Im Beitrag wird erstens untersucht, in welchen Intervallen sich die Implosion der Machtelite unter Erich Honecker vollzog und inwiefern Karrierekontinuität zwischen dem Ancien regime und den Transitionseliten unter Hans Modrow und Lothar de Maiziere bestand. Die Wahlen im März 1990 riefen zwar in vielen Sektoren eine stärkere personelle Erneuerung hervor als der Aufstieg der systemkonformen Gegenelite unter Modrow, aufgrund des Wahlergebnisses konnte sich die system-kritische Gegenelite der DDR jedoch nur partiell etablieren. Zweitens wird für die Zeit seit 1990 deutlich, daß Karrierefortsetzungen der Transitionselite in den Parlamenten und Regierungen sowie in Verwaltung, Justiz und Medien die Ausnahme sind. Reproduktion der Eliten aus dem zweiten Glied wie in Rußland hat es nicht gegeben. Drittens wird zur Erklärung der beobachteten Unterschiede zwischen diesen Elitesektoren die Differenzierung eines privaten vom öffentlichen Sektor und die Unterscheidung zwischen Delegationsund Ernennungseliten eingeführt: In den Delegationseliten der Politik und des Verbände-Systems sind die neuen Bundesländer heute -personell erneuert -angemessen repräsentiert. Hingegen wurden die Ernennungseliten in den nicht abgewickelten DDR-Institutionen personell „gesäubert“ und die Vakanzen ebenso geschlossen, wie die neuen öffentlichen Institutionen auf Landesebene besetzt wurden: per Eliteimport aus dem Westen. Dabei wurde ein doppelter Rangeffekt sichtbar: Je höher eine Position in der Hierarchie angesiedelt ist, desto wahrscheinlicher ist sie mit Westdeutschen besetzt; je niedriger die Ebene im Staatsaufbau (Kommunen) oder je peripherer die Organisation im privaten Bereich (z. B. Regionalpresse, mittlere Unternehmen in der Nachfolge von Kombinaten) ist, desto höher ist der Anteil Ostdeutscher und damit die Möglichkeit einer Karrierefortsetzung aus dem mittleren Management.
Daß es 1989/90 zu einem Elitenwechsel insbesondere in der politischen Elite der DDR kommen würde, konnte vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der empirischen Revolutionsforschung nicht verwundern, aber überraschend ist auch heute noch, wie wenig systematisches Wissen uns darüber vorliegt. Wie tief die Elitezirkulation griff und wie breit sie sich vollzog, in welchen Phasen und über welche Mechanismen sie ablief, welche Unterschiede zwischen einzelnen Sektoren und Funktionseliten in dieser Hinsicht bestehen, wo die alte Herrschaftselite verblieben ist und welche Eigenschaften die neuen Funktionseliten auszeichnen, wurde für eine Reihe der dem früheren Sowjetblock angehörenden Staaten, die sich in nachrevolutionärer Transition zu Demokratie und Marktwirtschaft befinden, untersucht Angesichts der den Sonderfall DDR ausmachenden Wiedervereinigung schließt sich zudem die Frage nach der ostdeutschen Repräsentation in den Institutionen der erweiterten Bundesrepublik an die Ausgangs-frage nach Erneuerung oder Kontinuität der DDR-Eliten an: Zu „alt -neu“ tritt „Ost -West“ als zweite Dimension der Elitezirkulation.
Dieser Beitrag wird deutlich werden lassen, wie stark Zirkulation und Elitekontinuität von Veränderungen des institutioneilen Positionsfeldes und von der Differenzierung eines privaten Sektors vom öffentlich-rechtlichen im Zuge der Transformation zur Marktwirtschaft abhängen. Es kann nicht überraschen, daß Regimewechsel nicht alle Funktionseliten gleichmäßig erfassen, aber es wird sichtbar werden, daß alle Funktionsbereiche tangiert sind, wenn ein totalitäres, über Jahrzehnte im wesentlichen von einer Partei kontrolliertes System zu Demokratie und Kapitalismus übergeht. Zudem wird herausgearbeitet, daß die nahezu totale Elitezirkulation in Ostdeutschland nur unter den Bedingungen der Wiedervereinigung möglich war, wo es ein hinreichend großes Elitenreservoir gab, um ein Elitenvakuum als Folge tiefgreifender politischer Säuberung zu vermeiden.
I. Elitezirkulation zwischen Implosion und Transition
Abbildung 1
Tabelle 1: Ausscheiden der Honecker-Elite nach Zeitpunkt und Elitesektor
Tabelle 1: Ausscheiden der Honecker-Elite nach Zeitpunkt und Elitesektor
Die De-Legitimierung politischer Herrschaft in der DDR vollzog sich mit „voice und exit“ und löste zunächst einen von Oktober 1989 bis Januar 1990 reichenden parteieninternen Austausch der Führungsgruppen in mehreren Schüben aus. Auch hierbei nahm die SED eine führende Rolle ein -die Blockparteien folgten. Dieser Abgang der „Honecker-Elite“ ist mit der Rekrutierung der Transitionseliten zu kontrastieren. 1. Ausscheiden der Honecker-Elite Was als „Palastrevolution“ im Oktober 1989 begonnen hatte, führte im November zum Rücktritt von Politbüro und Zentralkomitee der SED. Mit leichter Verzögerung vollzog sich die politische Säuberung im Dezember auch auf Bezirks-ebene der SED und der Blockparteien. Das System der Exekutive implodierte Anfang Dezember 1989 mit der Auflösung des Nationalen Verteidigungsrates und der Abschaffung der Position der stellvertretenden Minister; davon waren 199 der 793 ermittelten Mitglieder diverser Funktionseliten unter Honecker betroffen (Tabelle l) Der Parteiapparat der SED auf Zentral-und Bezirksebene löste sich praktisch im Dezember 1989 auf (78 erfaßte Personen).
Abbildung 5
Tabelle 5: Personelle Expansion des Justizsektors Quelle: Zusammengestellt nach BT-Drs. 12/6854, S. 330, 342; für 1995: BT-Drs. 13/2280, S. 322, 329.
Tabelle 5: Personelle Expansion des Justizsektors Quelle: Zusammengestellt nach BT-Drs. 12/6854, S. 330, 342; für 1995: BT-Drs. 13/2280, S. 322, 329.
