„Ejak el door, ya doctor“ – „Du bist dran, Doktor“. Im Frühjahr 2011, im Kontext des Arabischen Frühlings, sprühten Teenager diesen Satz an eine Hauswand in der südsyrischen Stadt Daraa. Es war eine direkte Botschaft an Präsident Baschar al-Assad, der vor seiner Machtübernahme im Jahr 2000 als Augenarzt gearbeitet hatte. Die Jugendlichen wurden verhaftet und schwer misshandelt. Ihr Protest gegen das autoritäre Regime und die brutale Reaktion darauf gelten als Ausgangspunkt einer Revolte, die sich rasch über das ganze Land ausbreitete.
Was mit dem Ruf nach Freiheit und Reformen begonnen hatte, mündete in einen der verheerendsten Bürgerkriege unserer Zeit. In die Gefechte mit den alawitisch dominierten Regierungstruppen waren zahlreiche sunnitische Rebellenfraktionen verwickelt, die teilweise untereinander verfeindet waren. Zudem gerieten kurdische Milizen, die hauptsächlich gegen den „Islamischen Staat“ kämpften, vereinzelt mit dem Regime aneinander. Assad konnte sich jedoch mithilfe Russlands und Irans an der Macht halten und ging dabei mit äußerster Gewalt vor: Seine Truppen setzten Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung ein, belagerten ganze Städte und begingen systematisch Menschenrechtsverbrechen. Über 500000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden verletzt oder vertrieben. Die daraus resultierende Massenflucht hatte weitreichende Folgen – bis nach Europa und Deutschland.
Im Dezember 2024 gelang es oppositionellen islamistischen Kräften, die Kontrolle über Damaskus zu übernehmen und das Assad-Regime zu stürzen. Doch dieser Umbruch wirft viele Fragen auf, nicht zuletzt angesichts der dschihadistischen Vergangenheit der neuen Machthaber um Ahmed al-Scharaa: Können ausgerechnet sie die Demokratisierung eines Staates einleiten, in dem konfessionelle und ethnische Spannungen weiterwirken? Wie können Rückkehr, Wiederaufbau und Versöhnung gelingen, wenn 90 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und extreme Gewalt erfahren haben? Wie kann Sicherheit gewährleistet werden in einem Land, in dem sich neben den verfeindeten bewaffneten Gruppen noch mehrere Tausend aktive IS-Mitglieder aufhalten? Und welche Rolle kann Deutschland spielen – als Unterstützer beim Wiederaufbau, als Zufluchtsort für Geflüchtete und als Ort strafrechtlicher Aufarbeitung?