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Staatliche Kulturpolitik und Kunstfreiheit | Kulturpolitik | bpb.de

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Staatliche Kulturpolitik und Kunstfreiheit

Matthias Cornils

/ 15 Minuten zu lesen

Das Verhältnis von Staat und Kunst ist nicht zuletzt wegen der engen Verflechtung beider Bereiche voraussetzungsreich. Erwartungen demokratisch legitimierter Träger und Förderer stoßen auf Autonomieansprüche der Kultureinrichtungen sowie der Künstler selbst.

„Die Kunst (ist) frei.“ Diese Formulierung in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes hat einen bemerkenswert objektivierenden, institutionellen Einschlag. Sie redet, anders als im Falle anderer Freiheitsrechte, nicht von der Freiheit der Grundrechtsträger, sondern von dem Gegenstand oder Bereich „der Kunst“. Gewiss ist die Gewährleistung der Kunstfreiheit auch – und zwar mit großer verfassungsnormativer Kraft – individuelles Abwehrrecht der Künstler und der sonst im Kunstbetrieb Tätigen. Aber sie ist eben auch, vielleicht sogar vorrangig, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden „Mephisto-Entscheidung“ angedeutet hat, eine „wertentscheidende Grundsatznorm“, eine Verbürgung der Autonomie des Lebensbereichs „Kunst“. Mit dieser Autonomiegewährleistung greift die Verfassung über die bloße Abwehr staatlicher Eingriffe hinaus. Sie wirkt auch im Bereich staatlicher Leistung und Förderung, mithin im Hauptbetätigungsfeld staatlicher Kulturpolitik.

Der rechtliche Schutz der Kunstfreiheit reagiert damit auf eine Lebenswirklichkeit, die in außerordentlich hohem Maße durch öffentliches Engagement geprägt ist. Der Kulturbereich ist (neben der nicht zufällig auch in Artikel 5 Absatz 3 GG grundrechtlich geschützten Wissenschaft) in Deutschland wohl das markanteste Beispiel für die Ermöglichung individueller Freiheit durch staatliche Bereitstellung von Ressourcen. Staatlich und vor allem kommunal getragene Kulturinstitutionen einerseits, die Förderung privater Einrichtungen und Künstler andererseits bestimmen die Kulturlandschaft wesentlich, bei den „Leuchttürmen“ der Hochkultur ganz dominierend. Der immer noch wohl weltweit in der Breite unvergleichliche Reichtum dieser Kulturlandschaft – Theater, Museen, Konzert- und Literaturhäuser, Klangkörper, Bibliotheken und Archive – verdankt sich entscheidend der öffentlichen Kulturpolitik. Unbequeme, avantgardistische, kritische, irritierende oder verstörende, bis zum Skandal umstrittene Inszenierungen und Ausstellungen finden gerade in öffentlich getragenen Häusern statt. Auch diese sind zwar Erwartungen des Publikums und der Politik ausgesetzt. Sie können sich diesen aber eher entgegenstellen als von der Publikumsnachfrage abhängige private Veranstalter und Kunstschaffende ohne öffentliche Förderung. Damit bestätigt die öffentlich getragene Kultur besonders eindrücklich, dass staatlich bereitgestellte Institutionen oder Fördermittel und individuelle Freiheit einander nicht ausschließen, erstere im Gegenteil sogar besonders geeignet sein können, Entfaltungsräume für individuelle Autonomie zu schaffen und zu umhegen.