Obwohl nach der Abberufung Erich Honeckers, Joachim Herrmanns (Propaganda) und Günter Mittags (Wirtschaftsplanung) aus dem SED-Politbüro am 18. Oktober 1989 auf der Sitzung des Zentralkomitees (ZK) der SED am 8. November weitere 11 Politbüromitglieder abgesetzt worden waren und das Politbüro anschließend zurücktrat, brachte erst der Dezember 1989 den massenhaften Abgang der Altelite aus dem Zentralapparat der SED mit dessen institutioneller Auflösung: 64 Personen, also die restlichen 83 Prozent der Parteifunktionäre, schieden aus ihren Ämtern. Einziger neuer Kopf in der SED-Führung war Ende November der SED-Bezirkssekretär von Dresden, Hans Modrow, geblieben. Hinter dem Aufrücken Modrows ins Politbüro und dem Ausscheiden von Günter Schabowski, Johannes Chemnitzer und Werner Walde stand die totale Fluktuation (14 Personen) in den Bezirksleitungen der SED bis Dezember 1989: Modrow ist der einzige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitungen gewesen, der nicht in den zwei Wochen zwischen dem 2. und dem 14. November abgelöst worden ist Der Rücktritt des Staatsratsvorsitzenden Egon Krenz am 6. Dezember brachte die parteiinterne „Palastrevolution“ vom Oktober zum Abschluß; Krenz war damit nach nur 50 Tagen wieder aus Parteiamt und Exekutivfunktionen gedrängt, Honecker -noch mit Dank am 18. Oktober im ZK und am 24. Oktober in der Volkskammer von Volkskammerpräsident Horst Sindermann verabschiedet -war am 3. Dezember 1989 aus der Partei ausgeschlossen, sozusagen exkommuniziert worden
Das sich in der gesteigerten Sitzungshäufigkeit ausdrückende parteiinterne Krisenmanagement hatte versagt. Exit und voice, Massenaufbruch durch den nun offenen eisernen Vorhang und Massendemonstrationen, aber auch die im November aufgekommenen Korruptionsverdächtigungen gegen die Parteiführung und steigender Mitglieder-verlust der SED hatten zur Delegitimierung und letztlich zum Verlust des Primats der Politik geführt. Loyalty, die dritte Hirschmannsche Option, war die Basis, auf der sich das am 3. Dezember 1989 mit Rücktritt von ZK und Politbüro entstandene parteiinterne Elitevakuum füllen sollte. Zur Vorbereitung des am 3. Dezember nochmals (auf den 8. /9. Dezember) vorverlegten Sonderparteitages der SED konstituierte sich ein Arbeitsausschuß um den gerade erst gewählten 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung von Erfurt, Herbert Kroker (Jg. 1929) neben Hans Modrow (Jg. 1928), Markus Wolf (Jg. 1923) und Klaus Höpcke (Jg. 1933) gehörten dem Ausschuß wesentlich jüngere und zum Teil noch wenig exponierte Mitglieder an wie der Dresdener Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer (Jg. 1943), Lothar Bisky (Jg. 1941, seit 1986 Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg) und Gregor Gysi (Jg. 1948, seit 1988 Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte Berlin). Diese Verjüngung setzte sich im am 8. Dezember gewählten Partei-präsidium unter Gysi, dem nunmehr 6. Vorsitzenden der SED, fort.
In den anderen Parteien vollzog sich eine ähnliche, das bisherige Blocksystem unter Führung der SED und den internen demokratischen Zentralismus aufgebende strukturelle und personelle Erneuerung. Nach dem Rücktritt des CDU-Vorsitzenden Gerald Götting am 2. November wurde am 10. November der bislang nicht exponierte Lothar de Maiziere gewählt und bei den Nationaldemokraten löste am 7. November Günter Hartmann (bisher stellvertretener Vorsitzender) Heinrich Homann im Parteivorsitz ab (Parteiausschluß am 9. Dezember 1989). Bei den Liberaldemokiaten und in der Bauernpartei hingegen blieben die bisherigen Vorsitzenden nicht nur im Amt, sondern rückten sogar in die von der SED hinterlassenen Vakanzen in den höchsten Staatsämtern auf: Manfred Gerlach (LDP) zum Staatsratsvorsitzenden (6. Dezember bis zur Auflösung dieses Organs im März 1990) und Günter Maleuda (DBD) am 13. November zum Volkskammerpräsidenten. Nachdem Horst Sindermann am 8. November aus dem Politbüro ausgeschieden war, war sein Rücktritt als Volkskammerpräsident zwangsläufig. Mit ihm traten die Fraktionsvorsitzenden Erich Mükkenberger (SED), Wolfgang Heyl (CDU), Erwin Binder (DBD) und Werner Heilemann (FDGB) zurück. Auf breiter Front begann ein Prozeß des Nachrückens von Nachfolgekandidaten in die Volkskammer.
Ebenfalls bereits im November vollzog sich ein quantitativ revolutionäres Ausscheiden der Honecker-Elite unter den Exekutivpolitikern. Nachdem die Regierung Stoph am 8. November nach dem Revirement im Politbüro zurückgetreten war, verloren im Dezember auch 81 Prozent aller Exekutivpolitiker ihre Positionen, darunter auch Margot Honecker und Erich Mielke. Betroffen von dieser Säuberung waren auch fast alle Staatssekretäre (38 Personen). Ab Januar 1990 war infolge der Kritik des Zentralen Runden Tisches die Regierung Modrow selbst von der Säuberung betroffen. Neben die parteiinterne politische Säuberung, die sich zunehmend auch auf den Korruptionsverdacht bezogen hatte, trat damit eine öffentliche, zum Teiljuristische Säuberung, deren Ziel vor allem Personen in der Exekutive waren. Am 12. Januar 1990 beschloß die Volkskammer ferner, gegen den stellvertretenden Generalstaatsanwalt Harry Harland und gegen den Präsidenten des Obersten Gerichtes der DDR, Günter Sarge, Disziplinarverfahren einzuleiten, nachdem die beiden in ihren Berichten vor der Volkskammer über die Staatsverbrechen bis 1972 unwillig und unfähig berichtet hatten. 2. Amterkumulation im Anden regime Der Primat der SED und damit zusammenhängende Ämterkumulationen hatten zur Folge, daß Positionsverluste in den zentralen Parteigremien Amtsverluste auch in Regierung, Volkskammer, Verwaltung und sonstigem Staatsapparat: Medien-, Bildungs-oder Gewerkschaftssektor nach sich zogen. 19 Prozent aller Elitenmitglieder (150) hatten neben ihrem Hauptamt mindestens eine weitere Eliteposition eingenommen. Die stärksten Verflechtungen gingen naturgemäß vom Zentral-apparat der SED (32 Prozent der Personen) und vom Feld der Exekutivpolitiker (27 Prozent) aus.
Der SED-Zentralapparat war natürlich auch mit den Massenorganisationen (9) und den Bereichen der Wirtschaft, der Bildung und der Medien über Ämterkumulation verbunden. Umgekehrt bestanden intersektorale Verflechtungen weitaus am meisten mit dem SED-Zentralapparat (88) und hierbei vor allem von Seiten der Exekutivpolitiker (53): Diese hatten sich im ZK und im Politbüro gesammelt. Allerdings gab es relativ wenige Kumulationen in der Exekutive (13), etwa zwischen Funktionen im Ministerrat, im Nationalen Verteidigungsrat oder im Staatsrat; aber diese 13 Personen stellten die Creme de la creme der DDR dar. Erich Honecker, Erich Mielke (Staatssicherheit) und Werner Krolikowski (Wirtschaftsfragen) kombinierten auf diese Weise jeweils fünf Elitepositionen: im Politbüro und im ZK der SED. im Staatsrat, im Nationalen Verteidigungsrat sowie im Ministerrat; außerdem hatten sie ein Volkskammermandat. Weitere sechs Personen brachten es zu je vier Ämtern, darunter Verteidigungsminister General Heinz Keßler (Ministerrat, Nationaler Verteidigungsrat, Politbüro und ZK der SED, ferner: Volkskammer-Mandat).
Diese Zentralität der SED-Elite kontrastiert auffallend mit der Bedeutungslosigkeit der Elite der Blockparteien, deren Spitzenfunktionäre mit Exekutivämtern vor allem im Staatsrat (4) bedient wurden. Der Verlust von SED-internen Elitepositionen mußte deshalb zwischen November 1989 und Anfang Januar 1990 auch auf andere Elitesektoren übergreifen und erfaßte nicht zuletzt die Spitze der von der SED kontrollierten Kultur-und Massenorganisationen. Mit der Reduktion des zentralen SED-Apparats, vor allem aber mit dessen Verlust des politischen Primats am 1. Dezember sowie mit der Schrumpfung der Exekutive auf den Ministerrat entfielen zudem zahlreiche Positionen, und schon deshalb mußten deren hauptamtliche Inhaber aus der Elite verschwinden. 3. Systemkonforme und systemkritische Gegenelite In die nach der institutionellen Verödung verbleibenden, durch Abwahl, Absetzung und Rücktritt freigewordenen Positionen strömte zunächst eine systemkonforme Gegenelite, als deren Exponenten Modrow, de Maiziere und Gysi gelten können.
