Die europäische Agrarpolitik Eine Reform ohne Ende?
Ulrich Koester
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Zusammenfassung
Die europäische Agrarpolitik widerspricht weitgehend den Grundsätzen rationaler Politikgestaltung. Hier zeigt sich noch deutlicher als in anderen Politikbereichen, daß ökonomische Erwägungen zugunsten von Gruppeninteressen zurücktreten. Die Entwicklung der europäischen Agrarpolitik kann daher nicht mit ökonomischen Kategorien, sondern nur mit einem politikökonomischen Ansatz erklärt werden. Die Dominanz von Gruppeninteressen bei der Entwicklung der europäischen Agrarpolitik ist vor allem durch die institutioneilen Rahmenbedingungen bei der Konzeption der Gemeinsamen Agrarpolitik möglich geworden. Das bis in die achtziger Jahre angewandte Prinzip der Einstimmigkeit bei Verhandlungen im Agrarministerrat hat eine Einigung entsprechend ökonomischen Grundsätzen erschwert oder unmöglich gemacht. Die Entwicklung der Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft wie der Europäischen Union zeigt eher eine Zunahme der Regelungsintensitäten als eine Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Grundsätze.
I. Einleitung
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) wurde bereits 1957 im Vertrag von Rom in der Verfassung der Europäischen Gemeinschaft vorgesehen. Über ihre Ausgestaltung gab es bei den sechs Gründern der Gemeinschaft allerdings erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Da in allen Ländern eine spezielle Ausprägung der einheimischen Agrarpolitik bestand, konnte man sich nicht einfach auf einen Abbau von Handelsschranken im innergemeinschaftlichen Handel, wie bei Produkten der gewerblichen Wirtschaft, beschränken. Eine Angleichung der Agrarpolitik der einzelnen Länder war also notwendig. Es dauerte fünf Jahre, bis nach Unterzeichnung des EWG-Vertrags im Jahr 1962 eine Einigung über die Grundprinzipien der gemeinsamen Marktordnungen erzielt wurde. Die heutigen Probleme der EU-Agrarpolitik und die bisher wenig erfolgreichen Reformversuche haben ihre Ursache vornehmlich in den Grundsatzentscheidungen der Gründungszeit.
Die Forderung nach Änderungen der EU-Agrarpolitik ist annähernd so alt wie die Gemeinsame Agrarpolitik. Die ersten Marktordnungen mit gemeinsamen Agrarpreisen traten für das Wirtschaftsjahr 1967/68 in Kraft; bereits 1970 wurde eine Studie veröffentlicht, die eine grundlegende Änderung der GAP forderte Die GAP wurde immer wieder, insbesondere von Ökonomen, heftig kritisiert. Zwar hat sich die Ausgestaltung der Politik im Zeitablauf erheblich verändert, doch kaum in Richtung der von den Ökonomen aufgestellten Forderungen. Die Entwicklung der GAP kann daher mit einem rein ökonomischen Erklärungsansatz nicht nachvollzogen werden. Es bietet sich dafür vielmehr das Instrumentarium der neuen politischen Ökonomie an.
Die neue politische Ökonomie (ökonomische Theorie der Politik genannt) versucht, mit dem Instrumentarium der ökonomischen Theorie poli tische Entscheidungen zu erklären. Die Akteure im politischen Prozeß sind vergleichbar mit den Spielern in einem Spiel. Wie sich diese Akteure verhalten, hängt zum einen von ihren speziellen Zielsetzungen ab, zum anderen aber auch von den Spielregeln, d. h. von der Kompetenzzuweisung und den festgelegten Regeln. Während die traditionelle Wirtschaftspolitik davon ausgeht, daß politische Entscheidungsträger durch speziellen Mitteleinsatz versuchen, die Wohlfahrt der Gesellschaft zu erhöhen, geht die politische Ökonomie von der Hypothese aus, daß politische Entscheidungsträger (Akteure) grundsätzlich ihren eigenen persönlichen Nutzen maximieren wollen. Das Ergebnis der politischen Entscheidungsprozesse führt daher nicht stets zu einer Wohlfahrtssteigerung für die Gesellschaft insgesamt. Von besonderer Bedeutung ist dabei, welche Kompetenzen den einzelnen Akteuren zugewiesen werden, nach welchen Regeln sie sich zu verhalten haben und wie sie kontrolliert werden.
Die Entwicklung der GAP und die gegenwärtige Situation kann somit weitgehend durch die Grundsatzentscheidungen, die vor Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik getroffen wurden, erklärt werden. Aus diesem Grund wird daher im folgenden auf die Analyse der Grundkonzeption der Agrarpolitik in den sechziger Jahren besonderer Wert gelegt. Die Realität zeigt, daß die grundlegenden Weichen für die Agrarpolitik in den einzelnen Ländern in der Regel in bestimmten Zeiten -häufig in Krisenzeiten -gestellt werden und daß es in den folgenden Jahren, selbst bei einer grundlegenden Änderung der ökonomischen Rahmenbedingungen, nur relativ kleine Modifizierungen von Periode zu Periode gibt.
