Am 8. Dezember 2024 nahm ein Bündnis islamistischer Gruppierungen unter der Führung des Befreiungskomitees Syriens (Hai‘at Tahrir asch-Scham, kurz HTS) die syrische Hauptstadt Damaskus ein und stürzte das Regime des Präsidenten Baschar al-Assad. Damit endete ein Bürgerkrieg, in dem sich sunnitische Rebellen und eine vorwiegend von Alawiten getragene Regierung vierzehn Jahre lang gegenseitig bekämpft hatten. Ab 2017 kontrollierte die HTS die Provinz Idlib und einige angrenzende Gebiete und schickte sich Ende 2024 an, zumindest die zu diesem Zeitpunkt noch in der Hand des Regimes befindlichen Teile Syriens unter ihre Kontrolle zu bringen.
Dies ist ein Blick in die Geschichte einer immer noch jungen Organisation, die seit 2011 teils dramatische Wandlungen durchgemacht hat. Unter dem Namen „Nusra-Front“ (Jabhat an-Nusra) wurde sie Ende 2011 als syrischer Ableger des Islamischen Staates im Irak (ISI) gegründet. 2013 sagte sie sich vom ISI los und wandelte sich zur Filiale von al-Qaida in Syrien. In den Jahren 2016 und 2017 löste sie sich ganz von ihren dschihadistischen Wurzeln, vertrat fortan einen gemäßigteren militanten Islamismus und verbündete sich mit der Türkei, was den Sieg von 2024 ermöglichte.
Syrischer ISI-Ableger
Als in Syrien die zunächst friedlichen Proteste im Juni 2011 in einen bewaffneten Aufstand mündeten, war ISI stark geschwächt. Er hatte nur noch rund 700 Mann unter Waffen, die vor allem in der irakischen Millionenstadt Mossul im Norden des Landes operierten. Seine Führung sah die im Nachbarland beginnenden Kämpfe als Gelegenheit, das eigene Operationsgebiet auszuweiten und neues Personal zu rekrutieren. Zu diesem Zweck schickte die ISI-Führung eine Delegation mit dem Auftrag nach Syrien, dort einen Ableger aufzubauen. Angeführt wurde die Gruppe vom Syrer Abu Muhammad al-Dscholani (ursprünglich Ahmed al-Scharaa), der sich 2004 den Kämpfern im Irak angeschlossen hatte und zu einem hochrangigen Kommandeur des ISI aufgestiegen war.
Zur Jahreswende 2011/12 machte die Gruppe mit ersten Autobombenanschlägen in Aleppo und Damaskus auf sich aufmerksam und gab am 23. Januar 2012 in einem Video ihre Gründung bekannt. Ihr voller Name lautete „Unterstützungsfront für die Menschen Syriens durch die Dschihadkämpfer Syriens auf den Schauplätzen des Dschihad“ (Jabhat an-Nusra li-ahl asch-Scham min mujahidi asch-Scham fi sahat al-jihad). Dschihadistische Gruppierungen aus dem Umfeld von al-Qaida nutzten ab 2011 häufig Namensbestandteile wie Unterstützung (nusra) oder Unterstützer (ansar).
Ohne dass über Herkunft und Verbindungen der Nusra Klarheit herrschte, wuchs die neue Organisation im Laufe des Jahres 2012 von einigen Dutzend auf mehrere hundert und schließlich mehrere tausend Mann an. Ihre besondere Bedeutung lag jedoch weniger in ihrer zahlenmäßigen Stärke als vielmehr darin, dass sie den syrischen Rebellen die Feuerkraft verschaffte, die ihnen sonst fehlte. Nur die Nusra-Front verfügte über langjährige Erfahrung im Bau von Autobomben, und nur sie stellte Selbstmordattentäter. Da Nusra bereitwillig mit vielen anderen syrischen Rebellengruppen zusammen kämpfte, gelang es diesen immer häufiger, die gut gesicherten Zugänge zu Militärbasen zu sprengen und die Stützpunkte anschließend einzunehmen. Besonders stark war Nusra in den Provinzen Deir ez-Zor und Idlib.
