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Eine kleine Geschichte des Baathismus in Syrien | bpb.de

Eine kleine Geschichte des Baathismus in Syrien

Thomas Schmidinger

/ 16 Minuten zu lesen

Mehr als ein halbes Jahrhundert beherrschte der Baathismus die politischen Geschicke Syriens. Mit der Flucht Baschar al-Assads ging die Geschichte dieser Variante des arabischen Nationalismus zu Ende. Doch das Erbe dieser Ideologie wird das Land noch lange beschäftigen.

Die Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung (ḥizb al-baʿth al-ʿarabī al-ištirākī, kurz Baath-Partei) wurde offiziell 1947 von dem in Damaskus geborenen griechisch-orthodoxen Christen Michel Aflaq und dem ebenfalls in Damaskus geborenen sunnitischen Muslim Salah al-Din al-Bitar gegründet. Ideologischer Wegbereiter war zudem der in Latakia geborene Alawit Zaki al-Arsuzi. Allen drei Männern gemeinsam war nicht nur, dass sie aus relativ wohlhabenden Mittelschichtfamilien stammten und eine säkulare Erziehung genossen hatten, sondern vor allem, dass sie in den 1930er Jahren ihre Studienzeit in Europa verbracht hatten.

Al-Arsuzis Familie zog von Latakia nach Antakya, wo er als Kind die Verhaftung seines Vaters miterlebte, von der al-Arsuzi selbst später behaupten sollte, sie sei wegen arabisch-nationalistischer Aktivitäten erfolgt. Vom späteren Politiker al-Arsuzi wurde die Verhaftung als nationalistisches Erweckungserlebnis gedeutet. Von 1927 bis 1930 studierte er mit einem Stipendium an der Sorbonne in Paris, ohne sein Studium abzuschließen.

Fast zur gleichen Zeit studierte Michel Aflaq an der Sorbonne, bevor er als Lehrer nach Syrien zurückkehrte. In Frankreich kam Aflaq in Kontakt mit der Kommunistischen Partei Frankreichs und war zunächst von deren sozialpolitischen Forderungen beeindruckt.

Als letzter der drei studierte Salah al-Din al-Bitar an der Sorbonne. Wie Aflaq und al-Arsuzi lernte auch al-Bitar während seines Studiums einerseits marxistische, andererseits aber auch europäische nationalistische und faschistische Diskurse kennen.

Um die eigentümliche Mischung aus linkssozialistischer und rechtsnationalistischer Ideologie zu verstehen, die später den Baathismus ausmachen sollte, ist es notwendig, nicht nur einen Blick auf die politische Entwicklung Syriens, sondern auch auf das politische Milieu Frankreichs der 1930er Jahre zu werfen. Während Syrien unter französischer Protektoratsherrschaft stand, prallten in Frankreich rechte und linke Ideologien aufeinander. Neben den kommunistischen und verschiedenen anderen Strömungen des Marxismus gab es auch in Frankreich eine einheimische Variante des Faschismus und der extremen Rechten, deren stärkste Gruppierung die 1898 im Gefolge der Dreyfus-Affäre entstandene Action française war. Gerade in Frankreich gab es aber auch Berührungspunkte zwischen der extremen Rechten und der Linken, etwa Varianten des Nationalsyndikalismus, die sich vor allem auf die Ideen des antiliberalen Sozialphilosophen Georges Eugène Sorel bezogen, dessen Ideen schon unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in Italien die Hinwendung ehemaliger Linker zum Faschismus beeinflussten hatten, in Frankreich aber noch in den 1930er Jahren ein Bindeglied zwischen einem linken und rechten Antiliberalismus bildeten.