Allerdings bleibt das Verhältnis von Staat und Kunst in dieser engen Verflechtung voraussetzungsreich. Erwartungen demokratisch legitimierter Träger und Förderer (der Parlamente und Kulturverwaltungen) stoßen auf die Autonomieansprüche der öffentlichen oder geförderten privaten Einrichtungen sowie der Künstler selbst. Diese Spannung ist dem öffentlichen Kulturbetrieb sowie der Kulturförderung inhärent. Sie wird – auch das gehört zum ganzen Bild – meist in wechselseitigem Respekt und informellen Arrangements abgearbeitet. Mit dem Beharren auf rechtlichen Kompetenzen lassen sich die häufig auf Dauer angelegten und auf Vertrauen angewiesenen Beziehungen zwischen öffentlichen Trägern/Förderern und der Kunst nicht befriedigend gestalten. Immer wieder brechen aber jene Spannungen doch auf, und es kommt zu Konflikten. Besondere Aufmerksamkeit haben in jüngster Zeit Ereignisse politischer oder weltanschaulicher Zuspitzung im Kulturbetrieb gefunden, auch wenn aufs Ganze gesehen Kunst vermutlich früher schon einmal politischer war als heute. Die neuen gesellschaftlichen Polarisierungen lassen aber auch den Kulturbetrieb nicht unberührt. Im Anschluss an den Documenta-Fifteen-Skandal im Sommer 2022 ist etwa eine Debatte um das zulässige oder gebotene Vorgehen gegen antisemitische Kunst, im Besonderen um Anti-Antisemitismusklauseln in Förderverträgen entbrannt. Indes handelt es sich dabei doch nur um einen Unterfall eines viel breiteren und seit jeher bekannten Grundproblems der Abgrenzung zulässiger Steuerung und Einflussnahme der hoheitlichen Kulturträger oder -förderer von unzulässigen Verletzungen der künstlerischen Autonomie der Einrichtungen und/oder Künstler.

Weitet man den Blick, fügt sich das Thema ein in den Gesamtkontext der allgemeineren, gerade in jüngerer Zeit intensiv geführten Kontroversen um die – umstrittene! – Gebotenheit staatlicher Neutralität, etwa in Religionsfragen oder im Parteienwettbewerb. Juristisch gilt das Feld für die öffentliche Kulturpflege als immer noch vergleichsweise wenig bestellt, jedenfalls weniger als in den Sachbereichen des Hochschulwesens oder auch des Medienverfassungsrechts. Namentlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Paradebeispiel für einen gesetzlich installierten und öffentlich finanzierten Entfaltungsraum grundrechtlicher Freiheit – und im Übrigen auch selbst ein schwergewichtiger kultureller Faktor, vor allem auf den Gebieten der Filmproduktion, aber auch mit seinen hochklassigen Klangkörpern.

Autonomie der Kunst

Autonomieschutz für die Kultureinrichtungen und die in ihnen (oder auch außerhalb) wirkenden Akteure verbürgt, soweit es sich bei den Darbietungen oder Ausstellungsgegenständen um Kunst handelt, das Grundrecht der Kunstfreiheit. Darüber hinaus können auch die Gewährleistungen der Wissenschaftsfreiheit (etwa bei einschlägigen Ausstellungen) oder der Meinungsfreiheit eingreifen. Verfassungsrechtlich zentral – aber in der Wahrnehmung außerhalb juristischer Kreise häufig nicht verstanden – ist, dass die grundsätzliche Schutzfähigkeit eines Verhaltens (hier der Kunsttätigkeit) noch keineswegs bedeutet, dass dieses Verhalten auch definitiv geschützt ist: Auch wenn etwas Kunst ist und also prinzipiell in den Autonomiebereich fällt, kann es doch – auf gesetzlicher Grundlage – verboten werden, wenn dafür überwiegende, ihrerseits verfassungsrangige Gründe bestehen. Die Rechtsordnung muss keine künstlerischen Körperverletzungen, Tieropfer oder rassistischen Kunstwerke dulden, kann (und muss) vielmehr auch diese den gesetzlichen Verboten unterwerfen. Schon daraus ergeben sich Reaktionsrechte und sogar -pflichten öffentlicher Kulturträger oder Förderer, wenn die geförderte Kunst Strafgesetze verletzt oder jugendschutzrechtlichen Verbreitungsverboten unterliegt.

