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Kulturpolitik in der Bundesrepublik | Kulturpolitik | bpb.de

Kulturpolitik Editorial Kulturrepublik Deutschland - Essay Kulturpolitik in der Bundesrepublik Kulturelle Teilhabe im Wandel. Menschenrecht, Privileg, Garant für Demokratiefähigkeit Kulturpolitik in ländlichen Räumen. Diverses Akteursfeld, vielfältige Strategien Kaperung und Korrektur. Zum neurechten Kulturkampf mit literarischen Kanones Staatliche Kulturpolitik und Kunstfreiheit Auswärtige Kulturpolitik zwischen Austausch, Wertevermittlung und Einflussnahme

Kulturpolitik in der Bundesrepublik

Julius Heinicke

/ 17 Minuten zu lesen

Kulturpolitik umfasst eine Vielzahl von Akteuren und Institutionen. Die Geschichte wie auch die gegenwärtigen politischen Debatten zeigen, dass vor allem die Inhalte von Kulturpolitik umkämpft sind und mitunter Gefahr laufen, instrumentalisiert zu werden.

Wird in Deutschland von Kulturpolitik gesprochen, ist häufig Kunstpolitik gemeint. Der Begriff bezieht sich auf kommunale, Landes-, Bundes- und internationale Bereiche der Kunstlandschaft, meist im Zusammenhang mit öffentlicher Förderung, Planung und Gesetzgebung. Die federführenden Akteur*innen der Kulturpolitik – Parlamente, Behörden, NGOs, Vereine und Verbände – stehen ebenfalls in direktem Bezug zur Kunst: Der oder die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien („Kulturstaatsminister“, BKM) beispielsweise engagiert sich für die Berlinale und die Bayreuther Festspiele, im Deutschen Kulturrat sind die Verbände der unterschiedlichen Kunstsparten vertreten, die Kulturpolitische Gesellschaft ist im Bereich der Künste und Kunstförderung aktiv, und die Länder und Gemeinden fördern mit ihren Kulturetats Theater, Museen, Opern und die Freien Szenen der Künste.

Streng genommen gibt es innerhalb dieses engeren Wirkungsfeldes der Kulturpolitik neben dem Kulturerbe, dessen Praktiken und Orte nicht immer eine rein künstlerische Prägung haben, nur einen weiteren Bereich, der sich eher auf Kultur denn auf Kunst bezieht: die Erinnerungskultur. Diese hat zwar in ihren Institutionen wie den Gedenkstätten und Museen vielerlei Verbindungen zur Kunst, ihre Thematik umfasst jedoch meist Kulturen und kulturelle Handlungen und Haltungen im weitesten Sinne, wie sie beispielsweise im Nationalsozialismus, in der SED-Diktatur oder im Kolonialismus von den Tätern und ihren Opfern gelebt wurden.

Auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung wird eine Definition von Kultur vorgeschlagen, die die Breite des Begriffs unterstreicht: „Kultur umfasst alles, was der Mensch geschaffen hat. Unter ‚Kultur‘ verstehen wir auch die Art und Weise, wie das Zusammenleben der Menschen gestaltet ist.“ Und der Germanist und Erziehungswissenschaftler Karl Ermert spezifiziert für den Bereich der Kunst: „Mit Kultur im engeren Sinne werden die Künste und ihre Hervorbringungen bezeichnet: Bildende Kunst, Literatur, die darstellenden Künste (von Theater über Tanz bis Film), Musik, die angewandten Künste wie Design und Architektur sowie die vielfältigen Kombinationsformen zwischen ihnen.“

In den vergangenen Jahrzehnten ist von unterschiedlichen Seiten vermehrt ein „offener“ Kunstbegriff gefordert worden, der eine Vielzahl an kulturellen Handlungen wie etwa Stricken, Kochen oder Gartengestaltung einbezieht. Auf diese Weise soll eine enge, oft als elitär wahrgenommene Definition aufgebrochen werden, die viele kulturelle Praktiken ausschließt. Allerdings verbergen sich in Deutschland hinter den Künsten immer noch primär die klassischen Disziplinen. So ist das Feld der „Kulturellen Bildung“, das seit der Jahrtausendwende stark an Aufmerksamkeit gewonnen hat, auffallend häufig mit Theater, Literatur, Film, Musik und Malerei und weniger mit weiteren Bereichen der Kultur wie Weben, Gaming, Ritualen oder Design verknüpft.

