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Asymmetrie und Aushandlung | Entwicklungszusammenarbeit | bpb.de

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Asymmetrie und Aushandlung Ghanaisch-deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit 1957

Joshua Kwesi Aikins

/ 15 Minuten zu lesen

Seit ihren Anfängen wurde die ghanaisch-deutsche Entwicklungszusammenarbeit nicht allein von westlichen Vorstellungen bestimmt, sondern maßgeblich von ghanaischer Seite mitgestaltet. Nun gilt es, alte und neue Asymmetrien in einer konstruktiven Zusammenarbeit zu adressieren.

Wirtschaftsförderung für Deutschland, wertebasierte Zusammenarbeit und die strategische Gestaltungsmacht der Partnerländer: In diesem Spannungsfeld bewegt sich die aktuelle Debatte um die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Durch den fast vollständigen Rückzug der USA aus dem Politikfeld ist Deutschland – in absoluten Zahlen – unvermittelt zum wohl größten bilateralen Geber von EZ avanciert. Die damit notwendige Neuausrichtung der deutschen EZ erfordert eine kritische Reflexion historischer Aushandlungsprozesse, um die Beziehungen zum Globalen Süden neu zu gestalten – eine zentrale Zukunftsfrage für deutsche Geopolitik, Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders instruktiv ist hierbei die Zusammenarbeit mit einem der langjährigsten Partnerländer auf dem afrikanischen Kontinent: die seit 1957 bestehende Kooperation mit Ghana.

Im Folgenden werden die ghanaisch-deutschen Beziehungen und die EZ beider Staaten als dynamische Aushandlung asymmetrischer Machtverhältnisse beleuchtet. Es zeigt sich, dass die Zusammenarbeit nicht allein von westlichen Vorstellungen oder der Blockkonfrontation bestimmt war, sondern maßgeblich durch ghanaische Interessen geprägt wurde. Diese Mitgestaltungsmacht liefert wichtige Impulse, um heutige Kooperationen als tatsächliche Aushandlung von strategischen Interessen neu zu gestalten.

Ghanaisch-deutsche Beziehungen vor 1957

Für ein Verständnis der Asymmetrien und Aushandlungen, die die ghanaisch-deutsche EZ prägen, ist ein Blick in die Geschichte vor der ghanaischen Unabhängigkeit 1957 unerlässlich. Frühe historische Verflechtungen zwischen den beiden Ländern werden dabei in Deutschland kaum erinnert. Als ein Teil deutscher Wirtschaftsgeschichte standen sie im Kontext der geteilten Gewaltgeschichte atlantischer Versklavung, an der sich auch mehrere deutsche Vorläuferstaaten, Banken und Geschäftsleute rege beteiligten. Kurfürst Friedrich Wilhelm finanzierte über den Verkauf von Aktien den Einstieg in den Versklavungshandel und die Errichtung des brandenburgischen Versklavungsforts „Groß-Friedrichsburg“ an der Küste des heutigen Ghana. Von 1683 bis zum Erwerb des Forts durch die niederländische Westindien-Kompanie 1717 wurden zwischen 20.000 und 30.000 Menschen von dort in die atlantische Versklavung deportiert. Biografien wie die von Anton Wilhelm Amo, der als Kind aus dem heutigen Ghana zuerst dem Fürsten von Wolfenbüttel als Geschenk überreicht wurde, machen jedoch deutlich, dass auch im damaligen Kontext die ghanaischen Beteiligten nicht passiv blieben: Amo promovierte und nahm als angesehener Akademiker an philosophischen Debatten teil, publizierte zur Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa und sprach sich gegen Versklavung und Entrechtung aus. Er kehrte später selbstgewählt nach Ghana zurück.

