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Lauter Lügen und Fake News? | Propaganda und Desinformation | bpb.de

Propaganda und Desinformation Editorial Lauter Lügen und Fake News? Misstrauen in die Medien und die Wahrnehmung von Desinformation und Verschwörungstheorien Von Gilgamesch zum Algorithmus. Kleine Technikgeschichte der Propaganda Wer’s glaubt. Zu den psychologischen Faktoren von Falsch- und Desinformation Kleine Geschichte des Propaganda-Vorwurfs an die politische Bildung Desinformierte Debatte. Das Thema Desinformation und eine verkorkste Richterwahl – Essay Auch Demokraten betreiben Propaganda - Essay Schild, Schwert – und Social Media. Strategien und Erscheinungsformen russischer Desinformation Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas

Lauter Lügen und Fake News? Misstrauen in die Medien und die Wahrnehmung von Desinformation und Verschwörungstheorien

Tanjev Schultz Nikolaus Jackob Miriam Rüdesheim Marc Ziegele Christina Viehmann Daniel Stegmann Christian Schemer Oliver Quiring Ilka Jakobs Nayla Fawzi

/ 17 Minuten zu lesen

Wie steht es um das Vertrauen in etablierte Medien in Deutschland? Hält die Bevölkerung Fake News für weit verbreitet? Und welche Rolle spielen politische Einstellungen und Mediennutzung dabei?

Für moderne Demokratien sind mediale Meinungsbildungsprozesse von großer Bedeutung. Um sich politisch zu orientieren, brauchen die Bürgerinnen und Bürger Informationen, die sie zwar nicht ausschließlich, aber zu einem großen Teil aus medialen Angeboten entnehmen. Sind diese Informationen falsch, gibt es ein Problem – zumindest dann, wenn die Menschen ihnen vertrauen und sich bei ihrer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auf sie stützen. Der Zusammenhang von Information und Vertrauen kann auch in die andere Richtung zum Problem werden: Wenn Informationen solide sind, die Menschen ihnen aber nicht trauen.

In Zeitdiagnosen werden beide Störungen des für die Demokratie so wichtigen Verhältnisses problematisiert. Durch Propaganda-Aktivitäten sei eine Fülle falscher Informationen im Umlauf, die sich im Internet besonders leicht verbreiten ließen. Zugleich würden Fernsehsender und Zeitungen, die trotz mancher Defizite als etablierte journalistische Angebote weitgehend verlässliche Quellen seien, in der Bevölkerung an Vertrauen verlieren.

Der Ausdruck „Fake News“ ist weit verbreitet. Umgangssprachlich ist er für diverse Formen unseriöser und falscher Informationen gebräuchlich, wird von Politikern wie US-Präsident Donald Trump aber zudem als Kampfbegriff zur Abwertung von Gegnern und unliebsamen Medien verwendet. In der Wissenschaft wird zwischen falscher Information (misinformation), die auf einem Irrtum beruhen kann, und Desinformation (disinformation), die vorsätzlich verbreitet wird, unterschieden. Verschwörungstheorien, die Mis- oder Desinformation umfassen, sind eine spezielle Form kausaler Narrative, die vorgebracht werden, um ein Übel zu erklären: Hier werden mächtige, klandestine Akteure ins Feld geführt, die angeblich vorsätzlich und im Konzert mit anderen Akteuren für zum Beispiel gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen oder Katastrophen (schuldhaft) verantwortlich sein sollen.

Da Fake News und andere Formen von Desinformation als Herausforderungen immer wieder öffentlich thematisiert werden, ist die Bevölkerung dafür sensibilisiert. Die weitverbreitete Besorgnis in Bezug auf dieses Thema könnte Menschen gegenüber einem naiven Glauben an irreführende Informationen immunisieren. Gleichzeitig könnte sie sie jedoch auch misstrauischer machen und dazu bringen, selbst zuverlässigen Quellen kein Vertrauen mehr zu schenken. Wenn sich der Eindruck festsetzt, dass überall Fake News lauern und auch etablierte journalistische Angebote die Bevölkerung manipulieren, wie es das „Lügenpresse“-Narrativ behauptet, könnten vitale Mechanismen demokratischer Öffentlichkeit unterminiert werden.