Kultur und Politik

Zum einen kann also festgestellt werden, dass sich die bundesdeutschen Institutionen, Akteur*innen und Behörden der Kulturpolitik tendenziell auf Kunstpolitik beziehen. Zum anderen zeigt ein Blick auf die Geschichte und die gegenwärtigen politischen Debatten, dass Kulturpolitik immer wieder von unterschiedlichen Gruppen eingesetzt wird, um Kultur politisch zu instrumentalisieren, indem mit ihrer Hilfe beispielsweise gesellschaftliche Zugehörigkeit und Ausgrenzung konstruiert wird. Sowohl die Kulturpolitiken des Kolonialismus als auch die des Nationalsozialismus nutzten Kultur, um jüdische Menschen oder People of Color, politisch Andersdenkende, Sinti und Roma oder Homosexuelle aus der Gesellschaft zu verdrängen: Ihnen wurde entweder „Kulturlosigkeit“ oder eine mit der jeweiligen Norm nicht konforme Kultur unterstellt. Einen gewissen Nachhall findet diese Strategie, wenn heute bestimmte Gruppierungen Konzepte einer „Leitkultur“ entwerfen, die mithilfe der Setzung einer Norm andere Gruppen ausgrenzen und degradieren soll.

Als Bewegung in die entgegengesetzte Richtung lässt sich eine Kulturpolitik verstehen, die auf Vielfalt setzt und versucht, diese als ein gesellschaftliches Paradigma zu setzen, das unterschiedliche Lebensentwürfe einbezieht. In beiden Fällen wird Kultur als Instrument genutzt, um (gesellschafts-)politische Ziele zu verfolgen; es werden kulturelle Metaphern und Bilder bemüht, um die Gesellschaft zu formieren. Die Austragungsorte für die Sichtbarmachung und Erfahrung dieser Konstrukte sind meist künstlerische Räume. Theater, Museen, Konzerthäuser, Fernsehen, das Kino und zunehmend auch Formate digitaler Plattformen wie Instagram sind Orte, an welchen kulturell konstruierte Normen und Glaubenssätze mittels künstlerischer Praxis erlebbar gemacht und somit wahrhaftig werden sollen. So befinden sich Kunstinstitutionen gegenwärtig in einem Spannungsfeld, in dem kulturelle Strategien beider Richtungen – die eine eher exkludierend und auf Homogenität ausgerichtet, die andere eher öffnend und gen Heterogenität weisend – miteinander konkurrieren. Kulturpolitik erscheint besonders dann als umkämpftes Feld, wenn eine Gesellschaft vor oder inmitten von Transformationsprozessen steht und sie Vorstellungen und Konzepte von Identität, Verortung und Gemeinschaft gestalten und mithilfe der Künste erfahrbar machen kann.

Im Englischen ist nicht der Begriff der „Cultural Politics“, sondern jener der „Cultural Policy“ gebräuchlich. „Policy“ verweist auf die politische Dimension, doch werden hiermit vor allem die Inhalte, Aufgaben und Ziele betont. In der Forschung wird der enge Fokus der „Cultural Policy“ deshalb um die aus der Politikwissenschaft stammenden Begriffe „Polity“ und „Politics“ erweitert, um ein größeres Wirkungsfeld in den Blick zu bekommen. In das Feld der „Polity“ fallen etwa Strukturen und Institutionen, zu den „Politics“ zählen Abläufe und Aushandlungsprozesse. Die Dreiteilung in Policy, Polity und Politics eignet sich deutlich besser zur Darstellung des Politikfelds, unterschlägt aber einen entscheidenden Bereich: das Künstlerische und Ästhetische. Beides ist eng mit Kulturpolitik verbunden, da diese sich meist auf deren Sphären bezieht. Diese Besonderheit der Kulturpolitik, auch oder gar vornehmlich künstlerische Praxis zu fokussieren, ist ein Alleinstellungsmerkmal, das in der Auseinandersetzung mit Kulturpolitik beachtet werden sollte.

