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Auch Demokraten betreiben Propaganda | Propaganda und Desinformation | bpb.de

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Auch Demokraten betreiben Propaganda

Pauline Jäckels

/ 12 Minuten zu lesen

Die verbreitete Vorstellung davon, was Propaganda ist und wer sie betreibt, ist nicht nur falsch, sondern auch das Ergebnis eines Propagandatricks. Demnach wird Propaganda nur von Autokraten betrieben.

Fällt das Wort „Propaganda“, denken die allermeisten an Wladimir Putin, Kim Jong-un oder Joseph Goebbels – also die bösen Männer der Weltgeschichte, die mit gezielten Lügen und Manipulationstaktiken die Massen „gehirnwaschen“. Propaganda wird, so die gängige Annahme in demokratischen Staaten, ausschließlich von „anderen“, von autokratischen Regimen, betrieben.

Eine russische Militärparade gilt hierzulande selbstverständlich als Propagandaveranstaltung. Wenn Deutschland in Litauen mit Panzern seine militärische Macht zur Schau stellt und Deutschlandfähnchen verteilt, würde kaum jemand dies so bezeichnen. Alle wissen: Die Hamas verbreitet über Chats und in den sozialen Medien Kriegspropaganda. Der aktuellen israelischen Regierung wirft bis auf wenige Ausnahmen kaum ein hiesiger Beobachter Propaganda vor. Auch wenn sie über Youtube-Videos Desinformation verbreitet oder mit bezahlten Bots versucht, den Internetdiskurs zu beeinflussen.

Die weitverbreitete Vorstellung davon, was Propaganda ist und wer sie betreibt, ist nicht nur falsch – sie ist Ergebnis eines historischen Propagandatricks. Um genau zu sein, ist unser heutiges Verständnis des Wortes „Propaganda“ nicht gänzlich falsch, sondern enorm verkürzt. In der Politikwissenschaft beschreibt der Begriff „Propaganda“ schlicht den Versuch staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, die öffentliche Meinung durch die strategische Verbreitung von Informationen in ihrem eigenen Sinne zu manipulieren, also zu beeinflussen.

Propaganda kann auf Lügen basieren, muss es aber nicht zwangsläufig. Natürlich kann Desinformation Teil einer Propagandastrategie sein, doch geschulte Propagandisten wissen: Werden Lügen von Rezipienten als solche enttarnt, verliert der Absender dauerhaft an Glaubwürdigkeit, und die Manipulation scheitert. Insbesondere in Gesellschaften mit freiem Zugang zu Informationen wird Propaganda viel häufiger über die Aneinanderreihung ausgewählter Fakten, das strategische Weglassen relevanter Informationen oder das Framing bestimmter Informationen betrieben. Ob man die ausgesendeten Informationen oder die Agenda dahinter gut findet, ist irrelevant. Propagandamethoden können für linke wie für rechte, für staatliche oder oppositionelle Anliegen angewendet werden.

Ebenso spielt es nach der wissenschaftlichen Definition des Propagandabegriffs keine Rolle, wer die Informationen verbreitet: Demokratische Regierungen können demnach ebenso Propaganda betreiben wie autokratische Regierungen und andere politische Akteure, darunter Lobbygruppen, Parteien, Unternehmen, nichtstaatliche Milizen und aktivistische Gruppen.

Um zu bestimmen, was Propaganda ist, sind vor allem zwei Kernmerkmale entscheidend: Erstens müssen die Informationen systematisch verbreitet werden, beispielsweise durch eine eigens dafür designierte Pressestelle, und zweitens muss der primäre Zweck darin bestehen, das eigene Handeln in ein möglichst gutes Licht zu rücken, es vor Kritik abzuschirmen und öffentliche Unterstützung zu generieren. Genauso wie das „laute Aussenden“ der eigenen Positionen können auch Silencing-Praktiken gegenüber gegnerischen Stimmen Teil einer Propagandastrategie sein. Dazu zählen die Delegitimierung, Diffamierung und im Extremfall die direkte Unterdrückung.

Strategische Kommunikation ist zunächst einmal ein Instrument der Soft Power, das politische Akteure einsetzen können. Der Begriff „Soft Power“ wurde vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph Nye geprägt und bezeichnet die Machtausübung durch die Beeinflussung der Ziele politischer Akteure, ohne dass dazu wirtschaftliche Anreize oder militärische Bedrohungen – also Hard Power – eingesetzt werden. Die Annahme, demokratische Akteure würden auf dieses Machtmittel verzichten, ist ebenso naiv wie verbreitet.

Kleine Geschichte des Propagandabegriffs

Wie konnte sich ein verkürztes Verständnis des Propagandabegriffs etablieren, dass heute kaum noch jemand die eigentliche Bedeutung des Wortes kennt? Die Antwort ist einfach: Zwar betreiben alle Staaten und politischen Akteure Propaganda, sie nennen es nur anders. Public Relations, Public Diplomacy, Öffentlichkeitsarbeit oder strategische Kommunikation sind alles Euphemismen für das Wort „Propaganda“. Oder wie der ehemalige US-Diplomat Richard Holbrooke es auf den Punkt brachte: „Nennen Sie es Public Diplomacy, Public Affairs, psychologische Kriegsführung oder – wenn Sie ganz unverblümt sein wollen – Propaganda.“ Versuche, zwischen diesen Begriffen und dem Wort „Propaganda“ zu unterscheiden, sind laut dem Publizistikprofessor Michael Kunczik nichts weiter als „semantische Spielereien“.

Bis ins 20. Jahrhundert war der Begriff weitgehend neutral – er ist abgeleitet vom Lateinischen propagare, was so viel wie „verbreiten“ bedeutet. Noch im Ersten Weltkrieg scheuten sich westliche Staaten nicht, ihre Informationsaktivitäten als Propaganda zu bezeichnen. Großbritannien gründete beispielsweise 1914 das War Propaganda Bureau, um die deutsche Kriegspropaganda zu kontern und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen. Erst durch Joseph Goebbels, Adolf Hitlers Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, wurde der Begriff untrennbar mit Manipulation, Lügen und diktatorischer Unterdrückung verbunden. Nach 1945 war „Propaganda“ im Westen ein verbranntes Wort. Die Praxis selbst blieb jedoch ein zentraler Bestandteil staatlicher Machtausübung. Um dem schlechten Ruf des Begriffs zu entgehen, wurden einfach neue Begriffe für dieselbe Praxis geschaffen.

Der Begriff „Public Relations“ etwa geht auf Edward Bernays zurück. In der BBC-Dokumentation „Century of the Self“ erinnert sich der ehemalige US-Propagandist und Vater der Propagandatheorie: „Propaganda wurde zu einem Schimpfwort, weil die Deutschen es benutzten. Also versuchte ich, einen anderen Begriff zu finden, und wir dachten uns den Begriff Public Relations aus.“ Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds, hatte im Ersten Weltkrieg für das Committee on Public Information gearbeitet, dessen Aufgabe es war, in der Bevölkerung Unterstützung für den Krieg zu erzeugen. Nach dem Krieg kam Bernays die Idee, dass „Anstrengungen, um die Einstellungen des Feindes, der Neutralen und der Bevölkerung dieses Landes zu beeinflussen, auch auf Bestrebungen in Friedenszeiten angewendet werden können“. 1919 gründete er eine der ersten PR-Beratungsfirmen der Welt: Edward L. Bernays, Counsel on Public Relations. Zu den Kunden zählten in den folgenden Jahrzehnten nicht nur zahlreiche US-Präsidenten, sondern auch US-Großunternehmen wie Ford, die American Tobacco Company und die United Fruit Company.