Welche Einflüsse genau in Paris auf die drei Gründungsväter der späteren Baath-Partei einwirkten, wäre noch genauer zu untersuchen. Festzuhalten ist jedoch, dass die klare Trennlinie zwischen rechten und linken Positionen, die im Zusammenhang mit der Herrschaft des Faschismus in Europa gezogen wurde, im Frankreich der frühen 1930er Jahre noch nicht so eindeutig war und dass sich der frühe Faschismus in Frankreich noch nicht unbedingt als rückwärtsgewandt, sondern teilweise auch als alternatives Fortschrittsmodell präsentierte.

So ungewöhnlich aus heutiger europäischer Sicht die Vermischung marxistischer und nationalistischer Positionen im Baathismus erscheint, so wenig überraschend ist diese Perspektive einerseits aus der Sicht des intellektuellen Lebens im Paris der frühen 1930er Jahre und andererseits aus der Sicht der syrisch-arabischen Intellektuellen, die in diesem Paris studierten. Aflaq, al-Bitar und al-Arsuzi fühlten sich von den sozial- und wirtschaftspolitischen Forderungen des Marxismus ebenso angezogen wie vom französischen Laizismus und dem Nationalismus der faschistischen Bewegungen. Aus der Übertragung und Transformation dieser Elemente auf die arabische Nation als Gegenmodell zum französischen Kolonialismus, aber auch als Alternative zu islamischen antikolonialen Perspektiven sollten die Gründer des Baathismus nach ihrer Rückkehr nach Syrien ihre eigene Ideologie einer national-sozialistischen „Wiedererweckung“ der „Arabischen Nation“ konstruieren.

Antikolonialer Nationalismus

Salah al-Din al-Bitar kehrte 1934 nach Damaskus zurück, wo er wie Michel Aflaq als Lehrer an der Schule Tajhiz al-Ula arbeitete. Aflaq und al-Bitar folgten einer eklektischen Mischung aus Nationalismus und Marxismus, die sie vor allem als Mittel zur Modernisierung und Schaffung einer unabhängigen arabischen Nation ansahen. Diese verschiedenen Elemente wurden jedoch erst in Syrien zu einer spezifischen Ideologie, für die der dritte Parteigründer Zaki al-Arsuzi noch wichtiger gewesen sein dürfte als die später prominenteren Aflaq und al-Bitar.

Nach seiner Rückkehr aus Paris in das damals zum französischen Syrien gehörende Antakya (heute Türkei) wurde Zaki al-Arsuzi in den 1930er Jahren als arabischer Nationalist aktiv. Nachdem Frankreich 1938 die Verwaltungseinheit Sandschak Alexandrette an die Türkei abgetreten hatte, floh al-Arsuzi mit etwa 50000 anderen Bewohnern der Region nach Damaskus.

1939 teilte al-Arsuzi seine mittlerweile gesammelten Gefolgsleute in eine politische Organisation mit dem Namen „Arabische Nationalistische Partei“ und eine kulturelle Organisation, in deren Namen erstmals der Begriff „al-baath“ (Wiedererweckung) auftauchte. Unter diesem Namen erschien ab 1940 auch eine zunächst unregelmäßig publizierte Zeitung, die zum zentralen Sprachrohr der neuen politischen Bewegung wurde.

Wie fast alle Nationalbewegungen verstand sich auch der Baathismus als Wiedererwecker einer zeitlosen beziehungsweise uralten Nation, die durch Eigen- und Fremdverschulden den ihr gebührenden Platz in der Geschichte verloren habe und ihn zurückerobern müsse. Der Weg dorthin führte über eine sozialistische Modernisierung, ein Nachholen der Aufklärung, aber auch eine Umdeutung der Geschichte, die den Islam und die islamischen Reiche als Vorläufer der arabischen Nation interpretierte. Damit säkularisierte die Bewegung die Geschichte des Islam, integrierte ihn aber – seiner eigentlichen spirituellen Seite entkernt – als kulturelle Hülle und damit als spezifisch arabisches Kulturmerkmal in diese arabische Nation. So konnten auch religiöse Minderheiten wie Christen, Alawiten oder Drusen Teil dieses arabisch-islamischen Erbes werden, ohne den (sunnitischen) Islam als Religion annehmen zu müssen. Den Gründern des Baathismus war durchaus bewusst, dass es in den arabisch geprägten Staaten des Nahen Ostens, insbesondere in Syrien, Gruppen wie aramäisch sprechende Christen, Armenier oder Kurden gab, deren Muttersprache nicht Arabisch war. Diese wurden jedoch vom baathistischen Vordenker al-Arsuzi nicht einfach als Minderheiten betrachtet, sondern als untrennbarer Teil der arabischen Mehrheitsbevölkerung. Anders als in der kemalistischen Türkei wurde die Existenz der Kurden nicht geleugnet, sondern ein Integrationsangebot gemacht: Nichtarabisch sprechende Gruppen sollten Teil einer gesamtarabischen Nation werden, deren Bestandteil sie in einer säkularisierten Umdeutung der islamischen Geschichte aus baathistischer Sicht schon immer gewesen waren.

