Krisen sind wahre Bewährungsproben für demokratische Gemeinwesen. Wenn Finanzmärkte taumeln, Viren ganze Gesellschaften lahmlegen oder ein Angriffskrieg Europas Friedensordnung erschüttert, richtet sich der Blick der Bevölkerung auf Regierung, Parlament und Verwaltung: Können sie Schutz und Orientierung bieten, oder scheitern sie angesichts einer externen Bedrohung an dieser elementaren Aufgabe? Eine zentrale Ressource für erfolgreiche Krisenbewältigung ist politisches Vertrauen. Menschen, die politischen Akteuren und Institutionen vertrauen, halten sich eher an geltende Regeln und sind bereit, persönliche Einschnitte zum Schutz der Gesamtgesellschaft hinzunehmen. Somit ermöglicht Vertrauen seitens der Bevölkerung gerade in Krisenzeiten politischen Akteuren den notwendigen Handlungsspielraum, um anstehende Bedrohungen zu meistern. Diejenigen hingegen, die nur wenig politisches Vertrauen aufweisen, gewähren einen solchen Handlungsspielraum nicht. Sie wählen eher Parteien an den politischen Rändern, sind anfälliger für Verschwörungserzählungen oder lehnen den Staat und seine Institutionen und Akteure sogar rundweg ab.
Politisches Vertrauen ist kein universelles Konstrukt, sondern bezieht sich auf unterschiedliche Akteure und Institutionen – gerade in Krisenzeiten.
Politisches Vertrauen bildet sich, basierend auf psychologischen Merkmalen und Kindheitserfahrungen, während der Jugend bis ins frühe Erwachsenenalter heraus.
Wie Krisen das Vertrauen verändern können
Krisen eröffnen zumeist ein Fenster der Solidarisierung: Sobald äußere Bedrohungen nationale oder gruppenspezifische Sicherheit und Handlungsfähigkeit infrage stellen, versammeln sich Bürgerinnen und Bürger reflexhaft hinter der eigenen Regierung – der klassische Rally-round-the-flag-Effekt. Patriotische Gesten, verkürzte Nachrichtendiskurse und das diffuse Bedürfnis, „jemand“ möge das Steuer übernehmen, lassen selbst skeptische Milieus vorübergehend milde urteilen.
Allerdings ist dieser Rally-Effekt oft kurzlebig und lässt mit zunehmender Krisendauer meist schnell nach. So formiert sich beispielsweise häufig politischer Protest gegen das Krisenmanagement einer Regierung, wenn deren Bewertung durch die Bevölkerung aufgrund einer nicht hinreichend bearbeiteten Bedrohung zunehmend kritisch ausfällt. Insbesondere im Zuge meist langfristiger Finanz- und Wirtschaftskrisen kommt es dann auch zu einer Erosion von politischem Vertrauen unter das Vorkrisenniveau, mit langfristigen Folgen.
Die Dynamik von politischem Vertrauen in Krisenzeiten hängt neben den genannten Evaluationen auch von emotionalen Faktoren ab. So ist der Rally-Effekt bei Personen, die mit Angst auf Bedrohungen reagieren, stärker, da für diese Menschen Sicherheit ein zentraler Wert ist. Wut hingegen führt dazu, dass die Schuld für einen Missstand bei der Regierung gesucht wird, weshalb Vertrauen im Krisenverlauf schneller sinkt.
Zu diesen affektiven Dynamiken treten strukturelle Filter hinzu: wahrgenommene Kompetenz, das Fairnessurteil über staatliches Handeln und vor allem die sozialen Erfahrungswelten entlang von Bildung, Einkommen und sozialer Herkunft.
Politisches Vertrauen im Zuge der Covid-19-Pandemie
Zu Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 stieg das politische Vertrauen innerhalb kürzester Zeit stark an – ein globaler Rally-round-the-flag-Moment.
Gleichwohl schränken methodische Vorbehalte viele dieser Befunde zu pandemiebedingten Vertrauensveränderungen ein. Zahlreiche internationale und nationale Studien erfassten lediglich die ersten Pandemiemonate, ohne dass vergleichbare Messwerte aus der Vorkrisenzeit vorlagen. Längsschnittanalysen, die dieselben Personen über mehrere Jahre hinweg begleiten und Vertrauensveränderungen auf individueller Ebene vor und während der Krise auch über einen längeren Zeitraum vergleichen konnten, waren hingegen selten – und gerade deshalb besonders aufschlussreich.
Für Deutschland liegen Befunde zur Coronapandemie auf Basis langjähriger Befragungsdaten vor, etwa im Rahmen des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Diese spiegeln das erwartbare „Krisenhoch“ zu Beginn der Pandemie: Zwischen September 2020 und März 2021 stieg das durchschnittliche Institutionenvertrauen auf einer Skala von 1 (kein Vertrauen) bis 4 (starkes Vertrauen) zunächst auf 2,83 Punkte; in vergleichbaren Zeiträumen vor der Pandemie hatte es bei 2,59 gelegen.
Für Deutschland lassen sich diese pandemiebedingten Veränderungen des politischen Vertrauens nur bedingt auf veränderte Lebensumstände in der Krise zurückführen. Zwar zeigten Befragte in Landkreisen mit rapide steigenden Inzidenzraten zu Beginn der Krise zunächst größere Vertrauenszuwächse – eine plausible Reaktion auf die unmittelbare Bedrohung. Doch sobald die Fallzahlen über den Bundesdurchschnitt stiegen oder strenge Ausgangsverbote den Alltag prägten, kehrte sich dieser Effekt um: Das Vertrauen sackte deutlicher ab als in anderen Regionen. Im zweiten Pandemiejahr schlug der Zusammenhang zwischen Infektionszahlen und politischem Vertrauen sogar durchweg ins Negative um, und längere Kontaktbeschränkungen belasteten das Vertrauen zusätzlich.
