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Das Geschlecht zwischen Selbst- und Fremdbestimmung | bpb.de

Das Geschlecht zwischen Selbst- und Fremdbestimmung Eine kritische juristische Einordnung des Selbstbestimmungsgesetzes

Judith Froese

/ 14 Minuten zu lesen

Das 2024 verabschiedete „Selbstbestimmungsgesetz“ erntete viel Kritik. In manchen Aspekten bietet es eine Verbesserung für Betroffene, doch bleiben viele Fragen offen und Folgeprobleme ungelöst. Etwas mehr Fremdbestimmung könnte der Schlüssel zur Selbstbestimmung sein.

Am 1. November 2024 trat das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG), umgangssprachlich Selbstbestimmungsgesetz, vollständig in Kraft. Es verfolgt ein doppeltes Ziel: Die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl sollen von der Einschätzung dritter Personen gelöst und die Selbstbestimmung der betroffenen Personen gestärkt werden. Zudem soll durch das Gesetz das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität verwirklicht werden, so Paragraf 1 SBGG. Das SBGG ersetzt das Transsexuellengesetz (TSG) und unterwirft Änderungen des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags und der Vornamen einheitlichen Vorgaben. Um eine Änderung zu erwirken, bedarf es seitdem lediglich einer Erklärung gegenüber dem Standesamt.

Das Gesetz ist bislang auf ein geteiltes Echo gestoßen: Teils wird es als überfälliger Schritt für die Anerkennung der geschlechtlichen Identität gelobt, teils hingegen aus verfassungsrechtlichen und -politischen Gründen kritisiert. Auch unter den Befürwortern des Gesetzes finden sich kritische Stimmen. Das kann nicht verwundern, denn das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz wird die offensiv versprochene Selbstbestimmung nicht vollständig einlösen können und lässt Folgeprobleme ungelöst.

Ausgangslage und Hintergründe

Vor Inkrafttreten des SBGG fanden sich Regelungen zu personenstandsrechtlichem Geschlechtseintrag und Vornamensänderungen einerseits (für transgeschlechtliche Menschen) im TSG und andererseits (für intergeschlechtliche Menschen) im Personenstandsgesetz (PStG). Die Voraussetzungen für eine Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens waren in diesen beiden Gesetzen unterschiedlich ausgestaltet: Während transgeschlechtliche Menschen ein gerichtliches Verfahren zu durchlaufen hatten und insbesondere eine Begutachtung des Zugehörigkeitsempfindens zum „anderen“ Geschlecht und dessen voraussichtlicher Stabilität vorgeschrieben war, konnten intergeschlechtliche Menschen eine Änderung beim Standesamt erwirken, wobei sie grundsätzlich ein ärztliches Attest über eine vorhandene „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorweisen mussten. Die Möglichkeit, den Eintrag offen zu lassen, hatte der Gesetzgeber 2013 im PStG geschaffen. In seiner Entscheidung zur sogenannten dritten Option aus dem Jahr 2017 verlangte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass der Gesetzgeber darüber hinaus eine positive Eintragungsmöglichkeit für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung schafft, wenn er an der Erfassung des Geschlechts festhält. In der rechtlichen Verpflichtung zur Eintragung des Geschlechts bei Versagung einer positiven Eintragungsmöglichkeit erblickte das BVerfG einen Verstoß gegen das durch Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht, sowie gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts nach Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber ergänzte das PStG daraufhin Ende 2018 um die Eintragsmöglichkeit „divers“.

Dieses zweigleisige System warf insbesondere die Frage auf, ob auch Personen mit einer „lediglich empfundenen Intersexualität“ Zugang zu dem weniger voraussetzungsreichen Verfahren nach dem PStG haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) verneinte dies und hielt das TSG in analoger Anwendung für einschlägig.

Reformbedarf?

