Seit ihren Anfängen in der antiken Polis gilt die Demokratie als die prekärste Form politischer Herrschaft. Die Herrschaft des Volkes ist nämlich so voraussetzungsreich, dass Demokratien in der Geschichte häufig gescheitert sind und es einflussreichen Gruppen oder Einzelnen immer wieder gelungen ist, die Macht an sich zu reißen. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass die berühmteste moderne Definition der Demokratie auf dem Schlachtfeld eines Bürgerkriegs vorgetragen worden ist, auf dem Tausende für den Grundsatz gestorben waren, dass alle Menschen gleich geboren seien. Eingeleitet wurde sie mit den Worten, dieses Schlachtfeld sei der Test darauf, ob eine demokratisch verfasste Nation lange überdauern könne. Am Ende seiner nur zweieinhalb Minuten dauernden Rede in Gettysburg am 19. November 1863 verlieh Abraham Lincoln seiner Hoffnung Ausdruck, dass die im Bürgerkrieg zerrissene amerikanische Nation an diesem Ort neu geboren werde – und die Herrschaft „of the people, by the people, for the people“ nicht von der Erde verschwinde.
Wie die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk organisiert und praktiziert werden kann, um von Dauer zu sein und nicht wieder zu verschwinden, ist eine der drängendsten Grundfragen der Demokratie geblieben. Da das Modell der Volksversammlung nur in kleinräumigen Stadtstaaten praktikabel ist – und schon in der attischen Demokratie dadurch eingeschränkt war, dass viele davon ausgeschlossen waren –, besteht das grundlegende Problem der Demokratie darin, wie die Stimmen der einzelnen Bürger so repräsentiert werden können, dass ihnen zumindest Gehör verschafft werden kann. Wie kann der Wille des Volkes, der ja kein einheitlicher Wille ist, so organisiert werden, dass unterschiedliche Vorstellungen und Interessen zum Ausdruck gebracht und verfolgt werden können? Und wie kann verhindert werden, dass sich bestimmte Interessengruppen uneingeschränkt durchsetzen und die Ansprüche anderer auf Verfolgung ihrer Ideale und Interessen negieren?
Parteiendemokratie – ein Rückblick
Die Antwort auf diese Fragen war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gründung von Parteien, die dazu dienen sollten, den Willen Einzelner in einer politischen Organisation zu bündeln, um ihn so in den politischen Prozess der Aushandlung und Durchsetzung von Interessen einzubringen. Daraus entwickelte sich die Parteiendemokratie, in der den Parteien die Aufgabe zufällt, als Intermediäre zwischen Bürgern und Staat zu dienen. Freilich hat sich auch innerhalb der Parteien stets das Problem der Willensbildung gestellt. Wenn Parteien Delegationsinstrumente des politischen Willens Einzelner sind, erhebt sich die Frage, wie die Delegation innerhalb der Partei geregelt werden kann und geordnet werden muss, um möglichst vielen Partizipation zu ermöglichen. Über diese Partizipationsmöglichkeiten hat sich schon der Begründer der Parteiensoziologie, Robert Michels, vernichtend geäußert: In den Parteien herrsche das „eherne Gesetz der Oligarchie“.
Ohne sich direkt auf ihn zu beziehen, ist die neuere Parteienforschung Michels darin zumeist gefolgt.
Mit dem Konzept der Mediendemokratie (oder „Mediokratie“) ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine weitere Entwicklung der Parteien beschrieben worden, die sich dadurch auszeichne, dass nicht mehr die Parteielite die Partei beherrsche, sondern die Medien bestimmten, wer die Parteielite bilde. Das habe zu einer Theatralisierung der Politik geführt und zu ihrer Kolonisierung durch die Medien, die nunmehr bestimmten, wer sich in der Politik durchsetzen könne. Insbesondere das Leitmedium Fernsehen habe mit seinen Talkshows wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Parteiendemokratie in eine Mediendemokratie verwandelt habe. Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer hat dies als die „kopernikanische Wende der Politik“ bezeichnet, weil sich damit die Beobachtungsperspektive umgekehrt habe: Hätten früher die Medien die Parteien und die Parteielite beobachtet, um kritisch über sie zu berichten, so beobachteten in der Mediendemokratie die Parteieliten die Medien, um zu lernen, wie sie sich medial präsentieren müssten. Die Parteien würden so als Zentren der Willensbildung zunehmend marginalisiert.