War Egon Krenz noch als Exponent der alten SED-Herrschaft anzusehen, so stellten Hans Modrow und Gregor Gysi (8. Dezember 1989 SED-Vorsitzender) Protagonisten der systemkonformen Gegenelite innerhalb der SED während der Übergangsphase zwischen Erich Honeckers Rücktritt und der Volkskammerwahl am 18. März 1990 dar. Ebenso kann Lothar de Maiziere, Nachfolger Göttings im CDU-Parteivorsitz seit dem 10. November, als Beispiel dieser personellen Erneuerung der im „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ zusammengeschlossenen bestehenden Parteien gelten. Symptomatisch ist auch die Nachfolge im Volkskammer-Vorsitz.
Auf Horst Sindermann (SED) folgte Günther Maleuda (Bauernpartei), der neben Manfred Gerlach (LDPD) und Gerald Götting (CDU) langjährig im Staatsrat tätig gewesen war, bevor in der letzten Volkskammer Sabine Bergmann-Pohl aus der nun auch in der Regierungsverantwortung zur SED-PDS auf Distanz gegangenen CDU in das Amt gelangte. Wesentliche Akteure der ersten Transitionsperiode zwischen November 89 und Januar '90 waren also vom alten Regime geprägt und entstammten dessen, wenngleich selbst in Wandlung begriffenen, Parteien. Ihnen ging es wie der Bürgerbewegung bekanntlich zunächst um eine Systemtransformation, vor allem um die Ausschaltung des Staatssicherheitsapparats, unter Aufrechterhaltung einer DDR-Staatlichkeit und -Identität, bevor am 30. Januar 1990 die Wiedervereinigung von Gorbatschow als Thema zugelassen wurde.
Die systemkritische Gegenelite hatte sich zwar in der Bürgerrechtsbewegung und mit der SDP (Sozialdemokratische Partei, später SPD) kristallisieren, sich aber erst unter einigermaßen liberalisierten Verhältnissen seit September, meist erst nach der „Wende“ vom Oktober 1989 etablieren können. Die Herrschaft der SED implodierte aber nicht etwa deshalb, weil revolutionäre Führungsfiguren der Basisbewegung sowie der sonstigen neuen Parteien die SED-Herrschaft gestürzt oder ihre Exponenten abgesetzt hätten -wie hätten sie das gewaltlos machen sollen? Sie hatten zwar zum Teil am zur Implosion führenden Entzug von Massenloyalität (oder Massenangst) mitgewirkt, aber die Honecker-Elite trat vor allem aufgrund innerparteilichen Drucks ab Nach Öffnung des politischen Systems für die neuen Organisationen strömten Ende 1989 aus den Basisgruppen vornehmlich, aber nicht ausschließlich Personen, die sich in einer „politischen Nische“ wie vor allem in den Kirchen hatten aufbauen können, in das Ersatz. -oder Parallel-Parlament des Zentralen Runden Tisches. Diese Personen erklären einen Teil der Neurekrutierungen während der Zeit der beiden Regierungen Modrow. 4. Transitionseliten Die Volkskammerwahl vom März 1990 schloß nicht nur den Austausch der Honecker-Elite in allen Sektoren ab oder leitete die Entlassung der Kombinatsdirektoren ein, sie bedeutete auch in den meisten Fällen das Ende der unter Modrow begonnenen Karrieren in der Exekutive. Nochmals traten im März/April 1990 28 Exekutivpolitiker ab, die schon unter Honecker zur DDR-Elite gezählt hatten, und die Volkskammerführung (Präsidium und Fraktionsführung) verließen weitere neun Personen der Altelite. Im Gegensatz zur massiven Zirkulation zwischen November und Januar, die zunächst parteiintern, dann von der systemkritischen Gegenelite induziert worden war, handelt es sich jetzt um die Konsequenzen der ersten freien Volkskammerwahl-. Man wurde nicht wieder in die Volkskammerspitze gewählt oder nicht wieder zum Minister in der neuen, parlamentarischen Regierung ernannt.
Innerhalb von sieben Monaten war die Altelite des Honecker-Regimes damit überwiegend ersatzlos aus dem öffentlichen Leben verschwunden, und die Modrowsche „Herrschaft der Stellvertreter“, wie sie beispielsweise für Rußland typisch wurde war bestenfalls in die parlamentarische Opposition gedrängt; allerdings hatte sich auch die Volkskammer personell total erneuert. Der Wahlmechanismus brachte zum Abschluß, was als parteiinterne Elitesukzession begonnen und sich über die Kooptation der Gegenelite fortgesetzt hatte.
Außerhalb der Partei-, Parlaments-und Exekutiv-eliten, also beim Militär, in der Wirtschaft, in Justiz und Verwaltung, aber auch innerhalb des sich fragmentierenden Verbändesystems, setzte die Elitezirkulation erst mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung ein. Zwar fanden sich auch hier nach der Märzwahl kaum noch Exponenten der Altelite in Amt und Würden, aber die „deputies“ traten meist erst ab, wenn ihr Positionsfeld im Zuge von Dezentralisierung und Privatisierung zusammenbrach. Das gilt für die Akademien ebenso wie für die Zentralverwaltungswirtschaft und die Massenorganisationen. Denn mit dem zunehmend auf die Bundesrepublik ausgerichteten institutionellen Umbau der DDR vollzog sich auch hier eine dramatische Schrumpfung des Feldes der Elitepositionen. Dem massenhaften Ausscheiden von Positionsinhabern stand daher nur in geringem Umfang eine Rekrutierung von Personen gegenüber, die bisher nicht zu einer der Eliten gehört hatten. Diese Asymmetrie reflektiert zum einen die Auflösung von Institutionen und damit Positionsfeldern, so daß das von der politischen Säuberung verursachte Elitevakuum relativ klein blieb. Zum anderen wird daraus ersichtlich, daß jeweils von Periode zu Periode Teile der Altelite oder der folgenden Transitionseliten noch unter der nächsten Regierung amtierten und erst mit einem time lag ausschieden. Die 71 in der Periode Modrow l (November 1989 -Februar 1990) in die Elite der DDR rekrutierten Personen (40 Prozent der Positionsinhaber im geschrumpften Feld gelangten in fast alle staatlichen Bereiche (Tabelle 2), ohne dort allerdings die Mehrheit zu stellen, und natürlich in die Positionen der neu gegründeten Parteien und des Runden Tisches (zusammen 17). Während der Regierung Modrow II (Februar 1990 -März 1990) lag die Karrierekontinuität naturgemäß mit 87 Prozent noch höher als im Übergang vom Honecker-Regime zu Modrow I; aber auch jetzt, stammten immer noch 61 Prozent aus der Honecker-Garde (103 der 169 Personen). Das liegt nicht nur daran, daß mit der Bildung des zweiten Kabinetts Modrow nur neun neue Personen (zwei gänzlich neu, sieben vom Zentralen Runden Tisch) ins Kabinett und 13 auf sonstige politische Elitepositionen gelangten; die hohe Kontinuität erklärt sich daraus, daß alle anderen Sektoren unberührt blieben. Welche Zäsur die Volkskammerwahl vom 18. März und die Bildung der Regierung de Maiziere bedeuteten, wird nochmals daraus ersichtlich, daß nun 66 Prozent der 172 Personen umfassenden DDR-Elite Neulinge waren; Karrierekontinuität findet sich vor allem noch bei den Kirchen, den Bildungseinrichtungen, Verbänden und Parteien. Exekutiv-politiker (36), Staatssekretärsebene (48) sowie die Eliten auf Bezirksebene (14) erneuerten sich hingegen nahezu vollständig; nur 8 Staatssekretäre (StS) aus der Honecker-Elite blieben weiter im Amt. Auch in die Parlamentselite, das Volkskammerpräsidium und die Fraktionsführungen, traten nur drei Neulinge ein; denn die Führung des systemkritischen Wahlbündnisses hatte schon unter Modrow Elitepositionen eingenommen. 5. Positionen im November 1990
In welchem Umfang ist es der DDR-Elite gelungen, ihre Karrieren im vereinten Deutschland fortzusetzen? Inwieweit sind ihre Mitglieder Opfer von Regimewechsel und Beitritt geworden, mit dem alle wesentlichen Zentralpositionen der DDR ersatzlos aufgelöst worden sind?
