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Unerschlossenes Potenzial | bpb.de

Unerschlossenes Potenzial Die OSZE und die Zivilgesellschaft in Fragen von Frieden und Sicherheit

Nadja Douglas

/ 16 Minuten zu lesen

Zivilgesellschaftliche Akteure können wichtige Beiträge zur Konfliktprävention und bei der Konfliktnachsorge leisten. Die Einbindung der Zivilgesellschaft wird von der OSZE zwar ausdrücklich gewünscht, die Umsetzung in der Praxis lässt jedoch zu wünschen übrig.

Internationale Sicherheitsorganisationen gelten in der Regel als wenig zugänglich für zivilgesellschaftliche Teilhabe. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Internationale Sicherheit und Sicherheitsgovernance sind nach wie vor Domänen staatlichen Handelns. Gerade in Zeiten geopolitischer Umbrüche und der Rückkehr zu realpolitischen Vorstellungen von Macht und Stärke in den internationalen Beziehungen wird der Zivilgesellschaft, wenn überhaupt, nur eine marginale Rolle zugeschrieben. Hinzu kommt, dass Staaten in einem sich stark verändernden internationalen Sicherheitsumfeld weniger willens sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, was (militärische) Transparenz und Rechenschaft angeht.

Und doch werden zivilgesellschaftliche Akteur*innen bei Fragen von Frieden und Sicherheit immer relevanter: Der Krieg in der Ukraine zeigt deutlich, wie wichtig die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in diesem Bereich ist – insbesondere dort, wo die staatliche Handlungsfähigkeit teilweise eingeschränkt ist. Es ist absehbar, dass die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in einer potenziellen Nachkriegsphase, wenn Konfliktnachsorge und erneuerte Konfliktprävention gefragt sind, weiter wachsen wird.

Eine internationale zwischenstaatliche Organisation, die bereits verschiedene Methoden und Instrumente entwickelt hat, um die Herausforderungen in den unterschiedlichen Phasen des sogenannten Konfliktzyklus in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft anzugehen, ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). In Fortführung der drei „Körbe“ aus der KSZE-Schlussakte (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) von Helsinki 1975 gliedert sich die Arbeit der OSZE in drei Bereiche: die politisch-militärische Dimension, die Wirtschafts- und Umweltdimension sowie die menschliche Dimension. Auch im politisch-militärischen Bereich stand und steht die OSZE dabei in ihren Einsatzgebieten in einer besonderen Beziehung zur jeweiligen Zivilgesellschaft.

Historisch betrachtet legten die Helsinki-Vereinbarungen von 1975 nicht nur den Grundstein für einen beginnenden Sicherheitsdialog im Ost-West-Konflikt, sondern auch für eine breite Bewegung von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen in Ost und West. Bürger*innen schlossen sich schon bald in sogenannten Helsinki-Komitees zusammen, um ihre Regierungen hinsichtlich der Verwirklichung der Helsinki-Prinzipien zur Rechenschaft zu ziehen und „Helsinki“ als Motiv für eine Agenda von Frieden und Abrüstung zu nutzen. Das zivilgesellschaftliche Handeln hat sich mit den Jahren weiterentwickelt, und aus der Idee der transnationalen bürgerrechtlichen Vernetzung ist ein Expert*innen-Netzwerk für Menschenrechtsarbeit geworden.

Die OSZE selbst verfügt über keine eng umrissene Definition von Zivilgesellschaft. Traditionell verfolgt sie einen diskriminierungsfreien Ansatz, um flexibel genug zu sein, den Sichtweisen und Vorschlägen eines breiten Spektrums an Organisationen im OSZE-Raum gerecht zu werden. Das Feld ist in den vergangenen Jahren jedoch diverser und unübersichtlicher geworden, sodass es keine Selbstverständlichkeit mehr ist, dass gesellschaftliche Kräfte „östlich und westlich von Wien“ den Helsinki-Konsens unterstützen. Die sogenannte nicht-zivile oder illiberale Zivilgesellschaft, wie sie in jüngerer Zeit verstärkt auch in westlichen liberalen Demokratien anzutreffen ist, gibt Forderungen nach einem „Mehr“ an zivilgesellschaftlichem Engagement daher teilweise eine bittere Note.