Auch wenn eine einzelne Studie es nicht leisten kann, solche Szenarien umfassend zu überprüfen, bietet unsere „Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen“ einige aufschlussreiche Befunde für die Diskussion möglicher Trends. Wir nutzen hierfür Daten aus unseren telefonischen Befragungen zum Medienvertrauen der Bevölkerung in Deutschland, die wir seit 2015 jedes Jahr (außer 2021) mit einer bundesweiten Stichprobe von 1200 Menschen ab 18 Jahren erheben. In diesem Beitrag veröffentlichen wir erstmals Angaben darüber, für wie verbreitet die Bevölkerung in Deutschland Fake News hält. Wie hat sich das Vertrauen beziehungsweise Misstrauen in etablierte Medien entwickelt? Inwieweit glauben Bürgerinnen und Bürger an Verschwörungstheorien, und welche Zusammenhänge bestehen zwischen politischen Einstellungen, Mediennutzung und Vertrauen in die Medien?

Quellen von Fake News

Vor allem im Internet nehmen viele Menschen nach eigener Aussage Fake News wahr. In unserer Studie wurde den Befragten erläutert, dass darunter „absichtlich falsche Informationen“ zu verstehen sind, nicht etwa Irrtümer und Fehler ohne Vorsatz. Es ging also um Desinformation, ein Begriff, der für eine repräsentative telefonische Befragung jedoch zu anspruchsvoll ist, während der Ausdruck „Fake News“ weithin bekannt ist.

Die Menschen sollten die Frage beantworten, wie häufig Fake News in bestimmten Medienangeboten vorkamen: in etablierten Medien, in Messengerdiensten, auf Social-Media-Plattformen und in linken oder rechten sogenannten Alternativmedien. Für etablierte journalistische Angebote fällt das Ergebnis recht positiv aus (Tabelle): Fast die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, in diesen Medien seien nur selten oder nie Fake News zu finden. Nur knapp 16 Prozent sagen, Fake News gebe es dort häufig oder sehr häufig. Es sind zwar immer noch sehr viele Menschen, die dort regelmäßig Desinformation zu erkennen meinen, aber deutlich weniger als bei Messengerdiensten und Social-Media-Plattformen. Dort nehmen jeweils etwa zwei Drittel häufig oder sehr häufig Fake News wahr. Auch Alternativmedien, die sich bewusst vom „Mainstream“ absetzen, erscheinen vielen Befragten als anfällig für Fake News. Dies vermuten bei linken Alternativmedien 41 Prozent, bei rechten Alternativmedien 61 Prozent. Auffällig ist hier der hohe Anteil von „weiß nicht“-Antworten, die vermutlich damit zusammenhängen, dass diese Medien eine Nische sind, die vielen Menschen unbekannt ist.

Die Befragten sollten außerdem angeben, wie häufig ihnen Fake News in den Medien begegnen, die sie „ganz persönlich regelmäßig nutzen, um sich zu informieren“. Die Verteilung der Antworten ähnelt den Angaben zu den etablierten Medien: 18 Prozent geben an, dass ihnen in den von ihnen persönlich regelmäßig genutzten Medien häufig oder sehr häufig Fake News begegnen. 34 Prozent erklären, dies geschehe gelegentlich, und 46 Prozent geben an, sie seien in ihren bevorzugten Medien selten oder nie mit Fake News konfrontiert. Demnach versuchen viele Menschen, sich im eigenen Informationsverhalten auf solche Medien zu konzentrieren, von denen sie den Eindruck haben, dass sie wenige Fake News enthalten.

Aus der Befragung lässt sich nicht ableiten, ob die Menschen mit ihrer Wahrnehmung richtig liegen und ob tatsächlich so viel oder so wenig Desinformation in den jeweiligen Medien zu finden ist, wie sie glauben. Allerdings erlauben die Zahlen den Rückschluss, dass eine Mehrheit der Bevölkerung mit Skepsis und Vorsicht vor allem auf Informationen von Messengerdiensten und Social-Media-Plattformen schaut. Für seriöse journalistische Angebote liegt darin eine Chance, sich als verlässliche Quellen zu empfehlen – zumal viele Redaktionen den Kampf gegen Desinformation ausdrücklich als ihre Aufgabe betrachten: In einer Studie, für die 2022/23 in einer repräsentativen Stichprobe bundesweit Journalistinnen und Journalisten befragt wurden, sagten 86 Prozent, es sei für ihre tägliche Arbeit sehr wichtig oder extrem wichtig, „Desinformation entgegenzuwirken“.

