Die als Arabischer Frühling bekannten Volksaufstände zählen zweifellos zu den bedeutendsten Ereignissen in der Geschichte des arabischen Nahen Ostens und hatten weitreichende Auswirkungen auf ethnische und religiöse Minderheiten in Ägypten, Syrien und dem Irak. Der sich vorwiegend auf die sunnitische Mehrheit beschränkende und von islamistischen Aktivisten angeführte Aufstand im März 2011 in Syrien stellte die dortigen Minderheiten – Alawiten, Drusen, Christen und Kurden – vor beispiellose Herausforderungen und löste große Ängste bei ihnen aus. Gefangen zwischen dem Amboss der Anarchie und dem Hammer des Islamismus sahen sie den säkularen Staat bedroht. Der Sturz des Regimes im Dezember 2024 und der Aufstieg der islamistischen Miliz HTS (Hai‘at Tahrir asch-Scham), die früher als al-Nusra-Front bekannt war, ließen die schlimmsten Befürchtungen der Minderheiten wahr werden. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass ein neues Syrien nicht ohne eine Partnerschaft mit den Minderheiten aufgebaut werden kann. Im Folgenden werden die vier großen Minderheiten Syriens – Alawiten, Drusen, Christen und Kurden – sowie ihre Geschichte und Rolle in der Gesellschaft näher beleuchtet.
Alawiten
Laut offiziellen Angaben machten die Alawiten – eine religiöse Minderheit innerhalb des schiitischen Islam – vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 fast zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung Syriens aus.
Die Machtübernahme Hafez al-Assads im Jahr 1970 war ein einschneidendes Ereignis. Sie signalisierte mehr als alles andere, dass sich der politische Schwerpunkt von der städtischen zur ländlichen Elite verlagert hatte. Dies erklärt auch den starken Widerstand der städtischen Zentren gegen die 1973 mit einer Verfassungsänderung eingeleitete Säkularisierungspolitik sowie die sozioökonomischen Maßnahmen des neuen Regimes, von denen die breite Bevölkerung und die Peripherie profitierten. Aus diesem Widerstand entwickelte sich Mitte der 1970er Jahre ein gewaltsamer Konflikt, in dem die Muslimbrüder die Speerspitze eines dschihadistischen Kampfes gegen das Baath-Regime bildeten. Doch 1982 wurde der Aufstand endgültig niedergeschlagen. Dies markierte den Beginn einer – wenn auch ungleichen – Partnerschaft zwischen der alawitischen Militärelite und der sunnitischen Zivilelite, die zu einer der wichtigsten Stützen des Regimes wurde.
Es war jedoch nicht so, dass unter Präsident Hafez al-Assad eine alawitische Minderheit über die sunnitische Mehrheit geherrscht hätte, obwohl Mitglieder der alawitischen Gemeinschaft mithilfe des Sicherheitsapparats eine starke Kontrolle ausübten. Das Regime verfolgte weder eine Politik der Ausgrenzung gegenüber der sunnitischen Mehrheit, noch lenkte es alle wirtschaftlichen Ressourcen in die alawitischen Gebiete. Drei Jahrzehnte lang stand das Assad-Regime den städtischen Eliten offen, während es gleichzeitig mit der sunnitischen Peripherie eine dauerhafte, jedoch zwangsläufig ungleichgewichtige Partnerschaft unterhielt. Denn wie es der Natur eines totalitären Regimes entspricht, behielten die Sicherheits- und Militärapparate stets die Oberhand über die Zivilbevölkerung.
Der Aufstand Anfang März 2011 bedeutete eine existenzielle Herausforderung für das Regime. Als sich der Aufstand zu einer Rebellion und schließlich zu einem Bürgerkrieg entwickelte, wurden immer mehr Alawiten für das Regime mobilisiert. In den folgenden Jahren des Konflikts wurden Zehntausende junge Mitglieder dieser Gemeinschaft getötet. Der Aufstieg dschihadistischer Organisationen verstärkte die Ängste vieler Alawiten, da sie befürchteten, dass der Sturz des Regimes nicht nur zum Verlust ihrer Privilegien in der Armee, sondern auch zu einer existenziellen Bedrohung für die gesamte Gemeinschaft führen könnte. Und natürlich setzte Baschar al-Assad alles daran, diese Ängste nicht nur bei den Alawiten, sondern bei allen Minderheiten zu schüren.