Das Ziel dieses Beitrags ist es, Licht auf die Frage nach der Relevanz von Zivilgesellschaft in Bereichen „harter Sicherheit“ der politisch-militärischen Dimension der OSZE zu werfen. Es soll herausgearbeitet werden, in welchen Phasen des Konfliktzyklus (sowohl in inner- als auch zwischenstaatlichen Konflikten und Kriegen) zivilgesellschaftliche Expertise besser nutzbar gemacht werden könnte und welche Herausforderungen es bei der Einbindung von Zivilgesellschaft in der OSZE gibt. Als Grundlage dienen die Ergebnisse eines vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts der Stiftung Wissenschaft und Politik zur Rolle der OSZE in einer neuen europäischen Sicherheitsordnung sowie eines im ersten Halbjahr 2025 umgesetzten Unterprojekts zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der politisch-militärischen Dimension der OSZE. Für Letzteres wurden 16 Interviews mit Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie dem OSZE-Sekretariat geführt, zudem wurde ein Textkorpus von rund 2600 OSZE-Dokumenten mithilfe von Analysesoftware und künstlicher Intelligenz ausgewertet.

Zivilgesellschaft in der OSZE

Die Rolle von nichtstaatlichen Organisationen im KSZE-Rahmen wurde bereits in der Schlussakte von Helsinki von 1975 anerkannt. In der Charta von Paris von 1990 erinnerten die Teilnehmerstaaten daran und verpflichteten sich zugleich, den Einsatz der zivilgesellschaftlichen Akteure für die Umsetzung der KSZE-Verpflichtungen weiter zu erleichtern. Den normativen Rahmen für die Einbeziehung der Zivilgesellschaft bildete in der Folge das sogenannte Helsinki-Dokument von 1992, in dem betont wurde, dass die KSZE ein Prozess bleibe, „dessen Aktivitäten weit über formelle Beziehungen zwischen Regierungen hinausgehen, und der die Staatsbürger und Gesellschaften der Teilnehmerstaaten einbezieht“.

Während die Mechanismen der Rüstungskontrolle und Umsetzung von sogenannten vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) staatszentriert blieben, begann sich daraufhin das Engagement der Zivilgesellschaft in anderen Bereichen der ersten Dimension schrittweise weiterzuentwickeln – etwa zu Fragen der Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen (SALW) oder hinsichtlich der Förderung des humanitären Völkerrechts im Rahmen des 1994 von der OSZE angenommenen Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit.

Im Dezember 2011 hat sich zudem die Civic Solidarity Platform gegründet – ein Netzwerk aus über 100 zivilgesellschaftlichen und anderen Nichtregierungsorganisationen aus dem OSZE-Raum, die sich „von unten“ für die Realisierung der Helsinki-Prinzipien einsetzen. Die Plattform organisiert jeweils im Vorfeld des jährlich stattfindenden OSZE-Ministerrats eine parallele Zivilgesellschaftskonferenz.

Konfliktzyklus und Zivilgesellschaft

Die Relevanz und Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in lokalen Friedens- und Konfliktbeilegungsprozessen wird in der Forschungsliteratur mittlerweile ausreichend gewürdigt. Gleichwohl wird bis heute bemängelt, dass das zivilgesellschaftliche Potenzial in der Konfliktarbeit der OSZE nach wie vor nur unzureichend erschlossen ist. Das Modell des Konfliktzyklus wurde innerhalb der OSZE als Teil der politisch-militärischen Dimension in den 1990er Jahren geprägt, wobei die vier einzelnen Konfliktphasen – Frühwarnung, Konfliktverhütung und Konfliktlösung, Krisenmanagement sowie Konfliktfolgenbeseitigung – durchaus dimensionsübergreifende Elemente haben.