Gesetzliche Regelungen und Strukturen

Im Nationalsozialismus unterlagen jegliche kultur- und kunstpolitischen Entscheidungen dem NS-Propagandaministerium. Kunstschaffen wurde im Sinne der antisemitischen und faschistischen Ideologie zensiert und kontrolliert. Um die Wiederholung einer solchen zentral gesteuerten Instrumentalisierung zu verhindern, liegen Kunst und Kultur seit der Gründung der Bundesrepublik in der Hoheit der Länder und Kommunen. Das Grundgesetz gibt in Artikel 30 nicht nur diese föderale Struktur und Dezentralisierung vor, sondern räumt der Kunst – ebenso wie der Wissenschaft und Forschung – in Artikel 5 auch größtmöglichen Freiraum ein. Im dritten Absatz heißt es unmissverständlich: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ In diesem Zugeständnis von Freiheit wird indirekt auch eine gewisse Erwartungshaltung beziehungsweise ein Wunsch an die Kunst formuliert, der im Übrigen auch an Forschung, Wissenschaft und Lehre gerichtet ist: Sie möge mithilfe der ihr zugestandenen Freiheit dafür Sorge tragen, dass sich der Faschismus und die Gräueltaten des Nationalsozialismus – die Shoah, der Zweite Weltkrieg, die Ermordung von Millionen von Menschen, von Sinti und Roma, Kriegsgefangenen, politischen Gegner*innen und Andersdenkenden, Homosexuellen und Menschen mit Behinderung – nicht wiederholen.

In den entsprechenden Landesgesetzen wird die Freiheit nur selten so stark betont. Meist wird auf die Aufgabe des jeweiligen Landes verwiesen, Kunst und Kultur zu fördern und zu pflegen. Die „Pflege“ wird häufig mittels diverser Verweise auf Verpflichtungen der Länder aus Abkommen früherer Zeit bezogen, in welcher zum Beispiel einzelne Fürsten- und Herzogtümer, Flecken und Königreiche zusammengelegt und/oder unter die Hoheit eines Landes gebracht wurden (so wird zum Beispiel die Förderung des Landestheaters Coburg seitens des Freistaats Bayern begründet). Auch der Erhalt des vielseitigen historischen kulturellen Erbes spielt dabei eine wichtige Rolle (etwa in der Begründung der Förderung des Braunschweigischen Kulturbesitzes durch das Land Niedersachsen).

Hinsichtlich der Verpflichtung und konkreten Ausgestaltung der finanziellen Förderung bleiben die Landesgesetze hingegen recht vage. Der Freistaat Sachsen hat mit dem Kulturraumgesetz 1994 eine genauere Definition über die Verpflichtung der Förderung geschaffen, auch die Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verpflichten sich im Kulturgesetzbuch von 2021 beziehungsweise im Kulturfördergesetz von 2022 dazu. In allen anderen Gesetzen und Verfassungen wird die Förderung von Kunst und Kultur hingegen als freiwillige Aufgabe definiert. So besteht stets die Gefahr, dass sie bei klammer werdenden Kassen dort, wo sie nicht den Rang einer Pflichtaufgabe haben, den Kürzeren ziehen.

Trotz der Länderhoheit wurde 1998 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Behörde des beziehungsweise der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geschaffen und dem Bundeskanzleramt zugeordnet. Die Bundesregierung sah damals – und sieht auch heute noch – eine Notwendigkeit, Kunst und Kultur in der Bundeshauptstadt sowie bundesweit relevante Kunstprojekte zu fördern. Als wichtige Aufgabenbereiche gelten die Erinnerungskultur und die Gedenkstättenarbeit, die Filmförderung, aber auch die Documenta in Kassel, die Bayreuther Festspiele oder die Stiftung Genshagen, die den kulturellen Dialog des Weimarer Dreiecks (Polen, Frankreich, Deutschland) voranbringen soll. Darüber hinaus werden unterschiedliche bundesweit agierende Vereine und Verbände wie der Fonds Darstellende Künste, der Musikfonds, der Fonds Soziokultur, die Kulturpolitische Gesellschaft oder der Kulturrat unterstützt.