Abbildung 1 gibt einen Überblick über die politischen Akteure auf EU-Ebene sowie die Bestimmungsfaktoren der Entscheidungen. Diese Abbildung dient der Strukturierung des folgenden Beitrags. Zunächst wird die Grundkonzeption der Gemeinsamen Agrarpolitik in den sechziger Jahren dargestellt und aufgezeigt, welche Elemente zu den Problemen der GAP beigetragen haben. Anschließend wird ein kurzer Abriß der GAP bis zum Jahr 1992 gegeben. Die grundlegenden Weichen-stellungen nach 1992 werden im anschließendenKapitel dargestellt. Im vierten Abschnitt wird auf die Agrarreform von 1993/94 eingegangen, und schließlich wird im fünften Kapitel aufgezeigt, daß die gegenwärtige Agrarpolitik als Folge der Vereinbarungen der GATT(Uruguay) -Runde vor weiteren Anpassungszwängen steht. Der Beitrag wird mit einem Ausblick auf langfristige Perspektiven abgeschlossen.
II. Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik -Eine Geburt mit starken Wehen und Fehlern
Abbildung 2
— Quelle: U. Koester/M. D. Bale, The Common Agricultural Policy of the European Community -A Blessing or a Curse for Developing Countries? World Bank Staff Working Paper No. 630, The World Bank, Washington (D. C.) 1984. Tabelle 1: Selbstversorgungsgrad der EG bei Agrarprodukten, in Prozent
— Quelle: U. Koester/M. D. Bale, The Common Agricultural Policy of the European Community -A Blessing or a Curse for Developing Countries? World Bank Staff Working Paper No. 630, The World Bank, Washington (D. C.) 1984. Tabelle 1: Selbstversorgungsgrad der EG bei Agrarprodukten, in Prozent
Die spezielle Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik war ein Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen der sechs Gründer-staaten. Da zu Beginn hierüber einstimmig beschlossen wurde, kann auch angenommen werden, daß die einzelnen Mitgliedsländer diese Agrarpolitik als akzeptabel angesehen haben. Es ist aber zu bezweifeln, ob den Mitgliedstaaten die einzelnen Elemente des Kompromißpaketes in ihrer Tragweite für die Entwicklung der EG-Agrarpolitik vollkommen klar waren. Im folgenden soll daher kurz auf die wichtigsten Elemente dieses Kompromißpaketes, die zu den späteren Schwierigkeiten geführt haben, eingegangen werden.
1. Aufgabenverteilung in der Agrarpolitik zwischen Europäischer Gemeinschaft und nationalen Mitgliedsländern Ausgehend von der Vorstellung, daß eine GAP auch gleiche Preise in allen Mitgliedsländern erfordert, wurden die Kompetenzen für die Markt-und Preispolitik auf die EG-Ebene übertragen. In nationaler Zuständigkeit verblieb dagegen lediglich die Durchführung der Agrarstruktur-und -Sozialpolitik im Rahmen supranationaler Vorgaben. Da vor Einführung der GAP die Markt-und Preispolitik in den einzelnen Mitgliedsländern das Ziel verfolgte, den Landwirten ein „angemessenes Einkommen“ zu garantieren, versuchten die Mitgliedsländer nach der Supranationalisierung der Markt-und Preispolitik, auch auf EG-Ebene das nationale Einkommensziel zu verwirklichen. Es war offensichtlich, daß die nationale Interessendivergenz bei der Verwirklichung dieser Zielsetzung relativ groß war. Diese orientiert sich in einem gegebenen Mitgliedsland weniger an dem Einkommen der Landwirte in anderen Mitgliedsländern als an dem Einkommen anderer Sektoren im gleichen Mitgliedsland. Es war daher nicht verwunderlich, daß auf EG-Ebene unterschiedliche nationale Forderungen bezüglich der Preisfestsetzung für Agrarprodukte angemeldet wurden.
Für die weitere Entwicklung der GAP war von besonderer Bedeutung, daß sie so konzipiert war, daß alljährlich über das Preisniveau und damit über den Außenhandelsschutz entschieden werden konnte. Im Gegensatz zum gewerblichen Sektor, wo ein Außenschutz im Handel mit Drittländern in Form von Wertzöllen festgeschrieben wurde, war es auf EG-Ebene möglich, für Agrarprodukte jährlich über die Höhe der Zölle und somit über Einfuhrpreise zu entscheiden. Die Agrarpreise waren daher von Beginn der GAP an politische Preise. Es sollte daher nicht verwundern, daß die gesetzten Preise nicht Ausdruck der ökonomischen Knappheiten in der Volkswirtschaft waren und sie daher auch nicht zu einer effizienten Agrarproduktion in der EG beitragen konnten. In der Europäischen Union (EU) wird dies nicht anders sein. 2. Festlegung der EU-Agrarpreise durch EU-Gesetze Die EU-Agrarpreise werden jeweils durch EU-Verordnungen festgelegt. Diese Verordnungen sind Gesetze, die nationales Recht brechen. Für die Entwicklung der EU-Agrarpolitik war von besonderer Bedeutung, daß die EU-Gesetze vom Ministerrat beschlossen werden und das Vorschlagsrecht bei der EU-Kommission liegt. Der Ministerrat setzt sich -je nach den zu beratenden und zu entscheidenden Politikbereichen -aus den Fachministern der Mitgliedsländer zusammen. Die Agrarminister sind zwar als Mitglied der nationalen Regierungen verpflichtet, zum Wohl der Gesellschaft insgesamt tätig zu werden; die Erfahrung zeigt allerdings, daß sie sich in der Regel sehr viel mehr den Interessen der Landwirte verpflichtet fühlen als den Gesamtinteressen. So hat z. B.der deutsche Agrarminister die von der EG-Kommission vorgeschlagene Getreidepreissenkung um 1, 8 Prozent im Jahr 1985 als für Deutschland nicht akzeptabel bezeichnet. Dies deutet darauf hin, daß der Agrarministerrat offensichtlich lediglich die Interessen der Landwirte im Auge hat und nicht auch die Gesamtinteressen. Da Verbraucher durchaus an niedrigen Preisen interessiert sind und der Steuerzahler entlastet worden wäre, wäre eine Preissenkung aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wohlstandserhöhend gewesen