Mehr noch als für ethnische Minderheiten wie die Kurden war dieses integrative Element einer säkularisierten Einheitsideologie für arabischsprachige religiöse Minderheiten attraktiv. Christen wie Michel Aflaq oder Alawiten wie Zaki al-Arsuzi konnten so am islamischen Kulturerbe teilhaben, ohne ihre jeweilige Religion aufgeben zu müssen. In gewisser Weise wurden so verschiedene religiöse Minderheiten in eine säkularisierte Variante einer arabisch-islamischen Umma integriert.

Schwierig war dies nur für die Angehörigen der jüdischen Minderheiten, die sich in einer früheren Phase des arabischen Nationalismus durchaus als Araber verstehen konnten, die aber Anfang der 1940er Jahre bereits zu sehr zwischen die Fronten des Konflikts um die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina geraten waren und für die jüngere Generation arabischer Nationalisten potenziell die Rolle einer fünften Kolonne des Zionismus spielten.

Für alle anderen religiösen Minderheiten bot die neue Ideologie jedoch eine Integrationsmöglichkeit abseits der radikaleren linken Alternative der Kommunisten. So waren Vertreter religiöser Minderheiten nicht nur unter den prominenten Parteigründern, sondern auch unter den ersten Mitgliedern stark vertreten.

Das Gegenstück zum Baathismus war nicht nur der Zionismus in Palästina, sondern vor allem die französische Protektoratsverwaltung in Syrien. Nach der Niederlage Frankreichs gegen das Deutsche Reich 1940 war Syrien zusammen mit dem Libanon unter die Herrschaft des kollaborierenden Vichy-Regimes geraten. Im Dezember 1940 hatte die Regierung des mit dem Deutschen Reich kollaborierenden État français Henri Fernand Dentz zum Hochkommissar für Syrien und den Libanon sowie zum Oberbefehlshaber der Armée du Levant ernannt. Nach einem Putsch prodeutscher Kräfte unter Raschid Ali al-Gailani im Irak und der britischen Rückeroberung des Irak begannen die Forces françaises libres (FFL) am 8. Juni 1941 gemeinsam mit britischen, britisch-indischen und australischen Einheiten mit der Eroberung Syriens und besetzten am 21. Juni 1941 Damaskus. Obwohl die FFL unter Charles de Gaulle Syrien die Unabhängigkeit versprochen hatten, wurde zunächst wieder eine französische Protektoratsverwaltung eingerichtet.