2002 wurde überdies die Kulturstiftung des Bundes gegründet, um „innovative Programme und Projekte“ zu fördern, wobei ein Schwerpunkt auf internationalen Projekten liegen soll. De facto finden große Teile der Projektförderung aber in der Bundesrepublik statt. Einen ähnlichen Förderzweck, doch an die Kulturpolitik der Länder angebunden, hat die bereits 1987 gegründete Kulturstiftung der Länder: „Im Auftrag der 16 deutschen Länder fördert, entwickelt, berät und begleitet die Kulturstiftung der Länder Projekte und Initiativen in den Bereichen Kunst und Kultur, die gesamtstaatlich bedeutsam sind und im Zusammenwirken mehrerer Partner umgesetzt werden.“ Finanziert wird sie sowohl von den Ländern als auch vom Bund.

Während die inländische Kulturpolitik streng genommen in der Hoheit der Länder liegt, ist der Bund nach Artikel 32 Absatz 1 GG zuständig für die Auswärtige Kulturpolitik. Diese Trennung wird aufgrund des zunehmenden Engagements des Bundes im Inland jedoch mehr und mehr aufgeweicht. Die Auswärtige Kulturpolitik wird zum großen Teil vom Auswärtigen Amt (AA) übernommen. Obgleich die Behörde des BKM innerhalb einiger Projekte und mit den von ihr geförderten Institutionen wie der Stiftung Genshagen oder der Kulturstiftung des Bundes auch international aktiv ist, übernehmen vor allem „Mittlerorganisationen“ weite Teile der auswärtigen Kulturarbeit, die maßgeblich vom AA finanziert werden. Zu diesen Organisationen zählen unter anderem das Goethe-Institut, das Institut für Auslandsbeziehungen (welches ebenfalls vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart subventioniert wird), der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander von Humboldt-Stiftung oder die deutsche UNESCO-Kommission.

Der besondere rechtliche Rahmen, in dem sich diese Organisationen verorten, zeigt sich darin, dass sie als Vereine zwar offiziell unabhängig agieren, in ihren Entscheidungsgremien wie den Mitgliederversammlungen und/oder den Vorständen jedoch meist stimmberechtige Vertreter*innen des Auswärtigen Amts oder des Bundesfinanzministeriums sitzen und darüber hinaus, je nach Modell, auch Vertreter*innen der Länder und Kommunen. Meist schließt das AA mit den Mittlerorganisationen Rahmenverträge ab, in denen inhaltliche Zielsetzungen und Programmatiken verabredet sind. Von einer staatlichen Unabhängigkeit dieser Institutionen kann demnach nicht gesprochen werden, vielmehr offenbart sich über die finanzielle Förderung ein Weg für inhaltliche Mitgestaltung seitens der jeweiligen Regierung.

Gestaltung des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses

Obwohl die Förderung von Kunst und Kultur in den Landesgesetzen meist eine freiwillige Aufgabe ist, hat sich der Sektor über die Zeit erfolgreich entwickeln können. Die Bundesrepublik verfügt über eine vergleichsweise ausdifferenzierte und vielseitige Kunst- und Kulturlandschaft, mit unzähligen Kulturinstitutionen, Festivals, Zentren und Organisationen, die zum großen Teil öffentlich subventioniert werden. Während sich die Kulturpolitiker*innen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der nationalsozialistischen totalitären Kultur zu lösen versuchten, nutzten sie gezielt Kunst und Kultur, um den demokratischen Neubeginn im Westen des geteilten Landes voranzutreiben. In den 1950er und 1960er Jahren wurden bundesweit Theater-, Opern-, Festivalhäuser und Bibliotheken eröffnet, deren Architektur mit viel Glas und offen gestalteten Foyers Transparenz und Offenheit suggerieren sollte.