Es ist Ausdruck der unblutigen Revolution in der DDR, daß sich 134 Personen (22 Prozent von 608), die bis auf zwei Akteure der Modrow-I-Elite alle dem Honecker-Regime zuzurechnen sind, im November 1990 nachweislich im Altersruhestand befanden. Schon Ende 1989 hatte eine Reihe von Funktionären fortgeschrittenen Alters, aus welchen Gründen auch immer, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich vorzeitig mit 57 Jahren pensionieren zu lassen. 22 Elitemitglieder waren bis 1995 verstorben, darunter bekanntlich Erich Honecker und die Politbüromitglieder Günter Mittag, Joachim Herrmann, Hermann Axen, Horst Sindermann und Werner Jarowinski. Nicht zuletzt hierin schlägt sich der Abtritt der in der Altelite stark vertretenen vor 1930 geborenen Altengruppen nieder.
Für eine Reihe von Elitemitgliedern belegen die biographischen Angaben förmliche negative Sanktionen der einen oder anderen Art, welche sich im Laufe der Zeit durchaus kumulieren konnten. Seit November 1989 wurden mit Parteiausschluß 32 Personen bestraft, darunter 30 SED-Mitglieder (24 Mitglieder des Politbüros) sowie die Vorsitzenden der CDU (Götting) und der NDPD (Homann). Bei 27 Elitemitgliedern, allesamt den Exekutivpolitikern zuzurechnen, wurden Strafverfahren eingeleitet, in 17 Fällen noch zur Zeit der DDR. Sehr oft endeten die Verfahren bekanntlich jedoch wegen Verhandlungs-oder Haftunfähigkeit, denn die Altelite der DDR war ja überaltert.
Aufgrund des hohen Durchschnittsalters der exekutiven und der Parteieliten der DDR und der Möglichkeit der Frühverrentung ist Arbeitslosigkeit kein Kollektivschicksal dieses Personenkreises geworden Als leitende Angestellte oder Freiberufler wurden 12 Elitemitglieder tätig. Die Niederlassung vor allem in Berlin von aus dem Staatsdienst ausgeschiedenen oder politisch belasteten DDR-Juristen sollte 1991 die Justizpolitiker der Bundesrepublik beschäftigen.
Mitglieder des Runden Tisches hatten sich zum Teil in den politischen und administrativen Eliten der DDR während der Transition etablieren und diese Positionen auch nach Oktober 1990 bewahren können, sind aber oft einfache Abgeordnete geblieben. Parlamentsmandate auf europäischer (Walter Romberg), Bundes-(14) oder Landes-ebene (18) nahmen 33 Elitemitglieder wahr, darunter 3 Personen aus der Ära Honecker (der stellvertretende Kulturminister Klaus Höpcke im Thüringer Landtag; Hans Modrow sowie dessen Kulturminister Dietmar Keller im Bundestag). 13 Mandatsträger sind der systemkritischen Opposition zuzurechnen und zogen überwiegend in den Bundestag (9) ein. In der Exekutive des Bundes oder der neuen Länder setzten 13 Elitemitgliedcr zumindest zwischenzeitlich ihre Karriere fort, darunter als Bundesminister kurzzeitig Lothar de Maiziere und Günther Krause; als Ministerpräsidenten, Landesminister oder (parlamentarische) Staatssekretäre auf Landesebene 7 Personen, zum Beispiel in unmittelbarer Nachposition als Ministerpräsident Manfred Stolpe, als Minister Regine Hildebrandt, Matthias Platzeck in Brandenburg und Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer in Sachsen.
Insgesamt bietet sich das Bild auch eines personellen Unterganges der DDR, wenn man die Elite der Jahre 1989/90 betrachtet. Zugleich ist damit gesagt, daß die personelle Repräsentation der neuen Länder in Parlamenten, Regierungen und Spitzenpositionen der Verwaltung überwiegend von anderen Akteuren als denen der Transitionselite wahrgenommen wird. Dabei muß es sich nicht unbedingt um Personen handeln, deren Lebenslauf nicht tief in der DDR verwurzelt ist; es ist damit lediglich gesagt, daß sie nicht exponiert genug waren (wie die einfachen Mitglieder der personell erneuerten 10. Volkskammer), um zur Elite der DDR gerechnet werden zu können.
II. Zirkulation in ausgewählten Funktionseliten nach 1990
Abbildung 2
Tabelle 2: Karrieremuster auf Hauptposition nach Transitionseliten
Tabelle 2: Karrieremuster auf Hauptposition nach Transitionseliten
Zu fragen ist nun, wie das Elitevakuum in einzelnen ostdeutschen Funktionsbereichen unter den Bedingungen der Bundesrepublik gefüllt wurde und in welchem Umfang Ostdeutsche in zentrale Institutionen der Bundesrepublik rekrutiert wurden. Im Vordergrund der Betrachtung steht also der Zustrom in die Elitepositionen des tradierten oder transferierten bundesrepublikanischen Institutionenbestandes. Die Frage der Erneuerung der Eliten im voranstehenden Abschnitt wird folglich vom Repräsentationsaspekt überlagert. Dabei lassen sich systematische Unterschiede zwischen einzelnen Funktionseliten beobachten. 1. Karrierekontinuität und Neurekrutierung der politischen Elite Die Landtags-und die Bundestagswahlen von 1990 (und nochmals die Wahlen von 1994) stabilisierten personalpolitisch das bis dahin erreichte Ausmaß der Elitezirkulation. Nur vereinzelt tauchten 1990, wie gesagt, und 1994 (Günther Maleuda und Christa Luft im Bundestag) Mitglieder der Altelite oder der Transitionselite in den Parlamenten auf, und zwar oft in der Opposition als Repräsentanten der PDS. Selbst innerhalb der CDU wurden die aus der parteiinternen Elitesukzession hervorgegangenen Mitglieder der Transitionselite zunehmend und vor allem auf Bundesebene marginalisiert. Zwischen der Wahl von Abgeordneten und der Ernennung von Exekutivpölitikern in Bundes-und Landesregierungen gibt es dabei markante Unterschiede.
Parlamentarier: Nur 40 Prozent der letzten 400 Volkskammerabgeordneten gelangten mit den Wahlen von 1990 in die Landtage (86) oder in den Bundestag (72). Umgekehrt setzten von den insgesamt 148 Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern 49 Prozent ihre Abgeordnetenkarriere aus der letzten Volkskammer fort, aber ebenso interessant ist, daß jedes zweite Volkskammermit-glied nicht in Landtage oder Bundestag einzog. Die ostdeutschen Mitglieder des Bundestages (MdB) hoben den Anteil an Neulingen im vergrößerten 12. Bundestag auf 35 Prozent, die höchste Rate seit 1953 In den neuen Landtagen nahmen sogar 84 Prozent erstmals ein Mandat wahr (Tabelle 3). Angesichts der zeitlichen Nähe von Landtags-und Bundestagswahlen 1990 drängten und gelangten also relativ mehr Mitglieder der 10. Volkskammer in den Bundestag als in die Landtage. Die Erneuerungsrate für Bundestag und Landtage sank naturgemäß 1994 bei den zweiten Wahlen nach der Wiedervereinigung; jetzt begannen nur noch 40 Prozent in den Landtagen und 29 Prozent im 13. Bundestag eine Abgeordnetenkarriere. Immerhin blieb die Erneuerungsrate des Bundestages insgesamt mit 30 Prozent weiterhin überdurchschnittlich hoch Die Mehrheit der Abgeordneten in beiden Körperschaften setzte jedoch ihre Karriere aus der letzten Legislaturperiode fort. Außerdem gelang es 1994 wiederum 9 Prozent der ostdeutschen MdB, eine Karriereunterbrechung seit der 9. Volkskammer (Maleuda) oder der 10. Volkskammer (5) zu überbrücken, und in einigen Fällen (6) dienten bereits die 1990 gewählten Landtage als Karrierestufe in den 13. Bundestag.
Daß die Erneuerungsquote in den Landtagen 1994 höher lag als im Bundestag, ist nicht zuletzt darin begründet, daß Bündnis 90/Grüne schwere Wahl-verluste hatten hinnehmen müssen und aus einigen Landtagen ausgeschieden waren; ihren Platz nahmen überwiegend neue Kandidaten der CDU und der überraschend gestärkten PDS-Fraktionen ein, die damit eine andernfalls höhere Karriere-kontinuität der nun gescheiterten Abgeordneten aus den 1. Landtagen stoppten
Allerdings handelt es sich in der Regel bei ParlamentsneuUngen nicht auch um Politikneulinge. An anderer Stelle war für das Ergebnis der Landtagswahlen 1990 schon die Frage aufgeworfen worden, wie neu eigentlich die neue politische Elite sei. Es zeigte sich, daß 45 Prozent der Mitglieder der Landtage (MdL) lange vor 1989 Parteimitglieder geworden waren, während nur 30 Prozent sich einer politischen Partei erst nach Oktober 1989 angeschlossen hatten. Naturgemäß dominierten die alten Parteibindungen bei den Nachfolgern von SED und Blockparteien, während Neulinge unter den Abgeordneten der SPD 82 Prozent ausmachten. Die durchschnittliche Dauer der Parteimitgliedschaft betrug bei FDP-und PDS-Abgeordneten 18, bei der CDU 14 und bei der SPD rund 2 Jahre. Insgesamt 22 Prozent der MdL hatten eine Karriere in öffentlichen Ämtern fortgesetzt oder eine unterbrochene Karriere wieder aufgenommen; auch sie verteilten sich naturgemäß ungleichmäßig zwischen den Fraktionen. Daß nicht alle Personen mit einem ersten Mandat auch politische Neulinge oder gar Teil der systemkritischen Gegenelite der DDR waren, hat seinen Grund im wesentlichen in der Perpetuierung eines Teils des DDR-Parteiensystems. Insgesamt kann man jedoch konstatieren, daß sich die ostdeutsche Politikerelite, die Parlamentarier in den Landtagen und in Bonn, 1990 in hohem Maße aus Personen rekrutierte, die oberhalb der Lokalebene amtsunerfahren und als Politiker nicht in das DDR-Regime involviert waren. Das schloß jedoch weder aus, daß sie oft langjährige Parteimitglieder waren, noch bedeutete der Beginn einer Abgeordnetenkarriere, daß man nicht aufgrund von Stasi-Verbindungen aus dem Zivilleben und oft aus der Jugend stigmatisiert und für eine Karrierefortsetzung in öffentlichen Ämtern disqualifiziert wurde.
Regierungsmitglieder: Unter den Exekutivpolitikern des Bundes und der Länder sieht die Lage jedoch gänzlich anders aus: Nach dem von Stasi-Vorwürfen ausgelösten Rückzug de Maizieres aus der Politik im Januar 1991 war die einzige personelle Verbindung zwischen Kabinettspositionen der letzten DDR-Regierung und der Bundesrepublik entfallen. Andererseits waren Sabine Bergmann-Pohl, Angela Merkel, Günther Krause und Bertram Wieczorek -die letzte Volkskammer-Präsidentin, stellvertretende Regierungssprecherin bzw. die parlamentarischen Staatssekretäre des Kabinetts de Maiziere -zu Ministern oder parlamentarischen Staatssekretären (Wieczorek) in Bonn aufgestiegen. Mit der Bildung des 6. Kabinetts Kohl im Januar 1991 saßen aus der Exekutiv-elite der DDR nur noch Krause und Merkel (sowie als neuer Aufsteiger Rainer Ortlieb) neben dem Bundeskanzler und 16 westdeutschen Ministern im Kabinett, und in der 7. Regierung Kohl vom November 1994 repräsentierten nach dem unrühmlichen Abgang Verkehrsminister Krauses nur noch Angela Merkel und neuerdings Claudia Nolte die ostdeutsche CDU. Für die fünf aus Ostdeutschland stammenden parlamentarischen Staatssekretäre ist nicht nur charakteristisch, daß sie ebenfalls zu den Juniorpolitikern der DDR gehörten, sondern zum Teil -wie Angela Merkel und Claudia Nolte -erst nach Oktober 1989 in die CDU oder Vorläuferorganisationen eingetreten waren. Mit im Jahr 1996 lediglich zwei Bundesministern -den Ministerinnen Merkel und Nolte -existiert nicht nur keine Kontinuität mehr zum letzten DDR-Kabinett, sondern die Ostdeutschen sind im Bundeskabinett auch marginalisiert worden (Tabelle 4).
Auch in den Landesregierungen der neuen Bundesländer stellte sich nur in drei Fällen -Hilde-11 brandt, Platzeck (beide Brandenburg) und Meyer (Sachsen) -eine personelle Kontinuität zur letzten DDR-Regierung in Exekutivpositionen ein. Hier handelt es sich ebenfalls um Akteure, die zur systemkritischen Gegenelite gehörten. Exekutiv-politiker, deren politische Karriere -zumindest was die Parteimitgliedschaft betrifft -tiefer im DDR-Regime verwurzelt war, schieden relativ schnell wieder aus der Landeselite aus: Gomolka in Mecklenburg-Vorpommern, Gies und Bergner in Sachsen-Anhalt und Duchac in Thüringen.
Im Unterschied zu den -natürlich auch die Opposition umfassenden -Mitgliedern der Landtage rekrutierten sich die Landesregierungen zu einem Drittel über Elite-Import aus dem Westen. Das gilt vor allem für die CDU-geführten Regierungen, die nicht auf ein „unverbrauchtes“ und zugleich für die neuen Anforderungen qualifiziertes Elite-reservoir in den östlichen Landesverbänden zurückgreifen konnten. Dieses qualitative Elitevakuum wurde mit Personen aus dem Westen gefüllt. Besonders Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftler waren gegen Ende der DDR nur noch schwach in den Eliten vertreten. Wie vermutlich auch bei den Juristen wurde bei ihnen große Systemnähe unterstellt, und zudem hatten sich diese Qualifikationen mit dem Übergang zur Marktwirtschaft zunehmend entwertet. Unter den 77 Prozent studierter ostdeutscher Landtagsabgeordneter von 1990 hatten denn auch die meisten (26 Prozent) Ingenieurwissenschaften studie Prozent) Ingenieurwissenschaften studiert 25, und im Bundestag stellten 1994 die ostdeutschen Abgeordneten mehr naturwissenschaftlich-technisch Ausgebildete als alle westdeutschen Abgeordneten zusammen 26. Während die staats-und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung aus der DDR in der politischen Elite 1990 als Herrschaftswissen abgewertet wurde, hat sich die naturwissenschaftliche Ausbildung also als systemneutral erwiesen.