Die Baathisten, die bis 1941 gegen die Vichy-Verwaltung opponiert hatten, wandten sich nun erneut gegen die Protektoratsverwaltung durch die FFL. Mit ihrer Kritik an der Nichteinhaltung des Unabhängigkeitsversprechens standen sie nicht allein. Ihr Nationalismus war jedoch eine der radikalsten Gegenstimmen zur erneuten französischen Protektoratsverwaltung. Neben der vom kurdischen Marxisten Khalid Bakdash geführten Kommunistischen Partei Syriens und des Libanon und der 1932 von Antun Sa‘ada gegründeten Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP) bildeten die Baathisten bald eine dritte radikal antikoloniale und modernistische politische Strömung, die die Kompromissbereitschaft der alten Eliten ablehnte und unter der jüngeren Generation an Einfluss gewann. Während jedoch die Kommunisten, der Linie der Komintern folgend, für die Dauer des Weltkriegs die FFL als Verbündete der Sowjetunion unterstützten und in gewisser Weise den Aufschub der Unabhängigkeit akzeptierten, konnten sich nun verschiedene Strömungen des arabischen Nationalismus als Speerspitze des antikolonialen Befreiungskampfes inszenieren.

Nachdem die Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung unter Premierminister Faris al-Khuri und der neuen französischen Regierung Anfang 1945 noch nicht zu einer vollständigen Unabhängigkeit Syriens geführt hatten, forderten die Baathisten den Abbruch der Verhandlungen und riefen am 6. Mai 1945 zum Generalstreik und kurz darauf zum „nationalen Dschihad“ auf, für den alle Kräfte des Volkes mobilisiert werden sollten. Allein dieser Begriff des „nationalen Dschihad“ zeigt viel von der Ideologie der aufstrebenden Partei: Die islamische Geschichte wird säkularisiert und für nationale Ziele instrumentalisiert. Im Zentrum steht aber letztlich die arabische Nation, ihre Unabhängigkeit und Einheit.

Demonstrationen für die Unabhängigkeit Syriens wurden gewaltsam niedergeschlagen – französische Truppen stürmten am 29. Mai 1945 das demokratisch gewählte syrische Parlament und versuchten, Präsident Shukri al-Quwatli zu verhaften. Es waren schließlich die Briten, die die französischen Angriffe auf die politischen Strukturen Syriens stoppten und damit den Weg zur Unabhängigkeit ermöglichten. Massive Repressionen, die insgesamt etwa 1000 Syrerinnen und Syrer das Leben kosteten, auch gegen gemäßigte Unabhängigkeitsbefürworter, ermöglichten radikalen Randgruppen wie den Baathisten weiteren Zulauf.

Erst am 17. April 1946 erlangte Syrien schließlich seine Unabhängigkeit. Die Gründung einer offiziellen Partei durch die Baathisten ist im Zusammenhang mit den ersten Parlamentswahlen des unabhängigen Syriens 1947 zu sehen, bei denen im Rahmen eines größeren Zusammenschlusses auch Kandidaten der Arabischen Sozialistischen Partei der Wiedererweckung (Hizb al-Baʿth al-ʿArabī al-Ishtirākī) antraten, jedoch noch keine größeren Wahlerfolge erzielen konnten.

Als panarabistische Partei verstand sich die Baath-Partei von Anfang an als gesamtarabische Partei. Die in anderen Staaten gegründeten Parteiableger waren daher in ihrem Selbstverständnis keine Schwesterparteien, sondern Sektionen ein und derselben Partei. Die einzelnen Teilorganisationen in den verschiedenen arabischen Staaten wurden daher jeweils von einem sogenannten „Regionalkommando“ geführt.

Weg zur Macht

Weder in Syrien noch im Irak kam die Baath-Partei jemals durch demokratische Wahlen an die Macht. Dort, wo die Baath-Partei nicht auf eine militärische Machtübernahme durch einen Putsch setzte, wie im Libanon, Sudan, in Ägypten, Tunesien oder Jordanien, blieben die jeweiligen Sektionen der Baath-Partei kleine Parteien.

Auch in Syrien haben die Baathisten nie eine demokratische Wahl gewonnen. Das liegt aber auch zum Teil daran, dass es nach den ersten Parlamentswahlen 1947 nur wenige zumindest scheinbar demokratische Wahlen gab. Die schwere Niederlage Syriens im Rahmen der Allianz arabischer Staaten gegen die Staatsgründung Israels 1948 delegitimierte die demokratisch gewählte Regierung und leitete einen permanenten Ausnahmezustand ein, in dem autoritäre Politikmodelle einen Nährboden fanden. Am 29. März 1949 begann mit dem Putsch des proamerikanischen Generalstabschefs Husni az-Za‘im eine Phase militärischer Umstürze, die das parlamentarische System beendeten und Neuwahlen verhinderten. Eine der ersten Maßnahmen az-Za‘ims war die Auflösung des syrischen Parlaments am 11. April.

Az-Za‘ims Autoritarismus und Antikommunismus, die Auslieferung von Antun Sa‘ada an den Libanon, der dort hingerichtet wurde, und seine weitgehend erratische Politik führten jedoch zu einer starken Opposition gegen sein Regime und bereits im August 1949 zum nächsten Militärputsch und zur Hinrichtung Az-Za‘ims. Ein weiterer Staatsstreich folgte im Dezember desselben Jahres.

Nach dem Scheitern der Vereinigten Arabischen Republik – einem Zusammenschluss der Staaten Ägypten und Syrien zwischen 1958 und 1961 – und der Wiederherstellung der syrischen Souveränität gelang es den Baathisten am 8. März 1963, sich an die Macht zu putschen.

Die Baath-Partei war jedoch tief gespalten: Während die Gründergeneration der Partei um Aflaq und al-Bitar, der zeitweise Premierminister war, eine Einigung mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser in Form einer arabischen Föderation mit einer gemäßigt sozialistischen Politik befürwortete, stand ihnen eine jüngere Generation gegenüber, die der „Revolution in einem Land“ Vorrang vor der arabischen Einheit einräumte – die sogenannten Neobaathisten.

Im Februar 1966 kam es schließlich zur Spaltung der Partei, als die Neobaathisten erfolgreich gegen die alte Parteiführung putschten. Die neuen Machthaber betrieben den Ausschluss rivalisierender Teile der Partei, wodurch zwei getrennte und zunehmend verfeindete Baath-Organisationen entstanden: eine in Damaskus und eine in Bagdad. Beide nahmen für sich in Anspruch, die wahren Vertreter der Baath-Ideologie zu repräsentieren.

Ursprünglich unterstand der 1951 gegründete irakische Zweig der Baath-Partei dem syrisch geführten Zentralkommando. Nach dem Putsch von 1966 machte sich der irakische Zweig jedoch zunehmend unabhängig. Unter Ahmed Hassan al-Bakr und später Saddam Hussein wurde der Irak zu einem Konkurrenten, insbesondere nachdem der Irak Michel Aflaq als Generalsekretär der irakischen Variante der Baath-Partei aufgenommen hatte.

„Links“ und „Rechts“

Mit der Spaltung zwischen syrischen und irakischen Baathisten waren die Richtungskämpfe innerhalb der syrischen Baath-Partei jedoch noch nicht beendet. Nach der Konsolidierung der Macht der Neobaathisten begannen sich innerhalb der syrischen Partei Differenzen zwischen dem sogenannten linken und rechten Flügel herauszubilden. Diese Gruppen vertraten unterschiedliche Ansichten über die Ideologie der Partei, ihr Verhältnis zum Militär und ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik.

Die Begriffe „links“ und „rechts“ innerhalb der syrischen Baath-Partei waren allerdings unscharf und entsprachen nicht immer den traditionellen politischen Kategorien. Persönliche Ambitionen, regionale Loyalitäten und praktische Erwägungen vermischten sich häufig mit ideologischen Differenzen und prägten diese internen Konflikte. Hinzu kamen regionale und ethno-konfessionelle Unterschiede innerhalb der Partei.

Der „linke“ Flügel der syrischen Baath-Partei wurde von Salah Dschadid angeführt, der von 1966 bis 1970 faktischer Machthaber in Syrien war und daher großen Einfluss auf die Organisation und Ideologie der Partei hatte. Dschadid entstammte einer alawitischen Familie aus dem Dorf Dweir Baabda nahe der Küstenstadt Dschabala. In seiner Jugend war er zunächst Mitglied der SSNP.

