„Differenzierte Hochschulen“
Ein Plädoyer für mehr Effizienz und Durchlässigkeit
Heike Solga
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Zusammenfassung
Seit Januar 1996 wurden im „Ringberger Kreis“, einer Gruppe von Studenten, Doktoranden und jungen Wissenschaftlern, Probleme des deutschen Hochschulsystems diskutiert und Vorstellungen für notwendige Veränderungen erarbeitet. Sie bündeln sich im Modell der „differenzierten Hochschulen“, das in diesem Beitrag beschrieben wird. Die Grundidee der „differenzierten Hochschulen“ ist es, Differenzierungen innerhalb und zwischen den Hochschuleinrichtungen für eine effizientere Gestaltung des Studiums zu nutzen. Das Studium wird unterteilt in ein fachspezifisches Basisstudium mit anschließenden modularen Aufbaustudiengängen (1. forschungsorientierter, 2. didaktisch orientierter, 3. anwendungsorientierter und 4. interdisziplinärer Studiengang). Sowohl das Basisstudium als auch die modularen Aufbaustudiengänge werden an allen Hochschuleinrichtungen (an Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen unterschiedlichster Richtung sowie an Berufsakademien) angeboten; die Abschlüsse sind . gleichwertig 4, wodurch Wechsel zwischen (Fach-) Hochschulen möglich werden. Das fachspezifische Basisstudium und die modularen Aufbau-studiengänge müssen so gestaltet sein, daß sie mit den international anerkannten und verbreiteten Studiengängen und -abschlüssen , Bachelor 1 und , Master 1 kompatibel sind. Das Modell der „differenzierten Hochschulen“ hat zwei große Vorteile. Erstens: Nach dem Abschluß des Basisstudiums können und werden viele Studentinnen und Studenten die Hochschulen verlassen und früher ins Erwerbsleben eintreten. Zweitens: Das Modulsystem der Aufbaustudiengänge ermöglicht eine schnellere und flexiblere Reaktion auf veränderte Anforderungen des Arbeitsmarktes, die Mehrfachverwendung einzelner Studienblöcke für verschiedene Studiengänge und damit eine effektivere Nutzung der vorhandenen Ressourcen sowie eine zielgenauere Ausrichtung von Qualifikationsbemühungen.
I. Der Zustand schreit nach Taten!
An unseren Hochschulen und Universitäten studieren derzeit 9 Millionen Studentinnen und Studenten. Sie , teilen 1 sich 950 000 Studienplätze 1. Zwei Drittel der Studierenden müssen heute nebenher arbeiten -jobben um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ein Stipendium nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz -kurz: Bafög -erhalten in den alten Bundesländern nur 32, 6 Prozent der Studentinnen und Studenten Konträr zu den sich daraus eigentlich ergebenden Anforderungen ist der Anteil der Hochschulausgaben am Bruttoinlandsprodukt seit 1978 um ein Drittel gesunken Mit Recht wird daher von einer staatlichen , Unterfinanzierung 1 des deutschen Hochschulsystems gesprochen. S Prozent der Studentinnen und Studenten 2. Konträr zu den sich daraus eigentlich ergebenden Anforderungen ist der Anteil der Hochschulausgaben am Bruttoinlandsprodukt seit 1978 um ein Drittel gesunken 3. Mit Recht wird daher von einer staatlichen , Unterfinanzierung 1 des deutschen Hochschulsystems gesprochen. Sie führte -und führt -zur Einsparung von Personalmitteln mit der Folge, daß die steigende Zahl von Studierenden mit immer weniger Personal , bewältigt 1 werden muß. Während 1970 im Durchschnitt zirka zehn Studierende auf eine Stelle wissenschaftlichen Personals an westdeutschen Universitäten und Hochschulen kamen, sind es seit 1991 doppelt so viele, nämlich mehr als 20 Studierende pro Stelle 4.
Der Studentenstreik im vergangenen Herbst/Winter hat noch einmal klargemacht, daß es so nicht weitergehen kann. Von den Streikenden wurden unter anderem die folgenden Forderungen erhoben: Verbesserung der Qualität der Lehre (zum Beispiel durch eine personelle und finanzielle Aufwertung der Lehre); Sicherstellung einer staatlichen Finanzierung der , Grundarbeitsmittel der Universitäten und Hochschulen (zum Beispiel ausreichende Bibliotheksmittel, eine möglichst lückenlose Ergänzung der wissenschaftlichen Literatur sowie längere Öffnungszeiten der Bibliotheken; Mittel zur notwendigen Ausstattung der Hochschulen mit Computern und Laborarbeitsplätzen); Gewährleistung einer angemessenen Betreuung der Studierenden durch Lehrpersonal (statt Professuren und Stellen im Mittelbau bei ihrem Freiwerden zeitweise zu sperren oder gar wegfallen zu lassen, muß es mehr Stellen geben); eine bessere Organisation des Studienbetriebes, um ein effizientes Studieren zu ermöglichen. Alle Seiten haben in dieses Klagelied eingestimmt und ihre Sympathie für die Forderungen der Studierenden bezeugt: der Bundespräsident, der Bildungsminister, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die Universitätspräsidenten, die Professorinnen und Professoren sowie ihre Assistentinnen und Assistenten und die Vertreter der Parteien. Relativ unstrittig ist auch, daß die , Provinzialität 1 des deutschen Studiums der Internationalisierung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik der Bundesrepublik Deutschland entgegensteht. Das Festhalten am deutschen Diplom, an der deutschen Sprache als Wissenschafts-und Unterrichtssprache sowie die überzogenen Studienzeiten behindern die Mobilität im deutschen wie im internationalen Rahmen der dort Lehrenden und Studierenden.
