Einstellungen junger Deutscher gegenüber ausländischen Mitbürgern und ihre Bedeutung hinsichtlich politischer Orientierungen. Ausgewählte Ergebnisse des DJI-Jugendsurvey 1997 | APuZ 31/1998 | bpb.de
Einstellungen junger Deutscher gegenüber ausländischen Mitbürgern und ihre Bedeutung hinsichtlich politischer Orientierungen. Ausgewählte Ergebnisse des DJI-Jugendsurvey 1997
Corinna Kleinert/Winfried Krüger/Helmut Willems
/ 31 Minuten zu lesen
Link kopieren
Zusammenfassung
Die aktuelle Diskussion um Ausländerfeindlichkeit und rechte politische Orientierungen junger Menschen hat durch die jüngste Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und die dabei von der rechtsradikalen DVU erzielten Erfolge neue Nahrung erhalten. An diesem Wahlerfolg waren junge Wählerinnen und Wähler überproportional beteiligt. Politisch hat die DVU ihren Wahlkampf in Sachsen-Anhalt stark mit nationalen und gegen Ausländer gerichteten Forderungen geführt. Auch vor diesem Hintergrund beschäftigen uns die Fragen, wie groß das Ausmaß fremdenfeindlicher Orientierungen in der jungen Generation ist, welche sozialstrukturellen oder anderen mit dem gesellschaftlichen Wandel verbundenen Bedingungen dafür ausschlaggebend sind und in welcher Weise unterschiedliche Einstellungen gegenüber ausländischen Mitbürgern sich politischen Haltungen zuordnen lassen. Als empirische Basis der Überlegungen und Darstellungen in diesem Beitrag dient uns der DJI-Jugendsurvey, eine empirische Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts, München. Die knapp 7 000 Interviews mit 16-bis 29jährigen in Ost-und Westdeutschland wurden im Herbst letzten Jahres durchgeführt. Die Mehrzahl der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen teilt fremdenfeindliche Einstellungen nicht. Fremdenfeindlichkeit existiert andererseits aber zweifellos heute als Jugendproblem, auch wenn zwischen der Erhebung von 1992 und der von 1997 eine Abnahme dieser Einstellungen erkennbar wird -insbesondere im Westen. Fremdenfeindliche Einstellungen häufen sich vor allem bei jungen Menschen, die über niedrige Bildungsabschlüsse verfügen und die unter hoher Verunsicherung und Orientierungslosigkeit leiden. Zudem sind sie im Osten stärker ausgeprägt als im Westen. Fremdenfeindliche Haltungen gehen zwar oft mit rechten Orientierungen und antidemokratischen Vorstellungen einher, sind jedoch insgesamt nicht zwangsläufig als Teil eines rechtsextremen Weltbildes und entsprechender politischer Identitäten zu sehen. Ihre politische Bearbeitung muß daher vor allem an den zugrundeliegenden gesellschaftlichen Konflikten und sozialen Verwerfungen ansetzen.
Die öffentliche Diskussion um die Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen und rechter politischer Orientierungen bei jungen Menschen ist vor allem durch die jüngste Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Mai 1998 neu entfacht worden. Dort hatte die DVU nicht nur dadurch Aufsehen erregt, daß es ihr aus dem Stand gelungen war, ein zweistelliges Ergebnis zu erzielen; was in der Öffentlichkeit sicherlich ebensoviel Aufmerksamkeit erzielte, war die Tatsache, daß insbesondere die jungen Wählerinnen und vor allem die Wähler überproportional häufig ihre Stimme dieser rechtsradikalen Partei gegeben hatten. Damit wurde erneut die Frage aufgeworfen, warum junge Menschen sich für rechte und rechtsextremistische Parteien interessieren und welche diesbezüglichen Einstellungspotentiale in der jungen Generation aufzufinden sind.
Schon einmal hatte ein Wahlergebnis diese Thematik aufgebracht: Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1989 hatten die Republikaner erstmals die Fünf-Prozent-Hürde bei einer Landtagswahl überwinden können und dabei insbesondere bei den 18-bis 25jährigen überdurchschnittlich hohen Zuspruch erfahren. Für die Bundesrepublik stellte dieser Erfolg einer rechtsradikalen Partei bei der jungen Generation damals ein Novum dar. Bis dahin hatten die verschiedenen rechtsradikalen und rechtsextremistischen Parteien (so etwa die NPD mit ihren Wahlerfolgen Mitte der sechziger Jahre) vor allem Stimmen bei der Altersgruppe ab 45 Jahren bekommen, während die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihre Stimmen eher unterdurchschnittlich häufig den rechten Parteien gaben. Lange Zeit wurde daher argumentiert, es seien die „Ewiggestrigen“ aus den älteren Generationen, die ihre Sozialisation während der Zeit des Nationalsozialismus erfahren hatten, die das Kernpotential rechtsextremistischer Parteien in Deutschland stellten. Rechte Orientierungen und fremdenfeindliche Einstellungen wurden dagegen von der überwiegenden Mehrheit der jüngeren Generationen entschieden abgelehnt. Auch in den empirischen Jugendstudien spielte diese Thematik lange eine eher untergeordnete Rolle So wies nach den Ergebnissen einer Studie des Sinus-Instituts von 1981 nur ein kleiner Teil der jüngeren Generation eine Affinität zu fremdenfeindlichen und rechtsextremen Positionen auf, die Jugend insgesamt sei jedoch „in weit überdurchschnittlichem Maß resistent gegenüber rechtsextremen Ideologien“ Von daher waren bis etwa Mitte/Ende der achtziger Jahre rechtsextremistische und fremdenfeindliche Einstellungen von Jugendlichen „allenfalls ein Randthema der Jugendforschung und Jugendpolitik, ein Arbeitsfeld für vergleichsweise wenige Spezialisten und Experten“