Den größten Anteil der Finanzierung übernahmen seinerzeit die Kommunen. Land und Bund beteiligten sich in erster Linie an Prestigeprojekten, die landes- oder bundesweite Wirkung erzielen sollten, wie etwa der Bau des Hauses der Ruhrfestspiele in Recklinghausen. Die Documenta in Kassel – 1955 gegründet, um zunächst Kunst zu präsentieren, die im Nationalsozialismus zensiert wurde und verboten war – steht auch für den Versuch der jungen Bundeskulturpolitik, internationales Ansehen zurückzugewinnen. Der Bund, das Land Hessen und die Stadt Kassel kooperieren bis heute bei der Förderung der Kunstschau. Der Bundeshauptstadt Berlin wurde nach der Wiedervereinigung unter anderem mithilfe des Hauptstadtkulturfonds und den Berliner Festspielen neue kulturelle Relevanz verliehen.

Das zunehmende Interesse des Bundes, die Kunst- und Kulturlandschaft zu gestalten, wird auch am Etat des BKM sichtbar, der fast kontinuierlich gestiegen ist und inzwischen bei rund 2,5 Milliarden Euro liegt. Die Bundesregierung nutzt vermehrt die Kulturpolitik, um kulturelle und politische Strategien zu verankern. Die Förderung von „Green Culture“ unter der grünen Staatsministerin Claudia Roth oder der Versuch des konservativen Staatsministers Wolfram Weimer, gendergerechte Sprache beziehungsweise die Nutzung von Sonderzeichen bei geförderten Institutionen zu unterbinden, sind zwei Beispiele für diese Versuche, bestimmte (parteipolitische) Programmatiken innerhalb des Kunstsektors zu verankern oder ihm „einzuschreiben“.

Anhand der Debatte um den Bau des Berliner Humboldt Forums lässt sich zudem das kulturpolitische Tauziehen um kulturelle Deutungshoheit und kulturelle Narrative nachvollziehen: Sollte mit dem Berliner Stadtschloss der Ruhm der Geschichte Preußens untermauert werden? Oder ging es eher darum, die Willkür gegenüber der Bevölkerung und die koloniale Ausbeutung hervorzuheben, was einer Dekonstruktion des ehemaligen Wahrzeichens europäischer Feudalherrschaft gleichkäme? Kann der Abriss des Palasts der Republik als Sitz der Volkskammer und als Ort der Kunst als ein kulturpolitisches Zeichen der Bundesrepublik gegenüber der DDR gelesen werden, deren Kulturgeschichte zu marginalisieren? Die Museumsleitung selbst versucht, diesen Fragen gerecht zu werden, indem sowohl in den ethnologischen als auch in den Programmausstellungen eine die deutsche Geschichte reflektierende und postkoloniale Perspektive eingenommen wird, die die Kulturgeschichte und ihre Kunstformen nach Machtstrukturen und Hierarchien befragt. Zugleich werden die vor einigen Jahren begonnenen Restitutionsprozesse von Kulturgütern, Kunstwerken und Human Remains konstruktiv begleitet.

Die politische und gesellschaftliche Relevanz von Kultur zeigte sich auch an der 2003 durch den Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Die Expert*innengruppe betont in der Präambel ihres Abschlussberichts: „Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut. Es ist Aufgabe der Politik, dieses zu sichern und zu stärken.“ Aus heutiger Sicht ist die Ermunterung der Politik seitens der Kommission, Kultur als „Fundament zu sichern“ und zu „stärken“, zweischneidig. Einerseits wird Kultur als etwas für die Gesellschaft Fundamentales betrachtet, was im Kontrast zur „Freiwilligkeit“ der Kulturförderung in den meisten Gesetzestexten der Länder als deutliches Bekenntnis zu verstehen ist. Andererseits tendiert das Bild des Fundaments in Richtung einer „Leitkultur“ oder eines nicht wandelbaren Konstrukts, was die Transformationsmacht von Kunst untergräbt. Zudem kann der Appell an die Politik, dieses Fundament „zu sichern und zu stärken“, bewusst missverstanden werden. Zwar verweisen die Verben vor dem Hintergrund des Grundgesetzes auf die Sicherung der Kunstfreiheit und die Stärkung der Kulturförderung, doch kann hierunter auch ein stärkerer Einfluss der Politik auf die Inhalte und die Ausrichtung der geförderten Kunst verstanden werden.