In exekutiven Spitzenpositionen der Bundesrepublik dominieren allerdings traditionell Juristen, gefolgt von Ökonomen Daher kann es nicht verwundern, daß 1990 in die Landesregierungen und in Spitzenpositionen der Ministerien vielfach Westdeutsche rekrutiert wurden, die über administrative Erfahrungen und die dafür besonders geeignet erscheinende Ausbildung verfügten. Immerhin waren sieben der 52 Exekutivpolitiker der Länder zuletzt Regierungsbeauftragte in den Bezirken während der Regierung de Maiziere gewesen -Positionen, aus denen die Landesverwaltung aufgebaut werden sollte. Dazu kamen allerdings 15 aus Westdeutschland importierte Personen, von denen die meisten als Politiker oder als Beamte exekutive Erfahrungen hatten sammeln können. Vor allem die Justizminister wurden -mit Ausnahme Heitmanns in Sachsen -aus dem Westen rekrutiert. Bekanntlich waren 1992 sogar drei der fünf ostdeutschen Ministerpräsidenten (Münch, Vogel, Biedenkopf) aus dem Westen rekrutiert worden, wo sie allerdings nicht (mehr) zu den Spitzenpolitikern gezählt worden waren. Selbst nach den Regierungsbildungen und Regierungsumbildungen im Jahre 1994 wurden noch 14 der nun 50 Landesminister von Westdeutschen gestellt.
2. Verwaltungselite 1990 stammten außerdem alle 62 beamteten Staatssekretäre in den neuen Bundesländern aus Westdeutschland, und bis 1994 war es nur vereinzelt einem Ostdeutschen gelungen, diese administrative Spitzenposition zu erklimmen. Die Elite-zirkulation im öffentlichen Dienst insgesamt und speziell in der Verwaltung wurde administrativ geregelt; Veränderungen des Positionsfeldes und negative Selektionskriterien für Spitzenpersonal waren im Einigungsvertrag unter maßgeblicher Mitwirkung des Bundesministeriums des Innern fixiert worden. Denn der Primat der politischen Loyalität über Fachwissen zumindest in der allgemeinen inneren Verwaltung hatte einen Staatsdienst der DDR produziert, der sich -gemessen an den Standards westdeutscher Rechtsstaatlichkeit und neutraler Amtsführung, allgemeiner: der klassischen europäischen Bürokratie -durch politisierte Inkompetenz auszeichnete. Die noch sechs Jahre nach der Wiedervereinigung festzustellende vollständig westdeutsche Rekrutierung der Bonner administrativen Elite korrespondiert somit mit dem Umstand, daß sämtliche Staatssekretärs-positionen in den neuen Ländern per Elitenimport besetzt worden sind. Der höchstrangige Ostdeutsche in der Bundesverwaltung war und ist Pfarrer Joachim Gauck, der zur systemkritischen Gegen-elite der Transitionsperiode zu rechnen ist und der zum Sonderbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ernannt wurde
Für die Landesministerien gilt: Je höher die Position, desto größer der Anteil westdeutscher Beamter, die nach Osten gegangen sind. Staatssekretärs-positionen, Polizeiführung und Verfassungsschutz sind fest in westdeutscher Hand. Erst auf der mittleren Leitungsebene der Ministerien (also unterhalb der StS-Ebene) fanden sich rund 25 Prozent „Altpersonal“ der DDR; in den Staatskanzleien amtierten 1992 neben 15 westdeutschen Abteilungsleitern vier ostdeutsche -überwiegend in technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen tätig gewordene Dissidenten. Exemplarisch mag hierfür auch der einzige Ostdeutsche unter den fünf Regierungspräsidenten (RP) sein: Der RP von Leipzig, Christian Steinbach, entstammt den Umweltgruppen der DDR und ist mit den ökologischen Lasten seines Bezirks bestens vertraut.
Der Rangeffekt -je höher die Position, desto größer der Anteil Westdeutscher in der Verwaltungselite -ist auch im Verhältnis der Gebietskörperschaften zueinander zu beobachten. Von den Bonner Ministerien über die Ministerien der neuen Länder nimmt der Anteil Westdeutscher in Leitungspositionen auf Kommunalebene nochmals auf etwa 15 Prozent ab Charakteristischer als das Nebeneinander von West-und Ost-Personal ist für die personelle Gemengelage in der Kommunal-verwaltung allerdings die Konfrontation neuer Führungskräfte mit den alten Kadern. 3. Justiz-Elite Fachliche Differenzierung und Wachstum der Justiz können als eine der wichtigsten Konsequenzen der staatlichen Einheit angesehen werden. Zugleich stellte sich im Justizbereich mit besonderer Schärfe das Problem der Übernahme von DDR-Juristen wegen deren mangelnder Unabhängigkeit in der Vergangenheit und angenommener fehlender Rechtskenntnisse für die Zukunft. Im Juli 1990 waren Richterwahlausschüsse und nach der Bildung der Länder Überprüfungskommissionen eingerichtet worden, die regelmäßig von westdeutschen Richtern geleitet wurden. Im Juli 1990 amtierten in der DDR 2 896 Richter und Staatsanwälte. Von diesen wurden letztlich bis Januar 1993 29 Prozent übernommen (Tabelle 5). Allerdings hatten per Selbstselektion nur 65 Prozent einen Antrag auf Übernahme gestellt. Nach dem weiteren personellen Ausbau machte dieses Alt-Personal Anfang 1995 nur noch 22 Prozent aus. Ein weiteres Drittel (1993) bzw. ein Viertel (1995) wurde per Abordnung aus dem Westen gestellt, darunter entsprechend dem für die Verwaltung geltenden Rangeffekt regelmäßig das Präsidium der Oberge-richte. Der Anteil der Neurekrutierungen junger Juristen aus Ost und West stieg in diesem Zeitraum von 41 auf 53 Prozent. Entsprechend sank der Anteil der Leih-Juristen aus dem Westen bis Anfang 1995 von auf 23 Prozent der Richter und Staatsanwälte.
Das Land Berlin sah sich aufgrund der Ansässigkeit höchster DDR-Richter und politisierter sonstiger Juristen der Hauptstadt der DDR sowie wegen der anhängigen Verfahren zur Regierungskriminalität in einer besonderen Lage und übernahm kaum jemand in den Justizapparat 35, war dafür aber besonders auf personelle Unterstützung aus den alten Ländern angewiesen.
Die Landesverfassungsgerichte wurden erst 1995 gebildet; sie werden ebenfalls von Westimporten beherrscht, denn die Vorsitzenden müssen aus den Reihen der Gerichtspräsidenten stammen. Auch die sonstigen Berufsrichter, die den Verfassungsgerichten angehören müssen, scheinen der Herkunft nach westdeutsche Juristen zu sein. Aufgrund des parlamentarischen Verfahrens der Wahl der Verfassungsrichter gesellte sich jedoch bei der Stellenbesetzung zum Kriterium der Fachkompetenz auch das Repräsentationsprinzip; dies wurde besonders sichtbar bei der Wahl von Verfassungsrichtern, die der SED angehört hatten 4. Medien-Elite In diesem Sektor wird die duale Revolution strukturell besonders deutlich: Das zentralisierte, SED-gesteuerte Mediensystem (Presse, Funk/Fernsehen, Nachrichtenagentur ADN) wurde nach einer bis November 1989 analog zu den Prozessen im sonstigen Staatsapparat ablaufenden internen Elitezirkulation zunächst mit dem Medienbeschluß der Volkskammer vom Februar 1990 liberalisiert, um dann ab Juli 1990 unter der Regie der Treuhandanstalt teilweise privatisiert zu werden oder im Oktober in Länderhand überzugehen. Staatliche Zentralpositionen im Mediensystem (zuletzt das Medienministerium in der Regierung de Mai-ziere) entfielen mit der Vereinigung ersatzlos. Funk und Fernsehen hingegen blieben öffentlich-rechtlich und wurden mit der Bildung der Länder in drei Anstalten regionalisiert (abgewickelt und neu gegründet nach Art. 36 Abs. 6 Einigungsvertrag). Im Ergebnis bietet sich nach vollzogener Privatisierung (1992) der wichtigsten 30 regionalen und der 6 zentralen Tageszeitungen der DDR sowie von ADN ein duales Mediensystem in öffentlicher und privater, stark von westlichen Eigentümern kontrollierter Form
Aus der Medienelite der Transitionszeit (50) konnten lediglich 8 Personen, allesamt bei den Printmedien, ihre alte Position halten, und 6 weitere erlebten bei der Presse einen beruflichen Abstieg. 36 Personen erfuhren hingegen einen Positionsverlust, darunter alle bei Funk/Fernsehen und bei ADN Beschäftigten. Entsprechend der privat-rechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verfaßtheit der beiden Teilsysteme galten unterschiedliche Rekrutierungskriterien. Auf 43 Nachfolgepositionen blieben oder rückten bei der Presse überwiegend Ostdeutsche, bei Funk und Fernsehen vorwiegend Westdeutsche aus den Rundfunkanstalten der Partnerländer. In den Print-Medien gab es mit dem Übergang in Privateigentum keine Überprüfung durch die Gauck-Behörde. Hier sind Westimporte in die Chefredaktionen (4 von 19 Fälle) als „normale“ Maßnahme westdeutscher Konzernzentralen zu sehen, wie sie für den gesamten Wirtschaftssektor typisch sind. So wurde auch die Führungsschicht der ADN vom neuen Eigner ddp ausgetauscht.
Von den 21 Positionsinhabern bei Funk und Fernsehen stammten 1994 lediglich vier aus den neuen Bundesländern und besetzten in keinem Falle die Intendanten-Positionen. Schon in der Phase der Überführung in die drei Sender hatte es unter dem Rundfunkbeauftragten der Bundesregierung und dann unter den Gründungsintendanten der Länder eine gezielte Personalpolitik der Säuberung und Neurekrutierung gegeben.
Unterhalb der Spitzenpositionen, auf der Ebene der Redakteure und bei kleineren Zeitungen, nimmt einerseits der Anteil der seit 1989 kontinuierlichen Karrieren zu (61 Prozent, vor allem wiederum bei Printmedien), andererseits sinkt der Anteil der Westimporte auf 18 Prozent (beim Fernsehen 40 Prozent). Damit wiederholt sich bei den Medien das schon aus Verwaltung und Justiz bekannte Rekrutierungsmuster: Je höher die Position, desto wahrscheinlicher ist eine Besetzung mit Westpersonal.
Das hier für einzelne, ausgewählte Funktionseliten nach rund fünf Jahren Elitezirkulation gezeichnete Bild entspricht weitgehend dem Ergebnis der 1995 durchgeführten Potsdamer Elite-Untersuchung Angemessen repräsentiert war in der nationalen Elite erwartungsgemäß die ostdeutsche parlamentarische Elite in Landtagen und Bundestag (32, 1 Prozent aller befragten deutschen Spitzenpolitiker), während die anderen funktionalen Eliten aus den neuen Ländern deutlich dahinter zurückblieben: Bei Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden betrug der ostdeutsche Anteil auf Bundesebene nur 8, 1 bzw. 12, 4 Prozent, in der Medien-Elite 11, 7 Prozent, im Kulturbereich 12, 9 Prozent und in der Wissenschaft 7, 4 Prozent. Total unterrepräsentiert waren Ostdeutsche beim Militär (null), unter Managern (1 Person) und in der Verwaltungselite (12 = 2, 5 Prozent dieser sektoralen Elite). Insgesamt machten Ostdeutsche daher nur 11, 6 Prozent (272) des gesamten nationalen Elite-Samples (2 341) aus.
Neben dem Fortfall zentraler Institutionen der DDR und der damit verbundenen Schrumpfung des Feldes von Elitepositionen auf nationaler Ebene sind es im wesentlichen drei systematische Faktoren, die für die disproportionale Repräsentation Ostdeutscher außerhalb des parlamentarischen Sektors verantwortlich sind. Zugleich erklären diese sich gegenseitig ergänzenden Bedingungen den Sonderfall „Ostdeutschland“ in der Transitionsforschung. 1. Ernennungs-versus Delegationseliten Neben der Stabilisierung der nahezu totalen Elitezirkulation innerhalb der Politik gewinnt die Wiedervereinigung außerhalb des Sektors der Politik für die Elitezirkulation dadurch größte Bedeutung, daß ein Eliteimport historisch beispiellosen Ausmaßes aus dem Westen einsetzte, um die wenigen übriggebliebenen und die meisten neu geschaffenen Elitepositionen vor allem in Justiz, Verwaltung, Militär und sonstigem öffentlichem Sektor, aber auch partiell in Verbänden und in den Großunternehmen zu füllen. Was mit westdeutschen Regierungsberatern der Regierung de Maiziere und der Leitung der Treuhandanstalt durch Westdeutsche schon vor der Wiedervereinigung seinen Anfang genommen hatte, setzte sich mit der Rekrutierung von Exekutivpolitikern, der Verwaltungsspitze der Länder, der Gerichtspräsidenten, der Stabsoffiziere der Bundeswehr, der Leitung in Rundfunk-und Fernsehanstalten, der öffentlich-rechtlichen Banken, der Verbandsgeschäftsführer und vieler Universitätsprofessoren fort. Neue Köpfe in der politischen Arena der neuen Länder und unter ostdeutschen Bundestagsmitgliedern, aber zugleich Dominanz der Westdeutschen in Elitepositionen der nichtparlamentarischen Sektoren der neuen Länder und in zentralen staatlichen Institutionen kennzeichnen die Lage sechs Jahre nach der Wiedervereinigung.
Diese Asymmetrie wird überlagert von dem schon erwähnten doppelten Rangeffekt: Je höher die Position in Verwaltung und Justiz, Rundfunkanstalten oder Banken, desto höher ist der Anteil Westdeutscher; je niedriger die Ebene im Staats-aufbau, desto häufiger ist ostdeutsches Leitungspersonal vertreten. Je größer das Wirtschaftsunternehmen, desto wahrscheinlicher ist es unter westdeutscher Kapital-und Personalkontrolle. Je weiter man in den Organisationen: Ministerien, Gerichten, Rundfunkanstalten, Banken oder Privatunternehmen hinabsteigt, desto häufiger begegnen einem andererseits Ostdeutsche auch schon auf der mittleren Leitungsebene. Aber sie gehörten nicht zur Altelite, sondern kommen aus dem mittleren Management der DDR oder sind nicht selten „Außenseiter“ -daher die doppelte Mischung aus Ost und West, Alt und Neu unterhalb der obersten Leitungsebene.
