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Globaler Inflationsdruck | Inflation | bpb.de

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Globaler Inflationsdruck Ursachen und länderspezifische Unterschiede

Gunther Schnabl

/ 16 Minuten zu lesen

Der globale Inflationsdruck war bereits vor den aktuellen Treibern Coronapandemie und Ukrainekrieg hoch. Wie stellt sich die Inflation in unterschiedlichen Ländern dar? Was sind die Folgen, und wie kann die Inflation bekämpft werden?

Im Zuge der Coronakrise und des Ukrainekrieges sind die Inflationsraten weltweit angestiegen. Deutschland hat für Oktober 2022 eine Inflationsrate von 11,6 Prozent (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) vermeldet, die USA 7,7 Prozent. Und auch in den meisten anderen Industrieländern werden Höchststände erreicht, die zuletzt in der Hochinflationsphase der 1970er Jahre beobachtet wurden. In Schweden liegt die Inflation bei 9,3 Prozent, in Norwegen bei 7,5 Prozent. In manchen Ländern ist die Lage noch dramatischer. In der Türkei wurden zuletzt 86 Prozent Inflation gemessen, in Argentinien 85 Prozent, und das schon lange von extremer Inflation geplagte Venezuela hat 142 Prozent vermeldet. Nur in wenigen Ländern wie China (2,1 Prozent), der Schweiz (2,9 Prozent) und Japan (3,6 Prozent) ist die Lage noch entspannt.

Die Zentralbanken, die vorausschauend Inflation erkennen und bekämpfen sollen, sind in vielen Ländern unter Druck, die Zinsen zu erhöhen. Die US-amerikanische Zentralbank Fed ist seit März 2022 vorausgeeilt. Die Europäische Zentralbank (EZB) folgt zögerlich. Die Bank von Japan hält hingegen die Zinsen weiter bei null. Da Zinserhöhungen nur mit deutlicher Verzögerung die Inflation dämpfen, sehen sich die Regierungen in vielen Industrieländern zu Subventionen für Energie und Treibstoffe sowie Direktzahlungen an die Bürgerinnen und Bürger gezwungen. Doch diese könnten die Inflation auf Dauer hochhalten. Die Lage ist angespannt.

Wie ist der globale Inflationsdruck entstanden? Was sagen die Unterschiede bei den Inflationsraten in unterschiedlichen Ländern aus? Was sind die Folgen der Inflation, und wie kann sie bekämpft werden? Diesen Fragen gehe ich im Folgenden nach.

Entstehung des globalen Inflationsdrucks

Der aktuelle Inflationsdruck hat sich über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren aufgebaut. Seit Ende der 1980er Jahre hat die Fed in Krisen die Zinsen stark abgesenkt, um die Finanzmärkte und die gesamte Volkswirtschaft schnell zu stabilisieren. In den Erholungsphasen nach den Krisen hob sie die Zinsen aber nur zögerlich wieder an. Das führte dazu, dass die kurzfristigen und langfristigen Zinsen über den Zeitverlauf hinweg immer weiter sanken. Nachdem infolge der US-amerikanischen Hypothekenkrise (2007/08) der Leitzins auf (nahe) Null gesenkt worden war, folgte die sogenannte Quantitative Lockerung: Die Fed kaufte in großem Umfang Staatsanleihen und andere Vermögenswerte, um die Finanz- und Gütermärkte zu stabilisieren. Das Volumen der Zentralbankbilanz und damit die Geldmenge stieg über den Zeitverlauf immer weiter an.

Viele andere Länder folgten aus zwei Gründen. Zum einen ist der Dollar außerhalb von Europa die Leitwährung. Die meisten Zentralbanken außerhalb Europas stabilisieren ihren Wechselkurs gegenüber dem Dollar. Senkt die US-amerikanische Fed den Zins, dann fließt Kapital von den USA beispielsweise nach China. Es werden Dollar in chinesische Yuan getauscht, sodass der Yuan unter Aufwertungsdruck kommt. Da eine Aufwertung der Währung die Exporte Chinas im Ausland teurer macht und deshalb das Wachstum bremst, stabilisiert die Peoples Bank of China den Wechselkurs: Sie kauft Dollar und verkauft Yuan, sodass Chinas Dollarreserven und die Geldmenge steigen sowie die Zinsen sinken.