Die Nusra-Front entwickelte sich so zu einer Art Spezialtruppe der syrischen Aufstandsbewegung, die sich selbst als Avantgarde und nicht als Massenbewegung verstand. Sie legte hohe Standards an die eigenen Rekruten an, die Arabisch sprechen und eine Empfehlung aus den Reihen der Nusra vorweisen mussten, bevor sie sich anschließen konnten. Diese Regeln begrenzten das Wachstum der Organisation, als ab Sommer 2012 die ersten ausländischen Kämpfer Syrien erreichten. Unter anderem weil die Nusra viele von ihnen nicht aufnahm, bildeten sie kleinere, oft ethnisch oder national homogene Gruppen von Kaukasiern, Saudi-Arabern und Nordafrikanern, die zwar das dschihadistische Weltbild der Nusra teilten und gemeinsam mit der Organisation kämpften, aber eigenständig blieben.
Schisma der Dschihadisten
Bis zum Frühjahr 2013 blieb die Bindung der Nusra-Front an den ISI ein gut gehütetes Geheimnis. Vermutlich sollte die syrische Bevölkerung so spät wie möglich erfahren, dass eine irakische und damit ausländische Organisation am Aufstand gegen das Assad-Regime beteiligt war. Intern kam es im Laufe des Jahres 2012 jedoch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Nusra und ISI. Die Ursache dürften unterschiedliche strategische Vorstellungen gewesen sein. Die Nusra-Front orientierte sich an den Ideen von al-Qaida, deren Anführer Aiman az-Zawahiri seine Anhänger dazu aufrief, eng mit nicht-dschihadistischen Aufständischen zusammenzuarbeiten, exzessive Gewalt zu vermeiden und die Unterstützung der breiten Bevölkerung zu gewinnen. Der ISI hingegen blieb seiner aus dem Irak seit 2003 bekannten Vorgehensweise treu, indem er Gruppierungen, die sich ihm nicht unterordneten, bekämpfte, auf brutale Gewalt gegen alle seine Gegner setzte und die Bevölkerung terrorisierte, um ihre Gefolgschaft zu erzwingen.
Zwar schickte ISI-Chef Abu Bakr al-Baghdadi besonders loyale Kommandeure nach Syrien, um Dscholani und Nusra wieder unter Kontrolle zu bringen, doch die Organisation operierte immer eigenständiger. Daraufhin erklärte Baghdadi in einer öffentlichen Audiobotschaft vom 8. April 2013, dass die Nusra ein Teil des ISI sei, beide Organisationen aber nun aufgelöst und gemeinsam in dem neu gegründeten Islamischen Staat im Irak und in Syrien (ISIS) aufgehen würden. Nur zwei Tage später antwortete Dscholani mit der Weigerung, dem Befehl aus dem Irak zu folgen. Stattdessen argumentierte er, dass ISI und Nusra immer noch durch einen älteren Gefolgschaftseid an al-Qaida gebunden seien (zwischen 2004 und 2006 hieß der ISI „al-Qaida in Mesopotamien“) und kündigte an, die Entscheidung über die Zukunft der beiden Organisationen Aiman az-Zawahiri zu überlassen.
Als Zawahiri nicht sofort antwortete, wandten sich viele Kämpfer von Nusra ab und ISIS zu. Dies galt insbesondere für die Ausländer, von denen sich rund 80 Prozent für die irakische Organisation entschieden.
Mit dem Konflikt zwischen Nusra und ISIS begann das große Schisma der dschihadistischen Bewegung, das ihre Geschichte seither prägt und in einen lang anhaltenden Konflikt zwischen al-Qaida und dem seit 2014 als IS bezeichneten Islamischen Staat mündete. In Syrien versuchten sich die Kontrahenten 2013 zwar noch einige Monate in einer mehr oder weniger friedlichen Koexistenz. Anfang August 2013 beteiligten sie sich sogar gemeinsam an einer Offensive im Küstengebirge, bei der sie mehrere alawitische Dörfer zerstörten und hunderte Zivilisten ermordeten und verschleppten.
Wiedererstarken
Obwohl die Nusra-Front in mehreren Landesteilen kämpfte, entwickelte sich die Provinz Idlib ab Sommer 2014 zur wichtigsten Hochburg der Organisation. Trotz aller Verluste zeigte sie sich regenerationsfähig und startete im Oktober und November 2014 sogar eine Offensive, in deren Verlauf sie zwei wichtige Gruppierungen der Freien Syrischen Armee (FSA) in der Provinz Idlib so zerschlug, dass diese fortan keine Rolle mehr spielten. Auslöser für die Attacke waren vermutlich US-amerikanische Luftangriffe im September 2014, die sich gegen die Nusra richteten. Wahrscheinlich befürchtete die Organisation, dass die FSA-Einheiten von den USA unterstützt und beauftragt werden könnten, gegen die Dschihadisten vorzugehen.
Wie stark die Nusra-Front weiterhin war, zeigte sich aber vor allem im Frühjahr 2015, als sie einen Großangriff auf das Regime startete. Im März 2015 schlossen sich islamistische Gruppen unter Führung der Nusra-Front und der Ahrar asch-Scham (Freie Männer Syriens) zur Armee der Eroberung (Jaish al-Fath) zusammen und nahmen in der Folge fast die gesamte Provinz Idlib mit der gleichnamigen Hauptstadt ein. Zunächst schien es sich um einen Pyrrhussieg zu handeln, denn die Verluste des Regimes und die Gefahr eines weiteren Vormarschs der Islamisten provozierten die russisch-iranische Intervention vom Sommer 2015. Dem Bündnis dieser Mächte mit dem Assad-Regime hatten die Rebellen nur wenig entgegenzusetzen. In den folgenden Monaten gerieten sie an verschiedenen Fronten unter Druck und verloren im Dezember 2016 sogar den Ostteil der Millionenstadt Aleppo, deren Eroberung Mitte 2012 ihr vielleicht größter Erfolg überhaupt gewesen war.
Dass die Nusra-Front sich trotzdem weiter behaupten konnte, lag vor allem daran, dass sie ihre Kontrolle über Idlib zwischen 2014 und 2016 ausbaute. Offenbar hatte sie ihre Niederlage in Deir ez-Zor zum Anlass für ein Umdenken genommen, bei dem das Vorgehen des IS ihr als Vorbild diente. Wie diese einstige Mutterorganisation bemühte sie sich ab Sommer 2014 darum, eine von ihr kontrollierte territoriale Basis zu schaffen. Im Juli 2014 richtete die Nusra in Idlib eine eigene Justiz und Verwaltungsbehörden ein. Zwar hatten sich auch 2012 und 2013 schon Institutionen gebildet, die Verwaltungsaufgaben übernahmen, doch waren diese „Schariakomitees“ (al-Hai’at ash-Shar’iya) in Aleppo und anderen Orten gemeinsame Projekte von Nusra und verbündeten Islamistengruppen. Jetzt schuf die Nusra die Grundlagen für eine alleinige Kontrolle über die Region.
Ab 2016 verstärkte die Nusra-Front auch ihre Bemühungen um einen Zusammenschluss mit anderen Rebellen. Ihr wichtigster Partner waren seit 2013 Ahrar asch-Scham, in deren Reihen ein breites Bündnis von Muslimbrüdern, Salafisten und Dschihadisten vertreten war und die zu den stärksten aufständischen Gruppen gehörten. Trotzdem scheiterten Gespräche über einen Zusammenschluss der beiden Organisationen Anfang 2016, weil die Ahrar asch-Scham Vorbehalte gegenüber der Zugehörigkeit der Nusra zum al-Qaida-Netzwerk geltend machten. Angesichts der militärischen Erfolge des Regimes und seiner Verbündeten reagierte die Nusra-Front, indem sie sich im Juli 2016 in Jabhat Fath asch-Scham (Eroberungsfront Syriens) umbenannte und sich erstmals von al-Qaida distanzierte. Doch auch nach diesem Schritt lehnten die Ahrar asch-Scham einen Zusammenschluss ab. Damals wurde vermutet, dass die Türkei als wichtigster Unterstützer der Ahrar asch-Scham den Zusammenschluss verhinderte.
Aufstieg von HTS
Trotz der Schwierigkeiten im Verhältnis zu Ahrar asch-Scham setzte die Nusra-Front ihre Bemühungen um die Schaffung eines möglichst großen Rebellenbündnisses fort – wenn nötig auch gegen den einstigen Verbündeten. Dies wurde umso dringlicher, als die Rebellen nach der Niederlage in Aleppo im Dezember 2016 einen Folgeangriff auf Idlib befürchteten. So entstand im Januar 2017 aus der Nusra-Front zusammen mit kleineren Gruppen und etwa 2000 Kämpfern von Ahrar asch-Scham sowie einigen Führungspersönlichkeiten die HTS.
HTS nutzte die Schwäche seiner Konkurrenten und baute seine Kontrolle über die Provinz aus. Im November 2017 gründete sie mit der Syrischen Rettungsregierung (Hukumat al-Inqadh as-Suriya) eine zivile Behörde, die seitdem die Verwaltung von Idlib übernahm.
Im Laufe des Jahres 2017 zeigte sich immer deutlicher, dass HTS es mit der schon 2016 begonnenen Distanzierung von al-Qaida ernst war. Im November ließ HTS den Jordanier Sami al-Uraidi verhaften. Dieser war jahrelang die inoffizielle Nummer zwei der Nusra-Front und ihr führender Religionsgelehrter gewesen und galt als der mit Abstand bekannteste al-Qaida-Loyalist innerhalb der Organisation. Auch andere al-Qaida-Anhänger wurden verhaftet.
Schutzmacht Türkei
Der Protest der al-Qaida-Loyalisten galt auch dem sich seit Oktober 2017 abzeichnenden Bündnis der HTS mit der Türkei. Die Türkei war schon seit 2012 der wichtigste Unterstützer der Rebellen im Kampf gegen das Assad-Regime und besetzte ab Sommer 2016 erstmals Territorien in Nordsyrien, um zu verhindern, dass die syrischen Kurden ihre Kontrolle dort ausweiteten. Eine Folge war, dass die Türkei zu einem begehrten Verhandlungspartner wurde und schon 2016 Gespräche mit Russland und Iran führte, die in die Konferenz von Astana mündeten. Dort wurde im Mai 2017 verabredet, dass in Idlib eine von vier Deeskalationszonen entstehen würde, in denen Waffenstillstände herrschen sollten – wobei der in Idlib von türkischen und russischen Soldaten überwacht werden würde. Ab Oktober 2017 rückten türkische Truppen nach Idlib ein, wo sie rund um das Rebellengebiet nahe der Frontlinien Beobachtungsposten einrichteten.
Für die HTS als dschihadistische Organisation war die Türkei im Prinzip ein Teil des feindlichen Westens. Es gelang Ankara jedoch, das Misstrauen der HTS-Führung zu überwinden, sodass die türkischen Truppen im Oktober mit der Zustimmung Dscholanis einrücken konnten.
Zwar konnte die wachsende türkische Präsenz nicht verhindern, dass syrisches und russisches Militär im Dezember 2019 eine größer angelegte Offensive begannen. Die Lage schien so dramatisch, dass zum Jahreswechsel 2019/2020 rund eine Million Bewohner der Rebellengebiete ihre Heimat verließen und in Richtung türkische Grenze flohen. Doch stockte die Türkei kurz darauf ihre Truppen in Idlib auf 12000 Mann auf. Fast wäre es zu einer größeren Konfrontation gekommen, als die syrische und die russische Luftwaffe einen türkischen Armeekonvoi angriffen und 53 Soldaten töteten. Daraufhin begann das türkische Militär eine kurze aber intensive Gegenoffensive, bei der es der syrischen Armee hohe Verluste zufügte. Um eine Eskalation zu vermeiden, verabredeten Moskau und Ankara wieder einen Waffenstillstand und gemeinsame Patrouillen im Rebellengebiet.
Herrscherin in Idlib
Seit März 2020 war das Gebiet der HTS in Idlib vor allem ein türkisches Protektorat. Mit türkischer Hilfe konnte die HTS dort dem Druck des Regimes standhalten und ihre Kontrolle über das Rebellengebiet ausweiten. Zunächst entledigte sie sich ihrer dschihadistischen Kritiker, die immer wieder gegen den Pragmatismus Dscholanis und seiner Gefolgsleute protestierten. Zum HTS-Hauptgegner wurde der al-Qaida-Ableger Hurras ad-Din, der entgegen dem zwischen Ankara und Moskau ausgehandelten und von der HTS akzeptierten Waffenstillstand wiederholt Regimegebiete und türkische Truppen angriff.
Darüber hinaus waren weitere Rebellengruppen in Idlib präsent. Die wichtigste war ein Bündnis, das im Mai 2018 unter dem Namen Nationale Befreiungsfront (al-Jabha al-Wataniya li-t-Tahrir, meist abgekürzt als NLF) gegründet wurde und sich aus Ahrar asch-Scham, Failaq asch-Scham (Syrien-Korps), der Nur-ad-Din-Zinki-Bewegung (die zwischen Januar und Juli 2017 Teil der HTS war) und anderen ehemaligen FSA-Gruppierungen zusammensetzte. Im Oktober 2019 schlossen sich weitere Gruppen diesem Bündnis an, das sich nun Syrische Nationalarmee (al-Jaish al-Watani as-Suri, SNA) nannte und mit mehreren zehntausend Mann als Hilfstruppe der türkischen Armee in Syrien operierte.
Obwohl die HTS ihre Macht in Idlib ab 2017 kontinuierlich ausbaute und Verwaltung, Justiz und öffentliches Leben kontrollierte, hielt sie sich mit der Durchsetzung ihrer ursprünglich salafistischen Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften zurück. Zwar bestand sie auf einer weitgehenden Trennung von Männern und Frauen sowie Jungen und Mädchen in Schulen und Hochschulen. Frauen mussten jedoch keinen Gesichtsschleier tragen und durften am öffentlichen Leben teilnehmen. Sie durften auch arbeiten, aber die Segregation hinderte sie daran, Berufe auszuüben, in denen sie mit Männern in Kontakt kamen. In der Vergangenheit versuchte HTS einmal, das Rauchen zu verbieten, aber es blieb zumindest de facto erlaubt.
Die HTS geriet vielmehr in die Kritik, weil sie Idlib autoritär beherrschte und ihre mächtige Geheimpolizei – die Direktion der Öffentlichen Sicherheit (Idarat al-Amn al-’Amm) – ausbaute, die Dissidenten und Oppositionelle aller Art verfolgte, willkürlich verhaftete, folterte und misshandelte. Anführer war mit Anas Khattab ein alter Kampfgefährte Dscholanis aus gemeinsamen ISI-Zeiten. Im März 2024 kam es sogar zu Protesten in Idlib, bei denen die Demonstranten – letztlich erfolglos – unter anderem den Sturz der HTS-Führung einschließlich Abu Muhammad al-Dscholanis, die Freilassung der Gefangenen aus dem Gewahrsam der Geheimpolizei und die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für die Folter in den Geheimpolizeigefängnissen forderten.
Sieg in Damaskus
Zwischen 2020 und 2024 baute die HTS ihre militärischen Fähigkeiten stetig aus. Sie soll Ende 2024 etwa 25000 bis 30000 Mann unter Waffen gehabt haben, und sie setzte sogar einfache Kampfdrohnen ein.
Die Rebellen hatten nur einen Vorstoß auf Aleppo geplant und nicht damit gerechnet, dass die Armee des Regimes zusammenbrechen würde. Ein wichtiger Grund dafür war, dass die Verbündeten Assads dem Diktator nicht zu Hilfe kamen. Russland konzentrierte sich auf den Krieg in der Ukraine und hatte nur noch wenige Truppen im Land. Iran und Hisbollah waren durch die stetigen israelischen Luftangriffe 2024 stark geschwächt und handlungsunfähig. Hinzu kam, dass die syrische Armee trotz nomineller Überlegenheit nicht mehr bereit war, für Assad in den Kampf zu ziehen. Überraschend war vor allem, dass auch die mehrheitlich alawitischen Elitetruppen des Regimes keinen Widerstand leisteten.
In den folgenden Monaten versuchte die HTS, ihre Kontrolle über die ehemals vom Regime gehaltenen Teile Syriens zu festigen. Abu Muhammad al-Dscholani wurde unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa Übergangspräsident, Vertreter der HTS übernahmen die wichtigsten Ministerien. Die Organisation bemühte sich, nach außen weiterhin ein gemäßigtes Bild abzugeben, ohne gleichzeitig die Unterstützung der eigenen Basis zu verlieren, die vielfach noch aus Dschihadisten bestand. Im März 2025 kam es zu einer schweren Krise, als mit der HTS verbündete Milizen in der Küstenregion mehr als 1400 Alawiten ermordeten, die meisten von ihnen Zivilisten. Es war unklar, inwieweit die HTS und ihre Geheimpolizei ebenfalls beteiligt waren. Die Ereignisse zeigen, dass Syrien noch weit von einer Stabilisierung entfernt ist.