Der Begriff „queer“ war im anglo-amerikanischen Raum ein Schimpfwort, bevor queere Menschen ihn sich aneigneten, um deutlich zu machen, dass es in der Gesellschaft mehr als zwei Geschlechter und Heterosexualität gibt.
Queerfeindlichkeit ist zentral für rechte, autoritäre Ideologien, wie sich an aktuellen Beispielen veranschaulichen lässt: 2025 hat das ungarische Parlament ein Verbot von Pride-Veranstaltungen verabschiedet, und in den USA wurden seit dem neuerlichen Amtsantritt Donald Trumps zahlreiche Gesetze zur Einschränkung der Rechte von trans* Personen erlassen. Im Sommer 2024 mobilisierten extrem rechte Gruppen vermehrt gegen CSD-Paraden im ländlichen Raum, aber auch in einigen Städten Deutschlands, und griffen Teilnehmende an. Solche aggressiven Verteidigungen einer vermeintlich natürlichen Geschlechterordnung richten sich gegen die demokratische Errungenschaft, dass Geschlechterverhältnisse gesellschaftlich verändert und ausgehandelt werden können. Sie leugnen damit die Kontingenz von Geschlechterverhältnissen – also die Tatsache, dass unser Verständnis und Erleben von Geschlecht nicht notwendigerweise so sein muss, wie es gemeinhin als „normal“ und „natürlich“ gilt. Rechte, autoritäre Geschlechterpolitiken sind nicht nur einen Angriff auf gesellschaftlich marginalisierte Gruppen, sondern wenden sich ganz grundsätzlich gegen eine plurale, demokratische Organisation der Gesellschaft und tragen zur Normalisierung des Autoritären allgemein bei.
Die Leipziger Autoritarismus Studie, die 2024 die Ergebnisse der zwölften Erhebung seit 2002 präsentiert hat, zeigt, dass antifeministische und sexistische sowie transfeindliche Weltbilder sich insbesondere im rechten politischen Spektrum nachweisen lassen.
Wir sehen: Geschlechter- und sexuelle Verhältnisse sind politisch. Wie wir Geschlecht, Sexualität und damit verbundene Lebensweisen verstehen und gesellschaftlich anerkennen, hat sich historisch entwickelt und könnte auch immer anders sein. Diese Kontingenz gilt es zu reflektieren. Dies kann erstens mit Blick auf die Geschichte geschehen: Wie haben sich die Verhältnisse der Geschlechter und unser Verständnis von Sexualität historisch und an unterschiedlichen Orten gewandelt? Welche Ereignisse, Kämpfe und Strukturen haben zu diesen Veränderungen geführt? Zweitens können wir fragen, warum bestimmte Körper, Beziehungen und Verhaltensweisen als natürlich gelten und andere nicht: Welche gesellschaftlichen Ideen und Machtverhältnisse prägen unsere Vorstellung von Geschlecht, Sexualität und Körpern? Drittens können wir daran anschließend fragen, was dies mit Macht und Herrschaft zu tun hat: Inwiefern wird die vermeintlich natürliche Geschlechterordnung herangezogen, um Ungleichheit zu rechtfertigen? Wer profitiert von einem angeblich biologisch eindeutigen Geschlechterkonzept?
Wie hängt dies genau mit unserem Verständnis von Demokratie zusammen? Zunächst ist Demokratie genuin mit einer Vorstellung von Gleichheit verbunden. Gleichheit und Demokratie gehören jedoch zu den „umkämpften Begriffen“ der politischen Theorie: Je nach Perspektive werden Gleichheit und Demokratie also anders verstanden.
Das Geschlechter- und Demokratieverständnis der autoritären Rechten
Rechte, autoritäre Parteien und Gruppierungen glauben an eine hierarchisch und dichotom strukturierte Welt und vertreten autoritäre Geschlechterpolitiken.
Das rechtsautoritäre Weltbild ist zutiefst antidemokratisch. Denn es beruht auf der Annahme, dass Staat und Staatsvolk sich nicht durch Demokratie und Recht konstituieren, sondern auf einer organisch gewachsenen natürlichen Ordnung beruhen.
