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Eine Globalgeschichte der Inflation | Inflation | bpb.de

Inflation Editorial Herausforderungen für die Stabilisierungspolitik 2023 Geldpolitik und Finanzpolitik im Dilemma Unterschiedliche Inflationskrankheiten Notwendige Zielgenauigkeit Der Preis ist hoch. Inflation, Preisdeckel und Preisbremsen Wen trifft die Inflation besonders? Haushaltsspezifische Inflationsraten in Deutschland nach den Preisschocks Globaler Inflationsdruck. Ursachen und länderspezifische Unterschiede Die Hyperinflation 1923 im kollektiven Gedächtnis Eine Globalgeschichte der Inflation Aus Erfahrung klug? Zur Entstehung und Wirkung von Inflationserwartungen

Eine Globalgeschichte der Inflation

Sebastian Teupe

/ 18 Minuten zu lesen

Eine Globalgeschichte der Inflation zu erzählen, bedeutet mehr, als nur die nationalen Inflationen der vergangenen 200 Jahre zu beschreiben. Denn Inflation war nicht nur eine international geteilte, sondern eine wechselseitig bedingte Erfahrung.

"Inflation" bezeichnet heute allgemein den Kaufkraftverlust des Geldes, der meist mit einer Vermehrung der Geldmenge einhergeht. Gemessen wird die Inflationsrate anhand von nationalen Preisstatistiken. Sie bezieht sich auf eine Währung, die räumlich begrenzt ist und meist irgendeiner Form geldpolitischer Steuerung unterliegt. Die Geschichte der Inflation wird daher fast immer als eine nationale Geschichte erzählt. Was kann vor diesem Hintergrund mit einer "Globalgeschichte der Inflation" gemeint sein? Inflation ist insofern ein globales Phänomen, als es kein Land auf der Erde in den vergangenen 200 Jahren gegeben hat, das von Preissteigerungen verschont geblieben wäre. Eine Inflationsrate von über 20 Prozent war fast überall auf der Welt ein regelmäßig wiederkehrendes Ereignis. Zugleich war Inflation nicht nur eine international geteilte, sondern eine wechselseitig bedingte Erfahrung. Mit "Globalgeschichte der Inflation" ist in diesem Beitrag daher mehr gemeint als die Untersuchung einer Vielzahl nationaler Inflationen.

Ökonom*innen weisen bereits länger darauf hin, dass eine Inflation nicht allein durch inländische Wirtschaftsfaktoren bedingt ist. In einer durch Handel eng verflochtenen Welt üben Schocks wie Kriege oder Ölpreiskrisen Einfluss auf die Inflationsrate aus, sodass diese durch den geldpolitischen Einfluss einzelner Länder nur unzureichend erklärt werden kann. Diese internationale "Synchronisierung" der Inflation wird oft als ein neueres Globalisierungsphänomen seit den 1980er Jahren interpretiert. Die wirtschaftliche Verflechtung der Welt reicht historisch jedoch viel weiter zurück. Das bedeutet nicht, dass die Inflation schon immer synchronisiert oder unabhängig von nationalen Faktoren war. Die Globalgeschichte der Inflation war in den vergangenen 200 Jahren vielmehr durch unterschiedliche Phasen der weltwirtschaftlichen Verflechtung und durch unterschiedliche Währungskontexte geprägt. Der Beitrag identifiziert in einer langfristigen Perspektive diejenigen Zäsuren, die den historischen Verlauf und die Ursachen von Inflationen über nationale Grenzen hinweg verändert haben.

Ein grundlegender Unterschied lässt sich zwischen dem (langen) 19. und dem 20. Jahrhundert feststellen. Hohe und international synchronisierte Inflationsraten gab es auch vor dem 20. Jahrhundert. Hyperinflationen gab es dagegen kaum, und die regionalen Unterschiede hielten sich insgesamt in Grenzen. Gold- und Silberwährungen sowie imperiale Machtbeziehungen prägten die Geschichte der Inflation in dieser Zeit. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 setzte die Ära des ungedeckten Papiergelds ein, in der die Zentralbanken an geldpolitischem Einfluss gewannen. Dass es auch für diesen Zeitraum internationale Trends gegeben hat, lässt sich anhand der globalen Inflationsrate in Abbildung 1 verdeutlichen. Demnach erlebte die Welt besonders hohe Inflationsraten infolge der beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie in den 1970er und 1980er Jahren aufgrund von Angebotsschocks in einer zunehmend dekolonisierten Welt.

