Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, knapp ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, wurde Deutschland wiedervereinigt. Dies geschah im Einklang mit dem Prinzip der friedlichen Veränderung von Grenzen, auf das man sich 1975 in der Schlussakte von Helsinki geeinigt hatte – dem zentralen Dokument der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Kurz darauf, am 21. November 1990, unterzeichneten alle Teilnehmerstaaten der KSZE die „Charta von Paris für ein neues Europa“, die ein „neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit“ einläuten sollte.
Die unvorhergesehene Umbruchphase löste eine immense Euphorie aus, eine neue Welt ohne Trennlinien schien möglich. Die KSZE, die 1995 zur OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) wurde, galt in den frühen 1990er Jahren weithin als einzigartige, integrative Institution, um Sicherheit neu zu denken und ein neues Europa zu errichten, „ungeteilt und frei“.
Hinter „der Euphorie, dem Optimismus und der Zuversicht“
Angefangen mit der Charta von Paris kamen Diplomaten aus Ost und West in den 1990er Jahren regelmäßig zusammen, um neue Institutionen aufzubauen, mit dem Ziel, die Prinzipien und Auslegungen der Schlussakte von Helsinki zu festigen, die während der zahlreichen KSZE-Folgekonferenzen zwischen 1975 und 1990 hitzig diskutiert worden waren. Diese neuen Institutionen wurden nach dem Konsensprinzip aufgebaut, was die Eigenverantwortlichkeit fördern und die politische Verbindlichkeit der im OSZE-Rahmen gemachten Zusagen stärken sollte – denn juristisch waren diese nicht bindend. Dies war der erste Versuch, ein neues, kooperatives Sicherheitsumfeld in Europa zu schaffen.
Die große Popularität der KSZE basierte auf ihrem Potenzial, die Wahrnehmung von Sicherheit und Frieden zu revolutionieren, so wie sie es 1975 getan hatte. Statt Sicherheit nur über die Zahl der Rüstungsgüter eines Landes und exklusive Mitgliedschaft zu definieren, wurde Sicherheit in der Schlussakte von Helsinki breit und inklusiv konzipiert. Daraus entwickelte sich die Idee „umfassender Sicherheit“, die noch heute die Herangehensweise der OSZE charakterisiert. Umfassende Sicherheit bedeutet, dass es zahlreiche Themen gibt, die Sicherheit, Unsicherheit und letztlich das Wohlergehen der Bevölkerung beeinflussen, und dass „Kooperation für alle Teilnehmerstaaten vorteilhaft ist, während Unsicherheit in und/oder von einem Staat das Wohlergehen aller beeinflussen kann“.
Das letztendliche Ziel, Sicherheit als umfassend und kooperativ zu definieren, bestand in den Worten des bis 1974 amtierenden britischen Premierministers Edward Heath darin, „Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen“.
Dieses Modell der kooperativen Sicherheit wurde zum vorherrschenden Ansatz der 1990er Jahre, die inzwischen als „goldenes Zeitalter“ für die Entwicklung der Zivilgesellschaft sowie für eine kreative Rüstungskontrollpolitik durch die OSZE gelten. Die Organisation spielte eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung Europas nach dem Kalten Krieg, indem sie Barrieren abbaute und die Weichen für eine neue Ära europäischer Integration stellte.
Ab Anfang der 2000er Jahre traten allmählich jedoch wieder Konflikte zutage, was zu neuen Trennlinien quer durch Eurasien führte und viele dazu veranlasste, den Wert umfassender Sicherheit zu hinterfragen. Trotz des gegenwärtigen Zustands der europäischen Sicherheitspolitik bleibt aber festzuhalten, dass die OSZE das Resultat eines historischen Prozesses ist, der darauf zielt, zivilen und diplomatischen Dialog zu fördern und durch internationale Kooperation friedvollere Gesellschaften aufzubauen. Diplomaten und zivilgesellschaftliche Akteure argumentieren weiterhin, dass die OSZE unerlässlich ist, um die innere Resilienz gegenüber neuen Bedrohungen zu stärken und einen gerechten und dauerhaften Frieden in Europa zu erreichen, sobald die Zeit dafür reif ist – so, wie sie es 1989 war.
