Nachdem in der Vergangenheit die „Politiker in Uniform“ zum Alltag lateinamerikanischer Politik gehörten, haben dort seit einigen Jahren die Militärs den Rückzug in die Kasernen angetreten. Inwieweit sich die ehemaligen Machthaber allerdings tatsächlich unter die Autorität und Kontrolle einer demokratisch legitimierten Zivilregierung begeben haben, gilt heute in der politikwissenschaftlichen Lateinamerika-forschung als eine der Schlüsselfragen im demokratischen Konsolidierungsprozeß. Der Beitrag geht dieser Frage in vier südamerikanischen Ländern nach: Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay. Zwischen diesen Ländern gibt es nicht nur historisch eklatante Unterschiede hinsichtlich der politischen Rolle der Militärs, sondern auch hinsichtlich der Art und Weise, wie es den Streitkräften gelungen ist, den demokratischen Transitionsprozeß in ihrem Interesse zu lenken. In dem Ausmaß, in dem die Demokratisierung von den Generälen gesteuert werden konnte, ist es ihnen auch gelungen, ihre eigenen Machtpositionen über den Abschied von der Regierungsverantwortung hinaus abzusichern. Lediglich in Argentinien und Uruguay kann heute zivile Suprematie weitgehend als hergestellt betrachtet werden. In Chile haben sich die Streitkräfte eine von der Regierung unabhängige Position als „Staat im Staat“ bewahrt. Das Militär in Paraguay ist auch neun Jahre nach dem Ende der Stroessner-Diktatur weiterhin Teil der herrschenden Elite.
Südamerika ist heute frei von Militärregierungen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten immer wieder als „verlorenes Jahrzehnt“ stigmatisiert, waren die achtziger Jahre politisch-institutionell in den meisten Ländern des Subkontinents vom Rückzug der Streitkräfte aus der Regierungsverantwortung geprägt. Der wind ofchange erfaßte die Militärdiktaturen in Ecuador (Regimewechsel bereits 1979), Peru (1980), Bolivien (1982), Argentinien (1983), Brasilien (1985), Uruguay (1985), Paraguay (1989 bzw. 1993) und Chile (1990). Viele Hoffnungen, die mit der Vision vom Anbruch eines demokratischen Zeitalters geweckt worden waren, wurden allerdings bald von der politischen Realität eingeholt. Besonders die Erfahrungen, daß die postautoritären Regierungen den ehemaligen Machthabern im Endeffekt relativ machtlos gegenüberzustehen schienen -was vor allem in dem verbreiteten Phänomen der Straflosigkeit für begangene Menschenrechtsverletzungen seinen Ausdruck fand -, sorgte für eine „Entzauberung“ der jungen Demokratien. Schnell machte die Formulierung von der democracia tutelada, von der von den Militärs bevormundeten Demokratie die Runde.
Im vorliegenden Beitrag werden die Länder Argentinien, Chile, Uruguay und Paraguay hinsichtlich eines Aspektes untersucht, der als Conditio sine qua non, als „neuralgischer Punkt“ demokratischer Konsolidierung gilt, nämlich die Herstellung ziviler Überordnung, verstanden als Unterordnung des Militärs unter die Autorität und Kontrolle einer demokratisch gewählten Regierung. Dabei wird im folgenden davon ausgegangen, daß die diesbezüglichen Erfolgsaussichten sowohl mit eventuell bereits vorhandenen vorautoritären Erfahrungen mit der Demokratie als Herrschaftsform und einer entsprechend geprägten politischen Kultur, die die Zeit autoritärer Herrschaft womöglich überdauert hat, als auch mit der konkreten Ausgestaltung und dem Ausmaß der Steuerung des demokratischen Transitionsprozesses durch die militärischen Machthaber in Zusammenhang stehen. Nach einem knappen historischen Überblick über die traditionelle politische Rolle der Streitkräfte in den vier Ländern und die Art der Militärregime wird deswegen im folgenden auch auf den Typ des jeweiligen Systemwechsels eingegangen. Es stellt sich dann die Frage, ob sich das Militär über den Abschied von der Regierungsverantwortung hinaus tatsächlich als politische Elite zurückgezogen und einer zivil-demokratischen Kontrolle unterstellt hat Gibt es ein klares Primat der Politik oder verfügt das Militär über eine Veto-Macht gegenüber der Regierung?
Zivile Suprematie unter demokratischen Vorzeichen gilt als hergestellt, wenn alle folgenden Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Ausübung ziviler Kontrolle über die Militärs wurde über mehrere Jahre hinweg so selbstverständlich praktiziert, daß sie als fester Bestandteil der politischen Kultur betrachtet werden kann. 2. Es existieren keine verfassungsmäßig garantierten bzw. institutionell abgesicherten autoritären Enklaven, mit denen sich die Militärs der zivilen Autorität entziehen können. Es kam in den zurückliegenden Jahren nicht zu militärischen Machtdemonstrationen zum Zwecke der „Erpressung“ der Regierung (z. B. in Form eines Aufstandes, einer Rebellion). 4. Es besteht darüber hinaus offensichtlich keine Interventionsbereitschaft der Militärs, worunter die Androhung eines Putsches ebenso verstanden wird wie die Ausübung von politischem Druck auf die gewählte Regierung beispielsweise durch zivil-militärische Allianzen mit anderen gesellschaftspolitisch relevanten Kräften 3. 5. Die Exekutive hat sich, quasi als Testfall, in ein Die Exekutive hat sich, quasi als Testfall, in einer konkreten Konfliktsituation gegen die zuvor artikulierten Interessen der Militärs durchgesetzt, wobei die Entscheidung dann auch entsprechend akzeptiert wurde 4.