Selbst Länder, die keine direkten Wechselkursbindungen gegenüber dem Dollar verfolgen – wie beispielsweise Japan – tendierten bei Aufwertungsdruck auf ihre Währung dazu, ebenfalls die Zinsen zu senken, um einen negativen Einfluss der Aufwertung auf ihre Wirtschaft zu vermeiden. Das hat dazu geführt, dass seit den 1980er Jahren weltweit das Zinsniveau im Trend abgesunken ist. Abbildung 1 zeigt den durchschnittlichen kurzfristigen Zins, den die Fed, die Bank von Japan und die EZB (vor 1999 die Deutsche Bundesbank) gesetzt haben. Der in Wellen verlaufende Abwärtstrend ist klar ersichtlich.

Nachdem die Nullzinsgrenze erreicht war, haben immer mehr Zentralbanken Staatsanleihen und andere Vermögenswerte angekauft, um das Wachstum zu fördern, sodass weltweit die Geldmenge stark angestiegen ist. Die EZB hat in großem Umfang Unternehmens- und insbesondere Staatsanleihen gekauft. Zudem hat sie in Krisen zu günstigen Zinsen Hilfskredite an Banken vergeben. Das Volumen der Bilanz der EZB ist deshalb beispielsweise von etwa 700 Milliarden Euro im Jahr 1999 auf zuletzt etwa 9.000 Milliarden Euro drastisch angestiegen. Die Entwicklung ist in den meisten Industrieländern ähnlich. In Japan fällt der Anstieg deutlich stärker als im Euroraum aus, in den USA geringer.

Da damit weltweit die meisten Zentralbanken die Zinsen immer weiter gesenkt und ihre Bilanzen immer mehr ausgeweitet haben, kann argumentiert werden, dass der globale Inflationsdruck spätestens seit den 1990er Jahren angestiegen ist. Dass sich dies zunächst nicht in steigender Konsumentenpreisinflation geäußert hat, ist mit der Art der Inflationsmessung verbunden. Früher wurde Inflation als die Ausweitung der Geldmenge gesehen, für deren Steuerung die Zentralbanken verantwortlich sind.

Nach dem Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises ist Inflation ein Anstieg der Geldmenge, der nicht durch einen entsprechenden Anstieg der Geldnachfrage ausgeglichen wird. Der Ökonom Milton Friedman argumentierte entsprechend, dass Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen sei, das heißt auf eine zu starke Geldmengenausweitung der Zentralbanken zurückgehe. Spätestens der Jahrtausendwende ist in vielen Ländern die Geldmenge deutlich schneller gestiegen als die Menge aller produzierten Güter und Dienstleistungen.

Die europäische Statistikbehörde Eurostat definiert Inflation hingegen (ähnlich wie die meisten anderen Zentralbanken) als einen allgemeinen Preisanstieg, der auf der Grundlage eines Konsumentenpreisindex gemessen wird. Die weltweit wachsende Geldmenge hat jedoch zunächst zu stark steigenden Aktien- und Immobilienpreisen geführt, die von einer auf den Konsum ausgerichteten Inflationsmessung (weitgehend) ausgeschlossen sind. Seit den 1990er Jahren wurde zudem ausgehend von den USA bei der Inflationsmessung die Qualitätsanpassung forciert, die einen dämpfenden Effekt auf die offiziell gemessene Inflation gehabt haben dürfte. Schließlich senkten die Zentralbanken die Finanzierungskosten der Unternehmen, und das von den großen Zentralbanken in den Industrieländern geschaffene Geld trug zum Aufbau großer Produktionskapazitäten in China bei. Der Import billiger Güter aus China drückte auf das Preisniveau in den Industrieländern.

Die offiziell gemessenen Inflationsraten stiegen schließlich seit Mitte 2021 (Abbildung 2) in vielen Industrieländern aus drei Gründen stark an. Erstens haben im Verlauf der Coronakrise die umfangreichen, weitgehend von den Zentralbanken durch Staatsanleihekäufe finanzierten staatlichen Hilfsmaßnahmen noch einmal sehr viel mehr Geld in Umlauf gebracht. Im Euroraum wurden beispielsweise die neu emittierten Staatsanleihen fast vollständig von der EZB
aufgekauft. Die Zentralbanken haben so zusammen mit den Regierungen durch niedrige Zinsen und umfangreiche staatliche Ausgabenprogramme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage – insbesondere Konsum und Staatsausgaben – angeheizt. Weil damit eine zusätzliche Nachfrage nach Energie- und Rohstoffen verbunden ist, zogen – zweitens – die Energie- und Rohstoffpreise bereits seit Mitte 2021 stark an.