Natürlich ist . Bildungohne Geld nicht möglich. Doch jenseits der finanziellen Misere sind auch inhaltliche Defizite zu konstatieren: Eine Reform der Hochschule ist unabdingbar. Zunächst gilt es zu fragen, wer denn da heute eigentlich an deutschen Universitäten studiert. „Unsere universitären Studiengänge (sind) noch oft so strukturiert, als ob die Studierenden allesamt zu potentiellen Wissenschaftlern ausgebildet werden müßten. 5 Doch die Interessen, Fähigkeiten und Neigungen der Studentinnen und Studenten sind mit ihrer wachsenden Zahl immer heterogener geworden. 80 Prozent der Studierenden geht es vor allem um die Erlangung konkreter beruflicher Qualifikationen 6. Diese unterschiedlichen Interessen machen eine Liberalisierung des Studiums und Differenzierung des Bildungsangebots erforderlich.
Vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auch nicht, daß ein Teil derjenigen Abiturienten, die heute in die Hochschulen drängen, sich auch eine Ausbildung im dualen System hätte vorstellen können. Schon aus diesem Grunde wäre es sinnvoll, einen vollwertigen akademischen Abschluß unterhalb des Diploms einzuführen. Die Studierenden hätten dann die Möglichkeit, ihren Aufenthalt an der Hochschule merklich zu verkürzen -die Hochschulen wären in den höheren Studienjahren deutlich entlastet -und trotzdem einen Studienabschluß zu erwerben. Es müßte sich dabei um Abschlüsse handeln, die ein Wissens-und Fertigkeitsprofil zertifizieren, das auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird. Für die Einführung eines solchen Studienabschlusses gibt es -neben anderen positiven Aspekten, auf die später noch hingewiesen wird -zwei wesentliche Argumente: Erstens: Die derzeitige Situation und die absehbare wirtschaftliche Entwicklung sprechen nicht dafür, daß alle Jugendlichen, die eine Berufsausbildung aufnehmen wollen, von der Wirtschaft mit Lehrstellen versorgt werden können. Insofern wird ein Teil von ihnen auch in Zukunft in die Hochschulen „drängen“. Zweitens: Die gegenwärtige Entwicklung legt nahe, daß die Berufsbilder zukünftiger Dienstleistungsberufe sich weniger als bisher in klar umgrenzten Ausbildungsprofilen der dualen Ausbildung einfangen lassen. Vielmehr scheinen nun Fähigkeiten und Kompetenzen in den Vordergrund zu treten, die man sich eher in einem akademischen Umfeld aneignen kann, so zum Beispiel die Fähigkeit zu eigenständigem Lernen oder zur Kooperation in interdisziplinären Arbeitszusammenhängen.
Dies muß bei der Suche nach einer inhaltlichen Erneuerung der Hochschulausbildung berücksichtigt werden. Während zweier Treffen, die auf Schloß Ringberg (Januar 1996) und auf Kloster Banz (Februar 199) 7 stattfanden, wurde das Konzept der „differenzierten Hochschulen“ entwickelt (siehe Abbildung 1).
Was diesen Entwurf von der Vielzahl der diskutierten Modelle vielleicht unterscheidet, ist, daß er vor allem von den Hauptleidtragenden’ der gegenwärtigen Hochschulmisere (von Studentinnen und Studenten an Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen, Doktorandinnen und Doktoranden sowie von jungen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Hochschulen, Forschungseinrichtungen und in der Industrie) entwickelt wurde (kurz: dem „Ringberger Kreis“). Auf einem weiteren Treffen in Berlin-Köpenick (November 1997) wurde dieses Konzept mit Vertretern des Wissenschaftsrats, des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBFT), der VW-Stiftung und des Zentrums für Hochschulentwicklung Gütersloh kritisch diskutiert. Die Ergebnisse dieser drei Treffen und unsere Antworten auf die oben genannten Fragen sollen im folgenden dargestellt werden.
II. „Differenzierte Hochschulen“: Strukturelle und inhaltliche Überlegungen zur Verbesserung des Studiums
Abbildung 2
Abbildung 2: Evaluierung von Forschung und Lehre
Quelle: Überlegungen des „Ringberger Kreises“.
Abbildung 2: Evaluierung von Forschung und Lehre
Quelle: Überlegungen des „Ringberger Kreises“.
Die grundlegende Idee der „differenzierten Hochschulen“ besteht darin, zwischen einem fachspezifischen Basisstudium und modularen Aufbaustudiengängen zu unterscheiden, die jeweils zu einem akademischen Abschlußführen (siehe Abbildung 1). Der Abschluß des fachspezifischen Basisstudiums wäre demnach der erste akademische Abschluß; er sollte dem angelsächsischen , Bachelor 1 entsprechen. Der Abschluß der modularen Aufbaustudiengänge wäre der zweite akademische Abschluß, wobei die jeweilige Spezifik im Zeugnis auszuweisen wäre. Dieser sollte dem , Master 1 entsprechen. Der dritte mögliche akademische Abschluß wäre die Promotion Dieses Modell setzt vor allem auf eine vertikale Differenzierung innerhalb der Hochschulausbildung. Zugleich bietet es Raum für eine sinnvolle und produktive Nutzung der vorhandenen horizontalen Differenzierung des Hochschulsystems. Das heißt, sowohl das Basisstudium als auch die modularen Aufbaustudiengänge werden an allen Hochschuleinrichtungen (an Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen unterschiedlichster Richtung sowie an Berufsakademien) angeboten, die Abschlüsse sind „gleichwertig’; damit werden Wechsel zwischen (Fach-) Hochschulen möglich. Das Profil des Studiums sollte der Spezifik der jeweiligen Studieneinrichtung entsprechen.