I. Zum traditionellen Verhältnis von Militär und Politik
„Ein vom Militär erzwungener bzw. nach einem Wahlsieg der Opposition verhinderter Machtwechsel; der Einsatz von Truppen gegen rebellierende Bauern, gegen Streikende und Demonstranten; ein General in Pose auf dem Präsidentenstuhl -dergleichen Meldungen und Bilder kamen jahrzehntelang vorzugsweise aus Lateinamerika, wo Militär-Caudillos seit den Unabhängigkeitskriegen eine zentrale Rolle in der Politik gespielt hatten.“ 5 Obwohl diese plakative Darstellung insgesamt durchaus zutreffend ist, wird sie den Unterschieden in der Entwicklung der hier behandelten Länder kaum gerecht. Dies wird schnell deutlich, wenn -siehe Übersicht oben -nicht nur die letzten 25 Jahre, sondern auch die 25 Jahre davor betrachtet werden.
In Paraguay herrschte nach Jahren der politischen Instabilität mit häufig wechselnden Regierungen ab 1954 35 Jahre lang General Stroessner. Die Macht seines autoritären Regimes stützte sich auf drei Pfeiler: die Colorado-Partei, den Staatsapparat und das Militär, das seit dem Ende des Chaco-Krieges gegen Bolivien im Jahr 1935 als politischer Akteur deutlich an Bedeutung gewonnen hatte. Gelang es Stroessner in Paraguay, eine repressive Stabilität des politischen Systems herzustellen, so nahm die Entwicklung in Argentinien einen deutlich wechselhafteren Verlauf. Dort lösten sich ab 1930 durch Putsch installierte Militärregierungen und demokratisch gewählte Präsidenten gegenseitig ab. Es gab keine längeren Phasen wirklich demokratischer Herrschaft, keiner der gewählten Präsidenten konnte seine Amtszeit regulär beenden, geschweige denn sein Amt an einen ebenfalls gewählten Nachfolger abgeben. Der Putsch von 1976 war der sechste gelungene Staatsstreich seit 1930. Die argentinischen Militärs waren dauerhaft als zentraler Machtfaktor in der nationalen Politik präsent.
Völlig anders gestalten sich die historischen Konstellationen in Chile und Uruguay. Dort sind demokratische Erfahrungen sehr ausgeprägt und gehen zeitlich auch hinter das in der Abbildung erfaßte Jahr 1948 zurück. Chile erlebte in den 143 Jahren vor dem Putsch im September 1973, mit dem die demokratisch gewählte, sozialistische Regierung Allende gestürzt wurde, lediglich vier Monate unter einer Militärjunta Dieses Phänomen ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer durchgängigen Bedeutungslosigkeit der Militärs als politischer Akteur. Besonders Mitte der zwanziger bis Anfang der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts übten sie einen nicht unerheblichen Einfluß auf die nationale Politik aus Im Unterschied dazu waren in Uruguay die Militärs im 20. Jahrhundert bis Ende der sechziger Jahre als relevanter politischer Akteur praktisch nicht in Erscheinung getreten. Selbst bei einem diktatorischen Intermezzo Anfang der dreißiger Jahre spielten sie keine nennenswerte Rolle.
Zusammenfassend lassen sich vier unterschiedliche Typen der traditionellen Beziehungen zwischen Militär und Politik mit Blick auf die Stabilität des politischen Systems identifizieren: -Stabilität mit Hilfe der Streitkräfte im Rahmen eines autoritären Systems (Paraguay), -häufige Regimewechsel (Instabilität) mit Beteiligung der Militärs (Argentinien), -demokratische Stabilität mit den Streitkräften als politischer Akteur (Chile) sowie -demokratische Stabilität ohne besondere politische Relevanz der Militärs (Uruguay).
Die Militärregime, die in den siebziger Jahren in Argentinien, Chile und Uruguay errichtet worden waren, sind dem Typus des bürokratischen Autoritarismus zuzuordnen. Sie operierten auf einer ähnlichen ideologischen Basis (sogenannte Doktrin der Nationalen Sicherheit), indem sie mit klaren, gegen innere Kräfte gerichteten Feindbildern als Retter der Nation mit dem Anspruch auftraten, „christlich-abendländische Werte“ bewahren und „Ruhe und Ordnung“ wiederherstellen zu wollen. Allerdings war die Führungsebene im Herrschaftsapparat der drei Länder jeweils anders strukturiert. Während sich in Chile relativ bald nach dem Sturz Allendes eine stark auf General Pinochet ausgerichtete, 17 Jahre währende Diktatur (19731990) etablieren konnte, teilte sich in Argentinien von 1976 bis 1983 eine aus den Führern der drei Teilstreitkräfte zusammengesetzte Junta die Macht, die mit verschiedenen Galionsfiguren kaum den Eindruck eines geschlossenen Macht-blocks erweckte. Die militärischen Machthaber in Uruguay wiederum agierten die längste Zeit ihrer von 1973 bis 1985 dauernden Herrschaft dergestalt hinter einer zivilen Fassade, daß sie bis 1981 keinen Angehörigen der Streitkräfte als Präsidenten an die Spitze der Regierung stellten. Im Unterschied zu den drei genannten Ländern handelte es sich in Paraguay um eine traditionelle, patrimoniale Diktatur zentralamerikanischer bzw. karibischer Prägung. Das Stroessner-Regime verband Elemente einer Militärregierung mit Merkmalen einer personalistisch ausgerichteten Diktatur in alter Caudillo-Manier, die zusätzlichen Rückhalt durch eine Staatspartei erfuhr.
II. Charakteristika der demokratischen Transitionsprozesse
Idealtypisch lassen sich fünf Modi des Systemwechsels unterscheiden: ausgehandelte Transition -von alten Regimeeliten gelenkter Übergang -von unten erzwungener Systemwechsel (Revolution) -Kollaps/Zusammenbruch des alten Regimes -„Neu“ gründung von Staaten Der Fall Argentinien gilt typologisch in der Regel als ein Paradebeispiel für den Zusammenbruch eines autoritären Regimes. Auf der Basis der für interne Konflikte anfälligen Herrschaftskonstruktion traten verstärkt ab 1981 Divergenzen offen zutage. Uneinigkeit herrschte sowohl über die Wirtschaftspolitik als auch darüber, ob vorsichtige, kontrollierte Öffnungstendenzen des autoritären Regimes eingeleitet werden sollten. Nach nur sechs Monaten im Präsidentenamt wurde General Viola gestürzt, und es setzten sich'die Hardliner in den Reihen der Militärs durch. Deren Machtbasis erodierte jedoch zunehmend, es kam zu einer wachsenden gesellschaftlichen Mobilisierung gegen die Diktatur.