Dies hat sich mittlerweile gründlich geändert. Seit dem Beginn der neunziger Jahre kennzeichnet das Thema „Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ ganz entscheidend die öffentliche und wissenschaftliche Debatte über die Jugend; werden Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus häufig gar als ein „genuines Jugendproblem“ diskutiert. Von entscheidender Bedeutung für diese Veränderungen des Diskurses war -neben den bereits angesprochenen Wahlerfolgen rechter Par-teien -insbesondere die Eskalation fremdenfeindlicher Gewalt in den frühen neunziger Jahren sowie insgesamt die Zunahme von rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten zwischen 1990 und 1993 und jüngst wieder 1996 und 1997. Diese Entwicklung fremdenfeindlicher Straftaten und Gewaltaktionen wird ganz überwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragen. Ihre organisatorische und kommunikative Grundlage findet sich in unterschiedlichen jugendlichen Subkulturen (von unpolitischen Freizeitcliquen bis hin zu rechtsextremistischen Schlägerbanden oder Kameradschaften), die zwar (noch) keine einheitliche politische Identität und Strategie haben, aber sehr wohl ein gemeinsames Thema: die Migration und die Anwesenheit von Migranten. Xenophobe Vorurteile, fremdenfeindliche Einstellungen und aversive Emotionen gegenüber ausländischen Mitbürgern sind in diesen Jugendgruppen und Subkulturen, und oft auch in ihren jeweiligen sozialen Milieus, weit verbreitet. Wagner spricht denn auch hinsichtlich der Mobilisierbarkeit von Personen und Gruppen für rechtsextremistische Organisationen und Parteien von der Fremdenfeindlichkeit als dem zentralen „Generatorthema“ für eine rechte soziale Bewegung. Auch die jüngsten Wahlerfolge der rechtsextremen DVU in Sachsen-Anhalt sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß mit nationalen und gegen Ausländer gerichteten politischen Forderungen die fremdenfeindlichen Orientierungen insbesondere in der jungen Generation gezielt angesprochen wurden. Die Existenz xenophober Vorurteile und fremdenfeindlicher Einstellungen ist daher für eine sich als offen verstehende demokratische Gesellschaft ein ernstzunehmendes politisches Problem. Die Öffentlichkeit nimmt diesen Zusammenhang zwischen fremdenfeindlichen Einstellungen und rechtsextremistischen Parteien und Orientierungen in der Regel nur dann wahr, wenn spektakuläre Wahlergebnisse oder Medienberichte über rechte Gewalt das Thema in den Vordergrund rücken.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Wissenschaft die Frage nach dem Ausmaß fremdenfeindlicher Orientierungen in der Bevölkerung bzw. bei Teilgruppen der Bevölkerung und ihren möglichen sozialstrukturellen Bedingungen. Die Ergebnisse verschiedener empirischer Untersuchungen der letzten Jahre dazu sind z. T. widersprüchlich, zumindest jedoch schwer vergleichbar, da die Studien sowohl hinsichtlich der Untersuchungsanlage, der Stichprobe als auch der verwendeten Instrumente große Unterschiede aufweisen In Bezug auf Entwicklungen fremdenfeindlicher Einstellungspotentiale in der Bevölkerung insgesamt war für die letzten 15 Jahre eher ein Rückgang denn ein allgemeiner Anstieg erkennbar Gleichwohl weisen die Ergebnisse einer Vielzahl von Jugend-untersuchungen der neunziger Jahre darauf hin, daß insbesondere bei Teilen der jungen Generation im Vergleich zu den achtziger Jahren ein deutlicher Zuwachs an fremdenfeindlichen Einstellungen erkennbar ist Diese Zunahme an Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen ist freilich keineswegs identisch mit einer Zunahme an „Rechtsextremisten“: Zwar treten fremdenfeindliche Haltungen häufig zusammen mit nationalistischen und antidemokratischen Einstellungen auf und zeigen auch eine hohe Affinität zu rechtsextremistischen Positionen. Der Anteil an rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen wird in den verschiedenen Studien jedoch jeweils deutlich geringer eingeschätzt als der Anteil fremdenfeindlicher Jugendlicher. Fremdenfeindlichkeit ist nicht notwendig auch mit rechtsextremistischen Vorstellungen und Positionen verbunden. Eine eindeutige (partei) politische Zuordnung fremdenfeindlicher Einstellungspotentiale ist daher nicht möglich. Fremdenfeindliche Einstellungen finden sich zwarbesonders häufig und stark ausgeprägt bei den Wählern rechter und rechtsextremer Parteien, aber keineswegs nur dort; ein Faktum, das in der Debatte häufig unter dem Stichwort des „Extremismus der Mitte“ aufgegriffen wird.
Vor dem skizzierten Hintergrund wollen wir nun folgenden Fragen nachgehen: Welche Haltungen zeigen Jugendliche und junge Erwachsene in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Migranten; in welchem Ausmaß sind diese Haltungen als fremdenfeindlich zu kennzeichnen? Welche sozial-strukturellen Hintergründe spielen für fremden-feindliche Orientierungen eine Rolle? Welche Erklärungsmomente sind für solche Orientierungen erkennbar? Und welche Bedeutung haben fremdenfeindliche Einstellungen hinsichtlich der grundlegenden politischen Orientierungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Bundesrepublik? Unsere Perspektive unterscheidet sich damit von den zumeist als Analyse von Problemgruppen angelegten Studien. Für uns stehen die grundlegenden Einstellungen gegenüber Fremden, wie sie bei der jungen Generation in der Bundesrepublik insgesamt zu finden sind, im Mittelpunkt des Interesses. Auch wenn wir im folgenden Jugendliche und junge Erwachsene in den Blickpunkt nehmen, sollte dabei freilich nicht vergessen werden, daß fremdenfeindliche Einstellungen kein genuines Jugendproblem darstellen, sondern sich in allen Gruppen der bundesdeutschen Bevölkerung wiederfinden.
II. Einstellungen junger Deutscher gegenüber ausländischen Mitbürgern
Unsere Darstellungen basieren auf dem DJI-Jugendsurvey, einer standardisierten mündlichen Befragung 16-bis 29jähriger Jugendlicher und junger Erwachsener in der Bundesrepublik, die vom Deutschen Jugendinstitut München entwickelt und im Herbst 1997 zum zweiten Mal durchgeführt wurde Im Fragebogen waren u. a. elf Aussagen enthalten, die verschiedene Einstellungen gegenüber Migranten in der Bundesrepublik thematisieren und zu denen die Befragten angeben konnten, inwieweit sie ihnen zustimmen. Die Statements beziehen sich zum einen auf Forderungen nach einer restriktiven bzw. weniger restriktiven Ausländerpolitik; zum anderen enthalten sie vorurteilshafte Verallgemeinerungen über Verhaltensweisen „der Ausländer“ in der Bundesrepublik. Mit der Formulierung dieser Statements wurde versucht, fremdenfeindliche Einstellungen abzubilden. Wenn im folgenden von Fremdenfeindlichkeit die Rede ist, so sind damit nicht Handlungen, sondern Einstellungen gemeint.
In Tabelle 1 sind neun dieser elf Aussagen im Wortlaut wiedergegeben. Weiterhin enthält die Tabelle die Prozentanteile von Befragten, die mit ihrer Zustimmung zu diesen Statements (oder -bei positiver Formulierung -ihrer Ablehnung) eher negative Haltungen gegenüber Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland vertreten, sowie die Anteile derjenigen, die eher positive Haltungen zeigen. In der Tabelle haben wir diese beiden Haltungen -etwas verkürzt -als feindlich bzw. freundlich bezeichnet.