Diese Skizze verweist auf den von Wolfgang Zapf herausgearbeiteten Unterschied zwischen Ernennungs-und Delegationseliten. In Parlamenten, ostdeutschen Regierungen und Gemeinden sowie bei den Verbänden, also in Systemen, die mitgliedschaftlich und nicht herrschaftlich verfaßt sind und die sich daher des Wahlmechanismus zur Rekrutierung in Spitzenpositionen bedienen, gelten Eliteimport und Rangeffekt nämlich nicht oder nur eingeschränkt (Landesregierungen); bei diesen Delegationseliten gilt das Wohnsitzprinzip, und hier präsidieren naturgemäß Einheimische, ganz überwiegend Ostdeutsche und nur in Ausnahmefällen zugezogene Westdeutsche. Aber gewählte Ostdeutsche berufen dennoch oft Experten aus dem Westen an ihre Seite, um den neuen systemtypischen Anforderungen des Rechtsstaats und der kapitalistischen Wirtschaft genügen zu können; daher treffen wir auf Westdeutsche als Geschäftsführer bei den regionalen kommunalen Verbänden und vielen Gewerkschaften, ja sogar an der Spitze der Landtagsverwaltungen; und hieraus erklärt sich der Eliteimport in Verwaltung und Justiz oder in die Professorenschaft vor allem der juristischen und der wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen Fakultäten. 2. Öffentlich-rechtliche versus privatrechtliche Positionen Eine weitere Differenzierung der seit 1990 konsolidierten Elite erreicht man, wenn man die institutioneile Transformation und speziell die Privatisierung eines Teils des vormaligen DDR-Staatsapparats berücksichtigt. Besonders deutlich wurde die unterschiedliche Elitezusammensetzung im Bereich der Medien. Während die Printmedien privatisiert worden waren und sich hier eine relativ hohe Elitekontinuität der Transitionselite zeigen ließ, ist für den zwar dezentralisierten, aber öffentlich-rechtlich verfaßten Rundfunk-und Fernsehbereich nicht nur keine Elitekontinuität, sondern wiederum die Dominanz einer westdeutschen Elite kennzeichnend. Ähnliches gilt für Großunternehmen und den Bankensektor. Auflösung von Institutionen und Kündigung des Personals („Abwicklung“) oder politische Säuberung bei institutioneller Kontinuität schufen die Vakanzen, in die wie bei den genuinen institutioneilen Neugründungen zum Beispiel im Justizbereich westdeutsche Führungskräfte rekrutiert wurden. Die für den öffentlichen Sektor obligatorische StasiÜberprüfung hielt oft von vornherein exponierte Personen davor zurück, sich um Elitepositionen zu bewerben. Aber auch in privatrechtlichen Organisationen fanden als belastet geltende Personen kaum eine Karriereanknüpfung, wenn diese Organisationen nach ihrer Größe bedeutend waren; dann gelangten sie nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit unter westliche Kapitalkontrolle, und ihre Spitzenpositionen wurden per Eliteimport besetzt. Was für noch nicht im Rentenalter stehende Mitglieder der DDR-Elite blieb, waren daher bescheidene privatwirtschaftliche Existenzen zum Beispiel als Anwalt, aber eben keine Elitepositionen. Selbst beim management buy-out mittlerer Unternehmen achtete die Treuhandanstalt darauf, ob die Bewerber auch nicht politisch belastet waren, so daß sich auch in diesem Bereich eine Karrierefortsetzung nur für die technische DDR-Intelligenz aus dem mittleren Management der zentral verwalteten Betriebe anbot 3. Revolutionstyp, Transition und Elitezirkulation Zwar ist in allen Staaten des früheren Ostblocks die alte herrschende Elite recht schnell nach der Revolution abgesetzt oder abgewählt worden;
aber in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat sich meistens eine Elitezirkulation vollzogen, die, wie gesagt, Personen aus dem zweiten Glied der Kommunistischen Partei an die Macht getragen hat. Das gilt besonders dort, wo wie in Polen und Ungarn die konvertierten Kommunisten später in freien Wahlen wieder in die Regierung gelangt sind. Vergleichbares hat sich weder im März 1990 in der DDR noch danach in der Bundesrepublik ereignet. Das liegt nicht nur an den relativ günstigen Bedingungen der ökonomischen Transformation, sondern auch daran, daß sich die Revolution in der DDR auch im Hinblick auf die politische Säuberung in einem systematischen Verfahren ab Mitte 1990 von der in allen anderen 1989er Staaten unterscheidet. Nur hier wurde eine systematische politische Säuberung durchgeführt. Die meisten anderen Länder versuchten dies nicht einmal; in Polen ist eine ähnliche Überprüfung von Inhabern öffentlicher Ämter politisch gescheitert, und in der seinerzeitigen Tschechoslowakei war die „Durchleuchtung“ zeitlich und auf bestimmte Funktionen begrenzt worden. Dieser Unterschied im Verlauf der Transition hat mit dem Typus der Revolution zu tun. Denn der Fall der DDR -wie der der Tschechoslowakei -zeichnet sich durch das vergleichsweise hohe Tempo der Revolution aus. Der widerstandslose Abgang der alten Eliten in beiden bis zuletzt reformfeindlichen Staaten hat das Bild einer Implosion der Macht vermittelt. Während es in Rumänien explosiv zuging und Rußland unter Gorbatschow eine „Revolution von oben“ versuchte, vollzog sich in Polen und in Ungarn der Typ der verhandelten Revolution In diesem Falle des Reformkompromisses zwischen alter Elite und Systemkritikern kam es letztlich nicht zu einer völligen Delegitimierung des Ancien rgime und der sie tragenden Parteien, sondern zur Aufteilung der politischen Macht. Die SED/PDS hingegen hat sich in Wahlen nicht einmal auf Landesebene als Regierungspartei relegitimieren können.
Daß allerdings die Elitezirkulation in Ostdeutschland insbesondere in den Ernennungseliten unvergleichlich viel tiefgreifender ausfallen konnte als in der CSFR, läßt sich nur aus der mit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands möglichen Sonderkonstellation erklären: der Existenz eines externen Elitereservoirs im Westen, aus dem in historisch beispiellosem Ausmaß Führungspersonal gewonnen werden konnte. Zugleich reduzierte der Fortfall zentraler DDR-Institutionen den Ersatzbedarf an politisch unbelasteten Experten vor allem in den Ernennungseliten. Eine derartig tiefgreifende Elitezirkulation wäre in keinem anderen Land bei Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Institutionen möglich gewesen; daraus erklärt sich der häufige Aufstieg aus dem zweiten Glied mit dem Ergebnis der Reproduktion der bekannten Elitenzusammensetzung. Andernfalls wäre ein massives Elitenvakuum entstanden, das bei Besetzung aus einer herrschaftsfernen Gegenelite nur um den Preis einer Dilettantisierung exekutiver und judikativer Institutionen hätte geschlossen werden können
Es ist diese spezielle, mit der Wiedervereinigung möglich gewordene Konstellation von reduziertem Elitebedarf infolge des Fortfalls zentraler DDR-Institutionen und Existenz eines externen Elitereservoirs, die eine nahezu totale Elitezirkulation ermöglichte. Anders als nach der Revolution von 1919 ist die administrative Elite des Ancien regime von der Bildfläche verschwunden, und prominente Richter der DDR werden die Bundesrepublik nicht belasten wie nach 1949 Juristen des NS-Regimes. Dieser systemische Unterschied wird wohl am einprägsamsten dadurch verdeutlicht, daß der Moskauer KP-Chef Jelzin nach dem Regimewechsel russischer Staatspräsident wurde, sein Kollege, der Ostberliner SED-Chef Schabowski, hingegen Redakteur bei einem regionalen Anzeigenblatt -zudem in Westdeutschland.
Hans-Ulrich Derlien, Dr. rer. pol., geb. 1945; Soziologe; Professor für Verwaltungswissenschaft an der Universität Bamberg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Hellmut Wollmann, Klaus König, Wolfgang Renzsch und Wolfgang Seibel) Transformation der politisch-administrativen Strukturen in Ostdeutschland, Opladen 1997; Elite-zirkulation und Institutionenvertrauen, in: Berliner Journal für Soziologie, (1997) 4; Zur Logik und Politik des Ressortzuschnitts, in: Verwaltungsarchiv, (1996) 4; Regierung und Verwaltung in der räumlichen Zweiteilung, in: Werner Süß (Hrsg.), Hauptstadt Berlin, Bd. 2, Berlin 1995.
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