Der Sturz des Regimes Ende 2024 läutete eine neue Ära in der Geschichte Syriens ein. Er markierte das Ende der fast sechs Jahrzehnte währenden Herrschaft der Baath-Partei sowie der 54-jährigen Herrschaft der Assad-Dynastie. Die Alawiten fielen in Ungnade und verloren ihre Privilegien. Die Auflösung des Sicherheits- und Militärapparats war für die alawitische Minderheit, deren wirtschaftliche Existenz sich hauptsächlich auf diesen Sektor gestützt hatte, eine Katastrophe.
Mit Assads Flucht wurden die Alawiten führerlos. Lokale Honoratioren und religiöse Würdenträger bemühen sich zwar, einen Weg für die Gemeinschaft unter den neuen Verhältnissen zu finden, doch das aktuelle Regime identifiziert die Alawiten mit der Assad-Ära und setzt alles daran, sie aus der Regierung und insbesondere aus den neuen Militär- und Sicherheitseinrichtungen herauszuhalten. Syrien steht an einem Scheideweg, und die neue Regierung ist entschlossen, ihre Macht zu festigen. Damit ist klar, dass die Alawiten zu den großen Verlieren der neuen Verhältnisse gehören. Ihre Zukunft hängt davon ab, welche Richtung das neue Regime im post-baathistischen Syrien einschlagen wird.
Drusen
Die Drusen sind eine aus dem Ismailismus hervorgegangene religiöse Gemeinschaft innerhalb der islamischen Zivilisation. Sie zählt heute nicht mehr zum Islam und lebt insbesondere in Ländern wie Syrien, dem Libanon, Israel und Jordanien. Obwohl die Drusen nur etwa drei Prozent der Bevölkerung Syriens ausmachen, haben sie in der Geschichte des Landes eine bedeutende Rolle gespielt. So wurde die Große Syrische Revolution (1925–1927), bei der sich die Bevölkerung 1925 im Dschabal ad-Duruz (Gebirge der Drusen) gegen die französische Kolonialherrschaft erhob, von dem Drusen Sultan al-Atrasch angeführt.
Der Putsch der Baath-Partei 1963 und ihr anschließender Aufstieg zur Macht markierten einen Wendepunkt in der syrischen Innenpolitik. Minderheiten, allen voran die Alawiten und Drusen, erhielten dadurch die Möglichkeit, führende Rollen in Regierung und Armee zu übernehmen. Die Drusen waren nun deutlich stärker politisch involviert und bekleideten sowohl in der Armee als auch in der Partei hohe Posten.
Die Machtübernahme Baschar al-Assads im Jahr 2000 hatte keine nennenswerten Auswirkungen auf die Beziehungen der Drusen zum Regime. Der Aufstand, der im März 2011 im südsyrischen Daraa begann, erstreckte sich nicht auf ihre Hochburg im Drusengebirge. Trotz der Unterstützung des Aufstands durch einige Intellektuelle und Eliten blieb die große Mehrheit der Drusen dem Regime treu. Entsprechend schwierig war es für die Rebellenführer, Drusen zu rekrutieren. Die Loyalität der Drusen war in erster Linie auf die politische und soziale Struktur der syrischen Gesellschaft sowie auf die Art und Weise, wie sich der Aufstand entwickelte, zurückzuführen.
Die zunehmende Islamisierung der Opposition, das Erstarken dschihadistischer Organisationen und der Zerfall der staatlichen Autorität trieben viele Drusen in die Arme des Regimes. Ihre Angst vor dem dschihadistischen Islam erhielt im Juni 2015 eine traurige Bestätigung, als Dutzende Drusen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Idlib in Nordsyrien von militanten Dschihadisten der Organisation al-Nusra massakriert wurden. Aufgrund ihrer Loyalität gegenüber dem Regime und ihrer Einordnung als heterodoxe Sekte, die sie auf eine Stufe mit den Ismaeliten und Alawiten stellt – die von den sunnitischen Orthodoxen als Ungläubige betrachtet werden –, waren die Drusen in den Augen der Dschihadisten gleich doppelt suspekt. Auf das Massaker von 2015 folgten im Juli 2018 Angriffe des sogenannten Islamischen Staates (IS) auf drusische Dörfer. Dabei wurden etwa 260 drusische Einwohner getötet und 30 Frauen und Kinder verschleppt. Assads Streitkräfte unternahmen keinerlei Anstrengungen, um die Angriffe zu verhindern.
