Der KSZE-Prozess, benannt nach der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, bezeichnet die Vorbereitung und Abfolge einer Reihe europäischer Konferenzen in den 1970er und 1980er Jahren. Er ist als Versuch zu verstehen, die militärischen Risiken, politischen Spannungen und humanitären Probleme der Blockkonfrontation in den Jahrzehnten des Kalten Krieges zu minimieren beziehungsweise zu überwinden. Über den Wert und das Gelingen dieses Unternehmens gehen die Meinungen weit auseinander. Initiatoren und Mitgestalter der Konferenzen verweisen auf die Erfolge der Entspannungspolitik – etwa die Abwehr der größten Gefahren des atomaren Wettrüstens und zahlreiche Erleichterungen im humanitären Bereich. Skeptiker stellen diese Elemente nicht in Abrede, unterstreichen aber, dass die sowjetische Seite nur durch die Stärke der NATO und der USA, die eigene ökonomische Unterlegenheit und den immer größeren Widerstand innerhalb der eigenen Bevölkerung in die Knie gezwungen wurde.
Die Initiative zu den Konferenzen ging bereits in den 1960er Jahren von den Staaten des Warschauer Paktes aus, sie wurde von westlicher Seite aufgenommen und von offiziellen politischen und diplomatischen Vertretern der beteiligten Staaten getragen. Beiden Seiten wurden dabei erhebliche Kompromisse abverlangt: Die westlichen Staaten akzeptierten den territorialen Status quo in Europa, die östliche Seite verpflichtete sich zur Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards. Zum wichtigsten Bezugspunkt wurde die 1975 unterzeichnete Schlussakte von Helsinki, in der sich die teilnehmenden Staaten – 15 NATO-Mitglieder, 13 neutrale Staaten und sieben Angehörige des Warschauer Paktes – unter anderem darüber verständigten, in humanitären Fragen zusammenzuarbeiten, um zum Beispiel den Reiseverkehr und persönliche Kontakte über die Blockgrenzen hinweg zu erleichtern. Es folgten zahlreiche diplomatische Konferenzen, unter anderem in Belgrad (1977/78), Madrid (1980–1983) und Wien (1986–1989), um die Umsetzung der Vereinbarungen von Helsinki zu überprüfen und voranzutreiben.
Parallel entstanden auf zivilgesellschaftlicher Ebene in zahlreichen Ländern des Ostblocks Menschenrechtsgruppen, die große Hoffnungen in den KSZE-Prozess setzten und sich dafür engagierten, den ihnen vorenthaltenen Grundfreiheiten zur Geltung zu verhelfen. Einige hatten westliche Unterstützer, mussten jedoch auf eigenen, oft abenteuerlichen Wegen zusammenfinden, um die Begleitung des Helsinki-Prozesses von unten zustande zu bringen. Ihr Bemühen blieb vielerorts auch nach den Befreiungsrevolutionen von 1989 aktuell, da sich die Menschenrechtssituation nur in einem Teil der ehemaligen Ostblockstaaten wirklich änderte. Im Folgenden werde ich über die Arbeit dieser Gruppen in der DDR (und darüber hinaus) schreiben – einerseits einordnend aus historischer Distanz, andererseits als Zeitzeuge und unmittelbar Beteiligter der Initiative Frieden und Menschenrechte, zu deren Gründern ich 1986 gehörte.
Helsinki 1975
Was Grund- und Menschenrechte angeht, ging es im KSZE-Prozess nicht um etwas grundsätzlich Neues: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war bereits 1948 in Paris von der UN-Generalversammlung verabschiedet worden. Die Sowjetunion hatte sich dabei allerdings enthalten und nutzte auch sonst alle Möglichkeiten, die Arbeit der von ihr mitgeschaffenen Vereinten Nationen zu behindern oder in ihrem Sinne zu steuern. Als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat und dem damit verbundenen Vetorecht sowie mit ihrer Präsenz im Generalsekretariat und in zahlreichen Kommissionen und Unterorganisationen hatte sie eine Vielzahl an Instrumenten dazu.