Kooperative Sicherheit wirkte 1975 so merkwürdig wie heute. Die Historikerin Mary Elise Sarotte merkte daher an: „In angespannten Zeiten, in denen die Chancen auf Besserung gering erscheinen, ist es oft die klügste Strategie, die Saat für langfristige Veränderung zu legen.“
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Institutionen und Werkzeuge gegeben, die in den 1990er Jahren von den Teilnehmerstaaten der OSZE entwickelt wurden, um umfassende Sicherheit zu erreichen. Auch wenn diese Instrumente wegen der neuen Konfrontationen in Europa derzeit weitgehend eingefroren sind, so bleiben sie doch im Werkzeugkasten der OSZE – in Erwartung einer Zukunft, in der kooperative Sicherheit wieder gefragt ist.
Von der KSZE zur OSZE
Die KSZE wurde im Dezember 1994 zu einer vollwertigen regionalen Sicherheitsinstitution gemäß Kapitel VIII der UN-Charta. Bereits zuvor hatten die Teilnehmerstaaten ab 1990 neue Instrumente und Einrichtungen entwickelt, um den mehrschichtigen Sicherheitsbedrohungen zu begegnen, die sich aus dem Zusammenbruch des Sozialismus ergaben. Zu diesen Institutionen, die heute unter dem Dach der OSZE firmieren, gehören unter anderem das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, das Konfliktverhütungszentrum, der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten, unzählige Feldmissionen, das OSZE-Sekretariat und der Posten des Generalsekretärs. Das konferenzartige Arrangement der KSZE, bei dem Diplomaten in einen langen Dialog über Schlüsselthemen traten, um Konflikte zu verhindern oder zu lösen, wurde weiterentwickelt zu einer funktionaleren Organisation, die Projekte umsetzen, Wahlen beobachten und Sonderberichterstatter entsenden kann, um die internationale Gemeinschaft über lokale Begebenheiten zu informieren.
Durch die Entwicklung des KSZE-Prozesses zu einer internationalen Institution, die in der Lage ist, umfassende Sicherheit vor Ort voranzubringen, entstand ein einzigartiges Feldmissionsmodell. Diese konsensbasierten Missionen erweiterten die Kompetenzen und Mitarbeit der OSZE in der Konfliktprävention, im Krisenmanagement und in der Konfliktfolgenbeseitigung. Bis 2003 gab es solche Missionen in 20 Ländern: In Bosnien und Herzegowina halfen sie etwa, das Abkommen von Dayton umzusetzen, mit dem der Bosnienkrieg beendet worden war; in den baltischen Staaten unterstützten sie den sozialen Zusammenhalt; und im Südkaukasus und in Zentralasien förderten sie den Aufbau von zivilgesellschaftlichen und parlamentarischen Kompetenzen. Kurz nach dem Ende des Kalten Krieges waren diese Feldmissionen die einzige internationale Vor-Ort-Präsenz in den neuen Teilnehmerstaaten der OSZE und somit eine tägliche Erinnerung an ihre internationalen Verpflichtungen und eine Verbindung zum neuen Europa.
Eine der bedeutendsten Feldmissionen der jüngeren Zeit war die OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine (Special Monitoring Mission, SMM), die nach der russischen Annexion der Krim 2014 eingesetzt wurde. Die SMM erstellte täglich Berichte über Verstöße gegen die Waffenruhe entlang der Kontaktlinie in der Ostukraine, verfolgte die Bewegung von Waffensystemen in der gesamten Ukraine, registrierte Minenfelder und dokumentierte die Auswirkungen des Krieges auf die lokale Bevölkerung. Die Mission fungierte als Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft und lieferte beispielsweise wertvolle Informationen für UN-Hilfslieferungen.
Nach der vollumfänglichen russischen Invasion der Ukraine ab Februar 2022 war die SMM nicht mehr im Konsens mit Russland aufrechtzuerhalten und wurde abgelöst durch ein extrabudgetäres Unterstützungsprogramm (Support Programme for Ukraine, SPU). Dieses ist nicht konsensbasiert, sondern wird durch freiwillige Beiträge von über 30 OSZE-Staaten finanziert. Obwohl der russische Angriffskrieg die OSZE daran hindert, umfassende Sicherheit in der Region mit einem Konsensmandat zu verfolgen, haben die am SPU teilnehmenden Staaten gezeigt, dass das Modell der umfassenden Sicherheit trotz der eklatanten Missachtung aller OSZE-Konsensvereinbarungen durch die Russische Föderation noch immer anwendbar ist. Im Rahmen des SPU kann die OSZE ihr seit 30 Jahren währendes Engagement in der Ukraine fortsetzen und Projekte umsetzen, die unter anderem der humanitären Minenräumung, chemischen Bedrohungen, dem Menschenhandel und der Überwachung von Umweltschäden durch den Krieg gewidmet sind.