Das spirituelle Oberhaupt der Drusen, Mashyakhat al-Aql, hielt dem Regime lange die Treue. Scheich Wahid al-Balous, ein populärer religiöser Führer, leitete hingegen eine Protestbewegung gegen das Regime und versuchte, das Drusengebirge vor den Dschihadisten zu schützen. Doch auch seine Ermordung im September 2015, bei der viele vermuten, dass Assads Agenten ihre Hände im Spiel hatten, führte bei den Drusen zunächst zu keinem Umdenken. Fünf Jahre nach dem Ausbruch des Aufstands, der einen blutigen Bürgerkrieg in der Region nach sich zog, kamen viele Drusen zu dem Schluss, dass das Regime das geringere Übel sei, drohte doch mit dessen Untergang auch der Zusammenbruch des Staates. Andererseits erreichte das Verhältnis zwischen dem Regime und einem Großteil der drusischen Bevölkerung 2015 einen kritischen Punkt, nachdem Assads Streitkräfte einige Niederlagen erlitten und viele Drusen ihr Leben verloren hatten. Die Drusen nahmen nun eine eher neutrale Haltung gegenüber dem blutigen Konflikt ein. Hinzu kam, dass sich viele Drusen lieber der von Wahid al-Balous gegründeten Miliz Rijal al-Karama zur Verteidigung ihrer eigenen Leute anschlossen, als im syrischen Militär zu dienen.
Das Syrien, das man bis 2011 kannte, gab es nicht mehr. Der Krieg hatte Staat und Gesellschaft zugrunde gerichtet und zu einem fast vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch geführt. Wie alle anderen Teile der syrischen Gesellschaft blieben auch die Drusen von Tod, Zerstörung und der Auflösung des sozialen Gefüges nicht verschont. Der Krieg machte den Drusen deutlich, dass ihr Existenzrecht als Minderheit nicht von allen anerkannt wurde, wodurch sich ihre Situation in der syrischen Tragödie zusätzlich verschärfte. Der Kriegsverlauf zeigte, wie sehr ihre Existenz von demselben syrischen Regime abhing, das sie in diese Situation gebracht hatte.
Die Zeit um das Jahr 2015 markierte einen Wendepunkt in der Beziehung zwischen den Drusen und dem Baath-Regime. Viele Drusen versuchten, sich dem Militärdienst zu entziehen, es sei denn, das Regime erklärte sich bereit, sie in ihrer Heimatregion zu stationieren. Doch trotz ihres Widerstands und obwohl es in den zwei Jahren vor Assads Sturz zunehmend zu Protesten der Drusen gegen die wirtschaftliche und soziale Krise gekommen war, rebellierten sie nicht offen gegen das Regime.
Dennoch begrüßten die Drusen den Sturz der Regierung im Dezember 2024. Für den Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa zeigen sie jedoch keine große Begeisterung. Sie erlauben den Milizen des neuen Regimes nicht, sich in ihrem Gebiet zu versammeln, und sind auch nicht bereit, ihre Waffen abzugeben. Ihr geistliches Oberhaupt, Scheich Hikmat al-Hajri, erklärte dazu, dass sie dem neuen Regime aufgrund seines dschihadistischen Hintergrunds nicht vertrauen. Die Ereignisse in den Monaten nach der Übergangsphase haben die Ängste der Drusen noch verstärkt: Die Offiziere der neu aufgestellten Armee sind allesamt ehemalige dschihadistische Befehlshaber – und die Übergangsverfassung hat al-Scharaas Macht für zunächst fünf Jahre zementiert. Zudem fürchten die Drusen nach den Massakern an den Alawiten im März 2025, dass ihnen Ähnliches zustoßen könnte. Zwei Faktoren halten das neue Regime jedoch davon ab, sich in den drusischen Gebieten einzumischen: die Tatsache, dass die Drusen ihre Waffen nicht abgegeben haben, und die Drohung Israels, einzugreifen, sollte das neue Regime gegen die Drusen vorgehen.
Christen
Die christlichen Gemeinschaften in Syrien hielten sich zwar stets aus dem sozialen und religiösen Gefüge des Landes heraus, entwickelten aber kein Gefühl der Fremdheit oder gar Entfremdung. Tatsächlich geht die Belebung der arabischen Kultur sowie das nationale Erwachen Syriens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf christliche Intellektuelle zurück, wobei Boutros al-Bastani als ihr prominentester Vertreter gilt. Die Christen waren Vorboten des Wandels und Pioniere der Revolution. Ihr Beitrag steht in keinem Verhältnis zu ihrer geringen Zahl in den drei ideologischen Bewegungen, die das Gesicht des modernen Syriens prägten: Arabismus, syrischer Nationalismus und Kommunismus. Auch in den politischen und gesellschaftlichen Eliten des modernen Syriens waren christliche Intellektuelle gut vertreten. Michel Aflaq war etwa einer der Gründer der von 1963 bis 2024 regierenden Baath-Partei, Faris al-Churi war einer der Anführer im Kampf um Syriens Unabhängigkeit und Constantin Zureik zählte zu den Mitbegründern und Vordenkern des arabischen Nationalismus.