Zu beachten ist ferner, daß der Ministerrat die Befugnis besitzt, über Gesetze zu beschließen (Legislative auf EU-Ebene). Er hat damit eine Aufgabe wie demokratisch gewählte Parlamente in Mitgliedsländern, besteht selbst aber nicht aus demokratisch gewählten Mitgliedern. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Entscheidungen des Ministerrates verstärkt auf die Verwirklichung landwirtschaftlicher Interessen gerichtet waren und weniger gesamtwirtschaftlichen Zielen entsprachen. 3. Bedeutung des Abstimmungsverfahrens Für das Ergebnis der Entscheidungen des Agrarministerrates ist der Abstimmungsmodus von großer Bedeutung. Zwar sah der EWG-Vertrag in Artikel 148 vor, daß der Rat grundsätzlich mit der Mehrheit seiner Mitglieder zu beschließen hat, doch einigte man sich im Januar 1966 auf den soge-nannten „Luxemburger Kompromiß“. Dieser sah vor, daß immer dann Einstimmigkeit gefordert werden konnte, wenn ein Land behauptete, vitale nationale Interessen seien gefährdet. Bis 1982 wurden daher Beschlüsse lediglich aufgrund einer Einstimmigkeit gefällt. Erst 1982/83 wurde erstmalig eine Preisrunde nach der Mehrheitsregel beendet.
Dieses Abstimmungsverfahren hat dazu beigetragen, daß man sich stets nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnte. Bezüglich der Preisforderungen beinhaltet dies, daß sich einzelne Länder, wie insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, mit den Forderungen nach höheren Preisen im Agrarministerrat leichter durchsetzen konnten. Die Einstimmigkeitsregel konnte sogar dazu führen, daß sich nicht nur einzelne Mitglieds-länder, sondern sogar auch Bundesländer mit ihren Vorstellungen durchsetzen konnten. Der jeweilige Agrarminister mußte seine Position nur genügend stark vertreten. Eine Überstimmung brauchte er bis 1982 nicht zu befürchten.
Der Agrarministerrat hätte möglicherweise seine Kompetenz anders genutzt, wenn die Verhandlungen -wie das bei nationalen Parlamenten üblich ist -vor der Beschlußfassung öffentlich gewesen wären. Dies ist aber nicht der Fall. Daß hierbei die Interessen der Landwirte stärker berücksichtigt wurden als das Gesamtinteresse, ist daher wenig verwunderlich. 4. Das Problem der finanziellen Solidarität Die Konzeption und Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik war mit hohen und steigenden Staatsausgaben verbunden. Es wurde gleich zu Beginn festgelegt, daß die gemeinsame Politik auch gemeinsam zu finanzieren sei. Man sprach vom Prinzip der finanziellen Solidarität. Geht man von der Überlegung aus, daß auf supranationaler Ebene ein öffentliches Gut, nämlich die Gemeinsame Agrarpolitik, erstellt wird, dann ist es auch verständlich, daß die Produktion dieses Gutes gemeinsam finanziert wird. Die gemeinsame Finanzierung wurde aber zu einer Belastung der GAP. Durch die gewählte spezielle Form der Einnahmenfinanzierung und Ausgabengestaltung auf EU-Ebene werden einzelne Länder als Folge von EU-Entscheidungen unterschiedlich be-und entlastet.
Darüber hinaus können diese Länder selbst durch spezielle Gestaltung ihrer nationalen Agrarpolitiken zu einer Belastung der anderen Länder beitragen. Die EU erhebt ihre Einnahmen durch Zölle und Abschöpfungen sowie durch Zahlungen einzelner Mitgliedsländer, die sich an der Zahlungsfähigkeit der Länder orientieren. Die Ausgaben werden zu einem großen Teil für die Finanzierung von Exporterstattungen verwandt. Diese Export-erstattungen sind notwendig, wenn Überschüsse der EU auf den Weltmärkten verkauft werden müssen.
Durch die Form der Finanzierung wurde die Interessendivergenz zwischen den EU-Mitgliedsländem verstärkt. Wird z. B.der Preis eines Agrarproduktes durch einen politischen Beschluß auf EU-Ebene angehoben, dann führt dieses generell zu einer Belastung der Verbraucher zugunsten der Produzenten. Die Verteilungswirkungen für die einzelnen EU-Länder sind aber unterschiedlich. Führt ein Mitgliedsland das betrachtete Produkt ein, so werden die Verbraucher dieses Landes zugunsten der Produzenten in anderen Ländern belastet. Ist ein Land dagegen Exporteur des betrachteten Gutes, so werden die erhöhten Exporterstattungen auch von den anderen Mitgliedsländern mit finanziert. Somit findet ein unsichtbarer Einkommenstransfer von den Importländern zu den Exportländern statt. Es hat sich daher gezeigt, daß die Form der Finanzierung in Verbindung mit dem Außenschutz zu erschwerter Konsensfindung auf europäischer Ebene führte. Insbesondere die Agrarimportländer -Großbritannien und Italien -haben die Agrarpreisverhandlungen immer wieder in die Länge gezogen; ihre Zustimmung mußte häufig durch Zugeständnisse erkauft werden.
