Am 1. November 2024 trat das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG), umgangssprachlich Selbstbestimmungsgesetz, vollständig in Kraft. Es verfolgt ein doppeltes Ziel: Die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl sollen von der Einschätzung dritter Personen gelöst und die Selbstbestimmung der betroffenen Personen gestärkt werden. Zudem soll durch das Gesetz das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität verwirklicht werden, so Paragraf 1 SBGG. Das SBGG ersetzt das Transsexuellengesetz (TSG) und unterwirft Änderungen des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags und der Vornamen einheitlichen Vorgaben. Um eine Änderung zu erwirken, bedarf es seitdem lediglich einer Erklärung gegenüber dem Standesamt.
Das Gesetz ist bislang auf ein geteiltes Echo gestoßen: Teils wird es als überfälliger Schritt für die Anerkennung der geschlechtlichen Identität gelobt, teils hingegen aus verfassungsrechtlichen und -politischen Gründen kritisiert. Auch unter den Befürwortern des Gesetzes finden sich kritische Stimmen. Das kann nicht verwundern, denn das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz wird die offensiv versprochene Selbstbestimmung nicht vollständig einlösen können und lässt Folgeprobleme ungelöst.
Ausgangslage und Hintergründe
Vor Inkrafttreten des SBGG fanden sich Regelungen zu personenstandsrechtlichem Geschlechtseintrag und Vornamensänderungen einerseits (für transgeschlechtliche Menschen) im TSG
Dieses zweigleisige System warf insbesondere die Frage auf, ob auch Personen mit einer „lediglich empfundenen Intersexualität“ Zugang zu dem weniger voraussetzungsreichen Verfahren nach dem PStG haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) verneinte dies und hielt das TSG in analoger Anwendung für einschlägig.
Reformbedarf?
Insbesondere das 1980 in Reaktion auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Von der Anwendung der Regelung ist ihre Verfassungsmäßigkeit als solche aber zu unterscheiden.
Zentrale Regelungen des SBGG
Das SBGG stellt allein auf die geäußerte geschlechtliche Selbstidentifikation einer Person ab: Nach Paragraf 2 SBGG kann jede Person, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag abweicht, gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe geändert beziehungsweise gestrichen werden soll. Der Erklärung ist lediglich eine Eigenversicherung beizufügen, dass der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Eintrags der Geschlechtsidentität am besten entspricht und der Person die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist. Minderjährige können eine entsprechende Erklärung ab Vollendung des 14. Lebensjahres mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters abgeben. Weder eine Begutachtung noch die Vorlage eines ärztlichen Attests werden verlangt. Ebenso wenig ist eine verpflichtende Beratung – auch nicht für Minderjährige – vorgesehen. Die unter anderem in der Expertenanhörung im Familienausschuss des Deutschen Bundestags vorgebrachte Kritik
Ob die Geschlechtsidentität tatsächlich von dem Geschlechtseintrag abweicht, wird nicht vom Standesamt geprüft; es handelt sich nach der Gesetzesbegründung um eine gebundene Entscheidung ohne Prüfkompetenz. Lediglich in Fällen offensichtlichen Missbrauchs soll das Standesamt die Eintragung der Erklärung ablehnen können. Die Änderung wird drei Monate nach Abgabe der Erklärung eingetragen und wirksam, so Paragraf 4 Satz 1 SBGG. Für eine erneute Änderungserklärung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr.
Der aktuelle Geschlechtseintrag und Vorname sind im Rechtsverkehr grundsätzlich maßgebend.
Auch sportliche Leistungen sollen unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden können. Für medizinische Maßnahmen wie beispielsweise Krebsvorsorgeuntersuchungen soll es nicht auf den aktuellen Geschlechtseintrag ankommen. Explizite Regelungen zur Relevanz des aktuellen Geschlechtseintrags sieht das Gesetz für Quotenregelungen und für das Eltern-Kind-Verhältnis vor. Im Spannungs- und Verteidigungsfall bleibt die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bestehen, wenn eine Änderung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang (zwei Monate) mit der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls steht.
Ungelöste Folgeprobleme
Aus der voraussetzungslosen Änderungsmöglichkeit des Eintrags ergeben sich absehbare Folgeprobleme, die das SBGG nicht löst. Denn in manchen Lebensbereichen begegnet die (ausschließliche) Bezugnahme auf den frei wählbaren Geschlechtseintrag Bedenken. Dies betrifft einerseits Rechtsverhältnisse zwischen Privaten, zum anderen aber auch staatliche Anknüpfungen an das Geschlecht. In der Sache geht es vornehmlich um den Schutz vulnerabler Personen, insbesondere von Frauen, und Regelungen zur Gleichstellung.
Für den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen verweist der Gesetzgeber auf die Vertragsfreiheit sowie auf das Haus- und Satzungsrecht (Paragraf 6 Absatz 2 SBGG). Konflikte waren hier von vornherein vorprogrammiert, zumal das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auch Privaten Diskriminierungen wegen des Geschlechts grundsätzlich verbietet.
Die Bewertung sportlicher Leistungen kann nach Paragraf 6 Absatz 3 SBGG unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden. Auch diesbezüglich zeigte etwa der Fall der Leichtathletin Caster Semenya, wie schwierig derartige Differenzierungen sind.
Zur Unterbringung von Strafgefangenen enthält sich das Gesetz einer Regelung. Die Begründung verweist auf bestehende Spielräume der Landesgesetzgeber.