Der Versuch von Kulturstaatsministerin Roth in der 20. Legislaturperiode (2021–2025), „Kultur in ihrer Vielfalt“ im Grundgesetz zu verankern, war daher ein entscheidender Vorstoß, die demokratischen Dimensionen der Kultur zu fördern. Mit dem Vorhaben sollten die Vielseitigkeit und Wandelbarkeit von Kultur und Kunst grundrechtlich geschützt und gestärkt werden, um so die Diversität von Kultur zu betonen und den Versuchen entgegenzutreten, Kultur auf bestimmte Traditionen zu reduzieren. Denn die Gefahr ist groß, dass bestimmte künstlerische und kulturelle Praktiken stereotypisiert beziehungsweise vereinfacht und so politisch instrumentalisiert werden. Aus kulturpolitikwissenschaftlicher Sicht sollte die Frage im Vordergrund stehen, welche Rolle Kultur in einer Demokratie spielt – und wie Kunst als demokratischer Reflexionsraum rechtlich und finanziell gesichert werden kann.

Die nordischen Länder Europas haben in diesem Sinne nach dem Zweiten Weltkrieg entschiedener die Gestaltungshoheit der Kulturpolitik von der amtierenden Politik getrennt. Gemäß des britischen „Arm’s Length“-Prinzips darf sich diese nur minimal in kulturpolitische Belange einmischen. Vielmehr geben Expert*innengremien aus Künstler*innen, Kulturschaffenden, Verbänden und Organisationen die Richtung vor und entscheiden über Inhalte, Strategien und Förderungen. Demgegenüber hat in der deutschen Kulturlandschaft die Politik immer ein Wörtchen mitzureden: Nicht nur der Kunst- und Kulturetat und die öffentliche Förderung unterliegen der Entscheidungshoheit des Bundestages, der Landtage beziehungsweise der Stadt-, Kreis- und kommunalen Parlamente (und werden von Ministerien, Behörden und Ämtern umgesetzt), auch in inhaltlichen und strukturellen Entscheidungen mischen sie mit. So sind etwa in den Besetzungskommissionen von Intendanzen, Museumsleitungen und Konzertdirektionen stets politische Mandatsträger*innen und/oder Vertreter*innen von Behörden eingebunden; die unterschiedlichen Ministerien haben Sitze in den Mitgliederversammlungen und Entscheidungsgremien der Kulturstiftung des Bundes oder des Goethe-Instituts.

Die neueste Entwicklung in diese Richtung betrifft die sogenannten Förderklauseln, aufgrund derer sich Künstler*innen zu bestimmten Inhalten verpflichten oder bekennen sollen, um in den Genuss einer öffentlichen Förderung zu kommen – was von Kritiker*innen als Eingriff in die Kunstfreiheit betrachtet wird. Die Politik würde auf diese Weise definieren, was beispielsweise als antisemitisch, rassistisch oder queerfeindlich zu gelten hat – und so den Handlungsspielraum von Künstler*innen empfindlich beschränken, der sich bislang über die Grundrechte des Grundgesetzes selbst definiert. Ob die Kunstfreiheit wegen eines möglichen Konflikts mit einem anderen Grundrecht eingeschränkt werden darf, ist bislang eine Frage rechtsstaatlicher beziehungsweise gerichtlicher Auslotung und Abwägung, nicht aber politischer Entscheidung.