Insbesondere das 1980 in Reaktion auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1978 erlassene TSG sah sich aus verschiedenen Gründen der Kritik ausgesetzt. Nachvollziehbar war die Kritik an der Bezeichnung des Gesetzes sowie daran, dass der Normtext des Paragrafen 8 TSG teilweise weiterhin Voraussetzungen enthielt, die das BVerfG bereits verworfen hatte. Darüber hinaus wurde eingewandt, die Hürden für eine Änderung des Geschlechtseintrags seien zu hoch und die Selbstbestimmung der Betroffenen werde nicht hinreichend geachtet. In politischen, gesellschaftlichen und auch wissenschaftlichen Debatten wurde diese Kritik teils mit einem verfassungsrechtlich zwingenden Reformbedarf gleichgesetzt. Hier gilt es indes zu differenzieren: Das Bundesverfassungsgericht erklärte zentrale Bestimmungen des TSG für verfassungswidrig. Es betonte allerdings auch in seiner jüngeren Rechtsprechung, der Gesetzgeber dürfe Anforderungen stellen, die die Ernsthaftigkeit, Stabilität und Irreversibilität des Zugehörigkeitsempfindens zu dem jeweiligen Geschlecht gewährleisten. Diese Voraussetzungen normierte Paragraf 1 Absatz 1 Nummern 1 und 2 des TSG. Ebenfalls legitim ist es nach der Rechtsprechung, zum Vorliegen dieser Voraussetzungen Sachverständigengutachten einzuholen. Das in Paragraf 4 Absatz 3 TSG geregelte Erfordernis erachtete das BVerfG für verfassungsgemäß. In dem Erfordernis zweier voneinander unabhängiger Gutachten sieht es ein „prozessrechtliches Mittel des objektiven Nachweises der rechtlichen Voraussetzungen des Geschlechtswechsels“. Die Norm habe dienende Funktion für die inhaltlichen Voraussetzungen des Paragrafen 1 Absatz 1 TSG. Hieraus ergeben sich gleichsam Grenzen für die inhaltliche Ausrichtung der Begutachtung: „Die Begutachtung nach §4 Abs. 3 TSG darf sich nur auf solche Aspekte beziehen, die für die sachliche Aufklärung der in §1 Abs. 1 TSG normierten Voraussetzungen des Namens- und Personenstandswechsels relevant sind.“

Von der Anwendung der Regelung ist ihre Verfassungsmäßigkeit als solche aber zu unterscheiden. Der Staat hat sicherzustellen, dass es bei der Anwendung der Regelung nicht zu Grundrechtsverstößen kommt. Auf dieser Ebene war der geäußerten Kritik, die Begutachtungen seien teils entwürdigend, zu begegnen. Mit dem SBGG sollten die beklagten Verfassungsverstöße also beseitigt werden. Es begegnet aber seinerseits verfassungsrechtlichen Bedenken. Unter diesen will ich im Folgenden einen Fokus auf die ungelösten Folgeprobleme der fehlenden staatlichen Überprüfung und den unzureichenden Schutz Minderjähriger legen.

Zentrale Regelungen des SBGG

Das SBGG stellt allein auf die geäußerte geschlechtliche Selbstidentifikation einer Person ab: Nach Paragraf 2 SBGG kann jede Person, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag abweicht, gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe geändert beziehungsweise gestrichen werden soll. Der Erklärung ist lediglich eine Eigenversicherung beizufügen, dass der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Eintrags der Geschlechtsidentität am besten entspricht und der Person die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist. Minderjährige können eine entsprechende Erklärung ab Vollendung des 14. Lebensjahres mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters abgeben. Weder eine Begutachtung noch die Vorlage eines ärztlichen Attests werden verlangt. Ebenso wenig ist eine verpflichtende Beratung – auch nicht für Minderjährige – vorgesehen. Die unter anderem in der Expertenanhörung im Familienausschuss des Deutschen Bundestags vorgebrachte Kritik an den Minderjährige betreffenden Regelungen wurde lediglich insofern im Gesetz berücksichtigt, als in Paragraf 3 Absatz 1 Satz 3 SBGG eine Pflicht aufgenommen wurde, eine Erklärung darüber abzugeben, beraten zu sein. Eine Beratungspflicht stellt dies nicht dar.

