 50 % der jährlich circa zwölf Millionen Tonnen verbrauchten Einwegpackungen“ Das würde fast der Reduktion der gleichen Abfall-menge auf den Umfang entsprechen, der durch die Hausmüllverbrennung erreicht wird. (Und hier muß dann ja noch nach der „thermischen Verwertung“ die giftigere Endmenge deponiert werden.) Abgesehen von den ökologischen Problemen der Müllverbrennung würde sich volkswirtschaftlich -auch in Anbetracht der gigantischen Investitionsund Betriebskosten der Müllverbrennung -eine intensive Förderung der Handarbeit in Betrieben anbieten, die auf Mehrwegsysteme umstellen -zumal die zusätzliche Handarbeit „sehr billig“ zu finanzieren wäre. Auch eine ökologischere Energiepolitik, wäre mit einer Zunahme von Arbeitsplätzen verbunden -sowohl beim Vermeiden von Energieverlusten als auch bei der Energieproduktion. Bei der Substitution erschöpfbarer durch unerschöpfliche Energie (Sonne, Umweltwärme, Wind und Wasser) ergäben sich „beachtliche Beschäftigungseffekte“ Diesen Prozeß staatlicherseits mit der Finanzierung zusätzlicher Arbeitskräfte zu unterstützen, ist möglich und sinnvoll.

Eine Verschiebung der Prioritäten in der Verkehrspolitik weg von den -ökologisch bedenklichen -verkehrstechnischen Großinvestitionen hin zur kommunalen Verkehrssanierung würde einen bedeutenden Beschäftigungsschub auslösen: „Das rechnerische jährliche Beschäftigungsvolumen der kommunalen Verkehrssanierung beträgt 480000 Arbeitsplätze. Es ist siebenmal höher als das vergleichbare Beschäftigungsvolumen, das eine ähnlich große Summe im Bereich verkehrlicher Groß-investitionen sichern könnte.“ Dieser Prozeß der Umorientierung könnte massiv gefördert werden, indem nach der neuen Methode Personalkosten im öffentlichen Personennahverkehr übernommen würden.

Im Umweltschutz könnte z. B. durch eine bessere personelle Ausstattung der Kontrollinstanzen, die auf die Einhaltung bestehender gesetzlicher Regelungen achten, eine erhebliche Verbesserung der ökologischen Situation erreicht werden.

Die ökonomische und ökologische Misere der Landwirtschaft ist bekannt Der starke Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln führt u. a. zu immer höheren Kosten bei der Trinkwasseraufbereitung. In vielen Haushalten können z. B. die Grenzwerte für Nitrat nicht eingehalten werden. Immer größere Summen sind erforderlich für den Bau und die Unterhaltung von Über-Land-Fernleitungssystemen, weil immer mehr Gebiete der Bundesrepublik für die Eigenversorgung mit Trinkwasser aufgegeben werden müssen. Ein verstärkter Über-gang zum ökologischen Landbau ist also dringend geboten.

Alle Untersuchungen über eine stärker ökologisch orientierte Landwirtschaft kommen zu dem Ergebnis, daß sie einen höheren Arbeitseinsatz erfordert Es wird geschätzt, „daß der ökologische Landbau derzeit pro Hektar Landnutzungsfläche gut 20 Prozent mehr Arbeit benötigt als die konventionelle Landwirtschaft“. Es würde sich auch hier -u. a. wegen der vermiedenen Kosten in anderen Bereichen -die direkte Finanzierung von zusätzlicher Arbeitskraft anbieten.

Dem ökologischen Landbau fehlt es gegenwärtig -

insbesondere in Anbetracht der vielen landwirt‘schaftlichen Betriebe in den neuen Bundesländern, die sich ökologisch umorientiert haben -an geeigneten Abnehmerstrukturen. So muß z. B.

ökologisch sauber produziertes Fleisch nicht selten unter Verlust an die traditionellen Abnehmer verkauft werden (dort kommt es dann in den „großen Topf“ zusammen mit dem „Industriefleisch“). Der Aufbau von Abnehmer-und Handelsstrukturen könnte nachhaltig gefördert werden durch die Finanzierung von Arbeitskräften in diesem Bereich. Überhaupt könnte der Lebensmittelhandel in Innenstädten, Wohngebieten und Dörfern über die Finanzierung zusätzlicher Fachkräfte gefördert werden. Volkswirtschaftlich wäre das -abgesehen z. B. von dem Wohlfahrtsgewinn in Dörfern, die heute vielfach keine Einkaufsmöglichkeiten mehr haben -u. a.deshalb sinnvoll, weil damit ein Teil des Autoverkehrs zu den Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ (und die entsprechenden Kosten für zusätzlichen Straßenbau) vermieden werden könnte.

Wie aber könnten die skizzierten ökologischeren und arbeitsintensiveren Lösungen realisiert werden? 2. Finanzierung und Ausgestaltung Ausgangspunkt des folgenden Vorschlages zur Finanzierung zusätzlich benötigter Arbeitskräfte im „ersten Arbeitsmarkt“ sind die seit einigen Jahren bekannten Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit (BA): Danach sind die Kosten der Arbeitslosigkeit gesamtfiskalisch fast genauso hoch wie die (Personal-) Kosten tariflich bezahlter Arbeit. Das IAB argumentiert dabei nicht etwa mit dem Ausfall an Wertschöpfung für die Gesell-schäft, der vermieden worden wäre, hätten die Arbeitslosen gearbeitet; nicht mit sozialen und gesundheitlichen Folgekosten der Arbeitslosigkeit; nicht mit der Vernichtung von Humankapital durch Verluste an beruflicher Qualifikation usw. -alles Elemente, die in eine vernünftige volkswirtschaftliche Kostenberechnung eigentlich eingehen müßten. Das IAB klammert alle diese Kosten aus, weil sie schwer zu ermitteln sind -geht damit also faktisch von deren Nichtexistenz aus -, und beschränkt sich auf die direkt rechenbaren Kosten, die „dem Staat“ an Mehrausgaben und Mindereinnahmen gegenwärtig durch die registrierte Arbeitslosigkeit entstehen. Das sind im einzelnen: Die Mehrausgaben durch die Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, von Renten-und Krankenversicherungsbeiträgen für Arbeitslose, von Sozialhilfe und Wohngeld sowie die Mindereinnahmen bei Renten-und Krankenversicherung, bei der Bundesanstalt für Arbeit, bei der Einkommensteuer und den indirekten Steuern.

Nimmt man nur die direkt rechenbaren (Personal-) Kosten für die Einrichtung einer tariflich bezahlten Dauerstelle, so fließen bereits 65 Prozent dieser Kosten in Form von induzierten Haushalts-entlastungen in die öffentlichen Kassen zurück. Berücksichtigt man zusätzlich die wirtschaftlichen Kreislaufeffekte -was man korrekterweise tun muß, da u. a. durch die zusätzliche Beschäftigung ein Nachfrageimpuls ausgelöst wird -, so erhöht sich die Selbstfinanzierungsquote (u. a. durch weitere Steuereinnahmen) auf über 90 Prozent. Der hier zur Diskussion gestellte Vorschlag basiert auf diesen Ergebnissen: Er zielt darauf, auf der Grundlage der skizzierten fiskalischen und wirtschaftlichen Kreislaufzusammenhänge ein handfestes wirtschafts-und arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium zur Finanzierung zusätzlich benötigter Arbeitskräfte für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft -Dauerstellen im privaten und öffentlichen „ersten Arbeitsmarkt“ -zu entwickeln

Für eine begrenzte Anzahl von zusätzlichen Dauerarbeitsplätzen müßte als erstes bundesgesetzlich eine Budgetausgleichspolitik, verankert werden. Das heißt, die verschiedenen öffentlichen Haushalte (Bund, BA, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger), die in den Genuß von Gratiseffekten (z. B. höhere Steuereinnahmen) durch diese zusätzlichen Dauerarbeitsplätze kommen, wären verpflichtet, ihre Mehreinnahmen -die sie bei Unterlassen dieser Förderung ohnehin nicht erhalten hätten -und ihre Minderausgaben -die sie bei Unterlassen dieser Förderung auch hätten tätigen müssen -an den Kostenträger dieser Förderung abzuführen.

