Das 18. Jahrhundert gilt als „Jahrhundert der Pädagogik“. Es war geprägt von einem durch die Aufklärung inspirierten Erziehungsdiskurs, der die Formbarkeit des Menschen in den Mittelpunkt rückte. „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht“, postulierte der Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant (1724–1804).
Eine entscheidende Grundlage dafür lieferte Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) mit seinem Erziehungsroman „Émile oder über die Erziehung“ (1762), der das moderne Nachdenken über Geschlechterverhältnisse und deren pädagogische Vermittlung nachhaltig prägte.
Das darauf aufbauende Erziehungsmodell wurde bereits zeitgenössisch scharf kritisiert: Die britische Historikerin Catherine Macaulay (1731–1791) stellte in den „Letters on Education“ die intellektuelle Ebenbürtigkeit von Frauen und Männern heraus. Die unzureichende Bildung der Frau sei für die gesamte Gesellschaft schädlich.
Anhand dieser Gegenüberstellung zeigt sich die zentrale Kontroverse um Mädchenerziehung und Frauenbildung im 18. und 19. Jahrhundert: Wie sollte die Frau durch Erziehung auf ihre „Bestimmung“ bzw. soziale Stellung vorbereitet werden? Nur wenige zweifelten grundsätzlich an diesem gesellschaftlichen Zweck. Diese funktionalistische Auffassung von Erziehung ist eng mit der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher (Geschlechter-)Ordnung verbunden und damit – in den Worten Émile Durkheims (1858–1917) – eine „eminent soziale Angelegenheit“.
Im Folgenden werden zunächst grundlegende Überlegungen zu Bildung und Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft erörtert. Darauf folgt die Unterscheidung zentraler Strömungen des Erziehungsdiskurses. Abschließend wird anhand der beschränkten Bildungsmöglichkeiten für Mädchen im 18. und 19. Jahrhundert sowie des Kampfes der Frauenbewegung um Bildungsräume aufgezeigt, welch emanzipatorisches, aber zugleich widersprüchliches Potenzial der Erziehungsdiskurs freisetzte.
Bildung und Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft
Im Zeitalter der Aufklärung wurden die Begriffe „Erziehung“ und „Bildung“ mitunter synonym verwendet. Bildung konnte schon damals als Abgrenzung zu einer von anderen aufgezwungenen Erziehung verstanden werden.
Die „Entdeckung der Kindheit“ als eigenständige Lebensphase markiert einen entscheidenden Schritt, durch den ein „bürgerlicher Erziehungsdiskurs über die moralisch-disziplinäre Formbarkeit des kindlichen Subjekts“ hegemonial wurde.
Als gesellschaftlich normiertes Handlungsfeld operiert Erziehung stets vor dem Hintergrund funktionaler Imperative, die sich geschlechtsspezifisch unterscheiden. Sie diszipliniert, vermittelt Werte und Rollenverständnisse und trägt so zur Stabilität sozialer Ordnung bei. Gesellschaftliche Machtverhältnisse strukturieren diese Prozesse: So nutzte das aufstrebende Bürgertum Erziehungspraktiken und deren schulische Institutionalisierung zur Reproduktion seiner kulturellen und ökonomischen Privilegien. Über Erziehung werden nicht nur Klassenpositionen, sondern auch Geschlechtervorstellungen vermittelt und abgesichert.
Während Erziehung darauf abzielt, Individuen auf gesellschaftlich erwünschte Verhaltensweisen vorzubereiten, verweist Bildung auf die Möglichkeit der Überschreitung solcher Normierungen. Bildung meint – im emphatischen Sinne – den Prozess der Selbstbestimmung und reflexiven Aneignung von Welt und verkörpert dadurch die emanzipatorische Dimension der bürgerlichen Gesellschaft, das Ideal der Mündigkeit. Bildung ist insofern potenziell herrschaftskritisch und diente auch der Frauenbewegung dazu, jene (Geschlechter-)Ordnung infrage zu stellen.
Erziehungsdiskurs
Die vermeintliche weibliche Bestimmung als Hausfrau, Gattin und Mutter – alles Rollen im privaten Bereich – diente vielen Beiträgen im Erziehungsdiskurs als Fixstern. Das hängt eng mit der Trennung von öffentlicher und privater Sphäre in der bürgerlichen Gesellschaft zusammen. Während die Öffentlichkeit als (männlicher) Bereich von Vernunft, Politik und Arbeit galt, wurde Frauen die Verantwortung für die häuslich-moralische Ordnung zugewiesen.
Die Anhänger des deutschen Idealismus vertraten das Konzept der Geschlechterpolarität. In diesem Modell gelten Männer und Frauen als gleichwertig, aber wesensverschieden. Sie bilden die einander bedingenden Pole der Menschheit. Ein Anhänger dieser Idee war Kant, der seine täglichen Königsberger Spaziergänge einige Tage lang aussetzte, um sich voller Begeisterung mit Rousseaus „Émile“ zu beschäftigen. Kant sah die gesellschaftliche Bestimmung der Frau darin, das Haus zu verwalten und für unterhaltsame Gesellschaften zu sorgen. Damit war eine Überhöhung der Frau als reines Wesen verbunden, das Humanität im Privaten vermitteln sollte.