Auf der Suche nach neuen Quellen der Legitimationszufuhr entwickelten die Streitkräfte ein hohes Maß destruktiver Kreativität. Mit der Invasion der seit 1833 von Großbritannien besetzten und von Argentinien beanspruchten Falkland/Malvinas-Inseln lösten sie eine Welle nationalistischen Überschwangs in der argentinischen Gesellschaft aus. Wirklich herrschaftsstabilisierende Effekte angesichts der „Rückeroberung der Malvinas“ blieben allerdings aus. Denn mit der militärischen Niederlage Mitte 1982 waren die Streitkräfte nun auch auf ihrem ureigensten Terrain gescheitert. In den folgenden eineinhalb Jahren der Verhandlungen zwischen den Noch-Machthabern und Vertretern aus Gewerkschaften und Parteien, vor allem der peronistischen Partei, gelang es den Militärs aufgrund des kompletten Legitimationsverlustes (sie waren wirtschaftlich, moralisch und sogar militärisch diskreditiert) nicht, den Machtwechsel mit irgendwelchen Bedingungen zu verknüpfen.
In Uruguay initiierten die Militärs mit einem Projekt, das eigentlich der langfristigen Stabilisierung ihres Herrschaftssystems dienen sollte, ungewollt den Transitionsprozeß. Völlig überraschend sprach sich die Mehrheit der Bevölkerung Ende 1980 in einem Plebiszit gegen eine Verfassung aus, mit derdie autoritären Machthaber ihre dominierende Rolle in der weiteren politischen Entwicklung des Landes festschreiben wollten.
Im Rahmen eines ausgehandelten Überganges kam es 1983 zu Verhandlungen zwischen den Militärs und den politischen Parteien als den zentralen politischen Akteuren der vordiktatorialen Zeit. Die Machtposition der Streitkräfte war dabei insofern zusätzlich geschwächt, als Ende 1982 parteiinterne Wahlen zu den Führungsgremien der traditionellen Parteien durchgeführt wurden, aus denen eindeutig die regimekritischen Kräfte als Sieger hervorgingen. Damit hatten die Militärs nicht nur zumindest indirekt eine zweite empfindliche Niederlage per Stimmzettel erlitten, sondern ihr Gegenüber bei den folgenden Verhandlungen war nun auch demokratisch legitimiert. Zudem wurde der Übergangsprozeß von einer breiten gesellschaftlichen Mobilisierung gegen die autoritären Machthaber getragen. Als Ergebnis des offiziellen zivil-militärischen Dialoges gelang es den Streitkräften nicht, ihre Position als politischer Macht-faktor institutionell und/oder strukturell in irgendeiner Form abzusichern.
Anders als in Uruguay konnten sich die Militärs in Chile mit der von ihnen erarbeiteten Verfassung durchsetzen. Per Volksabstimmung wurde 1980 eine Übergangsdiktatur etabliert, die das komplette Jahrzehnt überdauern sollte. Die Position der Militärregierung war so gefestigt, daß die Machthaber keinerlei Veranlassung sahen, mit der Regimeopposition Verhandlungen über die Rückkehr zur Demokratie aufzunehmen. Jegliche Versuche, dem von den Militärs komplett gesteuerten Übergangsprozeß entgegenzuwirken oder gar Pinochet zu stürzen, blieben ohne Erfolg.
Erst das Plebiszit von 1988, bei dem über einen von der Junta vorgeschlagenen Präsidentschaftskandidaten (Pinochet) abgestimmt wurde, sollte den regimekritischen Kräften im Rahmen der von den Militärs aufgestellten Spielregeln die Gelegenheit geben, den Machthabern eine Niederlage zuzufügen. Alle Unwägbarkeiten einkalkulierend, hatten die Militärs allerdings Vorsorge getroffen: Zusätzlich zur eigenen juristischen und materiellen Absicherung hatten sie ihre Machtposition auch unter einer zukünftigen demokratischen Regierung festgeschrieben.
In Paraguay war der Sturz Stroessners im Februar 1989 das Ergebnis eines internen Machtkampfes der Streitkräfte. Mit General Rodriguez übernahm der bisherige Oberkommandierende des Heeres und zweite Mann hinter Stroessner dessen Amt als Staatspräsident. Als führender Kopf der alten Machtclique knüpfte er -aus welchen Beweggründen auch immer -allerdings nicht an die Tradition des alten Diktators an, sondern leitete den demokratischen Übergang ein, ohne daß hier der Opposition eine besondere Bedeutung zukam.
Entscheidende Schritte im Transitionsverlauf bildeten die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Juni 1992, in der explizit die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten ausgeschlossen wurde, sowie schließlich im Mai 1993 als founding elections die ersten freien Wahlen auf nationaler Ebene, aus denen allerdings die alte Stroessner-Partei, die Colorado-Partei, siegreich hervorging. Zum Präsident gewählt wurde der Zivilist Juan Carlos Wasmosy. Doch trotz veränderter Rahmenbedingungen blieben die Streitkräfte nach der von der alten Regimeelite unter Ausschluß von Stroessner gelenkten Transition ein zentraler Macht-und Ordnungsfaktor.