Das große Versprechen des Internets
Für die Kritiker der Parteien- wie der Mediendemokratie schien das Internet mit seinen kommunikativen Möglichkeiten eine neue Tür der Demokratisierung aufzustoßen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde von vielen die „Verheißung Internet“ begrüßt und die Erwartung formuliert, dass aus der One-to-Many-Struktur der massenmedialen Kommunikation eine Kultur der Many-to-Many-Kommunikation werden könne.
Tatsächlich war es nie leichter, sich Informationen zu beschaffen, mit anderen über große Entfernungen hinweg und auch ohne persönliche Bekanntschaft zu kommunizieren, Fragen zu stellen und unmittelbar Antworten darauf zu erhalten oder Wissen aus den unterschiedlichsten Gebieten zu erlangen. Zugleich war es auch noch nie so einfach, Informationen zu verbreiten, Wissen zu teilen, Produkte anzubieten oder seine Meinungen kundzutun. Die Internetnutzer werden deshalb auch nicht mehr einfach nur als Nutzer (users) beziehungsweise als Konsumenten (consumers) bezeichnet, sondern als Prosumenten (prosumers). Denn sie nutzen nicht nur Plattformen, um Informationen, Produkte und Meinungen zu konsumieren, sondern sie produzieren sie auch selbst. Das alles führte zu der Erwartung, dass sich bei einer immer besseren Zugänglichkeit von Wissen Gesellschaften immer weiter demokratisieren würden. Die Beteiligung vieler an der gesellschaftlichen und politischen Kommunikation, so meinte man, werde zu einer zunehmend rationaleren Kommunikation führen – und der demokratische Diskurs sich damit in immer weiteren Teilen der Bevölkerung vertiefen.
Postfaktische Gesellschaft, Filterblasen und Echokammern
Diese Hoffnung ist längst verflogen. Stattdessen ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden, dass rationalere Kommunikation keineswegs der Haupteffekt der stärkeren Zugänglichkeit von Wissen in der durch das Internet geprägten Wissensgesellschaft ist. Vielmehr hat sich hinter deren Rücken ein Umgang mit Informationen entwickelt, der die Wissensgesellschaft ad absurdum zu führen scheint. Der Gegenbegriff zur „Wissensgesellschaft“ ist deshalb der Begriff der „postfaktischen Gesellschaft“. Die Redaktion des Oxford English Dictionary, des umfangreichsten Wörterbuchs der englischen Sprache, hat das Wort post-truth (postfaktisch) im November 2016 zum „internationalen Wort des Jahres“ gewählt. In der Begründung für die Wahl hieß es: Angetrieben vom Aufstieg der Sozialen Medien als Nachrichtenquelle und einem wachsenden Misstrauen gegenüber Fakten, die vom sogenannten Establishment angeboten würden, habe sich ein Phänomen herausgebildet, das – entgegen der Annahme, die immer leichter verfügbaren Informationen würden das faktische Wissen erheblich vermehren – tatsächlich auf eine Reduktion des Wissens hinauslaufe, und zwar nicht grundsätzlich auf eine Reduktion des verfügbaren Wissens, sondern auf eine Reduktion des tatsächlich nachgefragten und erworbenen Wissens.
Der amerikanische Internetaktivist Eli Pariser hat dafür in seinem gleichnamigen Buch das mittlerweile zum Topos gewordene Wort „Filter Bubble“ (Filterblase) geprägt.
Werbung lässt sich aufgrund der von Google, Facebook und anderen verwendeten Algorithmen, die auf einem immer genaueren Nutzerprofil basieren, im Internet sehr viel gewinnbringender platzieren. Das dürfte anfangs der Hauptgrund für den Einsatz von Algorithmen gewesen sein: Je mehr ein Unternehmen, das mit dem Verkauf von Nutzerdaten sein Geld verdient, über den Nutzer weiß, desto gewinnbringender kann es diese Daten vermarkten. Die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff spricht deshalb von surveillance capitalism (Überwachungskapitalismus).