Ein erster Blick auf die Ergebnisse zeigt, daß die Mehrheit der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen fremdenfeindlichen Haltungen eher ablehnend gegenübersteht: Unter den jungen Menschen in den alten Bundesländern ist nur bei einem einzigen Statement der Anteil derjenigen, die sie im „feindlichen“ Sinne beantworten, höher als der Anteil jener, die sie im „freundlichen“ Sinne beantworten. In den neuen Bundesländern ist dies allerdings bei fünf der neun Aussagen der Fall, wobei auch hier deutliche Anteile der Befragten die ambivalenten mittleren Werte gewählt haben, die in der Tabelle nicht ausgewiesen sind. Es kann daher keine Rede davon sein, daß die Jugend in der Bundesrepublik überwiegend frem-denfeindliche Meinungen aufweist. Gleichwohl ist der Anteil von Befragten, die fremdenfeindlichen Aussagen zustimmen, teilweise recht hoch:
Ein Drittel der Befragten in den alten Bundesländern (33 Prozent) sowie mehr als zwei Fünftel in den neuen Bundesländern (44 Prozent) vertreten die Auffassung, daß viele Migranten in der Bundesrepublik zu Unrecht staatliche Unterstützung beziehen. Ungefähr ein Viertel der west-(27 Prozent) sowie ein Drittel der ostdeutschen jungen Erwachsenen (33 Prozent) stimmen der Aussage zu, Ausländer neigten eher zur Kriminalität als die Deutschen, und lehnen eine rechtliche Gleichstellung von Einwanderern ab (24 Prozent bzw. 34 Prozent). Unter diesen Aussagen finden sich somit schon zwei wesentliche Themen, an denen sich die Ablehnung von Migranten in der Bundesrepublik festmacht: die Verteilung staatlicher Sozialleistungen und die Kriminalität. Ein weiteres Thema zeigt sich vor allem in den neuen Bundesländern, in denen über ein Drittel der Befragten (37 Prozent) eine Ausweisung aller Migranten aus der Bundesrepublik befürwortet, wenn Arbeitsplätze knapp werden sollten Daß dieser Problembereich in den alten Bundesländern für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen weniger brennend ist, zeigt sich daran, daß hier ein geringerer Anteil zustimmt, nämlich 15 Prozent. Am wenigstens Zustimmung und am meisten Ablehnung findet zum einen die rassistisch eingefärbte Aussage, die Deutschen seien bessere Menschen als die hier lebenden Ausländer (9 Prozent Zustimmung in den alten Bundesländern, 15 Prozent in den neuen Bundesländern), zum anderen eine entsprechend restriktive Vorstellung im Bereich von Ausländerpolitik, daß alle Ausländer Deutschland verlassen sollten (7 ProzentZustimmung in den alten, jedoch 19 Prozent in den neuen Ländern). Insgesamt zeigt sich also, daß Aussagen zu Migranten von den jungen Menschen in West und Ost um so stärker abgelehnt werden, je offensichtlicher sie in Richtung Rassismus und eines Ausschlusses aller Einwanderer aus der bundesdeutschen Gesellschaft tendieren. Statements, die dagegen keine explizite Bewertung der Anwesenheit von Migranten in der Gesellschaft der Bundesrepublik verlangen, sondern verallgemeinernde Tatsachenbehauptungen über „die Ausländer“ darstellen, werden von weitaus größeren Anteilen unter den jungen Deutschen befürwortet.
Um beurteilen zu können, wie gut die neun Aussagen wirklich fremdenfeindliche Einstellungen abbilden, haben wir die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Statements anhand statistischer Maßzahlen errechnet: Wenn solche Zusammenhänge sichtbar werden, bedeutet das, daß viele Befragte die neun Aussagen einheitlich in einer Richtung beantwortet haben, also durchgängig fremdenfeindliche oder durchgängig fremden-freundliche Haltungen zeigen. Unsere Überprüfung hat ergeben, daß dies wirklich der Fall ist: Zwischen allen neun Aussagen liegen deutliche vor Zusammenhänge
Auch bei weiteren Fragen aus dem Survey zur Thematik Migration und Migranten bleiben sich die eher fremdenfeindlichen und die eher fremdenfreundlichen Befragten in ihrem jeweiligen Antwortverhalten treu. Dies gilt zum einen im Kontext der Beurteilung, welche Aufgaben zukünftiger Politik die Befragten für besonders wichtig halten: Von den Befragten mit eher fremdenfeindlichen Einstellungen wird eine Politik der Integration von Einwanderern in die bundesdeutsche Gesellschaft tendenziell für unwichtig erachtet und statt dessen die Forderung unterstützt, den Zuzug von Ausländern zu stoppen 15Auch auf der Ebene der Prinzipien von Verteilungsgerechtigkeit urteilen die Befragten konsistent: Beim knappen Gut „Ausbildungsplatz“ sollten in erster Linie deutsche Bewerber zum Zuge kommen, so die tendenzielle Meinung derjenigen Befragten, die auch bei den neun Statements zu Migranten und Ausländerpolitik eher feindliche Haltungen zeigen
Aus der Liste der elf abgefragten Statements zu Migranten haben wir bisher zwei nicht dargestellt. Hierbei handelt es sich um die Aussagen „Die hier lebenden Ausländer sollten ihre Lebensweise der deutschen Lebensweise anpassen“ und „Die hier lebenden Ausländer werden in Deutschland in fast allen Lebensbereichen benachteiligt“. Das erste Statement wird von vergleichsweise vielen Befragten befürwortet (von 36 Prozent in den alten, 41 Prozent in den neuen Ländern), das zweite von vielen abgelehnt (von 35 Prozent in den alten und 39 Prozent in den neuen Ländern) -und zwar in beiden Fällen auch von Befragten, die ansonsten eher indifferente oder positive Einstellungen gegenüber Migranten aufweisen. Die Erwartungen an eine Anpassungsbereitschaft von Migranten und die Haltung zu einer Benachteiligung dieser Gruppen in der Bundesrepublik werden von jungen Menschen also tendenziell unabhängig davon bewertet, ob sie ansonsten dezidiert fremdenfeindlichen Äußerungen zustimmen oder sie ablehnen.
III. Fremdenfeindliche Orientierungen im Ost-West-Vergleich, nach Bildung, Geschlecht und Alter
Abbildung 2
Schaubild: Verteilung des Index Fremdenfeindlichkeit in den alten und neuen Bundesländern (in Prozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1997.
Schaubild: Verteilung des Index Fremdenfeindlichkeit in den alten und neuen Bundesländern (in Prozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1997.
Um einfacher beurteilen zu können, bei welchen Gruppen von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen besonders fremdenfreundliche oder fremden-feindliche Einstellungen vorherrschen, wurde aus den neun Einzelaussagen der Tabelle 1 ein Gesamtindex gebildet. Dieser Index mißt jetzt nicht mehr die Einstellung zu einzelnen Aspekten des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern, sondern eine allgemeinere Haltung gegenüber Migranten Das folgende Schaubild zeigt, wie dieser Index unter den jungen Menschen in den alten und den neuen Bundesländern verteilt ist.