Stabilität im Vertrauen

Wie steht es nun allgemein um das Vertrauen in die Medien? Im Zusammenhang mit Fake News und dem Eindruck, diese hätten durch die Digitalisierung und durch forcierte (ausländische) Propaganda-Aktivitäten zugenommen, wird bisweilen auch vermutet oder behauptet, es gäbe eine Erosion des Vertrauens in die Medien. Tatsächlich zeigen Umfragedaten aus Ländern wie den USA oder Frankreich in den vergangenen Jahren sinkende Werte für das allgemeine Vertrauen in die etablierten Medien. Die politische Öffentlichkeit und ebenso das Medienangebot sind dort jedoch – unter anderem wegen politisch-kultureller und mediensystemischer Ursachen – stärker polarisiert als in Deutschland, sodass sich leichter als hierzulande Lager um einzelne Medien bilden, denen mehr oder weniger noch vertraut wird, während andere Medien als Teil eines gegnerischen Lagers wahrgenommen werden, dem dann unter Umständen – wie Donald Trump es unentwegt tut – vorgeworfen wird, lediglich Fake News zu verbreiten.

In Deutschland ist die Lage etwas anders, obwohl auch hierzulande seit Jahren Tendenzen einer politischen und medialen Polarisierung zu erkennen sind. Insbesondere die AfD hat öffentliche Debatten verändert. Dennoch existieren Bindekräfte, die im Zentrum des politischen Systems und der Öffentlichkeit wirken und das Ausmaß der Polarisierung bisher begrenzen: ein Mehrparteiensystem mit Akteuren, die mal etwas mehr, mal etwas weniger in die Mitte streben; in der Reichweite weiterhin starke öffentlich-rechtliche Sender; ein im internationalen Vergleich trotz Strukturkrisen noch immer einigermaßen starkes Angebot an Zeitungen, von denen viele auf ein breites Publikum ausgerichtet sind; und nicht zuletzt eine politische Kultur, die jahrzehntelang recht konsensorientiert war und in Teilen heute noch ist.

So sind die Vertrauenswerte in Deutschland über die Jahre hinweg stabiler als es manche Diskussionen vermuten lassen. Misstrauen oder sogar feindselige Einstellungen gegen etablierte Medien sind zwar verbreitet, aber kein Mehrheitsphänomen. Auf Basis der Mainzer Langzeitstudie können wir feststellen, dass es in Deutschland bisher keine flächendeckende Erosion im Medienvertrauen gibt. Eher werden leichte Schwankungen sichtbar. So stiegen die Vertrauenswerte für die Medien im ersten Jahr der Corona-Pandemie auf einen bisherigen Höchststand und fielen im Laufe der Zeit zurück auf ein ähnliches Niveau wie zu Zeiten vor der Pandemie.

Aufschlussreich ist der Vergleich mit anderen Institutionen (Abbildung 1). Die Medien liegen im Vertrauensranking mit derzeit 47 Prozent im Mittelfeld. Besser schneiden schon seit Jahren die Wissenschaft (72 Prozent) und die Justiz (63 Prozent) ab, kaum schlechter die Bundeswehr (45 Prozent), deutlich schlechter die Politik (19 Prozent) und die Kirchen (14 Prozent). Betrachtet man die Entwicklung im Zeitverlauf, ist das Vertrauen in die Medien von Stabilität geprägt, während für die Kirchen tatsächlich von einer Erosion gesprochen werden kann. Die Bundeswehr und die Justiz haben im Laufe der Zeit an Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen.

Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass viele Befragte sich weder auf die Seite der Vertrauenden noch der Misstrauenden schlagen, sondern mit der Antwort „teils, teils“ eine mittlere oder ambivalente Position einnehmen. Dies muss für die jeweilige Institution nicht unbedingt ein Krisensymptom sein, da bei einer pauschalen Abfrage (Vertrauen in die Medien) eine Grundskepsis und der Wunsch nach Differenzierung verständlich und sogar wünschenswert sein können. So beträgt der Anteil der Menschen, die angeben, sie würden den Medien kein Vertrauen schenken beziehungsweise ihnen misstrauen, aktuell nur 20 Prozent; etwa ein Drittel vertraut den Medien „teils, teils“.

Es ist daher wichtig, nicht nur auf das Institutionenvertrauen an sich zu schauen, sondern auch zu prüfen, welchen Mediengattungen die Menschen Vertrauen aussprechen und welchen nicht. Bei einer Abfrage unterschiedlicher Medientypen erreicht in Deutschland der öffentlich-rechtliche Rundfunk seit Jahren die höchsten Anteile von Vertrauenden. Aktuell sind es 61 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings sind hier Veränderungen erkennbar: In früheren Jahren lagen die Werte bei rund 70 Prozent. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lässt sich demnach tatsächlich ein Schwund im Vertrauen diagnostizieren, wenn auch ausgehend von einem recht hohen Niveau. Mögliche Ursachen für diesen Rückgang finden sich in grundlegenden Diskussionen über die Rolle und Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen oder in Skandalen wie der Schlesinger-Affäre im Rundfunk Berlin-Brandenburg.

„Lügenpresse“-Vorwürfe

Aus der Mainzer Langzeitstudie geht hervor, dass eine Minderheit in der Bevölkerung äußerst kritisch bis feindselig auf etablierte Medien blickt. Diese Gruppe hat nicht nur geringes oder gar kein Vertrauen in die großen Fernsehsender und Zeitungen, sie unterstellt diesen auch, systematisch falsch zu berichten und mit der Politik gemeinsame Sache zu machen. Solche Vorwürfe finden einen Ausdruck im „Lügenpresse“-Narrativ, das in Deutschland seit 2014/15 von populistischen und rechtsextremistischen Akteuren vorgebracht wird und zum Beispiel in der Pegida-Bewegung eine Rolle spielte. Der „Lügenpresse“-Vorwurf ist im Grunde eine Zuspitzung und Verallgemeinerung von Fake-News-Bezichtigungen.

In der jüngsten Befragung der Langzeitstudie Ende 2024 stimmten bundesweit 20 Prozent der Aussage zu, dass die Bevölkerung in Deutschland von den Medien „systematisch belogen“ werde (Abbildung 2). Zwei Jahre zuvor lag der Wert bei 14 Prozent. Der Aussage, dass die Medien und die Politik Hand in Hand arbeiten würden, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren, stimmten aktuell 24 Prozent zu, vor zwei Jahren waren es 21 Prozent.

Etwa jede fünfte Person in Deutschland hat demnach eine extrem negative Sicht auf die Arbeit der Medien, wir sprechen in diesem Zusammenhang von „Medienzynismus“. Damit ist ein Muster von Einstellungen gemeint, mit denen die Integrität und Legitimität etablierter Medien und des gesamten Mediensystems infrage gestellt wird. Explizit nicht gemeint sind klassische und auch wissenschaftlich belegbare Vorwürfe von Einseitigkeiten, Tendenzen oder Auslassungen, wie sie in allen Medien vorkommen können. Zynismus bedeutet im Kontext unserer Studie den Glauben an absichtsvolle Manipulation, Lüge und Verschwörung mit der Politik. Dieser Medienzynismus hat derzeit keine Mehrheit in Deutschland, wird aber durch eine gegen etablierte Medien gerichtete Propaganda aus dem In- und Ausland angeheizt. Stark verbreitet sind medienzynische Einstellungen laut unseren Daten bei Anhängerinnen und Anhängern der AfD und bei Menschen mit hoher Unzufriedenheit mit dem politischen System.

Der Anteil der Befragten, die dem „Lügenpresse“-Narrativ zustimmen, ist ähnlich hoch wie der Anteil der Befragten, die angeben, in den etablierten Medien gebe es häufig oder sehr häufig Fake News. So stimmten zuletzt rund 60 Prozent derjenigen, die häufig Fake News in den etablierten Medien wahrnehmen, auch dem „Lügenpresse“-Narrativ zu. Umgekehrt ist die Zustimmung zu diesem Narrativ unter denjenigen, die keine Fake News in den etablierten Medien wahrnehmen, mit 7,7 Prozent viel geringer.

Glaube an Verschwörungstheorien

Die Vorstellung, Medien und Politik würden Hand in Hand arbeiten, um die Bevölkerung zu manipulieren, hat einen verschwörungstheoretischen Einschlag. Die Eliten, so ließe es sich übersetzen, würden unter einer Decke stecken – und das nicht zum Wohle der „einfachen“ Bürgerinnen und Bürger. Für Journalistinnen und Journalisten, die sich zu großen Teilen in der Rolle als sachliche, zudem kritische Beobachter, Gegengewicht zur Macht und gegebenenfalls als Enthüller von Missständen sehen, muss diese Unterstellung frustrierend sein, selbst wenn nur eine Minderheit sie äußert.

Über Verschwörungstheorien wird seit einigen Jahren intensiver geforscht. Auch hier mag in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrschen, die Ausbreitung solcher Theorien nähme beständig zu. Die Mainzer Langzeitstudie liefert allerdings einige Hinweise, die dem genannten Eindruck widersprechen. In den Umfragen erfassen wir die Zustimmung zu einigen bekannten Verschwörungstheorien, beispielsweise zur Behauptung, die Terroranschläge vom 11. September 2001 („9/11“) seien von den USA selbst inszeniert worden, oder die Idee, Pharmakonzerne würden Krankheitserreger aussetzen, um ihren Medikamentenverkauf anzukurbeln. Wie die Daten zeigen, ist der Anteil an Befragten, die solchen Theorien zustimmen, durchweg geringer als der Anteil von Befragten, die Politik und Medien eine konspirative Zusammenarbeit unterstellen.

Der Glaube an einzelne Verschwörungstheorien ist im Zeitverlauf instabil und teilweise rückläufig. So hielten in unserer Befragung Ende 2024 nur etwa 6 Prozent die Aussage, die USA hätten „9/11“ selbst inszeniert, für „wahrscheinlich wahr“ oder „ganz sicher wahr“, während es in früheren Jahren (2017, 2018 und 2019) jeweils 13 Prozent waren. Die Medikamenten-Theorie teilten zuletzt etwa 9 Prozent, 2019 waren es noch 17 Prozent. Ebenfalls rund 9 Prozent glaubten in der aktuellen Umfrage an die rechtsextremistische Theorie, hinter der Zuwanderung stecke eine „Strategie zur Abschaffung des deutschen Volkes“. Von einer breiten Zustimmung kann bei den genannten Beispielen keine Rede sein. Was Propaganda-Aktivitäten und Desinformation zugunsten solcher Theorien betrifft, fällt ihre Bilanz zumindest in Deutschland bisher mager aus.

Unsere Analysen zeigen soziopolitische Zusammenhänge: Sowohl der Glaube an Verschwörungstheorien als auch die Zustimmung zu medienzynischen Aussagen sind bei Menschen, die zur AfD neigen, stärker verbreitet als bei Menschen, die mit anderen Parteien sympathisieren. Auch die Mediennutzung unterscheidet sich: Menschen, die etablierte Medien wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk intensiv nutzen, glauben tendenziell weniger an Verschwörungstheorien als Menschen, die intensiv rechts-alternative Medien nutzen. Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, haben in der Tendenz ein niedriges Vertrauen in die etablierten Medien.

Wird der Blick wieder vom Thema Verschwörungstheorien auf das größere Feld der Falschinformationen gelenkt, legen neue Befunde nahe, dass jüngere Menschen und formal weniger Gebildete solchen Informationen unvorsichtiger begegnen und sie weniger gut von akkuraten Darstellungen unterscheiden können. In der Mainzer Langzeitstudie stechen jüngere Befragte dagegen in anderer Weise heraus: In der aktuellen Befragung zeigten die 18- bis 29-Jährigen im Durchschnitt ein höheres allgemeines Vertrauen in etablierte Medien als Ältere. Auch dieser Befund spricht gegen eine Erosion des Vertrauens – und damit verbunden gegen einen immer weiter zunehmenden Glauben an Fake News und Verschwörungserzählungen.

Ausblick

Die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen zeichnet ein differenziertes Bild: Alarmistische Diagnosen, die einen flächendeckenden Schwund des Vertrauens in die Medien erkennen wollen und Verbindungen zu einer Zunahme von Propaganda und Desinformation herstellen, erweisen sich für Deutschland als übertrieben. Dennoch gibt es aus der Perspektive einer normativen Demokratie- und Öffentlichkeitstheorie problematische Entwicklungen.

Das allgemeine Vertrauen in etablierte Medien ist in Deutschland relativ robust. Dazu passt, dass nur eine Minderheit in den großen Fernsehsendern und Zeitungen häufig Fake News wahrzunehmen meint. Viele Menschen sehen Probleme eher auf den digitalen Plattformen, in Telegram-Gruppen und alternativen Medien eines dezidiert rechten oder linken Spektrums. Diese werden von deutlich mehr Menschen als Verbreiter von Fake News gesehen.

Zur Entdramatisierung trägt außerdem die Überlegung bei, dass Desinformation von vielen als solche erkannt und verworfen wird. Laut unseren Daten ist sich ein großer Teil der Bevölkerung der Existenz irreführender Nachrichten und der Notwendigkeit, bei bestimmten Quellen vorsichtig zu sein, durchaus bewusst. Viele Menschen beziehen ihre Informationen nicht nur aus einer Quelle. Das Beispiel der USA lehrt allerdings, dass Propaganda und Desinformation leichteres Spiel haben, sobald die politische Kultur insgesamt aggressiver und unsachlicher wird und die Polarisierung so weit voranschreitet, dass viele Menschen vor allem Informationen beziehen, die ihren Voreinstellungen entsprechen.

Ohnehin wäre es verfehlt, die Ergebnisse unserer Studie für eine umfassende Entwarnung zu nutzen. Erstens kann auf Basis der Umfragen nicht ermessen werden, wie viel Desinformation die Menschen tatsächlich ausgesetzt sind und wie sehr diese in konkreten Fällen verfängt. Ein Problem könnten weniger die recht offensichtlichen Falschmeldungen sein, denen nur wenige glauben, als das Ausmaß an verzerrten und sensationalistischen Darstellungen, die auch in klassischen Informationsmedien vorkommen können. Zweitens haben wir Belege dafür, dass ungefähr ein Fünftel der Bevölkerung die Legitimität der etablierten Medien anzweifelt und ihnen extrem kritisch bis feindselig gegenübersteht. Für diese Gruppe, bei der es sich um mehrere Millionen Menschen handelt, kann von einem stark gestörten Verhältnis zu den klassischen journalistischen Angeboten gesprochen werden. Diese Störung könnte durch populistische und extremistische Akteure befeuert werden. Drittens schließlich erlauben telefonische Befragungen wie die unsere keine hinreichende Detailauflösung, um alle offenen Fragen auszuräumen.

Die Versuche, das Vertrauen in die etablierten Medien zu erschüttern, können das Publikum dazu nötigen, das Verhältnis zum Journalismus immer wieder neu zu überprüfen. Für seriös arbeitende Redaktionen kann eine Chance darin liegen, dass viele Menschen auf der Suche nach verlässlichen Quellen sind. Zugleich besteht stets die Gefahr, dass Teile des Publikums verunsichert werden und sich Risse im Vertrauen bilden – zumal dann, wenn auch etablierten Medien Fehler unterlaufen oder sie bei schwierigen Themen durch eine verzerrte oder unfaire Berichterstattung negativ auffallen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der als wichtiger Faktor für eine im internationalen Vergleich noch immer große Stabilität des deutschen Mediensystems wirkt, ist laut unseren Langzeitdaten bereits mit einem Rückgang des Vertrauens konfrontiert.

Hinzu kommt als weitere Unsicherheit und mögliche Bedrohung für die Stabilität ein Wandel in der Mediennutzung, deren Richtung – beispielsweise mit Blick auf Künstliche Intelligenz – schwer vorhersagbar ist. Insofern steht für die demokratische Öffentlichkeit viel auf dem Spiel. Wenn journalistische Angebote irgendwann nur noch wenige Menschen erreichen, ist die Frage, ob sie frei von Fake News sind, weitgehend hinfällig.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Nikolaus Jackob, Gesehen, gelesen, geglaubt? Warum die Medien nicht die Wirklichkeit abbilden und die Menschen ihnen dennoch vertrauen, München 2012, S. 229–244.

  2. Vgl. Soroush Vosoughi et al., The Spread of True and False News Online, in: Science 359/2018, S. 1146–1151; W. Lance Bennett/Steven Livingston, The Disinformation Order: Disruptive Communication and the Decline of Democratic Institutions, in: European Journal of Communication 2/2018, S. 122–139.

  3. Als Beispiel für solche, mitunter anekdotisch argumentierenden Zeitdiagnosen vgl. Anita Blasberg, Der Verlust. Warum nicht nur meiner Mutter das Vertrauen in unser Land abhandenkam, Hamburg 2022.

  4. Vgl. Elena Broda/Jesper Strömbäck, Misinformation, Disinformation, and Fake News: Lessons From an Interdisciplinary, Systematic Literature Review, in: Annals of the International Communication Association 2/2024, S. 139–166.

  5. Vgl. Michael Butter/Peter Knight (Hrsg.), Routledge Handbook of Conspiracy Theories, Abingdon 2021; Roland Imhoff (Hrsg.), Die Psychologie der Verschwörungstheorien, Göttingen 2023.

