Die liberalen Demokratien des Westens sind zentraler Baustein der liberalen Weltordnung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs dominant war, in den vergangenen Jahren aber zunehmend unter Druck geraten ist. Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump im Januar 2025 ist dies sehr deutlich geworden. Aber wie eng ist die Verbindung zwischen der Ausbreitung liberaler Demokratie und der Stabilität der liberalen Weltordnung? Und inwiefern stehen auch die liberalen Demokratien selbst unter Druck?
Im Folgenden wird es – nach einem kurzen Blick auf den Kontext der Entwicklung von Demokratie – zunächst um den Begriff der Demokratie sowie unterschiedliche Demokratietypen gehen. Wie grenzen wir Demokratien von Autokratien ab? Reicht ein Fokus auf den reinen Wahlvorgang, oder bedarf es der Existenz zusätzlicher Elemente wie Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, sind gar Politikergebnisse wichtig? Anschließend werden die Qualität der Demokratie sowie das numerische Verhältnis von Demokratien und Autokratien über die Zeit betrachtet. Lässt sich empirisch bestätigen, dass Demokratien auf dem Rückzug sind?
Siegeszug der Demokratie
Das 20. Jahrhundert betrachten wir gerne als das Jahrhundert der Ausbreitung der Demokratie. Diese Ausbreitung stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar explizit auf der politischen Agenda. Der US-Präsident Woodrow Wilson begründete etwa seine Forderung nach Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg damit, dass autokratische Regime wie das damalige deutsche Kaiserreich eine Bedrohung für den Rest der Welt seien. Er sagte am 2. April 1917 vor dem US-Kongress: „Die Welt muss für die Demokratie sicher gemacht werden. Ihr Frieden muss auf den erprobten Fundamenten der politischen Freiheit gegründet werden. Wir haben keine egoistischen Ziele. Wir wollen keine Eroberung, keine Herrschaft. Wir suchen keine Entschädigungen für uns selbst, keine materielle Entschädigung für die Opfer, die wir freiwillig bringen werden. Wir sind nur einer der Vorkämpfer für die Rechte der Menschheit.“
Nach dem Ersten Weltkrieg weitete sich mit dem Ende vieler Monarchien zunächst die Zahl der Demokratien deutlich aus; doch wirtschaftliche Krisen und der Aufstieg des Faschismus in Europa führten bald schon zu einem Ende dieser Entwicklung; nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden zum einen Demokratien in Westeuropa und Asien, jedoch wurden auch kommunistischen Diktaturen in Osteuropa etabliert.
1950 waren von den 80 souveränen Staaten der Welt 22 Demokratien, was einem guten Viertel entspricht. Noch 1974 konnte man weltweit nur 39 Wahldemokratien zählen, also Staaten mit Mehrparteiensystem und fairen Wahlen. Doch seitdem breitete sich diese Regierungsform auf der ganzen Welt aus. In der „dritten Welle“
Damals schien es, als sei die Entscheidung zugunsten der Demokratie gefallen. Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama veröffentlichte im Sommer 1989 (also noch vor all diesen Ereignissen) einen Aufsatz mit dem Titel „The End of History?“ – und diese (mit einem Fragezeichen versehene) These wurde zum geflügelten Wort.
Empirische Analysen zeigen in der Tat seit etwa zehn bis 15 Jahren einen leichten Rückgang bei den Demokratien – und zwar sowohl bei der Zahl der so klassifizierten Länder als auch bei der Qualität der Demokratie innerhalb einiger Länder. So hat etwa die amerikanische Nichtregierungsorganisation Freedom House 2024 unter insgesamt 195 Staaten 106 Wahldemokratien gezählt – das sind 56 Prozent aller Länder; 2007 waren es 63 Prozent.
Um genauere Aussagen zu ihrem Schicksal machen zu können, sollen im Folgenden daher zwei Fragen im Mittelpunkt stehen: Erstens, was genau verstehen wir unter Demokratie? Und zweitens, wie sieht es mit der Empirie aus? Was gibt es für Maße für Demokratie, und was kann ihre Analyse uns über die Entwicklung von Demokratien (und den Druck, unter dem sie gegenwärtig stehen) sagen?