Knapp 20 Jahre später gingen vom Bukarester Gipfel der Warschauer-Pakt-Staaten und 1969 im „Budapester Appell“ jedoch Signale zu einer blockübergreifenden Verständigung über die Wahrung des Friedens, friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit aus. Die wohlklingenden Worte und die tatsächlichen Ziele gingen dabei indes weit auseinander. Nach dem Tod Stalins 1953 hatte sich am Charakter des sowjetischen Systems nichts Grundlegendes geändert. Unter seinem Nachfolger Nikita Chruschtschow gingen die schlimmsten Gewaltexzesse zwar zurück, einzelne Länder, etwa Polen, erlebten eine „Tauwetterperiode“. Aufstände und Erhebungen wurden jedoch mit eiserner Hand unterdrückt, Reformbestrebungen stießen rasch an ihre Grenzen.
Der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Boris Pasternak, der die „Verdienste“ Chruschtschows durchaus anerkannte, aber auch wusste, was er von dessen Fähigkeiten zu halten hatte, bemerkte im vertrauten Kreis sarkastisch: „Viele Jahre herrschte ein Wahnsinniger und Mörder über uns, und jetzt regiert uns ein Dummkopf und Schwein.“
Die offiziellen Vorstöße und Verständigungsvorschläge von östlicher Seite waren vor allem der Versuch, die Lasten des Wettrüstens zu minimieren und im Systemwettlauf Boden gutzumachen. Jeder „gute Kommunist“ wusste, dass es sich dabei nur um eine historische Atempause auf dem Weg zum Sieg der Weltrevolution handeln konnte. Dies hielt zahlreiche Friedensfreunde im Westen nicht davon ab, den sowjetischen Versprechungen zu glauben. Westliche Realisten und Konservative taten das in der Regel nicht, hofften aber, zu neuen Bedingungen wirtschaftliche und humanitäre Ziele besser durchsetzen zu können. Im Zentrum zahlreicher Spannungen und Konflikte stand die ungelöste „Deutsche Frage“ über die Einheit Deutschlands; hier setzte insbesondere die Bundesregierung unter Willy Brandt auf Schritte, die als Entspannungspolitik gewertet wurden.
Damit war der Weg für eine Reihe von Konferenzen geebnet, die – nach dem ersten Austragungsort benannt – als Helsinki-Konferenzen in die Geschichte eingingen. Hier schlug die Stunde der Politiker, Diplomaten und Geheimdienstler beider Seiten, die an allen Tagungsorten in großer Zahl vertreten waren.
Zu den umfangreichen inhaltlichen Verabredungen der Schlussakte von Helsinki, die sich nach Themen in verschiedene „Körbe“ gliederte, gehörte auch der sogenannte Korb III, der den Menschenrechten gewidmet war. Hier verpflichteten sich die beteiligten Seiten, politische, gesellschaftliche und soziale Menschenrechte anzuerkennen. Der Inhalt dieser Vereinbarungen wurde prominent veröffentlicht, und jede Bürgerin und jeder Bürger der KSZE-Staaten konnte sich darauf berufen, selbst wenn ihre Umsetzung immer wieder hinausgeschoben wurde. Unmittelbare innerstaatliche Rechtsverbindlichkeit besaßen die Verträge nämlich nicht.
Helsinki von unten
Wer sich nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 in der DDR wiederfand, ohne das Leben in einer Diktatur als normal oder unumstößlich zu akzeptieren, oder wer sich gar dagegen wehrte, suchte und fand seine Verbündeten nicht zuletzt auch in anderen Ländern des Ostblocks. Zwar trennten einen verschiedene Geschichten, Sprachen und Traditionen, aber es gab eine starke Verbindung durch eine prinzipiell gleiche oder ähnliche Situation, in der man sich befand. Da in den 1970er Jahren die Grenzen innerhalb des Ostblocks etwas durchlässiger wurden, ließen gegenseitige Solidaritätssignale nicht lange auf sich warten.
Ermutigt durch die Verabschiedung der Schlussakte von Helsinki bildete sich im Mai 1976 das Moskauer Helsinki-Komitee. Die Pressekonferenz, auf der die Gründung verkündet wurde, fand in der Moskauer Wohnung des Physikers und Menschenrechtsaktivisten Andrei Sacharow statt, dem ein halbes Jahr zuvor für sein Engagement der Friedensnobelpreis verliehen worden war. Die russische Menschenrechtsbewegung war zu diesem Zeitpunkt bereits seit etwa einem Jahrzehnt aktiv. Mit der „Chronik der laufenden Ereignisse“, einem mit Schreibmaschine im Samisdat (Selbstverlag) erstellten Informationsbulletin, das von 1965 bis 1983 in allen Teilen der Sowjetunion kursierte, hatte sie das Vorbild für zahlreiche spätere Untergrund-Publikationen im gesamten Ostblock geschaffen. Die Verbreitung lief per Schneeballsystem: Von den wenigen Ausgangsexemplaren fertigten die Empfänger jeweils neue Kopien an und gaben sie weiter, wodurch die entferntesten Winkel des sowjetischen Imperiums erreicht wurden. In umgekehrter Richtung kamen die Informationen und Dokumente zusammen, die zum Inhalt der Chronik wurden: Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Repressionen, Gerichtsverfahren, Zustände in den Gefängnissen und Straflagern sowie internationale Nachrichten gehörten dazu. Die Initiatoren und Redakteure der Chronik teilten häufig das Schicksal der von Repression Betroffenen, Verhafteten und Verurteilten, über die sie berichteten.