In seinem 1928 erschienenen Buch „Propaganda: The Public Mind in the Making“ erläuterte Bernays, warum Propaganda gerade in Demokratien von besonderer Bedeutung sei: Früher konnten Machthaber tun und lassen, was sie wollten. In modernen Gesellschaften hingegen sei die öffentliche Zustimmung für jedes größere Vorhaben unerlässlich. Deshalb, so Bernays, müssten nicht nur Politiker, sondern auch Unternehmen, gemeinnützige Organisationen und sogar der Kulturbereich Propaganda gezielt einsetzen, denn „die Öffentlichkeit muss überzeugt werden, Geld zu spenden, genauso wie sie von der Bedeutung der Tuberkuloseprophylaxe überzeugt werden muss“. Mit unserem heutigen Verständnis einer idealen demokratischen Öffentlichkeit konnte Bernays nur wenig anfangen: „Wichtig ist, dass Propagandamaßnahmen kontinuierlich und universell durchgeführt werden und dass sie in ihrer Summe den öffentlichen Geist ganz genau so reglementieren wie eine Armee die Körper ihrer Soldaten.“ Eine tatsächlich freie Meinungsbildung der Öffentlichkeit existierte aus seiner Sicht nicht: „Wir werden regiert, unsere Gedanken geformt, unser Geschmack geprägt, unsere Ideen nahegelegt – größtenteils von Männern, von denen wir noch nie gehört haben. Sie sind es, die an den Fäden ziehen, die den öffentlichen Geist steuern.“

Wenn man es einmal kennt, ist es überall

Werden wir also selbst in demokratischen Staaten immerzu von mächtigen Kräften „gehirngewaschen“? Oder sind das Allmachtsfantasien eines Mannes, der die Wirkmacht seines Metiers überschätzt? Die Realität ist – insbesondere in demokratischen Öffentlichkeiten – wesentlich komplexer als in Bernays’ Darstellung. Und trotzdem enthält seine zugespitzte Darstellung einen wahren Kern: Wir sind nicht nur konstant Versuchen strategischer Meinungsbeeinflussung aus dem Inland ausgesetzt, die von der Regierung, Parteien, Unternehmen und Lobbygruppen ausgehen und die ihre jeweilige Agenda durch strategische Kommunikation zu stärken versuchen. Hinzu kommt auch die Propaganda aus dem Ausland, die darauf abzielt, die Öffentlichkeit hierzulande zu beeinflussen, und die auch als Public Diplomacy bezeichnet wird.

Dieser weniger bekannte Euphemismus für Propaganda prägte der ehemalige US-Diplomat Edmund Gullion 1965. Gullion definierte Public Diplomacy als „Aktivitäten von Regierungen und privaten Akteuren, um durch strategische Kommunikation und kulturellen Austausch die öffentliche Meinung in anderen Ländern zu beeinflussen und das nationale Image zu fördern“ – eine Abwandlung unserer ursprünglichen Propagandadefinition.

Ein aktuelles Beispiel verdeutlicht die Idee dahinter: Die USA und Deutschland sind die beiden wichtigsten Waffenlieferanten Israels. Wenn die öffentliche Meinung gegenüber Israel in diesen Ländern kippt, wächst der Druck auf die Politiker, die Waffenlieferungen einzustellen. Um das zu verhindern, betreibt die israelische Regierung in diesen Ländern neben der Lobbyarbeit auch Public Diplomacy. So kündigte die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu im November 2024 an, das Budget des Außenministeriums um 150 Millionen Schekel (etwa 38 Millionen Euro) aufzustocken, um Public Diplomacy im Ausland zu betreiben: Jeder Schekel, der dieser Sache gewidmet wird, sei eine Investition, keine Ausgabe, und werde Israel und sein Ansehen in der Welt stärken, kommentierte der israelische Außenminister Gideon Sa’ar die Entscheidung.

Wenn man den Begriff „Public Diplomacy“ einmal kennt, findet man ihn überall: Die USA haben ein Department for Public Diplomacy, das dem Department of State angegliedert ist. Katar hat ein Center for Public Diplomacy. Die NATO hat eine Public Diplomacy Division, und sogar im Auswärtigen Amt in Berlin gibt es seit einigen Jahren einen Beauftragten für strategische Kommunikation und Public Diplomacy in der Abteilung für Auswärtige Kulturpolitik, was wiederum ein deutscher Euphemismus für Auslandspropaganda ist.

Die moderne Public Diplomacy ist vielfältig, sodass hier nicht auf ihre Ausprägungen wie Kultur-, Bildungs- oder Sportdiplomatie im Detail eingegangen wird. Ein klassisches deutsches Beispiel für eine Public-Diplomacy-Initiative ist das Goethe-Institut, das nach dem Vorbild des Institut français und des British Council konzipiert wurde. Hauptsächlich finanziert durch Mittel des Bundes vermitteln 150 Institute in 99 Ländern nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch deutsche Kultur, Werte und Perspektiven. Zudem knüpfen sie Netzwerke mit lokalen Akteuren, die dadurch im Idealfall ein positives Bild von Deutschland gewinnen sollen.

Ebenso ist die aus dem Bundeshaushalt finanzierte Deutsche Welle, für die der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien zuständig ist, ein Instrument der Public Diplomacy. Gemäß einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien aus dem Jahr 2014 dient die Deutsche Welle dem Zweck, „die internationale Medienagenda zu prägen“ und „zu (tages)aktuellen Weltgeschehnissen die deutsche Sicht darzustellen“. Auch wenn das niemand gerne hört: Die Bundesregierung finanziert die Deutsche Welle aus demselben Kalkül wie die katarische Regierung Al Jazeera. Das bedeutet zwar nicht, dass alle veröffentlichten Beiträge einen propagandistischen Charakter haben – in beiden Sendern arbeiten erstklassig ausgebildete Journalistinnen und Journalisten nach journalistischen Standards. Der Zweck ist jedoch derselbe: nationale Perspektiven an eine internationale Zuhörerschaft vermitteln.

Autokratische versus demokratische Propaganda

Sämtliche politischen Akteure und Staaten nutzen Propaganda, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Propaganda in autokratischen Staaten mit Propaganda in demokratischen Staaten gleichzusetzen, wäre aber genauso vermessen wie die Annahme, dass nur Autokraten Propaganda betreiben.

Zum klassischen Repertoire autokratischer Beeinflussung der öffentlichen Meinung gehören in erster Linie Maßnahmen, die der Informationskontrolle dienen und somit den öffentlichen Diskurs im Sinne des Staates einschränken. In der Volksrepublik China etwa werden soziale Medien und Suchmaschinen durch die sogenannte Great Firewall streng zensiert, oppositionelle Inhalte gelöscht und Bürgerinnen und Bürger für regimekritische Beiträge bestraft. In Russland werden unabhängige Medien stark eingeschränkt und oppositionelle Plattformen verboten. In der Türkei kommt es regelmäßig zur Festnahme regimekritischer Journalistinnen und Journalisten, oft unter dem Vorwurf der „Terrorpropaganda“ oder „Beleidigung des Präsidenten“.

In demokratischen Systemen hat zumindest theoretisch jeder und jede die Möglichkeit, an der öffentlichen Debatte teilzunehmen und so die öffentliche Meinung zu beeinflussen. In Deutschland gibt es beispielsweise kein staatliches Zensurregime. Es besteht ein Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das von unabhängigen Gerichten verteidigt wird. Es gibt eine plurale Medienlandschaft, die ein breites Spektrum politischer Perspektiven abbildet und das Handeln der Bundesregierung aus unterschiedlichen Positionen mal mehr, mal weniger kritisch begleitet. Journalistinnen und Journalisten müssen hierzulande nicht fürchten, für kritische Berichterstattung festgenommen zu werden.

Die Mittel und die Wirkmacht staatlicher Öffentlichkeitsbeeinflussung sind in demokratischen Systemen also durch den Rechtsstaat und eine plurale Medienlandschaft eingeschränkt. Dennoch erweist sich die Vorstellung einer scharfen Trennlinie zwischen autokratischer und demokratischer Propaganda als unhaltbar.

Erstens werden auch in Systemen, die wir klassischerweise als demokratisch einstufen, immer wieder Instrumente der strategischen Öffentlichkeitsbeeinflussung genutzt, die typischerweise mit autokratischen Systemen in Verbindung gebracht werden. Denken wir beispielsweise an die Begründung für den Irakkrieg 2003, als die US-Regierung unter George W. Bush die Falschbehauptung verbreitete, Saddam Hussein verfüge über ein aktives Massenvernichtungswaffenprogramm. Ein anderes, aktuelles Beispiel ist etwa Benjamin Netanjahus Bemühen, mithilfe von Drohnenvideos zu suggerieren, dass die israelische Regierung für den Hunger in Gaza keine Verantwortung trage, sondern die Vereinten Nationen.

Hierzulande sind im Hinblick auf die Öffentlichkeitsbeeinflussung etwa Versuche zu beobachten, oppositionelle Stimmen zu kriminalisieren und somit die öffentliche Debatte einzuschränken. Friedliche Proteste der Klimabewegung wurden verboten, mit Polizeigewalt geräumt und Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen. Sie erhielten Strafanzeigen und wurden teilweise sogar für ihren Aktivismus zu Gefängnisstrafen verurteilt. Dafür kassierte Deutschland eine Rüge des UN-Sonderberichterstatters zur Situation von Umweltschützern Michel Forst. Ähnliche Tendenzen finden sich im Bereich des propalästinensischen Aktivismus. Demonstrationen und Veranstaltungen zu Gaza wurden nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 mancherorts flächendeckend und später vereinzelt verboten. Auch hierfür wurde Deutschland gerügt – diesmal von der UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit Irene Khan. Online-Nutzerinnen erhielten aufgrund von propalästinensischen Posts Strafanzeigen wegen Volksverhetzung, und bei propalästinensischen Demonstrationen in Berlin kommt es immer wieder zu Polizeigewalt und Festnahmen. Auch wenn Gerichte polizeibehördliche Entscheidungen in vielen Fällen wieder kippen, ist der Schaden für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit längst angerichtet.

Zweitens stellt sich die Frage, inwiefern auch weniger autoritäre Formen der Meinungsbeeinflussung mit dem Prinzip einer demokratischen Öffentlichkeit vereinbar sind. Zwar können theoretisch alle Akteure gleichermaßen versuchen, am Kampf um die öffentliche Meinung teilzunehmen, doch verfügen nicht alle über die gleichen Mittel. Regierungen, Unternehmen und große Lobbyverbände beispielsweise leisten sich ganze Pressestellen, die mit gut bezahlten PR-Experten rund um die Uhr damit beschäftigt sind, die strategische Kommunikation ihrer Arbeitgeber über die eigenen Kanäle und in der Presse zu platzieren und in Szene zu setzen. Wer über mehr Kapital verfügt, kann prinzipiell effektiver die öffentliche Meinung beeinflussen.

Hinzu kommt, dass es den Medien als vierte Gewalt nicht flächendeckend gelingt, der Propaganda von Regierungen, Parteien und Unternehmen wirkungsvoll entgegenzuwirken. Zwar ordnen Journalistinnen und Journalisten einseitige Narrative häufig kritisch ein oder decken vor der Presse geheim gehaltene Informationen auf, doch wie oft bleibt dies aus? Wie viele Informationen, die etwa für eine fundierte Wahlentscheidung oder die allgemeine Meinungsbildung relevant sein könnten, erreichen die Öffentlichkeit nicht? Unabhängig davon stellt sich die Frage: Sind das strategische Verschweigen relevanter Informationen oder die gebetsmühlenartige Wiederholung einseitiger Narrative wirklich weniger manipulativ als die Verbreitung von Desinformation?

Gegenmittel

Jonas Tögel, Propagandaforscher am Institut für Psychologie der Universität Regensburg, ist überzeugt, dass die Methoden moderner Propaganda nur schwer mit demokratischen Grundsätzen vereinbar sind. Allerdings lässt sich strategische Kommunikation – sei es das Verbreiten oder das Verschweigen von Informationen – kaum verbieten. Es gibt jedoch Dinge, die man tun könnte, um die Wirkmacht von Propaganda zu begrenzen: Das wichtigste Mittel ist, sich ihrer Existenz und Funktionsweise bewusst zu sein. Die Aufklärung darüber sollte daher integraler Bestandteil demokratischer Bildung an Schulen sein. Ein weiteres Gegenmittel ist nicht einseitige Gegenpropaganda, sondern vielseitiges Wissen. Dafür müssen Akteure gestärkt werden, deren Hauptaufgabe darin besteht, nicht strategisch, sondern im Dienste der Wissensvermittlung zu kommunizieren und aufzuklären, wie kritische Wissenschaft, unabhängiger Journalismus und politische Bildung.

ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Redakteurin im Meinungsressort der "Taz. Die Tageszeitung".