2011 fasste der OSZE-Ministerrat den Beschluss Nr. 3/11 über „Elemente des Konfliktzyklus im Zusammenhang mit der Verstärkung der Fähigkeiten der OSZE in den Bereichen Frühwarnung, frühzeitiges Handeln, Dialogerleichterung und Mediationsunterstützung sowie Konfliktnachsorge“, womit die Entwicklung eines geeigneten „Werkzeugkastens“ mit Instrumenten für die verschiedenen Konfliktphasen vorangetrieben wurde. Seit 2019 gibt es auch ein Instrumentarium zur Einbeziehung von Frauen in effektive Friedensprozesse. Dennoch bleibt der Spielraum der OSZE begrenzt, da es letztlich am politischen Willen der Teilnehmerstaaten mangelt, die vorhandenen Werkzeuge zu nutzen und die dafür erforderlichen Mittel bereitzustellen.

Die Forderung nach besserer Einbindung der Zivilgesellschaft in Konfliktbeilegungsprozesse und Friedensverhandlungen ist häufig zu vernehmen – doch Konfliktkontexte variieren, und in vielen Fällen ist die Einbindung in offizielle Verhandlungen von den Konfliktparteien schlicht nicht gewünscht und daher nicht realisierbar. Die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts zeigen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen im OSZE-Raum vor allem in den Phasen der Frühwarnung, Konfliktprävention und Konfliktnachsorge noch immer zu wenig wahrgenommen werden und eine zentralere Rolle spielen könnten als bisher. Aber auch ihre Arbeit unter Kriegsbedingungen, also in der Phase des Krisenmanagements, etwa um fehlende staatliche Präsenz vor Ort zu kompensieren, wird vielfach übersehen. Im Folgenden wird erörtert, welche (potenzielle) Rolle Zivilgesellschaft in einzelnen Phasen des Konfliktzyklus spielen kann.

Frühwarnung und Prävention: Der umfassende Sicherheitsbegriff der OSZE bringt es mit sich, dass auch Krisen im Bereich der menschlichen Dimension als Frühwarnsignal für militärische Sicherheitskrisen gelten. Zivilgesellschaftliche Organisationen können, sofern sie gehört werden, effektive Frühwarnmechanismen bieten. Zahlreiche Instrumente der OSZE in diesem Bereich sind unter anderem auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft angewiesen. Die OSZE-Feldoperationen stehen in der Regel in engem Austausch mit der jeweiligen Zivilgesellschaft in ihrem Einsatzgebiet und gelten deshalb als wirksame Früherkennungssensoren. Daneben verfügen das Konfliktverhütungszentrum (CPC) und der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten (HCNM) der OSZE über ein Frühwarnmandat. Letztlich sind auch Menschenrechtsverteidiger*innen wichtige Akteur*innen im Bereich Frühwarnung. Deren Funktion als Watchdog ist in Zeiten zunehmender staatlicher Restriktionen im Menschenrechtsbereich jedoch regelrecht gefährdet, nicht zuletzt durch wegbrechende Finanzierungsmöglichkeiten.

Konfliktmanagement: Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Phase „unter Kriegsbedingungen“ mit zu betrachten. Die OSZE spielt hier keine wesentliche Rolle mehr, nachdem die 2014 eingesetzte Sonderbeobachtermission nach der russischen Vollinvasion im Frühjahr 2022 abgezogen wurde und das Büro des Projektkoordinators schließen musste. Zwar setzte die OSZE daraufhin ein außerbudgetär finanziertes Unterstützungsprogramm für die Ukraine auf, dieses kann die Lücke aber allein nicht schließen. Auch der ukrainische Staat kann nicht alles abfedern. Das Engagement der lokalen Zivilgesellschaft im Verbund mit internationalen humanitären Akteur*innen und anderen gesellschaftlichen Gruppen ist daher unverzichtbar. Unter Kriegsbedingungen sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten für den Aufbau von ziviler Verteidigung und Resilienz unerlässlich.