Inflationen in einer Welt aus (meist) Silber und Gold (1800–1914)

Die enge Verbindung zwischen Geld und Edelmetallen war keine historische Notwendigkeit. Bereits in der Antike und im Mittelalter gab es Papiergeld, das allein auf Vertrauen basierte. Gleichwohl prägte der Bezug zu den Edelmetallen das Verständnis der Menschen vom Geld bis weit ins 20. Jahrhundert. Die Globalisierung, die durch Dampfschiffe und Eisenbahnen in neue Dimensionen katapultiert wurde, spielte sich geldtechnisch in einer noch traditionellen Welt ab. Die meisten Länder der Welt banden ihre Währungen an Silber, Gold oder an beide Edelmetalle zugleich (sogenannter Bimetallismus). Münzen, die einen materiellen Wert hatten, spielten im Zahlungsverkehr eine wichtige Rolle. Und wer Papiergeld akzeptierte, tat dies in dem Wissen, die Banknoten jederzeit in Gold oder Silber umtauschen zu können.

Ungedecktes, also nicht in Gold oder Silber einlösbares Papiergeld, war in der Gesamtbetrachtung des 19. Jahrhunderts eine fast immer kriegsbedingte Ausnahme. Großbritannien hob das Einlöseversprechen Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der Napoleonischen Kriege auf. Das durch den zweiten Opium-Krieg ins Chaos gestürzte China entwertete seine Silberwährung in den 1850er Jahren durch die Ausgabe ungedeckten Papiergelds. Die USA gaben Anfang der 1860er Jahre während des Bürgerkrieges die berühmten und ungedeckten Greenbacks aus. Die Auswirkungen auf die Preise waren überall gleich: Sie stiegen, wie anhand von Abbildung 2 für den Fall der USA zu erkennen ist. Allerdings beschränkten sich hohe Inflationsraten im 19. Jahrhundert nicht allein auf Perioden ungedeckten Papiergelds. Auch durch Edelmetall gedeckte Währungen führten keineswegs grundsätzlich zu Preisstabilität.

Metallene Inflationen des 19. Jahrhunderts

Dass die Preise trotz Gold- oder Silberwährung alles andere als stabil waren, hatte unterschiedliche Gründe. Kurzfristige Schwankungen von Jahr zu Jahr waren vor allem durch Missernten, Kriege oder Finanzkrisen bedingt. In Abbildung 2 lässt sich bei genauerer Betrachtung aber auch ein langfristiger Trend erkennen. Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren durch sinkende Preise geprägt, deren Abwärtsbewegung erst in den 1840er Jahren gestoppt wurde. In den 1870er Jahren fielen die Preise wieder, um anschließend seit Mitte der 1890er Jahre erneut anzusteigen. Allein zwischen 1900 und 1907 stiegen die Preise um rund 13 Prozent. Eine Erklärung für diesen Trend, der nicht nur für die USA Gültigkeit hat, sondern auch für andere Länder, liegt in der Entwicklung der Goldproduktion. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stagnierte die weltweite Goldproduktion auf einem niedrigen Niveau. Infolge des Gold Rush in Kalifornien in den 1840er Jahren stieg sie sprunghaft an, fiel danach jedoch schnell wieder ab. Erst in den 1890er Jahren zog die Produktion wieder an, diesmal vor allem bedingt durch neue Fördermethoden und Goldfunde in Südafrika.

Der Zusammenhang zwischen Preisentwicklung und Goldproduktion war vor allem in den industrialisierten Ländern der westlichen Welt seit den 1870er Jahren ausgeprägt. Der Grund lag darin, dass in dieser Zeit mehr und mehr Länder, zunächst vor allem in Westeuropa, ihren Silber- oder bimetallischen Standard durch einen Goldstandard ersetzten. Die Folge war eine große Goldknappheit. Diese ist im Zusammenhang mit technologischem Fortschritt und Globalisierung als eigentliche Erklärung der fallenden Preise zwischen 1873 und 1896 zu sehen. Erst der Anstieg der Goldfördermenge in den späten 1890er Jahren ermöglichte sowohl ein Ende der Deflation als auch eine Ausbreitung des Goldstandards nach Asien sowie Latein- und Südamerika. Japan führte 1897 den Goldstandard ein, Peru 1901 und Mexiko 1905.

Die Produktion des Silbers war im Unterschied zum Gold bereits seit den 1820er Jahren kontinuierlich angestiegen. In Ländern mit einem Silberstandard sah die Inflationsentwicklung im 19. Jahrhundert daher tendenziell anders aus. Allerdings spielte für die Inflationserfahrungen der Länder neben der Produktionsentwicklung auch die weltweite Verteilung der Edelmetalle eine Rolle. Diese Verteilung war seit der Frühen Neuzeit vor allem eine Folge der internationalen Handelsströme zwischen Amerika und Asien gewesen. Damit sich die globale Produktion in den Preisen der einzelnen Länder widerspiegeln konnte, waren freie Handelsströme notwendig, sowohl was die Einfuhr von Waren als auch die Ausfuhr der Edelmetalle betraf. Wenn keine Edelmetalle ins Land strömten, konnten sie auch keine Auswirkungen auf die Preise haben.

Der Zusammenhang lässt sich am Beispiel Chinas verdeutlichen. In den 1830er Jahren versiegte der von amerikanischen Kaufleuten getragene Silberfluss nach China, obwohl die Fördermenge in den Amerikas weiter zunahm. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte in China die "Daoguang Depression", die durch fallende Preise gekennzeichnet war. Die anschließende Papiergeldinflation in den späten 1850er und frühen 1860er Jahren, die zu Preissteigerungen von mehreren hundert Prozent führte, war ebenfalls entkoppelt von der globalen Silberproduktion. Erst nach Beendigung der Krise spielte das nach China kommende Silber wieder eine Rolle für die Preisentwicklung. Die weltwirtschaftliche Verflechtung nahm erneut Fahrt auf. In Mexiko investierten britische Unternehmer in Silberminen und sorgten für einen weiteren Anstieg der Produktion. Dies führte zu einer Zunahme der Geldmenge und tendenziell steigenden Preisen in Mexiko, China, Indien und anderen "Silber-Ländern" in den 1870er Jahren. Die globale Produktionsentwicklung der Edelmetalle gab im Kontext einer eng verflochtenen Welt also so etwas wie den allgemeinen Rhythmus der Geldwertentwicklung vor. Die Zentralbanken und Regierungen übten durch ihre Geldpolitik eine gewisse Kontrolle aus. Den allgemeinen Trend konnten sie bei gleichzeitigem Festhalten am Gold- oder Silberstandard aber nicht beeinflussen.

Inflationen und Kolonialismus

Der imperialistische Kontext des 19. Jahrhunderts verkompliziert das Bild einer globalen, durch den Handelsfluss von Gold und Silber geprägten Inflationsrate. Erstens setzt die Idee einer allgemeinen Preisbewegung eine Währung voraus, in der diese Bewegung gemessen werden kann, wie etwa den US-Dollar in Abbildung 2. Diese Voraussetzung existierte längst nicht überall. Tauschhandel war noch im 19. Jahrhundert verbreitet. Vor allem aber gab es in vielen Regionen mehr als eine Währung, und der Wechselkurs dieser Währungen schwankte untereinander. Welche Währung sollte hier für die Inflationsrate ausschlaggebend sein?

Zweitens standen die Kolonialmächte vor dem Problem, dass die kolonisierten Gesellschaften Geldsysteme praktizierten, die sich von ihren eigenen Währungen unterschieden. Die Kolonialherren nahmen daher Geldreformen vor, die mit Blick auf ihre eigenen Interessen gewählt waren. In Niederländisch-Indien (Vorläufer der Republik Indonesien) führte die Kolonialmacht bereits 1877 einen Gold-Devisenstandard ein. Dieser garantierte für den Außenhandel einen festen Wechselkurs zwischen der Kolonialwährung und dem Gold. In Indien wurden per Gesetz aus dem Jahr 1893 die Münzstätten geschlossen, die nun nicht länger Silber in Rupie verwandelten, das gesetzliche Zahlungsmittel Indiens. Das führte auch in Indien zur Einführung eines Gold-Devisenstandards, der die Kolonie an das Empire band. Die unmittelbare Folge der Maßnahme von 1893 war eine dem westlichen Trend folgende Deflation. Erst mit der Goldförderung seit 1896 stiegen die Preise in Indien wieder an.

In Afrika gab es auch unter kolonialer Herrschaft noch lange Zeit eine ganze Fülle unterschiedlicher Währungen. Als Wertspeicher dienten etwa Merikani, aus Amerika importierte Stoffe. Als Tauschmittel zirkulierten dagegen die unterschiedlichsten Münzen aus aller Welt: lateinamerikanische Silberdollar, französische Franc und spanische Golddublonen. Diese wurden in den britischen Kolonien seit den 1820er Jahren durch britische Gold-, Silber- und Kupfermünzen ergänzt. Hinzu kamen Währungen wie die zwischen Asien und Westafrika über transregionale Handelsnetzwerke verbreiteten Kaurischnecken oder die in Westafrika verbreiteten Manillen. Die lokal akzeptierten Währungen waren aufgrund ihres geringen Nennwerts für alltägliche Transaktionen besser geeignet.

Eine einheitliche und zentralisierte Geldpolitik musste schon an der Währungsvielfalt scheitern. Eine Inflationsgefahr bestand dagegen kaum. Eine Ausnahme davon war die "Kaurischneckeninflation" in den 1850er und 1860er Jahren. In dieser Zeit transportierten Hamburger Kaufleute, die ein gutes Geschäft witterten, große Mengen der Schneckengehäuse von Ost- nach Westafrika. Dies sorgte für eine künstliche Erhöhung der Geldmenge, was zu allgemeiner Teuerung und sozialem Protest führte. Mit der Zeit zogen die Kolonialmächte die nicht durch sie kontrollierten Währungen soweit wie möglich aus dem Verkehr. Manillen und Kaurischnecken durften zwar weiterhin als Tauschmedien zirkulieren, aber nicht mehr importiert werden. Maßnahmen dieser Art entwerteten teilweise die lokalen Währungen, die sich nun immer schlechter für Transaktionen nutzen ließen. Viele Menschen wurden finanziell ruiniert.

Insgesamt betrachtet, führte die währungstechnische Einbindung der Kolonien zu allgemeinen Preistrends wie im Rest der Welt. Die meisten Kolonien im 19. und frühen 20. Jahrhundert litten meist nicht unter höheren Inflationsraten, sondern unter Armut, einem Mangel an Gold- und Silbermünzen sowie Schwankungen der lokal genutzten Währungen untereinander. Im Fall der zwischenzeitlich entwerteten Kaurischnecken in Westafrika kehrte sich die Entwicklung allerdings um. In Nigeria waren sie nach wie vor ein beliebtes Tauschmittel. Da sie nicht länger importiert werden durften, blieb ihr Tauschwert relativ stabil. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber werteten die Kaurischnecken gegenüber der englischen Währung sogar auf. Entsprechend fingen etwa die Igbo an, die einst als Tauschmittel genutzte Währung als Wertspeicher zu horten. Auch der Wechselkurs zwischen britischen Shilling und nigerianischen Manillas halbierte sich zu Gunsten der lokalen Währung. Der Grund für diese Veränderungen war der Erste Weltkrieg, der die Währungen der Kolonialmächte entwertete.

Ära der Hyperinflationen (1914–1950)

Der Erste Weltkrieg beendete handstreichartig den über Jahrzehnte etablierten Goldstandard. Zugleich finanzierten die Nationen einen wichtigen Teil ihrer Kriegskosten über kurzfristige Kredite. Die Geldmenge stieg drastisch an. Bei Kriegsende hatte sich der Papiergeldumlauf pro Kopf in den kriegführenden Nationen mehr als verzehnfacht. Dem standen, und das war entscheidend, keine gestiegenen Konsumchancen gegenüber. Im Gegenteil: Der Krieg hatte mit seinen Zerstörungen eine Welt der materiellen Knappheit geschaffen, in der eine Unmenge an neu geschaffenem Bargeld zirkulierte. In den Kriegsjahren ließ sich dieser Umstand nur bedingt an den regulierten Preisen ablesen. Mit der schrittweisen Liberalisierung nach Ende des Krieges gab es kein Halten mehr. Die Nachkriegsinflation zwischen 1918 und 1920 war ein globales Phänomen, dessen Ausmaß die aktuell hohen Inflationsraten deutlich in den Schatten stellt. Frankreich etwa, ein vergleichsweise moderater Fall, sah zwischenzeitlich eine jährliche Inflationsrate von fast 50 Prozent.

Das Jahr 1920 markierte eine Zäsur in der globalen Inflationsentwicklung. Länder wie die USA, Großbritannien und Japan bewirkten einen Rückgang der Preise. In Frankreich und Italien blieben die Preise auf einem hohen Niveau. Die Länder Südosteuropas hatten hohe Inflationsraten, ohne dass es zu einer Hyperinflation kam. In Deutschland, Polen, Österreich, Ungarn und Sowjetrussland konnten die Preissteigerungen zunächst gar nicht gestoppt werden. Die teils gerade erst gegründeten Nationen erlebten Anfang der 1920er Jahre eine destabilisierende Hyperinflation. In Deutschland war die Hyperinflation von 1923 besonders ausgeprägt und brachte die junge Republik an den Rand ihrer Belastungsgrenze.

Den Abgang vom Gold betrachteten die Länder trotz der neuen Situation nach Kriegsende als ein zeitlich begrenztes Intermezzo. Die 1920er Jahre waren geprägt von dem Versuch, die Voraussetzungen eines neuen internationalen Goldstandards zu schaffen. Aber kaum hatte sich die Welt geldpolitisch wieder "goldene Fesseln" angelegt, stürzte sie in die bisher größte Wirtschaftskrise ihrer Geschichte. Während der "Großen Depression" zwischen 1929 und 1933 fielen die Preise in manchen Ländern um teilweise mehr als 20 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg steil an. Erst der erneute Abgang vom Gold in den 1930er Jahren, den die einzelnen Länder eher ad hoc und auf unterschiedliche Weise vollzogen, beendete die Krise.

Der Zweite Weltkrieg zwischen 1939 und 1945 hatte insgesamt ähnliche monetäre Folgen wie der Erste Weltkrieg. Vor allem demokratische Länder wie Großbritannien und die USA deckten diesmal jedoch einen deutlich größeren Teil ihrer Kriegsausgaben über Steuereinnahmen, sodass die Inflationsgefahr geringer blieb. Für Deutschland und Japan galt das nicht. In Deutschland blieben die Preiskontrollen nach dem Zweiten Weltkrieg bestehen, während die Preise auf dem Schwarzmarkt explodierten. In Japan erhöhten sich die offiziellen Preise nach Kriegsende innerhalb kurzer Zeit um mehr als 500 Prozent. Doch die Hyperinflation des Zweiten Weltkrieges blieb nicht auf die beiden Kriegstreiber beschränkt. Insbesondere die besetzten Länder wurden in den Strudel der Geldentwertung hineingezogen. Das betraf etwa Malaysia, Singapur, Indonesien, die Philippinen und Südkorea in Asien sowie zahlreiche Länder Ost- und Südosteuropas.

Griechenland wurde 1941 nicht nur Opfer deutscher Besatzung, sondern auch einer Hyperinflation. Eine Währungsreform im November 1944 sah den Tausch von 50 Milliarden Drachmen gegen eine neue Drachme vor. Auch der Weltrekord der höchsten jemals gemessenen Inflationsrate stammt aus dieser Zeit. Im Juli 1946 hatte das kriegszerstörte und geplünderte Ungarn eine Inflationsrate von monatlich 4,19 × 1016 Prozent. Anders als im Fall Griechenlands blieben westliche Finanz- und Lebensmittelhilfen aber zunächst weitgehend aus. Diese Isolierung war der ausschlaggebende Faktor für die besonders drastische Entwicklung. China erlebte Ende der 1940er Jahre eine Hyperinflation, die vor allem eine Folge des Krieges der Nationalisten gegen die Kommunisten war. Die nationalistische Regierung finanzierte sich weitgehend über die Druckerpresse und war, da sie keine Einigung mit ausländischen Kreditgebern erzielen konnte, international isoliert. Gleich zwei Währungsreformen scheiterten angesichts der drohenden Niederlage. Erst Anfang der 1950er Jahre gelang es der kommunistischen Regierung, die Inflation zu beenden. Insgesamt durchlebten rund 662 Millionen Menschen in den 1940er Jahren eine Hyperinflation, deutlich mehr als in den 1920er Jahren. Dazu kamen zahlreiche Länder, die keine Hyperinflation, aber eine sehr hohe Inflation erlebten. Italien etwa kämpfte gegen Ende des Krieges mit einer jährlichen Inflationsrate von über 300 Prozent.

"Great Inflation" und Divergenz globaler Inflationserfahrungen (1970–1995)

Mit dem Ende der kriegsbedingten Hyperinflationen setzte eine kurze Periode ein, die durch eine fast völlige Abwesenheit hoher Inflation geprägt war. International gab es mit dem System von Bretton Woods so etwas wie einen gemanagten Goldstandard. Noch einmal versuchte die Welt, ihre Währungen über den goldgedeckten US-Dollar an das Edelmetall zu binden. Bereits Ende der 1960er Jahre deutete sich jedoch ein Preistrend an, der den Ursprung der "Great Inflation" der 1970er und 1980er Jahre bildete. In den USA trieb der Krieg in Vietnam die Preise. 1971 hob Präsident Richard Nixon das Einlöseversprechen des Dollars in Gold auf und stellte die Weichen für das Ende von Bretton Woods. Dazu kam 1973 die erste Ölpreiskrise. In der Folge verfestigte sich eine Spirale aus hohen Inflationserwartungen, Preisanpassungen und Lohnforderungen. Die Zentralbanken liefen dieser Entwicklung hinterher. Die zweite Ölpreiskrise von 1979 löste einen weiteren Preisschock aus.