Dem Moskauer folgte im November 1976 das Kyjiwer Helsinki-Komitee. Dessen Mitglieder stammten aus allen Teilen der Ukraine. Ähnliche Gruppen und Komitees entstanden in Georgien, Estland, Lettland und Litauen und weiteren Ländern des Ostblocks. In der Tschechoslowakei bildete sich die Bewegung „Charta 77“. Die Antwort der sowjetischen Machthaber auf die neuen Menschenrechtsaktivitäten in ihrem unmittelbaren Herrschaftsbereich folgte rasch und war teilweise sehr drastisch: Von den 37 Mitgliedern des ukrainischen Komitees landeten 36 in Straflagern. Ein Mitglied wurde für das Transparent „Es lebe die unabhängige kommunistische Ukraine“ in die Psychiatrie eingewiesen. Andere Verhaftete wurden nicht wegen Menschenrechtsaktivitäten, sondern wegen vermeintlichen Waffenbesitzes, Vergewaltigung, Diebstahls und Drogenhandels angeklagt. Drei der Inhaftierten, darunter der Poet Wasyl Stus, kamen noch 1985 in einem der Straflager zu Tode, als sich Michail Gorbatschow bereits anschickte, als sowjetischer Staats- und Parteichef zum Wegbereiter von Glasnost und Perestroika zu werden. Die Mitglieder aller nationalen Menschenrechtsgruppen in der Sowjetunion waren von Repressionen betroffen, mit Abstand am härtesten traf es aber die Ukrainer. Bei ihnen vereinten sich Menschenrechtsaktivismus und Unabhängigkeitsbestrebungen – was die russische Leugnung der Existenz einer eigenen ukrainischen Nation im Innersten bedrohte.
Zum entscheidenden Antrieb des Kampfes um die Geltung und Durchsetzung der Menschenrechte im Ostblock wurde die 1980 gegründete polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarność. Binnen kurzer Zeit wurde sie zu einer gesellschaftlichen Massenbewegung mit über zehn Millionen Mitgliedern, deren Wirken in den gesamten Ostblock ausstrahlte. Im September 1981 verabschiedete sie eine „Botschaft an die Nationen Osteuropas“, in der die Werktätigen aller Länder des Ostblocks ermutigt wurden, für ihre grundlegenden wirtschaftlichen und politischen Rechte einzutreten. Zur Durchsetzung ihrer Ziele sollten sie sich unabhängiger Organisationsformen bedienen und grenzüberschreitende Solidarität üben.
Das Beharren auf gewaltlosen Formen des Protestes war eine der Lehren aus gescheiterten bewaffneten Aufständen und trug der sowjetischen Militärpräsenz in den Ländern des Ostblocks Rechnung. Der polnische Intellektuelle Adam Michnik schrieb daher in einem seiner Essays vom Prinzip einer „sich selbst beschränkenden Revolution“.