Ebenso ist das Militär auf die Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen. Zivilgesellschaftliche Organisationen übernehmen zum Beispiel Aufgaben bei der Evakuierung von Zivilist*innen, bei Trainingskursen zum humanitären Völkerrecht, bei der Untersuchung und vor allem Dokumentation von Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei der Repatriierung von Kriegsgefangenen und Entführten, bei der Rehabilitierung von Veteran*innen und vielen anderen Dingen mehr. Ihr großer Vorteil ist, dass sie sich häufig effektiver an die sich rasch verändernden Dynamiken des Krieges anpassen können als staatliche Stellen.

Konfliktnachsorge: Sollte es zu einem Waffenstillstand in der Ukraine kommen, ist die Nachkriegs- beziehungsweise Rehabilitationsphase wohl die wahrscheinlichste für eine mögliche Aktivierung der OSZE als Umsetzungsorganisation. In diesem Bereich verfügt sie über zahlreiche erprobte Instrumente und umfangreiche Expertise. Der Umgang mit den Opfern und die Strafverfolgung begangener Verbrechen sind dabei von zentraler Bedeutung für eine Beendigung der Feindseligkeiten und die Herstellung eines nachhaltigen Friedens. Der Zivilgesellschaft kommt in dieser Phase eine eminent wichtige Rolle zu, kann sie doch beispielsweise auf ihrer Dokumentationsarbeit aus der akuten Kriegsphase aufbauen.

Potenziale besser nutzen

Die OSZE könnte und sollte das vorhandene Potenzial von zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Phasen der Frühwarnung, Konfliktprävention und Konfliktnachsorge stärker nutzen als bisher. Beispiele für wirksame Frühwarnmechanismen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft finden sich etwa bei der Afrikanischen Union. In der Ukraine, Belarus und im Baltikum gibt es auf Militär-Monitoring und Frühwarnung spezialisierte zivilgesellschaftliche Organisationen, die regelmäßig über lokale Truppenbewegungen berichten. Doch fehlt es ihnen an Ressourcen, Zugang zu Satellitenbildern und anderem mehr.

Frühwarnung und Prävention: Konfliktprävention ist eine wenig sichtbare Aktivität, und weil es an Erfolgsmeldungen fehlt, mangelt es ihr auch an Anerkennung. Innerhalb der OSZE wird seit Längerem gefordert, dass man neue Wege gehen sollte, um die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich Konfliktprävention besser zu integrieren. Bereits in den 1990er Jahren wurden etwa Vorschläge eingebracht, die den Sicherheitssektor Governance und Reform betreffen, konkret zur Kooperation für eine verbesserte bürgernahe Polizeiarbeit. Letztlich könnte die internationale Gemeinschaft gewaltige Summen einsparen, wenn sie ihre Bemühungen gezielter auf die Prävention von Gewalt und Konflikten lenken würde als auf spätere Interventionen zu deren Beendigung. Zivilgesellschaftliche Organisationen könnten hierbei wertvolle Beratungs- und Unterstützungsarbeit leisten.

Konfliktmanagement: Sofern die OSZE im Bereich Konfliktmanagement, also in der Phase laufender Konflikte, künftig noch als maßgebliche Akteurin wahrgenommen wird, wird sie im Zusammenspiel mit anderen Akteur*innen eine komplementäre beziehungsweise ergänzende Rolle einnehmen. Dies kann unter bestimmten Voraussetzungen zu inklusiveren Vermittlungsansätzen führen. Ein Beispiel für ein relativ inklusives Format sind etwa die sogenannten Genfer Gespräche im Kontext des Georgien-Konflikts unter Beteiligung der OSZE als Ko-Vorsitzende. Auch der Beilegungsprozess zum Transnistrien-Konflikt ermöglicht teilweise in den sektoralen Arbeitsgruppen die Einbindung von Expert*innen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Konfliktnachsorge: Humanitäre Minenräumung, der Umgang mit Lagerbeständen konventioneller Munition sowie die Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen sind wichtige Voraussetzungen für die Normalisierung von Nachkriegsgesellschaften. Wenn Landminen entfernt werden, kann das kontaminierte Land wieder kultiviert und für die Lebensmittelproduktion genutzt werden. Minenbeseitigung wird daher auch als humanitäres Instrument gesehen, das einen schnelleren Wiederaufbau ermöglicht. Nichtregierungsorganisationen in diesem Sektor kombinieren technische und militärische Expertise mit sozialen und humanitären Kompetenzen. Sie sind daher ein natürlicher Partner für die OSZE, werden aber nicht immer als solche wahrgenommen, wie in Hintergrundgesprächen teilweise beklagt wird.