III. Die Rolle der Streitkräfte in der Demokratie
Die politische Rolle der Streitkräfte in der Demokratie der einzelnen Länder wurde nicht nur von der konkreten Ausgestaltung des Transitionsprozesses geprägt, sondern auch von den Hinterlassenschaften der autoritären Machthaber. In Argentinien und Uruguay hatten sich die Militärs ethisch-moralisch aufgrund der massiven Menschenrechtsverletzungen selbst diskreditiert sowie ihre Unfähigkeit bewiesen, wenn es um die Umsetzung der autoritären Regimen immer wieder zugeschriebenen Modernisierungskapazitäten ging. Als Träger des sozialen Wandels, als der die Militärs vor allem in den sechziger Jahren von zahlreichen Entwicklungstheoretikern gesehen wurden, waren sie gescheitert; „sozialer Wandel“ bedeutete in der Realität die massive Einschränkung politischer und ziviler Freiheiten sowie den Aufbau eines menschenverachtenden Repressionsapparates. Ergebnis ihrer Wirtschaftspolitik war ein ökonomisches Desaster, entsprechend verheerend war ihr Image in der Bevölkerung Auch konnten sie von der „herrschenden Klasse“ nicht länger als verläßlicher Bündnispartner betrachtet werden" Demgegenüber traten die Streitkräfte in Chile und Paraguay nicht als Verlierer den Rückzug aus der unmittelbaren Regierungsverantwortung an. Zwar stand gerade die chilenische Militärdiktatur der argentinischen und uruguayischen hinsichtlich staatlicher Repressionsmaßnahmen um nichts nach, mit Blick auf die Wirtschaftspolitik wurde ihr aber immer wieder ein positives Ergebnis attestiert. Sowohl in Paraguay als auch in Chile konnten sich zudem die Streitkräfte auf ihre Fahnen schreiben, den Übergang zu einer „geschützten Demokratie“ selbst eingeleitet zu haben. Welche Rolle als politischer Akteur spielten nun die Streitkräfte nach der Amtsübernahme durch demokratisch legitimierte Regierungen im einzelnen? Die neunziger Jahre in Paraguay sind Jahre des politischen Wandels. Es entstehen neue Parteien, Gewerkschaften, Bauernverbände und andere gesellschaftspolitische Interessenorganisationen. Im Mai 1994 kommt es zum ersten Generalstreik seit 35 Jahren. Bereits unmittelbar nach dem Putsch 1989 war die Pressezensur aufgehoben worden; neu entstehende Medien scheuen sich nicht, auch die Regierung einer kritischen Berichterstattung zu unterziehen. Institutioneile Reformen, wie die des Wahlsystems 1990, mit der dem Machterhalt der Colorado-Partei dienende Regelungen undemokratischen Charakters aufgehoben wurden, oder wie die Verankerung zumindest formaler Gewaltenteilung und -trennung in der Verfassung von 1992 schaffen Grundvoraussetzungen zur Etablierung demokratischer Verhältnisse Doch auch nach den Wahlen von 1993 blieben die Militärs Teil der herrschenden Elite. Zur Wahrung ihrer im patrimonialen System erworbenen wirtschaftlichen Privilegien steht die Militärführung weiterhin in engen Korruptionsverbindungen mit den Spitzen der Exekutive
Militärs wie Ex-General Oviedo verkörpern die immer noch existente, autoritär geprägte politische Kultur Paraguays und den Machtanspruch der Streitkräfte. Noch als General im Dienst hatte er ähnlich wie andere Militärs massiv den Wahlkampf von Wasmosy unterstützt und unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß bei einem Sieg der Opposition mit einer Intervention der Streitkräfte zu rechnen sei Im Gegenzug setzte Wasmosy nach gewonnener Wahl seinen Unterstützer Oviedo als Oberbefehlshaber der Streit-kräfte ein, ohne daß dies eine Unterordnung der Militärs unter die Autorität der Regierung implizierte. Als Wasmosy beispielsweise einen ihm gegenüber loyalen General im Amt beläßt, den Oviedo auf einen unbedeutenden Posten abschieben wollte, kam es zu Putschgerüchten.
Die Spannungen zwischen beiden gipfelten im April 1996 in einem Putschversuch, mit dem Oviedo sich der Absetzung als Oberbefehlshaber des Heeres zu widersetzen versuchte. Wasmosys Konfliktlösungsstrategie lief darauf hinaus, dem meuternden General zur Beschwichtigung das Amt des Verteidigungsministers anzubieten; erst auf öffentlichen Druck aus dem In-und Ausland akzeptierte Oviedo die Entlassung. In der Folgezeit bis zu den Präsidentschaftswahlen im Mai 1998 blieb er Hauptakteur einer Polit-Posse ohnegleichen mit Beschimpfungen, Arreststrafen wegen Beleidigung der Würde des Staatspräsidenten und anschließender Aufhebung des Urteils durch ein Berufungsgericht, Hausdurchsuchungen, angeblichen Mordkomplotten, Umsturzplänen usw. Letztlich allerdings scheiterte Oviedo mit seinen Ambitionen, für das Präsidentenamt zu kandidieren und mußte statt dessen die Wahlen von der Gefängniszelle aus verfolgen.
Allerdings ging die Colorado-Partei erneut siegreich aus den Wahlen hervor und stellt nun mit Raül Cubas Grau einen Präsidenten, der nicht nur als Fürsprecher Oviedos gilt, sondern eine solche Position einnimmt, daß bislang unklar ist, wer nun wirklich das Land regiert Klar hingegen ist weiterhin, daß zivile Suprematie in Paraguay ausgeschlossen bleibt, solange die Verquickung von Regierungspartei und Streitkräften fortbesteht. In diesem Zusammenhang ist auch das von der Colorado-Partei Mitte Mai 1998 angekündigte Amnestiegesetz zu sehen, das nicht nur die Freilassung Oviedos, sondern auch die Rückkehr von Ex-Diktator Stroessner aus dem brasilianischen Exil ermöglichen würde.