Kultur- und Kunstförderung

Neben den gesetzlichen und politisch-inhaltlichen Rahmenbedingungen ist die Kulturförderung ein entscheidender Aufgabenbereich der Kulturpolitik in Deutschland. Obwohl Kunst und Kultur auch ein nicht unerheblicher Wirtschaftssektor sind, konzentriert sich Kulturpolitik hierzulande in erster Linie auf die öffentliche Kulturförderung. Dabei wird vermehrt gefordert, dass auch der „kulturindustrielle“ Bereich von kulturpolitischen Akteur*innen stärker ins Visier genommen werden soll. Das EU-Projekt „IN SITU“ („Place-based Innovation of Cultural and Creative Industries in Non-urban Areas“) erforscht derzeit die Innovationskraft von Kunst und Kultur in ländlichen Räumen in Europa. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Kunst- und Kulturschaffenden sich einerseits ihrer Bedeutung für wirtschaftliche Innovation kaum bewusst sind, dass es andererseits aber auch nur wenige regionale, landesweite, nationale oder gar europäische kulturpolitische Strategien auf diesem Gebiet gibt – was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sich die unterschiedlichen Akteur*innen auf und zwischen den verschiedenen Ebenen entweder nicht kennen oder selten miteinander kooperieren.

Wie sehr sich Kulturpolitik in Deutschland primär auf die öffentliche Kultur- beziehungsweise Kunstförderung konzentriert, zeigen die öffentlichen Ausgaben für Kultur (Grundmittel) für das Jahr 2020 (der jüngsten zugänglichen Erhebung des Statistischen Bundesamts): Die Kommunen haben rund 5,67 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die Länder knapp 5,6 Milliarden und der Bund rund 3,24 Milliarden Euro (wobei hier allerdings die „Extramilliarde“ des Neustart-Kulturprogramms im Rahmen der Bekämpfung der Folgen der Covid-19-Pandemie einbezogen ist; 2019 waren es 2,1 Milliarden). Dabei unterscheidet sich aufgrund der unterschiedlichen Landes- und kommunalen Mittel die Pro-Kopf-Finanzierung erheblich: In Berlin etwa wurden 2020 durchschnittlich rund 249 Euro pro Einwohner*in für Kultur ausgegeben, in Baden-Württemberg 130 Euro und in Rheinland-Pfalz lediglich 71. Mit Blick auf die Sparten, die von Kommunen, Ländern und Bund gefördert werden, wird die Zuständigkeitsverteilung einmal mehr deutlich: Die Förderung des Bundes beschränkt sich auf Gedenkstätten, Theater, Museen und andere Institutionen, die deutschlandweit Aufmerksamkeit und Relevanz genießen. Ebenso ist er für die gesamte internationale Kulturförderung (Auswärtige Kulturpolitik) zuständig. Der größte Teil der Theater, Museen oder Bibliotheken wird primär von den Ländern und insbesondere den Kommunen finanziert.

Prinzipien einer demokratischen Kulturpolitik

Oliver Scheytt, langjähriger Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und ehemaliger Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH, hat vor einiger Zeit den Begriff der „Governance“ ins Spiel gebracht, um die kulturpolitische Arbeitsweise in Deutschland zu beschreiben. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die vielen Akteur*innen auf dem Spielfeld der hiesigen Kulturpolitik – Parlamente, Kulturbehörden, Institutionen, Beauftragte, Verbände, Fonds, Stiftungen und Mittlerorganisationen – ein komplexes Räderwerk bilden, das sich gegenseitig unterstützt und prägt und dennoch von den Zielsetzungen der jeweiligen Ressortleitungen abhängig ist. Scheytt versteht unter dieser politischen Steuerung wohlwollend ein gemeinschaftliches Zusammenspiel: „Die aktivierende Kulturpolitik lebt weniger von der Entflechtung von Kompetenzen, als vielmehr von der reflektierten und bewussten Verflechtung von Verantwortlichkeiten. Kulturpolitische Steuerung und Entscheidungsfindung bedürfen des Zusammenwirkens der unterschiedlichen kulturellen Kräfte, wollen sie erfolgreich sein.“

