„Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ Diese Frage warf Immanuel Kant in seinem Werk „Über Pädagogik“ auf und verwies damit auf ein zentrales Dilemma der Erziehung: das komplizierte Verhältnis von Autonomie und Lenkung. Wie viel Steuerung braucht Freiheit – und wie viel Freiheit verträgt Erziehung? Wer erzieht, bewegt sich in einem Spannungsfeld, in dem Souveränität und das Setzen von Grenzen unauflösbar miteinander verschränkt sind.
Abseits von Elternhaus und Schule ruft der Begriff „Erziehung“ oft negative Konnotationen und mitunter sogar wütenden Widerspruch hervor – insbesondere dann, wenn der Eindruck entsteht, der Staat wolle die Bürgerinnen und Bürger zu einem bestimmten Verhalten bewegen. Ein prominentes Beispiel aus jüngerer Zeit sind die staatlichen Interventionen zur Pandemiebekämpfung, die von Teilen der Bevölkerung als Erziehungsmaßnahmen gedeutet wurden – entsprechend groß war die Ablehnung. Ähnliche Debatten entzünden sich um Themen wie Fleischkonsum, geschlechtergerechte Sprache, Rauchen oder Böllern.
Positiver wird dagegen das Konzept der Bildung wahrgenommen, das eng mit dem der Erziehung verknüpft ist. Diese Verbindung zeigt sich schon darin, dass die Begriffe education im Englischen und éducation im Französischen beide Bedeutungen vereinen. Während Bildung im Deutschen allgemein als Teil eines Selbstentfaltungsprozesses verstanden werden kann, wird mit Erziehung ein von außen vorgegebener Weg assoziiert. Dieser Weg basiert auf bestimmten Prinzipien und Idealen, die in einer Gesellschaft als wünschenswert gelten und auch vom Staat über Gesetze und Institutionen geprägt werden. Dass damit Risiken staatlicher Bevormundung einhergehen, liegt auf der Hand. Die Beiträge dieser Ausgabe, die sich mit den politischen, gesellschaftlichen und historischen Dimensionen von Erziehung auseinandersetzen, wurden von der Redaktion im Rahmen eines Call for Papers aus zahlreichen Einsendungen ausgewählt.