Netzwerkarbeit in den 1980er Jahren
Unter Mitwirkung westlicher Unterstützer, etwa einer kleinen Gruppe bundesdeutscher Grünen, Friedensaktivisten aus der DDR und Menschenrechtsinitiativen im Ostblock, entstanden in den 1980er Jahren neue Netzwerke. Deren Mitglieder formulierten nicht nur eigene Positionen und verabschiedeten Resolutionen, sondern traten mit Mahnwachen, Menschenketten und Schweigemärschen in die Öffentlichkeit – und trugen so zu Höhepunkten der unabhängigen, blockübergreifenden Friedensbewegung bei. Am bekanntesten davon war das 1984 gebildete „Europäische Netzwerk für den Ost-West-Dialog“, das 1986 am Rande einer der KSZE-Folgekonferenzen ein eigenes Memorandum vorlegte: „Das Helsinki-Abkommen mit wirklichem Leben erfüllen. Ein Memorandum gerichtet an die Bürgerinnen und Bürger, an gesellschaftliche Gruppen und die Regierungen aller KSZE-Staaten.“
Als Mitgründer der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), der ersten offen kirchenunabhängigen Menschenrechtsgruppe, gehörte auch ich dazu. Die Konstitutionsphase der IFM fiel in die zweite Jahreshälfte 1985. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Frauen und Männer, die bereits die unabhängigen Friedensinitiativen in den 1970er Jahren begleitet hatten, an die staatsnahen Grenzen kirchlicher Friedensarbeit gestoßen waren, sich in Fraueninitiativen organisierten oder wie ich ihre SED-Mitgliedschaft hinter sich gelassen hatten und den Weg in die Freiheit über die osteuropäischen Partner suchten. Viele von uns, deren Namen später durch die Medien gingen und durch die Mitarbeit am Zentralen Runden Tisch bekannt wurden, hatten also bereits einen langen Erfahrungsweg hinter sich. Dennoch stellte sich die Frage: Konnten wir den Entspannungsprozess von unten, den wir einforderten, als Ergänzung zum KSZE-Prozess wirklich zum Leben erwecken – oder saßen wir der nächsten Illusion auf? Was war mit der Veröffentlichung der KSZE-Dokumente und der Selbstverpflichtung der Machthaber gewonnen? Dies ließ sich nur herausfinden, indem wir sie beim Wort nahmen und auf die Probe stellten.
Frieden und Menschenrechte nicht voneinander zu trennen, verweigerte Rechte wahrzunehmen, wo es nur irgendwie ging, und sich an den Erfahrungen internationaler und vor allem osteuropäischer Menschenrechtsarbeit zu orientieren, wurde zum Arbeitskonsens unserer Gruppe. Mitgliedschaft entstand durch Mitarbeit, der Kontakt zu Unterstützern und Sympathisanten im Westen, einschließlich großer Medien, wurde offensiv gesucht und nicht abgelehnt oder gefürchtet, wie in den meisten kirchengeschützten Friedensgruppen. Wir begingen einen Tabubruch nach dem anderen.
Schon kurz nachdem wir unsere Gruppenarbeit vorgestellt hatten, begannen wir mit der regelmäßigen Produktion und Verbreitung des „Grenzfall“ – einer illegalen Zeitschrift, deren Redakteure sich jedoch namentlich kenntlich machten. Hier wirkte das Beispiel der russischen, ukrainischen, polnischen und tschechischen Samisdat-Zeitschriften und Bulletins. Im „Grenzfall“ wurde unter anderem über Repressionen, Berufsverbote und Verhaftungen in der DDR berichtet, Blicke auf die Entwicklung in den Nachbarländern geworfen sowie zu Solidaritätsaktionen aufgerufen.
In Leipzig, Dresden und Weimar bildeten sich Untergruppen der IFM. Wichtig waren die internationalen Kontakte, so etwa zu den Aktivistinnen und Aktivisten der tschechoslowakischen „Charta 77“ und zur polnischen Oppositions- und Menschenrechtsgruppe „Freiheit und Frieden“. Dass bei unseren polnischen Partnern das Wort „Freiheit“ an erster Stelle stand, war kein Zufall.
Eines unserer wichtigsten Kommunikationsmittel war das Telefon. Wir wussten um die staatlichen Abhörpraktiken und entwickelten Routine im Identifizieren von „Wanzen“. Nicht nur die Telefone, ganze Wohnungen wurden abgehört. Absprachen und Bestellungen für Materialsendungen, Terminvereinbarungen und andere Details ließen wir über Kurierwege laufen. Akkreditierte Korrespondenten, Diplomaten und die wenigen westlichen Politiker, die auf unserer Seite waren beziehungsweise das eigene Risiko nicht scheuten, leisteten hier unschätzbare Hilfe. Was über die organisatorischen Wege und technischen Absprachen hinausging – politische Debatten und Auseinandersetzungen, Privates, Witze und sarkastische Bemerkungen, die zum Teil direkt für die Ohren der Lauscher bestimmt waren – passierte die ansonsten häufig blockierten Leitungen. Das Telefon wurde auch zur Kommunikation mit westlichen Medien, für Telefoninterviews und Kommentare, genutzt. Die in den Archiven aufgefundenen, halbwegs korrekten Transkripte der mitgehörten Gespräche sind heute bedeutsame zeithistorische Quellen. In den Protokollen steckt ein dichtes Bild der fieberhaften Entwicklung in einer ungewöhnlichen Zeit.