Sowohl das fachspezifische Basisstudium als auch die modularen Aufbaustudiengänge müssen so gestaltet werden, daß sie mit den international anerkannten und verbreiteten Studiengängen und -abschlüssen (, Bachelor'und , Master') kompatibel sind. Diese Kompatibilität läßt sich nicht dadurch herstellen, daß das Vordiplom einfach zum , Bachelor'und das deutsche Diplom zum , Master'umbenannt werden. Vielmehr müssen die Struktur des Studiums und die in den jeweiligen Studien-abschnitten vermittelten Kenntnisse auch wirklich den internationalen Standards entsprechend neu gestaltet werden.
Unerläßlich für eine Internationalisierung ist unter anderem die Einführung eines sogenannten Credit-Point, also Leistungs-Punkte-Systems, wie es im Entwurf des neuen Hochschulrahmengesetzes vorgesehen ist. Das Credit-Point-System würde nicht nur den Transfer von Studien-und Prüfungsleistungen und damit innerdeutsche und internationale Mobilität erlauben, sondern auch eine angemessene Qualität und Vergleichbarkeit der Abschlüsse und Studienleistungen sicherstellen bzw. ermöglichen -da es einheitlich und transparent die individuell erreichten Qualifikationsstände dokumentiert. Über die Vorgabe der Anteile der zu erreichenden , credits'(Punkte) in einzelnen Wissensbereichen gibt man den Studierenden einerseits den notwendigen Freiraum, das Studium entsprechend individuellen Interessen und Fähigkeiten zu gestalten. Andererseits können diese Vorgaben zugleich als notwendige -und oft eingeklagte -Orientierungshilfen bei der Gestaltung des Studiums dienen. Sie erlauben aber auch -daran besteht kein Zweifel -eine bessere Kontrolle von Studienleistungen und -Zeiten sowie ein schnelleres Ergreifen von gegebenenfalls notwendigen Maßnahmen seitens der Lehrenden und Hochschulen.
Darüber hinaus ist die Aufhebung des Ortsverteilungsverfahrens erforderlich, und zwar generell und nicht nur für die 25 Prozent der besten Abiturientinnen und Abiturienten, wie es der Entwurf des neuen Hochschulrahmengesetzes vorsieht. Die derzeit zentrale Zuweisung von Studentinnen und Studenten nach dem Regionalprinzip widerspricht der notwendigen Differenzierung von Bildungsangeboten. Differenzierung ist nur dann sinnvoll, wenn Studienwillige zwischen verschiedenen Bildungsangeboten frei wählen können.
Bevor mm das Modell der „differenzierten Hochschulen“ im einzelnen beschrieben werden soll, sind noch drei weitere Vorbemerkungen notwendig: Hervorzuheben ist erstens, daß gemäß Artikel 12 des Grundgesetzes: „Jedem seine Studienchance“ auch in diesem Entwurf vom Abitur als Zugangs-berechtigung zu allen Studiengängen ausgegangen wird: Wer ein Abitur vorweisen kann, darf studieren. Von einer Reglementierung des Zugangs durch , Intelligenztests'oder Eignungstests ist abzusehen. Eine gezielte Auswahl von Studentinnen und Studenten (für das fachspezifische Basisstudium) sollte auch weiterhin nur in Numerus-clausus-Studienfächern zulässig sein. Die Abiturienten sollten im Basisstudium unter Beweis stellen bzw. herausfinden, ob sie die notwendige Qualifikation für ihr Studium mitbringen, und ob sie das . richtige'Studienfach gewählt haben. Basierend auf den Ergebnissen ihres Basisstudiums könnte dann eine Auswahl für die höheren Aufbaustudiengänge erfolgen. Die Öffnung der Universitäten für breitere Schichten der Bevölkerung war richtig, die Chancengleichheit als demokratisches Ziel gilt es auch weiterhin mit allen Mitteln zu verteidigen.
Zweitens geht das Modell vor allem bei seinen zeitlichen Vorstellungen von einem Vollzeitstudium als Regelfall aus. Wie bereits oben erwähnt, ist diese Annahme nicht ganz unproblematisch, müssen doch zwei Drittel aller Studierenden heute nebenher jobben'. Bezahlte Mitarbeit von Studentinnen und Studenten in Forschung und Lehre wäre ein Weg aus der Misere, Voraussetzung dafür die Finanzierung einer entsprechenden Zahl von studentischen Hilfskraftstellen. Derartige Stellen würden nicht nur der Sicherung des materiellen Lebensunterhalts dienen, sondern auch die Verbindung von Theorie und Praxis fördern. Die Studierenden könnten ihr erworbenes Wissen anwenden und erproben, was sich positiv auf das Studium auswirken würde. Da dies jedoch für die Mehrzahl der Studierenden eine Wunschvorstellung bleiben wird, ist auf die Möglichkeit des Teilzeitstudiums -basierend auf dem Credit-Point-System und dem modularen Aufbau der höheren Studiengänge -hinzuweisen, das eine sequentielle und damit zeitlich gestreckte Erbringung von Studienleistungen erlaubt. Auch wird durch die Modularität des Studienangebots in aufeinander abgestimmten und jeweils in sich geschlossenen Studieneinheiten der Quer-und Wiedereinstieg sowie die Transparenz der bisher erbrachten Leistungen ermöglicht (siehe dazu Kapitel III). Drittens schließlich sei angemerkt, daß im weiteren keine Ausführungen zur finanziellen Misere sowie zur Diskussion um Studiengebühren gemacht werden. Über Studiengebühren kann nur -das haben die drei Diskussionsrunden ergeben -sinnvoll im Zusammenhang mit dem Aufbau eines gut funktionierenden Stipendiensystems (wie es in den Ländern mit Studiengebühren vorhanden ist) diskutiert werden.