Was ist und wie definieren wir Demokratie?
„Demokratie“ ist ein schwieriger Begriff. Jeder glaubt instinktiv, sofort zu wissen, worum es geht. Und doch gibt es bei genauerem Betrachten sehr unterschiedliche Verständnisse von Demokratie. Es besteht also die Gefahr, aneinander vorbeizureden, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Der Rechts- und Demokratietheoretiker Hans Kelsen etwa argumentierte 1920, Demokratie sei „der missbrauchteste aller politischen Begriffe“.
Die Demokratie ist nicht abstrakt am Reißbrett entstanden. Vielmehr haben sich über Jahrhunderte ganz unterschiedliche Praktiken der Beteiligung und Selbstbestimmung entwickelt, die wir heute als „demokratisch“ ansehen. Und daraus folgen unterschiedliche Verständnisse dessen, was als zentral für die Demokratie angesehen wird.
Die wohl knappste Definition von Demokratie stammt vom Politikwissenschaftler Adam Przeworski und lautet: „Democracy is a system in which parties lose elections.“
In etwas längerer Version (und mit 30 Jahren weiterer Erfahrung) definiert Przeworski in einem Aufsatz aus dem Jahr 2024 umfassender: „Demokratie ist ein System, in dem Bürger kollektiv entscheiden, von wem und, bis zu einem gewissen Ausmaß, wie sie regiert werden wollen (…). Ein Regime ist nur dann demokratisch, wenn Bürger die freie Wahl haben – einschließlich der Freiheit, Regierungen abzusetzen.“
Der Demokratieforscher Wolfgang Merkel hat vorgeschlagen, die Vielzahl von Demokratiebegriffen und -definitionen durch eine Trias zu ordnen: ein minimalistisches Modell, ein mittleres Modell und ein maximalistisches Modell.
Das minimalistische Modell
Die minimale Demokratietheorie geht davon aus, dass freie, gleiche und geheime Wahlen nicht nur den Kern der Demokratie bilden, sondern diese selbst sind.
Die erste und vielleicht immer noch einflussreichste Darstellung hat dazu der Ökonom und Demokratietheoretiker Joseph A. Schumpeter 1942 in seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ vorgelegt. Mit dieser Theorie distanziert sich Schumpeter von der „klassischen Lehre der Demokratie“, die er in der Vorstellung sieht, dass in der Demokratie das Gemeinwohl dadurch verwirklicht werde, dass das Volk selbst die Streitfragen entscheide und zwar durch die Wahl von Personen, die seinen Willen ausführen.
Schumpeter kritisiert an dieser Sichtweise vor allem zwei Dinge: Zum einen gebe es „kein solches Ding wie ein eindeutig bestimmbares Gemeinwohl, über das sich das ganze Volk kraft rationaler Argumente einig wäre“; zum anderen würde selbst die Existenz eines solchen Gemeinwohls „nicht ebenso bestimmte Antworten auf einzelne Probleme implizieren“ und somit konkrete Handlungsanweisungen für die Regierung fehlen.
Dem seiner Ansicht nach unrealistischen „klassischen“ Modell stellt er sein eigenes gegenüber, das die Rollen von Wille und Wahl vertauscht. Schumpeter argumentiert, dass nicht zunächst ein feststehender Wille vorhanden sei, zu dessen Durchsetzung eine Regierung gewählt wird – vielmehr bestehe die Rolle des Volkes darin, eine Regierung hervorzubringen. Und er definiert: „Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfs um die Stimmen des Volkes erwerben.“
Das minimalistische Modell konzentriert sich mithin auf prozedurales Vorgehen. Das politische Angebot mit der höchsten Nachfrage gewinnt die Wahl und erhält damit das Recht, eine Regierung zu bilden und auf Zeit die Entscheidungen im Gemeinwesen zu treffen. In periodischen Abständen haben die Wähler die Möglichkeit, die Leistung der Repräsentanten zu bewerten und sie in weiteren Wahlen entweder zu bestätigen oder abzuwählen (und somit anderen Repräsentanten ihr Vertrauen auszusprechen).