Illusion und Wirklichkeit
Nicht zuletzt wegen des intensiveren Austauschs zwischen Ost und West auch auf offizieller Ebene hegten in der Bundesrepublik Vertreter und Anhänger der Entspannungspolitik zahlreiche Illusionen über den Charakter ihrer Gegenüber auf DDR-Seite – teilweise sogar noch über das Ende der DDR hinaus. Wenn es darum ging, der eigenen Bevölkerung grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte zu verweigern, übten sich die Ideologen der DDR im Beschwören der Klassenkampfsituation und der notwendigen Abwehr des westlichen Feindes, was auf bundesdeutscher Seite Befremden und Kopfschütteln hervorrief. Sobald Mitglieder der SED-Führung aber von „Dialogbereitschaft“, der Möglichkeit „friedlicher Koexistenz“ und tragfähiger „Sicherheitspartnerschaft“ sprachen, erzeugten sie in der Bundesrepublik ein bemerkenswertes Echo und ernteten durchaus Zustimmung – obwohl sich an der restriktiven SED-Politik zunächst gar nichts änderte. Wir als Oppositionelle und Menschenrechtler konnten diese Illusionen nicht teilen, denn wir lebten in einer anderen Wirklichkeit: Die meisten von uns waren von allen Berufstätigkeiten ausgeschlossen, die unseren Qualifikationen entsprachen, wir wurden mit der Situation unserer Familien erpresst, mit den ekligsten Verleumdungen überzogen und standen die ganze Zeit mit einem Bein im Gefängnis.
Absurd wurde es, wenn die DDR-Seite ihren Kompromisswillen gegenüber den unabhängigen Gruppen demonstrieren wollte, dabei aber sofort an ihre Grenzen stieß. Im September 1987, Staats- und Parteichef Erich Honecker sah gerade seinem ersten offiziellen Besuch in Bonn entgegen, sollte mit dem Olof-Palme-Friedensmarsch ein gemeinsames Auftreten offizieller und unabhängiger Friedensgruppen zustande kommen. Vorbedingung der Offiziellen war, dass auf keinem der mitgeführten Transparente das Wort „Menschenrechte“ auftauchte. Die vermittelnden Kirchenvertreter ließen sich dieses Zugeständnis abringen, hatten aber nicht damit gerechnet, dass wir als IFM-Mitglieder den Namen unserer Gruppe auf einem Schild mit uns führen würden. Diese „Provokation“ drohte das ganze Unternehmen zu sprengen.
Zu dieser Zeit hatten wir längst akzeptiert, dass wir als Oppositionelle und „Staatsfeinde“ bezeichnet wurden, wovor sich viele Friedensbewegte so fürchteten. Doch waren wir nicht Feinde – aber konsequente Gegner eines Systems, das grundlegende Menschenrechte verweigerte und auf dessen Überwindung wir mit friedlichen Mitteln hinarbeiteten.
Der Jahreswechsel 1987/88 wurde für eine Reihe von Mitgliedern der IFM, meine Frau Regina und mich eingeschlossen, zur Entscheidung und härtesten Prüfung. Die Hardliner im Sicherheitsapparat und an der Spitze der SED setzten sich durch und waren entschlossen, die „gefährlichsten“ Oppositionellen und Menschenrechtler mit allen Mitteln aus dem Weg zu schaffen. Ob es die durch den KSZE-Prozess auferlegten Rücksichten oder andere Überlegungen waren, die zum nun folgenden ungewöhnlichen Vorgehen führten, ist bis heute umstritten. Die Inhaftierungen und hohen Strafandrohungen wegen „landesverräterischer Agententätigkeit“ gegen Bärbel Bohley, Werner Fischer, Freya Klier, Stephan Krawczyk, Ralf Hirsch, meine Frau und mich sowie weitere Mitglieder unserer Gruppe hatten jedenfalls nicht den Zweck, uns im Gefängnis zu belassen. Dort hätten wir den immer massiveren Widerstand in einer bis dahin recht fügsamen Gesellschaft befördert. Wir wurden mit allen Mitteln der Täuschung und Erpressung außer Landes gebracht und fanden uns schließlich im Westen wieder: Unter tätiger Mithilfe der Kirche und vom Ministerium für Staatssicherheit gesteuerter Rechtsanwälte wurden wir zu einem „Studienaufenthalt“ in die Bundesrepublik abgeschoben. Wer wollte, konnte auch hier eine positive Wirkung des KSZE-Prozesses annehmen.