Auch die deutsche Kolonialzeit hat die Beziehungen geprägt: Die deutsche Kolonie Togoland (1884–1914) umfasste einen Großteil des heutigen östlichen Ghana. Sie war von Zwangsarbeit, Strafexpeditionen und der gewaltsamen Veränderung indigener Herrschaftssysteme geprägt. Auf ghanaischer Seite sind dabei insbesondere die Grausamkeit deutscher Kolonialtruppen gegen die Konkomba-Bevölkerung im Nordosten Togolands sowie das Massaker von Adibo im Jahr 1896 in gelebter Erinnerung. Letzteres ebnete den Weg für die Eroberung und Brandschatzung der Regionalhauptstadt Yendi, in deren Folge das deutsche Kolonialreich die Balance zwischen zwei abwechselnd herrschenden dynastischen Häusern gewaltsam verschob. Diese Änderung der Herrschaftsfolge durch Externe führt bis heute zu mitunter gewaltvollen Konflikten, denen mit der Stationierung einer ghanaischen Friedenstruppe sowie vermittelnder Intervention indigener Autoritäten aus anderen Landesteilen begegnet wird. Auf deutscher Seite sind diese Aspekte der ghanaisch-deutschen Beziehungen wenig bekannt, stellten aber einen relevanten Bezugspunkt für die Kolonialkritik der Unabhängigkeitsbewegung dar.

Ein weiterer zentraler Moment in der ghanaischen Unabhängigkeitsbewegung ist ebenfalls mit der deutschen Geschichte verknüpft: Am 28. Februar 1948 protestierten ghanaische Veteranen des Zweiten Weltkriegs friedlich für die Auszahlung von versprochenen Geldern. Polizisten der britischen Kolonialregierung eröffneten nach einer Aufforderung, die Demonstration zu beenden, unvermittelt das Feuer und töteten drei Weltkriegsveteranen. Die Folge waren Ausschreitungen in mehreren ghanaischen Städten, die zur Inhaftierung zentraler Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung führten. Das repressive Vorgehen der Kolonialregierung verstärkte Meinungsverschiedenheiten unter den Inhaftierten: Eine konservative Gruppe um Edward Akufo-Addo sprach sich für eine langsame, schrittweise Loslösung aus der Kolonialherrschaft aus, während ein progressiver Flügel um Kwame Nkrumah für „independence now“ eintrat. Es folgte die Formierung der Convention People’s Party (CPP), die weite Teile der Bevölkerung für das Ziel einer schnellstmöglichen Unabhängigkeit mobilisierte und deren politische Strategie mittels demokratischer Wahlen und Referenden schließlich in die Unabhängigkeit Ghanas 1957 mündete. Die antikoloniale, aber gleichzeitig an strategischer Kooperation interessierte Haltung Nkrumahs sollte auch für die ersten Jahre ghanaisch-deutscher Kooperation prägend sein.

Deutsche Teilung und Nkrumahs Strategie

Der geopolitische Kontext, in dem Ghana die Unabhängigkeit erlangte, war von der Blockkonfrontation geprägt. Dabei betrachteten beide Seiten EZ als Mittel, um die unabhängig werdenden Staaten des Globalen Südens ihrer jeweiligen Einflusssphäre anzunähern. Nkrumah nutzte diese Dynamik, indem er mit Ländern auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs in Verhandlungen über Wirtschafts- und Kooperationsbeziehungen trat und Ghana so Spielräume und Ressourcen sicherte. Als erster unabhängiger Staat in der Region und als erklärter Mitinitiator des panafrikanischen Projekts hatte Ghana eine Vorreiterrolle – wer hier diplomatisch Fuß fasste, konnte auf eine Signalwirkung hoffen. Für die Bundesrepublik war die Lage komplex: Einerseits wollte man das eigene Image durch Beziehungen zum Globalen Süden verbessern und der DDR im Anerkennungswettlauf zuvorkommen. Andererseits galt es zu verhindern, dass die ghanaische Regierung oder andere afrikanische Regierungen die Kooperationsinitiativen nutzten, um für „Antikolonialismus“ zu werben – dies hätte die Kolonialmächte Frankreich, England und Portugal verärgert. Ein positives Deutschlandbild durch EZ zu zeichnen, musste dabei aus Perspektive einiger Verantwortlicher nicht teuer sein: Der deutsche Botschafter in Togo beispielsweise empfahl eine „egoistische Entwicklungspolitik“, in der Projekte mit geringen Kosten und hohem Öffentlichkeitswert Vorrang haben sollten.

Ghana hatte in den ersten beiden Jahren nach der Unabhängigkeit bestimmte außenpolitische Interessen des Westens demonstrativ priorisiert: Erst 1959 wurden diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen, man wirkte mäßigend auf den guineischen Präsidenten Ahmed Sékou Touré ein und bildete ein kooperativeres Gegengewicht zum anti-imperialistischen Nationalismus des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Doch wurde Ghana dafür nicht in erhoffter Weise mit ausländischen Investitionen, Kapitalhilfen und Entwicklungsprojekten bedacht. Nkrumah erklärte 1958 auf einer Reise in die USA: „Die Entscheidungsträger des neuen Afrikas haben keine andere Wahl, als sich um Hilfe von außen zu bemühen. (…) Wir müssen uns modernisieren. Entweder tun wir dies mit dem Interesse und der Unterstützung des Westens, oder wir sind gezwungen, uns anderweitig umzusehen. Dies ist keine Warnung oder Drohung, sondern eine schlichte Feststellung der politischen Realität.“

1959 begannen Verhandlungen mit einer sowjetischen Handelsdelegation, und zur Beunruhigung der Bundesrepublik wurde auch die DDR in Ghana mit eigenen Delegationen aktiv. Der DDR war die Bedeutung Ghanas im Kontext von Panafrikanismus und Dekolonisierung bewusst; sie hoffte, dass ein dortiger Durchbruch auch Möglichkeiten der Anerkennung in anderen Staaten Afrikas eröffnen könnte. Die Bundesrepublik versuchte dagegen, ihren Alleinvertretungsanspruch für Deutschland mit der sogenannten Hallstein-Doktrin durchzusetzen: Demnach wurde die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR als unfreundlicher Akt gegenüber der Bundesrepublik gewertet, was ein breites Spektrum an Konsequenzen, von der Einschränkung wirtschaftlicher Zusammenarbeit bis hin zum Abbruch diplomatischer Beziehungen, nach sich ziehen konnte. Aus diesem Grund nahm die Nkrumah-Regierung zwar keine vollen diplomatischen Beziehungen zur DDR auf, ließ sich allerdings die Etablierung einer ständigen Handelsvertretung der DDR in Accra 1959 auch durch wiederholte Kritik und Ermahnungen der Bundesrepublik nicht verwehren. Zwei Jahre später eröffnete Ghana eine Handelsvertretung in der DDR.

Nkrumah versuchte, das Verhältnis der beiden deutschen Staaten für die Erweiterung ghanaischer Handlungsspielräume zu nutzen. Nachdem sie größere Anfragen von ghanaischer Seite zunächst abgelehnt hatte, unterstützte die Bundesrepublik im Rahmen ihrer EZ bis 1966 mehrere Projekte mit einem Darlehen von 20 Millionen D-Mark: etwa den Bau einer Brücke über den Voltafluss, eine Ausbildungsstätte für Automechaniker und Investitionen in den Bereichen Telekommunikation und Transport. Auch im Aufbau von Fabriken und Industrieanlagen, die für den Entwicklungsplan Nkrumahs und die erhoffte Diversifizierung, Industrialisierung und Wertschöpfung zentral waren, spielten westdeutsche Firmen wie Thyssen eine wichtige Rolle: Eine Tochtergesellschaft, die Düsseldorfer Stahlunion, errichtete fünf der dreizehn Fabriken des ghanaischen Industrialisierungsplans – darunter Anlagen zur Glasherstellung und Kakaoverarbeitung.