Die Bezeichnung "Great Inflation" klingt historisch betrachtet vielleicht etwas übertrieben. Die jährlichen Inflationsraten der westlichen Länder lagen außerhalb Großbritanniens nie über 20 Prozent. Doch zum einen markierte das Jahr 1974 mit über 16 Prozent den Höhepunkt der global gemessenen Inflationsentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Abbildung 1). Zum anderen war die "Great Inflation" für das monetäre Selbstverständnis der westlichen Länder ein Schock. In Großbritannien hatte die Inflationsrate die gesamten 1960er Jahre hindurch unter fünf Prozent gelegen. Seit 1970 schwankte sie dagegen meist irgendwo zwischen 10 und 20 Prozent. In der Bundesrepublik Deutschland erreichte die Inflationsrate dagegen 1973 mit 7,1 Prozent ihren Höhepunkt und fiel danach ab. 1981 stieg sie noch einmal auf 6,3 Prozent. Eine Inflationsrate von über sechs Prozent hat es seitdem in Deutschland nicht mehr gegeben – bis heute. In allen westlichen Ländern herrschte gleichzeitig eine vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit und geringes Wirtschaftswachstum, die sogenannte Stagflation. In der Folge der "Great Inflation" änderten sich Geldtheorie und Zentralbankpolitik grundlegend. Diese Inflation markierte auch das endgültige Ende der Bindung des Geldes ans Gold. In den USA bewirkten die drastischen Maßnahmen der Inflationsbekämpfung, der sogenannte Volcker-Schock, eine tiefe Wirtschaftskrise mit deutlich höherer Arbeitslosigkeit als in der Zeit der Stagflation.

In den Entwicklungsländern und den einkommensschwachen Ländern des Globalen Südens lagen die Inflationsraten in den 1950er und 1960er Jahren zwar höher als in den westlichen Ländern. Gemessen an der späteren Entwicklung waren sie allerdings auch hier niedrig. In Afrika übernahmen die neuen Regierungen der unabhängigen Staaten zunächst die Strategie, den Tauschwert ihrer mittlerweile vereinheitlichten Währungen an ausländische Ankerwährungen wie Franc, US-Dollar oder Pfund Sterling zu koppeln. In einem solchen System war die Inflationsgefahr kaum größer als im Land der jeweiligen Ankerwährung. Insbesondere die ehemaligen französischen Kolonien blieben im Rahmen der Communauté Francaise Africaine dem Franc eng verbunden. Das sicherte jahrzehntelang die Wertstabilität des Franc CFA, allerdings unter Preisgabe der geldpolitischen Autonomie. Die ehemaligen britischen Kolonien Ghana und Nigeria lösten sich dagegen bis Mitte der 1960er Jahre vom Pfund Sterling. In Ghana führten entwicklungspolitische Maßnahmen bereits in den frühen 1960er Jahren zu einem Haushaltsdefizit. Die Geldmenge wuchs schneller als die Wirtschaft. Spätestens in den 1970er Jahren nahm die Inflation in Ghana aufgrund von Militärdiktatur und politischer Instabilität bedrohliche Ausmaße an. Zwischen 1970 und 1974 lag die jährliche Inflationsrate im Durchschnitt bei rund 13 Prozent, im Jahr danach bei fast 30 Prozent. In Nigeria stieg die Inflation in diesem Zeitraum ebenfalls stark.

Andere Länder des Globalen Südens litten in den 1970er und 1980er Jahren gar an einer "chronischen Inflation", einer Inflationsrate von mindestens 20 Prozent über einen längeren Zeitraum. Das betraf vor allem die Länder Latein- und Südamerikas wie Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko, Peru und Uruguay. Diese Länder hatten sich seit den 1950er Jahren stark im Ausland verschuldet. Nun mussten sie wie die afrikanischen Länder insbesondere seit der Ölpreiskrise für ihre Importe höhere Preise zahlen, als sie für ihre Exporte erhielten, sodass sie die Inflation importierten. Es gab Ausnahmen wie Indien, wo die Inflationsrate in den 1950er Jahren im Durchschnitt unter zwei Prozent blieb und in den 1970er Jahren und 1980er Jahren lediglich dem allgemeinen Trend folgte. Ansonsten aber waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit nicht nur der Wohlstand, sondern auch die Inflationserfahrungen sehr ungleich verteilt. Die Ursachen waren je nach Zeit und Ort unterschiedlich. Politische Instabilität, hohe Staatsdefizite und globale Angebotsschocks waren wohl die zuverlässigsten Treiber hoher Inflationsraten.