Bis zur direkt rechenbaren Selbstfinanzierungsquote von 65 Prozent wäre also alles relativ einfach. Die verschiedenen öffentlichen Haushalte -außer dem Kostenträger der Förderung -kämen nur noch in den Genuß geringerer Gratiseffekte, die durch die zusätzliche Multiplikatorwirkung der neu geschaffenen Arbeitsplätze ausgelöst werden.

Wird darüber hinaus eine höhere Selbstfinanzierungsquote durch die Berücksichtigung der zusätzlichen Multiplikatorwirkung angestrebt, so ist ein permanenter Prozeß der Auseinandersetzung über die Höhe der Ausgleichszahlungen zwischen den verschiedenen öffentlichen Haushalten vorprogrammiert. Da die Höhe der induzierten Minder-ausgaben und Mehreinnahmen auf Schätzungen z. B.des Ausmaßes der Multiplikatorprozesse beruht, von denen dann die exakte Höhe der Ausgleichszahlungen abhängt, wird über die Höhe des Multiplikators natürlich interessenbedingt gestritten werden. Diese Verhandlungen zwischen den einzelnen öffentlichen Haushalten werden vermutlich dazu führen, daß die Gratiseffekte nicht zur Gänze der Selbstfinanzierung zugute kommen, sich also eine tatsächliche Selbstfinanzierungsquote von weniger als 90 Prozent ergibt.

Zwei weitere Effekte vermindern die Selbstfinanzierungsquote. Erstens: Zwar ist die unqualifizierte Handarbeit, die man z. B. bei der Einführung von Mehrwegverpackungssystemen zusätzlich bräuchte, relativ billig. Im präventiven Umweltschutz etwa ist das Qualifikationsniveau aber relativ hoch -und damit auch die zu finanzierenden Lohnkosten. Je höher jedoch die durchschnittlichen Lohnkosten für die zusätzlichen Dauerstellen sind, desto geringer ist die Selbstfinanzierungsquote (sie sinkt aber nicht im gleichen Maße, da von höheren Einkommensbeziehern z. B. ja auch mehr Steuern bezahlt werden, mehr konsumiert wird etc.). Zweitens sollen die geförderten zusätzlichen Arbeitsplätze beim ökologischen Umbau keineswegs ausschließlich mit bisher Arbeitslosen besetzt werden. Die arbeitsintensiveren ökologischeren Lösungen ersetzen keine Zielgruppenstrategie Zur Unterstützung der durch verschiedene Mechanismen des Arbeitslosigkeitsprozesses bereits Geschädigten. Dafür sind weiterhin spezielle Programme notwendig und sinnvoll. Ziel des hier vertretenen Vorschlages ist es -neben dem ökologischen Umbau -, insgesamt mehr Normalarbeitsplätze im „ersten Arbeitsmarkt“ zu schaffen. Die Verminderung der Arbeitslosigkeit ergibt sich dabei durch das „Nachrücken“ der Arbeitslosen in die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche, aus denen die bisher Beschäftigten in die „Konversionsarbeitsplätze“ überwechseln. Hier ist ein „sich selbst regulierender Prozeß“ sinnvoller, als direkt bis ins Detail zu steuern. Gesteuert werden müssen nur die Dimension und die Schwerpunkte dieses zusätzlichen Angebotes an tariflich bezahlter Erwerbstätigkeit in den Sektoren der ökologischen Konversion.

Durch den Prozeß des „Nachrückens“ kommt es vermutlich zu einem gewissen Schwund, da aus Rationalisierungsgründen nicht alle freiwerdenden Stellen wiederbesetzt werden. Dieser Schwund ist zwar volkswirtschaftlich nicht negativ zu beurteilen, da er die Effektivität der Wirtschaft erhöht, aber er führt zu einer geringeren Selbstfinanzierungsquote, da die Arbeitslosigkeit in etwas geringerem Ausmaß zurückgeht, als neue Dauersteilen geschaffen werden. Trotzdem würde sich nach meinen Schätzungen insgesamt noch eine beachtliche Selbstfinanzierungsquote in Höhe von 70 bis 75 Prozent ergeben. Für die übrigbleibende zu finanzierende „Spitze“ ist Verschiedenes denkbar: -die Eigenfinanzierung der von dieser Förderung profitierenden Bereiche, wodurch jedoch der Anreiz vermindert würde, mit dem neuen Instrument die „ökologischeren Lösungen“ anzustreben; -die Finanzierung über eine Arbeitsmarkt-und Umbauabgabe durch alle Erwerbstätigen, da letztlich auch alle ökologisch davon profitieren würden;

-die Hinzuziehung von EG-Mitteln, die den Gebietskörperschaften für arbeitsmarktpolitische Zwecke zufließen, was allerdings juristisch zu prüfen wäre;

-diverse Finanzierungsarten, die für traditionelle Beschäftigungsprogramme genannt werden;

darunter fallen bspw. Zusatzeinnahmen durch bessere personelle Ausstattung der Finanzämter (geschätzte zusätzliche Einnahmen: 50 Milliarden DM) Abschaffung des Ehegatten-Splittings, zusätzliche Steuern auf Gewinne, die auf dem internationalen Kapitalmarkt „geparkt“ und nicht investiv verwendet werden etc.

Es stellt sich nun die Frage, wer nach welchen Kriterien die Beschäftigungsmittel zum ökologischen Umbau vergeben soll. Im Interesse eines schnellen „Greifens“ des neuen Instrumentes böte es sich an, der Bundesanstalt für Arbeit bzw. -vor Ort -den ABM-Ausschüssen der Arbeitsämter die neuen Aufgaben zu übertragen. Da in diesen Institutionen einerseits die notwendige fachliche Kompetenz zur Lösung der Problematik der ökologischen Konversion nicht gegeben ist und andererseits auch der politische Wille fehlen dürfte, die Arbeitslosigkeit durch Eingriffe in den „ersten Arbeitsmarkt“ zu bekämpfen, erscheint es nicht angezeigt, die BA zum Träger dieses neuen Instrumentes zu machen. Sinnvoller wäre es, einen Neuanfang bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu suchen und eine neue Institution zu schaffen. Dies erscheint auch deshalb angebracht, weil mit dem neuen Instrument zur Finanzierung von Personalkosten nicht nur die ökologischeren Lösungen der unterschiedlichsten Probleme im privaten und öffentlichen Sektor vorangetrieben werden könnten, sondern auf diesem Wege auch die Förderung der dringend anstehenden (teilweise eben auch arbeitsintensiveren) Konversion im großen Bereich der Human-Dienste möglich wäre. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfolgreich arbeitender (ABM-) Projekte etwa im Sozial-, Bildungs-und Kulturbereich könnte damit eine Dauerperspektive geboten werden.

Das neue Instrument wäre auch dazu geeignet, in den verschiedenen Bereichen der personenbezogenen Dienstleistungen im privaten und öffentlichen Sektor einen institutioneilen Gegeneffekt zu schaffen. Durch entsprechende Unterstützung könnte so verhindert werden, daß immer mehr personenbezogene Dienstleistungen abgeschafft, verschlechtert oder durch Automaten ersetzt werden.

Ordnungspolitische und ideologisch-marktwirtschaftliche Bedenken gegen diesen Eingriff in den „ersten Arbeitsmarkt“ sollten in Anbetracht der gigantischen Dimensionen der oben angesprochenen Probleme in den Bereichen Arbeitslosigkeit und Ökologie hintangestellt werden. In Anbetracht der Gefahr, in der sich unsere Gesellschaft befindet, erscheint der Versuch, ganz neue Wege zu beschreiten, gerechtfertigt. Wir brauchen dringend wenigstens einen Hauch von gestalterischer Aufbruchstimmung -als Voraussetzung für die schrittweise Realisierung einer ökologischeren, sozialeren und vollbeschäftigten Industriegesellschaft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das gesamtdeutsche Beschäftigungsdefizit 1993 setzte sich zusammen aus: 3, 5 Millionen registrierten Arbeitslosen, knapp 2 Millionen Personen in der stillen Reserve, gut 1, 2 Millionen Personen Entlastung der Arbeitslosenzahl durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen [ABM], Fortbildung und Umschulung [FuU], Kurzarbeit) und 750000 Empfängern von Vorruhestands-und Altersübergangsgeld. 1994 wird die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit noch weiter ansteigen.

  2. Auf Grund hoher und steigender Arbeitsproduktivität ist seit den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik eine starke Schrumpfung des volkswirtschaftlich verausgabten Arbeitsvolumens festzustellen. Der langfristige Trend zur Verminderung der Arbeitsmenge ist auf den arbeitssparenden technischen Fortschritt zurückzuführen und wird als robust und wenig „wachstumselastisch“ eingeschätzt. Auch der internationale Vergleich zeigt, daß die Gleichsetzung von Wirtschaftswachstum mit positiver Beschäftigungsentwicklung kaum eine empirische Basis hat. (Vgl. Burkhard Strümpei/Florian Schramm, Arbeitslosigkeit und Arbeitsverteilung in der Bundesrepublik Deutschland -Betroffenheit, Konflikt, Reformpotential. Gutachten für das Bundeskanzleramt, Berlin 1989; Egon Matzner/Ronald Schettkat/Michael Wagner, Beschäftigungsrisiko Innovation? Berlin 1988; Frederike Maier/R. Schettkat, Potentiale aktiver Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik, Wissenschaftszentrum Berlin, Discussion Paper FS I 88-17.) Dem wird häufig die gestiegene Zahl der Erwerbstätigen seit 1983 entgegengehalten. Teilweise ist diese auf die gewerkschaftlich erkämpften Arbeitszeitverkürzungen zurückzuführen. Zu einem größeren Teil jedoch verbergen sich hinter dieser -öffentlich immer als Erfolg verkauften -Entwicklung Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die durch die lang andauernde Massenarbeitslosigkeit hervorgerufen wurden: Prekäre Arbeitsverhältnisse wie z. B. gering entlohnte Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit, Gelegenheitsjobs etc. nehmen immens zu und zählen ja als Beschäftigung. Das, was als Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ausgegeben wird, sind faktisch zum Teil deren problematische Folgewirkungen. Diese schlagen sich auch in einem etwas höheren volkswirtschaftlich verausgabten Arbeitsvolumen nieder. Das ist der Grund, weshalb der Rückgang des Arbeitsvolumens seit Beginn der Massenarbeitslosigkeit nicht mehr ganz so ausgeprägt ist. Der langfristige Trend wird zum Teil aufgehoben. Das ist aber kein Indikator für volkswirtschaftliche Leistungsstärke. (Vgl. Axel Bust-Bartels, Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch soziale Innovation? Alternativen zur aktiven Arbeitsmarktpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/1987; ders., Ökonomische Entwicklung und Kultur, Hagen 1993).

  3. Jürgen Kühl, Mit Phantasie und eigenen Tarifverträgen ein Netzwerk schaffen. Beschäftigungskreativität zwischen Staat und Wirtschaft, in: Arbeit und Beruf, (1993) 8, dokumentiert in: Frankfurter Rundschau vom 27. September 1993.

  4. Vgl. Gerhard Bosch, „Der jetzige Kurs kann politisch nicht durchgehalten werden“. Plädoyer für eine zukunftsorientierte Reformdebatte in der Arbeitsmarktpolitik und einen „Solidarpakt II“, in: Frankfurter Rundschau vom 13. September 1993, S. 13.

  5. Vgl. Christa Müller, Der öko-sozial-kulturelle Dienst als Alternative zum Ersten Arbeitsmarkt, in: Arbeitskreis alternative Arbeitsmarktpolitik (Hrsg.), Grenzen von Beschäftigungsmaßnahmen. Auf der Suche nach neuen Wegen; Völklingen 1993.

  6. Niedersachsen versucht mit dem Konzept der „sozialen Betriebe“ die sich abzeichnende Entwicklung „progressiv“

  7. Erst recht sind natürlich die traditionellen Vorstellungen eines Zwangs zu „Gemeinschaftsarbeiten“ ohne Arbeitsvertrag und ohne Sozialversicherung gegen eine Aufwands-entschädigung von 1 bis 3 DM pro Stunde abzulehnen. Derartiges ist jetzt schon nach dem Bundessozialhilfegesetz möglich und wird in regelmäßigen Abständen von konservativen oder liberalen Politikern als die Lösung der Massenarbeitslosigkeit propagiert. Z. B. will Arbeitsminister Blüm Arbeitslose bei der Ernte einsetzen, in: Frankfurter Rundschau vom 16. /17. November 1993.

  8. Burkhard Strümpel/Florian Schramm, Arbeitslosigkeit und Arbeitsumverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, Gutachten für das Bundeskanzleramt, Berlin 1989, S. 50.

  9. Ebd.

  10. Vgl. zusammenfassend u. a. Michael Dartanzos/Richard K. Lester/Robert M. Solow und die „MIT-Commission on Industrial Productivity“, Die Krise der USA. Potential für neue Produktivität „Made in America“, Frankfurt am Main 1990. Viele Indikatoren weisen darauf hin, daß ähnliches für die Bundesrepublik gilt.

  11. Auch wenn es empirisch schwer faßbar ist -es gibt so etwas wie eine vorherrschende gesellschaftliche Stimmung, die das Verhalten aller Mitglieder der Gesellschaft beeinflußt. Zum Beispiel wird in einer gesellschaftlichen Krisensituation mehr gespart -gerade von Personen, die sich objektiv gar nicht bedroht fühlen müssen. Darüber hinaus gibt es -in den USA mehr als bei uns -in Krisenzeiten auch eine objektive Bedrohung für Personen in leitender Stellung.

  12. Vgl. Fritz W. Scharpf, War die Massenarbeitslosigkeit unabwendbar?, in: Hans E. Maier/Thomas Schmid (Hrsg.), Der goldene Topf. Vorschläge zur Auflockerung des Arbeitsmarktes, Berlin 1986, S. 19.

  13. Das wird auch an der im nächsten Kapitel aufgezeigten Problematik deutlich.

  14. Baldo Blinkert, Kriminalität als Modernisierungsrisiko? Das „Hermes-Syndrom“ der entwickelten Industriegesellschaften, in: Soziale Welt, (1988) 4.

  15. Vgl. Christian Leipert, Die heimlichen Kosten des Fortschritts, Frankfurt am Main 1989. Darüber hinaus werden die gesamten ökologischen und sozialen Kosten der Umweltbelastung (unter Einbeziehen etwa der nicht-reparierten Kosten des Waldsterbens) für 1989 auf 21 Prozent des BSP geschätzt (vgl. Umwelt-und Prognose-Institut [UPI] Heidelberg, Ökologische und soziale Kosten der Umweltbelastung in der Bundesrepublik Deutschland, UPI-Berichte Nr. 20, Heidelberg 1993).

  16. Die defensive Produktion ist nur ein Spätindikator für die Schadensentwicklung, da viele produktionsbedingte Verluste an Natur und Lebensqualität unrepariert und unkompensiert bleiben. Nach Schätzung des Autors haben wir schon lange den Punkt des „Leerlaufes der Zivilisationsmaschine“ erreicht, ab dem die totalen ökologischen und sozialen Folgekosten des Wachstums höher hegen als der Wohlfahrtsgewinn durch eben dieses Wachstum.

  17. Im Altlastenbereich -um nur ein Beispiel zu nennen -stehen für die Sanierung der 5 000 bis 6 000 am stärksten verseuchten Deponieflächen gigantische Kosten an. Etwa soll allein die Sanierung der Giftmülldeponie Münchehagen in Niedersachsen mindestens 2 Mrd. DM (= 2000 Millionen) kosten. Vgl. Christian Leipert, Wie teuer ist der Fortschritt?, in: Hans Glauber/Reinhard Pfrierm (Hrsg.), Ökologisch wirtschaften, Frankfurt am Main 1992, S. 44.

  18. Joachim Wille, Ökologische Wende in der Verkehrspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 5/93, S. 14.

  19. Der Bundesverkehrswegeplan impliziert gravierende Folgekosten bei den Kommunen, weil er natürlich Auswirkungen auf die Verkehrsentwicklung in den Städten hat. Vgl. Helmut Holzapfel, Bundesverkehrswegeplan belastet Städte, Ballungsräume und Umland, in: Der Städtetag, 45 (1992) 7, S. 497 ff.

  20. Auch von der anstehenden Bahnreform ist kein ändernder Einfluß auf diese kurz umrissene Entwicklung zu erwarten. Die Großbanken, insbesondere die Deutsche Bank und die mit ihnen verbundene Großindustrie, haben das Drehbuch für die geplante Gründung der „Deutsche Bahn AG“ und die Ausgliederung des defizitären Nahverkehrs geschrieben. Spätestens im Zuge der Privatisierung erlangen sie die volle Kontrolle über die Bahn. Und sie haben den Bundesverkehrswegeplan mit seiner Schwerpunktsetzung auf den Straßenbau ausdrücklich begrüßt -u. a. weil sie selber in den (privatisierten) Straßenbau einsteigen wollen. Vgl. Henrick Paulitz, Drahtzieher der Bahnreform, in: Die Tageszeitung vom 27. November 1993, S. 7.

  21. Vgl. Helmut Holzapfel, Richtung Schlagloch, in: Die Zeit vom 20. November 1992.

  22. Die allgemeine Belastung mit Umweltgiften wird mit den Müllverbrennungsanlagen noch einmal immens steigen. Es gibt bisher -und das ist Stand der Wissenschaft -keine Müllverbrennung, ohne daß Dioxine, Furane und andere hochgiftige Substanzen entstehen und an die Umgebung abgegeben werden. Man muß sich vergegenwärtigen, daß „die Konzentration der Dioxine in der Muttermilch heute um den Faktor 500 über dem Grenzwert liegt, der 1980 vom Bundes-gesundheitsamt festgelegt wurde ... Das Verteilungsmuster dieser Dioxine entspricht genau dem der Emissionen von Müllverbrennungsanlagen“. Vgl. Peter-Ulrich Wendt, Die Neuordnung der Abfallentsorgung, in: Martin Gorholt/Ralf Ludwig (Hrsg.), Rettungsversuche. Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, Marburg 1990, S. 166.

  23. Dieser Trend hat zunächst einmal nichts mit den Kosten der Vereinigung mit der Ex-DDR zu tun.

  24. Auch die Mittelschichten werden erhebliche Einkommenseinbußen zur Finanzierung dieses katastrophalen Zukunftsmodells hinnehmen müssen. Statt sich verstärkt für den ökologischen Umbau einzusetzen, damit das ganze System nicht derart aus dem Ruder läuft, beginnen SPD und einige Grüne unter dem Motto: „Den Sparprozeß solidarisch organisieren“ gegenwärtig mitzuhelfen, die Einkommenseinbußen der Mittelschichten politisch durchzusetzen. Sie erliegen dabei der Illusion, daß der Beitrag der Mittelschichten wirklich den unteren sozialen Schichten zugute kommt und nicht dazu verwandt wird, die gegenwärtige höchst problematische ökonomische Entwicklung mit ihren absolut und relativ dauernd weiter steigenden, auch immanent langfristig nicht mehr tragbaren Kosten noch eine Weile länger durchzuhalten.

  25. Manche Autoren zählen sogar die durch den Umweltschutz neu geschaffenen Arbeitsplätze bei der Asbestverarbeitung dazu. Vgl. Johann Welsch, Umweltschutz und regionale Beschäftigungspolitik, in: WSI-Mitteilungen, (1985) 12, S. 720.

  26. Vgl. Sylke Nissen, Umweltpolitik in der Beschäftigungsfalle, Marburg 1993, S. 16ff.

  27. Vgl. die Prognose einer Studie des Umweltbundesamtes, die von mehreren angesehenen Wissenschaftsinstituten erarbeitet wurde (Der Spiegel vom 10. 1. 1994, S. 55).

  28. Olaf Brandt, Wie man dem Grünen Punkt die rote Karte zeigt: Verpackungen ohne Ex und hopp, in: Frankfurter Rundschau vom 31. August 1993, S. 6.

  29. Vgl. Wolfgang Klauder, Zu den Arbeitsmarktauswirkungen unterschiedlicher Energiestrukturen, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, (1980) 1, S. 8f.

  30. Heiner Monheim, Künftige Aufgabenfelder der Verkehrssanierung und ihr Investitionsbedarf, in: Informationen zur Raumentwicklung, (1986) 8, S. 41.

  31. Vgl. u. a. Hugo Gödde, Zwischen Mistkratzeridylle und Embryotransfer -oder: Was wird aus der Landwirtschaft?, in: Frank Beckenbach u. a. (Hrsg.), Grüne Wirtschaftspolitik, Köln 1985.

  32. Vgl. u. a. Rolf Lösch/Rüdiger Meinberg, Der alternative Landbau in der Bundesrepublik Deutschland -Abgrenzung, Produktion, Vermarktung, München 1986.

  33. Arnim Beckmann, Landbau -Wende. Gesunde Landwirtschaft -gesunde Ernährung, Frankfurt am Main 1987, S. 167.

  34. Diesen Vorschlag zur Reform der Finanzierung zusätzlicher tariflich bezahlter Dauerbeschäftigung im „ersten Arbeitsmarkt“ habe ich bereits vor sieben Jahren gemacht, um damit u. a. die Human-Dienste auszuweiten: Vgl. Axel Bust-Bartels, Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch soziale Innovation? Alternativen zur Arbeitsmarktpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/87, S. 3 ff. Er wurde damals ignoriert oder -wenn zur Kenntnis genommen -für utopisch erklärt, aus juristischen Gründen als nicht machbar hingestellt etc. Derzeit wird eben dieser Vorschlag von anderer Seite zur Diskussion gestellt, wobei es darum geht, den angestrebten minderwertigeren „zweiten Arbeitsmarkt“ auf Dauer billig zu finanzieren. Initiatorin ist die Berliner Senatorin für Arbeit und Frauen, Christine Bergmann. Vgl. Initiative für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, in: Arbeit und Beruf, (1993) 11, S. 323ff. Nun sind anscheinend alle Einwände vom Tisch, daß eine derartige Budgetausgleichspolitik prinzipiell nicht machbar ist. Die Frage bleibt jedoch -und das war der unausgesprochene ordnungspolitische Hintergrund aller Einwände -, ob man die sich bietende „billige“ Finanzierungsmöglichkeit für zusätzliche tariflich bezahlte Dauerbeschäftigung nutzt, um im „ersten Arbeitsmarkt“ etwas Vernünftiges zu bewirken, statt damit einen minderwertigeren „zweiten Arbeitsmarkt“ billig zu organisieren. Die ordnungspolitischen Barrieren, in den „ersten Arbeitsmarkt“ direkt einzugreifen -und sei es noch so vernünftig -, scheinen sehr hoch zu sein.

  35. Der Multiplikator gibt an, um das Wievielfache des Konsums der Einkommen, die auf den neu geschaffenen (Konversions-) Arbeitsplätzen erzielt werden, das Gesamteinkommen in der Volkswirtschaft steigt. Einkommen, die an anderer Stelle des wirtschaftlichen Kreislaufes durch den Nachfrageimpuls der neu geschaffenen (Konversions-) Arbeitsplätze entstehen, werden ja auch besteuert, d. h. es fallen Mittel an, die die entsprechenden öffentlichen Haushalte gratis, d. h. ohne Gegenleistung erhalten.

  36. Vgl. u. a. Otto Kreye, Für eine demokratisch regulierte Marktwirtschaft, in: Frankfurter Rundschau vom 13. September 1993, S. 4.

  37. Gesundheitspolitik ist. gegenwärtig zur reinen Kostenpolitik verkommen. Bei den sozialen Diensten und der Pflege bedarf es dringend neuer Wege außerhalb von „Vermarktung“, „Ehrenamt“ und „Pflegefabrik“ und vieles mehr.

  38. Wie gegenwärtig z. B. bei der „gelben“ Post.

Weitere Inhalte

Axel Bust-Bartels, Dr. rer. pol., geb. 1947; Diplomvolkswirt; seit 1979 mit wechselnden Verträgen wissenschaftlicher Angestellter und Lehrbeauftragter am sozialwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Göttingen. Veröffentlichungen u. a.: Skandal Massenarbeitslosigkeit. Zwischen passivem Staat und alternativer Arbeitsmarktpolitik, Opladen 1990; Ökonomische Entwicklung und Kultur, Hagen 1993.