Soziale Ungleichheiten – ungleiche Vertrauensdynamiken?
Sozialstrukturelle Merkmale prägten den Verlauf des politischen Vertrauens in den verschiedenen Krisenjahren der Pandemie sehr unterschiedlich. Befragte ohne Hochschulabschluss, deren Vertrauen in Institutionen und Medien vor der Krise tendenziell niedriger war als bei Akademikerinnen und Akademikern, verzeichneten im ersten Krisenjahr die deutlichsten Vertrauenszuwächse, mit besonders starken Anstiegen für Regierung, Parlament und Medien. Der anschließende Rückgang setzte zwar etwas eher bei Akademikerinnen und Akademikern ein, zeigte in der Stärke der Reduktion aber kaum statistisch bedeutsame Bildungsungleichheiten. 2022/23 lag das institutionelle Vertrauen in beiden Gruppen unter Vorkrisenniveau; beim Medienvertrauen blieben Nicht-Akademiker auf reduziertem Niveau, während Akademiker auf das Vorkrisenniveau zurückkehrten, teils sogar darüber hinaus.
Auch für Menschen mit Migrationsgeschichte zeigten sich leichte Unterschiede im Rally-round-the-flag-Effekt. Vor der Krise verfügten Zugewanderte der ersten Generation über ein höheres Vertrauensniveau als die der zweiten Generation. Der anfängliche Vertrauensanstieg erfasste jedoch primär Befragte ohne Migrationshintergrund und die zweite Zuwanderergeneration, während die erste Generation zunächst in ihrer Vertrauenszuschreibung stagnierte und erst später moderat zulegte. Bis Mitte 2021 lagen alle Gruppen über ihrem Ausgangswert – unabhängig von ökonomischen Ressourcen oder individuellen Gesundheitsbelastungen.
Diese Befunde zu gruppenspezifischen Vertrauensveränderungen verdeutlichen, dass die Pandemie zwar ein gemeinsames Krisenszenario darstellte, aber keineswegs einen ausnahmslos uniformen Vertrauensschock bedeutete. Vorerfahrungen, Erwartungshaltungen und Prägungen bestimmen die Vertrauensgewinne zu Beginn der Krise, während Vertrauensverluste weniger starke gruppenspezifische Trends verzeichneten. Gleichwohl dürfte der Umfang tatsächlicher Vertrauensverluste zu niedrig bemessen sein. Da die Teilnahme an Umfragen in der Regel freiwillig ist, sind Personen, die Institutionen und staatlichen Akteuren mit grundsätzlicher Skepsis begegnen, in klassischen Befragungen häufig unterrepräsentiert. Gewichtungsverfahren mildern diesen Bias, beseitigen ihn aber nicht vollständig. Während die Richtung der Vertrauensentwicklung robust erscheint, sind die tatsächlichen Umfänge der beobachteten Veränderungen daher als konservative Schätzung zu interpretieren, wobei gerade stärkere Erosionsprozesse in klassischen Befragungsdaten stark untererfasst sein dürften.
Folgen des Vertrauensverlusts
Politisches Vertrauen ist mehr als nur die Beliebtheit einer Regierung; es fungiert als Ressource, die Regelakzeptanz, Kooperation und Konfliktfähigkeit ermöglicht. Wer Regierung, Gerichte oder Polizei für kompetent und integer hält, trägt eher unpopuläre Entscheidungen mit und hält sich an Gesetze und Vorschriften – in der Pandemie zeigte sich das zum Beispiel an höheren Impf- und Maskenquoten und geringerer Anfälligkeit für Verschwörungsnarrative.
Insbesondere vor dem Hintergrund der komplexen Dynamiken einer andauernden Polykrise ist ein tieferes Verständnis für diese Prozesse von elementarer Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft. Für Politik und Gesellschaft folgt daraus eine doppelte Agenda. Erodierendes Vertrauen erhöht die gesellschaftliche Polarisierungsanfälligkeit und treibt die Durchsetzungskosten politischer Steuerung in die Höhe, weil Regelbefolgung sinkt und stärkere Kontrolle nötig wird. Zentral erscheint daher ein nüchternes Erwartungsmanagement: Transparente Ziele, nachvollziehbare Zwischenstände und klare Kriterien der Lastenteilung reduzieren Interpretationsspielräume für Schuldzuweisungen. Ebenso wichtig scheint der Umgang mit Emotionen – insbesondere Wut und Angst –, die Unterstützung oder Ablehnung strukturieren. Etablierte demokratische Parteien sollten populistischen Deutungen nicht hinterherlaufen, sondern konsistente Gegenangebote machen, die Risiken benennen, ohne Ressentiments zu bedienen. Langfristig verschiebt sich Resilienz so von rein institutioneller Effizienz zu bürgerlicher Befähigung. Hierfür braucht es politische Bildung und Kompetenzen, aber auch erfahrbare Beteiligungsformate über den Lebensverlauf hinweg, damit Bürgerinnen und Bürger politische Veränderungen als gestaltbar erleben und politische Selbstwirksamkeit erfahren.