Allerdings verheimlicht der „Governance“-Begriff nicht seine etymologische Nähe zum „Government“. Im Vergleich zum nordischen „Arm’s Length Principle" vermittelt sich mit Blick auf die deutsche Kulturpolitik der Eindruck, dass die jeweiligen kommunalen, Landes- und Bundesregierungen doch recht großen Einfluss auf die Kunst- und Kulturlandschaft haben – zumindest, wenn sie es forcieren. Für die Demokratie nicht ungefährlich wird „Kulturpolitik als Governance“ dann, wenn sie von radikalen und extremistischen Parteien gestaltet wird, wie es sich mancherorts bereits andeutet. Obwohl „Governance“ die Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen betont, in einer engeren Definition sogar ausdrücklich erstere ausschließt, impliziert der Begriff ein „Einmischen“ und eine Form der „Regulierung“ in einem Top-down-Modus.

Sinnvoll erscheint es daher, als weiteres Grundprinzip der Kulturpolitik neben die „Governance“ die „Polity“ zu setzen. Da diese Polity-Strukturen – Gesetze, Förderprogramme – stärker auf demokratische und rechtsstaatliche Grundlagen und Absprachen fokussieren, können sie weniger leicht nach tages- oder parteipolitischen Interessen instrumentalisiert werden. Die „Policies“ schließlich, die Inhalte und Themen der Kulturpolitik, können dann gemäß dieser Struktur entwickelt und debattiert werden. Die Forderung nach einer stärkeren Kontrolle der Kunstszenen durch staatliche Organe, wie sie in verschiedenen Zusammenhängen sichtbar wird, verdeutlicht das gegenwärtig stärker wahrnehmbare politische Ansinnen staatlicher Akteur*innen, auf künstlerische Inhalte Einfluss nehmen und darüber entscheiden zu wollen, wer von der Förderung profitieren und wer von ihr ausgeschlossen werden soll. Eine Abhängigkeit der inhaltlichen Ausrichtung der Künste von den Wünschen der Politik sollte jedoch alle Alarmglocken klingeln lassen – erinnert es doch in fataler Weise an das Reichskulturkammergesetz des NS-Regimes, das die Künste dem Propagandaministerium unterstellte und auf diese Weise überwachte. Künstlerische, gesellschaftliche oder soziale Kriterien bei der Entscheidung über Förderung würden zugunsten einer politischen Bewertung, die ideologisch missbraucht werden kann, in den Hintergrund rücken.

Gegenwärtig kann die kulturpolitische Polity jedoch noch auf eine fest etablierte rechtsstaatliche und demokratische Struktur bauen. Das Grundgesetz und die Landesgesetze betonen die Bedeutung der Vielseitigkeit von Kunst und Kultur; noch ist die Kunst- und Kulturlandschaft vielseitig aufgestellt. Die Zukunft der Demokratie aber wird auch davon abhängen, ob es den jeweiligen Institutionen, Verbänden und Szenen der Kunstpraxis gelingt, ihrer demokratischen Verantwortung gerecht zu werden. Ihre Aufgabe ist es, die Stimmenvielfalt der Gesellschaft in ihren Policies aufzunehmen, besonnen zu reflektieren und zur Bildung demokratischer Visionen des Zusammenlebens beizutragen, anstatt polare Muster und Freund-Feind-Schemata zu bedienen. Dazu benötigen sie Vertrauen seitens der Kulturpolitik in ihre Arbeit – und genügend zeitliche und finanzielle Ressourcen.

Eine dringliche bundeskulturpolitische Aufgabe wird es in Zukunft sein, diese Prozesse zu moderieren und hierfür die richtigen Rahmenbedingungen – eine demokratisch ausgerichtete Polity – zu garantieren. Langfristige landesweite und internationale Kunstförderungen sind ein Mittel, die Räume dieser Verhandlungen, die Kulturinstitutionen, Freien Szenen, Festivals und (auch digitalen) Kreativprogramme zu unterstützen. Es liegt nicht im Aufgabenbereich der Kulturpolitik, Inhalte und Formen zu bestimmen, wohl aber, den künstlerischen Austausch zwischen unterschiedlichen Gruppen zu fördern – und dabei auch jene demokratischen Prinzipien einzufordern, die im Grundgesetz zum Ausdruck kommen.

ist Professor für Kulturpolitik und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim.