Das frühe 19. Jahrhundert war eine Zeit tiefgreifender Umbrüche, geprägt von fortwährenden militärischen Konflikten und konkurrierenden Herrschaftsformen. Auf dem Wiener Kongress 1814/15 einigten sich Fürsten und Diplomaten darauf, die politische Ordnung Europas durch die Schaffung des Deutschen Bundes zu stabilisieren – eines Staatenbundes, der durch monarchische Herrschaft und repressive Strukturen gekennzeichnet war. Getragen von den Freiheitsidealen der Französischen Revolution und den Ideen der Aufklärung begann sich in der Zeit des sogenannten Vormärz das Bürgertum in ganz Europa zu politisieren: Der Ruf nach nationaler Einheit und politischer Freiheit wurde laut.
Ausgehend von Paris kam es zu revolutionären Aufständen, die ab dem Frühjahr 1848 ganz Europa erfassten. Am 18. März 1848 erreichten die Proteste Berlin. Die Revolutionäre verfolgten das Ziel, die politische Mitbestimmung des Volkes zu stärken und die Macht monarchischer Eliten zu begrenzen. Diesen Forderungen kamen sie sehr nahe, als am 18. Mai 1848, nur zwei Monate später, erstmalig ein demokratisch gewähltes gesamtdeutsches Parlament zusammentrat. Unter Glockengeläut zogen die neugewählten Abgeordneten in die Frankfurter Paulskirche ein – mit dem historischen Anspruch, einen deutschen Nationalstaat mit einer Verfassung zu errichten.
Die Ereignisse der Jahre 1848/49 stehen jedoch nicht nur für die Dynamik des Parlamentarismus in Deutschland, sondern auch für die zunehmende Politisierung der Gesellschaft. Durch die Gründung von Lesezirkeln und Vereinen verlagerte sich das politische Geschehen in den öffentlichen Raum, unterstützt von neuen technischen Möglichkeiten der Herstellung und Verbreitung von Medien: Zeitungen, Flugblätter und die publizierten Parlamentsprotokolle wurden zu Instrumenten der Meinungsbildung und Petitionen trugen die Anliegen der Bevölkerung in die Parlamente. Es entstand eine lebendige und kontroverse politische Öffentlichkeit, in der sich auch Frauen mit Nachdruck einen Platz erkämpften, der ihnen in den Parlamenten verwehrt wurde.
Die Euphorie stieß jedoch bald an ihre Grenzen. Die Abgeordneten der Paulskirche stritten um die Zukunft Deutschlands, und die Spaltungen überschatteten die gemeinsamen Ziele. Schließlich gewannen die monarchischen Regierungen die Oberhand zurück – und schlugen die Revolution nieder. Die unterschiedlichen Hoffnungen der Menschen von 1848/49 auf eine gesamtdeutsche Verfassung, nationale Einheit oder soziale Gleichheit blieben unerfüllt. Das politische Leben hingegen hatte sich nachhaltig verändert: Politische Organisationen jenseits staatlicher Institutionen gewannen an Bedeutung, demokratische Teilhabe wurde in Parteien, Vereinen und Presseorganen auch abseits der bürgerlichen Eliten greif- und diskutierbar.
Aus diesem Grund können wir auch heute von den Ereignissen der Jahre 1848/49 lernen. Sie erinnern uns daran, dass eine Demokratie von der Partizipation ihrer Bürgerinnen und Bürger lebt: Demokratie muss erstritten, gestaltet, aktiv gelebt und auch verteidigt werden. In diesem Sinne lädt diese Ausgabe dazu ein, die historischen Ereignisse nicht nur als etwas Vergangenes zu betrachten, sondern sie als Grundlage für eine vertiefte Auseinandersetzung mit demokratischen Werten zu nutzen.
Leonie Schminke