Drittens hat sich im Zuge der Coronakrise die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer deutlich verstärkt, weil die sehr umfangreichen (von der Zentralbank finanzierten) Hilfsmaßnahmen einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert haben. Zudem konnte die Beschäftigung im öffentlichen Sektor dank der zentralbankfinanzierten Staatsausgaben maßgeblich wachsen. Eine immer noch sehr gute soziale Sicherung trägt in vielen Industrieländern dazu bei, dass viele potenzielle Arbeitnehmer nur zögerlich in den Arbeitsmarkt eintreten, lange Ausbildungszeiten haben beziehungsweise früher in Rente gehen. Das hat die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften gestärkt, die auf die gestiegenen Preise mit höheren Lohnforderungen reagieren können. Da mit höheren Löhnen die Kosten der Unternehmen steigen, heben diese die Preise an. Das löst neue Lohnforderungen der Gewerkschaften aus, sodass sich die Inflation auf hohem Niveau verfestigten dürfte.

Unterschiedliche globale Inflationsentwicklungen

Abbildung 3 zeigt die Inflationsentwicklung seit 1984 in Ländern mit hohem, mittlerem und niedrigem Einkommensniveau. Die Inflation ist in den Industrieländern deutlich niedriger als in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen, weil die Zentralbanken in der Regel von der Regierung unabhängig sind und dem Ziel der Preisstabilität folgen. Im Falle der EZB ist die Preisstabilität als primäres Mandat sogar in den Verträgen zur Europäischen Union verankert. Staatsausgaben müssen über Steuern finanziert werden, da der Staatsverschuldung Grenzen gesetzt sind.

Hingegen sind in vielen Entwicklungsländern und aufstrebenden Volkswirtschaften die Zentralbanken den Finanzministerien unterstellt und tragen zur Finanzierung der Staatsausgaben bei. Die durchschnittlichen Inflationsraten liegen im Ergebnis im Durchschnitt in den Ländern mit niedrigen und mittleren Pro-Kopf-Einkommen höher als in den Ländern mit hohen Pro-Kopf-Einkommen. Abbildung 3 macht zudem deutlich, dass die Inflationsraten in allen drei Ländergruppen korreliert sind, da die Geldpolitiken der Leitwährungsländer USA und Euroraum über die internationalen Kapitalflüsse und Wechselkursbindungen auf die anderen Länder übertragen werden.

Doch es gibt auch große Unterschiede bei den Inflationsraten innerhalb der Ländergruppen (Abbildung 4). Am oberen Ende des Spektrums stehen derzeit Hochinflationsländer wie Sri Lanka, Türkei, Argentinien und Venezuela. Die hohen Inflationsraten liegen darin begründet, dass die Ausgaben der Regierungen seit Längerem außer Kontrolle sind. Die Zentralbanken tragen im großen Ausmaß zur Finanzierung der Staatsausgaben bei, indem sie Staatsanleihen kaufen und/oder Kredite an die Staaten vergeben.

Dadurch wächst die im Umlauf befindliche Geldmenge schnell, während die Menge aller produzierten Güter und Dienstleistungen im Vergleich dazu stagniert und die Preise schnell steigen. Da die Menschen wegen der hohen Inflation ihre Ersparnisse oft in Fremdwährungen wie Dollar und Euro tauschen, verlieren die Währungen von Hochinflationsländern stark gegenüber Dollar und Euro an Wert. Dadurch steigen die Preise von importierten Gütern gerechnet in Inlandswährung, was das Preisniveau weiter nach oben treibt.

In den meisten Industrieländern wie den USA, den Mitgliedsländern des Euroraums, Schweden und Norwegen liegt die Inflation deutlich niedriger als in den Hochinflationsländern. Sie hat aber ein Niveau von sieben bis zehn Prozent erreicht, das deutlich über den Zielwerten von um die zwei Prozent liegt. Zwar hat der Ukrainekrieg über steigende Energiepreise den Anstieg der Inflationsraten verstärkt. Doch hat der Inflationsdruck schon früher eingesetzt, da in den meisten Ländern wachsende Ausgabenverpflichtungen nicht mehr durch die Steuereinnahmen gedeckt sind. Das dürfte auch ein wichtiger Grund sein, warum die EZB so viele Staatsanleihen angekauft hat.