In den langen Jahren der Baath-Herrschaft schwand der Einfluss der Christen. Doch das Baath-Regime, das die nationale Identität und eine säkulare Orientierung betonte, vermittelte ihnen trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten, politischer Unterdrückung und weitverbreiteter Korruption ein Gefühl der Sicherheit. Langfristig betrachtet lässt sich bei den christlichen Gemeinschaften in Syrien jedoch ein verminderter Status, eine schwindende öffentliche Präsenz und ein kontinuierlicher Rückgang beobachten, da immer mehr Christen auswanderten – vor allem seit Beginn des Bürgerkriegs 2011.
Hinsichtlich des Anteils der Christen an der syrischen Bevölkerung im letzten Jahrhundert herrscht sowohl bei westlichen als auch bei syrischen und arabischen Quellen große Uneinigkeit und Verwirrung. Laut dem Theologen Todd M. Johnson und der Historikerin Gina A. Zurlo machten Christen im Jahr 1910 15,6 Prozent der syrischen Bevölkerung aus, doch diese Zahl sank bis 1970 auf acht Prozent (oder laut Volkszählung von 1978 auf 9,9 Prozent).
Nicht wenige Christen sahen in der seit über einem halben Jahrhundert regierenden Baath-Partei ihre Beschützerin. Durch ihren säkularen Ansatz trug die Partei zur Inklusion und Integration von Christen in Politik und Gesellschaft bei.
Michel Shammas ist der Ansicht, dass die Christen durch den Aufstieg des Alawiten Hafez al-Assad an Einfluss verloren haben. Zuvor waren sie in den Bereichen Bildung und Kultur gut vertreten. Mit dem Aufstieg der Baath-Partei in den 1960er Jahren schwand jedoch ihre Bedeutung in den politischen Machtzentren.
Der Umgang des Regimes mit Missions- und kommunalen Schulen traf die christliche Gemeinschaft besonders hart. Die Schließung von Schulen oder ihre Umwandlung in staatliche Einrichtungen löste in kirchlichen und klerikalen Kreisen Proteste aus, wurde aber dennoch in unvermindertem Tempo fortgesetzt.
Man kann davon ausgehen, dass die Unterdrückung der Muslimbruderschaft Anfang der 1980er Jahre die Ängste vieler syrischer Christen und anderer Minderheiten dämpfte. Während das Baath-Regime mit der Peitsche gegen Islamisten vorging, gab es für die sunnitische urbane Mittelschicht das Zuckerbrot in Form einer Aussöhnung mit all jenen, die bereit waren, sich mit dem Regime zu arrangieren. Dies ging jedoch zu Lasten der Christen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Auswanderung der Christen aus Syrien bis in die frühen 1960er Jahre zurückreicht und mit der Machtübernahme der Baath-Partei ihren Ausgangspunkt nahm. Sie weist eine erstaunliche Ähnlichkeit zur Entwicklung in Ägypten und den Kopten auf. Die Emigration der syrischen Christen war eine Reaktion auf den Totalitarismus der Baath-Partei sowie auf die Wirtschaftskrise, die Syrien in den 1980er Jahren traf und sich immer weiter ausbreitete. Weitere Faktoren für die christliche Emigration waren Radikalisierung, Verstaatlichung, Sozialismus, die Ausgrenzung der alteingesessenen Elite sowie eine schleichende Islamisierung des öffentlichen Raums. Vor 2011 erfolgte die Emigration überwiegend aus eigenem Antrieb und beschränkte sich auf gebildete Schichten. In dieser Hinsicht war sie Teil des Braindrain, der viele arabische Staaten betraf.
Zu den syrischen Christen gibt es keine aktuellen, seriösen Daten, doch aus Berichten geht hervor, dass Hunderttausende von ihnen seit 2011 emigriert sind. Laut einem Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker flohen in den ersten zwei Jahren nach Ausbruch des Bürgerkriegs etwa 2,3 Millionen Syrer in benachbarte Länder, darunter 100000 Christen.
