Unmittelbar vor der Bundestagswahl 2025 wurden auf mehreren Social-Media-Plattformen Videos verbreitet, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl säen sollten. In einigen dieser Videos wurden angebliche Wahlzettel aus Leipzig gezeigt, auf denen die Partei Alternative für Deutschland (AfD) nicht aufgeführt war. In einem anderen Video wurden Briefwahlzettel mit Stimmen für die AfD geschreddert. Trotz rascher Dementis der regionalen Wahlleitungsbüros wurden die Videos weiterhin online verbreitet – unter anderem von einer AfD-Politikerin aus Hamburg. Diese Videos waren inszeniert, und die gezeigten „Wahlzettel“ waren möglicherweise speziell für die Videos angefertigt worden. Hinter der Kampagne stand mutmaßlich der russische Desinformationsakteur Storm-1516.
Dies ist nur ein Beispiel für die Manipulationskampagnen, mit denen Russland vor der Bundestagswahl im Februar 2025 versuchte, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, etablierte Parteien und Politiker:innen zu diskreditieren, die AfD zu unterstützen und polarisierende Themen zu verstärken.
Russland setzt Informationsmanipulation strategisch ein, um seine Kriegsziele in der Ukraine zu unterstützen, westliche Gesellschaften langfristig zu destabilisieren, Demokratieskepsis zu verstärken und prorussische Kräfte zu stärken. In einem Informationsumfeld, in dem neue Technologien es einfach machen, täuschende Inhalte schnell und massenhaft zu erstellen und zu verbreiten, und in dem die Gatekeeper-Funktion journalistischer Medien zunehmend durch Empfehlungsalgorithmen sozialer Medien ersetzt wird, sind solche organisierten und koordinierten Kampagnen aus dem Ausland ein erhebliches Risiko für Demokratien. Sie zielen darauf ab, den Meinungsbildungsprozess nachhaltig zu beeinflussen, die gemeinsame Faktengrundlage für politische Debatten zu zerstören und demokratische Institutionen zu schwächen. Dabei bildet Russland Allianzen mit anderen autoritären Staaten und inländischen antidemokratischen Akteuren, bedient sich ihrer Ideen und Taktiken und schneidet eigene Propagandabotschaften so zurecht, dass diese von ihnen übernommen und weiterverbreitet werden.
Die Entwicklung der russischen Propaganda über die Jahre zeigt, wie sowjetische geheimdienstliche Ansätze wiederbelebt und durch digitale Technologien und marktwirtschaftliche Bedingungen weiterentwickelt und befeuert wurden
„Aktive Maßnahmen“ der Sowjetunion
Im Bereich der Desinformation und Propaganda im Ausland kann der Kreml auf umfassende Erfahrungen aus dem Kalten Krieg zurückgreifen. Jahrzehntelang setzte die Sowjetunion Propaganda und sogenannte aktive Maßnahmen der Geheimdienste ein, um ihre geopolitischen Interessen durchzusetzen und die als ideologische Gegner wahrgenommenen kapitalistischen Länder zu schwächen sowie deren Gesellschaften zu destabilisieren. Gegenpropaganda, also die Bekämpfung westlicher Narrative, war ein weiteres Ziel. Als „aktive Maßnahmen“ wurden diverse offene und verdeckte Taktiken bezeichnet, mit denen versucht wurde, Entscheidungen und die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen. Der sowjetische Geheimdienst KGB setzte eine Reihe solcher Taktiken ein, die von der Anwerbung von Agent:innen und der Erstellung gefälschter Dokumente bis zur verdeckten Unterstützung von Frontorganisationen wie dem World Peace Council oder der International Organisation of Journalists reichten. Diese Organisationen stellten sich nach außen als unabhängig dar, verbreiteten jedoch sowjetische Propaganda.