5. Die Bedeutung der „offenen Flanke“ der EG-Agrarmarktordnungen Bei der Konzeption der Gemeinsamen Agrarpolitik ging man davon aus, daß durch die Höhe der Agrarpreise das Einkommen der Landwirte gesichert werden sollte. Allerdings war es aufgrund der GATT-Vereinbarungen nicht möglich, für alle Agrarprodukte einen gleichen Außenschutz einzuführen. Die EG hatte sich verpflichtet, für die so-genannten Getreidesubstitute -das sind Produkte, die eiweiß-oder stärkehaltig sind und allein oder in Kombination als Substitut für Getreide bei der Verfütterung dienen -keine zusätzliche Protektion einzuführen. Zum Zeitpunkt der Einführung der gemeinsamen Marktordnungen wurde diese Einschränkung für die EG als nicht sehr gravierend betrachtet. Getreidesubstitute, insbesondere Soja und Tapioka, wurden zu damaliger Zeit in der EG nur in einem geringen Umfang produziert, und auch die Importmengen waren relativ unbedeutend. Eine Beschränkung des Außenschutzes auf die Produkte, die von der EU-Landwirtschaft produziert wurden, erschien daher ausreichend, um den inländischen Produzenten eine gewünschte Einkommenshöhe zu sichern.
Die Entwicklung zeigte aber, daß diese sogenannte „offene Flanke“ der EG-Agrarmarktordnungen zu einer zunehmenden Belastung der EG-Haushalte führte. Inländisches Futtergetreide wurde durch importierte Getreidesubstitute verdrängt; die Überschüsse auf dem EG-Getreidemarkt stiegen daher schneller als erwartet. Weiterhin verbilligten die importierten Getreidesubstitute die Produktion von Milch und erhöhten damit das Wachstum der Überschüsse auf dem EG-Milchmarkt. Auch verringerte sich die Nachfrage nach dem wichtigsten Milchprodukt, der Butter, durch importiertes pflanzliches Öl, da sich hierdurch die Produktion von Margarine verbilligte.
Zusammenfassend kann gesagt werden: Durch die schwierige Geburt war die EWG-Agrarpolitik mit einigen erheblichen Konstruktionsfehlern behaftet; es kann daher durchaus nicht verwundern, daß sich im Zeitablauf zunehmende Probleme einstellten.
III. Die Entwicklung der EG-Agrarpolitik bis 1992
Abbildung 3
Quelle: A. Larsen et al., EC agricultural policy for the 21st Century. European Commission. European Economy, Reports and Studies No. 4, Brüssel -Luxemburg 1994, S. 14. Abb. 2: Entwicklung der EG-Agrarausgaben
Quelle: A. Larsen et al., EC agricultural policy for the 21st Century. European Commission. European Economy, Reports and Studies No. 4, Brüssel -Luxemburg 1994, S. 14. Abb. 2: Entwicklung der EG-Agrarausgaben
Die Durchführung der EWG-Agrarpolitik bereitete in den ersten Jahren für die Agrarpolitiker nicht allzu große Probleme. Auf den meisten Märkten bestand ein Einfuhrbedarf, so daß Preisanhebungen nicht zu zusätzlichen Ausgaben führten. Es war daher relativ leicht, einstimmige Entscheidungen im Ministerrat zu treffen. Auch wenn die nominalen Preisanhebungen in der Mehrzahl der Jahre unter der allgemeinen Inflationsrate lagen, waren die ökonomischen Bedingungen für die Landwirte aufgrund der realisierten technischen Fortschritte so günstig, daß der Selbstversorgungsgrad mit Agrarprodukten von Periode zu Periode stieg.
Mit dem steigenden Selbstversorgungsgrad stiegen auch die Ausgaben für die Agrarpolitik auf EG-Ebene kontinuierlich an (vgl. Tabelle 1 und Abbildung 2). Schwieriger wurde die Situation, als mit dem Jahr 1982 der Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent für den Durchschnitt der Agrarprodukte überschritten wurde (vgl. auch Abbildung 3).
Die Politiker versuchten zwar, eine restriktive Preispolitik einzuschlagen, d. h. nur relativ moderate Preisanhebungen zu verwirklichen. Doch zeigte sich, daß die Preise im Inland weniger sanken als auf dem Weltmarkt und daher der Agrarschutz im Zeitablaüf trotz der Überschüsse im Inland zunahm.
Besonders herausragend waren die Ausgabensteigerungen für Milch und Milchprodukte. Für diese Produkte wurden etwa 40 Prozent der Gesamtaus-gaben des Ausrichtungs-und Garantiefonds beansprucht. Aus diesem Fonds werden die Ausgaben für die Finanzierung der Agrarpolitik bereitgestellt. Der Agrarministerrat versuchte daher, durch spezielle Maßnahmen das Ausgabenwachstum auf diesem Markt einzuschränken. Doch diese Maßnahmen -wie die sogenannte Mitverantwortungsabgabe (den Landwirten wurde etwas weniger ausgezahlt, als ihnen aufgrund der Preis-beschlüsse zugestanden wurde) und auch die Einführung einer Prämie für die zeitweilige Aufgabe der Milchproduktion (sogenannte Nichtvermarktungsprämie) -konnten das Ausgabenwachstum nicht bremsen.
Aus ökonomischer Sicht lag es natürlich nahe, die Preise für Milch zu senken. Ein Teil der Milchproduktion führte Anfang der achtziger Jahre zu erheblichen volkswirtschaftlichen Verlusten. Die Steigerung der Milchproduktion erfolgte vornehmlieh auf der Grundlage importierter Futtermittel. Die Ausgaben für diese Futtermittel (Getreidesubstitute) waren in manchen Jahren höher als die Erlöse für die verarbeiteten Milchprodukte auf dem Weltmarkt. Daraus folgt, daß ein Teil der Produktionsfaktoren, die in der Milchproduktion eingesetzt waren, nicht nur kein Entgelt erzielten, sondern darüber hinaus zu volkswirtschaftlichen Verlusten beitrugen. Die Gesellschaft insgesamt wurde durch die zunehmende Milchproduktion nicht reicher, sondern ärmer. Aus ökonomischer Sicht hätte es daher nur eine richtige Entscheidung geben können, nämlich den Landwirten verringerte Anreize zur Ausweitung der Milchproduktion zu bieten. Die agrarpolitischen Entscheidungsträger sind aber offensichtlich weniger an den volkswirtschaftlichen Kosten interessiert gewesen als an den Wirkungen, die bestimmte Politikmaßnahmen auf die Einkommen der Landwirte haben.
1. Quotierung der Milchproduktion: Ein marktwirtschaftlicher Sündenfall Es war daher nicht überraschend, daß der deutsche Agrarminister Kiechle für eine Quotierung der Milchproduktion eintrat. Er konnte sich mit seinem Vorschlag auch im Agrarministerrat durchsetzen, und im April 1984 wurde die sogenannte Garantiemengenregelung für Milch eingeführt. Seit dieser Zeit wird den Landwirten ein Produktionsrecht zugewiesen. Produzieren sie mehr, als ihnen zusteht, so wird die Überproduktion mit drastischen Preisabschlägen belegt.
Die Quotierung der Milchproduktion stellt eine weitere deutliche Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien dar. Hierdurch wird es zwar möglich, das Ausgabenwachstum für die Regulierung des Marktes einzuschränken, doch entstehen erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Die Milchproduktion insgesamt wird teurer, als es unter marktwirtschaftlichen Bedingungen möglich wäre. Hinzu kommt, daß durch diese Regelungen sozialen Prinzipien der Marktwirtschaft nicht Rechnung getragen wird. Durch Stützpreise und Quotierun'gen werden nicht vornehmlich die sozial Schwachen gefördert, sondern vor allem diejenigen, die in der Ausgangssituation relativ viel Milch produzierten. Andererseits werden durch die Preisstützung vor allem die ärmeren Konsumenten belastet, die einen relativ hohen Anteil ihres Einkommens für Agrarprodukte ausgeben. Die Verteilungswirkungen widersprechen somit sonstigen sozialpolitischen Zielsetzungen. 2. Flächenstillegung: Eine Fortsetzung der Abkehr von marktwirtschaftlichen Prinzipien Um die Probleme der wachsenden Überschüsse und Ausgaben in den Griff zu bekommen, wurde ein Programm der freiwilligen Flächenstillegung angeboten. Der Spielraum für Preisanhebungen sollte durch eine Verringerung der Produktion erweitert werden. Auch hier wurde wiederum eine Maßnahme gewählt, die zu erhöhter Regelungsintensität auf den Agrarmärkten führt. Außerdem widerspricht die Flächenstillegung ordnungspolitischen Grundsätzen. Landwirte, die sich verpflichteten, Flächen stillzulegen, sollten für den Einkommensverlust voll kompensiert werden. Da die Flächenstillegung aber freiwillig war, haben in der Realität Landwirte nur dann Flächen stillgelegt, wenn die Kompensationszahlung höher als der zu erwartende Einkommensverlust war. Landwirte haben also weniger Flächen genutzt und weniger Arbeit geleistet, wurden aber für den Einkommensrückgang entschädigt.
Mit marktwirtschaftlichen Prinzipien ist eine solche Maßnahme sicherlich nicht zu vereinbaren. Durch die Nichtnutzung eines Produktionsfaktors, der offensichtlich relativ knapp ist -dies wird durch die hohen Bodennutzungspreise angezeigt -, wird der Wohlstand in der Gesamtwirtschaft insgesamt reduziert. Diese Maßnahme wurde von den Politikern nur gewählt, weil hierdurch Landwirte einen höheren Einkommens-transfer von den Nichtlandwirten erhalten sollten. Gesamtwirtschaftliche Aspekte standen dagegen offensichtlich im Hintergrund.
Die Ausgabensteigerung für die Agrarpolitik konnte trotz zunehmender Regelungsintensität nicht eingeschränkt werden. Die Agrarpolitiker sahen sich daher Anfang der neunziger Jahre zu einer grundlegenden Reform gezwungen.
IV. Die EG-Agrarreform, eine Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Grundsätze?
Abbildung 4
Quelle: A. Larsen et al. (Abb. 2), S. 15. Abb. 3: Entwicklung der EG-Agrarüberschüsse
Quelle: A. Larsen et al. (Abb. 2), S. 15. Abb. 3: Entwicklung der EG-Agrarüberschüsse
Die Ausgabensteigerungen für die GAP waren nicht allein die Folge agrarpolitischer Entscheidungen in der EG, sondern auch das Spiegelbild der Entwicklung auf den Weltagrarmärkten. Abbildung 4 verdeutlicht, daß die Weltagrarpreise im Zeitablauf stärker gefallen sind als die EG-Preise und daß durch erhöhte Subventionen die Differenz zwischen Inlandspreisen und Weltmarktpreisen ausgeglichen werden mußte. Während in den ersten Jahren der GAP die EG als Importeur an niedrigen Weltmarktpreisen für Agrargüter interessiert war, strebte sie nunmehr als Exporteur hohe Weltmarktpreise an. Die Europäische Gemeinschaft sah sich durch die Forderung der Handelspartner -die auch von inländischen Industrieverbänden unterstützt wurde -gezwungen, durch eine Änderung ihrer bisherigen Agrarpolitik zu einem Erfolg der „Uruguay-Runde“ beizutragen. Die 1992 beschlossene Agrarreform beinhaltete drastische Preissenkungen (um 30 Prozent) für Getreide und Rindfleisch. Eine solche Preissenkung wäre zehn Jahre zuvor noch undenkbar gewesen. Die Einkommenswirkung der Preissenkung durch die Agrarreform wird im Durchschnitt für die Landwirtschaft durch sogenannte Preisausgleichszahlungen kompensiert: Landwirte, die weiterhin Getreide oder Rindfleisch produzieren, erhalten seit 1993/94 pro Anbaufläche eine bestimmte Zahlung, die den Rückgang an Einkommen als Folge der Preissenkung kompensieren soll. Um die Produktion zu reduzieren, wurde außerdem eine quasi-obligatorische Flächenstillegung eingeführt. Die Preis-ausgleichszahlung wird nur geleistet, wenn Landwirte einen bestimmten Prozentsatz (im ersten Jahr der Reform waren es 15 Prozent und im zweiten 12 Prozent) ihrer Fläche stillegen. Hierdurch soll erreicht werden, daß sich das inländische Angebot verringert, damit die Exportmengen reduziert werden und die Weltmarktpreise als Folgewirkung steigen. Weiterhin beinhaltet die Agrarreform die Einführung sogenannter „flankierender Maßnahmen“: Für Extensivierungsund Aufforstungsmaßnahmen sowie für den vorzeitigen Ruhestand werden Sonderzahlungen geleistet.
Mit der Preissenkung haben die EU-Agrarpolitiker einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung unternommen. Die Preise könnten damit wieder -wie in marktwirtschaftlichen Systemen üblich -eine Signalfunktion übernehmen. Allerdings wird diese positive Wirkung durch die Preisausgleichszahlungen erheblich eingeschränkt. Es kann sein, daß bei den geltenden Marktpreisen, die für Getreide nach wie vor über den Weltmarktpreisen hegen, die Kosten der Produktion nicht gedeckt werden. Getreide und Ölsaaten (z. B. Raps) werden auf bestimmten Standorten nur produziert, weil staatliche Zahlungen geleistet werden. Offensichtlich wird hier weiterhin eine Vergeudung von volkswirtschaftlichen Ressourcen in Kauf genommen. Ebenso bedeutet die quasi-obligatorische Flächenstillegung, daß Produktionsfaktoren, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht in irgendeiner Form sicherlich mit positiver Wirkung verwandt werden könnten, durch staatliche Verordnung nicht genutzt werden. Auch diese Maßnahme widerspricht somit grundsätzlichen gesamtwirtschaftlichen Erwägungen. Die Reform der Agrarpolitik ist aus ordnungspolitischen Gründen auch deswegen negativ zu beurteilen, weil hier erhebliche Einkommens-transfers geleistet werden, die mit dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit nicht begründet werden können. Zudem ist zu bedenken, daß die Agrarreform ein weiterer Schritt zu einer zunehmenden Regelungsintensität auf den Agrarmärkten bedeutet. Um Flächenstillegungen zu kontrollieren und Preisausgleichszahlungen zu leisten, sind Informationen auf einzelbetrieblicher Ebene notwendig.
V. Weitere Anpassungszwänge durch die Vereinbarungen der Uruguay-Runde
Abbildung 5
Abb. 4: Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in der EG und Weltmarktpreise (Index: 1979 = 100) Quelle: s. Abb. 2, S. 17.
Abb. 4: Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in der EG und Weltmarktpreise (Index: 1979 = 100) Quelle: s. Abb. 2, S. 17.
Die Aufgabe des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens (GATT) besteht darin, auf einen verstärkten Freihandel hinzuwirken. In den Verhandlungsrunden vor der 1986 begonnenen Uruguay-Runde war der Agrarhandel weitgehend ausgegliedert. Die Handelspartner -und hier vornehmlich die Vereinigten Staaten und die Europäische Gemeinschaft -waren vor dieser Zeit nicht bereit, ihren Handelsspielraum im Außenhandel durch internationale Vereinbarungen einschränken zu lassen. Zu dieser ablehnenden Haltung trug wesentlich bei, daß die Europäische Gemeinschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens bei Agrarprodukten eine Einfuhrsituation aufwies und daher an niedrigen Weltagrarpreisen interessiert war. Demgegenüber waren die Amerikaner als Hauptexporteur an hohen Weltmarktpreisen interessiert. Die agrarpolitischen Maßnahmen in diesen beiden Agrarhandelsblöcken waren daher einander entgegengerichtet. In den Vereinigten Staaten versuchte man, durch produktionsbeschränkende Maßnahmen, insbesondere durch Flächenstillegungen, die Produktion zu verringern, damit die Exporte zu senken und die Weltmarktpreise tendenziell in die Höhe zu treiben. In der Europäischen Gemeinschaft dagegen reduzierte man durch das System der Abschöpfungen die Einfuhrmengen, verringerte dadurch die Nachfrage auf dem Weltmarkt und trug zu sinkenden Weltmarktpreisen bei. Diese entgegengesetzte Interessenlage schwächte sich mit der abnehmenden Importsituation der Europäischen Gemeinschaft ab und schlug 1982 mit dem Übergang zu einer Exportsituation in das Gegenteil um. Als darüber hinaus in den achtziger Jahren die Weltmarktpreise stark fielen und dies zu einer erheblichen Belastung der Agrarbudgets in allen Ländern führte, war es möglich, in einer neuen GATT-Runde die Agrarhandelsfragen in den Mittelpunkt zu stellen.
Es muß betont werden, daß das Ergebnis der GATT-Runden zwar für alle Mitgliedsländer, die die Vereinbarung unterzeichnen, bindend ist, daß das Ergebnis der Verhandlungen aber vornehmlich von den Haupthandelspartnern bestimmt wurde. Als wichtigste Punkte der Verhandlungsergebnisse sind zu nennen: -Reduzierung der subventionierten Export-menge um 21 Prozent, ausgehend von der Basisperiode 1986/90; -Reduzierung der Zahlungen für Exporterstattungen um 36 Prozent, ausgehend von der Basisperiode 1986/90; -Reduzierung der Einfuhrbelastungen um 36 Prozent, ausgehend von der Basisperiode 1986/88; -Gewährung eines Mindestmarktzugangs von drei bzw. fünf Prozent bis zum Ende der Laufzeit des Abkommens im Jahre 2001.
Es besteht kein Zweifel daran, daß die Vereinbarungen zu steigenden Weltmarktpreisen führen werden. Es ist zu erwarten, daß sowohl Import-als auch Exportmengen zusätzlich durch Quoten geregelt werden müssen. Hierbei ist zu bedenken, daß die Vereinbarungen nicht jeweils für große Gruppen von Agrarprodukten gelten, sondern für relativ eng definierte Untergruppen. Auf dem Milch-markt sind die Beschränkungen z. B. bindend für Butter, Butteröl, Magermilchpulver, Käse und andere Milchprodukte. Die Umsetzung der GATT-Regelungen wird daher zu einer erheblichen Zunahme der internen Regelungsintensität auf den Agrarmärkten führen.
VI. Langfristige Perspektiven.
Für die Entwicklung der EU-Agrarpolitik ist von größter Bedeutung, wie sich zukünftig die Weltmarktpreise für Agrarprodukte entwickeln. Sollten die Weltmarktpreise über das Niveau der gegenwärtigen EU-Preise steigen, so wird die Einhaltung der GATT-Restriktionen keine Probleme bereiten. In diesem Fall könnten auch die Regelungen, die mit der Agrarreform von 1992 eingeführt worden sind, aufgegeben werden. Eine solche Entwicklung ist sicherlich nicht undenkbar, aber auch nicht mit großer Wahrscheinlichkeit prognostizierbar. Die Welternährungssituation, die entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Weltagrarpreise ist, kann gegenwärtig nur mit großer Unsicherheit beurteilt werden. Es ist insbesondere nicht abzusehen, wie sich die Nahrungsmittelsituation im bevölkerungsstärksten Land der Welt (China mit 20 Prozent der Gesamtbevölkerung) entwickeln wird. Auch läßt sich nur schwer prognostizieren, wie sich die Agrarproduktion in den osteuropäischen Ländern und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion entwickeln wird.
Vieles deutet darauf hin, daß auch zukünftig die Weltagrarpreise auf einigen Märkten -insbesondere auf dem Milch-und Rindfleischmarkt erheblich unter den Preisen der EU liegen werden. Dagegen ist es weniger unwahrscheinlich, daß bei Getreide die Weltmarktpreise bereits in naher Zukunft auf das EU-Niveau steigen könnten. Die Politiker wären aber sicherlich nicht gut beraten, wenn sie ihre Politik nur auf eine bestimmte Situation ausrichten würden. Statt dessen sollten die Politiken so gestaltet werden, daß sie sich an heute noch nicht bekannte zukünftige Rahmenbedingungen relativ leicht anpassen können.