Im folgenden werden die konzeptionellen Überlegungen zu den „differenzierten Hochschulen“ detaillierter vorgestellt. 1. Fachspezifisches Basisstudium Ziel des fachspezifischen Basisstudiums ist es, bei der Lösung konkreter Probleme im gewählten Studienfach Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens beherrschen zu lernen. Nicht um ein , Pauken 1 von abrufbarem Wissen soll es gehen -wissenschaftliche Fakten sind ohnehin von geringer Haltbarkeit -, vielmehr sollen die Studierenden lernen. Wissen systematisch zu erschließen, zusammenzufassen, in Thesenform aufzubereiten, Argumentationsketten aufzubauen, akkumuliertes Wissen bei der Lösung konkreter Probleme anzuwenden und Positionen zu verteidigen. Insofern sollten alle Veranstaltungen des Basisstudiums dazu dienen, selbständiges Arbeiten zu üben sowie Denkprozesse anzuregen, bei denen aus Information Wissen entsteht. Das beinhaltet auch die Präsentation von Wissen in Wort und Schrift: Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, wissenschaftliche Texte zu schreiben bzw.deren Inhalt zu referieren, das heißt, ein wissenschaftliches Problem zu lösen und die gefundenen Ergebnisse zu präsentieren.
Aus diesen Überlegungen ergeben sich zunächst folgende Schlußfolgerungen für die Wissensvermittlung, die Lehre: Es sind solche Lehrformen zu wählen, die -in kleinen Gruppen -intensive Diskussionen sowie eine aktive Mitarbeit der Lernenden erfordern und fördern. Zugleich sollten die Anforderungen etwa an schriftliche Ausarbeitungen (wie Hausarbeiten) oder Vorträge bzw. Referate genau spezifiziert werden. Massenveranstaltungen wie Vorlesungen und Kurspraktika gleicher Größenordnung sollten eher die Ausnahme darstellen. Vorlesungen sollten sich auf Einführungsveranstaltungen beschränken. Vorzuziehen sind Lehrformen wie Seminare, betreute Projekte, Tutorate, Gruppenprojekte und problemzentrierte Praxiseinheiten. Darüber hinaus sind mit Blick auf die Internationalisierung des deutschen Studiums (und der Vorbereitung auf Auslandsstudienaufenthalte) englischsprachige Literatur und ausländische Gastdozenten bereits ab dem ersten Halbjahr in die Lehre einzubeziehen.
Für die Aneignung systematischen Grundlagen-wissens sollten vorhandene Multimedia-und Telekommunikations-Angebote, die zum eigenständigen Erarbeiten von Wissensstoff geeignet sind, einbezogen werden. Dies könnte Lehrende, den Vorlesungs-wie Tutorenbetrieb von Routineaufgaben entlasten Zwei Aspekte sind dabei jedoch im Auge zu behalten: Zum einen besteht bei zu starker Konzentration auf medienvermittelten Wissenserwerb die Gefahr der Ausdünnung von sozialen Beziehungen zum anderen ist sicherzustellen, daß alle Studierenden gleichermaßen Zugang zu diesen Angeboten bekommen, da sonst das Ziel der Chancengleichheit konterkariert wird und soziale Ungleichheiten verstärkt werden.
Die einzelnen Wissensbereiche werden in intensive und kompakte Blöcke gegliedert. Jeder Block setzt sich aus verschiedenen Lehrformen zusammen: Vermittlung allgemeiner Inhalte und Erarbeitung der theoretischen Aspekte in einer Kombination aus Seminaren und tutorierten Hausarbeiten. praktisches Arbeiten in kleinen Gruppen anhand eines Projekts, eventuell unterstützt von Kurspraktika. Die Blöcke beginnen und enden zu definierten Zeiten im Semester (z. B. im Sechs-Wochen-Rhythmus). um eine Kombination verschiedener Blöcke zu ermöglichen. Für jeden Block erhalten die Studierenden eine definierte Gutschrift an . credits 1 sowie einen Nachweis über die Qualität der erbrachten individuellen Leistung.
Schon während des Grundstudiums sollten einige dieser Blöcke frei wählbar und kombinierbar sein. Die einheitliche Bewertung der Blöcke wird über das Credit-Point-System gewährleistet. Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade der Blöcke können über die jeweils erreichbare Zahl an gutgeschriebenen , credits 1 ausgedrückt werden. Das heißt, es wird einheitlich -für alle Hochschul-und Fachschuleinrichtungen -eine bestimmte Anzahl von . credits'definiert, die für die Erlangung des Basisabschlusses notwendig sind. Über die unterschiedliche Vergabe von , credits 1 für einzelne Lehreinheiten kann eine relative Gewichtung dieser vorgenommen und damit eine Einheitlichkeit der Qualität der Abschlüsse gewährleistet werden.