Eine wichtige Rolle im innerparteilichen Machtkampf spielte zunächst eine Gruppe drusischer Offiziere um Salim Hatum, der ursprünglich selbst am Putsch von 1966 teilgenommen und sich mit Salah Dschadid verbündet hatte. Hatum fühlte sich jedoch nach dem Putsch marginalisiert und befürchtete, dass die Alawiten – insbesondere Dschadid und Hafez al-Assad – die Kontrolle über das Regime übernehmen könnten.

1967, nach dem schmerzlichen Verlust der Golanhöhen an Israel im Sechstagekrieg, versuchte Hatum einen Putsch gegen die dominierende alawitische Parteiführung zu organisieren, der jedoch scheiterte. Dieser misslungene Aufstand drusischer Offiziere markierte einen entscheidenden Punkt in der Machtkonsolidierung der alawitischen Offiziere und der weiteren Marginalisierung nicht-alawitischer Gruppen innerhalb der Streitkräfte.

Ein weiterer Akteur war die sogenannte Hawrani-Fraktion um Ahmad Suwaydani, benannt nach der südsyrischen Region Hawran, aus der die sunnitischen Parteimitglieder stammten. Auch diese Gruppe fühlte sich zunehmend von den Alawiten verdrängt. Mit der Verhaftung von Ahmad Suwaydani und vielen seiner Anhänger im August 1968 wurde schließlich auch diese Gruppe ausgeschaltet.

Damit blieben im Wesentlichen der „linke“ Flügel um Dschadid und der „rechte“ Flügel um Verteidigungsminister Assad, der ebenfalls aus einer alawitischen Familie stammte, übrig. Der „linke“ Flügel vertrat ein radikaleres sozialistisches Programm. Die Gruppe um Assad, die im Sicherheitsapparat und in der Armee stark vertreten war, neigte dazu, militärische Stärke und staatliche Sicherheit einem schnellen Übergang zu einem sozialistischen System vorzuziehen.

Assad an der Macht

Ab 1968 begann Assad, seine Kontrolle über das Militär und die Sicherheitskräfte systematisch auszubauen und diese wichtigen Institutionen schrittweise dem direkten Einfluss der zivilen Führung der Baath-Partei unter Dschadid zu entziehen. Dadurch verschoben sich die Machtverhältnisse innerhalb des syrischen Staates deutlich zugunsten Assads. Im Oktober 1970 kam es auf einer Parteikonferenz zu einer Eskalation zwischen Dschadid und Assad. Dschadid versuchte, die ihm immer mehr entgleitende Führung der Partei zurückzugewinnen und warf Assad Mutlosigkeit und Unterwürfigkeit gegenüber dem Imperialismus vor. Assad und Mustafa Tlas sahen sich in der Parteiführung isoliert, beide wurden ihrer Ämter enthoben.

Assad schlug jedoch zurück. Die von ihm angeführte Korrekturbewegung vom 13. November 1970 war für lange Zeit der letzte Putsch in Syrien und endete mit dem Sturz und der Inhaftierung Dschadids und seiner Verbündeten. Damit endete auch die Ära der linken Dominanz innerhalb der syrischen Baath-Partei.

Der Machtwechsel von Dschadid zu Assad war ein Wechsel unter den Angehörigen derselben religiösen Minderheit, den Alawiten, die von Anfang an in der Armee und den Sicherheitskräften stark vertreten waren. Die Einbindung der Alawiten, der traditionell am stärksten marginalisierten Gruppe der syrischen Bevölkerung, schuf ein Heer von loyalen politischen Funktionären und vor allem Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern, die dem Regime alles verdankten und bei einem Sturz des Regimes auch alles zu verlieren hätten.

Ein wesentliches Erfolgsgeheimnis Assads bestand darin, dass sein gemäßigter Kurs im Vergleich zum Kurs Dschadids in Syrien selbst, aber auch international geradezu als Befreiung wahrgenommen wurde. Assad galt als die gemäßigte Alternative zu den „extremen“ Baathisten und als Garant für Stabilität und Berechenbarkeit. Auch wenn er von den „linken“ Baathisten die Bevorzugung zuvor benachteiligter Gruppen als Herrschaftstechnik übernahm, verzichtete er auf die unpopuläre Klassenkampfrhetorik zugunsten einer gewissen wirtschaftlichen und politischen Liberalisierung.

So sehr das Assad-Regime von vielen Syrerinnen und Syrern gefürchtet war, so sehr wurde Hafez al-Assad als Person im In- und Ausland respektiert, allein schon deshalb, weil es ihm gelungen war, eine gewisse Ruhe in ein Land zu bringen, das bis dahin von ständigen militärischen Umstürzen und permanenter politischer Instabilität geprägt war.

Diese Stabilisierung gelang einerseits durch die Einbindung kooperationswilliger politischer Kräfte in das politische System, andererseits durch die rücksichtslose politische Verfolgung aller anderen. 1972 wurde unter Führung der Baath-Partei die Nationale Progressive Front gegründet, in der sich neben den Baathisten selbst auch die SSNP, die Kommunistische Partei, die nasseristische Arabische Sozialistische Union und eine Reihe weiterer Kleinparteien zu regimetreuen Blockparteien zusammenschlossen. Kurdische, linke, liberale oder islamistische Oppositionsgruppen wurden dagegen rücksichtslos verfolgt. Als die stärkste islamistische Opposition, die Muslimbruderschaft, 1982 in Hama einen Aufstand wagte, wurde die Stadt kurzerhand mit Bodentruppen und Luftwaffe angegriffen, was mindestens 10000 Menschen das Leben kostete.

Unter Assad wurde die Baath-Partei schließlich zu einer allmächtigen Regierungspartei, die für Karrieren aller Art ebenso entscheidend sein konnte wie für das Alltagsleben ihrer Mitglieder. Als Hafez al-Assad an die Macht kam, hatte die Partei nach insgesamt acht Jahren im Amt nur 65000 Mitglieder. Bis 1981 stieg die Mitgliederzahl auf 374000, bis zum Tod von Hafez al-Assad im Jahr 2000 auf 1,4 Millionen an – unter seinem Sohn Baschar al-Assad setzte sich dieser Trend fort. Dabei wurde jedoch zwischen aktiven Mitgliedern und Unterstützern unterschieden. Die Zahl der aktiven Mitglieder betrug bis zum Jahr 2000 „nur“ 71573, alle anderen galten als Unterstützer.

Die totalitäre Stabilität Syriens unter Assad resultierte zu einem großen Teil aus der bewusst geschürten Angst unter religiösen Minderheiten und säkularen Sunniten, die Alternative zum Regime sei eine Machtübernahme durch sunnitische Islamisten.

Frühling und Krieg

Erst mit dem Tod Hafez al-Assads im Juni 2000 und der Übernahme des Präsidentenamtes durch seinen Sohn Baschar kam es zu einer kurzen politischen Liberalisierung, die als „Damaszener Frühling“ bezeichnet wird, im Rückblick aber wohl vor allem dazu diente, den Machtwechsel vom Vater auf den Sohn zu sichern.

Bereits nach wenigen Monaten wurden die spektakulären Öffnungsschritte der ersten Monate von Assad junior wieder zurückgenommen. Am 29. Januar 2001 erklärte der syrische Informationsminister Adnan Omran in einer Rede vor Journalisten, dass zivilgesellschaftliche Gruppen in Entwicklungsländern von ausländischen Botschaften mit finanziellen Vorteilen und Privilegien unterstützt würden, und eröffnete damit eine Kampagne gegen Dissidenten, die bald auch zur Verhaftung von zwei unabhängigen Parlamentsabgeordneten führen sollte. Zahlreiche Oppositionelle, die erst wenige Monate zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden waren, fanden sich erneut hinter Gittern wieder.