Während die westliche Welt die Inflation Anfang der 1980er Jahre in den Griff bekam, litten zahlreiche Entwicklungs- und Niedrigeinkommensländer weiterhin an hohen bis sehr hohen Inflationsraten. In Latein- und Südamerika stiegen die Inflationsraten just in dem Moment an, in dem sie in den USA fielen. Die fallenden Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar erschwerten es den Ländern, ihre Schulden im Ausland zu bezahlen, und heizten die Inflation an. In manchen Ländern Afrikas erreichte die Inflationsrate ihren historischen Höhepunkt erst in den 1990er Jahren, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Das war teilweise eine Folge von militärischen Konflikten, teilweise von Marktliberalisierungen, bei denen sich Wechselkursschwankungen besonders drastisch auswirkten. In dieser Zeit litten auch Länder des zerfallenden Ostblocks unter einer Hyperinflation. Der divergierende Trend zwischen den wohlhabenden Ländern und dem Rest der Welt wurde erst in den späten 1990er Jahren durchbrochen. Damit begann aus globalhistorischer Sicht eine neue Phase. Es gab weiterhin hohe Inflationen und sogar Hyperinflationen. Aber diese blieben isolierte und räumlich beschränkte Phänomene.

Extremfälle und die Angst vor einem globalen Comeback

Im Kontext der global betrachtet niedrigen Inflationsraten im neuen Jahrtausend stachen die wenigen Ausnahmefälle besonders heraus. Die Fälle Argentiniens, Venezuelas, Zimbabwes oder auch der Türkei waren nationale Phänomene, die vermeidbar schienen. Die Globalisierung schien den Trend allgemein fallender Preise zu tragen, gestützt durch eine weitsichtige und an den Inflationserwartungen orientierte Zentralbankpolitik. Das war aus heutiger Sicht keine ganz falsche, aber eine übermäßig optimistische Einschätzung zeitgenössischer Beobachter. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Gefahr einer Inflation auch von weltwirtschaftlichen und -politischen Entwicklungen ausgeht, die sich der Kontrolle einzelner Länder entziehen. Die Globalisierung war eben nie eine Einbahnstraße, sondern ein voraussetzungsreiches und fragiles Gebilde.

Statistisch ist es bis heute nicht gelungen, einen zeitlosen Zusammenhang zwischen der Inflationsrate und anderen Variablen wie der Geldmenge, der Zentralbankunabhängigkeit oder dem Haushaltsdefizit nachzuweisen. Das ist angesichts der vielfältigen strukturellen Brüche der vergangenen 200 Jahre wenig verwunderlich. Inflationen entstanden stets in einem komplexen, sich wandelnden Kontext politisch-institutioneller Bedingungen und weltwirtschaftlicher Verflechtungen. Im 20. Jahrhundert spielten meist globale Angebotsschocks oder Kriege eine ausschlaggebende Rolle. In der Globalgeschichte der Inflation erscheint der geldpolitische Handlungsspielraum vieler Länder deshalb geringer, als man geldtheoretisch vielleicht annehmen könnte. Gemessen an den historischen Inflationserfahrungen fast aller Länder sind die aktuellen Prognosen in der westlichen Welt von rund zehn Prozent kaum außergewöhnlich. Beunruhigend sind sie trotzdem.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Carmen M. Reinhart/Kenneth Rogoff, This Time Is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2011, S. 184ff. Zum Begriff der Inflation siehe auch den Beitrag von Mechthild Schrooten in dieser Ausgabe.

  2. Vgl. Mario Draghi, Global and Domestic Inflation, Speech to the Economic Club of New York, New York, 4.12.2015, Externer Link: http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2015/html/sp151204.en.html. Siehe auch den Beitrag von Gunther Schnabel in dieser Ausgabe.

  3. Vgl. Jongrim Ha/M. Ayhan Kose/Franziska Ohnsorge, Inflation in Emerging and Developing Economies. Evolution, Drivers and Policies, Washington, D.C. 2019, S. 93–141.

  4. Vgl. Xun Yan, In Search of Power and Credibility. Essays on Chinese Monetary History (1851–1945), Dissertation, London School of Economics 2015, S. 9–92.

  5. Vgl. Bernd-Stefan Grewe, Gold. Eine Weltgeschichte, München 2019, S. 57.

  6. Siehe Externer Link: https://eh.net/encyclopedia/gold-standard.

  7. Vgl. Richard von Glahn, Economic Depression and the Silver Question in Nineteenth-Century China, in: Manuel Pérez-García/Lucio de Sousa (Hrsg.), Global History and New Polycentric Approaches, Singapur 2018, S. 81–118.