Kurden
Die Kurden sind die vorherrschende ethnisch-nationale Minderheit in Syrien, und seit dem Aufstand von 2011 ist die „Kurdenfrage“ wieder in den Mittelpunkt der Politik gerückt. Der Großteil der kurdischen Bevölkerung Syriens lebt in drei Regionen entlang der nördlichen und nordöstlichen Grenzen zur Türkei und zum Irak. Syrien erlangte die Kontrolle über diese Regionen indirekt durch den französisch-syrischen Unabhängigkeitsvertrag, der 1936 unterzeichnet wurde. Der Vertrag wurde nie von Frankreich ratifiziert, war aber dennoch eine wichtige Etappe auf dem Weg Syriens in die Unabhängigkeit und führte dazu, dass die Autorität des syrischen Staates auf ein Gebiet ausgedehnt wurde, das das Drusengebirge, die Gebiete der Alawiten und die kurdisch besiedelte Region Dschazīra umfasste, die zuvor, wenn auch nur theoretisch, dem Staat Aleppo unterstellt war.
Der syrische Staat hat die Kurden nie als nationale Minderheit anerkannt. Die „Kurdenfrage“ begleitet das Land seit seiner Unabhängigkeit. Von 1946 bis 2011 wurden den kurdischen Bürgerinnen und Bürgern aufgrund der panarabischen Ideologie des 1963 an die Macht gekommenen Baath-Regimes nationale, kulturelle und bürgerliche Rechte verweigert.
Nach der Machtübernahme durch die Baath-Partei intensivierte sich die Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung. Die offizielle Haltung des syrischen Staates gegenüber den Kurden basierte auf drei Prinzipien. Erstens weigerte man sich beharrlich, die Kurden als nationale Minderheit in Syrien anzuerkennen – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Zweitens wurden kurdische Bürgerinnen und Bürger von allen staatlichen Institutionen ausgeschlossen und ihnen wurden ihre kulturellen und nationalen Rechte als Minderheit verweigert. Die kurdische Sprache wurde nicht als offizielle Sprache anerkannt und die kurdische Kultur erhielt keinerlei staatliche Unterstützung.
Die Ausgrenzung und Enteignung der kurdischen Bevölkerung setzte sich bis März 2011 fort. Die chaotischen Zustände im Bürgerkrieg boten den Kurden die historische Gelegenheit, sich im Nordosten für de facto autonom zu erklären, mit Unterstützung der USA eine bedeutende militärische Schlagkraft aufzubauen und das Verhältnis zur zentralen Regierung neu zu gestalten. Wesentliche Faktoren für diese Entwicklung waren die geschwächte Autorität der Regierung in weiten Teilen Syriens, einschließlich der kurdischen Gebiete, sowie die Rolle der kurdischen Milizen (mit Unterstützung der USA) im Kampf gegen dschihadistische Organisationen. Darüber hinaus kontrollierten die Kurden die syrischen Ölreserven, die ihnen erhebliche finanzielle Mittel verschafften. Man kann davon ausgehen, dass der Sturz des Assad-Regimes die Kurden darin bestärkt hat, ihre Autonomie zu bewahren.
Der Bürgerkrieg bot den syrischen Kurden eine einmalige Gelegenheit: Erstmals konnten sie eine Form der Autonomie erlangen, die auf der Kontrolle über die Ölfelder, ihrer militärischen Stärke und internationaler Unterstützung beruht. Doch dass die Türkei die Existenz einer autonomen kurdischen Region im Nordirak bis zu einem gewissen Grad toleriert, bedeutet nicht, dass sie einer autonomen Region in Syrien zustimmen wird. Die Türkei betrachtet die Autonomie als existenzielle Bedrohung für ihre Sicherheit und territoriale Integrität. Entsprechend zielte ihre Politik in den vergangenen zehn Jahren darauf ab, diese Autonomie zu unterbinden.
Schluss
Die Minderheiten in Syrien haben in der Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt, die nicht ihrer tatsächlichen demografischen Stärke entspricht. Der politische Aktivismus und Integrationsansatz erreichte seinen Höhepunkt mit dem Aufstieg von Präsident Hafez al-Assad. Das Baath-Regime hat jedoch nie eine politische Hegemonie der Minderheiten über die sunnitische Mehrheit unterstützt. Doch das Festhalten des Regimes an der säkularen Baath-Ideologie bot den Minderheiten ein gewisses Maß an Sicherheit. Vor diesem Hintergrund und angesichts des gegenwärtigen Regimes ist es nicht überraschend, dass die Minderheiten zunehmend besorgt sind – zumal fraglich ist, ob die Politik der aktuellen Regierung, insbesondere nach den Massakern an den Alawiten, diese Besorgnis zerstreuen kann. Das moderne Syrien hat sich stets auf die Integration von Minderheiten im öffentlichen und politischen Bereich gestützt. Nun ist jedoch ungewiss, ob das neue Regime diese Politik fortsetzen wird.
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim.