Am 1. August 1975 unterzeichneten Regierungsvertreter von 35 Staaten – sieben Mitglieder des Warschauer Paktes, 13 blockfreie Staaten und alle 15 NATO-Mitglieder – in Helsinki die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Vorausgegangen waren zwei Jahre intensiver Verhandlungen, an deren Aufnahme zunächst vor allem die Sowjetunion ein Interesse gehabt hatte: Es ging ihr darum, den territorialen Status quo in Europa zu festigen, schließlich war nach dem Zweiten Weltkrieg kein Friedensvertrag geschlossen worden, der die sowjetischen Gebietsgewinne festgeschrieben hätte. Die westlichen Verhandler erreichten im Gegenzug, dass sich die Warschauer-Pakt-Staaten offiziell und öffentlich zu Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten bekannten.
Tatsächlich war die Schlussakte nicht das Ende, sondern der eigentliche Beginn des nun folgenden KSZE-Prozesses. Dieser bestand zum einen aus weiteren blockübergreifenden Konferenzen zur Vertrauensbildung und Entspannung, zum anderen lebte er vom Engagement zivilgesellschaftlicher Menschenrechtsinitiativen, die sich für die Einhaltung der Helsinki-Prinzipien einsetzten. Zwar war die Schlussakte völkerrechtlich nicht bindend, aber mit ihr gab es erstmals ein Dokument, auf das sich die Aktivistinnen und Aktivisten der sogenannten Helsinki-Gruppen in Osteuropa wirkungsvoll berufen konnten. Dennoch waren viele von ihnen staatlichen Repressionen ausgesetzt, ehe Michail Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre in der Sowjetunion seine Glasnost-Politik einleitete.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die KSZE institutionalisiert und zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der bis heute weltweit größten regionalen Sicherheitsorganisation. Doch was ist von 1975 geblieben, mag man sich angesichts des Krieges in der Ukraine fragen: Warum gelingt es heute nicht, sich „blockübergreifend“ zu verständigen? Rufe nach dem „Geist von Helsinki“ übersehen häufig einen wesentlichen Punkt: Die Sowjetunion war damals zumindest in Europa eine Status-quo-Macht, sie wollte die Nachkriegsgrenzen unverletzlich halten. Im Falle Russlands ist heute das Gegenteil die Realität.