Neben Paraguay ist Chile heute das einzige postautoritäre Regime in Südamerika mit starken Parteien, die sich mit dem vorausgegangenen Militärregime identifizieren Doch trotz beachtlicher Wahlerfolge der dem Ex-Diktator Pinochet nahe-stehenden Rechtsparteien gibt es hier keine autoritäre Kontinuität in der unmittelbaren Regierungsverantwortung. Ununterbrochen seit der Rückkehr zur Demokratie stellt ein von Christdemokraten und Sozialisten angeführtes Parteien-bündnis die Regierung. Unabhängig von dem Rückhalt, den die Militärs über die parteipolitische Schiene genießen, haben sie trotz der Über-gabe der Regierungsverantwortung an Präsident Aylwin im Jahr 1990 als gleichsam vierte Gewalt neben Exekutive, Legislative und Judikative ihren festen Platz im Institutionengefüge. Allein mit dem Verbleib von Pinochet im Amt des Oberbefehlshabers der Streitkräfte bis 1998 konnten sich die Militärs eine Autonomie bewahren, die sie weitgehend frei von der „Gefahr“ ziviler politischer Kontrolle durch die Regierung machte.
Zu den im Transitionsprozeß festgeschriebenen Schutzvorkehrungen in diesem Sinne zählt u. a., daß sich der Senat nur zu vier Fünfteln aus demokratischen Repräsentanten zusammensetzt; von 47 Senatoren werden neun designiert, wobei drei davon Ex-Oberkommandierende der Streitkräfte sind Außerdem wurde ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet, der über die Verhängung des Kriegs-und Belagerungszustandes entscheidet und eine Kontrollinstanz gegenüber den drei klassischen Staatsgewalten darstellt. Neben dem Staats-präsidenten sind im Nationalen Sicherheitsrat u. a. die Oberbefehlshaber der drei Teilstreitkräfte vertreten. Bezüglich der Frage nach der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen hatten die Militärs bereits 1978 mit einem Amnestiegesetz Vorsorge getroffen. Eine von Aylwin eingesetzte Kommission konnte zwar weit über 2 000 Fälle von Menschenrechtsverletzungen mit Todesfolge untersuchen und dokumentieren; es kam auch zu Entschädigungszahlungen an Opfer. Die Abschaffung des Amnestiegesetzes sowie die Strafverfolgung der Schuldigen als zentrale Punkte seines Regierungsprogrammes konnte er jedoch nicht erreichen.
Neben diesen machtpolitischen Aspekten haben die Streitkräfte auch ihre ökonomischen Interessen abgesichert: So wurde nicht nur festgeschrieben, daß die Höhe des Militäretats den Stand von 1989 nicht unterschreiten darf, sondern das Militär erhält auch jährlich automatisch zehn Prozent der Gewinne aus dem Verkauf des traditionell wichtigsten Exportprodukts Kupfer. Insgesamt ist es den chilenischen Militärs bislang gelungen, sich über autoritäre Enklaven der zivilen Kontrolle zu entziehen. Neben unzähligen Beispielen der Demonstration ihrer Macht und Interventionsbereitschaft besitzen sie weiterhin die Möglichkeit, aktiv und über legalisierte Mechanismen in den politischen Prozeß einzugreifen. So sind bislang auch alle
Anstrengungen der Regierung gescheitert, die designierten Senatoren abzuschaffen. Selbst wiederholte Versuche, den Jahrestag des Putsches am 11. September als Nationalfeiertag aufzuheben, blieben erfolglos; ein diesbezüglicher neuer Gesetzesentwurf wurde von Präsident Frei Ende Mai 1998 angekündigt. Auch alle Bestrebungen, daß Pinochet nach seinem planmäßigen Rücktritt als Armeechef im März 1998 nicht das Amt eines Senators auf Lebenszeit übernimmt, waren zum Scheitern verurteilt.
Nicht immer allerdings gingen Exekutive und Judikative in der Konfrontation mit dem Machtapparat der Streitkräfte als Verlierer vom Feld. So wurde beispielsweise 1995 der ehemalige Chef des Geheimdienstes, General Contreras, und einer seiner Mitarbeiter zu mehrjähriger Haft wegen der Ermordung des ehemaligen Außenministers der Regierung Allende 1976 in Washington verurteilt Und mit einer bis dahin einmaligen Entscheidung hatte Mitte November 1997 der Oberste Gerichtshof die von der Militärjustiz erlassene Amnestie im Falle zweier 1974 verschwundener Oberschüler aufgehoben. Kurz zuvor hatte der seit März 1994 amtierende Präsident Frei überraschend sein Veto gegen die Beförderung eines Offiziers und engen Vertrauten Pinochets zum General eingelegt, weil dieser mit der Ermordung eines ausländischen Diplomaten Mitte der siebziger Jahre in Verbindung gebracht wird. Diese und ähnliche Terraingewinne gegenüber dem Militär bleiben allerdings bescheiden, solange es seine strukturell abgesicherte Rolle als „Staat im Staat“ aufrechterhalten kann.