Versuche, grundrechtlich begründete Konflikte zwischen Steuerung und Autonomie dadurch schon im Ansatz aufzuheben, dass der Kunstbegriff eng geführt wird und also ein Werk schon nicht in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fällt, dürften kaum anschlussfähig sein. Dies gilt sicher für den unhaltbaren Vorschlag, antisemitische Hervorbringungen kategorial aus dem Kunstbegriff auszuschließen. Man kann über gegenstandsinadäquate Verengungen oder die Konturlosigkeit der juristischen Definitionsversuche von Kunst streiten; die Fragwürdigkeit solcher – indes durch das Recht nun einmal abverlangten – Abgrenzungen von Kunst und Nichtkunst ist den Verfassungsjuristen wohl bewusst. Aber ein schon auf der Begriffsebene einsetzender Friedlichkeits- oder Erlaubtheitsvorbehalt für das, was Kunst im Rechtssinn sein soll, widerspricht nicht nur Jahrzehnte alter, etablierter Verfassungsrechtspraxis, sondern auch dem zugrunde liegenden theoretischen Grundverständnis von der Schutzwirkung der Grundrechte, das grundsätzlich auf eine weite Auslegung grundrechtlicher Schutzbereiche drängt. Ob ein – auch künstlerisches – Verhalten wegen schädlicher Effekte verboten werden darf, muss strukturiert und substanziell begründet und darf nicht durch Begriffsverengungen dekretiert werden. Mit einer solchen Verengung ginge auch eine Ebenenverwechslung und zudem eine in der Sache hochproblematische Präformierung des Kunstbegriffs einher. Ist etwas seinem Wesen nach Kunst, verliert es diese Eigenschaft nicht, weil es anstößig, nicht einmal, weil es strafwürdig oder strafbar ist. Man kommt dem Problem antisemitischer Kunst – die es eben geben kann und gibt! – also nicht dadurch bei, dass man einfach den Kunstbegriff passend reduziert.

Autonomie in Institutionen

Dem Verfassungsrecht ist die Unterscheidung zwischen der Abwehr staatlicher Eingriffe und der Förderung grundrechtlich gewährleisteter Aktivitäten geläufig. Die Kunstfreiheit schützt vor (nicht gerechtfertigten) Beschränkungen künstlerischer Betätigung sowie der Tätigkeiten im Wirkbereich der Kunst. Auf die Förderung durch öffentliche Mittel oder die Beschäftigung in öffentlichen Kultureinrichtungen hingegen besteht kein Anspruch. Daraus kann eine grundsätzliche Differenz der grundrechtlichen Schutzintensität hergeleitet werden. Aber: Für die Ausübung der Kunstfreiheit in öffentlichen Institutionen oder unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel ist die Differenz doch nur begrenzt belastbar. Die Oper oder das Stadtmuseum sind etwas anderes als der Betrieb eines kommunalen Schwimmbades. Der Staat kann die von ihm veranstaltete oder geförderte Kultur nicht ohne Weiteres mit der Hypothek irgendwelcher Anforderungen (kunstinhaltsbezogener oder kunstfremder Art) belasten. Vielmehr wirkt das Prinzip der Kunstfreiheit und der korrespondierende individuelle Schutzanspruch gerade auch in der öffentlichen Einrichtung oder gegenüber dem öffentlichen Förderer. Die Freiheit der Kunst besteht nicht nur vorstaatlich, sondern entsteht auch dort, wo der Staat Entfaltungsräume für die grundrechtliche Freiheit erst schafft oder erweitert. Dieser Gedanke und also die Schutzwirkung des Artikels 5 Absatz 3 GG im Rahmen öffentlicher Kulturpflege ist verfassungsrechtlich etabliert, unter anderem auch im Rundfunkrecht oder Hochschulrecht geläufig: Die Programmautonomie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und erst recht die individuelle Rundfunkfreiheit der für die Anstalten tätigen Redaktionen und Journalisten sind nicht schwächer als diejenigen des Privatrundfunks oder der Presse. Der Sinn des Grundrechts – die Schaffung von Räumen geistig-kreativer Autonomie – erfüllt sich hier gerade in öffentlichen Institutionen oder aufgrund öffentlicher Förderung. Der Unterschied zum staatlichen Eingriff ist also zwar rechtlich nicht bedeutungslos, trägt aber nicht sehr weit: Er kann – insbesondere über die Auftrags- oder Förderzieldefinition – weitergehende Begrenzungen des Autonomiespielraums als bei staatlichen Eingriffen rechtfertigen. Im Autonomiebereich bedürfen beschränkende Vorgaben aber jedenfalls rechtfertigender Gründe. Der grundrechtliche Autonomieanspruch zieht auch im Förderbereich solchen Vorgaben oder Einflussnahmen absolute Grenzen.