  8. Vgl. William Schell Jr., Silver Symbiosis. Reorienting Mexican Economic History, in: Hispanic American Historical Review 1/2001, S. 89–133, hier S. 112.

  9. Vgl. Eric Helleiner, The Monetary Dimensions of Colonialism. Why Did Imperial Powers Create Currency Blocks?, in: Geopolitics 1/2002, S. 5–30, hier S. 7.

  10. Vgl. John Maynard Keynes, Indian Currency and Finance, London 1913, S. 2.

  11. Vgl. Jane Guyer/Karin Pallaver, Money and Currency in African History, 24.5.2018, Externer Link: https://oxfordre.com/africanhistory/view/10.1093/acrefore/9780190277734.001.0001/acrefore-9780190277734-e-144.

  12. Vgl. Ayodeji Olukoju, Nigeria’s Colonial Government, Commercial Banks and the Currency Crisis of 1916–1920, in: The International Journal of African Historical Studies 2/1997, S. 277–298, hier S. 279.

  13. Vgl. Guyer/Pallaver (Anm. 11), S. 9.

  14. Vgl. Jan Hogendorn/Henry A. Gemery, Continuity in West African Monetary History? An Outline of Monetary Development, in: African Economic History 17/1988, S. 127–146, hier S. 137.

  15. Vgl. Ben Naanen, Economy within an Economy: The Manilla Currency, Exchange Rate Instability and Social Conditions in South-Eastern Nigeria, 1900–48, in: The Journal of African History 3/1993, S. 425–446, hier S. 429.

  16. Vgl. Walter I. Ofonagoro, From Traditional to British Currency in Southern Nigeria. Analysis of a Currency Revolution, 1880–1948, in: The Journal of Economic History 3/1979, S. 623–654, hier S. 652.

  17. Vgl. George T. Basden, Among the Ibos of Nigeria, London 1921, S. 198f.

  18. Vgl. Naanen (Anm. 15), S. 431.

  19. Vgl. Ernest Ludlow Bogart, War Costs and their Financing, New York 1921, S. 352f.

  20. Vgl. Adam Tooze, The Deluge. The Great War and the Remaking of Global Order, 1916–1931, London 2015, S. 355.

  21. Vgl. Sebastian Teupe, Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923, Frankfurt/M. 2022. Siehe hierzu auch den Beitrag von Lukas Haffert in dieser Ausgabe.

  22. Vgl. Barry Eichengreen, Golden Fetters. The Gold Standard and the Great Depression, 1919–1939, New York 1992.

  23. Vgl. zu den einzelnen Ländern Liping He, Hyperinflation. A World History, London 2018, S. 98–146. Eine Hyperinflation wird meist definiert als eine Inflationsrate von monatlich mindestens 50 Prozent.

  24. Vgl. Michael Bryan, The Great Inflation, 22.11.2013, Externer Link: http://www.federalreservehistory.org/essays/great-inflation.

  25. Vgl. Johannes Jacobus Rossouw, Inflation in South Africa: 1921 to 2006. History, Measurement and Credibility, Dissertation, University of KwaZulu-Natal 2007, S. 91f.

  26. Vgl. Guyer/Pallaver (Anm. 11), S. 13.

  27. Vgl. Dirk Kohnert, Die Krise der Communauté Française Africaine, in: Internationale Politik und Gesellschaft 4/1994, S. 385–396.

  28. Vgl. Catherine R. Schenk, Monetary Institutions in Newly Independent Countries. The Experience of Malaya, Ghana and Nigeria in the 1950s, in: Financial History Review 2/1997, S. 181–198, hier S. 198.

  29. Vgl. Stephen Agyepong, A Monetary History of Ghana, Dissertation, Virginia Polytechnic Institute and State University 1987, S. 68.

  30. Vgl. Y. Venugopal Reddy, Inflation in India. Status and Issues, in: Reserve Bank of India Bulletin 1999, S. 1159–1171.

  31. Vgl. Reinhart/Rogoff (Anm. 1), S. 184.

  32. Vgl. ebd., S. 14.

  33. Vgl. Harold James, Inflation and Globalisation, 17.6.2022, Externer Link: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ehr.13174.

  34. Einen guten Überblick geben Ha/Kose/Ohnsorge (Anm. 3), S. 37–47.

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ist Juniorprofessur für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth.
E-Mail Link: sebastian.teupe@uni-bayreuth.de