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Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt Bestandsaufnahme und aktuelle Perspektiven

Christoph Metzler

/ 14 Minuten zu lesen

Menschen mit Behinderungen treffen auf dem Arbeitsmarkt auf besondere Herausforderungen. Dabei sind sie häufig gut ausgebildet. Für Arbeitgeber gilt es deshalb, die vorhandenen Potenziale besser auszuschöpfen und auf die Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen.

2023 gab es 7,9 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung in Deutschland. Davon waren 3,1 Millionen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist sehr unterschiedlich: Da sind zum einen junge Menschen mit Behinderungen, die nach einer Erstausbildung in den Arbeitsmarkt einsteigen. Ihre Anzahl ist insgesamt gering. Ein weit größerer Anteil erwirbt eine Behinderung auf dem Lebensweg, überwiegend als Folge von Krankheiten. Diese Menschen haben in der Regel bereits jahrelange Berufserfahrung gesammelt. Für sie gibt es zwei Optionen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen: erstens, den bisherigen Beruf, gegebenenfalls mit inhaltlichen oder organisatorischen Anpassungen, weiter auszuüben; oder, zweitens, eine Neuorientierung, zum Beispiel in Form einer Umschulung. Die Gestaltung barrierefreier Arbeitsumgebungen durch Arbeitgeber und die Förderung durch staatliche Institutionen kann sowohl beim Erhalt der bestehenden als auch beim Start in eine neue Arbeitsumgebung unterstützen.

Im Folgenden wird ein Überblick über die aktuelle Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen gegeben, ein Blick auf die betriebliche Perspektive geworfen und abschließend das Potenzial von künstlicher Intelligenz diskutiert.

Behinderung – Ein Begriff im Wandel

Was unter einer „Behinderung“ zu verstehen ist, hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten stark verändert. Lange Zeit war der Begriff ausschließlich auf die inneren Strukturen eines Menschen und deren dauerhafte Schädigung, etwa durch eine Krankheit, begrenzt. Das Vorliegen einer Behinderung wurde als Abweichung von einem vermeintlichen Normalzustand definiert.

Dieses Bild hat sich gewandelt. Seit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention, die von Deutschland 2009 unterzeichnet wurde, werden Barrieren in der Gesellschaft stärker betrachtet. Dies können zum Beispiel Strukturen sein, die Menschen mit Behinderungen bewusst oder unbewusst ausschließen, etwa Internetseiten der öffentlichen Verwaltung, die für Menschen mit einer Sehbehinderung auch unter Nutzung eines Screenreaders nicht vollständig nutzbar sind.

Seit dem 1. Januar 2018 lautet die in Deutschland verwendete Definition im neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) nach Paragraf 2 Absatz 1 wie folgt: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“

Ein wirklich inklusiver Arbeitsmarkt würde mittelfristig so aussehen, dass nicht der einzelne Mensch mit Behinderung „sich an vorhandene Strukturen anpassen und mit Barrieren leben“ muss. Stattdessen müsste die Gesellschaft Rahmenbedingungen so gestalten, dass eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen möglich wird. Dieses Verständnis hat unmittelbare Relevanz für die Gestaltung von Arbeitsumgebungen: Es eröffnet konkrete Handlungsspielräume für betriebliche Akteure, aber steckt auch den institutionellen Rahmen ab, um Barrieren im Berufsalltag zu identifizieren und Lösungen, etwa durch die Anpassung von Arbeitsplätzen oder die Förderung von Hilfsmitteln, zu gestalten. Barrieren können dabei je nach Branche, Tätigkeitstyp und Arbeitsort ganz unterschiedlich ausfallen.