Öffentliche Kulturpflege als demokratische Entscheidung

Damit richtet sich der Blick auf die andere Seite des hier betrachteten Verhältnisses, mithin die staatliche und kommunale Kulturpolitik und -verwaltung. In der Beziehung zum Autonomiebereich der Kunst geht es insbesondere darum, ob aus der Träger- beziehungsweise Förderverantwortung des Staates Gründe für eine Steuerung oder Einflussnahme auf die kulturelle Betätigung hergeleitet werden können. Dass die staatliche Kulturpflege sich selbst auf einen verfassungsrechtlichen Legitimationsgrund stützen kann (Kulturstaatsziel), begründet noch keinen verfassungsrechtlichen Konflikt zur grundrechtlich geschützten Autonomie der geförderten Kunst. Die Kulturstaatlichkeit ist vielmehr zunächst gerade darauf gerichtet, freie Kunst zu ermöglichen, ihr zu besserer Entfaltung zu verhelfen. Aber es sind doch mit der Förderung zwangsläufig auch Bedingungen verbunden, die die Autonomie der Einrichtung oder der in ihr Tätigen berühren: Wenn etwas gefördert wird, kann nicht alles gefördert werden. Es stellt sich also die Aufgabe der Auswahl, für die Kriterien angelegt werden müssen. Intendanten, Generalmusikdirektoren, das Leitungspersonal kommunaler Kulturinstitute müssen berufen und dafür ausgewählt werden.

Die Entscheidung in Landes- oder Kommunalparlamenten über den sehr teuren Betrieb eines Drei-, Vier-, oder Fünf-Sparten-Hauses oder stattdessen der Förderung von „Kleinkunst“ ist demokratisch legitimiert, aber auch demokratisch zu verantworten. Mit ihr sind regelmäßig Erwartungen verbunden, die sich auf die Inhalte richten (was wird gefördert?), aber auch darüber hinaus gehen können (wer wird wozu gefördert?). Solche Erwartungen sind auch nicht schlechthin illegitim. Es dürfen mit der Entscheidung über die Subventionierung des Stadttheaters auch Vorgaben hinsichtlich der Aufgabe des Theaters und Vorstellungen hinsichtlich der Aufgabenerfüllung durch das Theater verbunden werden. Diese spielen dann etwa bei der Auswahl des Leitungspersonals selbstverständlich eine maßstäbliche Rolle. Schon hier zeigt sich, dass die Parole vom Verbot staatlichen Kunstrichtertums falsch verstanden wäre, wenn damit der Ausschluss des Trägers der öffentlichen Einrichtung von jedweder Mitentscheidung in Fragen gemeint sein sollte, die auch die Inhalte der Aufgabe betreffen. Vielmehr geht es offenkundig um eine kompliziertere Balance zwischen hoheitlicher, kulturstaatlicher Träger- oder Förderverantwortung und künstlerischer Autonomie, die, wie schon angemerkt, vor allem eine Frage gelebter Praxis und nur im pathologischen Fall rechtlicher Kompetenzstreitigkeiten ist.