Das mittlere Modell
Wo aber sind im minimalistischen Modell viele andere Dinge, die in unserer Demokratie auch vorkommen und eine wichtige Rolle spielen? Wo ist die Rede vom Rechtsstaat, wo von den Menschen- und Bürgerrechten oder von Partizipationsrechten jenseits der periodischen Wahlen?
Das sind Fragen, die die Verfechter des mittleren Modells der Demokratie ebenfalls stellen. Sie verweisen darauf, dass die zentralen Mechanismen einer funktionierenden Demokratie (also die freien, allgemeinen, gleichen und fairen Wahlen) in bestimmte Voraussetzungen eingebettet sein müssten, um gut zu funktionieren. Dazu gehören nach dieser Ansicht zentral die Rechtsstaatlichkeit (was zudem Menschen-, Grund- und Bürgerrechte garantiert), die horizontale Gewaltenkontrolle (also die zwischen Exekutive, Legislative und Judikative) und politische Partizipationsrechte jenseits von Wahlen.
Gemeinsam sind dem minimalistischen und dem mittleren Konzept der Demokratie „die Beschränkung auf Normen, Prinzipien und Verfahren, die dem demokratischen Entscheidungsprozess zugrunde liegen“.
Das maximalistische Modell
Das sehen die Anhänger des maximalistischen Modells der Demokratie anders. Sie wollen in das Konzept der Demokratie nicht nur Aspekte von Beteiligung, sondern auch von Ergebnissen des politischen Entscheidungsprozesses einbeziehen. Dazu gehören deshalb die Leistungen dessen, was Regierungen tun – Kollektivgüter wie innere und äußere Sicherheit, wirtschaftliche Absicherung und sozialstaatliche Garantien für die Bürger sowie das Erreichen bestimmter Parameter bei der Verteilung von Gütern.
Historisch sind solche Forderungen erhoben worden, um politische Benachteiligung durch extreme Ungleichheit zu verhindern. Erst die soziale Demokratie sichere politische Gleichheit, so argumentierten Theoretiker wie der Sozialdemokrat Eduard Bernstein oder der Weimarer Staatsrechtler Herrmann Heller vor rund 100 Jahren. Auch heute werden ähnliche Forderungen erhoben, und die Bereiche sind über das vor allem Materielle hinaus erweitert worden. So werden etwa Themen der Gleichheit von Rechten, der Abwesenheit von Diskriminierung oder der tatsächlich erreichten Gleichheit der Geschlechter (und nicht nur der Chancengleichheit) von einigen als notwendiger Bestandteil von Demokratie definiert.
Allerdings lassen sich gegen maximalistische Definitionen von Demokratie auch gewichtige Einwände erheben. Erstens stehen sie dem Problem gegenüber, dass viele der Output-Leistungen ja ebenso gut von Autokratien und Diktaturen erbracht werden können. Man kann sie als Ergebnisse „guten Regierens“ definieren – und darauf haben Demokratien (zumindest theoretisch) kein Monopol. Empirisch sind die Ergebnisse bei Demokratien zwar systematisch besser – was mit den Rückkopplungseffekten durch die Mechanismen der Verantwortung zu tun hat. Aber gutes Regieren hat im Prinzip nichts mit Demokratie zu tun. Zweitens kann eine solche Definition zu erhöhten Hürden für den Erfolgsmaßstab der Demokratie führen und dadurch die Demokratie schwächen. Denn ein System, von dem Leistungen erwartet werden, deren Produktion und Sicherstellung es nicht oder nur teilweise in der Hand hat – wie zum Beispiel wirtschaftliche Leistungen oder gesellschaftliches Verhalten – läuft Gefahr, dadurch in seiner Legitimität geschwächt zu werden, obwohl die bestehenden Defizite nicht Resultat seines Handelns sind.