Bärbel Bohley und Werner Fischer erkämpften sich nach wenigen Monaten ihre Rückkehr in die DDR und wurden mit anderen Mitgliedern der IFM im Spätsommer 1989 zu Mitbegründern des Neuen Forums. Andere von uns, die als Bundesbürger diesen Weg nicht gehen konnten, wurden – wie bereits Jahre vorher Roland Jahn und Jürgen Fuchs – zu den wertvollsten Unterstützern von außen. Meine Frau und ich sahen uns als Gäste in der bundesrepublikanischen Demokratie, in der Menschenrechtsarbeit zu normalen Bedingungen geleistet werden konnte. Unser unfreiwilliger Fortgang mochte eine Lücke gerissen haben, hielt aber den immer stärkeren Widerstand in der DDR nicht auf. Wir spürten das nahende Erdbeben, nahmen die Signale aus Leipzig und Ost-Berlin auf und versuchten sie über die Medien zu verstärken.
Im Herbst 1989, als die Kette von friedlichen Befreiungsrevolutionen den Eisernen Vorhang, der Europa jahrzehntelang geteilt hatte, in die Höhe gehen ließ, konnten wir endlich zu unseren Freunden nach Ost-Berlin zurückkehren. Der Fall der Mauer war dabei nur ein Glied in dieser Kette.
Nach 1989
1995 entstand mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Nachfolgeorganisation der KSZE. Nahezu alle europäischen Staaten sind in ihr vertreten, und damit erbt die OSZE auch die Unzulänglichkeiten ihrer Vorgängerin. Demokratische und auf ein friedliches Zusammenleben gerichtete Ziele und das Eintreten für Menschenrechte werden von allen Teilnehmerstaaten offiziell akzeptiert, Vetorechte und zahlreiche mögliche Blockaden verhindern jedoch die konsequente Durchsetzung dieser Ziele.
Welche Möglichkeiten blieben den international organisierten Bürger- und Menschenrechtlern aus dem ehemaligen Ostblock in dieser Lage? Manche von uns hatten auf die Chancen von Glasnost und Perestroika gesetzt und an den Reformwillen des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin geglaubt. Andere waren von vornherein skeptischer und sahen sehr früh die Zeichen für einen Rückfall Russlands, das auf neuer Grundlage an alten Großmachtträumen festhielt. Mit der Präsidentschaft Wladimir Putins ab 1999, der Unterdrückung aller wirklichen Reformkräfte, der Knebelung der Zivilgesellschaft und dem Griff nach der unabhängigen Ukraine ab 2014 bestätigten sich diese Befürchtungen. Zugleich zeigte sich ein erneut zögerlicher Westen, der die Aufnahme der östlichen Reformländer in das atlantische Verteidigungsbündnis und die Europäische Union nur halbherzig unterstützte und die Gefahr, die von einem neoimperialen Russland ausgeht, viel zu lange unterschätzte.
Der Kontakt der ehemaligen Dissidenten, Oppositionellen und Bürgerrechtler aus Osteuropa und Deutschland überdauerte alle Krisen, Rückschläge und auch die Erfolge der Jahre nach 1989. Er ist für uns in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Auf gemeinsamen Treffen geht es nicht so sehr um das nostalgische Zurücklehnen, sondern um die Fragen nach der gemeinsamen Zukunft. Die Graswurzelarbeit, das erlernte und eingeübte „von unten“ erhält in Demokratien eine veränderte Bedeutung und muss auf neue Weise praktiziert werden. Unter den Bedingungen des Krieges, dem sich die Ukraine ausgesetzt sieht, bedeutet das etwa, die Kämpfenden auf jede nur erdenkliche Art zu unterstützen – etwa als Intellektueller, Künstler oder Schriftsteller selbst an der Front zu sein, historische Aufklärungsarbeit zu leisten oder sich an der Dokumentation von Kriegsverbrechen und Repressionen zu beteiligen. Vor allem geht es darum, nicht dem naiven Glauben zu verfallen, dass in stabilen, funktionierenden Demokratien keine jähen Rückschläge möglich seien. Zugleich gilt es, einen langen Atem zu behalten, neue Verbündete zu suchen und sich nicht mit einer dekorierten Statistenrolle abzufinden.