Zu den bekanntesten Beispielen sowjetischer Desinformation gehört die Verbreitung der Behauptung, das HI-Virus sei in einem US-amerikanischen Labor entstanden. Diese Falschbehauptung wurde 1983 in der indischen Zeitung „Patriot“ platziert, die von der Sowjetunion finanziell unterstützt wurde. Später wurde diese Behauptung von sowjetischen Medien aufgegriffen und von einem ostdeutschen Wissenschaftlerpaar, wissentlich oder unwissentlich, verbreitet. So gelangte sie schließlich in westliche Massenmedien. Sowjetische Geheimdienste schreckten auch nicht davor zurück, rechtsextreme Angriffe und Drohungen zu inszenieren: So organisierten sie Ende der 1950er Jahre eine Kampagne, bei der antisemitische Graffiti im Namen deutscher Nazis hinterlassen wurden, um Westdeutschland zu diskreditieren. Vor den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles verschickten sie gefälschte Ku-Klux-Klan-Drohbriefe an Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees aus afrikanischen Ländern.
Die moderne russische Desinformation weist auf strategischer und taktischer Ebene eine Reihe von Ähnlichkeiten mit dem sowjetischen Ansatz auf.
Das moderne Informationsumfeld unterscheidet sich jedoch deutlich von dem zur Zeit des Kalten Krieges. Über soziale Medien wie Facebook, X, YouTube, Telegram oder TikTok können heutige Desinformationsakteure Zielgruppen im Ausland direkt ansprechen. Die in den vergangenen Jahren aufgedeckten russischen Kampagnen setzen eher auf die massenhafte, teilweise spam-artige Verbreitung von Desinformation niedriger Qualität als auf sorgfältig vorbereitete Aktionen, die Medien und Entscheidungsträger:innen täuschen sollen. Die moderne russische Desinformation wird nicht zentral geplant und ausgeführt. Daran sind mehrere staatliche und nichtstaatliche Akteure beteiligt, die nicht selten miteinander konkurrieren.
Anfänge der digitalen Propaganda in Russland
Die Existenz der wohl bekanntesten russischen Trollfabrik, der Internet Research Agency (IRA), wurde 2013 in einem Enthüllungsbericht der regierungskritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ aufgedeckt.
In den 2010er Jahren wurde digitale Propaganda im Inland für den Kreml immer wichtiger. Während Fernseh- und Radiosender sowie Printmedien in der ersten und zweiten Amtszeit von Präsident Wladimir Putin nahezu vollständig auf Regierungslinie gebracht wurden, war das Internet in Russland zu dieser Zeit noch frei von Zensur. Es wurde so zu einem Raum, in dem regierungskritische Medien, Blogger:innen und einfache Bürger:innen unabhängig agieren und ihre Meinung äußern konnten. Je bedeutender die digitale Öffentlichkeit in Russland wurde, desto eifriger versuchte der Kreml, diesen Informationsraum zu kontrollieren. Eine Taktik dabei war, den Raum zunächst mit kremlfreundlichen Inhalten zu überfluten, bevor restriktivere Maßnahmen wie Sperrungen, Repressionen gegen unabhängige Online-Redaktionen und Strafen für kritische Beiträge eingeführt wurden.
Die Methoden der digitalen Propaganda, die später im Ausland eingesetzt wurden, wurden Anfang der 2010er Jahre im Inland erprobt: die Einrichtung einer Vielzahl eigener Online-Medien, Blogs, Telegram-Kanäle und Gruppen in sozialen Medien, der Aufbau von Kontakten zu bestehenden Telegram-Kanälen und Blogger:innen, die gegen Bezahlung Regierungspropaganda veröffentlichten, das sogenannte „Hack & Leak“, also die Veröffentlichung gestohlener E-Mails und Daten von Oppositionellen, sowie das Verfassen anonymer Beiträge in sozialen Medien und die koordinierte Verbreitung dieser Inhalte durch Fake-Profile und Bots.
Die Marktwirtschaft bot dabei günstige Bedingungen für digitale Desinformation und Propaganda: Propagandist:innen griffen auf Methoden zurück, die in einem florierenden Markt für Suchmaschinenoptimierung und digitales Marketing entwickelt wurden.
