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Liberale Weltordnung Editorial Liberale Demokratien unter Druck. Geoökonomische, geopolitische und innere Herausforderungen Trump 2.0 und die Abkehr von der Liberalen Internationalen Ordnung Demokratien unter Druck? Weltordnung und Geldordnung. Gegenwart und Zukunft des internationalen Währungssystems Zu einer echt-stabilen Weltordnung - Essay

Liberale Demokratien unter Druck Geoökonomische, geopolitische und innere Herausforderungen

Daniela Schwarzer

/ 15 Minuten zu lesen

Der Einfluss liberaler Demokratien in der internationalen Weltordnung geht zurück. Wirtschaftliche Abhängigkeiten, geopolitische Konfliktlinien und Demokratieabbau: Welche Handlungsspielräume haben (europäische) Demokratien angesichts dieser Herausforderungen?

Zu den größten Herausforderungen für Deutschland und Europa in den 2020er Jahren gehören der rapide Wandel im internationalen System und der relative Einflussverlust liberaler Demokratien. Die globale Ordnung verändert sich mit einer Dynamik und Tiefe, deren Ausmaß noch nicht voll abzuschätzen ist. Absehbar ist allerdings, dass die über Jahrzehnte vom politischen Westen geprägte liberale, regelbasierte Weltordnung die internationalen Beziehungen immer weniger bestimmen wird. Das hat weitreichende Folgen für Deutschland und Europa, deren offene Wirtschaftsmodelle und internationalen Kooperationsbestrebungen einen regelbasierten internationalen Rahmen voraussetzen.

Die in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere seit Ende des Ost-West-Konflikts handlungsleitenden Annahmen, dass sich die internationale wirtschaftliche Verflechtung vertieft und so Stabilität und Verlässlichkeit in den zwischenstaatlichen Beziehungen gestützt werden, dass multilaterale Institutionen internationale Zusammenarbeit und friedliche Konfliktbeilegung fördern und dass sich demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien als universelle Normen ausbreiten, müssen korrigiert werden. Das belegen die sinkende Anzahl demokratischer Staaten weltweit, der Einsatz von wirtschaftlichen Abhängigkeiten als Machtinstrumente, Russlands Krieg in Europa und auch die zunehmende geopolitische Entkopplung von Wirtschaftsblöcken. Diese Entwicklungen haben weitreichende Konsequenzen für die deutsche und europäische Politik, das europäische Wirtschaftsmodell und für Demokratien westlicher Prägung weltweit.

Liberale Demokratien und die von ihnen geschaffenen Ordnungsstrukturen büßen im internationalen System an Gestaltungsmacht ein. Laut Bertelsmann Transformation Index lebten 2004 noch 51 Prozent der Weltbevölkerung in Demokratien, 2024 waren es nur noch 28 Prozent. Autoritäre Staaten verbünden sich zusehends, um die Weltordnung nach ihren Maßstäben zu gestalten. Diese Entwicklungen sind seit einigen Jahren zu beobachten, und der relative Bedeutungsverlust des politischen Westens – insbesondere gegenüber China und anderen asiatischen Staaten – wird bereits seit den 1990er Jahren immer wieder diskutiert und belegt.

Doch markiert das Jahr 2025 eine besondere Zäsur. Mit dem zweiten Amtsantritt des Republikaners Donald Trump als US-Präsident verändert sich die Rolle der USA grundlegend: im internationalen System, in den transatlantischen Beziehungen und als Anker des politischen Westens. Bereits in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit schwächte der US-Präsident die Demokratie in den USA, er zog das Land aus multilateralen Institutionen zurück und veränderte Politiken, die konstituierend für die internationale Rolle der USA waren. Autokratischen Akteuren wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin näherte er sich an. In den USA – der ältesten Demokratie der Welt und einst globales Vorbild für Transformationsstaaten und gefestigte Demokratien – erodieren demokratische Institutionen und Normen. Auch andere, einst stabile Demokratien sind im Inneren unter Druck, während die externen Herausforderungen zunehmen. Für EU-Staaten neu ist das Ausmaß, mit dem sich die USA in europäische Demokratien einmischen, insbesondere, um rechtspopulistische Kräfte zu stärken: US-Vizepräsident JD Vance etwa griff europäische Regierungen an und sucht den Schulterschluss mit populistischen und extremistischen Parteien in Europa.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich europäische Demokratien schützen können und welche Handlungsspielräume sie in einer zunehmend fragmentierten und von Systemkonflikten geprägten Welt noch haben. Um dies in einem sich weiterhin dynamisch entwickelnden Kontext analysieren zu können, ist es sinnvoll, drei zentrale Dimensionen in den Blick zu nehmen: die geoökonomischen Rahmenbedingungen, die geopolitischen Konfliktlinien und die innere Widerstandskraft liberaler Demokratien. Das Zusammenwirken von externen Herausforderungen und innerer Resilienz wird maßgeblich darüber entscheiden, ob demokratische Staatsformen Bestand haben oder weiter intern erodieren und damit international an Einfluss verlieren werden.

Geoökonomie: Wirtschaft als Machtinstrument

Regierungen setzen immer wieder wirtschaftliche Abhängigkeiten als machtpolitisches Mittel ein, und nach einer Phase der nahezu weltweiten wirtschaftlichen Öffnung und Globalisierung sind Europa und Deutschland davon zunehmend betroffen. Am wohl intensivsten diskutiert wird in diesem Zusammenhang die sogenannte Belt-and-Road-Initiative. Seit 2013 verfolgt China damit nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch das strategische Ziel, seinen Einfluss zu stärken, sowohl regional als auch global. Dazu dienen etwa die Absicherung von Rohstoffzugängen und Handelsrouten, Infrastrukturprojekte wie Häfen, Straßen oder Eisenbahnstrecken oder auch die Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten durch Finanzierungen und Kredite.

In Europa sorgte erst die Coronapandemie ab 2020 für einen wirklichen Wendepunkt in der Diskussion über seine strategischen Abhängigkeiten und die Risiken, die mit tiefer wirtschaftlicher Verflechtung einhergehen können. Lockdowns, Fabrikschließungen und gestörte Transportwege führten zu Engpässen bei essenziellen Gütern – von medizinischen Gütern bis hin zu Halbleitern, die für nahezu alle modernen Industrien unverzichtbar sind. Die starke Abhängigkeit von international verzweigten Wertschöpfungsketten stellte sich als weit mehr als nur ein logistisches Problem heraus. Kontrollverluste durch strategische Direktinvestitionen von ausländischen Akteuren werden seither als strategische Schwachstelle der EU angesehen.

Mit Russlands umfassenden Angriff auf die Ukraine seit Februar 2022 rückten vor allem energiepolitische Abhängigkeiten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Um gegenüber Russland, das die Energieabhängigkeit als Druckmittel einsetzte, außenpolitisch (in diesem Fall durch Sanktionen und Energieembargos) handeln zu können, musste Europa und insbesondere Deutschland in kürzester Zeit seine Energieversorgung neu strukturieren und alternative Quellen erschließen, was mit erheblichen Kosten und Risiken verbunden war.

Während diese Umstellung in Europa in enger Zusammenarbeit mit der vom Demokraten Joe Biden geführten US-Regierung bewältigt wurde, setzt Trump in seiner zweiten Amtszeit verstärkt die Verknüpfung von Handelsfragen mit geopolitischen Zielen gegenüber Europa ein. Aus europäischer Sicht sind die von Trump im April 2025 angekündigten Zölle besonders relevant: Die Maßnahmen richten sich gezielt gegen Handelspartner, von denen er Konzessionen in anderen Bereichen einfordert. So könnten die EU-Staaten durch Zölle von bis zu 20 Prozent dazu gedrängt werden, ihre Verteidigungsausgaben weiter zu erhöhen und zugunsten von US-Konzernen, insbesondere im Tech-Sektor, regulatorische Zugeständnisse zu machen. Gleichzeitig koppelte Washington weitere Unterstützung für die Ukraine an Zugangsrechte zu ukrainischen Rohstoffvorkommen, ein entsprechendes Abkommen wurde in Rekordzeit unterzeichnet. Auch gegenüber anderen Regionen setzt die Trump-Administration Zölle als Druckmittel ein: Von Kolumbien etwa erzwang er so eine verstärkte Kooperation in Migrationsfragen.

Bereits während seiner ersten Präsidentschaft ab 2017 setzte Trump wirtschaftliche Sicherheit mit nationaler Sicherheit gleich und veranlasste unter anderem schärfere Investitionskontrollen und hohe Zölle gegen China. Auch sein Nachfolger Biden weitete Investitionskontrollen aus. 2025 machte Trump es zu einer seiner ersten Amtshandlungen, die Zölle auf chinesische Waren drastisch zu erhöhen und den Export von Halbleitern weiter einzuschränken.

China selbst verfolgt seit einigen Jahren eine gezielte Strategie der wirtschaftlichen Autonomie. Staatspräsident Xi Jinping setzt dabei auf massive Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie auf eine umfassende Modernisierung der heimischen Industrie, um technologische Abhängigkeiten vom Ausland zu reduzieren. Gleichzeitig strebt Beijing danach, internationale Lieferketten noch stärker von China abhängig zu machen, um die wirtschaftliche Hebelwirkung auf andere Staaten zu erhöhen.

Die Weltwirtschaft entfernt sich damit immer weiter von dem Modell offener Märkte und freier Handelsströme und ist in eine Phase wirtschaftlicher Blockbildung eingetreten. Nicht nur China und die USA, sondern auch die EU und andere Wirtschaftsmächte verfolgen mittlerweile das Ziel, sich gegen externe Abhängigkeiten abzusichern und ihre wirtschaftliche Resilienz zu stärken. Die EU arbeitet angesichts der veränderten geoökonomischen Rahmenbedingungen an einer Strategie wirtschaftlicher Resilienz. Die Diversifizierung von Handelsbeziehungen, der Aufbau eigener Produktionskapazitäten in strategisch wichtigen Industrien und eine verstärkte Industriepolitik sind zentrale Elemente dieser Neuausrichtung. Besonders in den Bereichen Halbleiter, Rohstoffe und Energietechnologien setzt Brüssel auf eine Verringerung externer Abhängigkeiten.

Auch andere Wirtschaftsmächte setzen zunehmend auf den Schutz ihrer wirtschaftlichen Souveränität. Indien verfolgt unter dem Leitmotiv „Selbstständiges Indien“ das Ziel, unabhängiger von globalen Lieferketten zu werden und Schlüsselindustrien im eigenen Land zu stärken. Japan und Großbritannien haben das Konzept der Wirtschaftssicherheit fest in ihre nationalen Sicherheitsstrategien integriert und eigene Kabinettsposten geschaffen.

Parallel zur Fragmentierung der Weltwirtschaft verändert sich das globale wirtschaftliche Machtgefüge. Während die traditionellen Industrienationen über Jahrzehnte die Weltwirtschaft dominierten, gewinnen andere Staaten zunehmend an Einfluss. China hat sich bereits als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt etabliert und steht kurz davor, die USA als führende Wirtschaftsmacht abzulösen. Indien, mit einer jungen Bevölkerung und einem dynamischen Dienstleistungs- und Fertigungssektor, könnte Deutschland noch in diesem Jahrzehnt als drittgrößte Volkswirtschaft überholen. Indonesien, mit einer Bevölkerung von über 270 Millionen Menschen, entwickelt sich zur führenden Volkswirtschaft Südostasiens. Brasilien und Nigeria, beide rohstoffreich und mit enormem Marktpotenzial, dürften langfristig ebenfalls eine stärkere Rolle in der Weltwirtschaft spielen.

Der Anteil der G7 am weltweiten Bruttoinlandsprodukt sank von über 44 Prozent im Jahr 2000 auf unter 30 Prozent seit 2022. Das wirtschaftliche Gravitationszentrum verlagert sich bereits in neue Handelsblöcke und multilaterale Initiativen. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) haben ihre Zusammenarbeit ausgebaut und sich um neue Mitglieder wie Ägypten, Äthiopien und Saudi-Arabien erweitert. In vielen dieser Länder wächst die Bereitschaft, sich von westlich dominierten Finanz- und Handelssystemen zu lösen.

Um nicht weiter an Einfluss zu verlieren, müssen die liberalen Demokratien auch künftig sehr bewusst ihre Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz stärken. Für Europa bedeutet das eine Vertiefung des Binnenmarkts und engere Kooperationen in strategisch wichtigen Zukunftsbranchen wie dem Technologiesektor, idealerweise unter Einbeziehung Großbritanniens. Zudem sollte die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern außerhalb Europas, etwa mit den G7-Staaten Japan oder Südkorea, gestärkt werden. Schließlich sollte intensiv in die Beziehungen zu aufstrebenden Wirtschaftsmächten investiert werden, wobei Risiken durch neue strategische Abhängigkeiten minimiert werden sollten.

Geopolitik: Neue machtbasierte Ordnung

Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markierte nicht den Beginn eines Krieges, sondern die weitere Eskalation eines Prozesses, der die europäische Sicherheitsarchitektur bereits seit Jahren untergraben hatte. Bereits die Annexion der Krim 2014 zeigte, dass Moskau seine Interessen auch mit militärischer Gewalt durchsetzt, entgegen internationaler Rechtsprinzipien und der Grundlagen der Europäischen Sicherheitsordnung. Dennoch hielten politische Entscheider in Deutschland und anderen EU-Staaten lange an der Annahme fest, dass wirtschaftliche Verflechtung und diplomatische Einbindung Russland mäßigen würden, während etwa die baltischen Staaten und Polen vergeblich vor der aggressiven russischen Politik warnten. Erst mit der umfassenden russischen Invasion in die Ukraine 2022 änderte sich die Politik der versuchten Mäßigung.

Der politische Westen reagierte zunächst mit bemerkenswerter Einigkeit: Die NATO agierte geschlossen, die G7-Staaten stimmten Sanktionen untereinander ab und europäische Länder leisteten gemeinsam mit den USA massive militärische, wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung für die Ukraine. Doch Staaten anderer Weltregionen – darunter Indien, Brasilien oder Südafrika – lehnten eine öffentliche Verurteilung des russischen Angriffs ab und schlossen sich nicht der Sanktionspolitik an. Viele dieser Regierungen interpretieren den Krieg in der Ukraine als weitere Krise einer Weltordnung, die sie als von westlichen Interessen dominiert wahrnehmen.

Der wohl gravierendste geopolitische Wendepunkt seit Beginn des Krieges in der Ukraine geht mit dem erneuten Amtsantritt Trumps und dem damit verbundenen Politikwechsel der USA einher. So versprach der US-Präsident eine rasche Konfliktbeilegung und stützte gleichzeitig öffentlich russische Narrative – etwa, indem er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als „Diktator ohne Wahlen“ bezeichnete und die Ukraine für den Beginn des Krieges verantwortlich machte. Im März 2025 setzten die USA die Unterstützung für die Ukraine vorübergehend aus. Zwar wurden die Hilfen später wieder aufgenommen, doch das Vertrauen in die Verlässlichkeit Washingtons ist erschüttert – auch weil die Wiederaufnahme in engem Zusammenhang mit dem Abkommen über den Zugang zu ukrainischen Rohstoffen stand.

Von den europäischen NATO-Partnern verlangt Trump, dass Europa künftig die Hauptlast der Ukraine-Hilfen trägt und im Falle einer Friedenslösung Sicherheitsgarantien übernimmt. Für Deutschland als zweitgrößtem Unterstützer der Ukraine bedeutet dies eine erhebliche zusätzliche Verantwortung. Zudem will der US-Präsident den amerikanischen Beitrag zur europäischen Verteidigung reduzieren und forderte die europäischen Alliierten der USA auf, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Unklarheit besteht derzeit zur Frage, unter welchen Bedingungen die USA ihre Sicherheitsgarantien für Europa aufrechterhalten und wann sie einen möglichen (Teil-)Rückzug vom europäischen Kontinent planen. Der Verlust der USA als verlässlicher Partner hat gravierende Konsequenzen für die europäische Sicherheitsarchitektur und schlägt sich bereits jetzt in der Mobilisierung erheblicher Verteidigungsausgaben nieder.

Die Kehrseite der neuen US-Politik gegenüber der Ukraine und den europäischen NATO-Partnern ist ein deutlich größerer Fokus der USA auf ihre Interessen in Asien. Der Wettstreit mit China um die Frage, wer der einflussreichste Staat ist, bestimmt die Strategie der USA zusehends. Dabei sieht Washington internationale Organisationen allerdings nicht als relevanten Handlungsrahmen. Binnen weniger Wochen nach Trumps Rückkehr ins Amt am 20. Januar 2025 kündigte die US-Regierung ihren Rückzug aus zentralen multilateralen Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaschutzabkommen an. Damit ist das Land, das den größten Einfluss auf den Aufbau der liberalen Weltordnung hatte und über Jahrzehnte stark von ihr profitiert hat, zu ihrem größten Herausforderer geworden.

Während Europa und die USA auseinanderdriften, formiert sich eine immer engere Allianz autoritärer Staaten. Russland, China, der Iran und Nordkorea haben ihre Zusammenarbeit intensiviert und teilen das strategische Ziel, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben. Russland wird in der Ukraine militärisch von Nordkorea durch Söldner und Artilleriemunition unterstützt und erhält vom Iran Drohnen und Raketen. China liefert Russland Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Russland, China und der Iran nutzen zudem wirtschaftliche und politische Partnerschaften, um ihre Einflusszonen auszubauen und westliche Staaten diplomatisch zu isolieren. Parallel destabilisieren autokratische Staaten liberale Demokratien durch hybride Methoden. Russland etwa kombiniert Cyberangriffe, Desinformation und Sabotageakte, etwa durch die wiederholte Beschädigung von Unterseekabeln in der Ostsee.

Um auf diese neue Lage zu reagieren, sollten zentrale europäische Staaten – darunter Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen, die Niederlande, die baltischen und die nordischen Staaten – die Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit intensivieren. Dabei gilt es, innerhalb der NATO handlungsfähig zu bleiben und eine eigenständige europäische Sicherheitsarchitektur vorzubereiten. Der Fokus sollte auf Maßnahmen liegen, die kurzfristig umsetzbar sind und Europa zügig handlungsfähiger machen. Parallel ist ein langfristiges Sicherheitskonzept zu entwickeln. Eine wesentliche strategische Frage ist, wie die Ukraine in die europäische Verteidigungsstruktur integriert werden kann und ob die kampferprobte ukrainische Armee langfristig eine Schlüsselrolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur übernehmen kann. Darüber hinaus sollte Europa mit Partnern wie Japan, Südkorea und anderen seine wirtschaftliche und technologische Unabhängigkeit stärken. Wenn über 80 Prozent der digitalen Technologien, die Europa benötigt, importiert werden, ist dies eine ökonomische Schwäche und ein sicherheits- und demokratiepolitisches Risiko.

Systemwettbewerb und innere Herausforderungen

Die beschriebenen Veränderungen in der regionalen Sicherheitsordnung – im internationalen System durch den Rückzug der USA und im Wirtschaftssystem durch die Beschleunigung einer stärkeren Regionalisierung entlang von politischen Einflusszonen – zeugen von einem politisch wieder erstarkenden Systemwettbewerb. Nach dem Kalten Krieg erschien dieser zunächst entschieden: Die liberale Demokratie hatte sich gegen den Sozialismus durchgesetzt und galt als überlegenes Regierungsmodell. Heute aber gelten liberale Demokratien nicht mehr als alternativlos, ihre Wertebasis wird nicht mehr als universell anerkannt. Stattdessen erfahren autoritäre Regierungsmodelle – insbesondere, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sind – zunehmend Anerkennung. Dieses Narrativ wurde unter anderem während der Coronapandemie genährt. Während viele westliche Demokratien mit schleppenden politischen Entscheidungsprozessen und polarisierten Gesellschaften zu kämpfen hatten, agierten einige autoritär regierte Staaten schneller – ein vermeintlicher Beleg für ihre höhere Handlungsfähigkeit.

Internationale Demokratieindizes zeigen nicht nur, dass die Zahl der Demokratien stetig abnimmt, bestehende Demokratien verlieren zudem an Qualität. Der Bertelsmann Transformation Index 2024 etwa weist darauf hin, dass selbst etablierte Demokratien mit einer Erosion von Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und demokratischer Partizipation kämpfen. Die Polarisierung innerhalb vieler Demokratien hat so weit zugenommen, dass sich ganze Bevölkerungsteile von demokratischen Institutionen entfremdet fühlen.

Die USA erleben derzeit eine solche Erosion – mit weitreichenden Folgen für das liberale Modell weltweit. Über Jahrzehnte galten die USA als Vorbild für demokratische Institutionen, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit und unterstützten demokratische Kräfte in vielen Weltregionen. Nun aber ist die Sorge um die US-Demokratie selbst gewachsen. Bereits in den ersten drei Monaten ihrer Amtszeit entließ die aktuelle US-Regierung Tausende Beamte. Justizangehörige und Anwaltskanzleien, die gegen den Präsidenten oder sein Umfeld ermitteln, werden unter Druck gesetzt. Richter, die Urteile gegen die Regierung fällen, werden öffentlich bedroht und teils sogar attackiert. Sogar richterliche Entscheidungen werden übergangen: Trotz einer einstweiligen Verfügung eines Bundesrichters wurde etwa die US-Entwicklungsbehörde USAID faktisch aufgelöst. Die Abschiebung von 250 Venezolanern nach El Salvador im März 2025 wurde durchgeführt, obwohl ein Bundesrichter diese Maßnahme untersagt hatte.

Große Sorgen bestehen auch bezüglich der Freiheit der Presse und der Wissenschaft. Die traditionsreiche White House Correspondents’ Association, die den Zugang zu Regierungspressekonferenzen verwaltet, wurde entmachtet. Stattdessen will die Regierung selbst darüber entscheiden, welche Medien Zugang erhalten. Kritische Journalistinnen und Journalisten werden zunehmend ausgeschlossen. Vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen wurden staatliche Forschungsgelder gestrichen, weil sie etwa zu Themen wie Klimawandel, Covid oder Diversität forschen. Unternehmen werden ebenfalls unter Druck gesetzt, Diversity-, Equity- and Inclusion-Programme einzustellen.

Für liberale Demokratien weltweit sind diese Veränderungen in den USA direkt relevant. In Deutschland haben Trump-nahe Akteure versucht, den Bundestagswahlkampf 2024/25 zu beeinflussen, um rechtsextreme und prorussische Kräfte zu stärken. So warb Tech-Milliardär Elon Musk für die AfD und erhöhte künstlich deren Reichweite auf seiner Plattform X, während US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 deutsche Parteien wenige Tage vor der Bundestagswahl zur Zusammenarbeit mit der AfD aufforderte und die Meinungsfreiheit in Europa anzweifelte.

Was sich hier zeigt, ist ein transnationales Netzwerk, das ideologisch und strategisch eng verflochten ist. Diese Art der transnationalen Kooperation ist nicht neu, aber sie hat in den vergangenen Jahren eine neue Intensität erreicht. Während illiberale Kräfte früher oft in nationalen Kontexten agierten, begreifen sie sich heute als Teil einer globalen Bewegung. Sie teilen nicht nur ideologische Überzeugungen – wie die Ablehnung von Migration, Multilateralismus und liberaler Demokratie –, sondern lernen voneinander, tauschen Strategien aus und koordinieren politische Kampagnen.

Fazit

Die regelbasierte Weltordnung befindet sich an einem Wendepunkt, und die Resilienz demokratischer Gesellschaften wird auf eine beispiellose Probe gestellt – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und demokratiepolitisch.

Wirtschaftskraft wird zunehmend als Waffe eingesetzt. Die gegenseitige Verflechtung der Volkswirtschaften – lange als Garant für Frieden angesehen – ist zum Sicherheitsrisiko geworden. Liberale Demokratien müssen strategische Sektoren schützen und diversifizieren, um geopolitische Erpressbarkeit zu vermeiden. China und Russland dehnen ihre Einflusssphären deutlich aus, während die von Trump geführten USA eine ambivalente Rolle einnehmen. Regionale Mächte wie die Türkei, Indien und Saudi-Arabien verfolgen eigene Interessen, ohne sich eindeutig einem Lager zuzuordnen.

Diese geopolitischen Umbrüche zwingen die Europäer, in eigenständige Verteidigungsstrukturen, technologische Unabhängigkeit und gesellschaftliche Widerstandskraft zu investieren. Das ist umso wichtiger, als populistische und antidemokratische Kräfte auch innerhalb vieler liberaler Demokratien an Zuspruch gewinnen, während das Vertrauen in demokratische Institutionen erodiert. Demokratische Systeme müssen heute, unter wachsendem internem und externem Druck, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin, Honorarprofessorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Vorständin der Bertelsmann Stiftung.