Dies eröffnet zugleich die Möglichkeit, in den ersten Studienjahren einer -bislang beklagten -Orientierungslosigkeit der Abiturientinnen und Abiturienten zu begegnen. Die Struktur des Basisstudiums wird durch festgelegte Anteile an Pflicht-, Wahlpflicht-und freien Fächern bestimmt. Vorstellbar wäre beispielsweise eine Relation von 60 Prozent der zu erbringenden , credits 1 in Pflichtfächern, 20 Prozent in weiteren Fächern der jeweiligen Fachrichtung nach eigener Wahl und 20 Prozent in beliebigen Studienblöcken, die an der jeweiligen Einrichtung angeboten werden. Eine derartige Organisation verbindet die Vorgabe von Mindestanforderungen mit der Möglichkeit, eigene Interessen zu entwickeln. Außerdem wäre es wünschenswert, ein Studium generale einzuführen, um die fachliche Qualifizierung mit einer allgemeinen Persönlichkeitsbildung zu verbinden. Damit würde die Voraussetzung geschaffen, daß „Spezialisten wieder dialogfähig werden“
Zugleich sollten im Rahmen des fachspezifischen Basisstudiums Berufsbilder vorgestellt werden, in denen die Studierenden ihre Neigungen, Begabungen und Schwächen spiegeln, um so besser entscheiden zu können, ob sie nach Abschluß des Basisstudiums weiter studieren oder welche Spezialisierung bzw. Ausrichtung sie ggf. wählen wollen. Dazu sollten Vertreter verschiedener Berufs-wege als externe Dozentinnen und Dozenten in die Lehrtätigkeit mit einbezogen werden. Dies könnte im Rahmen von Seminaren geschehen, aber auch in externen Praktika.
Das Basisstudium kann an allen Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen sowie Berufsakademien absolviert werden. Diese sollten und können ihre spezifische institutioneile Ausrichtung beibehalten. Um eine Gleichwertigkeit der Abschlüsse sowie einen Wechsel zwischen ihnen zu ermöglichen, müssen die Anforderungen für einen Basisabschluß einheitlich durch Vorgaben bei der Vergabe von , credits‘ definiert werden. Beendet wird das fachspezifische Basisstudium mit einer etwa einsemestrigen, selbständigen schriftlichen Arbeit, die in Form eines öffentlichen Vortrages zu verteidigen ist. Die in den einzelnen Blöcken erworbenen Kreditpunkte und Zensuren sind zusammen mit der selbständigen Abschlußarbeit die Voraussetzung für den fachspezifischen Basisabschluß, der in einer definierten Zeit von sechs bis sieben Semestern abzulegen ist. Dieser erste akademische Abschluß entspricht dem angelsächsischen Bachelor-Grad.
Nach dem Basisabschluß gibt es die Möglichkeiten, eine Berufstätigkeit aufzunehmen oder das Studium im modularen System fortzusetzen. Im Gegensatz zum generellen Zugang zum Basisstudium bei Vorliegen des Abiturs ist der Zugang zu den modularen Aufbaustudiengängen leistungsabhängig. Auf der Grundlage der erbrachten Studienleistungen im Basisstudium wird eine Selektion seitens der Hochschuleinrichtungen vorgenommen. Es gilt herauszufinden, a) wer die notwendigen Leistungen vorweisen kann, um (überhaupt) ein Aufbaustudium aufzunehmen, und b) wer aufgrund der gezeigten Leistungen zu welchem der modularen Aufbaustudiengänge zugelassen werden kann. Letzteres beinhaltet auch die Festlegung eines bestimmten Anteils an Fächern, die im Basisstudium belegt werden mußten, da sie für den jeweiligen modularen Studiengang die Eingangsvoraussetzung sind. Klar ist, daß es hier zu Ausleseprozessen kommt, die einerseits einen Leistungsansporn im Basisstudium darstellen und andererseits gewährleisten, daß hohe Leistungen in den höheren Studiengängen erbracht werden können. Die Definition der Zugangsvoraussetzungen (zertifizierte Leistung im Basis-Abschluß) für die unterschiedlichen modularen Studiengänge einer Fachrichtung differieren je nach Anforderungen. 2. Modulare Aufbaustudiengänge Wer nach dem Basisstudium weiter studieren will, muß sich nun entscheiden. Das Modell der „differenzierten Hochschule“ eröffnet unterschiedliche Möglichkeiten in Form von modularen weiterführenden Studiengängen.
Betrachtet man die derzeitigen Studienangebote an unseren Hochschuleinrichtungen, dann gewinnt man oft den Eindruck, daß die Curricula die „Summe der Hobbies der beteiligten Lehrstuhlinhaber“ sind Zum anderen führt die derzeit vorhandene „Partikularisierung der Fachgebiete und Fachbereiche“ zum „Separatismus der Disziplinen“ Beides behindert ein systematisches und profilbildendes Studium -wenn es dieses nicht sogar verhindert. Wichtig ist es daher, gezielt unterschiedlich profilierte Studienangebote anzubieten Jede Hochschuleinrichtung und jeder Fachbereich sollte, ausgehend von einer eigenstän-digen Definition von Studien-und Ausbildungszielen, Ausbildungsprofile festlegen.
Dieser Profilbildung der Hochschulen sollten die „vielfältigen Leitbilder für unterschiedliche berufliche Karrieren, die alle auf wissenschaftlichem Know-how, methodischem Grundverständnis und lebenslangem Lernen aufbauen“ zugrunde liegen. Dies würde -so der Präsident der Technischen Universität München, Wolfgang A. Herrmann -zu einer Schwerpunkt-und Zentrenbildung führen, die nicht nur eine optimalere Nutzung der vorhandenen Ressourcen, sondern auch ein systematischeres Studium ermöglichte Das Ausbildungsangebot müßte zugleich auch stärker als bisher auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes abgestimmt werden
Wie bereits eingangs erwähnt, kann und sollte heute -bei fast zwei Millionen Studierenden -nicht mehr davon ausgegangen werden, daß alle eine akademische Laufbahn einschlagen werden und wollen. Daher sind auch die modularen Aufbaustudiengänge in eher berufsqualifizierende und eher wissenschaftliche Studiengänge zu unterteilen.
Das im Modell der „differenzierten Hochschulen“ vorgeschlagene Modulsystem besteht aus in sich geschlossenen Studienmodulen, von denen man entweder a) nur eines wählen kann, b) zwei oder mehr nacheinander oder c) sie gleichzeitig absolvieren kann oder d) in die man auch jederzeit aus der Berufstätigkeit heraus wieder einsteigen kann. Innerhalb der Module gibt es vorgeschriebene, für alle Studentinnen und Studenten zu belegende Studienveranstaltungen sowie frei wählbare Studienkomplexe, die -wie beim Basisstudium beschrieben -in Form von Blöcken organisiert sind. Jeder dieser modularen Studiengänge führt zu einem akademischen Abschluß, der natürlich aufgrund der jeweils vermittelten Studieninhalte unterschiedliche Arbeitsmarktrelevanz besitzt. Die Dauer eines dieser Studienmodule sollte -mit Ausnahme des forschungsorientierten Studiengangs (Promotionsstudiengang) -zwei Jahre nicht überschreiten. Denkbare Module, die je nach Profil der jeweiligen Hochschuleinrichtung variabel anzubieten wären, sind im folgenden aufgelistet (siehe Abbildung 1).
Manche dieser Module werden zweckmäßigerweise eher an den Universitäten, andere eher an Fachhochschulen oder Berufsakademien zu finden sein. In jedem Fall sollte maximale Durchlässigkeit gelten. Dies erfordert gleichzeitig eine strikte Leistungskontrolle beim Eingang in ein Modul. 1. Der „akademische bzw. forschungsorientierte Studiengang“
Die Studentinnen und Studenten dieses Studiengangs arbeiten eng mit dem Doktorvater bzw.der Doktormutter in einem gemeinsamen Forschungsprojekt zusammen. Der angestrebte Abschluß ist die Promotion. Geht man davon aus, daß nur (vergleichsweise) wenige Studenten eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben, so sollte hier eine weitaus stärkere individuelle Betreuung der Doktoranden als bisher möglich sein. Dadurch könnte es gelingen, diesen Studienabschnitt auf drei Jahre zu raffen und damit der „Überalterung“ der deutschen Promovierten zu begegnen Dieser Studiengang könnte auch an den Fachhochschulen angeboten werden; sie sollten Promotionsrecht erhalten. 2. „Lehrbefähigende bzw. didaktisch orientierte Studiengänge“
Hier werden über das Fachwissen hinaus Lehrkompetenzen vermittelt, die in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft einsetzbar -und wünschenswert -wären. Zu denken wäre zum Beispiel an eine Ausbildung als Lektor für das Basisstudium, wobei während des Studiums bereits aktive Erfahrungen als Tutor oder Tutorin gesammelt werden könnten. Andere Einsatzfelder wären die Erwachsenenbildung, Berufsbildung, Lehrerausbildung, Personaltraining etc. 3. „Anwendungsorientierte Studiengänge“
Ziel dieses Moduls ist es, Brücken insbesondere zu einer anwendungsorientierten Ausbildung zu bauen. Beispiele dafür wären eine stärkere Ausrichtung des Studiums auf eine Berufstätigkeit in der Industrie -etwa bei den Naturwissenschaften -oder die empirische Sozial-und Marktforschung bei den Sozialwissenschaften. Primäre Grundidee dieser Studiengänge ist es, das Studium schon frühzeitig anwendungsorientiert zu gestalten (zum Beispiel durch Praktika, Phasen des „on-the-job“ -Trainings oder die Einbeziehung von Industriedozentinnen oder -dozenten in Lehrveranstaltungen). 4. „Interdisziplinäre Studiengänge“
Mit Hilfe dieses Moduls könnte auf die Anforderungen von Berufskarrieren mit interdisziplinären Arbeitsaufgaben oder in interdisziplinären Arbeitszusammenhängen reagiert werden. Sie könnten ferner dazu beitragen, die Flexibilität der Absolventinnen und Absolventen aufgrund vorhandener Mehrfachqualifikationen für wechselnde Arbeitsanforderungen zu erhöhen. Hier könnte in einer (beliebig) denkbaren Vielfalt ein Zusatz-studium in einer weiteren Fachrichtung absolviert werden, das auf dem Arbeitsmarkt heute immer häufiger nachgefragt wird (zum Beispiel Patent-recht für Naturwissenschaftler, Biologie für Physiker oder Chemiker und umgekehrt, Betriebswirtschaft für Sozialwissenschaftler, Ingenieurwissenschaften für Betriebswirte etc.).
Denkbare Profile eines anwendungsorientierten bzw. interdisziplinären Studiengangs im Bereich Biologie wären Biotechnologie, Umweltwissenschaft, Wissenschaftsjournalismus, Umweltmanagement. Eher didaktisch orientierte Studienprofile wären Umweltpädagogik oder Biologiedidaktik für Schulen. Schließlich gäbe es die Möglichkeit, in den verschiedenen Fächern der Biologie einen forschungsorientierten Studiengang zu absolvieren, der entweder zum Magister scientiae oder zur Promotion führt.
Dieses Modul könnte auch in bezug auf lebenslanges Lernen und Anpassungen im späteren Berufsleben von besonderer Bedeutung sein, da hier zusätzliche Kompetenzen in einem anderen Fachgebiet schnell und komplex angeeignet werden könnten.
Es soll hier nochmals betont werden, daß die einmal eingeschlagenen Studienwege keine „dead ends“ sind. Vielmehr gestattet dieses Modulsystem immer wieder neue Einstiege in andere Module. Derartige (Wieder-) Einstiege werden durch die klar strukturierte Zeitdauer von zwei Jahren besser planbar und eher realisierbar.
Die Vorteile einer solchen Organisation und Konzeption der höheren Studiengänge liegen in einer schnelleren und flexibleren Reaktion auf veränderte Anforderungen, in der Mehrfachverwendbarkeit einzelner Studienblöcke für verschiedene Studiengänge und damit in einer effektiveren Nutzung vorhandener Ressourcen sowie einer zielgenaueren Ausrichtung von Qualifikationsbemühungen. Darüber hinaus eröffnet dieses System vielfältige Möglichkeiten des lebenslangen Lernens. Dies setzt natürlich voraus, daß an diesen modularen Studiengängen auch berufsbegleitend (das heißt bei Fortsetzung der Erwerbstätigkeit) teilgenommen werden kann (zum Beispiel in Form von Abendund/oder Wochenendveranstaltungen)
Wie beim Basisstudium muß die Reorganisation des Studiums in modulare Studiengänge durch entsprechende Lehrinhalte und -methodiken gestützt werden. Im Vordergrund steht nicht die Vermittlung eines immer umfangreicher werdenden Stoffes, sondern vielmehr die Herausbildung der Fähigkeit, sich einen solchen Stoff selbständig zu erschließen und ihn anzuwenden. Insofern sind auch hier Seminarveranstaltungen, Projektgruppen und Diskussionsrunden der traditionellen Vorlesung vorzuziehen.
III. Evaluation von Lehre und Forschung
Die Freiheit der Lehre und Forschung, unbestritten ein hohes Gut, wird von so manchem Professor und so mancher Professorin als Freibrief für didaktischen Autismus mißverstanden. Die einzelnen Veranstaltungen erwecken häufig den Eindruck, schlecht oder gar nicht aufeinander abgestimmt worden zu sein. Dies führt zu unnötigen und zeitraubenden Überlappungen, während andererseits wichtige Studieninhalte oft überhaupt nicht angeboten werden. Gerade in den ersten Studienjahren ist dies ein schwerwiegender Mangel, da Methoden wissenschaftlichen Arbeitens, auf die in höheren Studienjahren bei der nun notwendigen selbständigen Er-und Verarbeitung von Wissen zurückgegriffen werden müßte, zumeist nicht vermittelt werden. Zum anderen sind aufgrund der Realität an unseren Hochschulen Zweifel an dem Grundsatz, daß gute Forschung zu guter Lehre führt, durchaus berechtigt. Und „systematisch ist diese These bislang (auch noch) nicht überprüft worden“
Primäres Ziel der Evaluation von Lehre und Forschung an den Hochschulen muß es daher sein, Studiengänge besser zu organisieren und sie entsprechend den definierten Studienzielen und Ausbildungsprofilen auszurichten sowie eine hohe Qualität von Lehrveranstaltungen und Forschungsleistungen sicherzustellen. universitären Die Differenzierung der Studienangebote und -lehranforderungen bietet auch Ansatzpunkte für eine in dieser Weise produktive Differenzierung des Lehrpersonals. In unseren Hochschuleinrichtungen finden wir unter den Professoren und Professorinnen solche, deren Stärken vor allem in der Lehre, und solche, deren Stärken eher in der Grundlagen-und/oder anwendungsorientierten Forschung liegen. Das gilt auch für die Lehrstuhl-anwärter. Beide Kompetenzen werden für eine gute Ausbildung an unseren Hochschulen benötigt. In „differenzierten Hochschulen“ könnten sie optimal genutzt werden, indem ihre Träger entsprechend ihren Fähigkeiten -im eher lehrorientierten Basis-oder im eher forschungs-bzw. anwendungsorientierten Aufbaustudium -eingesetzt werden. Das setzt allerdings voraus, daß keine Statusunterschiede zwischen Professoren und Professorinnen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen gemacht werden. Ähnlich wie im angelsächsischen System sind Unterschiede in den Anforderungen und gewünschten Kompetenzen zwischen College, Graduate School und Research Center erlaubt und vorteilhaft.
Das zuletzt Gesagte deutet bereits darauf hin, daß sich mit dem Modell einer „differenzierten Hochschule“ auch neue Möglichkeiten der Evaluation von Lehre und Forschung verbinden (siehe Abbildung 2).
Hochschuleinrichtungen sind institutionelle Räume, in denen sich handelnde Personen -Studierende und Lehrende -mit unterschiedlichen Aufgaben und Zielen begegnen. Für eine produktive Interaktion zwischen beiden sind jedoch gewisse Voraussetzungen notwendig, die bisher nicht immer gegeben waren. Anforderungen für ein gutes Gelingen des Studiums sind seitens der Studierenden eine bessere Vorbildung sowie eine bewußtere Entscheidung für das Studienfach (die durch Berufs-praktika oder die rechtzeitige Kontaktsuche zur Universität und einen höheren Informationsstand über das Fach gefördert werden könnte). Anforderungen an die Hochschullehrer und -lehrerinnen sind unter anderem eine hohe Motivation, ein großes Engagement und die notwendige Kompetenz für die Tätigkeit, Studentinnen und Studenten auszubilden. Basierend auf der bereits oben erwähnten Differenzierung von Kompetenzen, könnten sich hierfür wesentlich bessere Konstellationen ergeben.