Algorithmen produzieren die erwünschten Ergebnisse für denjenigen, der den Algorithmus programmiert. Diese erwünschten Ergebnisse können mit den Wünschen der Nutzer übereinstimmen, vorwiegend aber dienen sie dem Interesse der Plattformbetreiber und ihrer zahlenden Kunden, mit den Daten der Nutzer Geld zu verdienen. Die Trennung in zwei Arten von Nutzern – ausschließlich mit ihren Daten zahlende und mit Geld zahlende Nutzer, die sich als primäre und sekundäre Nutzer unterscheiden lassen – führt zu einer fundamentalen Spaltung: So sortiert Googles Suchmaschinenalgorithmus die Suchergebnisse keineswegs in erster Linie nach dem, was den Nutzer interessiert, sondern nach dem, was die zahlende Kundschaft als Ergebnis prioritär präsentiert haben möchte. Facebooks Newsfeed-Algorithmus bestimmt die Relevanz von Nachrichten nach den Onlineaktivitäten von „Freunden“, wobei die „Freunde von Freunden“, also erneut die zahlenden Kunden, die Richtung vorgeben. Damit werden die Ergebnisse von Suchanfragen nicht von den Interessen der primären Nutzer bestimmt, sondern von den Interessen der sekundären Nutzer, auf die hin die Algorithmen programmiert werden.
Für die allermeisten Nutzer sind die so vorgegebenen Sortierkriterien undurchschaubar. Der amerikanische Rechtswissenschaftler Frank Pasquale spricht deshalb davon, dass das Internet eine „Black Box Society“ produziert habe.
Weniger auf Algorithmen als auf die Neigungen von Menschen setzt dagegen der von dem amerikanischen Rechtswissenschaftler und Politikberater Cass Sunstein geprägte Begriff der Echokammer (echo chamber).
In der virtuellen Welt ereignet sich damit das, was die Medienhistorikerin Anja Breljak social heating nennt: „Debatten und Protestaktionen geraten schneller in die Öffentlichkeit denn je, gerade dann, wenn sie provozieren. Zugespitzte Titel, schockierende Bilder, Falschnachrichten werden, je mehr Empörung oder Anteilnahme sie auslösen, je schneller sie geteilt und wiedergegeben werden, umso weitläufiger durch die Knoten des Netzes katapultiert. Protestaktionen, je erschreckender, skandalisierbarer, schriller oder überraschender sie sind, finden umso mehr Aufmerksamkeit.“
Auch dieses Phänomen hat sich nicht ohne Algorithmen und kommunikative Affordanzen, also eine durch das Bereitstellen bestimmter kommunikativer Möglichkeiten geschaffene Optionsstruktur, entwickelt. So hat die Einführung von fünf Emojis durch Facebook im Jahr 2016 – Herz, lachendes Gesicht, erstauntes Gesicht mit aufgerissenem Mund, trauriges Gesicht mit heruntergezogenen Mundwinkeln und wütendes Gesicht mit zusammengezogenen Augenbrauen, verkniffenem Mund und rotem Kopf – extrem steuernd in die Kommunikation eingegriffen.