Staatsmedien
Die Einflusskampagnen im Ausland sind im Kontext der russischen, revisionistischen Außen- und Sicherheitspolitik zu verstehen. Sie nahmen vor allem in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre deutlich zu, als die Konfrontation mit den USA, der EU und der NATO sowie die Aggression gegen die Ukraine zunahmen. Bezeichnend hierfür ist die Entwicklung des staatlichen Auslandssenders Russia Today (RT). Der Sender wurde 2005 als Instrument der Soft Power mit dem erklärten Ziel gegründet, ein positives Bild Russlands im Ausland zu verbreiten und der russischen Perspektive im internationalen Diskurs Gehör zu verschaffen. Mit der zunehmenden Aggressivität der russischen Außenpolitik gewann der Sender an Bedeutung, und seine Rolle wurde zunehmend sicherheitspolitisch aufgeladen. Bereits 2012 verglich die Chefredakteurin Margarita Simonjan ihren Sender in einem Interview mit dem Verteidigungsministerium. Während Russland 2008 Krieg gegen Georgien geführt habe, habe RT einen Informationskrieg gegen die ganze Welt geführt.
Der Sender positionierte sich zunehmend nicht nur als die offizielle Stimme Russlands, sondern auch als Gegenpol zu den westlichen Mainstreammedien. Diese wurden als Teil der politischen Elite dargestellt, die angeblich vor allem im eigenen Interesse und gegen das Interesse der breiten Bevölkerung handele. RT versuchte, mit Verschwörungserzählungen gezielt demokratieskeptische Gruppen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums im Westen anzusprechen.
Im Globalen Süden stellen sich die russischen Staatsmedien RT und Sputnik als Verbündete lokaler Regierungen dar. Sie schließen Partnerschaften mit Medien in Afrika und Lateinamerika, die ihre Inhalte kostenlos übernehmen und weiterverbreiten. So bilden sich autoritäre, antiwestliche Allianzen, wie am Beispiel des venezolanischen Senders Telesur deutlich wird: Dieser Sender verbreitet regelmäßig Inhalte russischer und chinesischer staatlicher sowie mit dem Staat verbundener Medien wie Xinhua, RT, Sputnik und TV BRICS.
In der EU wurden russische Staatsmedien kurz nach Beginn des großangelegten Angriffs auf die Ukraine sanktioniert und Zugang zu ihren Websites gesperrt, sie versuchen jedoch kontinuierlich, mit verschiedenen Methoden das Verbot zu umgehen, um ihr Zielpublikum weiterhin zu erreichen. So richtet RT kontinuierlich neue alternative Domains ein, um Sperrungen zu umgehen. Russische Staatsmedien gründeten auch mehrere neue Marken für Medienprojekte, Websites oder Social-Media-Kanäle. Als Nachfolgeprojekt der staatlich finanzierten Videoplattform Redfish wurde beispielsweise das Medium RED ins Leben gerufen, das alle Verbindungen zum russischen Staat bestritt und vor allem ein junges, linkes Publikum ansprechen sollte. Das inzwischen auch von der EU sanktionierte Medium fokussierte sich stark auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas sowie auf propalästinensische Proteste in Europa und verbreitete spalterische Botschaften und Narrative der Terrororganisation Hamas.
Diplomatische und kulturpolitische Kanäle
Neben den Staatsmedien sind auch die diplomatischen Vertretungen im Ausland eine Säule des Ökosystems der russischen Propaganda.
Über die staatliche Agentur Rossotrudnitschestwo, die dem Außenministerium untersteht und laut Medienberichten auch Verbindungen zu Geheimdiensten unterhält,
Von Hackern und Doppelgängern
Bei verdeckten Einflussoperationen wird im Gegensatz zu offenen Propagandakanälen die Urheberschaft der Kampagnen verschleiert. Dabei werden Desinformation, Propaganda oder durch Hacks gestohlene Dokumente über Medien oder Accounts veröffentlicht, die ihre Verbindung zum Auftraggeberstaat verstecken und als unabhängige Medien oder besorgte Bürger:innen der Zielländer auftreten. Der digitale Raum bietet Desinformationsakteuren zahlreiche Möglichkeiten, ihre Identitäten zu tarnen oder fiktive Personen zu erstellen, und schafft besonders günstige Bedingungen für verdeckte Einflussnahme. Für russische digitale Einflusskampagnen werden regelmäßig erfundene Expert:innen, Journalist:innen, Whistleblower:innen und ganze Medien oder Organisationen geschaffen. Als der russische Geheimdienst GRU 2016 die E-Mails der Demokratischen Partei in den USA stahl und WikiLeaks zuspielte, geschah dies über die Figur des angeblich rumänischen Hackers Guccifer 2.0.