Wenn rechte Influencerinnen, die sich auch als „Tradwives“ („traditionelle Ehefrauen“) bezeichnen, in den sozialen Medien Kochvideos und Familiengeschichten teilen und dabei dazu aufrufen, möglichst viele weiße Kinder zu bekommen, ist dies kein harmloser Trend, sondern Teil einer autoritären antidemokratischen Ideologie und Geschlechterpolitik.
In dieser Ideologie scheint es daher nicht nur legitim, sondern sogar notwendig, sich gegen Feminist*innen, queere, trans* und inter*Personen, ihre Verbündeten und Institutionen sowie gegen die Anerkennung von Pluralität, Differenz und Vielfalt zu stellen, auch – in der extremen Version des Rechtsterrorismus – mit vernichtender Gewalt. Antifeminismus fungiert oft als „Scharnier“
Und doch gibt es schwule, lesbische und trans* Personen, die sich in rechtsautoritären Gruppierungen und Parteien engagieren. Wie ist dies möglich? Zumindest müssen sie eine „möglichst exakte Einpassung in ein ausschließlich binär gedachtes Geschlechtssystem unter der Prämisse der wesenhaften Unterschiedlichkeit von Frauen* und Männern*“
Charakteristischerweise sind rechtsautoritäre Ideologien auf Ungleichheit und Ausschluss ausgerichtet – Demokratie meint hier eben nicht gleiche Rechte für alle und gleiche Teilhabe an demokratischen Aushandlungsprozessen. Noch weniger beinhalten diese Ideologien ein substanzielles Demokratieverständnis, das auch die materiellen und strukturellen Hürden zur Teilnahme an demokratischen Verfahren abbauen will. Im Gegenteil meinen die Wortführer*innen dieser Ideologien, zu wissen, was der „Wille des Volkes“ sei, der angeblich in etablierten demokratischen Prozessen nicht zum Ausdruck kommen könne:
Geschlechtliche und sexuelle Differenz in pluralen Demokratien
Antifeministische und queerfeindliche Einstellungen sowie rechtsautoritäre und rechtspopulistische Kampagnen bedrohen sowohl die plurale demokratische Gesellschaft mit ihren vielfältigen Lebensformen als auch den demokratischen Rechtsstaat selbst.
Queerfeministische Demokratietheorien gehen vom „Faktum der Pluralität“ aus, nämlich „der Tatsache, daß nicht ein Mensch, sondern viele Menschen“,
Aufgrund gesellschaftlicher Dynamiken ist die plurale Demokratie fortwährend von Ungewissheit und Unsicherheit geprägt. Zum einen sind dies Unsicherheit produzierende, gesellschaftlich gemachte Entwicklungen wie der Klimawandel, globale Finanzkrisen, Kriege oder Pandemien. Zum anderen liegen die Ungewissheit und Unsicherheit in den unweigerlichen, fortwährenden Veränderungen durch Demografie, Migration, Arbeitsmarktprozesse und im institutionellen Wechsel von Regierung und Parteiengefüge selbst. Ungewissheit und Unsicherheit sind also eine unausweichliche Facette des Umstands, dass unsere soziale und politische Welt auf keinen festen oder „letzten“ Gründen aufruht, sich also immer im Wandel befindet. Und nur deshalb, und dies ist die Pointe, ist sie demokratisch gestaltbar: Würde die Gesellschaft, wie es rechte Akteur*innen häufig fantasieren, die Hierarchien einer göttlichen oder natürlichen Ordnung widerspiegeln, wäre unsere Welt zwar erwartungssicher, aber kaum demokratisch gestaltbar.