Rahmenbedingungen für digitale Trolle
Die entscheidende Voraussetzung dieser kommunikativen Transformationen war der Artikel 230 des US-amerikanischen Communications Decency Act von 1996, der die Internetplattformen von der Verantwortung für die verbreiteten Inhalte entband, indem er festlegte, dass diese nicht als Urheber oder Herausgeber dieser Inhalte anzusehen seien. Onlineunternehmen wie Facebook, Google oder Twitter mussten also nicht eingreifen, um Hassrede auf ihren Plattformen zu verhindern, außer bei klaren Verstößen gegen das Strafrecht. Sie durften aber moderierend eingreifen, ohne dass damit eine erweiterte Verantwortung für die Inhalte einhergegangen wäre. Ausschlaggebend war das First Amendment der amerikanischen Verfassung, das jedem Einzelnen das Recht auf freie Meinungsäußerung zugesteht. Dieses Individualrecht wurde in Artikel 230 auch auf die Plattformen bezogen und gewährte ihnen damit vollständige Freiheit, in Kommunikationen einzugreifen – oder eben auch nicht. Onlineplattformen gelten seitdem weder als klassische Medien, die Verantwortung für die auf ihren Seiten stattfindende Kommunikation übernehmen müssen, noch als Telekommunikationsanbieter, die zur Neutralität verpflichtet wären. Dieses unter US-Präsident Bill Clinton verabschiedete Gesetz öffnete die Büchse der Pandora: Seitdem steht es Onlineplattformen frei, jegliche Art von Inhalt zuzulassen oder Inhalte ohne Angabe von Gründen einzuschränken. Die Moderationsmöglichkeiten, die ihnen das Gesetz gibt, haben die Plattformen nur zeitweise – und freilich nur in geringem Umfang – genutzt. Zugleich sind diese Eingriffe zum Schutz vor den übelsten Auswüchsen von Diskriminierung und Schmähung demokratietheoretisch nicht unproblematisch, denn sie delegieren an private Plattformen, was eigentlich Aufgabe des demokratischen Rechtsstaats sein müsste. Seit der Wiederwahl von Donald Trump sind aber selbst diese seltenen Eingriffe passé: Plattformbetreiber wie Mark Zuckerberg haben unmittelbar nach Trumps Wahl erklärt, keine weiteren „Einschränkungen der Meinungsfreiheit“ zuzulassen, also keine Einschränkung von Hatespeech mehr vorzunehmen.
Ein weiteres Problem ist durch sogenannte Social Bots entstanden. Diese ersetzen inzwischen zunehmend leibhaftige Trolle und machen im Sinne ihrer Auftraggeber Stimmung. Social Bots sind ebenfalls von Algorithmen gesteuerte Programme, die vortäuschen, echte Personen mit Wissen, Meinungen und Emotionen zu sein. Das gelingt ihnen durch die Nachahmung menschlicher Kommunikation. Diese Nachahmung wird dadurch begünstigt, dass sich die Kommunikation auf den Internetplattformen deutlich vereinfacht hat: Durch die Begrenzung von Zeichenzahlen auf Plattformen wie Twitter/X oder die Nutzung von Emojis und leicht nachahmbaren Parolen gelingt es schon mit einfachen Bots, menschliche Meinungsäußerungen täuschend echt nachzubilden. Sie sorgen durch tausendfach variierte Kommentare, vor allem aber durch Likes, Shares und Emojis dafür, dass ihre Botschaften im Netz mithilfe der Algorithmen verbreitet werden.
Der Politikwissenschaftler und IT-Experte Simon Hegelich führte schon 2016 bei einer Klausurtagung der österreichischen Verleger vor, wie einfach das geht: 10000 Twitter-Konten waren damals für 499 Dollar zu haben. Diese mit Roboterintelligenz auszustatten, kostete ebenfalls so gut wie nichts. Schon damals schätzte Hegelich, dass rund ein Drittel aller Twitter-“Nutzer“ Social Bots waren – mit steigender Tendenz.
Die vormalige „Anwesenheitskommunikation“ hat sich also in die „Abwesenheitskommunikation“ der Onlineplattformen verlagert, die allgemein als Soziale Medien bezeichnet werden. Diese Begriffsprägung diente einmal dazu, sie begrifflich von den Informationsmedien zu trennen und zu betonen, dass es sich um Orte der vorwiegend privaten Kommunikation handele, die eine stabile Vernetzung mit abwesenden Freunden oder Familienmitgliedern ermögliche. Tatsächlich handelt es sich aber um Plattformen, die zu einer Vermischung von privater und öffentlicher, von persönlicher und politischer, von informationeller und emotional geprägter Kommunikation geführt haben. Diese Vermischung wird von den Algorithmen der Internetgiganten und von Social Bots vorangetrieben, die Kommunikation in hohem Maße steuern. Sie wird aber auch von dem Bedürfnis nach Gemeinschaftsbildung und Übereinstimmung vorangetrieben, die zu Echokammern führt. Die scheinbare Unmittelbarkeit der Kommunikation ist in Wirklichkeit über alle Maßen vermittelt.