Im Unterschied dazu sind die Militärs in Argentinien und Uruguay heute als politische Elite relativ unbedeutend. Aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Transitionsprozesses und der schwachen Machtposition der Militärs besaß die erste postautoritäre Regierung in Argentinien zunächst einen weitaus größeren Handlungsspielraum, als dies im benachbarten Chile der Fall war. Noch im Monat des Amtsantritts von Alfonsm, im Dezember 1983, war eine ein Vierteljahr zuvor von den Militärs erlassene Selbstamnestie vom Kongreß als verfassungswidrig aufgehoben worden, so daß tatsächlich führende Mitglieder der Militärjunta wegen Menschenrechtsverletzungen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden konnten. Mit einer Reihe weiterer Maßnahmen sollte die institutioneile Unterordnung der Militärs unter die Exekutive sichergestellt werden. Dazu gehörten zwei Regierungsdekrete, mit denen das von den Streitkräften kontrollierte Aktienpaket der größten Industrie-gruppe des Landes sowie die Entscheidungskompetenz für die Ernennung, Versetzung, Entlassung und Versetzung in den Ruhestand von höheren Offizieren auf das Verteidigungsministerium übertragen wurden
Schließlich kam es im Dezember 1986 zum soge-nannten Schlußpunktgesetz, mit dem eine Frist für Anklageerhebungen gesetzt wurde, und fünf Monate später zum Befehlsnotstandsgesetz, mit dem mehr als 270 Verfahren eingestellt wurden. Kurz zuvor, als gegen fast 400 Offiziere Anklage erhoben worden war, hatte sich mit der Osterrebellion von 1987 der erste Aufstand aus den Reihen der Militärs ereignet. Zwei weitere Revolten im Jahr 1988 verdeutlichen, daß es Präsident Alfonsm nicht gelungen war, die Streitkräfte wirklich in das demokratische System zu integrieren. Die Tatsache allerdings, daß im Unterschied zu den Nachbarländern führende Köpfe der Militärdiktatur tatsächlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, bedeutete einen ersten, wichtigen Schritt, die traditionelle politische Macht der Militärs zu schwächen und damit zur Konsolidierung der Demokratie beizutragen
Auf dieser Basis konnte Carlos Menem agieren, der aufgrund der dramatischen Wirtschaftskrise Alfonsm Mitte 1989 vorzeitig im Amt des Präsidenten ablöste. Zuvor hatten die aufständischen Militärs, die carapintadas, wissen lassen, daß für sie die einzige Alternative bei den Präsidentschaftswahlen eine Niederlage der Regierungspartei sei. Öffentlich boten sie sich als Garant dafür an, daß der Peronist Menem nach einem Wahlsieg nicht auf ungesetzlichem Weg aus dem Präsidentenamt entfernt würde Menem wiederum setzte von Anfang an „auf einen pragmatischen Kurs, was bedeutete, daß er sich so weit wie möglich mit den diversen Machtfaktoren arrangierte“ Nach dem Gnadenerlaß vom Oktober 1989 wurden Ende 1990 die letzten noch einsitzenden Generäle aus der Haft entlassen.
Unabhängig davon, wie Menems Strategie unter ethisch-moralischen und sein Regierungsstil unter rechtsstaatlich-demokratischen Gesichtspunkten zu beurteilen sind, scheint es ihm im Rückblick auf die vergangenen acht Jahre durch seine Militärpolitik gelungen zu sein, zivile Überordnung herzustellen. Seine Strategie entsprach einem Tauschhandel mit den Militärs: Begnadigung aller, die wegen Menschenrechtsverletzung oder Meuterei angeklagt bzw. verurteilt waren, gegen die Verpflichtung der Militärs, sich der zivilen Gewalt unterzuordnen. Gemäß der neuen Spielregeln war ein Schlußstrich unter die Vergangenheit gezogen worden, zukünftiger Ungehorsam würde aber hart bestraft werden
Die erste Militärrebellion gegen die Regierung Menem im Dezember 1990 sollte gleichzeitig die letzte bleiben. Nachdem der Aufstand noch am selben Tag von loyalen Truppen niedergeschlagen worden war, wurden die Rädelsführer zu hohen Haftstrafen verurteilt. Während bei den drei vorhergehenden Rebellionen die Regierung Alfonsm von den carapintadas noch zu Verhandlungen hatte gezwungen werden können, die die Autorität des Präsidenten beschädigten, ging Menem aus der Revolte gestärkt hervor. Die Aufständischen mußten nicht nur eine komplette Niederlage hinnehmen, sondern auch erkennen, daß sie innerhalb der Streitkräfte kaum Rückhalt hatten
In der Folgezeit ließ sich trotz Personalabbau und eines rigiden Sparkurses auch bei den Verteidigungsausgaben kaum noch eine ernsthafte Interventjonsbereitschaft der Militärs erkennen. Menem verstand es, eine Allianz mit den Streitkräften herzustellen und sie für ihre Loyalität nicht nur durch öffentliche Anerkennung, sondern auch mit zivilen Posten zu belohnen Da Menem selbst es mit den demokratischen Spielregeln nicht sehr genau nimmt, könnte seine Militärpolitik auch als Versuch interpretiert werden, sich mit den Streit-kräften Verbündete zu schaffen, mit deren Hilfe er seine politische Macht zu sichern in der Lage ist.
Redemokratisierung in Uruguay war anders als in allen anderen Ländern des Subkontinents gleichbedeutend mit einer Restauration im Sinne einer getreuen und gewollten Wiederherstellung der „alten“ Demokratie. Dies umfaßte das gesamte politische System mit seinen Parteien als den zentralen politischen Akteuren und den aus der vordiktatorialen Zeit gewohnten Verfahrensregeln für den politischen Prozeß gemäß den in der politischen Kultur verankerten zentralen demokratischen Werten. Ohne jegliche institutionell abgesicherten Einflußsphären bedeutete dies für die Militärs eine erneute Unterordnung unter das Primat der Politik.
Die aber nunmehr im kollektiven Bewußtsein verankerte Erfahrung, daß selbst reichhaltige demokratische Traditionen gegenüber Ambitionen der Militärs, nach der politischen Macht zu greifen, nicht immunisieren, veranlaßte vermutlich Präsident Sanguinetti, nicht auf Konfrontationskurs zu den ehemaligen Machthabern zu gehen. Zur Konfliktvermeidung wurde deswegen Ende 1986, nachdem die ersten Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht hatten erscheinen müssen, das sogenannte Hinfälligkeitsgesetz im Parlament gegen heftige Widerstände der Opposition verabschiedet. Ähnlich wie in Argentinien war damit ein Schlußstrich unter das Kapitel „Bestrafung der Militärs“ gezogen, wobei in der Folgezeit diese Entscheidung in Uruguay aber noch eine qualitativ andere demokratische Legitimation erhalten sollte. Denn in einem Plebiszit im April 1989 stimmten 56 Prozent für eine Beibehaltung des Gesetzes
Ohne Zweifel war die Angst vor ähnlichen Entwicklungen wie in Argentinien, vor erneuter militärischer Gewalt und damit auch vor einer Gefährdung der demokratischen Stabilität ausschlaggebend dafür, daß viele trotz moralischer Bedenken einer Amnestie zu Lasten von Fragen der Gerechtigkeit zustimmten. Da insofern eine Interventionsbereitschaft der Militärs von der Mehrheit der Bevölkerung wahrgenommen wurde, war -basierend auf den anfangs genannten Kriterien -bis Ende der achtziger Jahre zivile Überordnung noch nicht eindeutig hergestellt.