Früh zeigten sich jedoch auch die Grenzen der ghanaisch-deutschen Zusammenarbeit. 1959 etwa reiste eine ghanaische Delegation in die Bundesrepublik – ihr Hauptanliegen, ein Kredit zu günstigen Konditionen, wurde abgelehnt. Auch andere Partnerländer mussten feststellen, dass die westdeutsche EZ sich durch eine Besonderheit auszeichnete: Die von der Bundesrepublik zugesagten Summen waren Maximalbeträge – da die Gelder jedoch nur projektbezogen ausgezahlt wurden, mussten Partnerländer Projektvorschläge einreichen, die dann in Bonn auf Umsetzbarkeit und ökonomische Tauglichkeit geprüft wurden. Zwar waren die Gelder nicht an deutsche Anbieter von Waren oder Dienstleistungen gebunden, doch erschwerten die formalen Anforderungen einigen Staaten das Abrufen der Mittel.

Die ghanaische Regierung nutzte jedoch ein Druckmittel, um das asymmetrische Verhältnis mit der Bundesrepublik zu adressieren: Vier der CPP und der Regierung nahestehende Zeitungen veröffentlichten Artikel, in denen die Bundesrepublik beschuldigt wurde, sich an Kolonialkriegen und Ausbeutung zu beteiligen. Nkrumah und die ghanaische Regierung brachten gegenüber westdeutschen Diplomaten vier konkrete Kritikpunkte vor, die sich auch – polemisch zugespitzt und teils mit DDR-Propaganda angereichert – in den genannten Zeitungen fanden: erstens Frankreichs Atomwaffentests in der Sahara, zweitens von der Bundesrepublik abgestrittene, aber belegte Waffenlieferungen an Portugal für dessen Kolonialkrieg in Angola, drittens die engen Beziehungen zum Apartheid-Regime in Südafrika und viertens die Sorge, Portugal könne im Rahmen der atomaren Bewaffnung der NATO schiffsbasierte Atomwaffen vor afrikanischen Küsten positionieren. Die Presse fokussierte sich insbesondere auf die letzten drei Punkte und setzte die Unterstützung für den portugiesischen Kolonialkrieg und das Apartheidregime in Bezug zur nationalsozialistischen Herrschaft.

Die Bundesrepublik sah sich daher einem Dilemma gegenüber: Für sie war die EZ ein wesentliches Instrument der Distanzierung von der eigenen Vergangenheit und diente der Projektion eines neuen Deutschlandbildes, zu dem die kritisierten Punkte in eklatantem Widerspruch standen. Schlagzeilen wie „Angola: West German Federal Eagle in Colonial War“ waren in diesem Kontext äußerst problematisch – die bundesdeutsche Seite war jahrelang damit beschäftigt, diesem „Pressekrieg“ korrektive Botschaften entgegenzusetzen. EZ war in diesem Kontext zwar ein mögliches Druckmittel, barg jedoch die Gefahr, dass sich der so unter Druck gesetzte Staat für die Anerkennung der DDR entschied. Auch war sich die Bundesrepublik der Tatsache bewusst, dass der Kakaohandel für Ghana eine deutlich größere Einnahmequelle war als die westdeutsche EZ – und Westdeutschland auch nach dem Einstellen der EZ weiter ghanaischen Kakao kaufen würde, was die Eignung als Druckmittel weiter einschränkte. So war die Hallstein-Doktrin im Kontext der Nord-Süd-Beziehungen eher ein von ghanaischer Seite genutztes Druckmittel, um ohne volle Anerkennung der DDR mit beiden deutschen Staaten zu kooperieren. Im Effekt konnte die ghanaische Regierung auf diese Weise von beiden deutschen Staaten unterschiedliche Inputs erhalten; von der DDR insbesondere Unterstützung bei der Diversifizierung jenseits der Kakaoproduktion durch den Aufbau verarbeitender Agrikultur- und Industrieunternehmen im Staatsbesitz.