Die zwei Kurven im Schaubild verdeutlichen eine wesentliche Differenz: Wie schon durchgehend bei allen Einzelaussagen zeigen auch hier mehr junge Menschen in den neuen Bundesländern eine fremdenfeindliche Haltung und weniger eine fremdenfreundliche oder indifferente Haltung als in den alten Bundesländern. Bei einer Zusammenfassung des Index zu drei Gruppen sehen diese Anteile folgendermaßen aus: Eine niedrige Ausprägung fremdenfeindlicher Orientierungen findet sich in den alten Bundesländern bei 31 Prozent der Befragten, in den neuen jedoch nur bei 19 Prozent. Auch eine mittlere Ausprägung von Fremdenfeindlichkeit kommt im Westen häufiger vor, nämlich bei 51 Prozent der Befragten, gegenüber 45 Prozent im Osten. Eine hohe Ausprägung von Fremdenfeindlichkeit weisen dagegen im Westen „nur“ Prozent der Befragten auf, im Osten dagegen 36 Prozent. Bei diesen Zahlen sollte jedoch nicht übersehen werden, daß es auch in den alten Bundesländern einen deutlichen Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt, der fremdenfeindliche Einstellungen aufweist.
Fremdenfeindlichkeit kann also nicht als ein spezifisch ostdeutsches Phänomen bezeichnet werden, auch wenn dort derzeit -wie auch schon in den vergangenen Jahren -höhere Anteile von Jugendlichen und jungen Erwachsenen fremdenfeindliche Haltungen vertreten 18.
Wenn wir nun noch einmal auf die Ebene der Einzelaussagen zurückgehen, fällt folgende Differenz auf: Die Unterschiede zwischen den jungen Menschen in Ost und West sind bei den beiden Aussagen besonders deutlich, die Forderungen nach einer restriktiven Ausländerpolitik beinhalten (Aussagen 1 und 4 in Tabelle 1) -ihnen stimmen weit mehr junge Menschen in den neuen Bundesländern zu als in den alten. Zugespitzt formuliert, unterscheiden sich jungen Menschen den die in neuen Ländern also vor allem dadurch von denenin den alten, daß sie Vorurteile und Verallgemeinerungen über „die“ Ausländer in Deutschland mit der Forderung nach einer entsprechend restriktiven Ausländerpolitik verknüpfen, während in den alten Bundesländern zwar dieselben Vorurteile und Stereotypen fast ebenso verbreitet sind, die Forderung nach einer entsprechenden Politik aber weniger Zustimmung erfährt. Ob und inwiefern hier Effekte einer unterschiedlichen politischen Kultur eine Rolle spielen, bedarf der weiteren Überprüfung.
Eine zweite Differenz im Ausmaß fremdenfeindlicher Haltungen wird deutlich, wenn man die formale Schulbildung der jungen Menschen in Ost und West betrachtet: Die größten Anteile mit einer hohen Ausprägung fremdenfeindlicher Orientierungen (30 Prozent in den alten und 55 Prozent in den neuen Ländern) finden sich bei den Befragten mit einem niedrigen Bildungsabschluß, sprich ohne Schulabschluß, mit Hauptschulabschluß oder in der DDR ohne Erreichen der 10. Klasse POS (Polytechnische Oberschule), zumeist Abgang nach der 8. Klasse. Etwas niedriger (23 Prozent bzw. 44 Prozent) sind sie bei den jungen Menschen mit Mittlerer Reife oder einem DDR-Abschluß nach der 10. Klasse POS und deutlich niedriger (9 Prozent bzw. Prozent) bei denjenigen mit Fachabitur, Abitur oder EOS-Abschluß in der DDR (Erweiterte Oberschule) 19. Die formale Schulbildung ist damit ein Merkmal, das deutlich mit dem Ausmaß fremdenfeindlicher Einstellungen zusammenhängt.
Allerdings bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie dieser seit Jahren und über verschiedene Studien hinweg konstante Zusammenhang interpretiert werden sollte: Einerseits vermittelt eine höhere Bildung Wissen und Kompetenz und damit eine größere Orientierungssicherheit in einer komplexen Welt. Wissen wirkt so auch stereotypen Zuschreibungen entgegen und macht differenzierte Zuordnungen möglich. Andererseits besteht nach wie vor ein deutlicher Zusammenhang zwischen Bildungsabschluß und sozialer Ungleichheit: Mit den sozialen und sozioökonomischen Veränderungen der heutigen Zeit wird der Bedarf an hochqualifiziertem Berufsnachwuchs immer höher und derjenige an weniger qualifiziertem immer geringer. Bildung ist demnach auch eine soziale Ressource, die immer deutlicher die Lebenschancen jedes einzelnen beeinflußt. Fremdenfeindlichkeit wäre unter dieser Perspektive auch als eine Reaktion auf aktuelle oder antizipierte eigene Benachteiligung und damit als Resultat relativer Deprivation zu interpretieren Zu einer Erklärung des Zusammenhangs von Bildung und Fremdenfeindlichkeit tragen wahrscheinlich beide Aspekte bei.
Noch deutlicher zeigt sich der Einfluß von Bildung, wenn man die Ausprägung fremdenfeindlicher Einstellungen in Gruppen mit unterschiedlichem Erwerbsstatus betrachtet: Am deutlichsten weichen hier die Studenten -die im Gegensatz zu den übrigen Erwerbsstatus-Gruppen eindeutig formal hochgebildet sind -von allen anderen ab: Unter ihnen gibt es wesentlich weniger, die deutlich fremdenfeindlich eingestellt sind (5 Prozent in den alten bzw. 11 Prozent in den neuen Bundesländern), als unter den Schülern (17 Prozent bzw. 39 Prozent), den Auszubildenden (19 Prozent bzw. 46 Prozent) und den Erwerbstätigen (21 Prozent bzw. 32 Prozent). Unter den Studenten sind zudem die Ost-West-Unterschiede in der Ausprägung von Fremdenfeindlichkeit geringer als bei den übrigen Erwerbsstatusgruppen. Die Studenten in den neuen Ländern heben sich in dieser Hinsicht also sehr deutlich von ihren nichtstudierenden Altersgenossen ab.