Zugleich ermöglicht das Modell der „differenzierten Hochschule“ eine zielgenauere und damit zugleich gerechtere Evaluation der Tätigkeit der Hochschullehrer. Die Bewertung des Lehrkörpers könnte in „differenzierten Hochschulen“ entsprechend den unterschiedlichen Modulanforderungen erfolgen. Publikationen und Vorlesungen/Seminare würden zum Beispiel nicht mehr -wie bisher -in einem schwer zu lösenden Konkurrenzverhältnis stehen. Eine auf die jeweiligen Aufgaben bezogene Bewertung könnte nun verstärkt erfolgen.
Vorlesungen und Seminare könnten und sollten durch die Studierenden bewertet werden. Das heißt, es müssen Mechanismen der Lehrevaluation eingebaut werden. Am Ende eines jeden Blocks wäre Zeit zu reservieren, in der Lehrende und Lernende gemeinsam über mögliche Verbesserungen diskutieren könnten.
Am Ende jedes Semesters sollte es einen Runden Tisch geben, an dem Lehrende und Lernende über Verbesserungen auf der Ebene des gesamten Studienplans diskutieren und sich auf wünschenswerte und notwendige Änderungen einigen könnten. Neben dem aktuellen Lehrbetrieb wären auch Informationen über den beruflichen Werdegang und Erfolg von Absolventen einzubeziehen. Sie könnten Rückschlüsse auf die Relevanz des Ausbildungsangebots, auf mögliche Erwartungen des Arbeitsmarktes erlauben und könnten so eine an Berufsfeldem orientierte Lehre unterstützen
Die Forschungsleistungen sowie die Einwerbung von Projektmitteln und die Einbeziehung der Studierenden in die Lehre bzw. Forschung, die mit den einzelnen Modulen der Aufbaustudiengänge verknüpft sind, lassen sich so besser evaluieren. Wenn es gelingt, eine derart aufgabenspezifische und -differenzierte Evaluation durchzuführen, dann ist bei (möglicherweise) negativen Ergebnissen das Mittel der „Sanktionen“ nicht nur legitim, sondern auch wirkungsvoller einsetzbar. Vorstellbar wäre beispielsweise eine leistungsbezogene Mittelzuweisung (Lehrstuhlausstattung) sowie die Bezahlung eines Sockelgehaltes, das in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Evaluation -unter besonderer Berücksichtigung der Leistungen bei der Betreuung von Studentinnen und Studenten -aufgestockt werden könnte. Berufungszusagen (das heißt die finanziellen und personellen Mittel für den Lehrstuhl) sollten zeitlich begrenzt und in Abhängigkeit von der Qualität der geleisteten Arbeit gegeben werden. Derzeit spielt es keine Rolle, wie viele Studenten ein Professor bzw. eine Professorin mit welchem Erfolg betreut, ob er oder sie als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin erfolgreich ist -die Bezahlung ist nach den Normen des öffentlichen Dienstrechtes immer die gleiche. Das muß sich ändern!
All dies sollte langfristig zu einer Erhöhung der Qualität des Studiums beitragen, was sich auch in einer Verringerung der Abbruchquoten niederschlagen könnte (zumal man jetzt auch die Wahl hätte, es mit dem Basisstudium zu beenden). Die Qualität des Studiums ließe sich auch dadurch verbessern, daß die Studenten in den Modulstudiengängen früher mit den jeweils arbeitsmarktrelevanten Aufgaben konfrontiert würden und die jeweiligen Hochschullehrer besser in der Lage wären, dies zu unterstützen -zumal dies nun zum Bestandteil der Evaluation ihrer Tätigkeit gehören würde.
Wie kann ein solches, den heutigen Erfordernissen entsprechendes System entwickelt werden? Es wäre sicher sinnvoll, zunächst die Möglichkeiten innerhalb der vorhandenen Strukturen zu nutzen. Man könnte sequentiell verfahren und mit der Neugestaltung bzw. Einführung des fachspezifischen Basisstudiums beginnen. Dafür gibt es konkrete Vorbilder. So bietet zum Beispiel das Institut für Physik der Berliner Humboldt-Universität im Diplomstudiengang Physik einen viersemestrigen , Integrierten Kurs 4 an, in dem die Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der theoretischen Physik und der Experimentalphysik gemeinsam -aufeinander abgestimmt -belegt werden können. Damit einher geht eine intensive Betreuung der Studierenden in Form kleiner Studiengruppen durch Tutoren -Studentinnen und Studenten der höheren Studienjahre.
Des weiteren könnten an allen (Fach-) Hochschulen und Fachbereichen bereits jetzt Überlegungen darüber angestellt werden, welche Studienziele und welche Profile sinnvollerweise anzubieten wären und welche Studiengänge davon heute schon -mit dem vorhandenen Lehrpersonal -angeboten werden könnten.
Das vorgeschlagene Modell der „differenzierten Hochschulen“ könnte eine Antwort auf die Forderungen sein, die in der Diskussion um die Erneuerung der deutschen Hochschulen und Universitäten vorgebracht werden. Für seine Umsetzung sollte jedoch nicht auf Aktivitäten seitens der Politik gewartet werden. Denkt man in Teilschritten, dann könnten die heute Lehrenden und Studierenden bereits mit der Umsetzung beginnen.
Heike Solga, Dr. phil., geb. 1964; 1983-1988 Studium der Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der DDR, Berlin 1995; Der Verbleib der Angehörigen der oberen Dienstklasse der DDR nach 1989.
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