  6. So wollten wir bereits 2017 in unserer „Langzeitstudie Medienvertrauen“ wissen, was die Befragten von dieser Aussage hielten: „Fake News sind eine echte Gefahr für die Gesellschaft.“ Eine klare Mehrheit – 74 Prozent – stimmte zu. Vgl. Nikolaus Jackob et al., Medienvertrauen in Deutschland, Bonn 2023, S. 106, Externer Link: https://www.bpb.de/520602.

  7. Emily Van Duyn/Jessica Collier, Priming and Fake News: The Effects of Elite Discourse on Evaluations of News Media, in: Mass Communication and Society 1/2018, S. 29–48.

  8. Die Studie ist wissenschaftlich unabhängig. Seit drei Jahren wird sie von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Frühere Umfragen wurden durch das Meinungsforschungsinstitut Ifak durchgeführt, die jüngsten drei Wellen durch das Institut Kantar, das mittlerweile Verian heißt. Die aktuelle Befragung erfolgte im November/Dezember 2024. Bei einer Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 Prozent betrug die statistische Fehlertoleranz maximal +/−3 Prozentpunkte. Zur Methode und den jüngsten Ergebnissen ausführlicher Nayla Fawzi et al., Stabiles Medienvertrauen auch in Zeiten politischer Umbrüche, in: Media Perspektiven 13/2025, S. 1–20.

  9. Vgl. Rasmus Kleis Nielsen/Lucas Graves, „News You Don’t Believe“. Audience Perspectives on Fake News, Factsheet, Oxford 2017.

  10. Vgl. Anna von Garmissen et al., Journalismus in Deutschland 2023: Befunde zur Situation und Selbsteinschätzung einer Profession unter Druck, in: Medien & Kommunikationswissenschaft 1/2025, S. 3–34, hier S. 19.

  11. Populär zum Beispiel (wenn auch ohne das Wort „Erosion“): Richard David Precht/Harald Welzer, Die Vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist, Frankfurt/M. 2022, S. 7ff.

  12. Vgl. Nic Newman et al., Reuters Digital News Report 2024, Oxford 2024; Ilka Jakobs et al., Medienvertrauen im internationalen Vergleich – Befunde aus Deutschland, Spanien, Schweden und den USA, in: UFITA – Archiv für Medienrecht und Medienwissenschaft 2/2022, S. 374–401.

  13. Vgl. Marvin Kalb, Enemy of the People: Trump’s War on the Press, the New McCarthyism, and the Threat to American Democracy, Washington 2018; Pablo J. Boczkowski/Zizi Papacharissi (Hrsg.), Trump and the Media, Cambridge 2018.

  14. Vgl. Jackob et al. (Anm. 6), S. 47; Judith Kretzschmar et al., Von Lügenpresse und abgehobenen Eliten. Journalismus- und Demokratievertrauen in Sachsen, Bielefeld 2025.

  15. Vgl. Fawzi et al. (Anm. 8); Jackob et al. (Anm. 6).

  16. Vgl. Ilka Jakobs et al., Medienvertrauen in Krisenzeiten, in: Media Perspektiven 3/2021, S. 152–162; Tanjev Schultz et al., Medienvertrauen nach Pandemie und „Zeitenwende“, in: Media Perspektiven 8/2023, S. 1–17; Oliver Quiring et al., Zurück zum Niveau vor der Pandemie – Konsolidierung von Vertrauen und Misstrauen, in: Media Perspektiven 9/2024, S. 1–14,

  17. Vgl. Kayhan Özgenç, Die Akte Schlesinger: wie wir der Misswirtschaft im RBB auf die Schliche kamen, in: Andrea Claudia Hoffmann (Hrsg.), Investigativer Journalismus in Deutschland, Wiesbaden 2024, S. 91–100.

  18. Vgl. zur Feindseligkeit Johanna Schindler et al., Woher kommt und wozu führt Medienfeindlichkeit?, in: Medien & Kommunikationswissenschaft 3/2018, S. 283–301.

  19. Vgl. Volker Lilienthal/Irene Neverla (Hrsg.), Lügenpresse. Anatomie eines politischen Kampfbegriffs, Köln 2017; Kretzschmar et al. (Anm. 14).