In Japan ist die Inflation im internationalen Vergleich niedrig, obwohl die Bank von Japan seit den frühen 1990er Jahren im großem Umfang Staatsausgaben mit Staatsanleihekäufen finanziert hat. Die Staatsverschuldung konnte so auf über 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Dennoch ist die Inflation unter anderem deshalb nicht angestiegen, weil der japanische Staat zunehmend Güter und Dienstleistungen subventioniert hat. Nach Schätzungen der Washington International Trade Association kommen über 40 Prozent der Einkommen der japanischen Bauern vom Staat. Großzügige Hilfen für Reisbauern haben dazu beigetragen, dass der Reispreis in den vergangenen Jahren deutlich gefallen ist. Ebenso werden Weizen, Sojabohnen, Buchweizen und Raps bezuschusst.

Weitere Subventionen finden sich beim Bahnverkehr, der im dicht besiedelten Japan eine wichtige Rolle spielt. Staatliche Hilfen haben seit 2009 die Schul- und Hochschulgebühren gedrückt. Die Nachfrage für Autos wurde immer wieder durch Subventionen – zuletzt für Elektrofahrzeuge – angekurbelt, sodass deren Preise seit 1990 weitgehend konstant geblieben sind. Schnell wachsende staatliche Zuzahlungen im Gesundheitssystem haben den Preisanstieg bei der Gesundheitsversorgung gedämpft. Auch die staatlich kontrollierten Preise für Wasser und Strom sind nur moderat gestiegen. In Reaktion auf den Ukrainekrieg wurden Benzin und importierter Weizen bezuschusst.

In China dürfte der Inflationsdruck deshalb geringer sein, da die Geldpolitik bisher deutlich zurückhaltender war als in den Industrieländern, insbesondere in der Coronakrise. Die Regierung hält eine niedrige Inflation für eine wichtige Voraussetzung für die soziale Stabilität des Landes. Dass der zuletzt deutliche Anstieg der Produzentenpreise im Gegensatz zu den USA und Deutschland keine spürbare Auswirkung auf die Konsumentenpreise hatte, dürfte daran liegen, dass Chinas Zentralbank – die People’s Bank of China – über den staatlich kontrollierten Bankensektor und die Lokalregierungen viel billige Liquidität in den Unternehmenssektor gepumpt hat.

Die Preise von öffentlichen Dienstleistungen – die die im Preisindex vertretenen Dienstleistungen dominieren – und die Preise von Industriegütern – die oft von staatlichen Unternehmen produziert werden – scheinen mit Blick auf die niedrigen Inflationsziele der Zentralregierung gesetzt zu werden. Die vergleichsweise zurückhaltende Finanzpolitik Chinas sowie die strengen Corona-Lockdowns dürften die Inflation zusätzlich gedämpft haben.

Auch in der Schweiz, die im globalen Inflationsumfeld als sicherer Hafen für Kapitalzuflüsse gilt, ist die Inflation niedrig geblieben. Weil die Inflation im Euroraum hoch ist, legen viele Anleger ihre Ersparnisse in der Schweiz an. Würden die großen Kapitalzuflüsse in der Schweiz verbleiben, würde dies die Aktien- und Immobilienpreise stark nach oben treiben, weil die Kreditvergabe der Banken stark wachsen würde. Auch die Konsumentenpreisinflation dürfte dann steigen. Indem die Schweizer Nationalbank das Zinsniveau deutlich unter dem Zinsniveau der USA hält, begünstigt sie jedoch in großem Umfang Kapitalabflüsse. Die Schweiz exportiert damit mehr Kapital, als sie Kapital importiert, was den Inflationsdruck sowohl bei Vermögens- als auch bei Konsumentenpreisen dämpft.

Wenn die Schweizer Nationalbank wie zuletzt eine schrittweise Aufwertung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro zulässt, dann sinken die Preise importierter Güter. Der Druck auf die inländischen Unternehmen und den inländischen Handel wächst, die Preise niedrig zu halten. Schließlich ist die Staatsverschuldung in der Schweiz, gerechnet als Anteil am Bruttoinlandsprodukt, deutlich niedriger als in den meisten Mitgliedsländern des Euroraums. Deshalb dürfte auch der politische Druck auf die Schweizer Nationalbank geringer sein, Staatsanleihen zu kaufen.