Diese Vermittlung von Kommunikation bei scheinbarer Unvermitteltheit hat den demokratischen Diskurs völlig verändert. Nicht mehr Austausch, sondern Ablehnung, Wut und Empörung beherrschen die Kommunikation. Die Many-to-Many-Kommunikation hat den demokratischen Diskurs damit nicht befördert, sondern sie gefährdet ihn, weil im Hintergrund dieser Kommunikation die Plattformen in vielfältiger Weise steuernd eingreifen. Aus der Schwarmdemokratie ist so unter der Hand eine Plattformdemokratie geworden. Die mit dem Internet verbundenen Hoffnungen haben sich in einen kommunikativen Albtraum verwandelt, der die auf sachliche Kommunikation und den ungefilterten Austausch von Meinungen angewiesene Demokratie grundlegend gefährdet.
Wie Demokratien gefährdet werden
Nun könnte man meinen, dass diese Gefährdungen der Demokratie überwindbar sind. Kann man nicht beobachten, dass Demokratien trotz allem stabil sind? Ist nicht Donald Trump nach seiner ersten Präsidentschaft trotz seiner aggressiven Follower wieder abgewählt worden? Hat das damalige Twitter ihn und andere nicht wegen ihrer Hetzreden und nachweislichen Lügen von der Nutzung der Plattform ausgeschlossen und gesperrt? Gelingt es nicht zahlreichen Oppositionellen auf der ganzen Welt, mithilfe des Internets Informationen zu verbreiten, die der Propaganda autokratischer Regierungen widersprechen? Das alles ist zweifellos richtig. Aber für die Destabilisierung von Demokratien bedarf es auf den Internetplattformen, wie der Einsatz von Social Bots verdeutlicht, einer relativ geringen Zahl von gezielt handelnden Akteuren, die sich als „Scheinriesen“ präsentieren können. Die Plattformen können zahlenden Nutzern eine Reichweite für propagandistische Kampagnen zur Verfügung stellen, die in der medialen Konstellation vor dem Internet nicht zu erlangen gewesen wäre. Und sie können dafür sorgen, dass die Kampagnen so perfekt auf die einzelnen Nutzer zugeschnitten werden, dass ihre Wirksamkeit um ein vielfaches höher ist. Donald Trump ist zwar abgewählt worden, aber er hat seine Wahlniederlage nie anerkannt – und dann unter Nutzung seines selbstgegründeten und euphemistisch benannten Netzwerks Truth Social eine gespaltene Nation hinterlassen, um seine Wiederwahl vorzubereiten.
Auch in Europa sind Demokratien in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten, besonders deutlich in Polen und Ungarn, wo Parteien mit Mehrheiten gewählt worden sind, die auf Empörung, Ablehnung und Ausgrenzung setzen und den demokratischen Rechtsstaat untergraben, wo immer es ihnen möglich ist. Auch wenn in Polen zwischenzeitlich ein bemerkenswerter Turnaround gelungen war, ist mit dem Ausgang der jüngsten Präsidentschaftswahl schon wieder fraglich, ob dieser Erfolg von Dauer sein wird. In Rumänien hat bei der dortigen Präsidentschaftswahl im Dezember 2024 mit Călin Georgescu ein rechtsextremer Kandidat im ersten Wahlgang die relative Mehrheit der Stimmen gewinnen können, der bis dahin völlig unbekannt war und seinen Wahlkampf vorwiegend auf Onlineplattformen betrieben hat. Nach der Annullierung der Wahl durch das rumänische Verfassungsgericht wegen des Verdachts der massiven Wahlbeeinflussung durch Russland erhielt bei der Neuwahl Anfang Mai mit George Simion zwar ein bekannterer Kandidat die meisten Stimmen, aber auch er ist ein Rechtsextremist, der seinen Wahlkampf vorwiegend auf das Internet ausgerichtet hat. Auch wenn er in der Stichwahl knapp unterlag, weil alle anderen Parteien schließlich den unabhängigen Kandidaten Nicușor Dan unterstützten, zeigt Simions Erfolg doch, welche Effekte sich mit Online-Wahlkämpfen erzielen lassen. Der Vorgang sollte allen liberalen Demokraten eine Warnung sein: In der Plattformdemokratie bedarf es keiner Zwangsmittel, um die von interessierten Kreisen erwünschten Ergebnisse zu erzielen. Die Steuerung der Many-to-Many-Kommunikation durch Filterblasen und Echokammern bedient diese Interessen sehr viel effektiver.