Ob die Geschlechtsidentität tatsächlich von dem Geschlechtseintrag abweicht, wird nicht vom Standesamt geprüft; es handelt sich nach der Gesetzesbegründung um eine gebundene Entscheidung ohne Prüfkompetenz. Lediglich in Fällen offensichtlichen Missbrauchs soll das Standesamt die Eintragung der Erklärung ablehnen können. Die Änderung wird drei Monate nach Abgabe der Erklärung eingetragen und wirksam, so Paragraf 4 Satz 1 SBGG. Für eine erneute Änderungserklärung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr.

Der aktuelle Geschlechtseintrag und Vorname sind im Rechtsverkehr grundsätzlich maßgebend. Hiervon sieht das Gesetz Ausnahmen vor für den Zugang zu Einrichtungen und Räumen und die Teilnahme an Veranstaltungen. Diesbezüglich sollen das Hausrecht und die Satzungshoheit unberührt bleiben. Öffentliche Kritik erfahren diese Regelungen von Befürwortern wie Kritikern des Gesetzes gleichermaßen, wobei die Diskussion vor allem im Kontext von Frauensaunen geführt wurde.

Auch sportliche Leistungen sollen unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden können. Für medizinische Maßnahmen wie beispielsweise Krebsvorsorgeuntersuchungen soll es nicht auf den aktuellen Geschlechtseintrag ankommen. Explizite Regelungen zur Relevanz des aktuellen Geschlechtseintrags sieht das Gesetz für Quotenregelungen und für das Eltern-Kind-Verhältnis vor. Im Spannungs- und Verteidigungsfall bleibt die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bestehen, wenn eine Änderung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang (zwei Monate) mit der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls steht. Paragraf 13 SBGG enthält ein Offenbarungsverbot, welches über das bislang im TSG geregelte hinausgeht und insbesondere bußgeldbewehrt ausgestaltet ist (Paragraf 14 SBGG). Anders als zunächst vorgesehen, liegt eine Ordnungswidrigkeit aber erst vor, wenn die betroffene Person durch die Offenbarung absichtlich geschädigt wird.

Ungelöste Folgeprobleme

Aus der voraussetzungslosen Änderungsmöglichkeit des Eintrags ergeben sich absehbare Folgeprobleme, die das SBGG nicht löst. Denn in manchen Lebensbereichen begegnet die (ausschließliche) Bezugnahme auf den frei wählbaren Geschlechtseintrag Bedenken. Dies betrifft einerseits Rechtsverhältnisse zwischen Privaten, zum anderen aber auch staatliche Anknüpfungen an das Geschlecht. In der Sache geht es vornehmlich um den Schutz vulnerabler Personen, insbesondere von Frauen, und Regelungen zur Gleichstellung.

Für den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen verweist der Gesetzgeber auf die Vertragsfreiheit sowie auf das Haus- und Satzungsrecht (Paragraf 6 Absatz 2 SBGG). Konflikte waren hier von vornherein vorprogrammiert, zumal das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch Privaten Diskriminierungen wegen des Geschlechts grundsätzlich verbietet. Zwar gestattet Paragraf 20 AGG ungleiche Behandlungen (wegen des Geschlechts) unter den dort normierten Voraussetzungen, zu denen unter anderem der Schutz der Intimsphäre zählt. Daher sind geschlechtsspezifische Einrichtungen überhaupt zulässig, stellen also keine verbotene Benachteiligung dar. Es fehlt aber an klaren Maßstäben, wie sich Private in konkreten Situationen – wie etwa bei dem häufig herangezogenen Beispiel des Zugangs zur Frauensauna oder auch bei der Aufnahme in Frauengruppen/-netzwerke – verhalten dürfen, wenn die soziale Wahrnehmung und der personenstandsrechtliche Geschlechtseintrag divergieren.

Die Bewertung sportlicher Leistungen kann nach Paragraf 6 Absatz 3 SBGG unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden. Auch diesbezüglich zeigte etwa der Fall der Leichtathletin Caster Semenya, wie schwierig derartige Differenzierungen sind.

Zur Unterbringung von Strafgefangenen enthält sich das Gesetz einer Regelung. Die Begründung verweist auf bestehende Spielräume der Landesgesetzgeber. Hierdurch könne man den Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechten aller Strafgefangenen gerecht werden. Hier – wie auch an anderer Stelle – ist die Frage der Gesetzgebungskompetenz im Einzelnen zu klären. Jedenfalls bedarf es einer gesetzlichen Regelung in diesem grundrechtssensiblen Bereich. Für die Personengruppe der Strafgefangenen trifft den Staat eine besondere Fürsorgepflicht, weil sich diese ohne Ausweichmöglichkeit in einer staatlichen Einrichtung und damit in staatlicher Obhut befinden. Für die Unterbringung in den Justizvollzugsanstalten regeln die jeweiligen Landesgesetze grundsätzlich, dass Frauen getrennt von Männern unterzubringen sind. Einzelne Landesgesetze, so etwa das Justizstrafvollzugsgesetz Berlin, enthalten detaillierte Regelungen zur Unterbringung transgeschlechtlicher Strafgefangener.

Einen Automatismus dahingehend, dass eine Änderung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags – wie im jüngst für Diskussionen sorgenden Fall Liebich – zu einer Unterbringung in einer Haftanstalt für Personen des angestrebten Geschlechts führt, gibt es nicht. Vielmehr ist hier jeweils eine Entscheidung im Einzelfall zu treffen. Derartige Konstellationen traten bereits unter Geltung des TSG auf. Weil den Staat eine Fürsorgepflicht für alle Strafgefangenen trifft, sind die Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechte aller Gefangenen zu berücksichtigen und nicht allein die geschlechtliche Identität eines Strafgefangenen. Diese Interessen können einer Unterbringung oder Verlegung eines Strafgefangenen in ein Frauengefängnis entgegenstehen. Zweifelhaft erscheint, ob eine erfolgte Änderung des Geschlechtseintrags nach Paragraf 2 SBGG dasselbe Gewicht haben kann wie eine solche nach den Paragrafen 1 und 8 TSG, der ein gerichtliches Verfahren vorausging.

Unzureichender Schutz Minderjähriger

Bedenken beziehen sich zudem auf die Regelungen, die Minderjährige betreffen: Der Staat trägt eine besondere Schutzverantwortung für Kinder als vulnerable Personen, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht gefestigt sind und die die Tragweite von Entscheidungen typischerweise nicht vollumfänglich erfassen können. Die Schutzverantwortung teilt das Grundgesetz zwischen Staat und Eltern auf. Sie erstreckt sich auf alle für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlichen Lebensbedingungen. In Bezug auf Änderungen des Geschlechtseintrags und der Vornamen gilt es, Minderjährige vor Änderungen zu schützen, die nicht ihrem dauerhaften Zugehörigkeitsempfinden entsprechen. Dass das SBGG keine Schutzvorkehrungen wie insbesondere eine Überprüfung oder jedenfalls eine verpflichtende Beratung durch Experten vorsieht, ist verfassungsrechtlich problematisch. Dass keine Beratungspflicht vorgesehen ist, verwundert umso mehr, als die Gesetzesbegründung dieser „zentrale Bedeutung“ beimisst. Auch für Minderjährige soll allein die vorherige Anmeldepflicht nach Paragraf 4 SBGG vor Übereilung schützen und Reflektion ermöglichen. Hinzu tritt lediglich, dass die Sperrfrist für eine erneute Änderung für Kinder und Jugendliche nicht gilt. Damit lässt das SBGG aber selbst erkennen, dass es bei Kindern und Jugendlichen – im Vergleich zu Erwachsenen – naheliegender ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden wieder ändert. Gerade deshalb ist es angezeigt, diese Personengruppe vor selbstschädigenden Entscheidungen bedeutenden Ausmaßes zu schützen.

In diesem Zusammenhang gilt es auch zu bedenken, welche Folgefragen sich bei einer Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen stellen können, namentlich hinsichtlich geschlechtsangleichender Maßnahmen. Das SBGG trifft hierzu zwar keine Regelungen (so ausdrücklich Paragraf 1 Absatz 2 SBGG). Dass auch betroffene Minderjährige im Rahmen oder nach einer Änderung des Geschlechtseintrags gegebenenfalls körperliche Angleichungen vornehmen lassen wollen, ist jedoch naheliegend. Denn die personenstandsrechtliche Anerkennung des selbstempfundenen Geschlechts wirkt sich auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung eines Menschen aus; sie hat „Identität stiftende und ausdrückende Wirkung“ – auch für den Fall, dass sich das Empfinden wieder ändert. Eine bereits erfolgte personenstandsrechtliche Änderung wird es erschweren, Minderjährigen den Wunsch zu versagen, (irreversible) körperliche Veränderungen vornehmen zu lassen.

Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung

Das Selbstbestimmungsgesetz verspricht eine Stärkung der Selbstbestimmung, die es nicht vollständig wird einlösen können. Eine Änderung des Geschlechtseintrags ist hiernach zwar rein selbstbestimmt möglich; weder eine Fremddefinition noch eine Überprüfung anhand objektivierter Kriterien ist vorgesehen. Allerdings kann der hürdenlos errungene Geschlechtseintrag in wichtigen Bereichen nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich relevant sein. Bereichsspezifisch wird es zu fremdbestimmten Zuordnungen – durch den Staat wie auch durch Private – kommen (müssen).

Das BVerfG attestiert der personenstandsrechtlichen Anerkennung „an sich“ eine identitätsstiftende und -ausdrückende Wirkung. Diese Wirkung wird aber brüchig, wenn der Geschlechtseintrag in zentralen rechtlichen Bereichen keine Relevanz hat beziehungsweise haben kann. Seine dienende Funktion büßt der Personenstand damit ein. Insbesondere tritt an die Stelle der einmaligen staatlichen Überprüfung im Falle eines Änderungsbegehrens eine Verlagerung der Entscheidung auf die handelnden Personen in der konkreten Situation. Hinzu kommt, dass das Gesetz sich jeglicher Definition enthält und damit keine Kriterien vorgibt, an der eine Entscheidung im Einzelfall auszurichten ist. Hierdurch entstehen Unsicherheiten für alle Beteiligten.

Die durchaus heftigen Diskussionen um das Selbstbestimmungsgesetz zeigen, dass Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern auf diese Art und Weise kaum werden überwunden werden können. Sie kehren vielmehr zurück: als Binnendifferenzierungen, insbesondere innerhalb des weiblichen Geschlechts, wenn in der öffentlichen Debatte zwischen Trans-Frauen und „echten“ Frauen unterschieden wird. Das Gesetz selbst leistet solchen Binnendifferenzierungen Vorschub, wenn es einerseits die Selbstbestimmung für maßgebend erachtet und andererseits andere Definitionen des Geschlechts als relevant einstuft oder dies Dritten überlässt.

Die Selbstbestimmung über die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung kann letztlich nur um den Preis erfolgen, dass materiell-rechtliche Regelungen, die dem Geschlecht eine Bedeutung zumessen, hieran nicht stets anknüpfen können. Dieses Eingeständnis liefert das Selbstbestimmungsgesetz eindrücklich mit der Regelung, die an der rechtlichen Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls festhält. Für Quotenregelungen soll es nach dem Gesetzentwurf hingegen wiederum auf das eingetragene Geschlecht zum Zeitpunkt der Besetzung des betreffenden Gremiums beziehungsweise Organs ankommen. Es ist mehr als zweifelhaft, ob dies dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsauftrag nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG entspricht. Schließlich liegen die wesentlichen Ursachen für Benachteiligungen nicht in der eigenen Zuordnung, sondern in vorhandenen oder zugeschriebenen Eigenschaften eines Menschen und in gesellschaftlich geprägten Rollenverständnissen.

Nach der Reform ist vor der Reform

In ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 kündigten CDU und CSU bereits an, das Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen. Dabei sollen vornehmlich Kinder und Jugendliche stärker geschützt werden. Aber auch die Regelungen für volljährige Personen sollen derart modifiziert werden, dass Änderungen nicht leichtfertig erfolgen. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD sieht eine Evaluation des Gesetzes vor, wobei ein besonderer Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen gelegt werden soll.