Erweiterte Sicherheit: Zivilgesellschaft und Minderheitenrechte
Die Institutionalisierung der OSZE hat es ermöglicht, dass sich neue unabhängige Institutionen zum Schutz fundamentaler Freiheiten, demokratischer Werte und Minderheitenrechte entwickeln konnten – so, wie es in der Schlussakte von Helsinki umrissen und in der Zeit nach dem Kalten Krieg erweitert wurde.
Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (Office for Democratic Institutions and Human Rights, ODIHR), das 1990 mit der Charta von Paris geschaffen wurde, ist zu einer Hauptinstitution geworden, um die Verpflichtungen aus Korb III zu kontrollieren und die Teilnehmerstaaten bei deren Umsetzung zu unterstützen. Ursprünglich gegründet, um den Austausch von Informationen zu Wahlen zu erleichtern, wurde das Mandat des ODIHR in Reaktion auf den Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens rasch erweitert. So entwickelte das Büro eine der ersten umfassenden Methodologien zur Wahlbeobachtung und hat im zurückliegenden Jahrzehnt über 150 Wahlen beobachtet. Ende der 1990er Jahre wurde sein Arbeitsfeld auf weitere Bereiche ausgeweitet, etwa auf die Förderung der Rechtsstaatlichkeit, die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Prävention von Folter und die Bekämpfung von Menschenhandel. Seit 1999 widmet sich das ODIHR zudem Angelegenheiten der Sinti und Roma und ist in Europa zu einer der bedeutendsten Institutionen zu diesem Thema geworden.
Eine weitere wichtige Einrichtung der OSZE ist der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten (High Commissioner on National Minorities, HCNM). Als das Amt 1992 geschaffen und mit der Aufgabe mandatiert wurde, frühzeitig vor der Entstehung von Konflikten zu warnen und rasches Handeln zu ermöglichen, galt dieser Schritt als revolutionär. Die Initiative von Teilnehmerstaaten, die Rolle des HCNM zu schaffen, zeigte „ein akutes Bewusstsein dafür, dass ungelöste interethnische Beziehungen in einem Staat in der Vergangenheit die Beziehungen zwischen Staaten negativ beeinflusst haben, insbesondere zwischen den Wohnsitz- und Herkunftsstaaten einer nationalen Minderheit“.
Ein dritter wichtiger Baustein des Helsinki-Prozesses nach dem Kalten Krieg war die Schaffung der Helsinki-Bürgerversammlung (Helsinki Citizens’ Assembly, HCA) und die Koordinierung der sogenannten Helsinki-Gruppen, die bereits in den 1970er Jahren in zahlreichen Teilnehmerländern von Bürgerinnen und Bürgern gegründet worden waren, um in ihrem Staat die Umsetzung der Verpflichtungen aus der Schlussakte zu kontrollieren. Obwohl diese Bewegungen nie zu einem institutionellen Bestandteil der OSZE wurden, zeigten sie doch, wie inspirierend der Helsinki-Prozess für ein breites Spektrum an zivilgesellschaftlichen Aktivisten und Organisationen in Ost und West war. In ihrer Gesamtheit werden diese Gruppen mitunter auch als „Gewissen von Helsinki“ bezeichnet. Zwischen 1990 und 1995 brachte die HCA jährlich rund 1000 Aktivistinnen und Aktivisten zusammen – was als einer der ersten Versuche einer europäischen Integration von unten zu sehen ist.
Obwohl einige der zivilgesellschaftlichen Aktivisten, die in die HCA involviert waren, letztlich die Europäische Union wegen ihrer finanziellen Möglichkeiten für attraktiver halten, ist die OSZE auch heute noch eines der effektivsten Foren, auf dem zivilgesellschaftliche Aktivisten direkt mit Diplomaten und Entscheidungsträgern in Dialog treten können. Die jährliche „Human Dimensions Conference“ der OSZE und ergänzende Treffen ermöglichen den Austausch von Perspektiven zwischen Diplomaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren über bewährte Verfahren und über Menschenrechtsbedrohungen im gesamten OSZE-Gebiet. Darüber hinaus sind zivilgesellschaftliche Organisationen wichtige Partner bei der Umsetzung von OSZE-Missionen und bieten wertvolle Expertise bei Umwelt- bis hin zu harten Sicherheitsfragen. Das ODIHR, der HCNM und unabhängige zivilgesellschaftliche Netzwerke verteidigen und ergänzen das umfassende Sicherheitsmodell gemeinsam, indem sie sich für ein größeres Interesse und eine stärkere Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der nationalen und internationalen Politikgestaltung einsetzen.
