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Editorial | bpb.de

Editorial

Leontien Potthoff

/ 2 Minuten zu lesen

Für die einen emanzipatorisches Selbstverständnis, für die anderen ungewollte Fremdzuschreibung oder gar Beispiel linker Identitätsverirrung: „Queer“ ist ein kleines Wort mit großem Sprengpotenzial in gegenwärtigen Kulturkämpfen. Im englischsprachigen Raum galt der Begriff jahrzehntelang als Schimpfwort, bis Teile der LSBTI-Community ihn sich aneigneten. Er bleibt umstritten, so manche und mancher lehnt das Wort zur Beschreibung der eigenen Homo-, Bi- oder Transsexualität kategorisch ab. „Queer“ steht für die Fluidität und Widersprüchlichkeit von Begehren und Identität jenseits der sexuellen und geschlechtlichen Binarität, ist ein „Weder noch“ – und bedeutet so auch eine Abkehr von gesellschaftlichen Konventionen und Normen.

Dass geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Deutschland heute vergleichsweise offen gelebt werden kann, ist vor allem das Verdienst vieler Aktivistinnen und Aktivisten. Bereits im Kaiserreich gab es Emanzipationsbewegungen, und die Weimarer Demokratie bot neue Möglichkeiten der Selbstbestimmung und -entfaltung. Die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten setzte diesen Entwicklungen ein jähes Ende. Insbesondere schwule und bisexuelle Männer wurden brutal verfolgt. Überlebten sie die NS-Diktatur, sahen sie sich in beiden deutschen Staaten mit einer homofeindlichen Nachkriegskultur konfrontiert, die männerliebende Männer weiterhin kriminalisierte. Lesben, Bisexuelle und trans Personen waren von Unsichtbarkeit, Stigmatisierung und Marginalisierung betroffen – auch in der historischen Forschung.

Zwar gibt es heute viele bürgerrechtliche Errungenschaften für queere Menschen zu verzeichnen, zugleich häuften sich jüngst Übergriffe auf Pride-Paraden, und in den USA und Großbritannien werden die Rechte von trans Personen signifikant eingeschränkt. Dabei ist der Schutz queeren Lebens immer auch ein Schutz der Demokratie. Die Ermöglichung der offen gelebten geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt ist Teil einer freiheitlichen, pluralen und demokratischen Gesellschaft.