  20. Vgl. Fawzi et al. (Anm. 8); Jackob et al. (Anm. 6).

  21. Oliver Quiring et al., Constructive Skepticism, Dysfunctional Cynicism? Skepticism and Cynicism Differently Determine Generalized Media Trust, in: International Journal of Communication 15/2021, S. 3497–3518; Nikolaus Jackob et al., Medienskepsis und Medienzynismus. Funktionale und dysfunktionale Formen von Medienkritik, in: Communicatio Socialis 1/2019, S. 19–35.

  22. Vgl. Tanjev Schultz, Getrieben von der AfD. Journalismus und Medien in Zeiten des Autoritären Nationalradikalismus, in: Günter Frankenberg/Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Autoritäre Treiber eines Systemwechsels, Frankfurt/M. 2025, S. 273–294.

  23. Vgl. Tanjev Schultz et al., Verschwörungsglaube, Medienzynismus und Militanz: Einstellungen und Informationsquellen von Menschen mit AfD-Wahlpräferenz – ein Beitrag zur Radikalisierungsforschung, in: Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung 1/2021, S. 60–89.

  24. Vgl. von Garmissen et al. (Anm. 10).

  25. Vgl. Butter/Knight (Anm. 5); Imhoff (Anm. 5).

  26. Vgl. Jackob et al. (Anm. 6), S. 110. Befragte können in der Studie auch mit „unentschieden“ auf die Fragen nach konkreten Verschwörungstheorien antworten. Menschen, die das sagen, können dafür unterschiedliche Gründe haben, z.B. den Eindruck, nicht genug über das Thema zu wissen. Möglich ist auch eine Form „intellektueller Demut“, die davon ausgeht, dass eventuell erst noch Erkenntnisse ans Licht kommen könnten und eine voreilige Festlegung vermieden werden sollte. Vgl. Mark R. Leary et al., Cognitive and Interpersonal Features of Intellectual Humility, in: Personality and Social Psychology Bulletin 6/2017, S. 793–813.

  27. In den USA mag die Lage teilweise anders aussehen. Dort sind sowohl Verschwörungstheorien zu 9/11 als auch zu anderen politisch aufgeheizten Themen recht verbreitet. Zur Bedeutung individueller Voreinstellungen und Mentalitäten im Vergleich zum Einfluss medial vermittelter Propaganda siehe Jan Zilinsky et al., Justifying an Invasion: When Is Disinformation Successful?, in: Political Communication 6/2024, S. 965–986.

  28. Vgl. Schultz et al. (Anm. 23).

  29. Vgl. Christian Schemer et al., Political Information Use and Its Relationship to Beliefs in Conspiracy Theories Among the German Public, in: Journalism & Mass Communication Quarterly 4/2022, S. 908–929.

  30. Vgl. Jackob et al. (Anm. 6), S. 110–114.

  31. Vgl. Yara Kyrychenko et al., Profiling Misinformation Susceptibility, in: Personal and Individual Differences 241/2025, Externer Link: https://doi.org/10.1016/j.paid.2025.113177.

  32. Vgl. Sacha Altay et al., Misinformation on Misinformation: Conceptual and Methodological Challenges, in: Social Media + Society 1/2023, S. 1–13; Bertram Gawronski et al., Debunking Three Myths About Misinformation, in: Current Directions in Psychological Science 1/2025, S. 36–42. Zudem wird das Ausmaß, in dem Menschen Fake News überhaupt ausgesetzt sind, womöglich oft überschätzt. Vgl. Ceren Budak et al., Misunderstanding the Harms of Online Misinformation, in: Nature 630/2024, S. 45–53.

  33. Unsere Daten zeigen, dass die wahrgenommene Verrohung des öffentlichen Diskurses auch in Deutschland zugenommen hat, vgl. Fawzi et al. (Anm. 8).

  34. Diese könnten einerseits das Bild beeinflussen, das Menschen z.B. von der Politik haben. Andererseits können Menschen, die verzerrte Darstellungen in den Medien erkennen (bzw. zu erkennen glauben), ihr Vertrauen in etablierte Medien infrage stellen. Vgl. Kretzschmar et al. (Anm. 14).

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ist Professor am Journalistischen Seminar und am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Geschäftsführer und außerplanmäßiger Professor am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Masterstudentin in digitaler Kommunikationsforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

leitet das Team Transparent Social Analytics der Abteilung Computational Social Science bei GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Professor für Allgemeine Kommunikationsforschung am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg Universität Mainz.

ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Akademische Rätin am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ist Professorin für Demokratie und Digitale Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.