Kooperative harte Sicherheit
Ein Hauptanliegen des ursprünglichen KSZE-Prozesses bestand darin, ein Format für gesamteuropäische Rüstungskontrollverhandlungen zu schaffen, um Konflikte zu lösen und eine gegenseitige Zerstörung unwahrscheinlicher zu machen. Auch wenn sie langsam und streckenweise ergebnislos waren, legten die Diskussionen und die Maßnahmen zur Vertrauensbildung durch die KSZE den Grundstein für die innovative Rüstungskontrolle konventioneller Waffensysteme in den 1990er Jahren.
Diese Ära der Kooperation führte zu einer bemerkenswerten Troika multilateraler Rüstungskontrollverträge, die zum Ende des Kalten Krieges unterzeichnet wurden. Dazu gehörten der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag), das Wiener Dokument und der Vertrag über den Offenen Himmel. Das erste Abkommen, unterzeichnet 1990, war der KSE-Vertrag zwischen 16 NATO- und sechs Warschauer-Pakt-Staaten. Er zielte darauf ab, die Zahl der Truppen in Europa zu begrenzen und führte innerhalb der ersten dreijährigen Reduzierungsphase zur Vernichtung von 50000 konventionellen Waffensystemen wie Panzern, Artilleriewaffen und Kampfflugzeugen.
Während der Ansatz der kooperativen Sicherheit in den 1990er Jahren auf seinem Höhepunkt war, begannen die vertraglichen Verabredungen aus dieser Zeit mit der Zunahme von Konflikten in den 2000er Jahren zu erodieren. Die Russische Föderation setzte 2007 den KSE-Vertrag aus, und sowohl die USA als auch Russland zogen sich 2020/21 aus dem Vertrag über den Offenen Himmel zurück. Das Wiener Dokument ist zwar erhalten geblieben, aber die Verhandlungen über eine Aktualisierung kamen 2016 zum Stillstand. Im Januar 2022, kurz vor seiner groß angelegten Invasion der Ukraine, blockierte Russland zudem die militärischen Inspektionen im Rahmen des Wiener Dokuments.
Nichtsdestotrotz hatten die genannten Abkommen einen bemerkenswerten Einfluss auf die europäische Sicherheit. Die Friedens- und Konfliktforscher Alexander Graef und Tim Thies vertreten die These, dass der russische Überfall auf die Ukraine 2022 ganz anders ausgesehen hätte, wenn die Teilnehmerstaaten des KSE-Vertrags in den 1990er Jahren konventionell nicht abgerüstet hätten. Die russische Armee hatte einen beträchtlichen Teil der von der Sowjetunion übernommenen militärischen Ausrüstung zerstört und umgerüstet, was ihre Fähigkeit, groß angelegte Offensiven an mehreren Fronten gleichzeitig zu führen, stark eingeschränkt hat.
Die OSZE ist zudem eine führende Institution auf dem Feld der Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen (Small Arms and Light Weapons, SALW), also etwa von Pistolen, Gewehren und leichten Maschinengewehren. In den 1990er Jahren verfügten viele Staaten über einen größeren Bestand an derartigen Waffen aus dem Kalten Krieg und dem Zweiten Weltkrieg. Anstatt sie zu zerstören, was von der UN als Best Practice betrachtet wurde, neigten staatliche Akteure zunehmend dazu, sie zu verkaufen, was das organisierte Verbrechen, Terrorismus und bewaffnete Konflikte befeuerte. Die SALW-Bestände bedeuteten somit ein ernstzunehmendes Risiko in humanitärer, sicherheitstechnischer und ökologischer Hinsicht. Die OSZE nahm sich dieses Problems an und entwickelte sich rasch zu einer maßgeblichen Treiberin bei der Umsetzung von Projekten zur Vernichtung von Kleinwaffen und leichten Waffen in ganz Eurasien. Zugleich stärkte sie in den Teilnehmerstaaten das Wissen und die Kompetenzen darüber, sodass sich nationale Institutionen diesem Thema selbst widmen konnten. Zwischen 2001 und 2006 vernichteten die OSZE-Teilnehmerstaaten über 6,5 Millionen Kleinwaffen, und die Erfahrung der OSZE im Umgang mit SALW-Beständen hat die Standardverfahren international deutlich verbessert.