In der Zusammenschau spricht vieles dafür, sich bei der Beschäftigung mit Demokratie auf das mittlere Modell zu konzentrieren. Es beschränkt sich auf die Normen, Prinzipien und Verfahren, die dem demokratischen Entscheidungsprozess zugrunde liegen und den Vorteil haben, dass ihre Befolgung gut erkennbar ist. Zudem greift es jenseits des bloßen Wahlprozesses Aspekte auf, die für ein gutes und dauerhaftes Funktionieren demokratischer Mechanismen wichtig sind, wie den Schutz von Menschen- und Grundrechten durch den Rechtsstaat und Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der Zivilgesellschaft.
Ist das Reden von einer „Krise der Demokratie“ gerechtfertigt?
Bücher zum Themenfeld „Demokratie und Krise“ gibt es schon seit mehreren Jahren in großer Zahl, und einige davon sind Bestseller geworden. Die ersten wissenschaftlichen Bücher zum Thema tauchen in Deutschland vor etwa zehn Jahren auf
Krisendiagnosen verkaufen sich gut und entfalten ihre eigene Dynamik. Die Corona-Pandemie tat ihr Übriges dazu, das allgemeine Krisengefühl zu steigern, und der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ebenso. Doch es ist fair zu sagen, dass sich die Politikwissenschaft in der Beurteilung der Lage nicht einig ist. Denn es sind auch skeptische Anmerkungen zu den Krisendiagnosen gemacht worden. Es lohnt sich deshalb ein genauerer Blick darauf, welche Krisensymptome es gibt.
Krisenerscheinungen in liberalen Demokratien
Die empfundenen Krisenerscheinungen in liberalen Demokratien manifestieren sich in vierfacher Hinsicht:
Erosion demokratischer Normen und Institutionen: In vielen etablierten Demokratien ist eine schleichende Erosion demokratischer Normen und Institutionen zu beobachten. Diese Entwicklung ist oft subtil und erfolgt nicht durch offensichtliche Verstöße gegen die Verfassung, sondern durch die schrittweise Aushöhlung der Effektivität und Legitimität demokratischer Institutionen. Dazu gehört etwa eine Unterminierung der Gewaltenteilung oder Änderungen am Wahlrecht zum politischen Vorteil der herrschenden Partei.
Populismus und politische Polarisierung: Eine zweite Manifestation krisenhafter Entwicklungen ist der Aufstieg von Populismus, der oft mit einer starken Polarisierung der Gesellschaft einhergeht. Populistische Führer und Parteien stellen häufig die Prinzipien der liberalen Demokratie infrage und fördern eine Politik der Spaltung und des Misstrauens gegenüber etablierten Institutionen und Medien. Hilfsmittel sind hier etwa eine Verrohung politischer Sprache, persönliche Angriffe auf politische Gegner oder das Präsentieren simpler Lösungen für komplexe Probleme (für die eine Wählerschaft freilich empfänglich sein muss).
Rückgang des Vertrauens in die Effektivität von Regierungen: Auch auf der Nachfrageseite von Politik gibt es Probleme. Die Entfremdung steigt, während das Vertrauen, dass Regierungen in der Lage sind, als wichtig wahrgenommene Probleme einer Lösung zuzuführen, sinkt. Daten der OECD zufolge vertrauen in 22 untersuchten Staaten (und das sind zumeist etablierte liberale Demokratien) nur 39 Prozent der Bürger ihren Regierungen stark oder ziemlich stark, während 44 Prozent dies nicht oder kaum tun. Insbesondere bei Frauen und Personen mit niedriger formeller Bildung ist das Vertrauen gesunken.