Junge Frauen und junge Männer unterscheiden sich untereinander dagegen nur geringfügig in ihren Einstellungen gegenüber Migranten. Dies mag insofern überraschen, als Mädchen und junge Frauen im Vergleich zu jungen Männern verschiedenen Studien zufolge deutlich seltener rechtsextreme Parteien wählen oder durch fremdenfeindliche Gewalttaten auffallen -auf der Ebene der Einstellungen spiegelt sich dieser Unterschied allerdings nicht wider: Eine niedrige Ausprägung fremdenfeindlicher Einstellungen zeigen 28 Prozent der Frauen gegenüber 27 Prozent der Männer in den alten Bundesländern und 17 Prozent der Frauen gegenüber 16 Prozent der Männer in den neuen Bundesländern; eine hohe Ausprägung zeigen 16 Prozent der Frauen gegenüber 19 Prozent der Männer in den alten sowie 32 Prozent der Frauen gegenüber 41 Prozent der Männer in den neuen Ländern. Die These, daß Frauen „immun“gegen Fremdenfeindlichkeit seien -und damit auch gegen einen wesentlichen Aspekt von Rechtsextremismus -kann damit nicht bestätigt werden
Ebenfalls wenig Einfluß hat das Alter der Befragten auf ihre Einstellungen gegenüber Migranten. Allenfalls die 16-bis 19jährigen weisen eine im Durchschnitt etwas stärker ausgeprägte fremden-feindliche Orientierung auf als die älteren Befragten, und das sowohl in den neuen Bundesländern wie auch in den alten.
Im Anschluß an Altersdifferenzen stellt sich die Frage, ob sich fremdenfeindliche Einstellungen bei jungen Menschen in den letzten Jahren verändert haben und wenn, ob sie zu-oder abgenommen haben. Mit den Daten des DJI-Jugendsurvey kann diese Frage nur annäherungsweise beantwortet werden, denn die meisten der oben benutzten Indikatoren wurden 1997 das erste Mal verwendet. Vier der Statements waren allerdings schon im Fragebogen der 92er-Welle vorhanden (es handelt sich dabei um die Aussagen 1 bis 4 aus Tabelle 1).
Für diese vier ist daher ein solcher Zeitvergleich möglich. Tabelle 2 zeigt die Anteile derjenigen Befragten mit freundlichen und feindlichen Einstellungen zu diesen vier Aussagen im Zeitvergleich von 1992 und 1997.
Als Ergebnis dieser Daten kann ein Rückgang fremdenfeindlicher Orientierungen bei jungen Menschen festgehalten werden -in den alten Bundesländern ist dieser Rückgang recht deutlich, in den neuen Bundesländern dagegen geringer. Damit hat sich die Differenz in den Einstellungen zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ost und West im Zeitraum der letzten fünf Jahre noch vergrößert. Dieser Befund stimmt tendenziell mit Ergebnissen allgemeiner Bevölkerungsbefragungen überein, in denen Fragen zur Thematik im Abstand von einigen Jahren immer wieder gestellt werden. Sie verzeichnen für die westdeutsche Bevölkerung ab 18 Jahren einen konstanten Rückgang fremdenfeindlicher Haltungen zwischen 1980 und 1991, zwischen 1991 und 1992 dann allerdings einen leichten Anstieg Für die Bevölkerung der neuen Bundesländer gibt es vergleichbare Daten erst seit 1991. Hier stagnierte das Ausmaß fremdenfeindlicher Haltungen bis 1992, bewegte sich zu dieser Zeit für die Wahlbevölkerung aber eher auf einem niedrigeren Niveau als in den alten Bundesländern, wenn es auch nach diesen Daten schon Anzeichen dafür gab, daß die Jüngeren in diesem Teil der Bundesrepublik fremdenfeindlichere Einstellungen zeigten als die Älteren
In deutlichem Kontrast zu den Tendenzen, die die Einstellungsforschung für die Jugend in der Bundesrepublik insgesamt verzeichnet, stehen allerdings Ergebnisse regional begrenzter Jugend-studien, qualitativer Untersuchungen zu ausgewählten Gruppen und Milieus sowie die auf fremdenfeindliche Straftaten ausgerichtete Kriminalstatistik. Sie lassen zumindest für Teilgruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Bundesrepublik eine deutliche Zunahme fremdenfeindlicher Tendenzen erkennen
IV. Verunsicherung und Arbeitslosigkeit als Bedingungen für fremden-feindliche Orientierungen?
Abbildung 3
Tabelle 2: Einstellungen gegenüber Migranten im Zeitvergleich: freundliche und feindliche Haltungen in den alten und neuen Bundesländern 1992 und 1997 (in Prozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1992, 1997.
Tabelle 2: Einstellungen gegenüber Migranten im Zeitvergleich: freundliche und feindliche Haltungen in den alten und neuen Bundesländern 1992 und 1997 (in Prozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1992, 1997.
Im folgenden sollen zwei weitere Einflußgrößen betrachtet werden, die als Bedingungsfaktoren für fremdenfeindliche Orientierungen möglicherweise eine Rolle spielen. Einer prominenten These zufolge ist eine tiefgreifende gesellschaftliche Verunsicherung und Orientierungsunsicherheit in einer komplexer gewordenen Welt, verursacht durch den raschen sozialen Wandel der letzten Jahre, verantwortlich für das Bestehen und die Tradierung fremdenfeindlicher Orientierungen In einer zugespitzten Variante dieser These werden die sogenannten „Modernisierungsverlierer“ -die Opfer des sozialen Wandels -als diejenige Gruppe ausgemacht, die in besonderem Maße zur Ausgrenzung von Migranten neige, wobei diese Gruppe jedoch unterschiedlich definiert wird: Mal werden diejenigen darunter verstanden, die sich in die Flexibilitätsanforderungen und die Ambivalenz der heutigen Welt nicht hineinfinden können, mal werden die ökonomisch und sozial Benachteiligten, so beispielsweise Arbeitslose, unter diese Gruppe gefaßt, mal wird dieser Begriff unter dem Schlagwort „Vereinigungsverlierer“ mit jungen Menschen oder der Gesamtbevölkerung in den neuen Bundesländern gleichgesetzt.
Wenn man den Jugendsurvey auf Belege für die These der sozioökonomischen Benachteiligung als Erklärungsfaktor für fremdenfeindliche Orientierungen untersucht, und speziell Arbeitslosigkeit als einen Indikator für eine solche Benachteiligung heranzieht, so zeigt sich, daß es in der Gruppe der jungen Arbeitslosen tatsächlich größere Anteile mit einer hohen Ausprägung fremdenfeindlicher Orientierungen gibt als in der Vergleichsgruppe der Erwerbstätigen: 34 Prozent gegenüber 21 Prozent in den alten Bundesländern bzw. 52 Prozent gegenüber 37 Prozent in den neuen Bundesländern. Diese scheinbar doch recht deutlichen Differenzen relativieren sich jedoch, wenn weitere Bedingungen berücksichtigt werden: Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und fremdenfeindlichen Einstellungen reduziert sich, wenn der Bildungsgrad der Befragten kontrolliert wird Das rührt daher, daß die Gruppe der Arbeitslosen durchschnittlich niedriger gebildet ist als die der übrigen Befragten, und der Bildungsgrad stellt, wie oben ausgeführt, ja einen wesentlichen Einflußfaktor für fremdenfeindliche Einstellungen dar. Wenn wir nun -mit anderer Blickrichtung als bisher -von den Befragten mit hoch fremdenfeindlichen Orientierungen ausgehen, dann zeigt sich, daß in dieser Gruppe die Arbeitslosen zwar leicht überrepräsentiert sind, aber insgesamt nur eine Minderheit ausmachen. Die deutliche Mehrheit der Befragten mit fremdenfeindlichen Einstellungen ist nicht arbeitslos. Als Ergebnis kann somit festgehalten werden, daß der Faktor Arbeitslosigkeit auf der individuellen Ebene nur eine geringe Rolle für die Erklärung von Fremdenfeindlichkeit spielt Diese Schlußfolgerung wird durch ein zweites Ergebnis noch unterstützt: Denn so gut wie überhaupt keinen Einfluß auf fremdenfeindliche Einstellungen hat die subjektiv empfundene Angst junger Menschen vor Arbeitslosigkeit; d. h., junge Menschen, die keine Angst haben, in der nächsten Zeit arbeitslos zu werden, zeigen durchschnittlich eine ähnlich hohe Ausprägung fremdenfeindlicher Orientierung wie solche, die ebendies befürchten
Diese Ergebnisse stehen vor allem in den neuen Bundesländern im deutlichen Gegensatz zu der insgesamt hohen Zustimmung zu Aussagen, die die Migranten in der Bundesrepublik mit der herrschenden Arbeitslosigkeit ursächlich verknüpfen oder entsprechend restriktive politische Maßnahmen beinhalten. Es sind also nicht in erster Linie die Arbeitslosen selbst oder diejenigen, die die Befürchtung haben, bald arbeitslos zu werden, die Immigranten vom bundesdeutschen Arbeitsmarkt ausschließen wollen, sondern auch junge Menschen mit sozial besser abgesicherten Lebensbedingungen, denen jedoch eines gemeinsam ist, nämlich eher keine formal höheren Bildungsabschlüsse zu besitzen. Dieser Befund steht in Übereinstimmung mit Ergebnissen anderer Studien der vergangenen Jahre, in denen ebenfalls kein unmittelbarer Einfluß bestehender oder vergangener Arbeitslosigkeit auf fremdenfeindliche Orientierungen belegt wurde
Auf einer anderen Ebene als der der sozioökonomischen Benachteiligung liegt dagegen eine Orientierungsunsicherheit, die bedingt ist durch ein Nicht-Zurechtkommen mit der Komplexität, Ambivalenz und dem schnellen Wandel der heutigen Welt. Junge Menschen, die solche Tendenzen von Verunsicherung zeigen, müssen keine Merkmale objektiver oder subjektiver sozioökonomischer Benachteiligung aufweisen. Im Jugendsurvey war danach gefragt worden, inwieweit drei Aussagen zutreffen, die eine solche Orientierungsunsicherheit zum Ausdruck bringen Aus diesen drei Statements wurde ebenfalls ein Summenindex gebildet, der die Orientierungsunsicherheit über die drei Aussagen hinweg abbildet In Tabelle 3 sind die Verteilungen fremdenfeindlicher Orientierungen je nach Grad der Orientierungsunsicherheit aufgeführt. Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang: je größer die Verunsicherung, desto höher das Ausmaß an fremdenfeindlichen Haltungen. Damit liefern auch die Daten des Jugendsurvey einen Hinweis dafür, daß die These von Orientierungsunsicherheit als Hintergrund für fremdenfeindliche Orientierungen nicht von der Hand zu weisen ist Als Fazit kann hier festgehalten werden, daß zum einen ein niedriger formaler Bildungsabschluß und zum anderen ein hoher Grad an Verunsicherung diejenigen Gruppen kennzeichnen, die die höchsten Anteile fremdenfeindlicher Orientierungen aufweisen. Beide Einflußgrößen wirken dabei unabhängig voneinander -in den niedrigen Bildungsgruppen sind gleichzeitig auch die größten Potentiale einer hohen Orientierungsunsicherheit zu finden.
V. Fremdenfeindlichkeit und politische Orientierungen
Abbildung 4
Tabelle 3: Fremdenfeindlichkeit und Orientierungsunsicherheit in den alten und neuen Bundesländern (Spaltenprozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1997.
Tabelle 3: Fremdenfeindlichkeit und Orientierungsunsicherheit in den alten und neuen Bundesländern (Spaltenprozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1997.
Im weiteren soll nun überprüft werden, in welcher Weise unterschiedliche Einstellungen gegenüber ausländischen Mitbürgern sich unterschiedlichen politischen Haltungen zuordnen lassen. Mit anderen Worten soll uns jetzt beschäftigen, welches unterscheidbare Profil politischer Einstellungen Befragte mit fremdenfeindlichen Überzeugungen im Vergleich zu fremdenfreundlichen Befragten vorweisen. Die Aspekte politischer Einstellung, die wir auf ihren Zusammenhang mit positiver bzw. negativer Haltung gegenüber Ausländern überprüfen wollen, sind im einzelnen die folgenden:
-Die Frage nach der politischen Selbstverortung im Links-rechts-Kontinuum;
-die Sympathie bzw. die Ablehnung, die politischen Parteien in der Bundesrepublik entgegengebracht wird, wobei in diese Bewertung neben den sechs im Bundestag vertretenen Parteien auch die Partei der Republikaner einbezogen wurde;
-die grundsätzliche Einstellung gegenüber der Demokratie und gegenüber Einzelelementen des demokratischen Systems, sowie schließlich -die nationalen Orientierungen, die die Befragten erkennen lassen.
Im Profil von Befragten, die negative Einstellungen gegenüber Ausländern an den Tag legen, sticht im Vergleich zu Befragten mit positiven Einstellungen besonders deutlich ihre unterschiedliche Selbstverortung im politischen Spektrum der Bundesrepublik Deutschland hervor. Fremdenfeindliche Befragte verstehen sich selbst häufiger als der Durchschnitt aller Befragten als rechtsorientiert;
ebenso deutlich weniger häufig rechnen sie sich dem linken Spektrum der Bundesrepublik zu.
Wenn wir im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit auf der 10-stufigen Links-rechts-Skala links und rechts von der Mitte jeweils einige Stufen zusammenfassen so läßt sich die prozentuale Verteilung der Antworten folgendermaßen beschreiben: Von den Befragten mit fremdenfeindlichen Orientierungen im Westen verorten sich 41 Prozent -und damit rund doppelt so viele wie im Durchschnitt aller Befragten (19 Prozent) -rechts von der Mitte. Links von der Mitte finden wir demgegenüber lediglich 17 Prozent der Fremdenfeindlichen; von allen Befragten aber rechnen sich doppelt so viele, nämlich 36 Prozent, diesem Teil des politischen Spektrums zu. Im Osten verteilen sich die Antworten nicht unähnlich: Rechts finden sich 33 Prozent der Fremdenfeindlichen gegenüber einem durchschnittlichen Anteil von lediglich 18 Prozent Rechten; links sind es 17 Prozent fremdenfeindliche Befragte, die 33 Prozent Linken unter allen Befragten gegenüberstehen. Mit anderen Worten bedeutet dieses Ergebnis, daß die fremdenfeindlichen Befragten sich überproportional häufig rechts verorten und unterproportional links. Dieses Ergebnis ist, was seine Größenproportionen angeht, für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ost und West nahezu identisch.
Befragte mit einer niedrigen Ausprägung von Fremdenfeindlichkeit verorten sich dagegen überproportional links von der Mitte. Auch hier sind die Ergebnisse in Ost und West nicht unähnlich, im Osten ist allerdings insgesamt eine stärkere Besetzung des linken Spektrums zu beobachten (vgl. Tabelle 4).
Die Antwortverteilung in Tabelle 4 macht des weiteren deutlich, daß ein großer Anteil der fremden-feindlichen Befragten sich selbst der Mitte des politischen Spektrums in der Bundesrepublik zurechnet. Im Osten sind dies die Hälfte aller fremdenfeindlichen Befragten, im Westen mit 42 Prozent etwas weniger. Zusammenfassend bedeutet dies, daß Fremdenfeindlichkeit häufig mit einer rechten Orientierung einhergeht, daß aber im gleichen Maß und im Osten sogar in deutlich stärkerem Maß sich Fremdenfeindlichkeit auch mit einem Selbstverständnis der politischen Mitte verbindet.
Mit der erkennbar gewordenen Selbstverortung von Fremdenfeindlichkeit im politischen Rechts-links-Spektrum korrespondiert die Verteilung von Sympathie und Ablehnung der politischen Parteien in der Bundesrepublik
Es sind die Republikaner, die von den fremden-feindlichen Befragten überproportional favorisiert werden, während demgegenüber die Partei der Grünen/Bündnis 90 im Vergleich zur Sympathie, die sie im Durchschnitt aller Befragten findet, bei den Fremdenfeindlichen deutlich niedriger rangiert. Dies gilt in der Tendenz gleichermaßen für die ostdeutschen wie die westdeutschen Befragten. In prozentualen Anteilen sieht diese konträre Stellung der Republikaner und der Grünen bei den fremdenfeindlichen Befragten so aus: Die Republikaner finden im Westen durchschnittlich nur bei 7 Prozent Sympathie, aber bei 21 Prozent der fremdenfeindlich eingestellten Befragten; im Osten beträgt dieses Größenverhältnis 8 Prozent zu 17 Prozent. Den Grünen/Bündnis 90 wird im Westen von durchschnittlich 58 Prozent Sympathie entgegengebracht, bei den fremdenfeindlichen Befragten hingegen nur von 35 Prozent; im Osten sind die entsprechenden Anteile 51 Prozent zu 35 Prozent.
Das Bild von den Parteisympathien der Befragten-gruppe mit fremdenfeindlichen Einstellungen wird allerdings erst dann vollständig, wenn man nicht übersieht, daß einerseits jeweils rund zwei Drittel der fremdenfeindlich eingestellten Befragten in Ost und West -nämlich je 64 Prozent -nichts von den Republikanern halten und daß sie andererseits der Partei der Grünen zwar unterdurch- schnittlich, aber immerhin noch zu einem Drittel -im Osten wie im Westen -Sympathie entgegenbringen. Und auch bei den großen Parteien der Mitte liegen die Sympathiewerte der fremden-feindlich eingestellten Befragten jeweils etwa im Durchschnitt aller Sympathisanten.
Nimmt man all diese Ergebnisse zusammen, so liegt folgender Schluß nahe: Die Parteisympathien der Fremdenfeindlichen (und der Fremdenfreundlichen) verteilen sich zwar erkennbar unterschiedlich, in der Tendenz sogar polarisierend, was die Republikaner und die Grünen angeht. Trotzdem aber muß man konstatieren, daß die Partei der Republikaner nicht als der alleinige politische Ort für Befragte mit fremdenfeindlichen Einstellungen gesehen werden darf. Vielmehr scheint diese Gruppe ihre Sympathien -mit politisch nachvollziehbaren Schwerpunkten -durchaus über die gesamte Parteienlandschaft zu verteilen, und zwar entsprechend ihrer sichtbar gewordenen Tendenz zur Mitte auf dem Links-rechts-Kontinuum Fremdenfeindlichkeit erscheint somit als eine Einflußgröße, die eher an den Rändern als grundsätzlich die Parteisympathien bzw. -antipathien verändert.
Das Verhältnis zum demokratischen System ist bei den fremdenfeindlich eingestellten Befragten nicht eindeutig, sondern eher ambivalent. Sie sprechen sich zwar einerseits gegen eine Diktatur aus, befürworten gleichzeitig aber durchaus eine stärker autoritäre Regierungsform, die „mit starker Hand mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen müßte“. Dem Statement dieses Inhalts wird in Ost und West von jeweils etwa der Hälfte (54 Prozent bzw. 51 Prozent) der Befragten mit deutlich fremdenfeindlicher Einstellung zugestimmt; das ist einedeutlich stärkere Zustimmung, als sie der Durchschnitt der Befragten (mit 42 Prozent im Osten und 27 Prozent im Westen) an den Tag legt. Auch der Systemaspekt, daß eine Demokratie ohne politische Opposition nicht denkbar ist. findet bei Befragten mit fremdenfeindlichen Einstellungen weniger Zustimmung als bei den Befragten insgesamt: Die entsprechenden Anteile liegen im Osten bei 48 Prozent gegenüber 60 Prozent im Durchschnitt und im Westen bei lediglich 46 Prozent Zustimmung unter den fremdenfeindlichen gegenüber 61 Prozent Zustimmung im Durchschnitt aller Befragten. Eine in der Tendenz gleiche, wenn auch eine nicht ganz so stark ausgeprägte Verteilung der Antworten findet sich bei dem Statement, daß in einer politischen Auseinandersetzung auch derjenige, der Recht hat, einen Kompromiß suchen sollte: Diesem Statement stimmen fremdenfeindliche Befragte überproportional seltener zu.
Zu der Anfälligkeit für autoritäre Staatsvorstellungen paßt schließlich auch die bei den fremden-feindlichen Befragten anzutreffende Reserviertheit gegenüber der „Idee der Demokratie“. Ist bei denjenigen Befragten, die eine positive Einstellung gegenüber Ausländern erkennen lassen, überwiegend -nämlich zu rund 90 Prozent in Ost und West -eine eindeutige Zustimmung zur „Idee der Demokratie“ zu finden, so ist eine solche Zustimmung bei den fremdenfeindlichen Befragten nur zu drei Vierteln (74 Prozent) im Westen und lediglich bei etwas mehr als der Hälfte (56 Prozent) im Osten anzutreffen; die durchschnittliche Zustimmung liegt sowohl im Westen (mit 84 Prozent) als auch im Osten (mit 71 Prozent) deutlich darüber.