Regierungswechsel und Strukturanpassung

Die Nkrumah-Regierung hatte sich in den 1960er Jahren durch die Unterstützung antikolonialer Bewegungen und eine Hinwendung zu Staaten des Warschauer Pakts aus der Perspektive der USA und Großbritanniens zunehmend isoliert. Eine Wirtschaftskrise, die nicht zuletzt durch den Fall der Kakaopreise verschärft wurde, und zunehmende repressive und autoritäre Tendenzen führten zur weiteren politischen Schwächung Nkrumahs. Die USA und Großbritannien waren zwar nicht unmittelbar und direkt für seinen Sturz verantwortlich, wirkten aber durch koordinierte Geheimdienstaktivitäten auf dessen Beschleunigung hin. Das Ende des Nkrumah-Regimes durch einen Militärputsch 1966 wurde von der Bundesrepublik begrüßt, da die Militärjunta sich klar als westgebunden positionierte und Kooperationen mit der DDR einstellte, die wiederum den Putsch kritisierte. Unter Bundeskanzler Willy Brandt wurde die Hallstein-Doktrin schließlich abgeschafft. In Ghana folgte eine Phase wechselnder Militärregime und wirtschaftlicher sowie politischer Instabilität. 1979 putschte der Flight Lieutenant Jerry John Rawlings und leitete demokratische Wahlen ein; die gewählte Regierung von Hilla Limann konnte der andauernden Wirtschaftskrise, einer regionalen Dürre und Unterernährung jedoch nichts entgegensetzen. 1981 putschte Rawlings erneut – und blieb für über ein Jahrzehnt an der Macht.

Nach dem Putsch und im Kontext einer andauernden Wirtschaftskrise begann eine neue Ära der ghanaisch-deutschen Beziehungen. Mit dem beginnenden Niedergang des Ostblocks wurden westliche Partner und deren neoliberales Wirtschaftsparadigma zunehmend maßgeblich.

Rawlings wandte sich 1983 an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank: Ghana wurde zum Testfall für Strukturanpassungsprogramme (SAP) in Afrika, auch weil die Regierung diese anfänglich strikt umsetzte. Die SAPs beinhalteten die Reduzierung staatlichen Einflusses, die Privatisierung von Staatsunternehmen, Währungsabwertung und Kürzungen der öffentlichen Ausgaben. Rawlings nutzte bald seine Reputation als strikter Implementierer, um den eigenen Gestaltungsspielraum zu erweitern. Seine Regierung erkannte frühzeitig, dass die Sparmaßnahmen kurzfristig verheerende Auswirkungen haben würden. Wie anderswo auf dem afrikanischen Kontinent prägte auch in Ghana die Bevölkerung eine alternative Bedeutung des Akronyms: SAP stand aus dieser Perspektive für „Suffering of African People“. Die Rawlings-Regierung entwickelte als Reaktion das „Program of Action to Mitigate the Social Costs of Adjustment“ (PAMSCAD), um soziale Härten abzufedern. PAMSCAD konzentrierte sich auf Beschäftigung durch öffentliche Arbeiten, Food-for-Work-Programme und die Grundversorgung. Nach der Entwicklung des Programms berief die Regierung 1988 eine Geberkonferenz in Genf ein, um Mittel dafür zu beschaffen. Die Bundesrepublik unterstützte PAMSCAD zusammen mit anderen Ländern und Organisationen, und die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, heute GIZ) beriet die ghanaische Regierung zu den geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Strukturanpassung. Mit PAMSCAD bezuschusste die Bundesrepublik ein Programm, das eine öffentliche Kritik und programmatische Korrektur des westlichen und auch von westdeutscher Seite getragenen IWF/Weltbank-Paradigmas darstellte.