Nicht relevant für diese Einschätzung ist die von vielen Seiten hart kritisierte Entscheidung Sanguinettis aus dem Jahr 1987, den als reformorientierten Liberalisierer aufgetretenen letzten Oberbefehlshaber der Streitkräfte während der Diktatur, Ex-General Medina, in das Amt des Verteidigungsministers zu berufen. Denn weder implizierte dies institutionell abgesicherten Einfluß der Streitkräfte, noch ergaben sich daraus konkrete Anhaltspunkte unzureichender Unterordnung der Streitkräfte unter die Kontrolle der Regierung. Zwar kam aus den Reihen der Militärs während des Präsidentschaftswahlkampfes 1989 eine (!) aufsehenerregende Stellungnahme, nach der unter ähnlichen Bedingungen wie 1973 die Möglichkeit eines Putsches gegeben sei. Medina selbst wies dies aber als „traurige Initiative eines einzelnen“ sofort klar zurück. Er erklärte demonstrativ die volle Loyalität der Streitkräfte gegenüber der demokratischen Regierung und versicherte, daß das Wahlergebnis auf alle Fälle respektiert würde, auch bei einem Sieg des unmittelbar vor der Diktatur erstmals in Erscheinung getretenen linken Parteienbündnisses Frente Amplio, dem nunmehr nicht nur Sozialisten und Kommunisten, sondern auch die ehemalige Stadtguerilla, also der eigentliche Erzfeind der Militärs, angehörte. Tatsächlich kam es auch zu keinen weiteren Drohgebärden aus den Reihen der Militärs nach dem Sieg des Frente Amplio bei den gleichzeitig durchgeführten departementalen Wahlen in Montevideo, mit dem erstmals die Vorherrschaft der beiden traditionellen Parteien durchbrochen wurde und das Links-bündnis das zweitwichtigste Regierungsamt im Land, das des Oberbürgermeisters von Montevideo, übernahm.
Summa summarum war in Uruguay die zivile Überordnung mit der Straffreiheit der Militärs erkauft worden. In den neunziger Jahren ist dort das Militär als politischer Akteur praktisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Es gab weder ernsthafte explizite oder implizite Drohungen noch Forderungen gegenüber dem demokratischen politischen System Es existieren keine Hinweise, daß seitens der Militärs eine Interventionsbereitschaft besteht. Als Ende 1997 die Beziehungen zwischen der Exekutive und dem Militär auf die Probe gestellt wurden, setzte sich eindeutig der Präsident durch. Im Dezember kam es zu heftiger Kritik aus den Reihen des Militärs gegenübereiner Entscheidung des Präsidenten, 41 Angehörige der Streitkräfte voll zu rehabilitieren, die während der Diktatur von einem militärischen Ehrengericht als Gegner des Putsches abgeurteilt worden waren. Der Konflikt fand sein Ende, indem der Präsident seine Entscheidung aufrecht erhielt und der Oberbefehlshaber des Heeres zurücktrat
IV. Fazit und Ausblick
Die heutigen Demokratien Südamerikas sind weder frei von Defekten, noch ist man der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit entscheidend näher gekommen. Auch liefern fehlende Systemalternativen im Sinne der democracy by default kein ausreichendes Legitimationspolster zur dauerhaften Stabilisierung der politischen Systeme. Bislang allerdings hat die sich in der Bevölkerung verstärkende Unzufriedenheit mit politischen Parteien, Institutionen, Verfahrensweisen und Politikern nicht zu einer substantiellen Delegitimierung der Demokratie geführt Weder handelt es sich bei den „jungen“ südamerikanischen Demokratien um Schönwetterdemokratien, die bei der ersten ernsthaften Belastungsprobe zusammenbrechen, noch haben sich Prognosen erfüllt, nach denen die neunziger Jahre im Zeichen einer erneuten Bedrohung durch die Militärs stehen würden. In keinem der vier hier näher betrachteten Länder erscheint aus heutiger Sicht eine Intervention der Streitkräfte in Form eines Putsches wahrscheinlich. Jegliches halbwegs rationale Kosten-Nutzen-Kalkül muß zu dem Ergebnis kommen, daß sich eine wie auch immer geartete Machtübernahme für die Militärs nicht lohnt.
Paraguay und Chile mögen insofern als gute Beispiele dafür dienen, daß die Militärs -soweit sie sich nicht als „Retter der Nation“ zu Höherem berufen fühlen -zur eigenen Interessenwahrung nicht unbedingt eine Veranlassung zur unmittelbaren Machtübernahme sehen müssen. In beiden Ländern bleibt ihre Stellung zentrales Problem im Prozeß der demokratischen Konsolidierung. In Paraguay besteht das alte Machtdreieck Colorado-Partei, Staatsapparat und Militär fort, ohne daß letzteres entscheidende Einflußeinbußen hinnehmen mußte. In Chile wiederum ist es den Streitkräften durch eine frühzeitige institutionelle Absicherung gelungen, trotz eines Regimewechsels politische Machtpositionen und Veto-Bastionen aufrechtzuerhalten. Das funktioniert so perfekt, daß sie in der Lage sind, eigene fundamentale Interessen durchzusetzen, ohne daß dazu eine weitere Einschränkung der Demokratie oder gar ein Putsch notwendig wäre. Hinsichtlich der Qualität der Demokratie besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Chile und Paraguay darin, daß in Chile seit 1990 die Regierungen Aylwin und Frei keinen Zweifel an ihrem demokratischen Gestaltungswillen haben aufkommen lassen, wohingegen im Fall Paraguay nicht klar ist, inwieweit in den vergangenen acht Jahren zunächst Rodriguez, dann Wasmosy an einer Demokratisierung auch im Sinne der Herstellung ziviler Suprematie wirklich interessiert gewesen sind.
Gerade in Ländern wie Paraguay, in denen historisch das Verhältnis von Militär und Politik symbiotischen Charakter hatte, ist nicht davon auszugehen, daß traditionelles Rollenverhalten auch von Seiten einer demokratisch legitimierten Regierung abgelegt wird, wenn dies eine Schwächung der eigenen Machtposition implizieren würde. Paraguay bietet sich allerdings ebenso als gutes Beispiel für ein Land an, bei dem als Komponente des politischen Wandels unbedingt das veränderte internationale Umfeld zu berücksichtigen ist, in dem Militärregierungen keine Konjunktur haben. Im Kontext der Vorgänge um Ex-General Oviedo z. B. haben Argentinien, Brasilien und Uruguay unmißverständlich klar gemacht, daß nur ein „demokratisches“ Paraguay Platz im gemeinsamen Integrationsverbund MERCOSUR hat.
Rund eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der Militärdiktaturen in Argentinien und Uruguay ist dort von einer Unterordnung der Streitkräfte unter die Autorität und Kontrolle der Regierung, also von der Herstellung ziviler Suprematie im Sinne der anfangs genannten Bedingungen auszugehen. In Argentinien gibt'es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß die Streitkräfte erneut eine exponierte Stellung als politischer Akteur anstreben. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben wohl auch vor dem Hintergrund der Mitte der neunziger Jahre durch die Berichte eines argentinischen Offiziers über die Praktiken des „Verschwindenlassens“ von Personen wiederaufgeflammten Diskussion über die Aufarbeitung der Vergangenheit bleibende Spuren hinterlassen. Die eigentliche Gefahr für die Demokratie in Argentinien scheint heute weniger von den Militärs als potentiellem politischen Machtfaktor auszugehen als von einem Präsidenten, der wiederholt durch zweifelhafte Praktiken seinem speziellen Demokratieverständnis Ausdruck verliehen hat, undeiner politischen Elite, die auf Praktiken des Populismus und Klientelismus vertraut.
Im südamerikanischen Kontext ist Uruguay im demokratischen Konsolidierungsprozeß am weitesten fortgeschritten. Zivile Suprematie konnte in der Tradition der vorautoritären politischen Kultur auf der Grundlage eines hohen Maßes „intrinsischer Legitimität“ der uruguayischen Demokratie wiederhergestellt werden, allerdings mit einer Einschränkung: Strafrechtlich mit dem Referendum von 1989 geklärt, ist die ethisch-moralische Aufgabe der Aufarbeitung der Vergangenheit weiterhin ungelöst. Auch während seiner zweiten Amtszeit seit 1995 ist Präsident Sanguinetti gegen gesellschaftspolitische Widerstände hartnäckig bei seiner Strategie geblieben, sich der Forderung nach „Wahrheit, Erinnerung und niemals mehr“ zu verschließen. Solange die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen seitens der Exekutive als Tabu betrachtet wird, kann nur spekuliert werden, wie weit die Unterordnung der Militärs unter das Primat der Politik faktisch geht.
In Argentinien und Chile bleibt das Thema unter anderen Voraussetzungen ebenfalls auf der Tagesordnung. So wurde beispielsweise im Juni 1998 der argentinische Ex-Diktator Videla wegen der Entführung Minderjähriger zu Zeiten der Militärdiktatur verhaftet und ein Haftbefehl gegen den ehemaligen Marinechef der Militärjunta, Massera, wegen Befürwortung von Straftaten und Verstoßes gegen die Verfassung beantragt; wenige Tage zuvor hatte die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten das chilenische Amnestiegesetz als rechtswidrig erklärt.
Länderübergreifend stellen sich in Südamerika gemeinsame Probleme hinsichtlich der zukünftigen Aufgabe der Streitkräfte Nachdem die einzelnen Staaten bereits in der Vergangenheit kaum mit externen Gegnern konfrontiert worden sind, ist im Unterschied zu den sechziger Jahren auch kein interner Feind in Sicht, der den Streitkräften die Legitimation geben könnte, Gewehr bei Fuß zu stehen. Tendenzen wiederum, den Militärs als sozialer Ordnungsmacht bei Verteilungskonflikten, im Kampf gegen Drogen oder bei Umwelt-problemen neue Aufgaben zu geben, die ihren Funktionsbereich ausdehnen, konterkarieren die Bemühungen um zivile Suprematie. Als „neue Missionen“ der Streitkräfte erscheinen einzig multilaterale Aktivitäten wie im Bereich des peacekeeping der Vereinten Nationen sinnvoll
Die alte These einer zyklischen Schwankung der politischen Systeme Lateinamerikas, nach der sich etwa alle 20 Jahre ein Wechsel von demokratischen zu autoritären Regierungsformen oder umgekehrt ereigne hat bereits in der Vergangenheit für die hier behandelten Länder keine Gültigkeit gehabt. Und auch daß in absehbarer Zeit das Pendel in Richtung eines Autoritarismus alter Prägung unter der Ägide der Militärs schwingen wird, erscheint aus heutiger Perspektive eher unwahrscheinlich. Statt dessen wird sich auf dem ganzen Subkontinent je nach Land in unterschiedlichen Facetten die Frage stellen, inwieweit tatsächlich funktionierende Demokratien hergestellt bzw. dauerhaft stabilisiert werden können.
Christoph Wagner, Dr. phil., geb. 1964; seit 1996 Akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Mainz. Veröffentlichungen u. a.: Politik in Uruguay 1984-1990. Probleme der demokratischen Konsolidierung, Münster 1991; (Hrsg. zus. mit Manfred Mols) Deutschland -Lateinamerika. Geschichte, Gegenwart und Perspektiven, Frankfurt/M. 1994; Uruguay: Unternehmer zwischen Diktatur und Demokratie. Eine Studie zu Politik, Wirtschaft und der politischen Rolle der Unternehmerverbände, Frankfurt a. M. 1997.
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