Veränderungen der politischen Kommunikation: Digitalisierung und Internet haben die Bedingungen politischer Kommunikation grundlegend geändert. Statt eines zweistufigen Kommunikationsflusses (in dem Redaktionen ordnen, sortieren und anschließend veröffentlichen) findet politische Kommunikation über soziale Medien, Blogs et cetera nach dem Modell des „Direktvertriebs“ statt, was die Qualität des politischen Diskurses senkt. Neben einer enormen Beschleunigung, die weniger Zeit zum Nachdenken lässt, ist eine Vereinfachung der Inhalte die Folge: Aufgrund der ständig zunehmenden Informationsmenge dringt eine Nachricht umso eher durch, je schriller oder überraschender sie ist.
Empirie der Krisenthese
Um die Krisenthese empirisch zu überprüfen, bietet das Forschungsprojekt „Varieties of Democracy“ (V-Dem) eine qualitativ hochwertige und transparente Datensammlung.
Die V-Dem-Daten für die 21 betrachteten Länder für den Zeitraum von 1950 bis 2022 (die letzten verfügbaren Daten) zeigen einen klaren Anstieg der Qualität der Demokratie insbesondere ab Mitte der 1970er Jahre mit dem Ende der Militärdiktaturen in Südeuropa, dem ab Beginn der 1980er Jahre eine Plateauphase auf sehr hohem Niveau folgt. Ab 2012 geht die durchschnittliche Demokratiequalität dann jedoch beträchtlich zurück, was zeigt, dass die erwähnten Debatten um die „Krise der Demokratie“ eine Fundierung auch in der Empirie dieses Indikators finden. Allerdings ist der Rückgang kein grundsätzlicher – er führt vielmehr auf ein bereits in den frühen 1980er Jahren erreichtes Niveau, das im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch ist. Es gibt also keinen katastrophalen Rückgang der Demokratie laut diesen Indizes.
Blicken wir auf ausgewählte Länder, die seit 1950 demokratisch sind – zum Beispiel die USA, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Bundesrepublik –, dann sehen wir, dass sich auch in solchen Ländern die Qualität der Demokratie über die vergangenen Jahrzehnte verbessert hat. Am deutlichsten sind Verbesserungen in den USA während der 1960er und 1970er Jahre, was unter anderem mit den von der Bürgerrechtsbewegung erkämpften Reformen zu tun haben dürfte. Bezogen auf die Zeit seit 1980 gibt es nur relativ geringe Divergenzen zwischen den vier Ländern. Die Folgen von Politikveränderungen sind in den Daten nachvollziehbar – etwa die Verbesserung in Großbritannien durch Devolution und Karfreitags-Abkommen Ende der 1990er Jahre oder die Verschärfung der Bürgerrechtssituation in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dort kann man in den Jahren ab 2017 auch einen deutlichen Rückgang sehen, der wohl mit der Politik in der ersten Amtszeit von Präsident Trump zusammenhängt (und ab 2021 wieder eine Verbesserung aufweist).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Blick auf einzelne Länder auch in einer so relativ kleinen und homogenen Gruppe wie der hier betrachteten interessant erscheint und nationale Besonderheiten sichtbar macht. Die Schwankungen sind aber, bezogen auf das absolute Niveau, gering. Selbst Rückgänge bedeuten hier lediglich eine ähnliche Situation wie in den 1980er oder 1990er Jahren, keine grundsätzlichen Verluste.
Mit Blick auf die weltweite Situation der Demokratie werden im V-Dem-Datensatz „Regimes of the World“ vier Regimetypen unterschieden: In geschlossenen Autokratien haben die Bürger kein Recht, entweder den Regierungschef oder das Parlament durch Wahlen mit mehreren Parteien zu wählen. In Autokratien mit Wahlen gibt es das Wahlrecht für den Regierungschef und das Parlament mit mehreren Parteien, aber den Bürgern fehlen zentrale Freiheiten (wie Meinungsfreiheit oder die Freiheit zur Bildung von Vereinigungen), die diese Wahlen erst bedeutsam, frei und fair machen würden. In Wahldemokratien haben die Bürger das Recht, den Regierungschef und das Parlament in bedeutsamen, freien, fairen Wahlen in einem Mehrparteiensystem zu wählen. Und in liberalen Demokratien kommen zur Situation der Wahldemokratie zusätzlich Bürger- und Minderheitenrechte für die Einzelnen hinzu, Gleichheit vor dem Gesetz, sowie eine horizontale Gewaltenkontrolle der Exekutive durch Legislative und Judikative.
Entwicklung Regimetypen, 1950–2022 (© bpb)
Entwicklung Regimetypen, 1950–2022 (© bpb)
Wenn wir auf die Zeit seit 1950 blicken, kann man in der Abbildung den bereits erwähnten „Siegeszug der Demokratie“ sehen. Die Zahl der geschlossenen Autokratien geht praktisch über den gesamten Zeitraum zurück; die Zahl der Autokratien mit Wahlen steigt tendenziell (nach einem Rückgang in den 1960er Jahren). Die Zahl der Wahldemokratien steigt seit den 1990er Jahren deutlich; die Zahl der liberalen Demokratien steigt zunächst beständig, ist aber seit 2010 wieder rückläufig.
Insgesamt teilt sich die Welt seit grob 30 Jahren in etwa 50 Prozent Demokratien und 50 Prozent Autokratien; 1950 standen sich noch etwa 80 Prozent Autokratien rund 20 Prozent Demokratien gegenüber. Projizierte man die Länder auf eine Weltkarte, so wäre zudem deutlich sichtbar, dass die verschiedenen Regimetypen nicht zufällig über den Globus verteilt sind, sondern in bestimmten Gegenden konzentriert auftreten. Die autokratischen Regimetypen liegen hauptsächlich in Afrika und Asien, während die demokratischen Regimetypen vorwiegend in Nord- und Südamerika, Europa und Ozeanien zu finden sind.
Schluss
Dass Demokratien unter Druck stehen, ist heute eine weit verbreitete Auffassung. Und in der Tat unterstützen die aktuellen politischen Entwicklungen diese These – ob wir auf die Ergebnisse der jüngsten Bundestagswahlen blicken oder auf die ersten Wochen der neuen Regierung Trump in den USA.
Die Ausbreitung der Demokratie als Staatsform kann über das 20. Jahrhundert – und insbesondere seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – zwar durchaus als triumphal bezeichnet werden; die V-Dem-Daten unterstützen jedoch den Eindruck von Rückschlägen. Allerdings ist dieser Rückgang begrenzt, sodass die Qualität von Demokratie weiterhin dem Niveau der 1980er und 1990er Jahre entspricht; es handelt sich also keinesfalls um eine grundlegende Veränderung. Ebenso deutlich ist jedoch, dass weitere Entwicklungen sorgfältig beobachtet werden müssen, um einen zukünftigen Verlust an demokratischer Substanz zu verhindern.
Blickt man auf die Verbindung zur eingangs angesprochenen, unter Druck befindlichen liberalen Weltordnung, so wird deutlich, dass es in diesem Zusammenhang wohl nur begrenzt auf die Zahl oder Qualität der Demokratien ankommt. Als sich die liberale Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete, gab es deutlich weniger Demokratien als heute, und die existierenden waren nach den heute angelegten Maßstäben von niedrigerer Qualität. Insbesondere die USA waren im Hinblick auf Aspekte des Wahlrechts und der Umsetzung bürgerlicher Freiheiten noch ein anderes Land als heute.
Dennoch war die (vor allem auf Initiative der USA) begründete liberale Weltordnung erfolgreich. Es kommt aus dieser Perspektive, so meine Schlussthese, weniger auf die Qualität der Demokratie an, sondern darauf, ob bestimmte Länder eine solche Weltordnung politisch verfolgen und als in ihrem Interesse liegend betrachten. Das war nach 1945 in den Vereinigten Staaten der Fall; ob es in den USA von heute noch der Fall ist, erscheint zunehmend fragwürdig.