Zur Unsicherheit einer Beurteilung der zukünftigen Entwicklung trägt auch bei, daß noch unklar ist, wann die Europäische Union nach Osten erweitert wird, unter welchen Bedingungen dies geschehen und welche Wirkung dies auf die osteuropäischen Länder haben wird. Es ist schwer vorstellbar, daß das gegenwärtige System der GAP auch in osteuropäischen Ländern eingeführt werden könnte. Selbst Ministerialbeamte aus dem polnischen Landwirtschaftsministerium behaupten, daß das damalige Planwirtschaftssystem leichter als das EU-Agrarsystem zu implementieren sei. Während früher die Betriebe lediglich Planauflagen erhielten, wird beim EU-Agrarsystem jeder landwirtschaftliche Betrieb auch daraufhin überprüft, wie er im einzelnen seine Flächen nutzt. Ein solch administrativer Aufwand ist von den osteuropäischen Ländern wahrscheinlich nicht zu leisten und die Durchführung auch nicht zu kontrollieren. Es wird sich ohnehin bald zeigen, daß in einigen Ländern der gegenwärtigen EU das derzeitige System mit seiner hohen Regelungsintensität nicht adäquat umgesetzt wird. Die Berichte des europäischen Rechnungshofes decken von Jahr zu Jahr eine höhere Zahl von Betrugsfällen mit stark zunehmenden Betrugsschäden auf.
Wenn die EU-Agrarpolitiker den unsicheren zukünftigen Entwicklungen auf den Weltmärkten wie auch hinsichtlich der EU-Erweiterung angemessen begegnen wollen, dann wären sie gut beraten, schon heute eine Umstellung der EU-Agrarpolitik einzuleiten. Eine Reform der Agrarpolitik wird seit vielen Jahren von wissenschaftlicher Seite empfohlen. Eine solche Politik müßte folgende Elemente enthalten: -Es müßten Preise auf den EU-Agrarmärkten festgesetzt werden, die sich an den Preisen auf den Weltmärkten orientieren. Dies würde zur Entwicklung einer international wettbewerbsfähigen Landwirtschaft beitragen. -Spezielle Förderungsmaßnahmen der Landwirtschaft könnten notwendig sein, um ökologisch positive Wirkungen zu erzielen. So kann es auch zukünftig berechtigt sein, daß zur Pflege der Kulturlandschaft in bestimmten Regionen Zahlungen an Landwirte geleistet werden. -Die Zahlung von direkten Einkommensübertragungen kann zumindest in einer Übergangszeit angebracht sein. Es kann angenommen werden, daß Landwirte in der Vergangenheit auf eine Fortführung der bisherigen Agrarpolitik vertraut haben. Sie mögen daher einen Vertrauensschutz verdienen. Kompensationszahlungen bei einer Umstellung des Systems können daher berechtigt sein. Allerdings dürften diese Kompensationszahlungen nicht -wie die gegenwärtigen Preisausgleichszahlungen -an die Flächennutzung oder an andere Produktionsfaktoren gebunden sein. Statt dessen wäre zu wünschen, daß diese Zahlungen an Personen geleistet werden. -Auch nach der Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen der geänderten Agrarpolitik wird es Landwirte mit niedrigem Einkommen geben. Diese Einkommensprobleme sollten aber nicht, wie in der Vergangenheit, durch eine Hochpreispolitik gelöst werden, die für alle Landwirte zu Einkommenssteigerungen führt, aber insgesamt viele negative Nebenwirkungen hat, sondern durch direkte Zahlungen an die sozial Schwachen. Mit dem System der Sozialen Marktwirtschaft sind solche Direkt-zahlungen durchaus zu rechtfertigen. -Eine neu ausgerichtete Agrarpolitik würde auch eine Änderung der Finanzierungsregeln erfordern. Es wäre sinnvoll, wenn die einzelnen Länder wieder mehr Verantwortung für die Zahlungen, die in ihrem Lande geleistet werden, übernehmen müßten. Das Prinzip der Subsidiarität müßte gestärkt werden. Dieses fordert, daß die einzelnen Länder für Zahlungen, die zur Minderung sozialer Härten in ihrem Land notwendig sind, auch nationale Budgets bereitstellen. Allenfalls wäre eine Mischfinanzierung aus EU-und nationalen Mitteln erwägenswert.
Es ist allerdings fraglich, ob die gegenwärtigen Entscheidungsträger auf EU-Ebene in der Lage sind, eine Reform der Agrarpolitik vorzunehmen, die sich an gesamtwirtschaftlichen Kriterien orientiert. Eine Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments hat in einer Vorlage im Mai 1995 eine grundlegende Reform der Entscheidungsfindung in der europäischen Agrarpolitik gefordert Dieser Forderung ist voll zuzustimmen. Ohne eine grundlegende institutioneile Reform wird es wohl kaum eine Reform der Agrarpolitik geben, die mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft im Einklang steht.
Ulrich Koester, Dr. rer. pol., geb. 1938; Professor für Agrarökonomie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn. Veröffentlichungen u. a.: EG-Agrarpolitik in der Sackgasse. Divergierende nationale Interessen bei der Verwirklichung der EWG-Agrarpolitik, Baden-Baden 1977; Regional Cooperation to Improve Food Security in Southern and Eastern African Coüntries, Research Report No. 53, International Food Policy Research Institute, Washington (D. C.) 1986; Grundzüge der landwirtschaftlichen Marktlehre, München 1992% Mitverfasser einer Reihe von Gutachten zur EU-Agrarpolitik, u. a. EC-Agricultural Policy for the 21st Century, Brussels 1995.
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