Kants Überlegungen zur Mädchenerziehung waren konsequent auf die spätere gesellschaftliche Stellung der Frau ausgerichtet. Diese zielten daher primär auf das Praktische und umfassten die Anleitung zur Haushaltsführung. Dabei kritisierte Kant durchaus die Mädchenerziehung seiner Zeit, die „nur darauf gerichtet sei, deren Verhalten einem äußeren Verhaltenskodex anzupassen und sie zu einer Art wohlerzogener ‚Puppe‘ zu machen.“
Ähnlich rigide Geschlechtervorstellungen wurden im Philanthropismus vertreten. Zu den einflussreichen Vertretern dieser reformpädagogischen Bewegung zählen Joachim Heinrich Campe (1746–1818) und Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811). Sie nahmen die Ideen Rousseaus auf und passten sie an die Lebensverhältnisse des deutschen Bürgertums an. Das zeigt sich eindrücklich in Campes spätaufklärerischer Schrift „Väterlicher Rath für meine Tochter“, die maßgeblich zur Etablierung des bürgerlichen Familienideals im 19. Jahrhundert beitrug.
Der Philanthrop Gotthilf Salzmann argumentierte in dieselbe Richtung. Demnach habe der Schöpfer die Frauen dazu bestimmt, „Freundinnen, Ratgeberinnen, Freudengeberinnen dem Manne, kluge Wirtinnen ihrem Hause, Erzieherinnen und Muster ihren Kindern zu sein.“ Anders als Campe sah er die Notwendigkeit spezieller Erziehungsanstalten, die damals noch äußerst selten waren, und die dazu dienen sollten, „das Weib zu veredeln“.
Nicht weniger radikal war die 1792 anonym publizierte Streitschrift „Die bürgerliche Verbesserung der Weiber“ von Theodor Gottlieb Hippel (1741–1796), die in der Tradition der radikalen Aufklärung steht.
In diesem Denken galten Bildung und Erziehung als Schlüssel zur weiblichen Emanzipation. Gemeinsam mit Wollstonecraft war Hippel der Ansicht, dass die Geschlechterunterschiede und die damit verbundenen Rollenzuschreibungen vor allem das Ergebnis von Erziehung sind. In der Konsequenz setzte er sich für den gemeinsamen Unterricht von Jungen und Mädchen bis zur Pubertät ein. Die aus Deutschland stammende jüdische Schriftstellerin Ester Gad (1767–1836) ging noch einen Schritt weiter: Gegen Campe gerichtet schrieb sie: „die Seele hat kein Geschlecht“.
Beschränkte Mädchenbildung
Mit der Einführung der allgemeinen Schul- und Unterrichtspflicht in Preußen 1717 entstanden die ersten Volksschulen bzw. preußischen Elementarschulen, die allen Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren offenstanden. Hier wurde jedoch lediglich eine elementare Bildung in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen unter teils widrigen Umständen vermittelt. Die Einschulungsquote lag am Ende des Jahrhunderts in den meisten deutschen Ländern deutlich unter 50 Prozent. Weder gab es eine flächendeckende Unterrichtsversorgung, noch konnten alle Eltern das Schulgeld aufbringen; oft waren sie auch schlicht auf die hauswirtschaftliche Mitarbeit ihrer Kinder angewiesen.
Die Entwicklung höherer Mädchenschulen wurde im 19. Jahrhundert weitgehend dem privaten Engagement überlassen. So entstanden um 1800 zahlreiche private Schulen, die vom Bürgertum selbst ins Leben gerufen wurden. Damit reagierte es auf den Mangel an adäquater Bildung für Mädchen. In fast allen größeren deutschen Städten gab es sogenannte höhere Töchterschulen, an denen bürgerliche Mädchen bis zu einem Alter von etwa 15 Jahren vorwiegend in Sprachen und Religion unterrichtet wurden.
Um die Jahrhundertwende nahmen Pädagoginnen die Gestaltung der höheren Mädchenbildung selbst in die Hand. Caroline Rudolphi (1753–1811) und Betty Gleim (1781–1827) beteiligten sich mit längeren Schriften am Erziehungsdiskurs und gründeten eigene Schulen, in denen sie ihre reformpädagogischen Bildungsideen praktisch umsetzten.