Das Verfassungsrecht belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, der es insbesondere auch zuließe, gänzlich auf den personenstandsrechtlichen Eintrag zu verzichten. Indes wird sich die Diskussion wohl auch künftig auf mögliche Modifikationen der fortbestehenden Erfassung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags konzentrieren. Lohnenswert erscheint es daher, den Blick auf einen Mittelweg zwischen der alten Rechtslage unter dem TSG sowie dem PStG und der neuen Rechtslage unter dem SBGG zu lenken.

Der Gesetzgeber würde die dienende Funktion des Personenstands wiederherstellen, indem er gewisse Hürden für die Änderung beziehungsweise Streichung des personenstandsrechtlichen Eintrags aufstellte. Diese sollten sich freilich unterhalb der Anforderungen halten, die das TSG vorsah, und insbesondere sicherstellen, dass die Rechte der Betroffenen bei der konkreten Handhabung der Regeln beachtet werden. Passgenauere Lösungen lassen sich zudem entwickeln, wenn der Gesetzgeber wieder zwischen den unterschiedlichen betroffenen Personengruppen differenzierte. Für intergeschlechtliche Personen erscheint die vormalige Regelung des Paragrafen 45b PStG (grundsätzliches Erfordernis einer ärztlichen Bescheinigung) angemessen. Für transgeschlechtliche Personen könnten die Voraussetzungen reformiert werden und gewisse materielle Anforderungen aufgestellt werden. So könnte eine Beratungspflicht in Kombination mit der Möglichkeit zur Vorlage einer Bescheinigung über eine gegebenenfalls bereits stattfindende ärztliche Begleitung normiert werden. Dabei ginge es nicht darum, Transgeschlechtlichkeit als Krankheit zu behandeln, sondern ein milderes Mittel gegenüber einer Begutachtung durch fremde Ärzte zu schaffen. Die Beratungspflicht könnte in diesen Fällen entfallen. Für diejenigen Personen, die nicht unter diese beiden Fallgruppen fallen und für die bislang keine explizite Regelung existiert, könnte ein vergleichbares Modell wie für transgeschlechtliche Personen vorgesehen werden. Für Kinder und Jugendliche gilt es, stärkere Schutzvorkehrungen zu normieren als für volljährige Personen.

Eine solche Reform der Reform brächte keine vollumfängliche Selbstbestimmung mit sich, wie sie das SBGG offensiv verspricht. Der Eintrag könnte so aber wieder eine dienende Funktion erfüllen und machte es entbehrlich, Entscheidungen auf die handelnden Personen in der konkreten Situation zu verlagern und das Geschlecht bereichsspezifisch zu bestimmen. Ein gewisses Maß an Fremdbestimmung kann auf diese Weise paradoxerweise die Selbstbestimmung stärken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. §§1 u. 8 TSG.

  2. §§22 Abs. 3 u. 45b PStG.

  3. §4 Abs. 3 TSG.

  4. §45b Abs. 3 S. 1 PStG.

  5. Durch das Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – PStRÄndG) vom 7.5.2013 (BGBl. I S. 1122) wurde §22 Abs. 3 PStG eingefügt. In der damaligen Fassung lautete die Vorschrift wie folgt: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“

  6. BVerfGE 147, 1.

  7. Vgl. ebd.

  8. Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18.12.2018 (BGBl. I S. 2635).

  9. Vgl. BGH, Beschluss vom 22.4.2020 – XII ZB 383/19 m. Anm. Judith Froese, in: JuristenZeitung 17/2020, S. 856–860.

  10. BVerfGE 49, 286.

  11. Im Einzelnen: BVerfGE 60, 123; 115, 1; 116, 243; 121, 175; 128, 109.

  12. BVerfG, 1 BvR 747/17, BeckRS 2017, 132346, 17.10.2017; BVerfGE 128, 109 (130).

  13. BVerfG (Anm. 12), Rn. 10.

  14. Ebd., Rn. 12.

  15. Ebd., Rn. 13.

  16. Vgl. Bernd Ahrbeck, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 28.11.2023 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, BT-Drs. 20/9049, S. 1ff., Externer Link: http://www.bundestag.de/resource/blob/980260/f09e471a279813f7aa7b9c5cdb551620/20-13-78j.pdf.