Rawlings griff Kritik aus der ghanaischen Zivilgesellschaft auf und positionierte sich als Anwalt der durch rigide Strukturanpassung Geschädigten. Er wies auf Widersprüche im System hin – etwa zwischen der prodemokratischen Rhetorik der Geber und der Feststellung von Weltbank und IWF, dass Austeritätspolitik und SAPs mit Autokraten leichter umzusetzen seien. Und er verschob die Parameter des Entwicklungssystems, indem er den IWF und die Weltbank dazu bewegte, die sozialen Mängel ihres Modells anzuerkennen, und bilaterale Geber wie Westdeutschland dazu brachte, soziale Abfederungen zu finanzieren. Zwar war die Umsetzung von verspäteter Auszahlung von Gebergeldern und mangelhafter Implementierung gekennzeichnet, doch die Regierung lernte daraus für Folge-Abfederungsprogramme und erweiterte ihren Gestaltungsspielraum. Rawlings nutzte diese Dynamik auch, um eine neue demokratische Verfassung entwerfen zu lassen, seine Militärjunta in eine demokratische Partei umzuwandeln und sich zum demokratisch legitimierten Präsidenten wählen zu lassen. Im Einklang mit der Verfassung trat er zwei Amtszeiten später nicht zur Wiederwahl an und legte damit einen wichtigen Grundstein für die seither etablierte Tradition friedlicher demokratischer Machtwechsel in Ghana – die demnach nicht durch das reine Befolgen, sondern auch das Abändern westlicher Entwicklungsvorgaben geformt wurde.

Von der Aushandlung von Asymmetrien zur strategischen Partnerschaft?

Die deutsche EZ in Ghana ist inzwischen so breit gefächert wie nie zuvor – die GIZ hat in Ghana über 500 Mitarbeitende und betreut 54 Projekte. Nur in Äthiopien, wo auch die Afrikanische Union beheimatet ist, hat die GIZ auf dem afrikanischen Kontinent mehr Mitarbeitende. Die aktuelle Ausgestaltung von Projekten der EZ wird gerade auch von ghanaischen Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft kritisch begleitet. Mit Interesse verfolgt man die Debatte um die Neuausrichtung der deutschen internationalen Zusammenarbeit und die Notwendigkeit, das Verhältnis zum Globalen Süden neu zu gestalten.

Die Diaspora als Entwicklungsakteur wird sowohl für die ghanaische Regierung, die im „Office of the President“ einen „Diaspora Desk“ eingerichtet hat, als auch für die GIZ zunehmend wichtiger. Die Rücküberweisungen der ghanaischen Diaspora betrugen laut Daten der Weltbank mit rund 3,7 Milliarden US-Dollar 2024 mehr als die gesamte offiziell an Ghana gezahlte EZ und das Foreign Direct Investment. Diese Zahl umfasst aber noch nicht die sozialen Rücküberweisungen, also das nicht-monetäre Engagement der Diaspora für soziale, ökologische und politische Belange. Die ghanaische Diaspora in Deutschland ist hier seit Jahrzehnten engagiert – ein stärkeres Einbeziehen dieser Erfahrungen könnte neue Handlungsfelder auch für die offizielle bilaterale Zusammenarbeit eröffnen.