Erkämpfte Bildungsräume
In der sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts konstituierenden Frauenbewegung galt Bildung von Anfang an als Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe und ökonomischen Selbstständigkeit von Frauen – und damit als Voraussetzung für ihre Emanzipation. Zwar stellte Louise Otto-Peters (1819–1895), eine der Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung, die bürgerlichen Geschlechtervorstellungen nicht grundlegend infrage, aber in ihrer „Frauen-Zeitung“ forderte sie: „Das Recht, das Rein-Menschliche in uns in freier Entwicklung aller unserer Kräfte auszubilden, und das Recht der Mündigkeit und Selbstständigkeit im Staat.“
Nicht zuletzt unter dem Einfluss der Reformpädagogik von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) und Friedrich Fröbel (1782–1852) avancierte Bildung zu einem zentralen Politikfeld der Frauenbewegung. Dabei beriefen sich deren Aktivistinnen auf das Konzept der „geistigen Mütterlichkeit“. Demnach tragen Frauen aufgrund ihrer „natürlichen“ Fürsorglichkeit eine besondere Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft. Der Bezug auf eine weibliche Natur diente den Aktivistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung als Begründung, um neue Erwerbsfelder zu erschließen. Diese Emanzipationsstrategie erwies sich im sozialen und pädagogischen Bereich langfristig als erfolgreich, zementierte allerdings zugleich traditionelle Geschlechterrollen.
Im Zentrum der bildungspolitischen Forderungen der Frauenbewegung standen spätestens seit den 1880er Jahren der Zugang zum Abitur sowie der Lehrerinnenberuf, der für bürgerliche Frauen eine der wenigen standesgemäßen Erwerbsmöglichkeiten darstellte. Nicht zufällig rekrutierten sich einige der Führungsfiguren der Frauenbewegung aus diesem Berufsfeld. Eine wissenschaftlich fundierte Lehrerinnenausbildung existierte zu dieser Zeit jedoch nicht. Nach dem Besuch einer höheren Mädchenschule konnten junge Frauen ein zwei- bis dreijähriges Lehrerinnenseminar absolvieren, das sie lediglich zum Unterricht in Volksschulen oder unteren Klassen der höheren Mädchenschulen berechtigte.
Gemeinsam mit fünf Mitstreiterinnen aus dem liberalen Bürgertum richtete Lange 1887 eine Petition an den preußischen Unterrichtsminister und das preußische Abgeordnetenhaus, in der sie eine wissenschaftliche Ausbildung für Lehrerinnen sowie einen größeren Einfluss derselben im Schulwesen forderten. In der später als „Gelbe Broschüre“ bekannt gewordenen Begleitschrift argumentierte Lange getreu der „geistigen Mütterlichkeit“. Demnach könnten Frauen „gar nicht durch Männer allein gebildet werden, es bedarf dazu aus vielen Gründen durchaus des erziehenden Fraueneinflusses“.
In der Praxis realisierte Lange ihre Vorstellungen gemeinsam mit den Frauenrechtlerinnen Minna Cauer (1841–1922) und Franziska Tiburtius (1843–1927) durch die Gründung von Realkursen für Frauen, die am 10. Oktober 1889 in Berlin eröffnet wurden. Diese sollten Absolventinnen höherer Mädchenschulen eine allgemeine Bildungsgrundlage für praktische Berufe vermitteln. Als sich allmählich eine Öffnung der Universitäten abzeichnete, wandelte Lange die Realkurse 1893 in Gymnasialkurse um. Diese ermöglichten es Töchtern aus bürgerlichen Familien, als Externe die Abiturprüfungen abzulegen.
Erst gegen Ende des Jahrhunderts begann eine ernstzunehmende staatliche Institutionalisierung der Mädchenbildung. Die Diskrepanz zwischen staatlichen und privaten Bildungsinitiativen blieb jedoch erheblich: So gab es um 1900 in Preußen 656 private, aber lediglich 213 öffentliche höhere Mädchenschulen.
Schluss
Das Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Integration und Emanzipation des Individuums prägte auch den modernen Geschlechterdiskurs. Die Auseinandersetzung um die Erziehung der Frau wurde im 18. und 19. Jahrhundert zu einem zentralen politischen Schauplatz, an dem das Verhältnis der Frau zur Gesellschaft verhandelt wurde. Dabei eröffnete der Erziehungsdiskurs Raum für Gegenentwürfe. Pädagoginnen und Vertreterinnen der Frauenbewegung nutzten Bildung als Hebel weiblicher Selbstermächtigung. Mit dem strategischen Einsatz der „geistigen Mütterlichkeit“ forderten sie mehr Gleichberechtigung, indem sie an tradierte Geschlechterrollen anknüpften. Dieser Widerspruch ermöglichte Fortschritte innerhalb der bestehenden Ordnung, verfestigte aber zugleich klassische Rollenbilder.
Diese historische Ambivalenz wirkt bis heute fort. Das Schul- und Erziehungswesen ist nach wie vor eine zentrale Institution zur Reproduktion sozialer Ungleichheit. So kann uns der historische Kampf um höhere Mädchenbildung daran erinnern, dass Fragen von Teilhabe, Gleichheit und Gerechtigkeit in der Bildungspolitik fortlaufend neu verhandelt werden müssen.