„Die Kunst (ist) frei.“ Diese Formulierung in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes hat einen bemerkenswert objektivierenden, institutionellen Einschlag. Sie redet, anders als im Falle anderer Freiheitsrechte, nicht von der Freiheit der Grundrechtsträger, sondern von dem Gegenstand oder Bereich „der Kunst“. Gewiss ist die Gewährleistung der Kunstfreiheit auch – und zwar mit großer verfassungsnormativer Kraft – individuelles Abwehrrecht der Künstler und der sonst im Kunstbetrieb Tätigen. Aber sie ist eben auch, vielleicht sogar vorrangig, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden „Mephisto-Entscheidung“ angedeutet hat,
Der rechtliche Schutz der Kunstfreiheit reagiert damit auf eine Lebenswirklichkeit, die in außerordentlich hohem Maße durch öffentliches Engagement geprägt ist.
Allerdings bleibt das Verhältnis von Staat und Kunst in dieser engen Verflechtung voraussetzungsreich. Erwartungen demokratisch legitimierter Träger und Förderer (der Parlamente und Kulturverwaltungen) stoßen auf die Autonomieansprüche der öffentlichen oder geförderten privaten Einrichtungen sowie der Künstler selbst. Diese Spannung ist dem öffentlichen Kulturbetrieb sowie der Kulturförderung inhärent.
Weitet man den Blick, fügt sich das Thema ein in den Gesamtkontext der allgemeineren, gerade in jüngerer Zeit intensiv geführten Kontroversen um die – umstrittene! – Gebotenheit staatlicher Neutralität, etwa in Religionsfragen oder im Parteienwettbewerb. Juristisch gilt das Feld für die öffentliche Kulturpflege als immer noch vergleichsweise wenig bestellt,
Autonomie der Kunst
Autonomieschutz für die Kultureinrichtungen und die in ihnen (oder auch außerhalb) wirkenden Akteure verbürgt, soweit es sich bei den Darbietungen oder Ausstellungsgegenständen um Kunst handelt, das Grundrecht der Kunstfreiheit. Darüber hinaus können auch die Gewährleistungen der Wissenschaftsfreiheit (etwa bei einschlägigen Ausstellungen) oder der Meinungsfreiheit eingreifen. Verfassungsrechtlich zentral – aber in der Wahrnehmung außerhalb juristischer Kreise häufig nicht verstanden – ist, dass die grundsätzliche Schutzfähigkeit eines Verhaltens (hier der Kunsttätigkeit) noch keineswegs bedeutet, dass dieses Verhalten auch definitiv geschützt ist: Auch wenn etwas Kunst ist und also prinzipiell in den Autonomiebereich fällt, kann es doch – auf gesetzlicher Grundlage – verboten werden, wenn dafür überwiegende, ihrerseits verfassungsrangige Gründe bestehen. Die Rechtsordnung muss keine künstlerischen Körperverletzungen, Tieropfer oder rassistischen Kunstwerke dulden, kann (und muss) vielmehr auch diese den gesetzlichen Verboten unterwerfen. Schon daraus ergeben sich Reaktionsrechte und sogar -pflichten öffentlicher Kulturträger oder Förderer, wenn die geförderte Kunst Strafgesetze verletzt oder jugendschutzrechtlichen Verbreitungsverboten unterliegt.
Versuche, grundrechtlich begründete Konflikte zwischen Steuerung und Autonomie dadurch schon im Ansatz aufzuheben, dass der Kunstbegriff eng geführt wird und also ein Werk schon nicht in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fällt, dürften kaum anschlussfähig sein. Dies gilt sicher für den unhaltbaren Vorschlag, antisemitische Hervorbringungen kategorial aus dem Kunstbegriff auszuschließen.
Autonomie in Institutionen
Dem Verfassungsrecht ist die Unterscheidung zwischen der Abwehr staatlicher Eingriffe und der Förderung grundrechtlich gewährleisteter Aktivitäten geläufig. Die Kunstfreiheit schützt vor (nicht gerechtfertigten) Beschränkungen künstlerischer Betätigung sowie der Tätigkeiten im Wirkbereich der Kunst. Auf die Förderung durch öffentliche Mittel oder die Beschäftigung in öffentlichen Kultureinrichtungen hingegen besteht kein Anspruch. Daraus kann eine grundsätzliche Differenz der grundrechtlichen Schutzintensität hergeleitet werden.
Öffentliche Kulturpflege als demokratische Entscheidung
Damit richtet sich der Blick auf die andere Seite des hier betrachteten Verhältnisses, mithin die staatliche und kommunale Kulturpolitik und -verwaltung. In der Beziehung zum Autonomiebereich der Kunst geht es insbesondere darum, ob aus der Träger- beziehungsweise Förderverantwortung des Staates Gründe für eine Steuerung oder Einflussnahme auf die kulturelle Betätigung hergeleitet werden können. Dass die staatliche Kulturpflege sich selbst auf einen verfassungsrechtlichen Legitimationsgrund stützen kann (Kulturstaatsziel),
Die Entscheidung in Landes- oder Kommunalparlamenten über den sehr teuren Betrieb eines Drei-, Vier-, oder Fünf-Sparten-Hauses oder stattdessen der Förderung von „Kleinkunst“ ist demokratisch legitimiert, aber auch demokratisch zu verantworten. Mit ihr sind regelmäßig Erwartungen verbunden, die sich auf die Inhalte richten (was wird gefördert?), aber auch darüber hinaus gehen können (wer wird wozu gefördert?). Solche Erwartungen sind auch nicht schlechthin illegitim. Es dürfen mit der Entscheidung über die Subventionierung des Stadttheaters auch Vorgaben hinsichtlich der Aufgabe des Theaters und Vorstellungen hinsichtlich der Aufgabenerfüllung durch das Theater verbunden werden. Diese spielen dann etwa bei der Auswahl des Leitungspersonals selbstverständlich eine maßstäbliche Rolle. Schon hier zeigt sich, dass die Parole vom Verbot staatlichen Kunstrichtertums falsch verstanden wäre, wenn damit der Ausschluss des Trägers der öffentlichen Einrichtung von jedweder Mitentscheidung in Fragen gemeint sein sollte, die auch die Inhalte der Aufgabe betreffen. Vielmehr geht es offenkundig um eine kompliziertere Balance zwischen hoheitlicher, kulturstaatlicher Träger- oder Förderverantwortung und künstlerischer Autonomie, die, wie schon angemerkt, vor allem eine Frage gelebter Praxis und nur im pathologischen Fall rechtlicher Kompetenzstreitigkeiten ist.
Kunst und Trägerverantwortung im Spannungsverhältnis
Immerhin gibt es klare rechtliche Leitplanken für die Beurteilung dessen, was an Einflussnahme noch zulässig ist und was nicht. Außer Frage steht zunächst, dass Pflichten, die nicht den künstlerischen Bereich betreffen – etwa die Pflicht zu wirtschaftlichem, den gesetzten Budgetrahmen achtendem Ausgabeverhalten – errichtet und auch durchgesetzt werden können. Sie berühren die Kunstfreiheit schon gar nicht,
Vorgaben auf der Mikroebene künstlerischer Tätigkeit (im Werk- und im Wirkbereich der Kunst) sind danach unzulässig, also etwa die Auswahl der zur Aufführung gebrachten Stücke (Programm-, Spielplangestaltung) oder der mitwirkenden Künstler, Anordnungen hinsichtlich der konkreten Gestaltung einer Ausstellung oder einer Inszenierung, selbstverständlich auch Einflussnahmen auf die Künstler selbst. Abstrakte Vorgaben hinsichtlich der grundsätzlichen Struktur (etwa der Sparten eines Theaterhauses) und des Auftrags (etwa: Oper oder populäres Volkstheater, klassisches Ballett oder zeitgenössischer Tanz) sind hingegen möglich, ebenso die Mitsprache von Vertretern des Trägers bei der Auswahl des Leitungspersonals. Kulturpolitische Grundentscheidungen können dem öffentlichen Träger oder Förderer nicht verwehrt sein; anders wäre schon eine sinnvolle Auswahl und Fokussierung der verfügbaren Mittel nicht denkbar. Jede gesetzliche oder verwaltungsmäßige Beauftragung einer Einrichtung muss einen Inhalt und damit auch Grenzen haben. Kulturpolitisches Engagement ist immer ein Stück weit eine Investition ins Ungewisse, aber doch kein Glücksspiel, bei dem der Träger oder Förderer nicht wissen und entscheiden darf, was er da eigentlich trägt oder fördert.
Natürlich lassen sich mit der genannten Faustregel schwierigere Fälle einer Einflussnahme im Zwischenbereich zwischen abstrakten Auftragsvorgaben und konkreten künstlerischen oder kunst-kuratorischen Gestaltungsentscheidungen noch nicht verlässlich bewältigen. Dies betrifft diejenigen Einwirkungen, die zwar noch keine zweifelsfreien Übergriffe in den Vorbehaltsbereich der künstlerischen Leitung oder der Künstler selbst sind, die sich aber doch einengend auf die Autonomie auswirken. Zu denken ist hier etwa an kunstimmanente, inhalts- und qualitätsbezogene Kriterien für die Auswahl der künstlerisch verantwortlichen Leitungspersonen oder eher allgemein-kunstfremde Anforderungen wie diejenige einer publikumswirksamen Breitenwirkung, eines wirtschaftlichen Erfolges, einer Vernetzung des in Rede stehenden kulturellen Angebots mit anderen Akteuren (Theater in der „Stadtgesellschaft“) oder eben auch des Eintretens gegen Rassismus oder Antisemitismus. Die Kunstfreiheit verlangt auch für solche Vorgaben, sofern sie auf eine qualitative Beurteilung der Akteure und ihrer Werke hinauslaufen, sehr wohl tragfähige Gründe. Auch diese Vorgaben erzeugen Lenkungsdruck hinsichtlich der genuin künstlerischen oder kunstbezogenen Tätigkeit – bis hin zu einer Verpflichtung zu konkretem Einschreiten gegen bestimmte (etwa rassistische) Inhalte einer Ausstellung. Derartige Vorgaben müssen sachgerecht und verhältnismäßig sein.
Staatsferne öffentlicher Kulturpflege?
Können für die rechtlich mitunter unsichere Bestimmung des Autonomieschutzes und seiner Grenzen die detaillierter ausgeformten Maßstäbe des Medienverfassungsrechts fruchtbar gemacht werden? Namentlich stellt sich diese Frage für den Grundsatz der Staatsferne der Medien. Dieser aus den Mediengrundrechten des Artikels 5 Absatz 1 Satz 2 GG hergeleitete Grundsatz könnte, griffe er auch hinsichtlich der staatlichen Kulturpolitik, das Verhältnis von Politik (oder Verwaltung) und Autonomie deutlich zum Vorteil der letzteren verschieben. Medienverfassungsrechtlich bedeutet „Staatsferne“ ein absolutes Betätigungsverbot für Hoheitsträger hinsichtlich der Medien – keine Staatspresse, kein Staatsrundfunk, kein Staatsinternet. Der in öffentlich-rechtlicher Rechtsform organisierte Rundfunk muss staatsfern organisiert sein, mithin so, dass staatliche Akteure keinen bestimmenden Einfluss auf das Rundfunkangebot ausüben können. Vergleichbares gilt bei der Aufsicht über private Medien und gälte bei Einführung einer Presseförderung auch für diese. Die Parallele zum Medienrecht scheint plausibel, weil sowohl der Grundsatz der Staatsferne als auch der Autonomieschutz der Kunst (kein staatliches Kunstrichtertum!) im Grundgesetz vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Missbrauchserfahrung entwickelt worden sind.
Doch bei näherem Zusehen zeigen sich signifikante Unterschiede. Sie treten schon beim Medien-Betätigungsverbot hervor: Ein vergleichbares Betätigungsverbot kennt das Kulturrecht nicht. Die in diesem Beitrag erörterten Fragen stellen sich überhaupt nur, weil der Staat und die Kommunen Kultureinrichtungen betreiben und Kunstschaffende fördern, und zwar nicht etwa nur mediatisiert über staatsfern organisierte Zwischeninstanzen wie die Rundfunk- oder Landesmedienanstalten, sondern in eigener Regie. Offenkundig findet eine gleichermaßen scharfe Ausgrenzung des Staates und seiner Mandatsträger, wie sie das Rundfunkrecht kennt, in der öffentlichen Kulturpflege nicht statt. Auch ein Verbot bestimmender Einflussnahme hat sich in der kulturverwaltungsrechtlichen Praxis jedenfalls nicht in vergleichbarer Strenge durchgesetzt. Zwar gibt es die verbreitete Praxis, bei inhaltsrelevanten Entscheidungen der Kulturverwaltung – etwa der Auswahlentscheidung über Leitungspersonal – externen Sachverstand, Findungskommissionen oder Beiräte, einzubeziehen. Eine dahingehende (Verfassungs-)Rechtspflicht ist aber (jedenfalls bei der Bestellung von Leitungspersonal) nicht anerkannt.
Anti-Antisemitismusklauseln
In den gutachtlichen Beurteilungen der in jüngster Zeit vorgeschlagenen Anti-Antisemitismusklauseln scheint die Einschätzung vorherrschend, dass solche Klauseln, soweit sie eine Verpflichtung zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus enthalten, mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit noch vereinbar sind,