Kunst und Trägerverantwortung im Spannungsverhältnis

Immerhin gibt es klare rechtliche Leitplanken für die Beurteilung dessen, was an Einflussnahme noch zulässig ist und was nicht. Außer Frage steht zunächst, dass Pflichten, die nicht den künstlerischen Bereich betreffen – etwa die Pflicht zu wirtschaftlichem, den gesetzten Budgetrahmen achtendem Ausgabeverhalten – errichtet und auch durchgesetzt werden können. Sie berühren die Kunstfreiheit schon gar nicht, sind also etwa kein Rechtfertigungsgrund für Budgetüberschreitungen, auch wenn dies offenbar in der Praxis von Intendanten nicht immer verstanden wird. Auch muss ein öffentlicher Träger oder Förderer keine eindeutig rechtswidrigen (etwa strafbaren) künstlerischen Betätigungen fördern oder in seinen Einrichtungen dulden. Soweit nicht ohnehin schon diese Ausnahmen vom Autonomieschutz greifen, ist die Grundregel einfach und wenig überraschend: Je spezifischer und inhaltsbezogener die Vorgabe oder Einwirkung ist, umso einschneidender betrifft sie die grundrechtlich geschützte künstlerische Autonomie. Je mehr dies der Fall ist, umso gewichtigere Gründe müssen dafür vorgebracht werden können.

Vorgaben auf der Mikroebene künstlerischer Tätigkeit (im Werk- und im Wirkbereich der Kunst) sind danach unzulässig, also etwa die Auswahl der zur Aufführung gebrachten Stücke (Programm-, Spielplangestaltung) oder der mitwirkenden Künstler, Anordnungen hinsichtlich der konkreten Gestaltung einer Ausstellung oder einer Inszenierung, selbstverständlich auch Einflussnahmen auf die Künstler selbst. Abstrakte Vorgaben hinsichtlich der grundsätzlichen Struktur (etwa der Sparten eines Theaterhauses) und des Auftrags (etwa: Oper oder populäres Volkstheater, klassisches Ballett oder zeitgenössischer Tanz) sind hingegen möglich, ebenso die Mitsprache von Vertretern des Trägers bei der Auswahl des Leitungspersonals. Kulturpolitische Grundentscheidungen können dem öffentlichen Träger oder Förderer nicht verwehrt sein; anders wäre schon eine sinnvolle Auswahl und Fokussierung der verfügbaren Mittel nicht denkbar. Jede gesetzliche oder verwaltungsmäßige Beauftragung einer Einrichtung muss einen Inhalt und damit auch Grenzen haben. Kulturpolitisches Engagement ist immer ein Stück weit eine Investition ins Ungewisse, aber doch kein Glücksspiel, bei dem der Träger oder Förderer nicht wissen und entscheiden darf, was er da eigentlich trägt oder fördert.

Natürlich lassen sich mit der genannten Faustregel schwierigere Fälle einer Einflussnahme im Zwischenbereich zwischen abstrakten Auftragsvorgaben und konkreten künstlerischen oder kunst-kuratorischen Gestaltungsentscheidungen noch nicht verlässlich bewältigen. Dies betrifft diejenigen Einwirkungen, die zwar noch keine zweifelsfreien Übergriffe in den Vorbehaltsbereich der künstlerischen Leitung oder der Künstler selbst sind, die sich aber doch einengend auf die Autonomie auswirken. Zu denken ist hier etwa an kunstimmanente, inhalts- und qualitätsbezogene Kriterien für die Auswahl der künstlerisch verantwortlichen Leitungspersonen oder eher allgemein-kunstfremde Anforderungen wie diejenige einer publikumswirksamen Breitenwirkung, eines wirtschaftlichen Erfolges, einer Vernetzung des in Rede stehenden kulturellen Angebots mit anderen Akteuren (Theater in der „Stadtgesellschaft“) oder eben auch des Eintretens gegen Rassismus oder Antisemitismus. Die Kunstfreiheit verlangt auch für solche Vorgaben, sofern sie auf eine qualitative Beurteilung der Akteure und ihrer Werke hinauslaufen, sehr wohl tragfähige Gründe. Auch diese Vorgaben erzeugen Lenkungsdruck hinsichtlich der genuin künstlerischen oder kunstbezogenen Tätigkeit – bis hin zu einer Verpflichtung zu konkretem Einschreiten gegen bestimmte (etwa rassistische) Inhalte einer Ausstellung. Derartige Vorgaben müssen sachgerecht und verhältnismäßig sein.