In Russland sind mehrere staatliche und nichtstaatliche Akteure für verdeckte Kampagnen tätig, die teilweise in Konkurrenz zueinander stehen. Mehrere russische Geheimdienste unterhalten spezielle Abteilungen für psychologische Kriegsführung. Die auf Einflussoperationen spezialisierte GRU-Einheit 54.777 betreibt beispielsweise Frontorganisationen wie Inforos.
Eine weitere Gruppe relevanter Akteure sind private Unternehmen, die auf Einflusskampagnen spezialisiert sind. Sie arbeiten entweder direkt im Auftrag des Staates oder von privaten Personen, die sich – wie der inzwischen verstorbene Gründer der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, der die Trollfabrik Internet Research Agency betrieb – als „Einflussunternehmer“ etablieren wollen.
Private Desinformations-Auftragnehmer sind einerseits agil und erfinderisch, was die Methoden angeht, mit denen sie die Gegenmaßnahmen der Social-Media-Plattformen umgehen und ihre Inhalte verbreiten können. Andererseits sind sie stark daran interessiert, die Wirkung ihrer Kampagnen gegenüber den Auftraggebern zu übertreiben. Dabei werden die priorisierten Reichweiten-Metriken nicht selten künstlich in die Höhe getrieben, was realistische Rückschlüsse auf die tatsächliche Effizienz der Kampagnen unmöglich macht. Eigenwerbung und Prahlerei gehören zum Geschäft: Prigoschin ließ einen Spielfilm über die Einflusskampagnen der IRA rund um die US-Wahl drehen, in dem deren Wirkung massiv übertrieben wurde. Bei der Bewertung solcher Kampagnen ist es daher wichtig, diesen Aspekt nicht außer Acht zu lassen und nicht unnötig zur Eigenwerbung der Akteure beizutragen.
Künstliche Intelligenz
Die sich rasant entwickelnden KI-Technologien verändern das Feld der Desinformation und werden dessen Zukunft prägen. KI-basierte Anwendungen für Übersetzungen und die Erstellung von Texten ermöglichen die einfache Produktion einer Vielzahl unterschiedlicher Texte in mehreren Sprachen und das Füllen ganzer Websites mit KI-generierten Inhalten. Auch audiovisuelle Inhalte können viel einfacher manipuliert und neu erstellt werden. Bereits jetzt nutzen staatliche und staatsnahe Desinformationsakteure generative KI, um Desinformationsinhalte massenhaft zu erstellen und zu verbreiten. Russische Desinformation gelangt auch in die Trainingsdaten für Large Language Models wie ChatGPT und Gemini und werden von Chatbots in ihren Antworten wiedergegeben.
Die russische Einflusskampagne „Operation Overload“ nutzt Deepfakes von Stimmen, erstellt KI-generierte Videos und Bilder und konnte laut einer Analyse der finnischen Plattform Checkfirst die Anzahl der erstellten Originalinhalte in diesem Jahr um 155 Prozent erhöhen.
Fazit
Die moderne russische Desinformation und Propaganda verbindet klassische Strategien aus der Zeit des Kalten Krieges mit neuen Informationstechnologien. Ein komplexes Netzwerk aus diversen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren, Cover-Organisationen, Einflussagent:innen und Multiplikator:innen im Ausland ermöglicht es, unterschiedliche Zielgruppen mit speziell auf sie zugeschnittenen Botschaften anzusprechen. Das digitale Informationsumfeld schafft besonders günstige Bedingungen für Einflusskampagnen, während KI die massenhafte Produktion täuschender Inhalte beschleunigt und vereinfacht. Um sich vor diesen Angriffen zu schützen, müssen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Deutschland und der EU eine gemeinsame Bewältigungsstrategie entwickeln, die präventive und reaktive Maßnahmen umfasst.