  17. Vgl. §6 Abs. 1 SBGG.

  18. §§7, 9 u. 11 SBGG.

  19. §§7 u. 19 AGG.

  20. Vgl. Deutscher Bundestag, Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften, BT-Drs. 20/9049, 1.11.2023, S. 44, Externer Link: https://dserver.bundestag.de/btd/20/090/2009049.pdf.

  21. Der sog. Trennungsgrundsatz war zunächst in §140 StVollzG geregelt. Mit der Föderalismusreform 2006 ging die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Strafvollzuges, für die der Bund zuvor über die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG verfügte, auf die Länder über. Sämtliche Bundesländer machten von dieser Kompetenz Gebrauch und übernahmen den Trennungsgrundsatz.

  22. §11 Abs. 2 StVollzG Bln.

  23. Siehe dazu etwa Carlotta Böttcher et al., Die will doch nur provozieren, in: Der Spiegel 6/2025, S. 32f.

  24. Zur Unterbringung von Untersuchungshäftlingen mit transgeschlechtlicher Prägung siehe Kammergericht (KG), Beschluss v. 19.7.2002 – 5 Ws 308/02, NStZ 2003, 50. Für die Unterbringung in einer Untersuchungshaftanstalt für Personen des angestrebten Geschlechts verlangte das KG grundsätzlich die Feststellung der Zugehörigkeit zu diesem Geschlecht nach §8 Abs. 1 TSG.

  25. Vgl. BVerfG 1 BvR 65/22, NJW 2022, 3570 (3572) m.w.N., 5.9.2022.

  26. Vgl. hierzu Anatol Dutta, Geschlechtsidentität statt Körper – Die Freiheit zur Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit nach dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz, in: FamRZ – Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 13/2023, S. 993–1000, hier 995f.

  27. Vgl. Deutscher Bundestag, Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften, BT-Drs. 20/9049, S. 35, siehe auch S. 25f., Externer Link: https://dserver.bundestag.de/btd/20/090/2009049.pdf.

  28. §5 Abs. 1 S. 1 u. 2 SBGG.

  29. BVerfGE 147, 1, Rn. 45.

  30. Vgl. Politikwechsel für Deutschland, Wahlprogramm von CDU und CSU, S. 7, S. 62, Externer Link: http://www.cdu.de/app/uploads/2025/01/km_btw_2025_wahlprogramm_langfassung_ansicht.pdf.

  31. Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode, S. 104.

  32. Zum verfassungsrechtlichen Rahmen siehe bereits Judith Froese, Männlich, weiblich oder „weder noch“? Zur Deutungshoheit über das Geschlecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 4/2015, S. 598–625, hier S. 616ff.; dies., Tertium datur: Der Abschied von der Binarität der Geschlechterordnung – Zugleich eine Anmerkung zu BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16, in: Die Öffentliche Verwaltung 8/2018, S. 315–322, hier 318ff.; dies., Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 28. November 2023 über Gesetzentwurf der Bundesregierung „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, BT-Drs. 20/9049, Externer Link: http://www.bundestag.de/resource/blob/979844/12006322e2cf36f1bd4c885f4624c5e6/20-13-78c_neu.pdf; dies., Ein kritischer verfassungsrechtlicher Blick auf das Selbstbestimmungsgesetz, in: Zeitschrift für medizinische Ethik 2/2024, S. 230–249, hier S. 236f.

  33. Zu einer möglichen Abstufung der Darlegungslasten siehe bereits Froese 2015 (Anm. 32), S. 623f.; näher zum Vorschlag eines alternativen Regelungsmodells siehe dies. 2023 (Anm. 32), S. 24f.

  34. Siehe bereits dies. 2023 (Anm. 32), S. 7.

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ist Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Nebengebieten an der Universität Konstanz. Schwerpunkte ihrer Forschung liegen im Verfassungsrecht und der Rechtsphilosophie.