Staatsferne öffentlicher Kulturpflege?

Können für die rechtlich mitunter unsichere Bestimmung des Autonomieschutzes und seiner Grenzen die detaillierter ausgeformten Maßstäbe des Medienverfassungsrechts fruchtbar gemacht werden? Namentlich stellt sich diese Frage für den Grundsatz der Staatsferne der Medien. Dieser aus den Mediengrundrechten des Artikels 5 Absatz 1 Satz 2 GG hergeleitete Grundsatz könnte, griffe er auch hinsichtlich der staatlichen Kulturpolitik, das Verhältnis von Politik (oder Verwaltung) und Autonomie deutlich zum Vorteil der letzteren verschieben. Medienverfassungsrechtlich bedeutet „Staatsferne“ ein absolutes Betätigungsverbot für Hoheitsträger hinsichtlich der Medien – keine Staatspresse, kein Staatsrundfunk, kein Staatsinternet. Der in öffentlich-rechtlicher Rechtsform organisierte Rundfunk muss staatsfern organisiert sein, mithin so, dass staatliche Akteure keinen bestimmenden Einfluss auf das Rundfunkangebot ausüben können. Vergleichbares gilt bei der Aufsicht über private Medien und gälte bei Einführung einer Presseförderung auch für diese. Die Parallele zum Medienrecht scheint plausibel, weil sowohl der Grundsatz der Staatsferne als auch der Autonomieschutz der Kunst (kein staatliches Kunstrichtertum!) im Grundgesetz vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Missbrauchserfahrung entwickelt worden sind.

Doch bei näherem Zusehen zeigen sich signifikante Unterschiede. Sie treten schon beim Medien-Betätigungsverbot hervor: Ein vergleichbares Betätigungsverbot kennt das Kulturrecht nicht. Die in diesem Beitrag erörterten Fragen stellen sich überhaupt nur, weil der Staat und die Kommunen Kultureinrichtungen betreiben und Kunstschaffende fördern, und zwar nicht etwa nur mediatisiert über staatsfern organisierte Zwischeninstanzen wie die Rundfunk- oder Landesmedienanstalten, sondern in eigener Regie. Offenkundig findet eine gleichermaßen scharfe Ausgrenzung des Staates und seiner Mandatsträger, wie sie das Rundfunkrecht kennt, in der öffentlichen Kulturpflege nicht statt. Auch ein Verbot bestimmender Einflussnahme hat sich in der kulturverwaltungsrechtlichen Praxis jedenfalls nicht in vergleichbarer Strenge durchgesetzt. Zwar gibt es die verbreitete Praxis, bei inhaltsrelevanten Entscheidungen der Kulturverwaltung – etwa der Auswahlentscheidung über Leitungspersonal – externen Sachverstand, Findungskommissionen oder Beiräte, einzubeziehen. Eine dahingehende (Verfassungs-)Rechtspflicht ist aber (jedenfalls bei der Bestellung von Leitungspersonal) nicht anerkannt. Zudem behalten sich die Kulturreferate in den Ministerien oder Kommunen das Recht vor, über die von Bewerbern für eine Leitungsposition eingereichten programmatischen Konzepte nach eigenen Maßstäben zu urteilen und die Tätigkeit einer Intendanz oder Museumsleitung durch Zielvereinbarungen inhaltlich zu binden – wenn auch nicht mit Blick auf konkrete Spielplangestaltungen oder Ausstellungen, sehr wohl aber mit abstrakter gefassten, etwa genrebezogenen Vorgaben („ein Musical, zwei Stücke Kinder- und Jugendtheater je Saison“). Die Diskrepanz zum Rundfunk wird auch erkennbar bei den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Finanzierungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Das hier entwickelte Konzept streng bedarfsakzessorischer Finanzierungspflicht des Staates und einer weitgehenden Zurückdrängung von Gestaltungsmöglichkeiten der Länder bei der Finanzierung kennt die Kulturförderung nicht. Ihr sind Budgetierungen, auch Mittelkürzungen nach Finanzlage, die beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk undenkbar wären, nicht fremd. Eine Bestands-, Entwicklungs- und auch Finanzierungsgarantie wie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und eine also auch finanziell in einzigartiger Weise abgesicherte Autonomie – wird durch das Kulturstaatsprinzip nicht ausgesprochen.

Anti-Antisemitismusklauseln

In den gutachtlichen Beurteilungen der in jüngster Zeit vorgeschlagenen Anti-Antisemitismusklauseln scheint die Einschätzung vorherrschend, dass solche Klauseln, soweit sie eine Verpflichtung zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus enthalten, mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit noch vereinbar sind, allerdings wohl nur auf gesetzlicher Grundlage und bei (teilweise bestrittener) hinreichender Bestimmtheit der Formulierung solcher Klauseln. Auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liefert die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates auf die Bekämpfung des Antisemitismus (Artikel 3 Absatz 3 GG) einen hinreichend tragfähigen Beschränkungsgrund. Anders liegt es mit Klauseln, die von den Geförderten ein positives Bekenntnis zu einer vielfältigen Gesellschaft oder eine Positionierung gegen Diskriminierung und Antisemitismus (zumal noch unter Bezug auf eine bestimmte, indes umstrittene Antisemitismusdefinition wie jene der International Holocaust Remembrance Alliance) verlangen. Ein solches Bekenntnis hat keinen Bezug mehr zu den geförderten oder in öffentlicher Trägerschaft ausgestellten Werken. Der Förderer verkoppelt die Zuwendung sachwidrig mit einem persönlichen Haltungsbekenntnis. Die Anreicherung der Beurteilungskriterien um dieses kunstfremde Kriterium – Kunst kann eben auch antisemitisch sein – erreicht damit ein Gewicht, das mit der Kunstfreiheit nicht mehr vereinbar ist. Eine Frage politischer Klugheit ist indes, ob von der rechtlich danach wohl bestehenden Möglichkeit einer Vorababsicherung gegen Antisemitismus oder Diskriminierung durch entsprechende Klauseln in Förderrichtlinien wirklich Gebrauch gemacht werden sollte. Die damit begünstigte Politisierung kulturpolitischer Entscheidungspraxis und die rechtliche Antizipation des Skandals können das doch eigentlich auf die Ermöglichung von Kunst gerichtete Vertrauensverhältnis von Staat und Kulturschaffenden in bedenklicher Weise belasten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 30, 173 (188) – Mephisto.

  2. Vgl. Sophie-Charlotte Lenski, Öffentliches Kulturrecht, Tübingen 2013, S. 295.

  3. Vgl. Claas Friedrich Germelmann, Kultur und staatliches Handeln, Tübingen 2013, S. 439ff.

  4. Vgl. ebd., S. 341ff.

  5. Vgl. ebd., S. 217.

  6. Vgl. Christoph Möllers, Zur Zulässigkeit von präventiven Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung. Ein verfassungs- und verwaltungsrechtliches Kurzgutachten im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Berlin 2024, S. 31f.

  7. Vgl. Lukas Daum/Jeremias Düring/Constantin Luft, Weltumspannende Vernichtungsfantasien, 22.2.2023, Externer Link: https://verfassungsblog.de/weltumspannende-vernichtungsfantasien.