In gleicher Weise korrespondierend stellen sich die nationalistischen Orientierungen dieser Befragtengruppe dar: Je fremdenfeindlicher Befragte eingestellt sind, desto mehr Stolz bekunden sie darauf, Deutsche zu sein. Im Westen sind von den Befragten mit positiver Einstellung gegenüber Ausländern lediglich ein Viertel (25 Prozent) stolz darauf, Deutsche zu sein, während von denjenigen mit negativer Einstellung zu Ausländern etwa zwei Drittel (62 Prozent) einen solchen Stolz bekunden; im Osten sind die entsprechenden Anteile 30 Prozent bzw. 73 Prozent. Diese national orientierte Haltung konkretisiert sich im „Stolz auf die deutsche Geschichte“ und in der Überzeugung davon, daß „Deutschland die Nummer 1 in Europa ist“. Die nicht nur hier nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen Nationalstolz bzw. nationalistisch orientierten Stolzaspekten auf der einen und fremdenfeindlichen Orientierungen auf der anderen Seite zeigen, daß eine nationalistisch orientierte Identifikation mit der Eigengruppe eine Abwertung von Fremdgruppen zur Folge hat Dies bedeutet auch, daß die Forderungen nach einem positiveren Selbstverständnis der Deutschen, wie sie des öfteren in die öffentliche Diskussion eingebracht werden eine Abwertung von Fremden in Kauf nehmen.
Schon in der Grundverteilung hatte sich gezeigt, daß die weiblichen Befragten in etwas geringeren Anteilen zu negativen Einstellungen gegenüber Ausländern neigen. Diese Geschlechtsspezifik findet sich als Tendenz auch bei der Selbstverortung im rechten politischen Spektrum: Am äußersten rechten Rand des Kontinuums finden sich in Westdeutschland doppelt soviele Männer und in Ostdeutschland sogar viermal soviele Männer wie Frauen. Die oben getroffene Feststellung zum Zusammenhang von Fremdenfeindlichkeit und politischer Orientierung läßt sich daher jetzt präzisieren: Von den Befragten mit deutlich negativer Haltung gegenüber Ausländern sind es vor allem Männer, die sich gleichzeitig auch als rechtsorientiert verstehen. Da auch bei den anderen untersuchten Merkmalen politischer Einstellung eine in die gleiche Richtung weisende Differenz zwischen männlichen und weiblichen Befragten zu beobachten ist, können wir mit aller Vorsicht folgende Aussage treffen: Die fremdenfeindliche Haltung scheint bei den weiblichen Befragten im Unterschied zu den männlichen stärker für sich zu stehen. Bei den männlichen Befragten scheint die negative Einstellung gegenüber Ausländern dagegen politisch stärker kontextualisiert zu sein insofern, als sich hier zumindest Anknüpfungen an und Übergänge zu nichtdemokratischen Vorstellungen und rechtsradikalen Ideologieelementen finden lassen.
VI. Schlußbemerkung
Abbildung 5
Tabelle 4: Fremdenfeindlichkeit und politische Selbstverortung in den alten und neuen Bundesländern (Spaltenprozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1997.
Tabelle 4: Fremdenfeindlichkeit und politische Selbstverortung in den alten und neuen Bundesländern (Spaltenprozent) Quelle: DJI-Jugendsurvey 1997.
Wenngleich die überwiegende Mehrzahl der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenenin Deutschland fremdenfeindliche Einstellungen und korrespondierende politische Forderungen nach wie vor entschieden ablehnt, so zeigen die hier vorgelegten Daten des DJI-Jugendsurvey von 1997 gleichwohl, daß die Fremdenfeindlichkeit von Jugendlichen als ein Problem angesehen werden muß, das die Gesellschaft und das politische System insgesamt herausfordert. Zwar sind entsprechende Einstellungen und Haltungen nicht gleichverteilt unter allen Jugendlichen: Sie häufen sich vielmehr insbesondere bei den Jugendlichen, die über eher niedrige Bildungsabschlüsse verfügen und die unter hoher Verunsicherung und Orientierungslosigkeit leiden. Zudem sind sie im Osten stärker ausgeprägt als im Westen. Diese Hinweise auf strukturelle Hintergründe machen aber deutlich, daß wir es hier nicht einfach nur mit einem Problem der politischen Bildung oder mit einem jugendspezifischen Problem in den neuen Ländern zu tun haben, das -sich selbst überlassen -auch wieder verschwindet. Fremdenfeindliche Einstellungen entwickeln sich vielmehr vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Konflikte und sozialer Verwerfungen, die von der Politik bearbeitet werden müssen. Noch setzen sich entsprechende Haltungen allenfalls punktuell in rechtsextremistische politische Forderungen und Parteiensympathien um. Es gehört jedoch zu den aktuellen Herausforderungen der Demokratie, diese gesellschaftlichen Zusammenhänge ernst zu nehmen, die Gefährdungspotentiale, die dort liegen können, zu sehen und ihnen eine aktiv gestaltende, demokratische Politik entgegenzusetzen.
Corinna Kleinert, M. A., geb. 1968; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Jugendinstitut, München. Veröffentlichungen u. a.: (Mitautorin) Jugend und Demokratie in Deutschland, hrsg. von Ursula Hoffmann-Lange, Opladen 1995; (Mitautorin) Jugend im Blickpunkt empirischer Forschung -drei aktuelle Jugendstudien, in: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau, 36 (1998). Winfried Krüger, M. A., geb. 1939; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut, München. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Ursula Hoffmann-Lange und Martina Gille) Jugend und Politik in Deutschland in: Oskar Niedermayer/Klaus von Beyme (Hrsg.), Politische Kultur in Ost-und Westdeutschland, Berlin 1994; (zus. mit Martina Gille, Johann de Rijke, Helmut Willems) Politische Orientierungen, Werthaltungen und die Partizipation Jugendlicher: Veränderungen und Trends in den 90er Jahren, in: Christian Palentien/Klaus Hurrelmann (Hrsg.), Jugend und Politik, Neuwied 1998. Helmut Willems, Dr. phil., geb. 1954; Leiter der Abteilung „Jugend und Politik“ am Deutschen Jugendinstitut, München. Veröffentlichungen u. a.: Fremdenfeindliche Gewalt, Opladen 1993; (Mithrsg.) Gewalt an Schulen. Ausmaß, Bedingungen und Prävention, Opladen 1996; Jugendunruhen und Protestbewegungen. Eine Studie zur Dynamik innergesellschaftlicher Konflikte in vier europäischen Ländern, Opladen 1997.
Helfen Sie mit, unser Angebot zu verbessern!
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).