Asymmetrien wirken fort, haben sich aber zum Teil in einer Weise gewandelt, die die lange behauptete Teleologie von Entwicklung als Annäherung an die westliche Lebensweise untergräbt: Die Klimakrise macht die ökologischen Grenzen des westlichen Modells deutlich – ebenso wie die historischen Klimaschulden, die der Westen durch seinen fossilen Entwicklungspfad verursacht hat. Das Zusammenspiel globaler Veränderungsprozesse wie die veränderte Haltung der USA zur transatlantischen Partnerschaft, schrumpfende Exporte nach China und das Ende billiger Fossilenergie aus Russland im Zuge des Ukrainekrieges, aber auch die Schocks, die dieser Krieg und die Coronapandemie bedeuteten, bewirken eine veränderte Positionierung sowohl Deutschlands als auch Ghanas im internationalen Gefüge. Auch Ghanas Rolle als stabile Demokratie in der Region gibt in Zeiten des wachsenden Drucks auf Demokratien weltweit Anlass für eine verstärkte strategische Zusammenarbeit. Nicht zuletzt deutet der demografische Wandel auf grundlegende Verschiebungen hin: Laut Daten des Statistischen Bundesamtes und der WHO hatte Ghana 1957, zu Beginn der Partnerschaft, 6 Millionen, Deutschland 71 Millionen Einwohner*innen, heute sind es 34 Millionen respektive 83 Millionen, wobei das Medianalter in Ghana 21, in Deutschland rund 45 Jahre beträgt. Vor diesem Hintergrund sieht sich Deutschland mit Asymmetrien konfrontiert, die neue Formen der internationalen Zusammenarbeit erforderlich machen.

Pfade zukünftiger Zusammenarbeit

Die ghanaische Regierung verfolgt eine ambitionierte Politik der Diversifizierung der Staatseinnahmen und der Produktivwirtschaft, etwa über die erfolgreiche Einrichtung des „Goldbod“, einem staatlich regulierten An- und Verkäufer für handwerklich in Kleinminen abgebautes Gold. Diese Reformen folgten auf die letzten Ausläufer einer periodischen Schuldenkrise, die auf Ausgabeverhalten in Wahljahren, aber auch auf die asymmetrische Eingliederung Ghanas in das globale Handels- und Kreditsystem verweist, und eine Umschuldung durch IWF und Weltbank. Auch wenn so innerhalb von zehn Monaten über acht Milliarden US-Dollar eingenommen werden konnten und damit fiskalischer Spielraum gewonnen wurde, bleibt die grundlegende Problematik der asymmetrischen Einbettung, der hohen Kosten des Schuldendienstes und der Vulnerabilität gegenüber Preisschwankungen bestehen.

Der unabhängige ghanaische Policy-Experte Bright Simons identifiziert in einer Analyse mit Bezug auf den aktuellen Reformplan der ghanaischen Regierung, dem „24-Hour-Economy-Konzept“, Ansätze für eine neue Partnerschaft, die strukturelle Asymmetrien der Einbettung Ghanas in globale und regionale Wirtschafskreisläufe vermindern soll. Simons geht in der Analyse über Anpassungen im Rahmen des Status quo hinaus und adressiert die aktive Umgestaltung der Partnerschaft:

  1. Die deutsche Unterstützung muss von einer Skills-first-Logik zu einer Value-Chain-first-Logik übergehen. Berufliche Aus- und Weiterbildung ist notwendig, aber bei Weitem nicht mehr ausreichend. Die 24-Stunden-Wirtschaft erfordert Logistik, Energie, Arbeitssysteme, Finanzen, industrielle Organisation, digitale Orchestrierung und Steuerung der Lieferketten.

  2. Die 24-Stunden-Wirtschaft ist keine Politik der Arbeitszeitverlagerung, sondern eine Doktrin der industriellen Koordination. Ihre Säulen – wie zum Beispiel Wertschöpfungsketten-Beschleunigungszonen, Arbeitsmarktreformen, Logistikplattformen, 24/7-Produktionskorridore, digitale Orchestrierung und sektorale Clusterbildung – erfordern taktisch aufeinander abgestimmte, sektorübergreifende Investitionen, die über das hinausgehen, was die derzeitigen deutschen Kooperationsinstrumente zu leisten vermögen.

  3. Deutschland sollte Ghana nicht als einen hilfsbedürftigen Empfänger mit Kompetenzdefiziten betrachten, sondern als einen strategischen Vorreiter-Partner (vanguard partner). Dies steht im Einklang mit der erklärten deutschen Doktrin der „Partnerschaften auf Augenhöhe“ und den Empfehlungen der Kommission „Welt im Umbruch – Deutschland und der Globale Süden“, in denen Deutschland aufgefordert wird, die industrielle Wettbewerbsfähigkeit, die Einbindung in den Export und die geowirtschaftliche Positionierung im Globalen Süden zu priorisieren.

  4. Ein neuer Ghana-Deutschland-Pakt für Wertschöpfung und Beschäftigung (2025–2028) sollte die heutige zerstreute Projektlogik durch eine fokussierte Industriepartnerschaft ersetzen. Er sollte auf gemeinsamer Wertschöpfungsketten-Diagnostik, an Produktionsverträge gekoppelte Schulungen, Blended-Finance-Strukturen und einer deutschen Beteiligung an der Regionalisierung der African Continental Free Trade Area basieren. Es bedarf des institutionellen Austauschs zwischen den beiden Partnern, nicht der Anweisung von Geber zu Empfänger.

Die identifizierten Prioritäten bedeuten eine neue Form der Partnerschaft, die neuer Kooperationsformen bedarf. Denn nur in der Aushandlung können Gegensätze sowie Synergien zwischen Wirtschaftsförderung und wertebasierter Zusammenarbeit, deutschen Interessen und strategischer Gestaltungsmacht der Partner identifiziert, geklärt und genutzt werden. Um die genannten Asymmetrien gemeinsam bearbeiten und konstruktiv eine neue Form der Zusammenarbeit nicht ungeachtet, sondern eingedenk der oben beschriebenen geteilten Geschichte ausgestalten zu können, ist es daher notwendig, Form und Verfahren der Aushandlung zwischen Deutschland und Ghana in den Blick zu nehmen. Regierungsverhandlungen und Regierungskonsultationen beispielsweise könnten durchaus etwas weniger vorbestimmt sein. Ein möglicher Test hierfür wäre, ob das Verfahren genuine, substanzielle Konsultationen oder Verhandlungen ermöglicht. Denn nur auf Basis eines solchen Austauschs kann das Potenzial eines Rückblicks in die Geschichte der ghanaisch-deutschen EZ gehoben werden. Dann kann es gelingen, in die Vergangenheit zu blicken, um die Gegenwart verstehen und eine zukünftig andere Zusammenarbeit gemeinsam gestalten zu können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Joshua Kwesi Aikins, Amo, Anton Wilhelm (1703–1759) and Afro-Germans, in: Immanuel Ness (Hrsg.), The International Encyclopedia of Revolution and Protest: 1500 to Present, Malden 2009, S. 91f.

  2. Vgl. Matteo Landricina, Nkrumah and the West: „The Ghana Experiment“ in British, American, German and Ghanaian Archives, Wien–Zürich 2018.

  3. Vgl. John Wesley Weigel, Image Under Fire: West German Development Aid and the Ghana Press War, 1960–1966, in: Contemporary European History 2/2022, S. 259–270.

  4. Landricina (Anm. 2), S. 278 (eigene Übersetzung).

  5. Vgl. Landricina (Anm. 2).

  6. Vgl. Weigel (Anm. 3).

  7. Vgl. ebd.

  8. Vgl. William Glenn Gray, Germany’s Cold War: The Global Campaign to Isolate East Germany, 1949–1969, Chapel Hill–London 2003.

  9. Vgl. Weigel (Anm. 6).

  10. Vgl. Anne-Kristin Hartmetz et al., East-South Relations During the Global Cold War: Economic Activities and Area Studies Interests of East Central European CMEA Countries in Africa, Leipzig 2018.

  11. Landricina (Anm. 2).

  12. Vgl. Bright Simons, Germany Can’t Upskill Ghana into a 24-Hour Economy, But There Is a Smarter Path (Aligning Development Cooperation with Vanguardist Industrialisation), Africa Policy Research Institute, Policy Paper (i.E.).

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Joshua Kwesi Aikins für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Politikwissenschaftler und Senior Fellow am Africa Policy Research Institute in Berlin.