  8. Vgl. Nina Keller-Kemmerer, Judenfeindlichkeit und Kunstförderung: Für Anti-Antisemitismusklauseln in staatlichen Förderrichtlinien, in: Kritische Justiz 4/2023, S. 416–428; Möllers (Anm. 6); Christian Winterhoff/Katja Henckel/Matthias Klatt, Gutachterliche Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit der Einführung einer Antidiskriminierungsklausel für den Bereich der Kulturförderung im Land Berlin, erstellt im Auftrag der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt, Hamburg 2024.

  9. Vgl. Wolfgang Palm, Öffentliche Kunstförderung zwischen Kunstfreiheitsgarantie und Kulturstaat, Berlin 1998, S. 33; Christoph Möllers, Grundrechtliche Grenzen und grundrechtliche Schutzgebote staatlicher Kulturförderung. Rechtsgutachten im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Berlin 2022, S. 3.

  10. Vgl. Matthias Cornils, Rundfunkfreiheit, in: Klaus Stern/Helge Sodan/Markus Möstl (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, München 20222, §120 Rn. 59ff.

  11. Vgl. Matthias Cornils/Michael Naumann, ARD-Rundfunkklangkörper: Pflicht oder Kür? Legitimationsansätze zwischen Kulturauftrag und Haushaltsabgabe, in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht 1/2016, S. 1–12.

  12. Das steht außer Streit, siehe nur Möllers (Anm. 9), S. 40.

  13. Vgl. Hannes Ludyga, Kunstfreiheit und Antisemitismus, in: Neue Juristische Wochenschrift 11/2023, S. 713–717, hier Rn. 16.

  14. Vgl. Andreas von Arnauld, Art. 5 Abs. 3 (Kunstfreiheit), in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Rn. 41ff. (Stand: Mai 2017).

  15. Die vereinzelt gebliebene „Ausreißer“-Entscheidung eines Vorprüfungsausschusses des BVerfG im Fall des „Sprayers von Zürich“ ist durch die Senatsentscheidung zum Sampling inzwischen ausdrücklich korrigiert worden. Vgl. BVerfGE 142, 74 (104, Rn. 90).

  16. Vgl. Martin Borowski, Grundrechte als Prinzipien, Baden-Baden 20183, S. 66ff.

  17. Vgl. BVerfGE 80, 124 (134) – Postzeitungsdienst: „Der Staat genießt im Bereich der Grundrechtsförderung vielmehr einen weiteren Handlungsspielraum als im Bereich der Grundrechtseinschränkung.“

  18. Das Bundesverfassungsgericht spricht von der „Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern“ (Hervorh. nur hier), BVerfGE 36, 321 (331) – Schallplatten. Vgl. Palm (Anm. 9), S. 89; Keller-Kemmerer (Anm. 8), S. 424.

  19. Für eine solche Argumentation – recht weitgehend – Möllers (Anm. 6), S. 7ff.

  20. Eingehend Germelmann (Anm. 3), S. 31ff.

  21. Vgl. Möllers (Anm. 9), S. 15f.

  22. Vgl. ebd., S. 14f.

  23. Für eine recht weitgehende Neutralitätsforderung für den Förderbereich vgl. indes Keller-Kemmerer (Anm. 8), S. 424ff.

  24. So zuletzt BVerfGE 158, 389 (420ff.) – Staatsvertrag Rundfunkfinanzierung.

  25. Vgl. Möllers (Anm. 6), S. 22; Keller-Kemmerer (Anm. 8), S. 427f.

  26. Vgl. Winterhoff/Heckel/Klatt (Anm. 8), S. 11ff.

  27. Vgl. Kai Ambos et al., Die Implementation der IHRA-Arbeitsdefinition Antisemitismus ins deutsche Recht – eine rechtliche Beurteilung, 18.12.2023, Externer Link: https://verfassungsblog.de/die-implementation-der-ihra-arbeitsdefinition.

  28. Überzeugend Möllers (Anm. 6), S. 26ff.

  29. Vgl. ebd., S. 31f.

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ist Professor für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.