Ein weiteres Kennzeichen plural verfasster Demokratien besteht darin, dass sie sowohl die Freiheit und Gleichheit aller gewährleisten als auch gesellschaftlich Marginalisierte schützen. Ein Beispiel: Das Prinzip der Meinungsfreiheit besagt, dass verschiedene, auch kontroverse, Meinungen geäußert werden können: Alle, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Bildungsstand, dürfen sagen, was sie denken, meinen und glauben. Dies ist ein Kerncharakteristikum der Demokratie, deren historische Errungenschaft genau darin liegt, ein allgemeines Recht auf Meinungsfreiheit gegen feudale, klassistische, rassistische, androzentrische, sexistische und queerfeindliche Strukturen erkämpft zu haben. Doch die Meinungsfreiheit findet ihre Grenze dort, wo die Grundrechte von Menschen verletzt, Ausgrenzung und Gewalt zum politischen Programm erhoben werden – wenn also das Streben nach Gleichheit bedroht wird.
Das antidiverse Geschlechterverständnis autoritärer Politiken stellt nicht nur die Grund- und Menschenrechte queerer Menschen infrage. Es behauptet auch die vermeintlich unumstößliche Natürlichkeit (oder auch Gottgegebenheit) einer binären Geschlechterordnung
Kontingenz der Geschlechterverhältnisse anerkennen
Dass Antifeminismus und Queerfeindlichkeit aktuell so präsent sind, zeigt, wie sehr eine plurale, demokratische Gestaltung der Gesellschaft unter Druck steht. Mit Blick auf ein queerfeministisches Verständnis von Demokratie wird deutlich, dass eine plurale Demokratie nicht einfach ein beliebiges Nebeneinander von Positionen bedeuten kann, sondern dass sie sich als eine Arena begreifen muss, in der Differenzen und Ungleichheit sichtbar gemacht werden – als Teil gesellschaftlicher Aushandlung über eine bessere Zukunft für alle. Statt die Stillstellung von (unvermeidlichen) Konflikten durch eine Mehrheitspolitik anzustreben, muss die demokratische Gesellschaft sich ihrer Widersprüche und Anfeindungen stellen – dazu gehört auch, die Vorstellung von „Normalität“ zu problematisieren. Demokratie bedeutete dann nicht, Konflikte aufzulösen, sondern sie im besten Falle produktiv auszutragen. Aus einer queerfeministischen Perspektive lässt sich daher unserer Ansicht nach dafür plädieren, die Offenheit und Veränderlichkeit dieser Konflikte zu betonen und sie als Quelle für Solidarität und Allianzen zu nutzen. Es geht nicht darum, einen endgültigen Konsens zu erreichen, sondern darum, die vergeschlechtlichten Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zu befragen. Ein queerfeministisches Verständnis von Demokratie betont dabei die Veränderbarkeit dieser Auseinandersetzungen und die Notwendigkeit, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in ihrer Wandelbarkeit und Erweiterung nicht nur als selbstverständlich zu nehmen. Auch sind nach wie vor bestehende Ungleichheiten, die eine emanzipative Gleichberechtigung und Selbstbestimmung verhindern, kritisch zu prüfen und für gleiche Rechte aller zu kämpfen. Die Aushandlungen über die Gestaltung der Gesellschaft füllen die „Leerstelle“ der Macht in Demokratien immer wieder aufs Neue und immer wieder anders.
Diesen Auftrag ernst zu nehmen bedeutet, Angriffe auf queeres Leben als Angriffe auf die demokratische Gestaltung der Gesellschaft zu verstehen. Rechte Akteur*innen erachten ausschließlich die Rechte und Lebensweisen einer bestimmten, völkisch definierten und männlich-heterosexuell konnotierten Gruppe als schützenswert. Sie leugnen die Wandelbarkeit der Geschlechterverhältnisse, die in einer fixierten, stillgestellten Form der Absicherung von Hierarchien und Ungleichheit dienen sollen: Die biologisierende Unterscheidung in zwei grundsätzlich verschiedene Geschlechter soll Ungleichheit – etwa in der Bezahlung, der Aufgabenverteilung, der sexuellen Lebensweisen und der gesellschaftlichen Teilhabe – „rechtfertigen“, um sie zu verfestigen. Die Aufgabe demokratischer Gesellschaften besteht jedoch darin, Geschlechterverhältnisse zu demokratisieren, das heißt, zum Gegenstand des Politischen zu machen und ihre Kontingenz anzuerkennen.