Einen Automatismus dahingehend, dass eine Änderung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags – wie im jüngst für Diskussionen sorgenden Fall Liebich
Unzureichender Schutz Minderjähriger
Bedenken beziehen sich zudem auf die Regelungen, die Minderjährige betreffen: Der Staat trägt eine besondere Schutzverantwortung für Kinder als vulnerable Personen, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht gefestigt sind und die die Tragweite von Entscheidungen typischerweise nicht vollumfänglich erfassen können.
In diesem Zusammenhang gilt es auch zu bedenken, welche Folgefragen sich bei einer Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen stellen können, namentlich hinsichtlich geschlechtsangleichender Maßnahmen. Das SBGG trifft hierzu zwar keine Regelungen (so ausdrücklich Paragraf 1 Absatz 2 SBGG). Dass auch betroffene Minderjährige im Rahmen oder nach einer Änderung des Geschlechtseintrags gegebenenfalls körperliche Angleichungen vornehmen lassen wollen, ist jedoch naheliegend. Denn die personenstandsrechtliche Anerkennung des selbstempfundenen Geschlechts wirkt sich auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung eines Menschen aus; sie hat „Identität stiftende und ausdrückende Wirkung“
Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung
Das Selbstbestimmungsgesetz verspricht eine Stärkung der Selbstbestimmung, die es nicht vollständig wird einlösen können. Eine Änderung des Geschlechtseintrags ist hiernach zwar rein selbstbestimmt möglich; weder eine Fremddefinition noch eine Überprüfung anhand objektivierter Kriterien ist vorgesehen. Allerdings kann der hürdenlos errungene Geschlechtseintrag in wichtigen Bereichen nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich relevant sein. Bereichsspezifisch wird es zu fremdbestimmten Zuordnungen – durch den Staat wie auch durch Private – kommen (müssen).
Das BVerfG attestiert der personenstandsrechtlichen Anerkennung „an sich“ eine identitätsstiftende und -ausdrückende Wirkung. Diese Wirkung wird aber brüchig, wenn der Geschlechtseintrag in zentralen rechtlichen Bereichen keine Relevanz hat beziehungsweise haben kann. Seine dienende Funktion büßt der Personenstand damit ein. Insbesondere tritt an die Stelle der einmaligen staatlichen Überprüfung im Falle eines Änderungsbegehrens eine Verlagerung der Entscheidung auf die handelnden Personen in der konkreten Situation. Hinzu kommt, dass das Gesetz sich jeglicher Definition enthält und damit keine Kriterien vorgibt, an der eine Entscheidung im Einzelfall auszurichten ist. Hierdurch entstehen Unsicherheiten für alle Beteiligten.
Die durchaus heftigen Diskussionen um das Selbstbestimmungsgesetz zeigen, dass Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern auf diese Art und Weise kaum werden überwunden werden können. Sie kehren vielmehr zurück: als Binnendifferenzierungen, insbesondere innerhalb des weiblichen Geschlechts, wenn in der öffentlichen Debatte zwischen Trans-Frauen und „echten“ Frauen unterschieden wird. Das Gesetz selbst leistet solchen Binnendifferenzierungen Vorschub, wenn es einerseits die Selbstbestimmung für maßgebend erachtet und andererseits andere Definitionen des Geschlechts als relevant einstuft oder dies Dritten überlässt.
Die Selbstbestimmung über die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung kann letztlich nur um den Preis erfolgen, dass materiell-rechtliche Regelungen, die dem Geschlecht eine Bedeutung zumessen, hieran nicht stets anknüpfen können. Dieses Eingeständnis liefert das Selbstbestimmungsgesetz eindrücklich mit der Regelung, die an der rechtlichen Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls festhält. Für Quotenregelungen soll es nach dem Gesetzentwurf hingegen wiederum auf das eingetragene Geschlecht zum Zeitpunkt der Besetzung des betreffenden Gremiums beziehungsweise Organs ankommen. Es ist mehr als zweifelhaft, ob dies dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsauftrag nach Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG entspricht. Schließlich liegen die wesentlichen Ursachen für Benachteiligungen nicht in der eigenen Zuordnung, sondern in vorhandenen oder zugeschriebenen Eigenschaften eines Menschen und in gesellschaftlich geprägten Rollenverständnissen.
Nach der Reform ist vor der Reform
In ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 kündigten CDU und CSU bereits an, das Selbstbestimmungsgesetz wieder abzuschaffen.
Das Verfassungsrecht belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum,
Der Gesetzgeber würde die dienende Funktion des Personenstands wiederherstellen, indem er gewisse Hürden für die Änderung beziehungsweise Streichung des personenstandsrechtlichen Eintrags aufstellte. Diese sollten sich freilich unterhalb der Anforderungen halten, die das TSG vorsah, und insbesondere sicherstellen, dass die Rechte der Betroffenen bei der konkreten Handhabung der Regeln beachtet werden. Passgenauere Lösungen lassen sich zudem entwickeln, wenn der Gesetzgeber wieder zwischen den unterschiedlichen betroffenen Personengruppen differenzierte.
Eine solche Reform der Reform brächte keine vollumfängliche Selbstbestimmung mit sich, wie sie das SBGG offensiv verspricht. Der Eintrag könnte so aber wieder eine dienende Funktion erfüllen und machte es entbehrlich, Entscheidungen auf die handelnden Personen in der konkreten Situation zu verlagern und das Geschlecht bereichsspezifisch zu bestimmen. Ein gewisses Maß an Fremdbestimmung kann auf diese Weise paradoxerweise die Selbstbestimmung stärken.