International konnte der neue Präsident dennoch lange das Image eines Reformers pflegen und in den Jahren bis zum Ausbruch des Syrienkrieges 2011 die politischen Beziehungen zum Westen deutlich verbessern, bevor er als der Präsident in die Geschichte Syriens einging, der mehr als die Hälfte seiner Amtszeit über ein vom Krieg zerrissenes Land herrschte. Mit der Flucht Baschar al-Assads am 8. Dezember 2024 und der Auflösung der Baath-Partei durch die syrische Übergangsregierung am 29. Januar 2025 ging die Geschichte dieser Variante des arabischen Nationalismus zu Ende. Das Erbe dieser Ideologie wird das Land jedoch noch lange beschäftigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Zaki al-Arsuzi, Gesammelte Werke, hrsg. von Antun Maqdisi et al., Bd. 3, Damaskus 1975, S. 291f. (aus dem Arabischen).

  2. Vgl. Sami Moubayed, Steel & Silk. Men and Women Who Shaped Syria 1900–2000, Seattle 2006, S. 131.

  3. Vgl. Zeev Sternhell, Faschistische Ideologie, Berlin 2019.

  4. Vgl. Dalal Arzuzi-Elamir, Arabischer Nationalismus in Syrien, Münster u.a. 2003, S. 44ff.

  5. Vgl. Keith D. Watenpaugh, „Creating Phantoms“: Zaki al-Arsuzi, the Alexandretta Crisis, and the Formation of Modern Arab Nationalism in Syria, in: International Journal of Middle East Studies 3/1996, S. 363–389, hier S. 377.

  6. Vgl. Alan George, Syria. Neither Bread Nor Freedom, London 2003, S. 65.

  7. Gleichwohl marginalisierte der regierende Baathismus die Kurden später politisch und kulturell.

  8. Vgl. Götz Nordbruch, Nazism in Syria and Lebanon. The Ambivalence of the German Option, 1933–1945, London–New York 2009, S. 103ff.

  9. Vgl. Pierre Guingamp, Hafez El Assad et le parti Baath en Syrie, Paris 1996, S. 48.

  10. Vgl. Edward Hampshire, Alfred Duff Cooper, 1944–47, in: John W. Young/Rogelia Pastor-Castro (Hrsg.), The Paris Embassy. British Ambassadors and Anglo-French Relations 1944–79, Basingstoke 2013, S. 17–41, hier S. 25.

  11. Vgl. Andrew Knapp, Charles de Gaulle, London 2020, S. 120ff.

  12. Vgl. ebd., S. 157.

  13. Vgl. Raymond Hinnebusch, Syria. Revolution from Above, London 2001, S. 49.

  14. Im Irak putschte sich die Baath-Partei 1963 an die Macht, verlor diese jedoch noch im selben Jahr. 1968 gelang es ihr unter der Führung von Ahmed Hassan al-Bakr und später Saddam Hussein, die Macht zu übernehmen und ein autoritäres Einparteiensystem zu etablieren.

  15. Vgl. Nikolaos van Dam, The Struggle for Power in Syria, New York 2011, S. 60.

  16. Vgl. John McHugo, Syria. From the Great War to Civil War, London 2014, S. 153.

  17. Vgl. Patrick Seale, Asad of Syria. The Struggle for the Middle East, Berkeley u.a. 1989, S. 169.

  18. Vgl. Eyal Zisser, Asad’s Legacy. Syria in Transition, London 2001, S. 29f.

  19. Vgl. Barry Rubin, The Truth About Syria, New York 2007, S. 45.

  20. Vgl. Radwan Ziadeh, Power and Policy in Syria, London–New York 2011, S. 20f.

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ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Associate Professor an der University of Kurdistan Hawler in Erbil, Irak.