Herausforderungen

Die Rolle der Zivilgesellschaft in einer primär intergouvernemental ausgerichteten Organisation wie der OSZE ist ambivalent: Einerseits wird ihre Einbindung explizit gewünscht, andererseits ist die OSZE eine komplexe und teilweise unübersichtliche Organisation, was die Zusammenarbeit in der Praxis erschwert. Mitunter hinderlich ist auch, dass die OSZE stets im Konsensprinzip entscheidet – das heißt, nur wenn alle Teilnehmerstaaten zustimmen, kommt es zum Beschluss. Dies gilt auch für die Formate der Konfliktbeilegung. Da diese in der Regel von den Konfliktparteien mit der OSZE vereinbart werden, sind die Formate in ihrer konkreten Ausgestaltung relativ unflexibel, wie die von uns befragten Expert*innen berichten.

Grundsätzlich gibt es in allen OSZE-Gremien – auch in jenen, in denen die Agenda nicht konsensbasiert ist, sondern vom jeweiligen Vorsitz bestimmt wird – die Möglichkeit, Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen anzuhören und zu briefen. Die Sitzungen des Forums für Sicherheitskooperation (FSK) sind hingegen von einer strikten Agenda geprägt, da die teilnehmenden Staaten sich in der Regel nur auf wenige gemeinsame Punkte einigen können. Dennoch wurden zu den Sicherheitsdialogen des FSK immer wieder auch zivilgesellschaftliche Redner*innen eingeladen – etwa, wenn es um Themen wie „Frauen, Frieden, Sicherheit“, „Kinder und bewaffnete Konflikte“ oder „Streitkräfte und Umwelt“ ging. Letztlich hängt die zivilgesellschaftliche Beteiligung auch davon ab, ob es sich in der ersten Dimension um sogenannte militärische oder nicht-militärische Themen handelt. Die Mehrzahl unserer Interviewpartner*innen sah im Bereich nicht-militärischer Themen kein Defizit zivilgesellschaftlicher Präsenz.

Eines der Kernprinzipien der OSZE ist Inklusivität. Im Bereich Mediation geht es zum Beispiel in erster Linie um die Einbeziehung aller Konfliktparteien. Zudem sind die von uns befragten OSZE-Vertreter*innen der Auffassung, dass Inklusivität nicht nur Beteiligung am Verhandlungstisch bedeutet, vor allem dort nicht, wo bestimmte Prozesse gar nicht von der Zivilgesellschaft mitgetragen werden. Letztlich gehe es um eine Balance zwischen Inklusivität und Exklusivität: Ein guter Prozess berücksichtige stets, wer sich wann, wo und in welcher Weise treffe oder beteiligt werde. Obwohl man wisse, dass inklusive Prozesse die nachhaltigeren seien, sei die Zivilgesellschaft nicht immer (direkt) dabei, weil zunächst exklusiv begonnen werden müsse.

Eine weitere Herausforderung für die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in die Arbeit der OSZE ist, dass allgemein der Druck auf die Zivilgesellschaft wächst – dies zeigt sich unter anderem in schwindenden Handlungsspielräumen und fehlenden Räumen für Widerspruch und Kritik. Regierungen und auch OSZE-Institutionen unterschätzen die Handlungsmacht sowie die Relevanz der Aufgaben, die Zivilgesellschaften in sicherheitsrelevanten Themenfeldern übernehmen (können). Zudem wird europaweit die Finanzierung von nicht-staatlichen Akteur*innen aufgrund knapper werdender öffentlicher Haushalte immer schwieriger. Daher werden aus dem OSZE-Zivilgesellschaftsnetzwerk, der Civic Solidarity Platform, vermehrt Forderungen nach einem OSZE-Fonds für die Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen laut.

2023 wurde zumindest den Forderungen nach einem Koordinator für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft entsprochen und ein entsprechender Posten geschaffen. Die Finnin Anu Juvonen, selbst aus der Zivilgesellschaft, ist 2025 zur Sonderbeauftragten für die Zivilgesellschaft ernannt worden und hat sich innerhalb kürzester Zeit als Anlaufstelle etabliert. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, Anliegen aus der Zivilgesellschaft effizienter in die Organisation hineinzutragen. Da die Entscheidungen der OSZE rechtlich nicht bindend sind, es kein Berichtswesen oder formelles Einspruchsverfahren gibt, sieht sie in der Zivilgesellschaft erst recht eine wichtige Kontrollinstanz der Politik.

Wie unsere Interviewpartner*innen berichten, hat die prekäre Lage der OSZE in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass auch unter zivilgesellschaftlichen Organisationen das Kooperationsinteresse abgenommen hat. Tatsächlich ist es nur ein kleiner Zirkel von Organisationen, der mit der OSZE dauerhaft und eng zusammenarbeitet. Hinzu kommt, dass die OSZE keine klassische Geberorganisation ist, und wenn mit ihr kooperiert wird, die Finanzierung meist von anderer Stelle oder in Form von außerbudgetären Projekten durch interessierte teilnehmende Staaten gewährleistet sein muss. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft hat daher zumeist einen informellen Charakter. Moniert wird, dass das meiste „off the record“ geschehe, nie Eingang in offizielle OSZE-Dokumente und Verfahren finde und somit auch nicht in das institutionelle Gedächtnis der Organisation. Zudem seien Follow-up- und Feedback-Verfahren unzureichend. Darüber hinaus wird kritisiert, dass der Informationsfluss im Kontext von OSZE-Feldoperationen häufig einseitig sei: Im Austausch werde den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die ihrerseits wichtige Informationen lieferten, wenig geboten.

Mit der Zeit hat die Interaktion mit dem Netzwerk der Civic Solidarity Platform einen eher zeremoniellen Charakter angenommen. So ist es zwar ein fester Bestandteil der jährlichen Zivilgesellschaftskonferenz, dass eine Erklärung mit Empfehlungen an die OSZE-Institutionen und teilnehmenden Staaten verabschiedet und anschließend dem amtierenden OSZE-Vorsitz übergeben wird. In der Realität erfahren diese Empfehlungen aber wenig Beachtung: Ein Großteil der von uns befragten OSZE-Vertreter*innen kannte weder die Plattform noch deren Konferenz. Diejenigen, die sie kannten, äußerten zudem den Wunsch, dass die Empfehlungen realistischer formuliert werden.

Schlussfolgerungen

Im Vergleich zu anderen internationalen Organisationen, insbesondere zur NATO, die sich bis heute einer Öffnung für zivilgesellschaftliche Betätigung verschließt, bietet die OSZE zahlreiche, zumeist verlässliche Möglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen, ihre Expertise, Einschätzungen und Bedenken in mandatsbezogene Themenbereiche einzubringen. Teils fehlende Zugänge und mangelnde Transparenz bedingen jedoch, dass auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen das „Demokratiedefizit“ innerhalb der OSZE kaum abzuschwächen vermögen. Im Kontext des erodierenden liberalen Konsenses, der auch vor den OSZE-Kernstaaten nicht Halt macht, haben zivilgesellschaftliche Akteur*innen einen immer schwereren Stand.

Auch stellt sich die Frage, ob ein inkohärentes Gebilde wie die heutige Zivilgesellschaft im OSZE-Raum noch ein Garant für die Verwirklichung der 1975 vereinbarten Helsinki-Prinzipien ist. Vieles innerhalb der OSZE hängt vom derzeitigen und künftigen Verhalten Russlands ab. In dieser unklaren Situation sucht die Organisation beständig nach Möglichkeiten der Umgehung des Konsensprinzips, etwa in Form außerbudgetärer Projekte. In ähnlicher Weise könnten die Entwicklungen auf der zivilgesellschaftlichen Ebene dazu führen, dass die Zivilgesellschaft nicht mehr als kollektiver Akteur, sondern differenzierter betrachtet werden sollte – mit der Konsequenz, dass zum Beispiel bestimmte Kontrollfunktionen nur in die Hände solcher zivilgesellschaftlicher Organisationen gelegt werden, die sich den Helsinki-Prinzipien unverbrüchlich verpflichtet fühlen.

Da Sicherheit ein Prozess ist, der häufig von unten nach oben wirkt, und die OSZE eine Regionalorganisation ist, deren Stärken vor allem in der Vernetzung vor Ort und lokaler Expertise liegen, ist es wichtig, dass die Organisation im Rahmen von Feldoperationen weiterhin „on the ground“ aktiv bleibt. Die Zivilgesellschaft ist dabei in allen Phasen des Konfliktzyklus eine unverzichtbare Akteurin. Die OSZE sollte ihre Strukturen, Entscheidungsprozesse und Programme daher so gestalten, dass zivilgesellschaftliche Beiträge systematisch eingebunden, finanziell unterstützt und politisch legitimiert werden. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe stärkt nicht nur die Effektivität der OSZE, sondern erhöht auch ihre Glaubwürdigkeit am Einsatzort und ihre langfristige Relevanz als sicherheitspolitische Akteurin.

Aufgrund des seit 2022 beschädigten Ansehens der OSZE in der Ukraine sollte sich die Organisation umso mehr bemühen, dort wieder Terrain gutzumachen und noch stärker als bisher auf die ukrainische Zivilgesellschaft zuzugehen, um unter anderem mit Hilfe der extrabudgetären Projekte zu versuchen, Mehrwerte für sie zu schaffen. Durch die Einrichtung von Bürgerräten zur sicherheitspolitischen Beratung könnten zum Beispiel lokale Strukturen in einen Mechanismus eingebunden werden, der ein mögliches Sicherheitsregime nach Ende der Kampfhandlungen an örtliche Bedingungen anpasst und die betroffenen Menschen, ihre Lebensumstände und Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt. Allerdings wird die Chance einer Beteiligung der OSZE an einer möglichen und noch zu erreichenden Absicherung eines Waffenstillstandes derzeit als gering eingeschätzt.

Für die OSZE ist es dennoch unerlässlich, trotz Vorbehalten eine verbindliche Strategie zur Stärkung und strukturellen Verankerung zivilgesellschaftlicher Beteiligung zu entwickeln. Angesichts der historisch gewachsenen Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer nicht-staatlicher Akteure in den drei OSZE-Dimensionen ist eine systematische Einbindung in sicherheitspolitische Aushandlungsprozesse überfällig. In internen Reformprozessen sollte die Einbindung der Zivilgesellschaft nicht als „nice to have“, sondern als integraler Bestandteil des institutionellen Gefüges der Organisation begriffen werden. Dies erfordert verbindliche und kontinuierliche Beteiligungsformate sowie transparente Kommunikationskanäle. Ein institutionalisierter, aber flexibel gehaltener Rahmen, ergänzt um eine zentrale Anlaufstelle für Nichtregierungsorganisationen und ein rotierendes Konsultationsformat, könnte helfen, Vertrauen aufzubauen, legitime Kritik aufzugreifen und die OSZE als glaubwürdige Akteurin in der zunehmend fragilen internationalen Ordnung zu positionieren.

Die Autorin dankt Celina Thadewaldt und Simon Muschick für die Unterstützung bei der Recherche.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "OSZE Think-Tank-Netzwerk" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.