Folgen von Inflation

Vor allem die Staaten mit besonders hohen Inflationsraten machen die Folgen deutlich. Hohe Inflation dämpft das Wachstum. Das liegt daran, dass Preise unter normalen Umständen Knappheiten anzeigen. Nimmt die Nachfrage nach einem Gut zu, dann steigt der Preis. Die Gewinne der Unternehmen, die dieses Gut produzieren, erhöhen sich. Das ist ein Signal, mehr von diesem Gut zu produzieren. Sinken die Preise eines Guts, werden die Unternehmen hingegen weniger produzieren, da die Gewinne sinken. Die Produktionsstruktur passt sich damit bei freien Preisen den sich kontinuierlich verändernden Präferenzen der Konsumenten an. Der Ressourceneinsatz ist besonders effizient, weil nicht in die Produktion von Gütern investiert wird, die die Konsumenten nicht nachfragen.

Bei Inflation steigen hingegen die Preise auf breiter Front, weil zu viel Geld im Umlauf ist, sodass die Informationsfunktion der Preise verloren geht. Steigende Preise spiegeln nicht mehr zwingend Knappheiten wider; es kann daher zu Fehlinvestitionen kommen, die zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgebrochen werden müssen. Beispielsweise sind in Spanien zwischen 2003 und 2007 aufgrund zu niedriger Zinsen nicht nur die Immobilienpreise stark angestiegen, es sind auch viele Bauten entstanden, die nach Ende des Immobilienbooms leer standen. In China wurden wegen zu niedriger Zinsen ganze Geisterstädte gebaut, die heute teils wieder gesprengt werden.

Bei hoher Konsumentenpreisinflation halten sich die Unternehmen aufgrund wachsender Unsicherheit mit den Investitionen zurück, weil die zukünftigen Kosten und Einnahmen schwer vorhersehbar sind. Da bei Inflation die Kaufkraft fällt, schränken die Menschen den Konsum ein. Steigen die Produzentenpreise stark an (wie derzeit in Deutschland), dann verschlechtern sich die Chancen der Exportunternehmen. Das Wachstum geht zurück und kann preisbereinigt auch negativ sein. Da das deutsche Wirtschaftssystem lange Zeit auf eine stabile Währung ausgerichtet war, war die Wirtschaft entsprechend produktiv, das Lohnniveau hoch und die Preise niedrig. Nun steigt die Unsicherheit, was negativ auf das Wachstum wirkt.

Der Wohlstand verfällt, das Leben wird schwerer, wie das Beispiel Venezuela besonders drastisch zeigt. Die ungezügelte Ausgabenpolitik der sozialistischen Regierung hat nicht nur dazu geführt, dass regelmäßig bei den Geldscheinen Nullen abgestrichen werden müssen, auch die Wirtschaftsleistung des Landes ist dramatisch gefallen. Die Bevölkerung ist größtenteils verarmt, viele leiden Hunger. Auch in der Türkei müssen die Menschen den Gürtel immer enger schnallen. Da eine hohe Inflation dazu führt, dass die Menschen die inländische Währung gegen Dollar oder Euro tauschen, wertet die türkische Lira immer weiter ab, was die Importe verteuert. Während Präsident Recep Tayyip Erdoğan Spekulanten für die Abwertung der Lira verantwortlich macht, zweifeln Beobachter die offiziell ausgewiesenen Inflationsraten als zu niedrig an.

Hinzu kommen einschneidende Verteilungseffekte. Der Ökonom John Maynard Keynes hat einst Lenin zitiert, dass die Regierung durch Inflation Vermögen willkürlich konfiszieren könne. Darunter litten große Teile der Bevölkerung, während Einzelne aber auch profitierten. Inflation schwächt die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten, da die Preise meist schneller steigen als die Löhne, was nun auch in den meisten Industrieländern der Fall ist. Da viele Verträge neu verhandelt werden müssen, entstehen Reibungsverluste wie etwa durch Streiks.

Seit mehr als zwei Dekaden wirken die Verteilungseffekte der zunehmend lockeren Geldpolitiken auch über die Finanzmärkte. Während Ersparnisse in Form von Bankeinlagen, die insbesondere von der Mittelschicht gehalten werden, nicht mehr verzinst wurden, stiegen die Preise von Aktien und Immobilien, die überproportional von vermögenden Menschen gehalten werden, stark an. Insbesondere für junge Menschen sind die Bildung von Vermögen und damit der soziale Aufstieg sehr schwer geworden.

Weitere Verteilungseffekte entstehen auf der Ausgabenseite der Staaten. Kaufen Zentralbanken im großem Umfang Staatsanleihen, dann erhöhen sie dadurch die Ausgabenspielräume der Regierungen, die diese nutzen können, um ihre Wiederwahl zu sichern. Lobby-Gruppen können Einfluss auf die Verteilung von Subventionen nehmen. Das kann dazu führen, dass die gut organisierten Großunternehmen sehr viel mehr von den Ausgaben des Staates profitieren als kleinere und mittlere Unternehmen. Die Konzentration in der Wirtschaft nimmt zu, die Preiserhöhungsspielräume für die großen Unternehmen wachsen.

Hält diese Entwicklung an, dann wächst die Anzahl der Menschen, die sich als Verlierer sehen. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich mehr Menschen politischen Parteien an den Rändern des politischen Spektrums zuwenden. In Deutschland hat die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre die Mittelschicht weithin ausgelöscht, was das Land politisch destabilisiert hat. Die Instabilität von Währung, Wirtschaft und Gesellschaft sind eng miteinander verbunden. Lenin hatte Keynes zufolge argumentiert, dass die Zerstörung der Währung der beste Weg sei, ein kapitalistisches System und eine bürgerliche Gesellschaft zu zerrütten.

Wege aus der Inflation

Das führt zu der Frage, wie die Inflation bekämpft werden kann. Derzeit scheint sich vor allem in Europa bei der Politik das japanische Modell durchzusetzen. Subventionen sollen die Inflation mildern. Deutschland hat die Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate abgesenkt und die EEG-Umlage ausgesetzt. Eine Gas- und eine Strompreisbremse sollen folgen. Frankreich hat schon früh den Preisanstieg bei Storm und Gas begrenzt und subventioniert Benzin. Ungarn hat die Strom- und Gaspreise reduziert sowie die Preise für Weizenmehl, Zucker, Milch und Eier gedeckelt. In Italien sind Netzentgelte entfallen, und es wurden Teile des Kraftstoffpreises erstattet.

Während die Dimension der Subventionen in vielen Ländern über den Zeitverlauf zu wachsen scheint, bleibt die Finanzierung der wuchernden Staatsausgaben offen. Da langfristig und anhaltend hohe Inflation meist mit überbordenden Ausgabenverpflichtungen des Staates verbunden ist, sind ausgeglichene Staatshaushalte und das Einhalten von Schuldengrenzen wichtige Voraussetzungen für eine nachhaltige Bekämpfung der Inflation. Da die Kassen weithin leer und Kürzungen bei den Staatsausgaben unpopulär sind, scheinen die meisten Regierungen hingegen noch auf höhere Ausgabenverpflichtungen zu bauen.

Das passt nicht zu den angekündigten Zinserhöhungen der Zentralbanken, die in vielen Ländern nur dann fortgesetzt werden können, wenn die Regierungen die Ausgaben reduzieren. Andernfalls könnten die Finanzmärkte das Vertrauen verlieren, dass die hoch verschuldeten Staaten ihre Schulden bedienen können. Eine globale Finanz- und Schuldenkrise könnte die Folge sein. Die neue britische Regierung denkt bereits über Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen nach, während die Bank von Japan weiterhin Zinserhöhungen ablehnt. Das dürfte daran liegen, dass die Staatsverschuldung in Höhe von über 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wenig Spielraum für Zinserhöhungen lässt.

Auch die EZB ist mit den Zinserhöhungen bereits deutlich hinter der Fed zurückgeblieben. Die hohe Staatsverschuldung in südlichen Eurostaaten wie Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich könnte dort zu einem möglichen Staatsbankrott führen und damit eine neue Eurokrise – und ein mögliches Auseinanderbrechen des Euroraums – nach sich ziehen. Die EZB könnte deshalb dazu tendieren, die Inflation über einen längeren Zeitraum hinweg hoch zu lassen, um die Staatsverschuldung im Euroraum durch Inflation abzuschmelzen. Inwiefern dies die Kapitalflucht und die politische Polarisierung im Euroraum begünstigen wird und inwiefern dies im Einklang mit dem in den Europäischen Verträgen verankerten Mandat der EZB für Preisstabilität steht, sollte diskutiert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Gunther Schnabl, Asymmetrische Makropolitiken und eingetrübte Wachstumsperspektiven, in: Wirtschaftsdienst 10/2009, S. 660–664.

  2. Es gibt unterschiedliche Geldmengenkonzepte. Die engste Geldmenge M0 ist definiert als der Bargeldumlauf plus die Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Die Geldmenge M1 ist definiert als der Bargeldumlauf plus die Einlagen von Haushalten und Unternehmen bei den Geschäftsbanken.

  3. Vgl. Ronald McKinnon, The Unloved Dollar Standard. From Bretton Woods to the Rise of China, Oxford 2013.

  4. Das Eurosystem hat derzeit Staatsanleihen im Umfang von etwa 4000 Milliarden Euro in seiner Bilanz.

  5. Vgl. Ludwig von Mises, Human Action: A Treatise on Economics, New Haven 1949, S. 416–241.

  6. Vgl. Milton Friedman, Inflation, Causes and Consequences, New York 1963. Dem liegt die sogenannte Quantitätsgleichung zugrunde, die besagt, dass die Geldmenge (M) multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (V) gleich der Menge aller produzierten Güter und Dienstleistungen (Y) multipliziert mit dem Preisniveau (P) ist: M×V = P×Y.

  7. In der EU ist das der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI).

  8. Vgl. Gunther Schnabl/Tim Sepp, Inflationsziel und Inflationsmessung in der Eurozone im Wandel, in: Wirtschaftsdienst 8/2021, S. 615–620.

  9. Die EZB hatte im März 2020 das sogenannte Pandemische Notfallkaufprogramm im Umfang von 1,850 Milliarden Euro auf den Weg gebracht.

  10. Siehe Gunther Schnabl, Arbeitsmärkte: Von Bazooka bis Wumms – die dramatischen Folgen der Staatseingriffe, 11.10.2022, Externer Link: http://www.welt.de/wirtschaft/plus241541505/Arbeitskraeftemangel-Von-Bazooka-bis-Wumms-die-dramatischen-Folgen-der-Staatseingriffe.html

  11. Zu den Lohn-Preis-Spiralen der 1970er Jahre siehe Aike Blechschmidt, Löhne, Preise und Gewinne (1967–1973), Lampertheim 1974.

  12. Ländern mit hoher Staatsverschuldung droht ein Anstieg der Risikoprämien und der Zinsen, die auf ausstehende Staatsanleihen bezahlt werden müssen. Bei zu hoher Verschuldung droht eine Schuldenkrise.

  13. Vgl. Gunther Schnabl, Das japanische Inflationsrätsel, 20.7.2022, Externer Link: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=31323.

  14. Vgl. Gunther Schnabl, Die Schweiz – immun gegen Inflation?, 21.8.2022, Externer Link: http://www.derpragmaticus.com/r/inflation-schweiz.

  15. Vgl. Friedrich Hayek, The Use of Knowledge in the Society, in: The American Economic Review 4/1945, S. 519–530.

  16. Zu der Ausrichtung der marktwirtschaftlichen Ordnung Westdeutschlands auf eine stabile Währung siehe Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen 1952. Daraus entstand, wie Ludwig Erhard betonte "Wohlstand für alle". Siehe Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957.

  17. Vgl. John Maynard Keynes, in: The Economic Consequences of the Peace, London 1919, S. 220f.

  18. Vgl. Gordon Tullock, The Rent-Seeking Society. Selected Works of Gordon Tullock, Bd. 5, Indianapolis 2005.

  19. Vgl. Sebastian Müller/Gunther Schnabl, Zur Zukunft der Europäischen Union aus ordnungspolitischer Perspektive, in: ORDO 2017, S. 3–34.

  20. Vgl. Liaquat Ahamed, Die Herren des Geldes, München 2010.

  21. Vgl. Keynes (Anm. 17), S. 220f.

  22. Vgl. James Buchanan/Richard Wagner, Democracy in Deficit: The Legacy of Lord Keynes, Indianapolis 1977.

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ist Professor für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig und leitet das Institut für Wirtschaftspolitik.
E-Mail Link: schnabl@wifa.uni-leipzig.de