Die Bemühungen der OSZE, kooperative Sicherheit zu politisch-militärischen Themen aufrechtzuerhalten, sind nach wie vor unerlässlich. Da wir in eine Phase der Wiederaufrüstung eintreten, wird die Notwendigkeit für Abrüstung unweigerlich wiederkehren. Beispielsweise wurde die Nicht-Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen nach den Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren als grundlegendes politisches Thema angesehen, um Stabilität in Europa zu bewahren und weitere Konflikte zu vermeiden. Einen ähnlichen Ansatz im SALW-Bereich wird es als Teil eines gerechten und dauerhaften Friedensschlusses in der Ukraine brauchen. Zusätzlich sind bereits heute Minenräumungsprojekte im Südkaukasus notwendig – ebenso wie Verhandlungen über die Rüstungskontrolle auch schwerer Waffen, um einem entfesselten Wettrüsten in Europa vorzubeugen. Die OSZE verfügt über Kompetenzen in all diesen Bereichen, die essenziell sind, um den Menschen in allen Teilnehmerstaaten ein Leben in Frieden zu ermöglichen.
Umweltsicherheit
Der zweite Korb, die Wirtschafts- und Umweltdimension, ist der umfangreichste und zugleich der vermutlich am wenigsten genutzte der drei Körbe. Die Arbeit in dieser Dimension hat sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre stark weiterentwickelt und einzigartige Herangehensweisen hervorgebracht. Die Umwelt- und Sicherheitsinitiative (Environment and Security Initiative, ENVSEC), die 2003 eingerichtet wurde, ist eine der Hauptinitiativen der OSZE in diesem Bereich. Es handelt sich um ein gemeinsames Projekt mit UN-Organisationen zur Bewältigung von Umweltsicherheitsrisiken durch regionale Kooperation zwischen Zivilgesellschaft, staatlichen Stellen und Wissenschaft. ENVSEC unterstützt Teilnehmerstaaten dabei, Katastrophenrisiken zu mindern und grenzüberschreitende Wasserkooperation zu ermöglichen.
Bei der Verfolgung ihres Ansatzes umfassender Sicherheit arbeitet die OSZE auch daran, Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheiten zu bieten, sich in die Klimapolitik einzubringen. 2002 wurde die OSZE zu einem Schlüsselpartner bei der Umsetzung der 1998 von 47 Staaten unterzeichneten Aarhus-Konvention, dem einzigen rechtlich bindenden Instrument, das dem Grundsatz der partizipativen Umweltpolitik verpflichtet ist. Hierbei sind die sogenannten Aarhus-Zentren bedeutsam, weil sie auf lokaler Ebene die zivilgesellschaftlich vernetzte Bearbeitung von Umweltthemen fördern, die als Treiber für lokale Konflikte, Geschlechterungleichheit, Flucht und viele andere Probleme gelten. Die Unterstützung der Aarhus-Zentren durch die OSZE ist damit ein grundlegender Teil der Konfliktprävention innerhalb von Staaten. Allein bis 2017 wurden 60 von der OSZE unterstützte Aarhus-Zentren in 14 Teilnehmerstaaten geschaffen.
Fazit
Die Themen, die wir heute als besonders wichtig für ein besseres Leben erachten, haben sich in den vergangenen 50 Jahren weiterentwickelt. Václav Havel, der einstige Dissident und spätere Staatspräsident der Tschechoslowakei, merkte zurecht an: „Egal, wie schwierig es ist, ein totalitäres System zu stürzen – es ist noch schwieriger, ein neues und besseres System aus seinen Ruinen zu errichten.“
Die OSZE erlaubt es uns, sowohl über die kollektiven Hoffnungen als auch die Fehleinschätzungen zu reflektieren, die die 1990er Jahre ausmachten. Ein OSZE-Diplomat beschrieb den Helsinki-Prozess treffend als einen „fortlaufenden, evolutionären Prozess hin zu der Vision einer Sicherheitsgemeinschaft“.
Aus dem Englischen von Maximilian Murmann, München.