Blick in die Arbeitsmarktstatistik

Statistiken können helfen, strukturelle Herausforderungen in einem System zu analysieren. Die Nutzung von Statistiken mit dem Schwerpunkt einer anerkannten Behinderung bietet zudem den Vorteil, jene Menschen zu betrachten, die einen unmittelbaren Anspruch auf Nachteilsausgleiche nach SGB IX im Arbeitsleben haben. Dies sind Menschen, denen vom Versorgungsamt auf Basis ärztlicher Gutachten ein Grad der Behinderung (GdB) zugewiesen wurde. In den meisten Statistiken werden Menschen mit einem GdB von mindestens 50 (auf einer Skala bis 100) betrachtet. Diese haben Zugang zu einem Schwerbehindertenausweis sowie einer erhöhten Anzahl an Nachteilsausgleichen, wie etwa einen erweiterten Kündigungsschutz. Darüber hinaus können auch Personen mit einem GdB von mindestens 30 von der Bundesagentur für Arbeit Schwerbehinderten gleichgestellt werden, sofern sie infolge ihrer Beeinträchtigung ohne diese Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz finden würden.

Die Arbeitslosenquote von Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung sowie ihnen gleichgestellter Personen lag im Jahre 2024 bei 11,6 Prozent. Das waren im Jahresdurchschnitt 175.000 Personen. Diese spezifische Arbeitslosenquote ist deutlich höher als die allgemeine Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent im selben Jahr (auf Basis einer eingeschränkten Bezugsgröße abzüglich geringfügig Beschäftigter und Selbstständiger). Arbeitslose mit einer Schwerbehinderung sind im Durchschnitt älter und formal besser qualifiziert als Arbeitslose ohne Schwerbehinderung. Schwankungen der Konjunktur, etwa in der Auftragslage, beeinflussen die Arbeitslosigkeit dabei weniger stark. Ein wichtiger Faktor ist hingegen die demografische Entwicklung, das heißt die wachsende Anzahl an älteren Menschen, bei denen Zugleich die Wahrscheinlichkeit auf eine Schwerbehinderung höher ist. Nicht zuletzt dadurch ist die Anzahl von Beschäftigten mit einer Schwerbehinderung und ihnen gleichgestellten Personen zwischen 2013 und 2023, mit Ausnahme der von Corona geprägten Jahre 2020 und 2021, durchgängig gestiegen. Diese Zahl umfasst alle Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitgeber mindestens 20 Beschäftigte haben, und lag 2023 bei 1,12 Millionen Personen.

Bei der Erwerbsquote – also dem Anteil der Bevölkerung von 15 bis unter 65 Jahren, die entweder erwerbstätig oder arbeitslos, aber verfügbar für eine Tätigkeit sind – zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede. So lag dieser Wert 2022 bei Menschen mit Schwerbehinderung bei 51,4 Prozent, bei der Gesamtbevölkerung hingegen bei 79,4 Prozent. Untersuchungen für das Jahr 2017 legen nahe, dass der Erwerbswunsch mit einem steigenden Grad der Behinderung abnimmt.

Beschäftigte Menschen mit einer Schwerbehinderung weisen im Vergleich zu Beschäftigten ohne eine anerkannte Behinderung eine längere Betriebszugehörigkeit auf. Sie sind weniger häufig in Führungspositionen zu finden, was unter anderem auch durch eine höhere Teilzeitquote bedingt sein könnte. Das Auftreten einer Schwerbehinderung hat einen negativen Einfluss auf das zukünftige Gehalt der Betroffenen. Das gilt ausdrücklich auch für jene Menschen, die weiterhin am ersten Arbeitsmarkt aktiv sind. So ist das Tagesentgelt fünf Jahre nach Auftreten einer Schwerbehinderung knapp 7 Prozent geringer als bei vergleichbaren Personen ohne Schwerbehinderung. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, in eine Tätigkeit zu wechseln, die mit einer geringeren körperlichen oder psychosozialen Belastung einhergeht.

Eine Alternative zu einer abhängigen Beschäftigung kann für Menschen mit Behinderungen eine Tätigkeit als Selbstständige:r darstellen. Dies kann spürbare Vorteile bieten – etwa mehr zeitliche Flexibilität und die Möglichkeit, Arbeitsinhalte und -umgebung individuell an die eigenen Bedürfnisse und Lebensumstände anzupassen. Auswertungen repräsentativer Bevölkerungsumfragen legen nahe, dass Menschen mit einer anerkannten Behinderung in Deutschland weniger häufig selbstständig sind als Menschen ohne Behinderungen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Bildungsstand. Mögliche Gründe könnten in der Gestaltung der bestehenden institutionellen Nachteilsausgleiche, die vorrangig auf abhängige Beschäftigte ausgerichtet sind (etwa ein erhöhter Urlaubsanspruch), liegen.

Zu einer differenzierten Betrachtung gehört auch die Tatsache, dass ein Teil der Menschen mit Behinderungen nicht direkt am ersten Arbeitsmarkt unter „normalen“ Bedingungen teilnimmt. Aufgrund von Art und Schwere ihrer Behinderung wurde ihnen bescheinigt, dass sie nicht, noch nicht oder noch nicht wieder ein entsprechendes Beschäftigungsverhältnis aufnehmen können. Knapp 300.000 Menschen arbeiten daher in Einrichtungen des zweiten, unterstützten, Arbeitsmarktes – in sogenannten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Sie erhalten in ihrem Alltag eine fachliche Anleitung und soziale Begleitung durch pädagogisch geschulte Fachkräfte. Knapp 75 Prozent aller betreuten Beschäftigten in WfbM wiesen 2023 eine geistige Behinderung und knapp 21 Prozent eine psychische Behinderung auf. Zur Stärkung des Übergangs von den Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Instrumente wie das Budget für Arbeit, das unter anderem einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent des Bruttoarbeitsentgelts enthält, eingeführt. Die Einführung dieser zusätzlichen Maßnahmen hat gleichwohl bisher nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation geführt.

Betriebliche Perspektive

Grundsätzlich haben Unternehmen denselben Anreiz, mit Menschen mit Schwerbehinderung ein Beschäftigungsverhältnis einzugehen, wie mit Menschen ohne Schwerbehinderung: die Gewinnung und Sicherung einer Fachkraft für den produktiven Einsatz im Betrieb. In der Diskussion um Fachkräfteengpässe auf dem Arbeitsmarkt spielt daher auch die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen eine wichtige Rolle. Ebenso wird Unternehmen im Rahmen ihrer Corporate Social Responsibility eine gesellschaftliche Verantwortung zugeschrieben, sich für Inklusion zu engagieren.

Darüber hinaus greift der Staat regulierend in den Arbeitsmarkt ein und setzt mit der sogenannten Ausgleichsabgabe einen finanziellen Anreiz für Unternehmen, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen. Dies bedeutet konkret, dass Unternehmen mit mindestens 20 Vollzeitarbeitsplätzen im Jahresdurchschnitt eine Kompensation zahlen müssen, wenn sie eine Quote von fünf Prozent an Beschäftigen mit einer Schwerbehinderung, oder ihnen gleichgestellten Personen, nicht erreichen. Die dadurch erhobenen Gelder werden wiederum vorrangig genutzt, um Maßnahmen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. Für die Berechnung der Quote gibt es Sonderregelungen, zum Beispiel eine doppelte Berücksichtigung von Auszubildenden, die eine Schwerbehinderung aufweisen beziehungsweise dem gleichgestellt sind. Es ist davon auszugehen, dass ein Teil der beschäftigten Menschen mit Behinderungen ihrem Arbeitgeber aus Angst vor negativen Auswirkungen diesen Status nicht mitteilt. Eine inklusionsfreundliche Unternehmenskultur kann somit dazu beitragen, die Ausgleichsabgabe zu verringern.

Eine Nichtbeschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung kann verschiedene Gründe haben: In einer Befragung von Unternehmen, die eine Ausgleichsabgabe zahlen, gaben nur 18 Prozent an, dass sie eine potenziell eingeschränkte Leistungsfähigkeit bei Menschen mit Behinderungen sehen, und 19 Prozent beklagen eine fehlende Flexibilität beim Kündigungsschutz. 77 Prozent der Unternehmen waren wiederum der Ansicht, dass ihnen keine geeigneten Bewerber:innen mit Schwerbehinderung vorlagen. Ein mögliches Hindernis für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen könnte auch in der Komplexität des Themas und dem notwendigen Aufwand, passende Unterstützung zu erhalten, liegen. In der Vergangenheit wünschten sich Unternehmen eine zentrale Stelle, bei der sie alle relevanten Informationen zur Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen finden, sowie einen zentralen Ansprechpartner für alle unterstützenden Maßnahmen.

Eine denkbare Lösung sind die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber, die 2022 bundesweit eingerichtet wurden. Sie sollen eine niedrigschwellige Lotsenfunktion einnehmen und betriebliche Entscheidungsträger:innen durch den gesamten Prozess begleiten – von den ersten Fragen über die Beantragung von Fördermitteln und bis hin zur Vernetzung mit zuständigen Stellen. Zudem gibt es zahlreiche Online-Beratungsangebote. Im Folgenden werden drei Beispiele vorgestellt.

Das Portal „Rehadat“ richtet sich an Unternehmen, an Menschen mit Behinderungen und alle, die die berufliche Inklusion unterstützen. Es zeigt erfolgreiche Beispiele für Arbeitsgestaltung und Lösungsansätze in der beruflichen Teilhabe auf, bietet relevante Urteile und Gesetze an, sowie Informationen über Hilfsmittel und die Ausgleichsabgabe. Das „Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung“ unterstützt insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Praxisbeispielen und Übersichten zu Fördermöglichkeiten in Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Und schließlich bietet die gemeinsame Website der Integrations- und Inklusionsämter eine Übersicht über finanzielle Leistungen für Unternehmen und Arbeitnehmer:innen, ein Fachlexikon sowie den Zugang zu regionalen Ansprechstellen.

Zielgruppen im Fokus

Im Folgenden wird die Lage zweier Personengruppen auf dem Arbeitsmarkt betrachtet, die zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Die Zahl an anerkannten Schwerbehinderungen, bei denen psychische Erkrankungen als Hauptursache gelten, ist seit mehreren Jahrzehnten deutlich gestiegen. Zwischen 1999 und 2023 hat sich die Zahl der Betroffenen mit Diagnosen wie Neurosen, Verhaltens- oder Persönlichkeitsstörungen sogar mehr als versiebenfacht. Parallel dazu zeigen Auswertungen der DAK-Krankenkasse einen Anstieg psychisch bedingter Fehltage um 52 Prozent im Zeitraum von 2013 bis 2023 – und das, obwohl öffentliche Investitionen getätigt wurden, um die Versorgung der Zielgruppe zu verbessern.

Denkbare Gründe für diese Entwicklung sind unter anderem: unzureichende Präventionsangebote, zunehmende Belastungen wie Stress, aber auch ein positiver Kulturwandel, der erlaubt, sich mit dem Thema psychischer Gesundheit offener auseinanderzusetzen. Unabhängig von den Ursachen sind die Folgen der Situation für Arbeitgeber nicht zu unterschätzen: Ein Großteil der Förderprogramme für Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel die Versorgung mit Hilfsmitteln, ist vorrangig auf körperlich bedingte Behinderungsursachen ausgerichtet. Dadurch steigt die Verantwortung von Unternehmen, geeignete betriebsinterne Maßnahmen zu schaffen.

Eine Beschäftigtenbefragung aus dem Jahr 2024 zeigt, dass die Mehrheit der Beschäftigten mit körperlichen Behinderungen oder inneren Erkrankungen ihre Situation am Arbeitsplatz offen kommunizieren kann – etwa gegenüber Kolleg:innen, Führungskräften oder dem Betriebsrat. Bei psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen fällt dies hingegen deutlich schwerer. Hier bestehen häufig größere Sorgen vor Ablehnung oder Stigmatisierung. Dieses Gefühl der Unsicherheit kann sich zudem negativ auf die Arbeitszufriedenheit der Betroffenen auswirken.

Im betrieblichen Alltag ist es daher empfehlenswert, eine Vertrauensperson für die Ansprache von Herausforderungen von Beschäftigten mit Behinderungen zu benennen, die im Zweifelsfall vermitteln kann. Dabei sind die Rücksprache mit den Menschen mit Behinderungen und die Wahrung von Vertraulichkeit unabdingbar. Neben der direkten Führungskraft kann eine solche Rolle auch eine geschulte Ansprechperson aus der Personalabteilung oder dem Betriebsrat übernehmen. Gerade in kleineren Unternehmen ohne entsprechende Strukturen können sich hier auch engagierte Kolleg:innen einbringen.

Die Quote der anerkannten Behinderung ist bei Menschen mit Migrationshintergrund deutlich geringer. Dies ist teilweise durch den niedrigen Altersdurchschnitt von Menschen mit Migrationshintergrund bedingt. Weitere Gründe sind das Fehlen von Informationen über behinderungsbedingte Nachteilsausgleiche, teils durch sprachliche Barrieren, und zudem die Befürchtung, ein weiteres Merkmal zu erwerben, das negative Zuschreibungen mit sich bringen könnte.

Weil Menschen mit Migrationshintergrund langfristig eine immer größere Rolle in Unternehmen spielen und zunehmend älteren Altersgruppen angehören, rückt ihre Inklusion stärker in den Fokus betrieblicher Personalpolitik. Ein Ansatzpunkt ist etwa, Mitarbeitende mit Migrationshintergrund und Behinderung gezielt als Botschafter:innen in der Belegschaft zu gewinnen, um das Thema vertraulich und glaubwürdig ansprechbar zu machen. Auch kann es helfen, Unterstützungsangebote im Unternehmen in verschiedenen Sprachen zugänglich zu machen, etwa mithilfe von KI-gestützten Übersetzungstools.

Zukunftsthema: Künstliche Intelligenz

Inwiefern die zunehmende Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) einen Einfluss auf den deutschen Arbeitsmarkt haben wird, ist noch weitgehend offen. Erste übergreifende Analysen zeigen, dass das Ausmaß der Substitution, also der Verdrängung von menschlicher Arbeitskraft durch KI (noch) nicht in einem großen Maße auftritt. Vielmehr ist von einer Komplementarität auszugehen, die dazu führt, dass Menschen bestehende Tätigkeiten teilweise angepasst unter Nutzung von künstlicher Intelligenz ausführen, teilweise bestehende Abläufe beibehalten. Im Idealfall könnte dies auch eine Chance für die Inklusion bedeuten, wenn KI gezielt in jene Tätigkeitsbereiche integriert werden könnte, in denen Arbeitnehmer:innen mit Behinderung zusätzliche Unterstützung benötigen und somit neue barrierearme Tätigkeitsfelder entstehen könnten. Inwiefern sich dies aber realisieren lässt und ob sich eine solche Lösung für Unternehmen als wirtschaftlich erweist, ist noch vollkommen ungewiss.

Damit die Chancen von KI für einen inklusiven Arbeitsmarkt voll ausgeschöpft werden können, ist es entscheidend, dass Fachkräfte mit Behinderung gleichberechtigt an der fortlaufenden Einführung von KI-Tools beteiligt werden. Eine 2020 veröffentlichte Befragung unter Unternehmen, die aktuell oder in den letzten fünf Jahren Menschen mit Behinderungen beschäftigten, zeigte gleichwohl auf, dass 29,8 Prozent aller Unternehmen durch Digitalisierung neue Chancen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sehen. Zugleich achten aber nur 33,5 Prozent bei der Einführung neuer Software auf Barrierefreiheit. Ebenfalls ist kritisch zu hinterfragen, inwiefern das zugrundeliegende Trainingsmaterial generativer KI-Systeme wie ChatGPT dabei helfen könnte, bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten zu verstärken. So zeigte eine experimentelle Studie auf, dass ChatGPT dazu neigt, Lebensläufe mit Hinweisen auf eine Behinderung schlechter zu bewerten – insbesondere, wenn bestimmte Behinderungsursachen, beispielsweise eine Autismus-Spektrum-Störung, mit mangelnder Eignung oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit assoziiert wurden.

Fazit

Insgesamt zeigen zahlreiche Indikatoren – von der Arbeitslosenquote bis zur Übernahme von Führungspositionen –, dass Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt schlechter gestellt sind als Menschen ohne Behinderungen. Trotz aller Erklärungen und Einordnungen kann dies nicht zufriedenstellen. Im Zuge der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft wird es mehr denn je notwendig sein, berufliche Lebenswelten an die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Fachkräfte anzupassen. Bei aller Hoffnung auf zukünftigen medizinischen Fortschritt liegt die Verantwortung – und auch die Chance – bei betrieblichen wie gesellschaftlichen Entscheidungsträger:innen: von der strategischen Ausrichtung der Personalpolitik auf Unternehmensebene über die Einrichtung von Beratungs- und Förderprogrammen auf institutioneller Ebene bis hin zur kontinuierlichen Evaluierung der Wirkung von Maßnahmen durch die akademische Welt. Nicht zuletzt gilt es dabei auch kritisch zu betrachten, ob das bestehende System Lücken aufweist. So könnte etwa Selbstständigkeit als Option für Menschen mit Behinderungen durch zusätzliche Maßnahmen, beispielsweise durch spezifische Kreditprogramme der Förderbanken oder Schulungen der Wirtschaftsförderungen, gestärkt werden.

Die Perspektiven von Menschen mit Behinderungen sollten zudem im Zusammenhang mit größeren Trends – wie der Entwicklung von KI und der zunehmenden Relevanz von Zuwanderung – konsequent mitgedacht werden. Hoffnung macht, dass im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode ausdrücklich betont wird, dass die „Belange von Menschen mit Behinderungen bei der Entwicklung von KI-Systemen“ zu beachten seien. Ein inklusiverer Arbeitsmarkt ist kein Selbstläufer, sondern muss aktiv unter sich stets wandelnden Rahmenbedingungen gestaltet und weiterentwickelt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln (Hrsg.), Statistik der schwerbehinderten Menschen, o.D., Externer Link: https://www.rehadat-statistik.de/statistiken/behinderung/schwerbehindertenstatistik.

  2. Vgl. Aktion Mensch/Handelsblatt Research Institute, Inklusionsbarometer Arbeit 2024. Ein Instrument zur Messung von Fortschritten bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Bonn 2024.

  3. Vgl. Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Die UN-Behindertenrechtskonvention – Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Die amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein, Berlin 2018.

  4. Deutsches Institut für Menschenrechte/Berliner Landeszentrale für politische Bildung, Was ist Inklusion? Fragen und Antworten, Berlin 2024, S. 1.

  5. Vgl. Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), Arbeitsmarktsituation schwerbehinderter Menschen 2024, Nürnberg 2025.

  6. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.), Dritter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung, Bonn 2021.

  7. Vgl. Carolin Fulda/Oliver Stettes, Welche Faktoren beeinflussen die Karriereambitionen von Menschen mit Behinderung, IW-Report 25/2024.

  8. Vgl. Matthias Collischon et al., Partizipation am Arbeitsmarkt: Eine Schwerbehinderung hat oft gravierende Folgen für den weiteren Erwerbsverlauf, IAB-Kurzbericht 22/2024.

  9. Vgl. Ricardo Pagán, Self-Employment Among People with Disabilities: Evidence for Europe in: Disability & Society 2/2009, S. 217–229.

  10. Vgl. Christoph Metzler, Disability and Self-Employment in Germany, Siegen 2020.

  11. Vgl. Dietrich Engels et al., Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, Bonn 2023.

  12. Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen, Belegte Plätze nach Behinderungsarten 2023, 13.6.2024, Externer Link: https://www.bagwfbm.de/file/1657.

  13. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Parallelbericht an den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum 2./3. Staatenprüfverfahren Deutschlands, Berlin 2023.

  14. Vgl. Julia Hensen/Phillipp Trögeler, Inklusion am Arbeitsplatz stärken. Wie und warum verhaltensökonomische Erkenntnisse helfen, Menschen mit Behinderung bei Einstellungen seltener zu diskriminieren – zum Wohle aller, IW-Report 49/2023.

  15. Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausgewählte Informationen zur Ausgleichsabgabe gemäß §160 SGB IX, WD 6 – 3000 – 027/19, Berlin 2019.

  16. Vgl. IW Köln (Hrsg.), Ausbildung und Mehrfachanrechnung, o.D., Externer Link: https://www.rehadat-ausgleichsabgabe.de/beschaeftigen-sparen/ausbildung-mehrfachanrechnung.

  17. Vgl. Hensen/Trögeler (Anm. 14).

  18. Vgl. Karolin Hiesinger/Alexander Kubis, Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderungen: Betrieben liegen oftmals zu wenige passende Bewerbungen vor, IAB-Kurzbericht 11/2022.

  19. Vgl. Christoph Metzler et al., Menschen mit Behinderung in der betrieblichen Ausbildung, IW-Analysen 114/2017.

  20. Vgl. Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), Entwicklung psychischer Erkrankungen als Ursache von Schwerbehinderungen in Deutschland (Abb. VI.60), 27.8.2024, Externer Link: https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Gesundheitswesen/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVI60.pdf.

  21. Vgl. DAK-Gesundheit, Psychreport 2024. Entwicklungen der psychischen Erkrankungen im Job: 2013–2023, Ergebnispräsentation, Hamburg 2024.

  22. Vgl. Julia Thom et al., Versorgungsepidemiologie psychischer Störungen. Warum sinken die Prävalenzen trotz vermehrter Versorgungsangebote nicht ab?, in: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2/2019, S. 128–139.

  23. Vgl. Hannah Seichter/Philipp Trögeler, Mit Aufgeschlossenheit zum Erfolg. Warum Inklusion am Arbeitsplatz mehr als ein Gespräch wert ist, IW-Kurzbericht 16/2025.

  24. Vgl. Hülya Turhan, Migration und Behinderung. Projekt „Perspektivenwechsel – Interkulturelle Öffnung der Behindertenhilfe“, Berlin 2020.

  25. Vgl. BMAS (Hrsg.), Zweiter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, Bonn 2016.

  26. Vgl. Manuela Westphal/Olezia Boga, „Ich könnte mit normalen Leuten leben“. Barrieren, Ressourcen und Wünsche an der Schnittstelle von Flucht, Migration und Behinderung, Kassel 2022.

  27. Vgl. Andrea Hammermann/Roschan Monsef/Oliver Stettes, KI und der Arbeitsmarkt. Eine Analyse der Beschäftigungseffekte, IW-Report 55/2023.

  28. Vgl. Christoph Metzler/Anika Jansen/Andrea Kurtenacker, Betriebliche Inklusion von Menschen mit Behinderung in Zeiten der Digitalisierung, IW-Report 7/2020.

  29. Vgl. Kate Glazko et al., Identifying and Improving Disability Bias in GPT-Based Resume Screening, in: Proceedings of the 2024 ACM Conference on Fairness, Accountability, and Transparency, 2024, S. 687–700, Externer Link: https://doi.org/10.1145/3630106.3658933.

  30. Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode, S. 19.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Christoph Metzler für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und Senior Economist am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Er schreibt als Forscher mit Schwerbehinderung über die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit und ohne Benachteiligung in Zeiten der Digitalisierung.